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4 Jahrgang Nr. 14, Heft Nr. 3/4 März/April 2009 NET-Journal Der Gegenkolbenmotor ist 1890 von Hugo Junkers konzipiert wor- den. Trotz einer glanzvollen Erfolgsgeschichte - vor allem in Gestalt der Flugzeug-Dieselmoto- ren Jumo 205/207 - ist er hinter den gängigen Hubkolbenmotoren spätestens nach Kriegsende aus dem Fokus der Motorenbauer ver- schwunden. Aus England und den USA sind Neuentwicklungen be- kannt geworden. In Deutschland widmet sich ein Unternehmen in Sachsen-Anhalt und eines in Sachsen der Renaissance dieses Motortyps. Das “NET-Journal” hat die Dresdener Golle Motor AG besucht und sich von deren Vor- stand Dr.-Ing. Hermann Golle über die Vorzüge seiner Konstruktion aufklären lassen. Sie wäre weg- weisend besonders auch für Moto- ren, die Biokraftstoffe oder Was- serstoff verbrennen sollen. “Maximaler Wirkungsgrad bei minimaler Umweltbelastung” lautet der “ökologische Imperativ” für die Konzeption künftiger Verbrennungs- motoren. Mit diesem Satz leitet die Deutsche Bundesstiftung Umwelt die Vorstellung einer von ihr geförderten “Intelligenten Ventilsteuerung” ein. Hermann Golle würde dieser Forde- rung nicht widersprechen. Geht es um die Kraftstoffzufuhr und die Füh- rung der Verbrennungsluft sowie die der Abgase in Motoren, wäre er so- gar ein hochgradig kompetenter Ge- sprächspartner. Das legen Stationen seines nachfolgend skizzierten Le- benslaufes nahe. Ein bewegter und bewegen- der Lebenslauf Hermann Golle wurde 1934 im erzgebirgischen Beierfeld geboren. 1950 schloss er die Maschinen- schlosserlehre ab in der Fabrik für Blechbearbeitungsmaschinen Erd- mann Kircheis, Aue (Erzgebirge). Dieser, so steht’s in Golles Buch (siehe Buchbesprechung S. 8), sei es zu verdanken gewesen, dass sich die heimische Blechwarenindustrie ab etwa 1870 zur Nummer eins in der Welt entwickeln konnte. Golle wand- te sich an der Technischen Hoch- schule Dresden dem Flugzeugbau zu, der mit Junkers-Spezialisten 1954 in Dresden begann und 1961 wieder eingestellt wurde. Ihm blieb das artverwandte Institut für Leicht- bau, wo er sich von 1961 bis 1980 der “Dauerstands- und Ermüdungsfe- stigkeit” widmete. 1975 übernahm er die Leitung der Abteilung “Ermü- dungsfestigkeit”, die sich auch mit Motorteilen befasste. Aus diesem Bereich stammte später das Thema seiner Doktorarbeit, mit der er an der TH Magdeburg promovierte. An der TH Dresden war er ab 1981 externer Mitarbeiter, der sich vor allem um Einspritzpumpen kümmer- te. Ehrgeizige Projekte seien das ge- wesen - wie Dieselmotoren für Fahr- zeuge der Marke Wartburg - , die aber zu keinen verwertbaren Ergeb- nissen geführt hätten. Der Weg in die Selbständigkeit war vorgezeichnet. 1987 begründete er ein Ingenieurbü- ro für Motorenbau und Einspritztech- nik. Nach der Wende wurde daraus eine GmbH, die auch den Bau von allerlei Betriebsmustern übernahm. Von Hugo Junkers inspiriert und begeistert Am Institut für Leichtbau waren Hermann Golle ehemalige Junkers- Ingenieure begegnet, die ihm diesen großen Pionier des Flugzeugbaus näherbrachten und über seine her- ausragenden Leistungen berichteten. Das faszinierte ihn und beflügelte eigene Vorstellungen. Der Lebens- weg von Hugo Junkers sei außerge- wöhnlich gewesen, schreibt er in sei- nem Buch. Golle erinnert daran, dass bis zum Start der Junkers J1 im Jahre 1915 alle Flugzeuge Doppel- oder Dreidecker gewesen seien. Mit der J1 war der freitragende Flugzeugflü- gel geboren. Die Junkers F13, ein viersitziges Kabinenflugzeug aus Du- raluminium, habe 1919 in Dessau den modernen Flugzeugbau im Welt- maßstab eingeleitet. Hugo Junkers, den man “den Pro- fessor” nannte, blieb bei Freund und Feind in den Augen der Politiker, der Großindustriellen und Banker ein Außenseiter. Das bekam er späte- stens in der Zeit von Hitlers Machter- greifung schmerzlich zu spüren. Er musste 51% der Aktien seines Unter- nehmens an den Staat abtreten und Dessau verlassen. Am 3. Februar 1935, seinem 76. Geburtstag, ver- starb Junkers, der laut Golle ein pazi- fistisch und demokratisch gesinnter Großunternehmer war. Mit seinem Nachlass beglückte Hitler zahlreiche Industrielle und gestattete Unterneh- men, sich am Know-how von Junkers zu bereichern. Nach Kriegsende kam diese Beutemacherei noch einmal auf Touren. Einzig der Bosch-Kon- zern hält den Namen Junkers bis heute in Ehren bei seinen Gasther- men und Warmwasserbereitern. 1932 hatte Junkers die Werksanla- gen dafür an Robert Bosch verkauft. Der Erlös aus dem Verkauf dieser Produkte war vor Bosch die Basis für das Wachstum der Firma Junkers zu einem Weltunternehmen für Flug- zeug- und Motorenbau. Der Gegenkolbenmotor verdiente eine Renaissance Besuch bei dem Entwicklungsingenieur Hermann Golle Dipl.-Ing. Gottfried Hilscher Dr.-Ing. Hermann Golle

