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 Berner Zeitung; 2001-09-01; Seite 26 Bern Stadt BZ-Zeitpunkt Interhandel. War das Basler Institut eine deutsche Tarnfirma? Die umstrittene Affäre um den einstigen Basler Ableger der IG Farben - eine Replik von Shraga Elam Der Fall ist so kontrovers, dass er auch heute, da die Bergier-Kommission (UEK) zur Rolle der Basler Firma Interhandel in den 30er- und 40er-Jahren eine angeblich endgültige Deutung vorlegt, Widerspruch auslöst. Es geht um die Rolle der Schweizer Behörden und Finanzinstitutionen bei den Machenschaften des deutschen Chemiekonzerns IG Farben. Dieser versuchte sein unter anderem mit Zwangsarbeitern erwirtschaftetes Vermögen während des Krieges ins sichere Ausland zu schmuggeln und wollte seinen US-Geschäftszweig vor der Beschlagnahme durch den US-Staat schützen. Zu klären ist dabei auch die heikle Frage, ob die Schweizer Grossbank UBS als Nachfolgerin der früheren Bankgesellschaft SBG mit Unterstützung des Bundesrats unrechtmässig IG-Farben-Gelder von rund 4 Milliarden Franken besitze. Wirklich schweizerisch? Im Zentrum der langjährigen internationalen Auseinandersetzung steht das ehemalige Basler Finanzinstitut Interhandel, das bis 1945 IG Chemie hiess. Es wurde 1929 vom deutschen Mutterhaus IG Farben als Schweizer Tochtergesellschaft gegründet. 1940 hat sich die IG Chemie angeblich verselbstständigt und wurde «verschweizert», also als Schweizer Besitz deklariert. Die US-Behörden, die diesen Schritt offenbar als blosses Tarnmanöver betrachteten, blockierten 1942 die General Aniline Film Corp. (GAF), die ihrerseits eine US-Tochtergesellschaft der Basler IG Chemie war. Die GAF galt für die USA als Feindesvermögen. Erst 1963 unterzeichnete US-Justizminister Robert Kennedy ein Abkommen mit der damaligen SBG, die die als Privatbank wirkende Interhandel inzwischen übernommen hatte. Im Abkommen teilten sich die USA und die SBG die Kriegsbeute. Tarnfirma ja oder nein? Der Historiker Mario König, der den Auftrag der Bergier-Kommission erhielt, diese Angelegenheit zu enträtseln, schreibt selbstbewusst in der Einleitung zu seiner Studie: «Die Wahrscheinlichkeit, dass eine umstürzende Revision der hier präsentierten Sicht auf den Interhandel-Komplex infolge neu auftauchender Aktenstücke notwendig werden könnte, ist gering.» König schreibt, es gebe zu viele Mythen und Verschwörungstheorien um die Interhandel-Affäre, was durch die Sperrung von Akten noch begünstigt worden sei. Da er einen privilegierten Zugang zu den offiziellen Schweizer Dokumenten hatte und auch Firmen- und Privatarchive sichten konnte, gibt er sinngemäss zu verstehen, dass die Sache nur noch halb so wild aussehe, wenn die unter Verschluss gehaltenen Informationen endlich einsehbar würden. Im Klartext: die Interhandel sei ab 1940 eine rein schweizerische Firma frei von deutschem Einfluss und sicher kein  bewusst getarnter Geldhafen des deutschen Konzerns in der Schweiz gewesen. Die Behauptung, dass es sich auch nach 1940 um eine getarnte IG-Farben-Tochtergesellschaft gehandelt habe, ist laut König nicht zu belegen. Der Historiker argumentiert, er habe keinen Hinweis auf eine schriftliche oder mündliche Abmachung zwischen IG Farben und IG Chemie gefunden, welche die geheime Fortsetzung der deutschen Kontrolle garantiert hätte. König  behauptet, die US-Behörden hätten alles unternommen, um den Tarnvorwurf zu belegen, seien jedoch erfolglos geblieben. Das beweise wiederum, dass die Verdächtigung haltlos sei. Ominöser Rees-Bericht Mit den gesperrten Dokumenten spielt König vor allem auf den legendären 500-seitigen Revisionsbericht von 1945/46 zur Interhandel-Affäre an. Er wurde unter der Leitung des Revisors Albert Rees verfasst und trägt deshalb seinen Namen. Nicht zuletzt wegen dieses Berichtes beschloss der Bundesrat in den 80er-Jahren, die Sperrfrist von 35 Jahren für Akten im Bundesarchiv zu verlängern. Die Erklärung dazu lässt aufhorchen und gibt Anlass zu Spekulationen: Der Bundesrat habe sich «davon überzeugt, dass eine Einsichtnahme in den Rees-Bericht, sei es ganz oder teilweise, (...) zu einer ernsthaften Gefährdung der (...) Interessen des Landes führen könnte. Die Geheimhaltungspflicht geht sogar so weit, dass auf eine eingehende Begründung verzichtet werden muss; andernfalls müssten tatbeständliche Einzelheiten aufgedeckt werden, die es geheim zu halten gilt.» Was in den US-Akten steht Schon nur der geheimnisvolle Rees-Bericht wirft also ein besonderes Licht auf die Interhandel-Affäre. Aber auch ein Blick in US-Akten zeigt, dass die Amerikaner konkrete Hinweise, ja sogar Beweise für den Tarncharakter der Interhandel hatten. In den Beständen der damaligen US-Ermittlungen gegen die IG Farben befinden sich  beispielsweise Berichte von deren Direktor Julius Overhoff. Er erzählt von eingehenden Gesprächen Anfang 1940 - auch in Basel -, in denen die Frage der Tarnung der IG-Tochterfirmen in Lateinamerika ausführlich diskutiert worden seien. Auch IG-Chemie-Vertreter nahmen an den Besprechungen teil, die zu einem Beschluss führten. Im Originalwortlaut: «Die einzelnen Aktionäre der l ateinamerikanischen IG-Firmen schliessen untereinander und mit den Gesellschaften einen Pool-Vertrag ab, in dem sie sich verpflichten, die Aktien ihres Unternehmens nicht in

