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Bernd Perplies Qumishas Sehnsucht - PERRY RHODAN · 2020. 6. 25. · 5 Bernd Perplies Die Hauptpersonen des Romans: Perry Rhodan – Der Terraner verlässt die SOL. Roi Danton –

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Sie leben in einem Raumschiff – und wollen endlich zur Erde zurückendlich zur Erde zurück

SOL – dieser Name hat einen ruhmvollen Klang in der 3000-jährigen Geschichte der terranischen Raumfahrt. Das Hantelraumschiff spielt immer wieder eine entschei-dende Rolle im schicksalhaften Konfl ikt zwischen den Mächten der Ordnung und des Chaos.Im Jahr 1552 Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist Perry Rhodan in die ferne Galaxis Yahouna versetzt worden. Dort sollen er und die Besatzung der SOL herausfi nden, welche Pläne die Superintelligenz BARIL und ihre Ritter hegen. Die SOL gerät schnell in Bedrängnis und wird zeitweilig in fremden Dienst gezwungen.Nachdem die Besatzung ihre Handlungsfreiheit zurück-gewonnen hat, bricht die SOL erneut auf – es geht in das sogenannte Sphärenlabyrinth, das zwischen den Univer-sen liegt. Die Solaner wollen einen mysteriösen Ort un-tersuchen, der für eine gefährliche Wesenheit namens TRAZUL von besonderer Bedeutung ist. Aber nicht alle an Bord sind mit dieser Mission einverstanden – viele wollen stattdessen zur Erde zurückkehren und teilen QUMISHAS SEHNSUCHT ...

Bernd Perplies

Qumishas Sehnsucht

Nr. 9

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5 Bernd Perplies

Die Hauptpersonen des Romans:

Perry Rhodan – Der Terraner verlässt die SOL.

Roi Danton – Rhodans Sohn sinnt auf Rache.

Tess Qumisha – Die Kommandantin der SOL will nach Hause.

1.Auf Schleichfahrt

Roi Danton

Roi Danton fi ndet sich in einem Albtraum wieder.

Alle Sinneseindrücke sind seltsam verschwommen und gleichzeitig bi-zarr verzerrt, als hätte man ihn unter Drogen gesetzt. Er hört und sieht und riecht, aber er spürt seine Glieder nicht, kann sich nicht bewegen. Angst lähmt seine Muskeln, hemmungslose, kreatürliche Angst.

Groteske Gestal-ten umringen ihn. Ihre kalkigen La-mellenpanzer scha-ben aufeinander, die Gesichter sind Frat-zen, die an Toten-schädel erinnern. Übelkeit erregen-de  Verwachsungen entstellen die Körper, von denen kei-ner dem anderen gleicht. Hörner wachsen aus dem einen Schädel, Tu-more wuchern am Hals eines ande-ren, bei einem weiteren blinzelt feucht ein drittes Auge auf der Stirn.

Danton erkennt sie sofort. Es sind die Kolonnen-Anatomen der Termi-nalen Kolonne TRAITOR, grausame Geschöpfe – er will sie nicht Ärzte oder Wissenschaftler nennen –, denen jedes Mitgefühl fehlt und die für ihre kranken Experimente über Berge von Leichen gehen. Er ist wieder in ihrer Gewalt! Genau wie damals. Er will schreien, aber er kann es nicht.

DERUFUS! Die Skapalm-Bark! Ich kann nicht dort sein! Nicht schon wieder!

Dicht vor ihm tauchen Schläuche auf, metallische Schlangen mit na-delspitzen Zähnen. Sie beißen in sei-nen Körper, dringen in ihn ein, heißer Schmerz will seine Nervenbahnen

ausbrennen. Es ist mehr, als ein Mensch ertragen kann.

Hört auf!, will Danton fl ehen. Lasst mich gehen. Oder lasst mich sterben. Nur hört auf!

Die Kolonnen-Anatomen grinsen wie Dämonen, die eine gefallene See-le im Tartaros quälen. Sie untersu-chen ihn, analysieren ihn, kopieren ihn. Und dann reißen sie seine Kopie in zwei Teile. Es ist nicht Dantons Körper selbst, der zerschnitten und mit dem Schlangenleib des Mor’Daer

Yrendir verschmol-zen wird, trotzdem spürt er die Qualen wie seine eigenen.

Und er spürt den Hass! Auf die Ko-lonnen-Anatomen und auf TRAITOR, die ihm das angetan haben. Die es ihm wieder antun, genau

in diesem Moment. Der Hass ist sein Rettungsring, an den er sich klam-mert, während er in einem schwarzen Ozean aus Leid zu versinken droht.

»Komm zu uns. Werde Teil von uns«, raunt ein unheimlicher Chor. TRAITOR ruft ihn zu sich.

Nein, TRAZUL!Dantons Sinne drohen vollends zu

schwinden. Der Hass versiegt, seine kraftlosen Finger gleiten vom Rand des Rettungsrings ab, er wird er-trinken ...

*

Plötzlich änderte sich seine Um-gebung.

Etwas stach ihn in den Hals. Seine Wahrnehmung verschob sich, verlor ihre Traumhaftigkeit, während sich die Realität verfestigte. Roi Danton wollte aufschrecken, die Augen auf-reißen, kämpfen oder fl iehen. Aber

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sein Körper reagierte nicht auf die mentalen Befehle.

Er vernahm Worte, sie waren je-doch dumpf und undeutlich, als be-fände er sich unter Wasser. Sie gehör-ten einer Frau. Dem Klang ihrer Stimme konnte er entnehmen, dass sie etwas Beruhigendes sagte.

Erneut verspürte er einen Stich. Eine wohlige Wärme begann durch seine Adern zu zirkulieren. Nun erst fiel ihm auf, wie sehr er fror. Es muss-te schrecklich kalt an dem Ort gewe-sen sein, an dem er bisher gelegen hatte. Ein Zittern lief durch seinen Körper.

