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Aus der Universit~ts-Nervenklinik Hamburg-Eppendorf. (Prof. Dr. Nonne.) Betrachtungen iiber negativen Liquor spinalis bei Paralyse, Tabes und Lues cerebrospinalis. Von Dr. Carl Albrecht, Assistent der Klinik. Aus der l~ervenabteilung des Hufelandhospitals der Stadt Berlin erschien ira I)ezember 1931 eine Arbeit yon Ahronheim fiber negative Befunde im Liquor bei syphilogenen Nervenerkran- kungen. Ahronheim berichtet, dal3 20 % seiner Tabesf~lle und fiber 10 % seiner Lues cerebri-Kranken negativen Liquor zeigen. I)iese letzte Zahl ist iiberraschend grol] und lockt zu einer Nach- prfifung an einem gr01~eren Material. Wegen der Wiehtigkeit , die das Studium der liquornegativen Neurolues ffir Prognose and Therapie hat, beauftragte reich Herr Prof. 1Nonne, sein groi~es klinisehes Material in dieser Hinsicht durchzuarbeiten. I)er Begriff ,,normaler Liquor" verlangt seit dem Ausbau der Liquordiagnostik strenge Kriterien. Die friiheren Beobachtungen fiber liquornegative l~eurolues stiitzten sich auf eine Beurteilung der ursprfinglichen ,,vier Reaktionen" (l~onne), d. h. der Wal~ in Blur und Liquor, der Globulinreaktionen und der Zellzahl. Heute ist es notwendig, darfiber hinaus zur Feststellung eines normalen Liquors die Kolloidreaktionen und die Bestimmung der Eiweii]- relation heranzuziehen. Ahronheim hat bei seinem Material die Bestimmung der EiweiBrela~ion nicht verwenden kSnnen, sondern sieh auf die fiblichen Globulinreaktionen besehr~nkt. Daher erkl~ren sich, wie im folgenden gezeigt wird, manche Ab- weichungen seiner Resultate yon don unsrigen. Wir fiihren die Mastixreaktion seit 1928 in der yon Kafka an- gegebenen Form der Normomastixreaktion aus und bestimmen seit dem gleichen Zei~punkt die Eiweif]relation nach tier yon Kafka

Betrachtungen über negativen Liquor spinalis bei Paralyse, Tabes und Lues cerebrospinalis

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Page 1: Betrachtungen über negativen Liquor spinalis bei Paralyse, Tabes und Lues cerebrospinalis

Aus der Universit~ts-Nervenklinik Hamburg-Eppendorf. (Prof. Dr. Nonne . )

Betrachtungen iiber negativen Liquor spinalis bei Paralyse, Tabes und Lues cerebrospinalis.

Von

Dr. Carl Albrecht, Assistent der Klinik.

Aus der l~ervenabteilung des Hufelandhospitals der Stadt Berlin erschien ira I)ezember 1931 eine Arbeit yon A h r o n h e i m fiber negative Befunde im Liquor bei syphilogenen Nervenerkran- kungen. A h r o n h e i m berichtet, dal3 20 % seiner Tabesf~lle und fiber 10 % seiner Lues cerebri-Kranken negativen Liquor zeigen. I)iese letzte Zahl ist iiberraschend grol] und lockt zu einer Nach- prfifung an einem gr01~eren Material. Wegen der Wiehtigkeit , die das Studium der l iquornegativen Neurolues ffir Prognose and Therapie hat, beauftragte reich Herr Prof. 1Nonne, sein groi~es klinisehes Material in dieser Hinsicht durchzuarbeiten.

I)er Begriff ,,normaler Liquor" verlangt seit dem Ausbau der Liquordiagnostik strenge Kriterien. Die friiheren Beobachtungen fiber liquornegative l~eurolues stiitzten sich auf eine Beurteilung der ursprfinglichen ,,vier Reaktionen" (l~onne), d. h. der Wal~ in Blur und Liquor, der Globulinreaktionen und der Zellzahl. Heute ist es notwendig, darfiber hinaus zur Feststellung eines normalen Liquors die Kolloidreaktionen und die Bestimmung der Eiweii]- relation heranzuziehen. A h r o n h e i m hat bei seinem Material die Bestimmung der EiweiBrela~ion nicht verwenden kSnnen, sondern sieh auf die fiblichen Globulinreaktionen besehr~nkt. Daher erkl~ren sich, wie im folgenden gezeigt wird, manche Ab- weichungen seiner Resultate yon don unsrigen.

Wir fiihren die Mastixreaktion seit 1928 in der yon K a f k a an- gegebenen Form der Normomastixreaktion aus und bestimmen seit dem gleichen Zei~punkt die Eiweif]relation nach tier yon K a f k a

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eingeffihrten ~Iethode. Wit k6nnen daher fiir die Diskussion der liquornegativen Neurolues nur unser Material aus den letzten 4 Jahren verwerten.

Unter einem ,,negativen Liquor" verstehen wir folgendes : Zellen bis zu 8/3, Mastixzaeke his h6chstens IV, Gesamteiweig bis 1,2, EiweiBquotient nicht fiber 0,5. WaR + (ausgewertet bis 1 cem).