Besuch bei dem Entwicklungsingenieur Hermann Golle4 Jahrgang Nr. 14, Heft Nr. 3/4 März/April 2009 NET-Journal Der Gegenkolbenmotor ist 1890 von Hugo Junkers konzipiert wor-den. Trotz

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4 Jahrgang Nr. 14, Heft Nr. 3/4 März/April 2009

NET-Journal

Der Gegenkolbenmotor ist 1890von Hugo Junkers konzipiert wor-den. Trotz einer glanzvollenErfolgsgeschichte - vor allem inGestalt der Flugzeug-Dieselmoto-ren Jumo 205/207 - ist er hinterden gängigen Hubkolbenmotorenspätestens nach Kriegsende ausdem Fokus der Motorenbauer ver-schwunden. Aus England und denUSA sind Neuentwicklungen be-kannt geworden. In Deutschlandwidmet sich ein Unternehmen inSachsen-Anhalt und eines inSachsen der Renaissance diesesMotortyps. Das “NET-Journal” hatdie Dresdener Golle Motor AGbesucht und sich von deren Vor-stand Dr.-Ing. Hermann Golle überdie Vorzüge seiner Konstruktionaufklären lassen. Sie wäre weg-weisend besonders auch für Moto-ren, die Biokraftstoffe oder Was-serstoff verbrennen sollen.

“Maximaler Wirkungsgrad beiminimaler Umweltbelastung” lautetder “ökologische Imperativ” für dieKonzeption künftiger Verbrennungs-motoren. Mit diesem Satz leitet dieDeutsche Bundesstiftung Umwelt dieVorstellung einer von ihr geförderten“Intelligenten Ventilsteuerung” ein.Hermann Golle würde dieser Forde-rung nicht widersprechen. Geht esum die Kraftstoffzufuhr und die Füh-rung der Verbrennungsluft sowie dieder Abgase in Motoren, wäre er so-gar ein hochgradig kompetenter Ge-sprächspartner. Das legen Stationenseines nachfolgend skizzierten Le-benslaufes nahe.

Ein bewegter und bewegen-der Lebenslauf

Hermann Golle wurde 1934 imerzgebirgischen Beierfeld geboren.1950 schloss er die Maschinen-schlosserlehre ab in der Fabrik fürBlechbearbeitungsmaschinen Erd-mann Kircheis, Aue (Erzgebirge).Dieser, so steht’s in Golles Buch(siehe Buchbesprechung S. 8), sei es

zu verdanken gewesen, dass sich dieheimische Blechwarenindustrie abetwa 1870 zur Nummer eins in derWelt entwickeln konnte. Golle wand-te sich an der Technischen Hoch-schule Dresden dem Flugzeugbauzu, der mit Junkers-Spezialisten1954 in Dresden begann und 1961wieder eingestellt wurde. Ihm bliebdas artverwandte Institut für Leicht-bau, wo er sich von 1961 bis 1980der “Dauerstands- und Ermüdungsfe-stigkeit” widmete. 1975 übernahm erdie Leitung der Abteilung “Ermü-dungsfestigkeit”, die sich auch mitMotorteilen befasste. Aus diesemBereich stammte später das Themaseiner Doktorarbeit, mit der er an derTH Magdeburg promovierte.