Aber die Wärme ließ das Eis schmel-zen, das sich in seinen Gliedern aus-gebreitet hatte. Und je wärmer ihm wurde, desto mehr kehrten seine Sin-ne zurück, und sein Verstand wurde klarer.

Und plötzlich erinnerte sich Roi Danton.

Ihre Mission, der Spur des PEW-Metalls von Doliuto zu folgen. Der Einsatz auf der halb demontierten Dienstburg VAMTHUS. Die Aktivie-rung des dortigen Transversal-Um-setzers, um ein Portal zu öffnen, durch das sie mit der CALAMAR in ein anderes Universum gelangten. Dann der Strangeness-Schock, der mit einem solchen Wechsel einherging – sofern man sich nicht des wundersa-men Sphärenlabyrinths bediente.

Und danach nichts mehr. Nur wir-re, beängstigende Träume. Sofern es Träume waren ...

Wo bin ich? Was ist passiert?Er öffnete die Augen – und blickte

in das schlangenköpfige, von silber-nem Haar eingerahmte Gesicht eines Mor’Daer. Instinktiv zuckte Danton zurück. Dann riss er die Arme hoch, die Finger zu Krallen verkrümmt, um das Wesen anzugreifen.

Der breitschultrige Soldat, dessen

Körper in einer schweren Rüstung der Streitkräfte TRAITORS steckte, hob abwehrend die behandschuhten Hände. »Halt, Roi Danton!«, rief er in zischelndem Interkosmo. »Ich bin es, Zerbone.«

Jemand drängte sich in Dantons Blickfeld. Es war Mahlia Meyun, die Neu-Solanerin, die sein Einsatzteam als Medikerin begleitete. »Ich habe dir doch gleich gesagt, dass es nicht klug ist, wenn er dich zuerst zu Ge-sicht bekommt«, rügte sie den Mor’-Daer.

Ächzend richtete sich Danton auf. »Was ist hier los?«, fragte er mit schwerer Zunge. Er klang, als wäre er betrunken. »Wo sind wir?«

»In der Zentrale eines Traitanks«, informierte ihn Zerbone, während er zu seinem Bedienpult zurückkehrte.

»Wir haben ihn gestohlen, um da-mit von Nygnard und aus dem Ein-stern-Universum zu fliehen«, fügte Ennyas Anchi hinzu. Der junge, übereifrige Neu-Solaner, der genau wie Meyun von der Werftwelt Evolux stammte, wirkte sehr zufrieden mit sich. Er saß auf dem erhöhten Sessel des Kommandanten in der Mitte des Raums und grinste. Doch als Danton genauer hinsah, erkannte er die Er-leichterung hinter der aufgesetzten Fassade aus Selbstbewusstsein – und auch Furcht.

Danton ließ den Blick schweifen. Blaues Licht erhellte den kreisförmi-gen, etwa zwanzig Meter durchmes-senden Raum. In der Mitte erhob sich das Podest mit dem Sessel des Kom-mandanten, ringsum waren die Kon-trollpulte der Besatzung angeordnet. Die Wände waren dunkelgrau und schienen schwach in Bewegung zu sein. Sie kräuselten sich wie eine Meeresoberfläche in einer leichten Brise. Bei genauem Hinhören konnte Danton zudem ein leises Wispern aus

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den Tiefen des Schiffs hören, das – wie er wusste – nicht von weiteren Besatzungsmitgliedern herrührte.

Kein Zweifel, ein Traitank.Neben Zerbone, Meyun und Anchi

befanden sich noch der Kuum und Kalfa im Raum.

Der Kuum kauerte sichtlich er-schöpft auf einem Kontursessel vor den Arbeitspulten im hinteren Be-reich der Zentrale. Seltsamerweise trug er, genau wie Meyun und Anchi, eine leichte, dunkelblaue Bordkombi-nation aus terranischen Beständen.

Die Kompantin Kalfa dagegen lag auf der Liege neben dem Pilotensitz. Der Kopf der geradezu absurd aufge-blähten, ehemals vermutlich huma-noiden Frau steckte in der chaotar-chischen Version einer SERT-Haube. Die Haube war aktiv und bewies Danton ebenso wie das leise Grollen der Triebwerke, dass sie mit dem Traitank unterwegs waren.

Außerdem fiel Danton ein armdi-ckes, wurmartiges Etwas ins Auge, das sich um einen der Kontursessel geschlungen hatte und mit finger-artigen Hautlappen, die links und rechts am Ende seines Körpers aus-gebildet waren, eine der Konsolen bearbeitete. In der Mitte des Kör-pers gab es eine Verdickung mit vier Augen, die in alle Richtungen blick-ten. Eins davon richtete sich auf Danton.

»Ich grüße dich«, sagte das Ge-schöpf in perfekt verständlichem In-terkosmo. »Ich bin Pon-Tarna. Deine Gefährten und ich lernten uns im Ge-fängnis von TRAZUL kennen.«

Danton hievte sich aus dem schwar-zen, sargähnlichen Kasten, in dem er gelegen hatte. Es handelte sich um eine Kryoeinheit. Jemand hatte ihn während seiner Bewusstlosigkeit nach dem Universenwechsel der CA-LAMAR kaltgestellt.

»Ich merke schon, ich habe eine Menge verpasst.« Er strich sich ge-dankenverloren über seine Bordkom-bination, die man ihm – ungewöhn-lich für eine Kryoprozedur – belassen hatte.

»Wir werden dir alles erzählen«, versprach Anchi.

»Aber nicht sofort«, warf Zerbone scharf ein. »Zuerst müssen wir zu-rück zur SOL, ohne dabei zu ster-ben.«

Danton richtete seine Aufmerk-samkeit auf das Außenbeobachtungs-holo, das dem Kommandosessel ge-genüberlag. Er zeigte das chaotische Durcheinander der regenbogenfarbe-nen Leuchtbänder, die typisch für das extrauniversale Sphärenlabyrinth waren. Und dort erkannte Danton auch den Grund für Anchis mühsam unterdrückte Furcht.

