2
Bernhard Witkop (1917–2010) Am 22. November 2010 verstarb Dr. Bernhard Witkop im Alter von 93 Jahren in seinem Heim in Chevy Chase, MD, USA. Marlene Witkop, seine Frau seit 65 Jahren, sowie die TɆchter Cornelia und Phyllis, sein Sohn Thomas und sechs Enkel ɒber- lebten ihn. Witkop wirkte 37 Jahre lang an den National Institutes of Health (NIH) und gehɆrte zu den vielseitigsten und erfolgreichsten organischen Chemikern seiner Generation. Die Verehrung eines gemeinsamen akademi- schen Lehrers, hier Heinrich Wieland an der Ludwig-Maximilians-UniversitȨt Mɒnchen, ver- mag Freundschaften zu begrɒnden. Der um drei Jahre Ȩltere Bernhard Witkop war schon Respekt- person, als der Referent noch Gattermann-PrȨpa- rate kochte. Was bei den Begegnungen, frɒhen und spȨteren, beeindruckte, war Witkops zupackende Intelligenz, gepaart mit universaler Bildung, Ge- lassenheit und Ironie, Selbstironie eingeschlossen. Bernhard Witkop wurde im Mai 1917 geboren als Sohn von Philipp Witkop, einem namhaften Germanisten an der UniversitȨt Freiburg, und Frau Hedwig Hirschhorn. Auf Richard WillstȨtters Rat hin studierte er Chemie in Mɒnchen und promo- vierte als 23-jȨhriger mit einer von Heinrich Wie- land angeleiteten Arbeit ɒber die Isolierung und Kristallisation des KnollenblȨtterpilz-Giftes Phal- loidin, eines Cyclopeptids (1940). Wieland gelang es, den (im Nazi-Jargon) halbjɒdischen Wissen- schaftler zu schɒtzen. Nach der ZerstɆrung des Mɒnchener Instituts durch Bombenangriffe setzte Witkop seine Studien ɒber Indolalkaloide in Wei- henstephan fort und habilitierte sich 1946 an der LMU. Witkop glaubte nicht an eine rasche Wieder- belebung der deutschen Hochschullandschaft nach den KriegszerstɆrungen. Er wanderte 1947 in die USA aus. Als ich den Freund Bernd fragte, ob ihm die sprachliche Umstellung Schwierigkeiten berei- te, lautete die Antwort: Sein Englisch sei so viel besser als das der meisten Amerikaner, dass er fɒrchte, ɒberall als Emigrant aus Europa erkannt zu werden. Eine Fellowship ermɆglichte es Witkop, an der Harvard University zu forschen und zu lehren. Er befreundete sich mit Robert Burns Woodward, der schon als Stern erster Klasse am Himmel der Na- turstoffsynthese aufzog. Auch von der Klarheit, mit der Paul D. Bartlett seine Reaktionsmechanismen entwickelte, fɒhlte sich Witkop geprȨgt. Die NIH in Bethesda, Md., Ɇffneten sich 1950 der bioorganischen Grundlagenforschung und warben Witkop neben weiteren hochrangigen Wissenschaftlern an. In UnabhȨngigkeit und Ar- beitsbedingungen konnte sich das „Laboratory of Chemistry“, das Witkop von 1957 bis 1987 leitete, mit SpitzenuniversitȨten messen. Die NIH schufen ein Besuchsprogramm fɒr Visiting Professors und postdoktorale