Berner Zeitung:Interhandel. War das Basler Institut eine deutsche Tarnfirma?

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Berner Zeitung; 2001-09-01; Seite 26Bern StadtBZ-ZeitpunktInterhandel. War das Basler Institut eine deutsche Tarnfirma?

Die umstrittene Affäre um den einstigen Basler Ableger der IG Farben - eine Replik von Shraga Elam

Der Fall ist so kontrovers, dass er auch heute, da die Bergier-Kommission (UEK) zur Rolle der Basler FirmaInterhandel in den 30er- und 40er-Jahren eine angeblich endgültige Deutung vorlegt, Widerspruch auslöst. Es gehtum die Rolle der Schweizer Behörden und Finanzinstitutionen bei den Machenschaften des deutschenChemiekonzerns IG Farben. Dieser versuchte sein unter anderem mit Zwangsarbeitern erwirtschaftetes Vermögenwährend des Krieges ins sichere Ausland zu schmuggeln und wollte seinen US-Geschäftszweig vor der Beschlagnahme durch den US-Staat schützen.Zu klären ist dabei auch die heikle Frage, ob die Schweizer Grossbank UBS als Nachfolgerin der früherenBankgesellschaft SBG mit Unterstützung des Bundesrats unrechtmässig IG-Farben-Gelder von rund 4 MilliardenFranken besitze.Wirklich schweizerisch?

Im Zentrum der langjährigen internationalen Auseinandersetzung steht das ehemalige Basler FinanzinstitutInterhandel, das bis 1945 IG Chemie hiess. Es wurde 1929 vom deutschen Mutterhaus IG Farben als Schweizer Tochtergesellschaft gegründet. 1940 hat sich die IG Chemie angeblich verselbstständigt und wurde «verschweizert»,

also als Schweizer Besitz deklariert.Die US-Behörden, die diesen Schritt offenbar als blosses Tarnmanöver betrachteten, blockierten 1942 die GeneralAniline Film Corp. (GAF), die ihrerseits eine US-Tochtergesellschaft der Basler IG Chemie war. Die GAF galt für die USA als Feindesvermögen. Erst 1963 unterzeichnete US-Justizminister Robert Kennedy ein Abkommen mit der damaligen SBG, die die als Privatbank wirkende Interhandel inzwischen übernommen hatte. Im Abkommen teiltensich die USA und die SBG die Kriegsbeute.Tarnfirma ja oder nein?