»Traitanks ...«, murmelte er, als er die dunklen, diskusförmigen Raum-schiffe erblickte, die sich wie aufge-reihte Perlen entlang der Leucht-bänder und funkelnden Fäden des Labyrinths bewegten.

Es waren deutlich mehr, als er bis-lang je in dieser seltsamen Zone zwi-schen den Universen erlebt hatte. Manche waren kaum erkennbare Punkte in der Ferne, andere schienen gefährlich nahe. Positions- und Schiffsdaten wurden zeitgleich am Rand des Hologramms eingeblendet.

Danton trat in die Mitte der Zen-trale. »Sieht aus, als hätte jemand in ein Wespennest gestochen.«

Mahlia Meyun hüstelte.»Also ... das waren womöglich wir«,

verriet Ennyas Anchi.Danton warf ihm einen scharfen

Blick zu. »Suchen die Traitanks alle nach uns?«

»Nein!«, widersprach Anchi schnell. »Hoffe ich«, fügte er etwas leiser hinzu. Er machte den Sessel des

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Kommandanten frei. »Vielleicht möchtest du lieber wieder überneh-men?«

Mit knappem Nicken setzte sich Danton. Er aktivierte das holografi-sche Bedienpult des Kommandanten, das Anchi offenbar nicht verwendet hatte, und rief den Status des Raum-schiffs ab. »Wir haben zwölftausend Kryosärge an Bord?«

»Ja, größtenteils sind es die Proban-den der GRAGRYLO«, bestätigte Meyun. »Wir konnten sie von Nygnard retten. Wir hoffen, dass möglichst vie-le unserer Kameraden von der CALA-MAR ebenfalls darunter sind. Das konnten wir noch nicht überprüfen.«

Danton wollte seinen Code als ehe-maliger Dualer Kapitän eingeben, um alle Funktionen des Traitanks zu-gänglich zu machen, musste aber fest-stellen, dass das Schiff bereits voll-ständig unter Kontrolle seiner Leute war. »Wie habt ihr den Traitank über-nehmen können?«

»Dafür habe ich gesorgt«, sagte Zerbone. Der Mor’Daer bedachte Danton mit einem unheilvoll wirken-den Lächeln. »Als uns TRAITOR nach dem Wechsel in das andere Uni-versum erwischt hat, habe ich mich als Verräter ausgegeben und mich scheinbar auf ihre Seite geschlagen. Das hat uns einen Vorteil verliehen.«

»Er hat die Rolle verdammt gut ge-spielt«, kommentierte Anchi. »Wir hätten ihn am liebsten umgebracht.«

»Okay, davon könnt ihr mir später mehr erzählen. Trotzdem brauche ich fünf Sätze Zusammenfassung, wenn ich uns hier rausbringen soll. Was geht da draußen vor?«

Meyun übernahm diese Aufgabe. »Der Wechsel mithilfe der Dienstburg brachte uns in ein Einstern-Univer-sum mit stark abweichenden Natur-gesetzen. Der Strangeness-Schock hat nicht nur die ganze Besatzung be-

wusstlos werden, sondern auch alle Tarnmechanismen der CALAMAR ausfallen lassen. Daraufhin wurden wir von TRAITOR-Einheiten geentert und gefangen genommen. Das Uni-versum war buchstäblich zu klein, um ihnen effektiv auszuweichen.«

»Also befand sich vor Ort ein TRAITOR-Stützpunkt?«, hakte Dan-ton nach.

»Mehr als nur das: Wir haben ein Zentrum entdeckt, in dem TRAITOR eine neue negative Superintelligenz namens TRAZUL gezüchtet hat, die zukünftig die Führung der Termina-len Kolonne übernehmen soll. Wir konnten TRAZULS sogenannte Wie-ge, ein riesiges, komplett aus PEW-Metall bestehendes Becken, zwar zer-stören. Aber leider hat das TRAZUL nicht vernichtet, sondern vielmehr befreit. Im Moment flutet die Superin-telligenz das Einstern-Universum und verschlingt dabei alles Leben, das ihr im Weg ist. Deswegen sind alle auf der Flucht.«

»Wir fanden noch mehr heraus«, er-gänzte Anchi. »Es scheint etwas im Sphärenlabyrinth zu geben, das ›TRAZULS Dorn‹ heißt. Dorthin will TRAZUL. Ob das ein Gegenstand oder ein Ort ist ...« Der junge Mann zuckte mit den Schultern.

»Das sind eine Menge neue Er-kenntnisse, die wir zur SOL bringen müssen«, sinnierte Danton. »Dann wollen wir mal sehen.« Er gab Befeh-le in sein Holobedienpult ein und ließ sich Daten anzeigen.

»Was machst du?«, fragte Anchi.»Ich schalte die aktive Ortung ab,

fahre die Waffensysteme runter und desaktiviere den Schutzschirm. Bei der Menge an Traitanks dort draußen ist an einen Kampf ohnehin nicht zu denken. Wir wären binnen Sekunden tot. Das heißt, wir gehen stattdessen auf Schleichfahrt. Zerbone, du könn-

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test mir helfen, die Antriebsemissio-nen zu dämpfen.«

»Bin schon dabei«, bestätigte der Mor’Daer.