Mitarbeiter aus dem Ausland, deren grɆßte Zahl aus Japan kam. Die Ergebnisse von Witkops reicher ForschungsaktivitȨt fɒhrten zu ca. 370 Publikationen. Statt bloßer AufzȨhlung der Projekte seien einige im Erkenntnisgewinn angedeutet. Der „NIH Shift“ wurde 1967 von Witkop und seinen Kollegen bei Studien zur Hydroxylierung von Aromaten mit O 2 und Monooxidasen entdeckt. [1] Wenn man bei der Oxidation des Phenylalanins zu Tyrosin das 4-H durch D oder T ersetzte, wurde die Markierung bei der Hydroxylierung nicht entfernt, sondern wan- derte in die 3-Position. Arenoxide sind Zwischen- stufen, die mit O 2 und P450-Oxidasen gebildet werden. [2] Proteasen hydrolysieren die Peptidkette an definierten Positionen. Gross und Witkop beob- achteten, dass Bromcyan die Polyamidkette selek- tiv neben Methionin spaltet. [3] Die neue Methode erlaubte, einen Fehler in der Ribonuclease-Struk- tur zu korrigieren (1962). Mit N-Bromsuccinimid gelang eine selektive Hydrolyse neben dem Tryp- tophan-Baustein. [4, 5] Einen Ƞbersichtsartikel von 1968 bezeichnete Witkop als sein „star paper“, da ɒber 1000 Sonderdrucke angefordert wurden. [6] BeitrȨge zu Oxidation und Abbau des Trypto- phans, u.a. Wege zu Indolalkaloiden sowie die Photooxidation zum Metaboliten Kynurenin, sam- melte Witkop in einer Ƞbersicht „Forty Years of Trypto-fun“. [7] Dies schließt auch die Bildung des Neurotransmitters Serotonin aus 5-Hydroxy-tryp- tophan ein. Witkops Interesse an natɒrlichen Giften fɒhrte 1963 zur Isolierung des Batrachotoxins aus einem Frosch Phyllobates , aus dem kolumbianische In- dianer ein Pfeilgift bereiteten. [8] Ein neuer Typ von Steroidalkaloid wurde in Kooperation mit Jerome und Isabella Karle durch RɆntgenstrukturanalyse geklȨrt. [9] Bernhard Witkop gehɆrte zwei Jahrzehnte lang dem Stiftungsrat der Paul-Ehrlich-Stiftung in Frankfurt an. Die Kandidatenkɒr fɒr den jȨhrlich vergebenen Paul-Ehrlich-Preis hatte regelmȨßige Deutschland-Besuche zur Folge. Mit Wort und Bild (Banknote) fɆrderte Witkop das Andenken des großen Gelehrten, der die Chemotherapie be- grɒndete. In den spȨten Jahrzehnten setzte sich Witkop mit Historie und Philosophie der Naturwissen- schaften auseinander. Reminiszenzen galten Emil Fischer, Heinrich Wieland und dessen Sohn Theo- dor, Percy Julian und Munio Kotake. Im Mai 1987 ehrte die Israelische Akademie der Wissenschaften Bernhard Witkop zum 70. Geburtstag mit einem Symposium „Mind Over Matter“. Der schon auf Aristoteles zurɒckgehende Leib-Seele-Dualismus erreichte in Descartes( Lehre eine besondere Aus- Bernhard Witkop A ngewandte Chemi e Nachruf 5723 Angew. Chem. 2011, 123, 5723 – 5724 # 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Bernhard Witkop (1917–2010)