Der Historiker Mario König, der den Auftrag der Bergier-Kommission erhielt, diese Angelegenheit zu enträtseln,schreibt selbstbewusst in der Einleitung zu seiner Studie: «Die Wahrscheinlichkeit, dass eine umstürzende Revisionder hier präsentierten Sicht auf den Interhandel-Komplex infolge neu auftauchender Aktenstücke notwendig werdenkönnte, ist gering.» König schreibt, es gebe zu viele Mythen und Verschwörungstheorien um die Interhandel-Affäre,was durch die Sperrung von Akten noch begünstigt worden sei. Da er einen privilegierten Zugang zu den offiziellenSchweizer Dokumenten hatte und auch Firmen- und Privatarchive sichten konnte, gibt er sinngemäss zu verstehen,

dass die Sache nur noch halb so wild aussehe, wenn die unter Verschluss gehaltenen Informationen endlicheinsehbar würden.Im Klartext: die Interhandel sei ab 1940 eine rein schweizerische Firma frei von deutschem Einfluss und sicher kein

 bewusst getarnter Geldhafen des deutschen Konzerns in der Schweiz gewesen. Die Behauptung, dass es sich auchnach 1940 um eine getarnte IG-Farben-Tochtergesellschaft gehandelt habe, ist laut König nicht zu belegen. Der Historiker argumentiert, er habe keinen Hinweis auf eine schriftliche oder mündliche Abmachung zwischen IGFarben und IG Chemie gefunden, welche die geheime Fortsetzung der deutschen Kontrolle garantiert hätte. König

 behauptet, die US-Behörden hätten alles unternommen, um den Tarnvorwurf zu belegen, seien jedoch erfolglosgeblieben. Das beweise wiederum, dass die Verdächtigung haltlos sei.Ominöser Rees-Bericht

Mit den gesperrten Dokumenten spielt König vor allem auf den legendären 500-seitigen Revisionsbericht von1945/46 zur Interhandel-Affäre an. Er wurde unter der Leitung des Revisors Albert Rees verfasst und trägt deshalbseinen Namen. Nicht zuletzt wegen dieses Berichtes beschloss der Bundesrat in den 80er-Jahren, die Sperrfrist von35 Jahren für Akten im Bundesarchiv zu verlängern.Die Erklärung dazu lässt aufhorchen und gibt Anlass zu Spekulationen: Der Bundesrat habe sich «davon überzeugt,dass eine Einsichtnahme in den Rees-Bericht, sei es ganz oder teilweise, (...) zu einer ernsthaften Gefährdung der (...) Interessen des Landes führen könnte. Die Geheimhaltungspflicht geht sogar so weit, dass auf eine eingehendeBegründung verzichtet werden muss; andernfalls müssten tatbeständliche Einzelheiten aufgedeckt werden, die esgeheim zu halten gilt.»Was in den US-Akten steht

Schon nur der geheimnisvolle Rees-Bericht wirft also ein besonderes Licht auf die Interhandel-Affäre. Aber auchein Blick in US-Akten zeigt, dass die Amerikaner konkrete Hinweise, ja sogar Beweise für den Tarncharakter der Interhandel hatten. In den Beständen der damaligen US-Ermittlungen gegen die IG Farben befinden sich

 beispielsweise Berichte von deren Direktor Julius Overhoff. Er erzählt von eingehenden Gesprächen Anfang 1940 -auch in Basel -, in denen die Frage der Tarnung der IG-Tochterfirmen in Lateinamerika ausführlich diskutiert

worden seien. Auch IG-Chemie-Vertreter nahmen an den Besprechungen teil, die zu einem Beschluss führten. ImOriginalwortlaut: «Die einzelnen Aktionäre der lateinamerikanischen IG-Firmen schliessen untereinander und mitden Gesellschaften einen Pool-Vertrag ab, in dem sie sich verpflichten, die Aktien ihres Unternehmens nicht in