»Haben Traitanks nicht ein Dun-kelfeld?« Anchi bewies damit, dass er sich auf diese Mission vorbereitet hatte. »Das müsste alle unsere Emis-sionen schlucken und auch aktive Or-tung abwehren.«

»Das stimmt.« Danton nickte. »Aber Traitanks können Dunkelfelder er-kennen. Gegen die eigenen Leute sind die also wirkungslos.«

»Ich verstehe das nicht«, sagte Meyun. »Was bringt es uns, unsere Energiesignatur zu dämpfen, wenn die TRAITOR-Soldaten einfach aus dem Fenster schauen müssen, um uns visuell zu entdecken?«

Danton schenkte ihr ein schiefes Grinsen. »Aber diese Traitanks haben keine Fenster. Und selbst wenn sie wel-che hätten, würde jemand, der hinaus-schaut, nichts als wirbelndes Grau se-hen.« Er deutete auf das Hauptholo der Zentrale. »Vergiss nicht, dass alles, was wir dort sehen, eine Interpretation von Kalfas Gehirn ist, das mit den Sensor-daten des Schiffs gefüttert wird. Und wenn diese Sensoren nichts mehr emp-fangen ... sind wir unsichtbar.«

»Nicht ganz  ...«, mischte sich die Kompantin angestrengt atmend ein. »Wenn Feind zu nah ... besteht ... Ge-fahr.«

Ihre Sprache war nur schwer ver-ständlich, ihr Atem rasselte. Die Ärz-te der SOL hatten bereits daran gear-beitet, die Folgen der Experimente zu lindern, die Kalfa in den Händen der Kolonnen-Anatomen hatte durchlei-den müssen. Aber noch waren den Medikern nur geringe Fortschritte geglückt.

»Ja, was, wenn uns die Kameras der gegnerischen Schiffe visuell er-fassen?«, fügte Meyun hinzu.

Danton hob die Schultern. »Das ist eine gewisse Gefahr, das stimmt. Aber normaloptische Kameras sind keineswegs die Sensoren der Wahl im Weltraum – oder in dieser extra-universalen Zone. Letzten Endes sind sie ja nicht viel mehr als besonders scharfe Augen. Ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, aber mit etwas Glück zeichnen Kameras hier auch nicht mehr als graues Wirbeln auf.«

»Wir werden es bald erfahren«, zischte Zerbone. »Da kommt ein Kon-voi aus zehn Traitanks direkt auf uns zu.«

»Energie dämpfen!«, befahl Dan-ton. »Kalfa, kurzer Schubstoß neun-zig Grad nach unten. Dann alles aus!«

»Bringe uns ... weg«, bestätigte die Kompantin.

Der Triebwerksimpuls änderte mit einem Ruck ihre Bewegungsrichtung. Eine Sekunde später wurde das bläu-liche Licht in der Zentrale schwächer, und das Wispern aus den Gängen und Wänden war plötzlich kaum noch hörbar, während sie mit ihrem Trai-tank toter Mann spielten.

Langsam driftete das Raumschiff von dem funkelnden Faden weg, auf dem die zehn anderen Traitanks als Reihe todbringender, schwarzer Dis-kusse stetig näher kamen.

»Die werden uns sehen«, flüsterte Anchi. »Wir müssen fliehen!«

»Nein, der Antrieb bleibt aus. Wir verhalten uns ruhig.« Dantons Blick klebte am Außenbeobachtungsholo und seinen Anzeigen. Er wartete da-rauf, ob sich etwas am Bewegungs-muster der Fremdraumer veränderte. Noch war nichts zu bemerken.

»Wenn dein Plan scheitert, sind wir schon der ersten Salve gegenüber vollkommen wehrlos«, warnte Pon-Tarna. Das wurmartige Wesen hatte

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sich fest um seinen Sessel geringelt, als wolle es sich daran festklammern.

»Danke für den Hinweis. Das ist mir bewusst.«

»Dann  ... ist es  ... wenigstens  ... schnell ... vorbei«, sagte Kalfa mit ei-nem bemerkenswerten Anflug von Galgenhumor.

»He, etwas mehr Optimismus in diesem Raum bitte!«, beschwerte sich Danton. »Es wird klappen.«

Der TRAITOR-Konvoi hatte den Punkt der geringsten Distanz er-reicht. Im Holo sah es aus, als zögen die riesigen Rümpfe aus Ricodin-Ver-bundstoff direkt über Danton und seine Gefährten hinweg, während sich ihr eigenes Raumfahrzeug lang-sam nach »unten« entfernte. Die gleichmäßig verteilten Längsfurchen, die den scharfkantigen Grundkörper der finsteren Diskusse überzogen, leuchteten unheilvoll, ein Anzeichen aktiver Waffensysteme.

Das an sich war noch nicht bedenk-lich. Die meisten Traitanks waren ständig kampfbereit. Aber es trug nicht gerade dazu bei, die Anspan-nung zu mindern, die in der Zentrale herrschte.

Quälend langsam glitten die zehn Schiffe vorbei. Dann entfernten sie sich, weiter dem Kurs folgend, den ihre Kompanten vorgaben.

»Es hat funktioniert«, flüsterte An-chi mit einem seligen Ausdruck auf dem Gesicht. »Es hat funktioniert.«

Danton gestattete sich ein zufrie-denes Lächeln. »Ich wusste es doch. Kalfa, bring uns wieder auf Kurs zur SOL. Versuche, uns von den größeren Gruppen Traitanks fernzuhalten. Es ist noch nicht vorbei.«

In den nächsten Minuten spielten sie Katz und Maus mit einer ganzen Meute Katzen – die zum Glück nicht aktiv auf der Jagd nach ihnen waren. Wäre dem so gewesen, hätten die So-

laner keine Chance gehabt, da war sich Danton sicher. So aber gelang es ihnen, sehr vorsichtig – sozusagen auf Hyperzehenspitzen – eine Kugelscha-le zu durchqueren, dann eine weitere, und dabei immer ihren Gegnern aus-zuweichen.