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Bernhard Witkop (1917–2010)

Bernhard Witkop (1917–2010)

Am 22. November 2010 verstarb Dr. BernhardWitkop im Alter von 93 Jahren in seinem Heim inChevy Chase, MD, USA. Marlene Witkop, seineFrau seit 65 Jahren, sowie die T�chter Cornelia undPhyllis, sein Sohn Thomas und sechs Enkel �ber-lebten ihn. Witkop wirkte 37 Jahre lang an denNational Institutes of Health (NIH) und geh�rte zuden vielseitigsten und erfolgreichsten organischenChemikern seiner Generation.

Die Verehrung eines gemeinsamen akademi-schen Lehrers, hier Heinrich Wieland an derLudwig-Maximilians-Universit�t M�nchen, ver-mag Freundschaften zu begr�nden. Der um dreiJahre �ltere Bernhard Witkop war schon Respekt-person, als der Referent noch Gattermann-Pr�pa-rate kochte. Was bei den Begegnungen, fr�hen undsp�teren, beeindruckte, war Witkops zupackendeIntelligenz, gepaart mit universaler Bildung, Ge-lassenheit und Ironie, Selbstironie eingeschlossen.

Bernhard Witkop wurde im Mai 1917 geborenals Sohn von Philipp Witkop, einem namhaftenGermanisten an der Universit�t Freiburg, und FrauHedwig Hirschhorn. Auf Richard Willst�tters Rathin studierte er Chemie in M�nchen und promo-vierte als 23-j�hriger mit einer von Heinrich Wie-land angeleiteten Arbeit �ber die Isolierung undKristallisation des Knollenbl�tterpilz-Giftes Phal-loidin, eines Cyclopeptids (1940). Wieland gelanges, den (im Nazi-Jargon) halbj�dischen Wissen-schaftler zu sch�tzen. Nach der Zerst�rung desM�nchener Instituts durch Bombenangriffe setzteWitkop seine Studien �ber Indolalkaloide in Wei-henstephan fort und habilitierte sich 1946 an derLMU.

Witkop glaubte nicht an eine rasche Wieder-belebung der deutschen Hochschullandschaft nachden Kriegszerst�rungen. Er wanderte 1947 in dieUSA aus. Als ich den Freund Bernd fragte, ob ihmdie sprachliche Umstellung Schwierigkeiten berei-te, lautete die Antwort: Sein Englisch sei so vielbesser als das der meisten Amerikaner, dass erf�rchte, �berall als Emigrant aus Europa erkanntzu werden.

Eine Fellowship erm�glichte es Witkop, an derHarvard University zu forschen und zu lehren. Erbefreundete sich mit Robert Burns Woodward, derschon als Stern erster Klasse am Himmel der Na-turstoffsynthese aufzog. Auch von der Klarheit, mitder Paul D. Bartlett seine Reaktionsmechanismenentwickelte, f�hlte sich Witkop gepr�gt.

Die NIH in Bethesda, Md., �ffneten sich 1950der bioorganischen Grundlagenforschung undwarben Witkop neben weiteren hochrangigenWissenschaftlern an. In Unabh�ngigkeit und Ar-beitsbedingungen konnte sich das „Laboratory ofChemistry“, das Witkop von 1957 bis 1987 leitete,

mit Spitzenuniversit�ten messen. Die NIH schufenein Besuchsprogramm f�r Visiting Professors undpostdoktorale Mitarbeiter aus dem Ausland, derengr�ßte Zahl aus Japan kam. Die Ergebnisse vonWitkops reicher Forschungsaktivit�t f�hrten zu ca.370 Publikationen.

Statt bloßer Aufz�hlung der Projekte seieneinige im Erkenntnisgewinn angedeutet. Der „NIHShift“ wurde 1967 von Witkop und seinen Kollegenbei Studien zur Hydroxylierung von Aromaten mitO2 und Monooxidasen entdeckt.[1] Wenn man beider Oxidation des Phenylalanins zu Tyrosin das 4-Hdurch D oder T ersetzte, wurde die Markierung beider Hydroxylierung nicht entfernt, sondern wan-derte in die 3-Position. Arenoxide sind Zwischen-stufen, die mit O2 und P450-Oxidasen gebildetwerden.[2]

Proteasen hydrolysieren die Peptidkette andefinierten Positionen. Gross und Witkop beob-achteten, dass Bromcyan die Polyamidkette selek-tiv neben Methionin spaltet.[3] Die neue Methodeerlaubte, einen Fehler in der Ribonuclease-Struk-tur zu korrigieren (1962). Mit N-Bromsuccinimidgelang eine selektive Hydrolyse neben dem Tryp-tophan-Baustein.[4, 5] Einen �bersichtsartikel von1968 bezeichnete Witkop als sein „star paper“, da�ber 1000 Sonderdrucke angefordert wurden.[6]

Beitr�ge zu Oxidation und Abbau des Trypto-phans, u.a. Wege zu Indolalkaloiden sowie diePhotooxidation zum Metaboliten Kynurenin, sam-melte Witkop in einer �bersicht „Forty Years ofTrypto-fun“.[7] Dies schließt auch die Bildung desNeurotransmitters Serotonin aus 5-Hydroxy-tryp-tophan ein.