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fremde Hände kommen zu lassen. Zu diesem Zwecke suchen sie eine neutrale Treuhandstelle in der Schweiz, beider die Options- und Anbietungsrechte für die Aktien ruhen.»Hans Sturzenegger von der IG Chemie war bereit, dabei zu helfen, wenn IG Farben eine solche Treuhandstellefinanzieren würde. In der Folge vermittelte Sturzenegger für diese Aufgabe einen Schweizer Anwalt. Diese Aktionwar zwar nicht besonders erfolgreich, beweist jedoch die zentrale Rolle der IG Chemie bei den weltweitenTarnaktivitäten der IG Farben.

Besitz verschleiernDie IG-Farben-Tarnstrategie wird auch in einem Brief vom September 1940 an den deutschenReichswirtschaftsminister dargelegt. Zwar geht es hier offensichtlich hauptsächlich um lateinamerikanische Länder,das gleiche Muster aber zeigt sich auch bei der IG Chemie: «Für die Dauer des Kriegs haben wir die bisherigendeutschen Aktionäre beziehungsweise Gesellschafter entweder vollständig oder doch so weit durchStaatsangehörige des betreffenden Landes ersetzt, dass die Mehrheit in ausländischem Besitz ist.»In einem Bericht des US-Justizministeriums vom Mai 1944 wird ein Mitarbeiter der Interhandel-Tochter GAFzitiert, wonach dieser von seinem Chef den Befehl bekommen habe, alle Hinweise auf eine mögliche Kontrolle der US-Firma durch IG Farben zu vernichten. Deshalb empfahl der Berichtsverfasser sofort nach der BesetzungDeutschlands, alle IG-Farben-Akten zu beschaffen. Die Amerikaner besassen also durchaus Material über den Fall.Weil sie aber den Schweizer Behörden keine stichhaltigen Informationen weitergaben, so Königs Folgerung, hättensich die US-Behörden nicht auf Beweise, sondern nur auf Vermutungen in Sachen IG Chemie gestützt.Innenpolitischer Zwist

Dass die USA nicht härtere Fakten vorlegten, lag aber weniger an fehlenden Beweisstücken als am fehlenden Willenzur Aufklärung der Affäre. Die Beamten des US-Justizministeriums, welche eine harte Linie gegen die deutscheIndustrie und deren Komplizen in «neutralen» Staaten vertraten, wurden durch eine starke Gegenfraktion gebremst:die grossen US-Konzerne, die nach dem Krieg an ungestörten Geschäften mit der wieder erstarkenden deutschenWirtschaft interessiert waren. Es ist kaum ein Zufall, dass einflussreiche Wirtschaftsanwälte und gewichtige

 politische Figuren wie die Gebrüder John Foster und Allen W. Dulles die IG Chemie/Interhandel - und später auchdie Schweizer Delegation während der Restitutionsverhandlungen in Washington 1946 - unterstützten.Russel Nixon, Vertreter der USA bei der Untersuchung der Frage der deutschen Vermögenswerte im Ausland,

 beschrieb vor 1946 vor einem Senatsausschuss den bremsenden Effekt dieser politischen Zwiste: «Ausserdemerhebe ich gegen gewisse Elemente in den Aussenministerien der Vereinigten Staaten, Englands und Frankreichs dieAnschuldigung, dass sie eine Beteiligung aller vier Mächte an den Nachforschungen nach deutschenVermögenswerten in neutralen Ländern bewusst zu verhindern suchen.»Selbst wenn die Schweizer Behörden denAmerikanern alle ihre Akten und nicht nur eine verdrehte Kurzfassung des Rees-Berichts zur Verfügung gestellt

hätten, wäre es also angesichts der zerstrittenen Fraktionen in den USA wohl dennoch nicht zu einer Beschlagnahmeder GAF gekommen.Rees wusste doch mehr