An der TH Dresden war er ab 1981externer Mitarbeiter, der sich vorallem um Einspritzpumpen kümmer-te. Ehrgeizige Projekte seien das ge-wesen - wie Dieselmotoren für Fahr-zeuge der Marke Wartburg - , dieaber zu keinen verwertbaren Ergeb-nissen geführt hätten. Der Weg in dieSelbständigkeit war vorgezeichnet.1987 begründete er ein Ingenieurbü-ro für Motorenbau und Einspritztech-nik. Nach der Wende wurde darauseine GmbH, die auch den Bau vonallerlei Betriebsmustern übernahm.

Von Hugo Junkers inspiriertund begeistert

Am Institut für Leichtbau warenHermann Golle ehemalige Junkers-Ingenieure begegnet, die ihm diesengroßen Pionier des Flugzeugbausnäherbrachten und über seine her-ausragenden Leistungen berichteten.Das faszinierte ihn und beflügelteeigene Vorstellungen. Der Lebens-weg von Hugo Junkers sei außerge-wöhnlich gewesen, schreibt er in sei-nem Buch. Golle erinnert daran, dassbis zum Start der Junkers J1 im Jahre1915 alle Flugzeuge Doppel- oderDreidecker gewesen seien. Mit derJ1 war der freitragende Flugzeugflü-gel geboren. Die Junkers F13, ein

viersitziges Kabinenflugzeug aus Du-raluminium, habe 1919 in Dessauden modernen Flugzeugbau im Welt-maßstab eingeleitet.

Hugo Junkers, den man “den Pro-fessor” nannte, blieb bei Freund undFeind in den Augen der Politiker, derGroßindustriellen und Banker einAußenseiter. Das bekam er späte-stens in der Zeit von Hitlers Machter-greifung schmerzlich zu spüren. Ermusste 51% der Aktien seines Unter-nehmens an den Staat abtreten undDessau verlassen. Am 3. Februar1935, seinem 76. Geburtstag, ver-starb Junkers, der laut Golle ein pazi-fistisch und demokratisch gesinnterGroßunternehmer war. Mit seinemNachlass beglückte Hitler zahlreicheIndustrielle und gestattete Unterneh-men, sich am Know-how von Junkerszu bereichern. Nach Kriegsende kamdiese Beutemacherei noch einmalauf Touren. Einzig der Bosch-Kon-zern hält den Namen Junkers bisheute in Ehren bei seinen Gasther-men und Warmwasserbereitern.1932 hatte Junkers die Werksanla-gen dafür an Robert Bosch verkauft.Der Erlös aus dem Verkauf dieserProdukte war vor Bosch die Basis fürdas Wachstum der Firma Junkers zueinem Weltunternehmen für Flug-zeug- und Motorenbau.

Der Gegenkolbenmotor verdiente eine RenaissanceBesuch bei dem Entwicklungsingenieur Hermann Golle

Dipl.-Ing. Gottfried Hilscher

Dr.-Ing. Hermann Golle

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Gegenkolbenmotor - einTrumpf für Flugzeuge

Der Leichtbauer Hermann Golleließ sich ausgerechnet von den guss-eisernen Schwergewichten des Jun-kers-Motorenbaus tief beeindrucken.Allem voran von dem Prinzip desGegenkolbenmotors, mit dem HugoJunkers neben seinen Flugzeugenauch in der Motorentwicklung zueinem Pionier avancierte. Das be-gann bereits ab 1890 mit dem Baugroßer Gasmaschinen, denen späterMotoren für den Antrieb von Schiffenund Lastkraftwagen folgten. Bei denZweitaktmotoren, um die es sich han-delte, nahm die Gegenkolben-Bau-weise von Anbeginn eine Sonderstel-lung ein. Junkers, der sich ab1909/10 dem Flugzeugbau zugewen-det hatte, begann 1912 nach demVorbild eines schweren stationärenGegenkolbenmotors einen Dieselmo-tor für Flugzeuge zu entwickeln.Schon von dessen Gewicht her eingeradezu hirnrissiges Unterfangen.