Witkops Interesse an nat�rlichen Giften f�hrte1963 zur Isolierung des Batrachotoxins aus einemFrosch Phyllobates, aus dem kolumbianische In-dianer ein Pfeilgift bereiteten.[8] Ein neuer Typ vonSteroidalkaloid wurde in Kooperation mit Jeromeund Isabella Karle durch R�ntgenstrukturanalysegekl�rt.[9]

Bernhard Witkop geh�rte zwei Jahrzehnte langdem Stiftungsrat der Paul-Ehrlich-Stiftung inFrankfurt an. Die Kandidatenk�r f�r den j�hrlichvergebenen Paul-Ehrlich-Preis hatte regelm�ßigeDeutschland-Besuche zur Folge. Mit Wort und Bild(Banknote) f�rderte Witkop das Andenken desgroßen Gelehrten, der die Chemotherapie be-gr�ndete.

In den sp�ten Jahrzehnten setzte sich Witkopmit Historie und Philosophie der Naturwissen-schaften auseinander. Reminiszenzen galten EmilFischer, Heinrich Wieland und dessen Sohn Theo-dor, Percy Julian und Munio Kotake. Im Mai 1987ehrte die Israelische Akademie der WissenschaftenBernhard Witkop zum 70. Geburtstag mit einemSymposium „Mind Over Matter“. Der schon aufAristoteles zur�ckgehende Leib-Seele-Dualismuserreichte in Descartes� Lehre eine besondere Aus-

Bernhard Witkop

AngewandteChemieNachruf

5723Angew. Chem. 2011, 123, 5723 – 5724 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Page 2: Bernhard Witkop (1917–2010)

pr�gung. In seinem Vortrag in Jerusalem bem�htesich Witkop um Entsch�rfung in einer Argumen-tation, die philosophische Lehrmeinungen, dieBibel, Poesie und naturwissenschaftliche Erkennt-nisse einschloss.[10]

Mehr als 50 japanische Wissenschaftler waren�ber die Jahre in Witkops Laboratorium t�tig.H�ufige Besuche in Japan machten ihn vertraut mitder japanischen Kultur – und Sprache. Der poly-glotte Witkop eignete sich die japanische Sprachean und hielt 1961 seine erste Vorlesung in Tokio.

Die National Academy of Sciences nahmBernhard Witkop 1969 als Mitglied auf, und dieUniversit�t Z�rich verlieh ihm die Paul-Karrer-Medaille (1971). Der japanische Kaiser verliehWitkop den „Orden des Heiligen Schatzes“ (1975).Die NIH ernannten ihn bei seiner Emeritierungzum „Institute Scholar“ (1987). Die Fakult�t f�rChemie und Pharmazie der Universit�t M�nchenerneuerte 1990 das Doktordiplom von BernhardWitkop nach 50 Jahren. Besonders gl�cklich warWitkop �ber die Wahl als Mitglied der AmericanPhilosophical Society, Section Biology (1999).

Als organischer Chemiker nahm Witkop an denNIH eine Art Schaltstelle ein, mit intensivenKontakten zur biochemischen, medizinischen,

pharmakologischen und Naturstoff-Forschung. DieInterdisziplinarit�t war Chance und Schl�ssel zumErfolg.

Rolf HuisgenLudwig-Maximilians-Universit�t M�nchen

[1] G. Guroff, J. W. Daly, D. M. Jerina, J. Renson, B.Witkop, S. Udenfriend, Science 1967, 157, 1524.

[2] �bersicht: J. W. Daly, D. M. Jerina, B. Witkop, Ex-perientia 1972, 28, 1129.

[3] E. Gross, B. Witkop, J. Am. Chem. Soc. 1961, 83,1510.

[4] A. Patchornik, W. B. Lawson, B. Witkop, J. Am.Chem. Soc. 1958, 80, 4747.

[5] L. K. Ramachandran, B. Witkop, J. Am. Chem. Soc.1959, 81, 4028.

[6] B. Witkop, Science 1968, 162, 318.[7] B. Witkop, Heterocycles 1983, 20, 2059.[8] F. M�rki, B. Witkop, Experientia 1963, 19, 329.[9] I. L. Karle, J. Karle, Acta Crystallogr. Sect. B 1969, 25,

428.[10] Mind Over Matter, The Israel Academy of Science

and Humanities, Jerusalem, 1989.

DOI: 10.1002/ange.201102615

Nachruf

5724 www.angewandte.de � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2011, 123, 5723 – 5724