Mario König berücksichtigt diesen inneramerikanischen Gegensatz praktisch nicht. Und er argumentiert zudemwidersprüchlich über die Beweiskraft des Rees-Berichts. Er meint, dass Rees' Untersuchung keine eindeutigenBeweise liefere. Umgekehrt schreibt er aber, dass der Rapport peinlich für die Schweiz sei, «was den Umstanderklären hilft, dass er seither nur noch ganz wenigen Personen zugänglich war». Der Rees-Bericht ist nicht soharmlos, wie manche seiner Formulierungen den Eindruck erwecken mögen.Offensichtlich mussten der Revisor und seine Mitarbeiter aus irgendeinem Grund beim Schreiben sehr vorsichtigsein. König selber stellt fest, dass in der Nachkriegszeit bei den Schweizer Behörden in der Einschätzung der Interhandel-Affäre plötzlich ein anderer Wind wehte. Lehnte der Bundesrat - gestützt auf mehrere kritischeUntersuchungen - bis dahin einen Schutz der Firma vor ausländischen Ansprüchen strikt ab, so wurde sie nun auf einmal als reine Schweizer Unternehmung verteidigt. Die Gründe für diesen Gesinnungswandel sind nicht klar. Esgibt unter Verschluss gehaltene Hinweise für eine Bestechung hoher Beamter durch die Interhandel.IG Farben regierte doch

Rees lieferte aber eindeutige Beweise dafür, dass das Mutterhaus IG Farben auch nach 1940 seine Tochterfirmenkontrollierte. Er stellte nämlich fest, dass «die Einmischung der IG Chemie in die Geschäftsführung der GAFüberhaupt nie solcher Art (war), wie man von einer beherrschenden Dachgesellschaft in der Regel erwarten könnte».Wenn die IG Chemie/Interhandel die tatsächliche Besitzerin einer so wertvollen Firma wie der GAF gewesen wäre,sollte es doch auch regelmässige Kontakte gegeben haben. Das war laut Rees aber offenbar nicht der Fall. DieAmerikaner eruierten ihrerseits, dass die GAF operativ nur von IG Farben in Frankfurt beherrscht wurde, nicht aber von der IG Chemie/Interhandel.Laut Mario König sprechen politische Gründe und nicht eine Tarnungsstrategie oder Verschwörungstheorie für dieLoslösung der IG-Farben-Töchter in den USA und in der Schweiz. Der Historiker kann allerdings keineüberzeugenden Gründe nennen, warum die IG Farben durch die «Verschweizerung» von IG Chemie und deren

Übernahme der GAF vollzog. Denn ohne weiter gehende geheime Kontakte hätte dies bedeutet, dass die IG Farbenauf den US-Besitz im Wert von mehreren Millionen Franken verzichtet hätte - und dies ohne adäquate finanzielleGegenleistung. König gibt zu, dass dieser Schritt wirtschaftlich unsinnig war, jedoch wegen der drohenden US-

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Beschlagnahme als eine Art Schadenbegrenzung anzuschauen sei. Wie diese Rechnung genau aufgegangen seinsoll, bleibt in seiner Studie unklar.

 Naziraubgut?Unter dem Strich ist die Tarnungsdiskussion im Prinzip sekundär. Ob die IG Farben den Schweizer Vertrauensleuten 1940 mit der gewährten Selbstständigkeit der IG Chemie und der Übernahme der GAF ein grossesGeschenk machte oder ob die Schweizer weiterhin im deutschen Auftrag arbeiteten, ändert nämlich nichts am

Charakter des Geldes, das den Schweizern zufloss: Es handelt sich um ein Vermögen, welches aus den Aktivitäteneines mit Zwangsarbeitern agierenden und mit den Nazis kooperierenden Konzerns stammt. Dessen kriegswichtigeBedeutung für das NS-Regime wird von König verharmlost, obwohl die räuberischen Tätigkeiten des Unternehmens

 bekannt sind. Auch die UBS sitzt heute als Nachfolgerin der Interhandel auf Geldern, welche durchaus als Raubgut betrachtet werden könnten.Für die Verwicklung der IG Chemie in Vermögensverschiebungen spricht auch der im Rees-Bericht verzeichneteReingewinn von 120 Millionen Franken, den die Firma von 1930 bis 1937 erwirtschaftete. Wie unwahrscheinlich esist, dass es sich dabei tatsächlich um einen Geschäftsgewinn handelt, wird sofort ersichtlich, wenn ein Vergleich mitdem Profit der Schweizerischen Kreditanstalt gezogen wird, die über ein sehr grosses Bankennetz verfügte, aber für dieselbe Zeitspanne «nur« 70 Millionen Franken als Gewinn auswies.Es liegt deshalb nahe, diese Gelder als Fluchtkapital anzu-sehen. Über deren Ursprung kann im Moment jedoch nur spekuliert werden. Eine Möglichkeit wäre, dass dabei «Gewinne» aus der Beschlagnahme von Firmen in erobertenLändern ins sichere Ausland geschmuggelt wurden.