Hermann Golle hat die Geschichtedes Flugdiesels genau studiert, seineVorzüge erkannt und das Thema zuseinem eigenen gemacht. Seineanfängliche Verblüffung über die Lei-stung des Gegenkolbenmotorsscheint mit zunehmendem Einblick indie Materie schnell gewichen zu sein.Ein geschichtlicher Rückblick ausGolles Feder spiegelt das wider. Inseinem Buch schreibt er:

“Ein Dieselmotor, das schwereUngetüm aus Gusseisen im Flug-zeug?” Nach mehr als zehn Jahrenintensiver Entwicklungsarbeit konnteman 1926 erstmals 800 PS auseinem nur 900 kg schweren Motor

herausholen. Bei Kriegsende leisteteder letzte Motor, der Jumo 207 mitsechs Zylindern, 12 Kolben und16,6 L Hubraum 2000 PS. Nach heu-tigen Maßstäben entsprach das einerLiterleistung von 88 kW. Höchststandder derzeitigen Pkw-Diesel sind etwa60 kW/L.

Renaissance für den Gegen-kolbenmotor?

Das Ende des Gegenkolbenmo-tors kam sukzessive in den Nach-kriegsjahren, schreibt Golle. In jün-gerer Zeit sei aber eine beachtens-werte Renaissance festzustellen. Inder Ukraine werde ein Panzer miteinem 880-kW-Motor ausgerüstet. Inden USA lautet das Kürzel für eineNeuentwicklung OPOC - OpposedPiston, Opposed Cylinder. In Eng-land baut eine Diesel Air Ltd. einenGegenkolben-Flugdiesel. Deutsch-land ist auch wieder mit von der Par-tie, mit zwei Unternehmen.

In der Junkers-Stadt Dessau ent-wickelt die Laukötter GmbH einenFlugdiesel nach “klassischem” Vor-bild. Die zweite Firma, der dieser Arti-kel gewidmet ist, ist die Golle MotorAG in Dresden.

Dr.-Ing. Hermann Golle hatte derAutor auf dem Weltkongress derAutomobilindustrie FISITA 2008 imSeptember in München kennenge-lernt. Dort präsentierte er an einemStand in der Eingangshalle seinemotortechnische Novität. Ein nen-nenswertes Echo aus dem Kreis derin München versammelten Fachleuteaus der Welt des Automobil- undMotorenbaus wurde Golle nichtzuteil. Das, obwohl er an seinem(funktionierenden) geöffneten Ge-genkolbenmotor dessen Funktions-weise erklärte. Das Gehäuse brauch-te er nicht aufzuschneiden für denEinblick in seine Konstruktion, dennder Motorblock wird aus zwei Hälftenzusammengeschraubt; dabei werdendie Zylinder mit den vorher montier-

Letzter Gegenkolbenmotor Jumo 207 von Hugo Junkers. Daneben die Neuschöpfung von Hermann Golle: ein kompakter liegenderMotor.

Längsschnitt durch den Golle-Gegenkolbenmotor.

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ten Kolben “eingeschlossen”. Dieseeher montagetechnische Raffinesseumschließt auch das Revolutionäre(das gleich noch erläutert wird) desGolle-Gegenkolbenmotors “mit abso-lutem Kolbentrockenlauf und eigenenSpülpumpen”. In dem am 11.12.2003erteilten deutschen Patent DE1 00 26 458 C2 wird die Maschine als“schadstoffarmer Gegenkolben-Zwei-taktmotor” bezeichnet.

Schadstoffarm bei jedemBrennstoff

Mit “schadstoffarm” ist das Haupt-merkmal dieses traditionsreichenMotortyps benannt. Der Autor wagtes deshalb, von einem zeitgemäßen,revolutionären und in vieler Hinsichtzukunftsfähigen Verbrennungsmotorzu sprechen. Gleichgültig, ob er dieüblichen fossilen Kraftstoffe ver-brennt, Erdgas, Biogas, aus anderenQuellen gewonnene Gase oder syn-thetisch hergestellte Brennstoffe:Das Attribut “schadstoffarm” wirdman jeder Version dieses Motorszubilligen können.