Plötzlich gab Zerbone einen Laut der Überraschung von sich. »TRA-ZULS Dorn ...«

»Was sagst du?«, fragte Danton.Der Mor’Daer drehte sich zu ihm

um. »Ich habe im Kartenmaterial ei-nen Ort entdeckt, der nicht auf den schon bekannten Routen liegt. Diese Position ist als TRAZULS Dorn be-zeichnet.«

»Faszinierend«, meinte Pon-Tarna. »Hieß es nicht, dass dieser Dorn für TRAZUL von besonderer Bedeutung sei?«

»Wir sollten einen großen Bogen darum machen«, empfahl Anchi.

»Nein.« Danton erhob sich von sei-nem Kommandosessel und trat zu Zerbone. »Wir sollten genau dort hin-fliegen.«

Er spürte, wie ihn das Jagdfieber packte. »Wenn der Dorn für TRAZUL wichtig ist, ist er es für uns auch. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass TRAITOR mit der Superintelligenz ei-nen neuen Chaopressor erhält. Dass die Terminale Kolonne im Moment zer-stritten und zersplittert ist, stellt einen Vorteil für die Mächte der Ordnung dar, der unbedingt erhalten bleiben muss. Die Zerstörung von TRAZULS Wiege war ein guter Anfang. Der Dorn muss unser nächstes Ziel sein!«

»Nein!«, begehrte Meyun mit uner-warteter Heftigkeit auf. »Unser nächstes Ziel muss die SOL sein.«

»Die SOL kann warten«, beharrte Danton. »Jetzt sind wir hier, und wir haben einen Traitank, der uns eine verhältnismäßig gute Tarnung bietet. Wir sollten sie nutzen.«

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Qumishas Sehnsucht 11

»In diesem Traitank befinden sich aber zwölftausend Lebewesen in Kryo särgen! Die Geretteten der GRA-GRYLO. Und hoffentlich auch unsere Freunde. Peet Matabiau und Minon Crompton könnten in einem der Sta-sisbehälter liegen.«

»Und Avid O’Stiers, immerhin der beste Beibootkommandant der Flot-te«, warf Anchi ein. »Behauptet er zumindest.«

»Sie alle brauchen schnellstens me-dizinische Versorgung«, fuhr Meyun beschwörend fort. »Zählt das denn nichts?«

Danton wandte den Blick ab und ballte die Hände zu Fäusten. Er woll-te gegen TRAITOR kämpfen, nun, da sie wussten, was die Terminale Ko-lonne plante. Und er hatte schon den Sieg auf Nygnard verpasst. Sich diese neue Chance, die sich ihnen bot, ent-gehen zu lassen, fiel ihm unendlich schwer.

Aber Meyun hatte recht. Zwölftau-send Leben zu gefährden, nur weil da ein Punkt auf einer Karte aufleuchte-te ... Das konnte er nicht verantwor-ten. Durfte er nicht.

Er nickte. »Eh bien. TRAZULS Dorn bleibt für den Moment ein Mys-terium. Wir fliegen zur SOL.«

*

Nach einer weiteren Stunde näher-ten sie sich der Lichtschleuse, die sie zurück ins Mauritiussystem bringen würde.

Mit jedem Wechsel in eine weitere Kugelschale des Sphärenlabyrinths hatten sie sich freier bewegen kön-nen, weil der Traitankverkehr spür-bar nachgelassen hatte. Nun waren sie sogar ganz allein, sodass Roi Dan-ton alle Systeme ihres Raumschiffs wieder voll hochfahren ließ.

Doch nur weil TRAITOR im Au-

genblick kein Problem für sie dar-stellte, hieß das nicht, dass sie schon in Sicherheit waren.

»Wie kommen wir an den Wachsta-tionen und Raumschiffen vorbei, die Haldukass rund um den Zugang ver-sammelt hat?« Mahlia Meyun sprach die Frage aus, die alle beschäftigte.

»Im Schutz des Dunkelfelds?«, schlug Ennyas Anchi erneut zaghaft vor.

»Das Problem bliebe das gleiche wie bisher«, erwiderte Danton kopf-schüttelnd. »Ein einziger Traitank im Mauritiussystem genügt, um uns zu enttarnen. Außerdem ist BARILS Stimme mit TRAITOR verbündet. Wir wissen nicht, wie viel Chaotar-chentechnik in den Stationen verbaut wurde, die Haldukass installiert hat. Nein, uns bleibt nur eine Täuschung.«

»Oh, überlass das mir«, rief Anchi. »Im Täuschen bin ich gut!«

Danton lächelte. »Ich glaube dir, Ennyas. Aber ich habe die Erinne-rungen eines Dualen Kapitäns in mir und habe TRAITOR bereits infil-triert, lange bevor du geboren wur-dest. Lass uns kein Risiko eingehen, einverstanden?«

Seufzend nickte der junge Mann.Auf Dantons Befehl hin steuerten

sie ihren gekaperten Traitank dem verschlungenen Fadengespinst der letzten Kugelschale entgegen, die sie noch vom Mauritiussystem trennte. Sie passierten den weißen Lichter-kranz der Portalsektion, und von ei-nem Augenblick zum nächsten befan-den sie sich wieder im Einsteinraum. Genauer gesagt schwebten sie in dem protoplanetaren Nebel des Mauri-tiussystems, in dem Haldukass, BA-RILS Stimme, sein verräterisches Privatprojekt versteckte, den extra-universalen Portalzugang zum Sphä-renlabyrinth.

Sofort tauchten die zwölf Raumsta-

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tionen auf, die mit ihren in ein ge-meinsames Zentrum gerichteten Emissionen den Portalbereich stabil hielten. In unmittelbarer Nähe des Durchgangs hing Haldukass’ Haupt-quartier, das Dunkelzentrum, im All.

Die schwarze Raumstation, die an die Burg eines finsteren Ritters erin-nerte, hatte die Form eines zweiein-halb Kilometer langen und einen Ki-lometer durchmessenden Zylinders. Die Walzenenden waren nach innen gedrückte Halbkugeln, auf dem Zy-linderkörper selbst waren zahlreiche Noppen aufgesetzt, die Sensoren und Waffensysteme enthielten.