Wer stellt Ansprüche?Um von der UBS, aber auch von der US-Regierung die Freigabe der Interhandel-Vermögen zu verlangen, dürftengenug Beweise vorhanden sein. Es ist aber unklar, wer Anspruch auf die Gelder erheben kann. Denkbar wäre es,wenn diese auch an ehemalige Zwangsarbeiter gingen. Bis jetzt fehlt es aber an politischen Vorstössen in dieser Sache. Bei den jüdischen Organisationen kann man sogar ein offenkundiges Desinteresse an der Interhandel-Affärefeststellen. Ein Funktionär der Jewish Claims Conference bestätigte die Vermutung, dass seine Organisation sowieder jüdische Weltkongress die Affäre nicht aufnehmen, weil der traditionelle Partner USA mit drinstecke.In der Schweiz zeigt die sonst am Themenkomplex interessierte SP ebenfalls Berührungs- ängste mit der Affäre.Ausgerechnet Christoph Blocher plädierte 1997 in einem «Weltwoche»-Interview, dass die Vorwürfe imZusammenhang mit dem Fall Interhandel ernst genommen werden sollten.

Der Autor: Shraga Elam ist israelischer Recherchierjournalist in Zürich mit den Spezialgebieten Zweiter Weltkriegund Naher Osten. 1997 veröffentlichte er in «Cash» Auszüge aus dem unter Verschluss gehaltenen Rees-Bericht.

DEBATTEDie Affäre InterhandelDie Bergier-Kommission zur Aufklärung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg hat vorgestern der Öffentlichkeit Berichte über mehrere brisante Vorfälle präsentiert (siehe BZ von gestern). Eine der umstrittenenAffären ist diejenige um das Basler Finanzinstitut IG Chemie, das 1945 in Interhandel umbenannt wurde und 1958in der damaligen SBG, heute UBS, aufging.Gegründet wurde die IG Chemie 1929 als Tochterfirma von der IG Farben, dem grössten deutschen Chemiekonzern,der mit den Nazis kooperierte, für sie Rüstungsgüter produzierte und von Zwangsarbeitern aus Nazi-Konzentrationslagern sowie erbeuteten Fabriken in eroberten Ländern profitierte. 1940 löste sich die Basler IGChemie formell vom Mutterhaus und erklärte sich zum unabhängigen, rein schweizerischen Geldinstitut. Zudemwurde den Baslern die amerikanische IG-Farben-Tochterfirma GAF, die in der chemischen Produktion tätig war,unterstellt. Seitdem läuft eine Debatte, ob die beiden Firmen in Basel und in den USA wirklich von der IG Farbenunabhängig waren oder aber dem deutschen Konzern als bewusst getarnter Besitz und zum Verstecken vonGewinnen dienten. Die US-Behörden waren von der «Verschweizerung» der IG Chemie 1940 nicht überzeugt und

 blockierten 1942 die GAF als deutsches Feindvermögen. Erst 1963 einigten sich die USA in einemVergleichsabkommen mit der SBG, das dieser rund 4 Milliarden Franken (nach heutiger Berechnung) eintrug -darunter womöglich auch illegale IG-Farben-Raubgelder.Zu dieser brisanten Affäre legt der Historiker Mario König (siehe BZ-Interview von gestern) im Auftrag der staatlichen Bergier-Kommission eine Studie vor, die die These der bewussten Tarnfirma als unbewiesen verwirft.Auf Königs Darstellung repliziert in diesem «Zeitpunkt» der Zürcher Recherchierjournalist und Buchautor ShragaElam, der zur Interhandel schon publizierte. Er hält sie für eine Tarnfirma. svb