Hermann Golle ist es gelungen,den in der Ölwanne “planschenden”Kurbeltrieb einerseits von den Ver-brennungsräumen und der zugehöri-gen Frischluftzuführung sowie vonder Abgasausleitung andererseitsräumlich strikt zu trennen. Mit dengängigen Tauchkolben wäre das aus-geschlossen. Das Schmieröl für denKolbenlauf wird bei diesen vom Kur-beltrieb nach oben geschleudert undvon den Kolbenringen zwar abge-streift, gelangt aber in geringen Men-gen in die Verbrennungsräume undträgt somit auch zur Schadstoffbela-stung des Abgases bei. GollesGeniestreich ist der Einbau des alt-bekannten Kreuzkopfes zwischenKurbeltrieb und jedem Kolben. Beigroßen Schiffsdieseln ist der Kreuz-kopf seit rund 100 Jahren üblich,wenn auch nicht wegen des vonGolle verfolgten Zieles der Schad-stoffarmut. In seinen Motoren wirddieses Bauteil zwar auch von derKurbelwelle über ein Pleuel geradli-nig hin und her bewegt, aber öl- undgasdicht gegenüber seiner Laufbuch-se. Das bedingt trocken laufendeArbeitskolben, und wegen derenpaarweise synchronen Gegenläufig-

keit zwei Kurbelwellen, die ein “Trieb-werksstrang” miteinander verbindet.Kolben und Kolbenringe, die keinerSchmierung bedürfen, lassen sichheute ohne weiteres aus Feinkorn-Kohlenstoff herstellen. Den mit die-sem zu paarenden Werkstoff für dieZylinder kennt Hermann Golle eben-falls.

Möglich: Wasserstoffmotormit null Schadstoffemission

Dem heute so gepriesenen Was-serstoffmotor, dessen Auspuff angeb-lich nur Wasser verlässt, könnteGolle zur Wahrheit dieser Behaup-tung verhelfen. Mit ölgeschmiertenTauchkolben muss diese unwahrbleiben. Das Abgas enthält nebendem Wasser (und Stickoxid) immerauch einen Teil verbrannten Schmier-öls. Damit nicht genug. Durch das sogenannte Blow-by-Gas, das aus demVerbrennungsraum durch den Spaltzwischen Kolben und Zylinderwandströmt und dadurch ständig Schad-stoffe aus der Verbrennung in dieÖlwanne einträgt, gelangen diese aufdem “Rückweg” des Kolbens - vomÖl getragen - wieder in den Verbren-nungsraum und mit dem Abgasstromins Freie. Von einem Null-Emissions-Motor kann unter diesen Umständenkeine Rede sein.

Dass es sich bei diesen Feststel-lungen um keine Spitzfindigkeitenhandelt zu Ungunsten der heute üb-lichen Verbrennungsmotoren, undeben auch der mit Wasserstoff betrie-benen, kann Golle anhand vieler

Messergebnisse aus wissenschaft-lichen Analysen belegen. So entstün-den bei den heutigen Vier- und Zwei-taktmotoren durch Abdampfen desÖlfilms von der Zylinderwand bis zu30% der im Abgas enthaltenenMenge an unverbrannten Kohlen-wasserstoffen. Wegen der immerstrengeren Abgasgesetze rücken dieEmissionen aus dem mitverbrennen-den Ölfilm immer mehr in den Vorder-grund. In fachwissenschaftlichen Arti-keln (Motortechnische ZeitschriftMTZ 2008, Hefte 5 und 10, sowieMTZ Heft 2, 2009) wird ausführlichüber den “motorölbedingten Anteil anden Emissionen” berichtet.

Ein Merkmal der “Sondergase” seidie große Schwankungsbreite gewis-ser in ihnen enthaltenen Stoffgrup-pen sowie von Verunreinigungen, diesich auf die Verbrennung und auf dieAbgasemission auswirken. Erkanntwurde, dass die im Brennraum gebil-deten Siliziumoxide kristalline Abla-gerungen zurücklassen, deren ab-platzende Partikel zu Verschleißer-scheinungen an Motorteilen, wie denVentilen, führen. Zwischenprodukteaus der Verbrennung, etwa schwefel-haltige Spurengase, tragen zur “Ver-säuerung” des Motoröls bei.