»Ich orte eine Menge Raumschiffe«, meldete Zerbone. »Aber wir sind der einzige Traitank.« Er zischte unwil-lig. »Das Dunkelzentrum erfasst uns mit seinen Waffensystemen.«

»Ganz ruhig«, sagte Danton. »Si-cher reine Routine. Wir sind doch al-les argwöhnische Verbündete, nicht wahr?«

»Wir werden angefunkt«, verkün-dete Pon-Tarna. »Soll ich antworten?«

Danton nickte. »Ja, stell die Ver-bindung her.«

Aus dem Kommunikationssystem drang eine kratzige Männerstimme. Sie sprach TraiCom, die Verkehrs-sprache von TRAITOR. »Traitank Fünf Fünf Strich B, hier Raumflug-kontrolle Dunkelzentrum. Nennt eu-er Ziel und eure Mission.«

»Hier Traitank Fünf Fünf Strich B, Kalbaron Nadont«, antwortete Dan-ton hörbar mürrisch. »Wir transpor-tieren zwölftausend gefangene Sub-jekte, die der Ernte zugeführt werden sollen. Unser Ziel ist das Prarantal-system.«

Es war nicht die beste Lüge in sei-ner jahrhundertelangen Laufbahn, aber eine, die wie so viele gute Lügen genug Wahrheit enthielt, um glaub-würdig zu sein. Sie hatten die besag-

ten Individuen tatsächlich an Bord, und es hatte vor Kurzem eine Ernte-mission im Prarantalsystem gegeben. Es war unwahrscheinlich, dass dieser Funker mehr Einzelheiten darüber wusste.

Einen Moment lang herrschte Schweigen am anderen Ende der Komverbindung.

»Sie kaufen es uns nicht ab«, mur-melte Ennyas Anchi.

»Egal«, entschied Danton. »Einfach weiterfliegen! Kalfa, programmiere einen Kurs aus dem System. Wir ge-hen auch ohne deren Erlaubnis auf Überlicht. Verfolgen können sie uns schließlich nicht.«

»Berechne ... Kurs«, bestätigte die Kompantin.

Es knackte kurz, als sich ihr Ge-genüber wieder meldete. »Traitank Fünf Fünf Strich B, hier Raumflug-kontrolle Dunkelzentrum. Ihr habt Einfluggenehmigung nach Yahouna. Guten Flug.«

Roi Danton grinste seine Leute an. »Geht doch.«

Dem Funkoffizier der Raumstation antwortete er nicht. So viel Arroganz konnte sich ein Kalbaron TRAITORS leisten. Stattdessen gab er bloß Kalfa ein Zeichen – und der Traitank akti-vierte die Supratron-Generatoren und wechselte in den Überlichtflug.

2.Der einsame Stuhl

Tess Qumisha

»Erinnerst du dich noch daran, wie wir Svagen Harkaff mit einem selbst programmierten Damalienstrauß vor der Kabine unserer neuen Pilotin Ry-tanaia erwischt haben?« Tess Qumi-sha lächelte versonnen. »Ich glaube, das wird etwas zwischen den beiden. Ich habe sie gestern Hand in Hand

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Qumishas Sehnsucht 13

durch die Korridore von Ebene Zehn in der SOL-Zelle Zwei spazieren se-hen. Es klang, als kämen sie von ei-nem Treffen in der Erholungsland-schaft.«

»Niemand will allein sein«, sagte ihr Mann, Benjameen da Jacinta, der neben ihr auf einer Diagnoseliege ruhte. »Alle wollen reden, alle wollen gehört werden. Sie wollen zusammen sein.«

»Ja, das stimmt.« Sie drückte seine Hand und bemühte sich zu verhin-dern, dass ihr Lächeln einen klägli-chen Ausdruck bekam. »Es ist schön zu sehen, dass sich die Solaner auch in widrigen Zeiten ihren Willen zum Leben bewahren. Dass sie nicht ver-lernt haben, zu feiern, zu lachen, zu lieben – sich einfach zu freuen.«

Sie versuchte es ebenfalls: zu la-chen und sich zu freuen. Doch es fiel ihr nicht mehr so leicht wie früher. Das lag nicht zuletzt daran, dass ihr Mann nun schon seit Tagen auf der Medostation weilte, ohne dass sich sein Zustand verbesserte.

Seit er gemeinsam mit seinem Ur-urenkel, dem Kuum, Kontakt zu dem seltsamen Geisteswesen aufgenom-men hatte, die sich die Vielen Einen nannte und im Sphärenlabyrinth existierte, war da Jacinta nicht mehr er selbst. Stattdessen schien er in sei-nem Zerotraum gefangen zu sein. Diese spezielle Gabe ermöglichte ihm, an den Träumen anderer Lebewesen teilzuhaben. Doch der Traum der Vie-len Einen schien nicht zu enden, und er konnte sich nicht mehr daraus be-freien.

Die Ärzte waren ratlos, was seinen Zustand anging, obwohl sie zahlrei-che Untersuchungen an ihm vorge-nommen hatten. Sogar SENECA, die sonst nie um eine Antwort verlegene Hyperinpotronik der SOL, hatte kei-nen Vorschlag. Einstweilen lautete

die Arbeitshypothese, dass da Jacinta von selbst genesen könnte, wenn sein Körper und sein Geist bereit dazu waren.

Qumisha besuchte ihn regelmäßig und erzählte von den erfreulichen Banalitäten des Alltags an Bord. Vielleicht, so war die Hoffnung, half es ihm, wieder gänzlich in die Reali-tät zurückzufinden.