Zur Vermeidung dieser schmier-stoffbedingten Komplikationen undSchadstoffemissionen bietet sich fürHermann Golle sein Gegenkolben-motor mit öldicht vom Triebwerk ge-trennter Zylinder/Kolben-Baugruppean. Diese bildet das innovative Kern-stück der Maschine. Aber zu ihrerperfekten Funktion gehören noch

Hermann Golle in seiner Versuchswerkstatt. Rechts ein Prüfstand für “ölfreien Kolben-lauf”, links Auswertungsmesstechnik.

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andere originelle konstruktive Lösun-gen. Sie betreffen vor allem dieMotorspülung, die Brennstoffeinsprit-zung und die Abgasführung. The-men, die den Ingenieur Golle schonJahrzehnte vor seinem großen Wurfimmer wieder intensiv beschäftigten.

Liegender Gegenkolbenmo-tor

Die Kenntnis der Junkers’schenVorbilder und seine eigenen kon-struktiven Überlegungen und Zielvor-stellungen führten Golle zu einem lie-genden Gegenkolbenmotor. Die zweiPaar Gegenkolben laufen horizontalin den parallel nebeneinander ange-ordneten Zylindern. Die sie überKreuzköpfe bewegenden Kurbelwel-len befinden sich an den Enden die-ses “Triebwerkkerns”. All das führt zueinem flachen und langgestrecktenMotor, dessen Gehäuse - wie ange-merkt - mittig über die gesamte Län-ge geteilt und zusammengeschraubtist. Das vereinfacht enorm die Monta-ge der “Innereien”. Die ungewohnteäußere Form des Motors, der, neben-bei bemerkt, ein Leichtgewicht istbezogen auf seine Leistung (gerin-ges Leistungsgewicht), ist bei statio-nären Anlagen, wie Blockheizkraft-werken (Kraft-Wärme-Kopplung),belanglos. In Fahrzeugen könntesich der Einbau unterflur empfehlen.

Die oben wiedergegebene Längs-schnittzeichnung aus der Patent-schrift (s. oben) gestattet Hinweiseauf einige wichtige Detailfunktionendieses schlitzgesteuerten Zweitakt-motors. 1 bezeichnet einen Arbeits-kolben, dessen Unterseite zusam-men mit dem Membranventil 3 als

Spülpumpe fungiert. Die angesaugteLuft tritt in den “Spülmittelaufnehmer”4 ein, der als Ladeluftkühler dient.Über die Membranventile 3 tritt diegekühlte und entölte Spülluft übereine Leitung in die Luftkammer 7 desMotors ein. In 4 gelangt bei großenMotoren zusätzlich verdichtete Luftaus einem Abgaslader. In der Praxisverzichtet Golle auf das Membran-ventil 2 und ersetzt es durch eineSchlitzsteuerung, die, von der Unter-kante des Arbeitskolbens 1 bedient,den Lufteinlass in die Spülpumperegelt. Ziffer 9 verweist auf denKreuzkopf, die funktionstechnischzentrale Komponente für die öl- undgasdichte Abtrennung des Verbren-nungsraums von dem Kurbeltrieb.Das Abgas verlässt den Brennraumebenfalls vom Kolben schlitzgesteu-ert (im Bild rechts vom Motorzylinder10). Ein hundert Jahre altes Motor-prinzip ist durch die ingeniöse Genia-lität des Dr.-Ing. Hermann Golle sogründlich verändert worden, dass eswie selten ein komplexes undanspruchsvolles technisches Produktin unsere Zeit passt. Es wäre auchgenerell ein beachtlicher Hoffnungs-träger für eine Zukunft, die mit Pro-blemen bei der Energieversorgung,des Schutzes des Lebensraumesund unserer Gesundheit, einer Kli-makatastrophe mit unabsehbarenFolgen und nicht zuletzt mit obsoletwerdender Technik droht. Das Ganzeeingebettet in eine galoppierendeglobale Finanz- und Wirtschaftskrise,deren Lösung die Entscheidungsträ-ger bei genauerem Hinsehen ratlos,auf jeden Fall langfristig ohne tragfä-hige und verbindliche Konzeptegegenüber stehen.

Das Interview

(HG Hermann Golle, hi GottfriedHilscher)

hi: Sie kennen die Geschichte desGegenkolbenmotors und die Vorzügeseiner Bauweise aufs Intimste.Woran lag es, dass dieser bewährteMotortyp nach dem Kriege selbst inseinem Herkunftsland Deutschlandnicht mehr gebaut wurde?

HG: Der Gegenkolbenmotor warimmer auf eine Aussenseiterrolle be-schränkt. Das Auto brauchte nicht dieHochleistung und absolute Leicht-bauweise, aber die billige Großse-rienfertigung. Nach dem 2. Weltkriegwurde das wachsende Schadstoff-Bewusstsein für den Zweitaktmotor(und die anderen Zweitakter) dasmaßgebende Kriterium.

hi: Warum Sie mich, der ich Flug-zeug- und Kraftfahrzeugbau studierthabe, davon überzeugt haben, dassder Golle-Gegenkolbenmotor ein An-triebsaggregat mit Zukunft sowohl fürstationäre als auch mobile Einsätzewäre, ist diesem Bericht zu entneh-men. Was sind nach Ihrer Erfahrungdie größten Hürden für dessen Wei-terentwicklung und den Serienbau?

HG: Die größten Hürden sind derfest etablierte Großserienbau derAutokonzerne. Sie fahren, wie mirVertreter der Autoindustrie sagen,wie ein riesiger Öltanker einen festenKurs. Sie zu bewegen, diesen Kursum nur wenige Grad zu ändern, istäußerst schwierig. Hinzu kommt,dass man als kleine Entwicklungsfir-ma nicht zu den etablierten Kreisengehört und schon einer gehörigenSelbstzufriedenheit, ja Arroganz ge-genüber steht.

Zeichnung aus der Patentschrift über den Golle-Gegenkolbenmotor(Erläuterungen im Text).

“Aufgeklappter” Motor mit zwei Paar Gegenkolben; ins-gesamt 1 Liter Hubraum.

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hi: Welche Chancen sehen Sie,den etablierten Motorenbau, der indie Entwicklung und Fertigung desKolbenmotors Riesensummen inve-stiert hat, für den Gegenkolbenmotorzu begeistern? Sind äußere Zwängevorstellbar, die Motorenbauer undihre Kundschaft veranlassen, denGegenkolben neben dem Hubkolbennicht zu behindern?

HG: Der Zwang zur Schonung derRessourcen insgesamt, hier mit demSchlagwort “Downsizing” umrissen(aus der gleichen Einheit mehr her-ausholen), wird ein Umdenken einlei-ten. Hinzu kommt als “äußererZwang” die immer stärker geforderteAbsenkung der Schadstoff-Emissio-nen. Hier beschreiten wir Neulandmit unserer ölfrei laufenden Zylin-der/Kolben-Gruppe, d. h. wir verzich-ten auf alle “motorölbedingten Emis-sionen”. Hier deutet sich erstes “Ge-hörtwerden” an: Bei den E-Automobi-len als kleiner leistungsfähiger undschadstoffarmer Verbrennungsmotorfür den Generator, also den “RangeExtender” zum Nachladen der Batte-rien. Bei den Erneuerbaren Energien,insbesondere bei Biogasmotoren inBlockheizkraftwerken. Hier kann dieölfreie Zylinder/Kolben-Gruppe dieStöranfälligkeit und die Wartungszyk-len erheblich verbessern.

hi: So genannte Spitzen- undZukunftstechnologien werden vonder öffentlichen Hand quasi definiertund deren Forschung & Entwicklung(F&E) großzügig gefördert. MachenSie sich Hoffnung, in absehbarer Zeitmit von der Partie zu sein? Wenn jabeziehungsweise nein, warum?

HG: Aus dem Gesagten, vor allem,im Bereich der erneuerbaren Ener-gien, bin ich guter Hoffnung, Gehörund Mitstreiter zu finden, in F&E-Pro-jekte eingebunden zu werden, nichtals Einzelerfinder, aber durch Team-arbeit einen Durchbruch zu erleben.

Schlussbemerkung

Bessere Zeiten sind immer auchdurch Ideen und Taten schöpferi-scher Menschen eingeläutet worden.Mit Hermann Golle und seinem Ge-genkolbenmotor wäre ein zeitgenös-sisches Beispiel für diese bekannteTatsache zu besichtigen und dessenPotenzial zu untersuchen.