Sie probierte es mit einer anderen Geschichte. »Du solltest die Kinder von Mahlia Meyun sehen«, sagte sie schmunzelnd. »Sie haben einen so unbändigen Entdeckerdrang. Du wirst es nicht glauben, aber vor zwei Tagen standen sie plötzlich in der Zentrale. Sie sind ihrem Kindermäd-chen ausgebüxt. Ich habe keine Ah-nung, wie sie es bis zu uns geschafft haben, aber sie wollten unbedingt diesen großen Holokubus sehen, von dem alle immer erzählen.«

»Wollen sehen. Wollen schauen. Ich schaue. Ich blicke. Ich sehe. Alles ist durcheinander. Doch wir sind so Vie-le Eine.« Ein gehetzter Ausdruck trat auf da Jacintas Züge.

»Ja, ist gut, mein Lieber.« Sie drückte seine Hand. »Reg dich bitte nicht auf. Es wird alles gut.«

»Tess.« Seine Stimme klang fle-hentlich. »Ich will immer reden. Aber keiner hat Zeit, mir zuzuhören.«

Sie beugte sich näher und strich ihm zärtlich über die Wange. »Aber du bist nicht allein, Benjameen. Ich bin bei dir. Ich werde immer bei dir sein. Wenn du reden willst, rede. Ich höre dir zu. Das verspreche ich.«

Seine Augen richteten sich kurz auf sie, und ihr war, als hätte er sie ver-standen. Dann jedoch driftete sein Blick an ihr vorbei und verlor sich an einem Punkt in weiter Ferne. »Ich bin viele«, murmelte er, »doch ich bin so allein.«

Qumisha presste die Lippen zu-

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sammen. Sie verspürte jähe Verzweif-lung, und es fiel ihr schwer, sie zu un-terdrücken. »Ich weiß, was du meinst«, sagte sie leise. »Mir geht es ganz ge-nauso.«

Diese Worte öffneten eine Schleuse in ihrem Innern, die sie für gewöhn-lich sorgsam verschlossen hielt. Denn die Wahrheit war: Obwohl Tess Qumisha auf der SOL von Tausenden Solanern umgeben war, obwohl sie tagtäglich in der Zentrale mit Dut-zenden von Besatzungsmitgliedern zusammenarbeitete – und nach Feier-abend oft noch gesellschaftliche Ver-pflichtungen als Kommandantin der SOL hatte –, fühlte sie sich einsam. In diesen Tagen, in denen der Geist ih-res Ehemanns an einem fernen Ort weilte, mehr denn je.

»Dieser Stuhl des Kommandan-ten ...«, fuhr sie langsam fort, halb im Selbstgespräch, halb an da Jacinta ge-richtet. »Er macht einsam. Das hat mir Perry nicht gesagt, als er mich beför-dert hat. Denn von einem Tag auf den anderen ist man nicht mehr ein Teil der Mannschaft, sondern man steht ihr vor. Man kann nicht mehr ohne Weiteres in die Mannschaftsmesse ge-hen und unbefangen mit Arbeitskolle-gen zu Mittag essen. Und man wird auch nicht mehr einfach so zu einem geselligen Abend eingeladen.«

Dieser goldene Komet am Overall, das Rangabzeichen eines Flottillen-admirals, errichtete eine unsichtbare Mauer, die Qumisha zu schaffen machte. Auf einmal achteten die Leu-te darauf, was sie sagten oder taten, wenn sie in der Nähe war. Schließlich war sie die Kommandantin. Aus dem-selben Grund musste auch sie jedes Wort und jede Aktion abwägen. Wenn sich die Kommandantin irgendwie seltsam verhielt, wenn sie ängstlich oder zögernd oder unüberlegt wirkte, würde sich das wie ein Lauffeuer im

Schiff verbreiten, und es würde ihre Mannschaft verunsichern.

»Nur im Kreis der engsten Ver-trauten und der Familie kann ich noch ganz ich selbst sein. Aber ...« Sie brach ab, die schmerzlichen Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie musste sich räuspern und schüttelte den Kopf.

Wie viel Familie habe ich denn noch?, dachte sie. Unser Sohn Cher-gost ist tot, unsere Enkel und Urenkel habe ich nie kennengelernt. Unser Ururenkel ist ein eigenbrötlerischer Sektenführer. Und Benjameen ist nun auch fort  ... Ihr war bewusst, dass das dramatische Übertreibung war, aber es fühlte sich so an.

»Ich frage mich, ob Fee Kellind das Gleiche empfunden hat wie ich«, fuhr sie an ihren Mann gewandt fort. »War sie auch so einsam in ihren letzten Jahren, nachdem ihr Sohn von Bord gegangen und ihr Mann verstorben war? Alles, was sie noch hatte, war die Verantwortung für das Schiff und seine Besatzung. Ihre Lebens-aufgabe ...«

Im Grunde ging es ihr nicht anders. Sie hatte diese Haltung noch nicht verinnerlicht, aber das Schicksal der SOL und ihrer Mannschaft war nun ihr Lebensinhalt, ihre Aufgabe. In-dem sie dieses Rangabzeichen von Perry Rhodan in Empfang genommen hatte, hatte sie akzeptiert, dass sie fortan die Dienerin von etwas Größe-rem war als nur ihrem eigenen, per-sönlichen Glück.

Das Schicksal der SOL ... Seit Ero-in Blitzer die Schiffsführung ge-zwungen hatte, nach Yahouna zu flie-gen und sich in die Geschehnisse um die hiesige Superintelligenz BARIL einzumischen, war das Wohl des Hantelraumers und seiner Besatzung mehr als einmal bedroht worden. Die Solaner waren mit den Rittern BA-

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RILS zusammengestoßen, ein tod-bringendes Virus hatte sich an Bord ausgebreitet, zuletzt hatten die psio-nisch höchst gefährlichen Xilor der SOL mehr als nur ein paar Schäden zugefügt – zwar ungewollt, aber das änderte nichts am Ergebnis.