NET-Journal

Buchbesprechung

Hermann Golle: “Das Know-how, das aus dem Osten kam”

Eine industriegeschichtliche Dokumentation, geboren aus derBiographie eines Zeitzeugen und erfinderischen Ingenieurs

In zeitgemäßer Abwandlung eines berühmten Ausspruchs von WillyBrandt hat die deutsche Wiedervereinigung zusammengeführt, waszusammengehörte. Historiker, zumal der Wirtschafts- und Technikgeschich-te, aber auch Museen und andere “Gedenkstätten”, haben die Kontinuitä-ten abseits der politischen Geschichte des bis vor weniger als 20 Jahrengetrennten Landes noch so gut wie nicht gewürdigt. Die Aufforderung dazuund der begründete Vorwurf für dieses Versäumnis dürfte dem Autor deshier vorgestellten und 2002 in erster Auflage erschienenen Buches vorbe-halten geblieben sein.

Die Abrisse zur Geschichte Hunderter von Unternehmen und ihrer tech-nischen und wissenschaftlichen Leistungen sowie der Beiträge zur wirt-schaftlichen Entwicklung ihrer Region würden es verdienen, in einem mehr-bändigen Werk ausgebreitet zu werden. Golle hat den Stoff nach Landes-teilen der ehemaligen DDR und für diese bezeichnenden Branchen undMarkennamen geordnet. Eine Fleißarbeit sondergleichen, geprägt durchDetailkenntnisse von häufig intimer Art. Obwohl er keinem Einzelfall kaummehr als wenige Sätze widmen konnte, werden die großen industriege-schichtlichen Zusammenhänge in der Vorkriegszeit, im Dritten Reich, imdurch Mauer und Stacheldraht getrennten Nachkriegsdeutschland undnach der Wiedervereinigung exemplarisch und durch sachkundige Kom-mentare “überdeutlich”.

Deutschland war bis 1945 ein einheitlicher Wirtschaftsraum. Der Begriff“Technologietransfer” kam zwar erst Jahre später auf, aber dieser wurdeschon während der Anfänge des Wiederaufbaus praktiziert, auch von Ostnach West, und vornehmlich durch Abwanderung von Unternehmen undFachkräften in Richtung Westen. Zur Ost-West-Bewegung geistiger undhandwerklicher Intelligenz gehörten auch die aus der UdSSR zurückkeh-renden Könner, die von den Sowjets kassiert und von ihnen zur Fortent-wicklung ihrer ehemaligen “Domänen” verpflichtet wurden. Die einen beug-ten sich den Zwängen der DDR-Planwirtschaft, die anderen fanden Wegein den Westen. Das Know-how, das aus dem Osten kam, wird auch in denglorreichsten Firmengeschichten nur selten angemessen behandelt. Würdeman sich dafür entschuldigen mit der Begründung, man habe seine Wur-zeln übersehen oder nie gekannt, entspräche das wohl oft der Wahrheit.

Dr.-Ing. Hermann Golle, dessen zukunftsweisender Motorentwicklungdieser Artikel des NET-Journals gewidmet ist, schreibt in seinem Buch:

“Die Industriegeschichte Deutschlands muss zum Teil neu geschriebenwerden. Es ist in der früheren Bundesrepublik ignoriert oder schlichtwegvergessen worden, dass die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands eineEinheit bildet und die mitteldeutschen Gebiete technisch und wirtschaftlichhoch entwickelt waren.”

Hermann Golles Wirken ist ein exzellentes “lebendes” Beispiel für seineForderung zur Aufarbeitung der Industriegeschichte im Nachkriegsdeutsch-land. Leider befindet er sich mit seiner Motorentwicklung, deren Konzeptbis 1890 zurück reicht, noch immer im Abseits. Wie üblich, wäre hinzuzufü-gen, wenn die Kreise eines elitären Establishments gestört werden. Aberdas sollte sich bald ändern angesichts dessen existenzieller Notlagen imRahmen einer fortschreitenden Rezession und der Sorgen um die Energie-versorgung und die Bewahrung gesunder Lebensräume. hi

Golle, Hermann: “Das Know-how, das aus dem Osten kam”, ISBN 978-3-89850-061-6, 239 S., geb., Hohenheim Verlag, Stuttgart/ Leipzig, 2. Auflage 2007, 19,90Euro