Bislang hatten sie Glück gehabt, und die Verluste an Bord waren äußerst ge-ring. Aber ihr neuer Gegner war die Terminale Kolonne TRAITOR, und dieser Feind hatte der SOL schon ein-mal übel mitgespielt – damals, im Jahr 1345 Neuer Galaktischer Zeitrech-nung, als der Chaotarchendiener Kir-mizz das Raumschiff erobert und ein Jahr lang grausam für TRAITORS Zwecke missbraucht hatte.

Qumisha war seinerzeit schon an Bord gewesen, als einfache Wissen-schaftlerin, die unter anderem an der Weiterentwicklung der Ultra-Giraffe beteiligt gewesen war. Noch immer hatte sie gelegentlich Albträume von jenen Monaten, und das, obwohl sie – wie alle Bewohner der SOL – im An-schluss an ihre Befreiung eine umfas-sende psychologische Nachbetreuung erhalten hatte.

Nicht zuletzt diese Erinnerungen ließen sie gerade in den zurückliegen-den Tagen zunehmend zweifeln. Musste die SOL unabdingbar erneut gegen TRAITOR kämpfen? BARILS Ritterin A-Kuatond war fort. Der Bote der Kosmokraten, der Zwerg-androide Eroin Blitzer, lag auf Eis. Niemand zwang die Solaner, in diese Schlacht zu ziehen. Sie konnten auch einfach wegfliegen, irgendwohin, und die Galaxis Yahouna, BARIL und TRAITOR weit hinter sich lassen.

Aber das hieße, den Gefahren den Rücken zu kehren und womöglich zu-zulassen, dass die derzeit zersplitter-te Terminale Kolonne wieder zu alter Stärke zurückfand.

»Was soll ich nur tun?«, fragte

Qumisha leise. »Welchen Befehl soll ich geben? Soll ich die SOL und ihre Mannschaft in Sicherheit bringen? Oder sollen wir darum kämpfen, TRAITOR aufzuhalten? Aber können wir das überhaupt? Wir sind nur ein einzelnes Schiff. Die Vorstellung, dass wir gegen die Macht der Termi-nalen Kolonne bestehen könnten, ist lächerlich. Nicht mal BARIL und ihre Ritter wären dazu imstande. Führe ich uns also nicht in den sicheren Tod, wenn wir bleiben? Aber wie viele Un-schuldige werden sterben, wenn wir fliehen?«

Sie hob die freie Hand und rieb sich frustriert über die Nasenwurzel. Sol-che Gedanken bereiteten ihr Kopf-schmerzen. Sie wünschte, die SOL wäre nie von Terra Richtung Evolux gestartet. Dann wäre der Besatzung sehr viel Leid erspart geblieben. Und Qumisha befände sich nicht in dieser Zwickmühle.

Terra  ..., dachte sie sehnsüchtig. Was würde ich dafür geben, dort zu sein! Vielleicht in einem der Cafés am Daellian-Park in Terrania gemüt-lich etwas trinken oder am Ufer des Goshun sees spazieren gehen. Millio-nen Lichtjahre von all diesem Ärger entfernt.

Neben ihr begann sich da Jacinta unruhig zu bewegen. Seine faltige Hand verkrampfte sich um die ihre. »Tess, du redest. Ich höre zu. Wir wol-len. Wir müssen. Wir können nicht. Alles ist durcheinander. Die Vielen Einen sind so einsam. Was machst du hier, Tess? Du solltest nicht hier sein.« Verstört sah er sie an, als bemerke er sie zum ersten Mal.

Qumisha spürte, wie ihre Augen feucht wurden, als sie den Druck sei-ner Hand erwiderte. Ich muss aufhö-ren. Es belastet ihn nur, und ich woll-te doch genau das Gegenteil mit meinem Besuch erreichen.

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»Vergiss es, Benjameen«, be-schwichtigte sie. »Vergiss alles, was ich gesagt habe. Es spielt keine Rolle. Werde einfach nur gesund, in Ord-nung?«

Er murmelte etwas Unverständli-ches, aber sein Körper sackte wieder in sich zusammen, und ihr Mann schloss erschöpft die Augen.

Zärtlich sah sie ihn an, wie er da ruhte und seinen ewigen Traum träumte. »Komm zu mir zurück, ver-dammt noch mal. Hörst du?«

Ihr Kommunikationsarmband machte mit einem Signalton auf sich aufmerksam. Qumisha aktivierte es mit der freien Hand. »Hier Komman-dantin Qumisha. Was gibt es?«

»Kommandantin, hier ist die Zen-trale.« Sie erkannte die melodische Stimme der Fueganerin Salma Tous-ri, der Funk- und Ortungsspezialis-tin, die gegenwärtig Dienst hatte. »Du wolltest unterrichtet werden,

wenn Roi Danton mit der CALAMAR zurück ist. Nun ... er ist zurück. Aber nicht mit der CALAMAR ...«

Die Art, wie Tousri das sagte, ließ Qumisha aufmerken. »Gibt es ein Problem?«

»Nein, Kommandantin. Kein Pro-blem. Nur eine Überraschung. Er hat einen Traitank mitgebracht. Und zwölftausend befreite Gefangene.«

Qumisha riss die Augen auf. Das waren mehr Personen als derzeit auf der SOL lebten! Wo ist der Bursche jetzt wieder hineingeraten?, schoss es ihr durch den Kopf. Laut sagte sie: »Ich bin unterwegs. Qumisha Ende.«

Ein letztes Mal blickte sie zu ihrem Mann hinunter. Er schien mittlerwei-le zu schlafen. Sanft drückte Tess Qumisha seine Hand, bevor sie ihn losließ. »Ich komme morgen wieder.«

Benjameen da Jacinta antwortete nicht.

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Wer weiterlesen möchte: Der Roman »Qumishas Sehnsucht« von Bernd Perplies ist als Band 9 von PERRY RHODAN-Mission SOL2 ab dem 10. Juli 2020 im Zeitschriftenhandel, als Hörbuch sowie bei den bekannten E-Book-Portalen erhältlich.