Unsere Untersuchungen s~fitzen sich auf 1004 Kranke der letzten 4 Jahre, bei denen kliniseh die Diagnose auf eine syphilogene Nervenerkrankung gestellt wurde. Und zwar handelt es sich um 236 Paralysekranke, die nicht mit Malaria behandelt waren, um 323 Tabiker, um 315 Lues cerebri-K_ranke und urn 30 Kranke mit isolierter Pupillenst6rung.

A. Wit wollen zun~ehst das Problem der liquornegativen P a r a - lyse bespreehen. Unseres Wissens gibt es in der Literatur keinen Fall yon kliniseh sieherer Paralyse, der vor einer ~alariabehandlung negativen Liquor zeig~e und bei dem sp~ter die Diagnose dutch Autopsie sieherges~ellt werden konnJbe. AIle Autoren sind sich darfiber einig, daft bisher noeh kein Beweis ffir das Vorkommen einer solehen liquornegativen Paralyse erbraeht ist. Unter unseren 236 Paralytikern befindet sich ebenfalls keiner mit negativen Liquorreaktionen. DaB. einzelne Liquorreaktionen negativ sein k6nnen, wird aueh in der Literatur anerkannt. P l a u t u. K ihn bejahen, dab theoretisch die M6gliehkeit einer liquornegativen Paralyse besteht.

Sechs unserer Patienten hatten eine normale Zellzahl, keiner hatte eine negative WaI~ im Liquor, keiner eine normale Mastix- kurve, aber einer hatte vNlig normale EiweiBwerte.

Die b e h a n d e l t e Paratyse zeig~ ein anderes Bild. Sehon vor der M a l a r i a - A r a ist fiber F/~lle yon Paralyse berichtet worden, die beim Station&rwerden oder nach der Behandlung einen nega- Liven Liquorbefund boten. Nonne beriehtet fiber drei F/~lle yon Paralyse, die naeh Behandlung (zwei mi~ kombinierten Hg-Salvar- sankuren, der dritte naeh intralumbaler Salvarsanbehandiung) bei kliniseher Heilung negative l~eaktionen im Liquor bekamen und die, soweit sie wei~er beobachtet werden konnten (n~mlieh 31/2, 4, 7 Jahre) aueh gesund blieben. D r e y f u s berichtet fiber /~hnliehe Erfahrungen. B u m k e h~lt es ffir feststehend, dal~ alle vier Reak- tionen bei station~ren F/~llen negativ werden kOnnen. Seit der Malariabehandlung sind F&lle yon liquorsanierter Paralyse nieht

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selten b e o b a c h t e t worden. B o s c h u. M6 erw~hnen einen solchen Fall. G r f i n te i l t drei F/~lle mit . P l a u t u. K i h n best/~tigen das V o r k o m m e n solcher F~lle, meinen aber, dab dieses prognos t i sch

wenig besagt.

Un te r unse rem Mater ia l l inden sich zwei K r a n k e , die durch

Malar ia im Liquor v611ig sanier t wurden : 1. Ein 42j~hriger Kaufmann, der nach der Geburt angeblieh dutch eine

Amine luisch infiziert wurde (Pemphigus an Hs und Fiil3en), damals mit Jod behandelt wurde und sparer als Schutztruppenoffizier eine spontane Malaria durehmaehte, kommt wegen gereizter Stimmung und mehrerer Ohnmachts- anfs in das Krankenhaus. Es finder sieh auBer einer reflektorisehen Pupillen- starre, leiehtem Vibrieren der Mundmuskulatur, etwas unsicherer Spraehe kein pathologiseher Befund, insbesondere keine st~rkeren geistigen St6rungen. Blur- WaR -t- -~ -~ (triiher angeblieh mehrmals negativ). Im Liquor 68/3 Zellen, WaR 0,2--1,0 -~ -t- @, Mastix: Paralysekurve. Die Nalariakur mit anschliegender Salvarsankur und Jodgebraueh ist erfolgreieh. Erste Nachuntersuchung naeh i Jahr: Psyehiseh v611ig gesund. Blur-WaR -}--~, Liquor 18/3 Zellen, Globulin- reaktion positiv, WaR 0,2--1,0 -t-~--~- Zwei te Naehun t e r suehung nach 7 Jah ren : Er war w~hrend der letzten Jahre als kaufm~nnischer Angestellter in verantwortlicher Stellung t~tig. Blur-WaR -t-, Liquor v61lig normal .

2. Ein 41j~hriger Steuerbetriebsassistent, weIcher sieh mit etwa 30 Jahren luisch infizierte und erst 4--6 Jahre nach dieser In{ektion drei Salvarsan-Queek- silberkuren durehmaehte, wurde mit den Erscheinungen einer typisehen pro- gressiven Paralyse in d~r Staatskrankenanstalt Friedriehsberg aufgenommen. Es fanden sich laut dortigem Krankenblatt: reflektorische Pupillenstarre, Ab- dueensparese, katatone Ha]tungen, Gr6Benideen, hoehgr~dige Intelligenzdefekte. Blut-WaR positiv. Im Liquor 46/3 Zellen, positive Globulinreaktionen. WaR 0,2--1,0 ~ - -~ - . Naeh Malariakur Vollremission. Naeh 6 J ah ren bei an- dauernder Remission Blur-WaR ~. Im Liquor auBer einer Nastixzacke bis VI kein pathologischer Befund. Ein wei teres Jah r sp~ter Naehuntersuchung in unserer Poliklinik: Psychiseh gesund, Blur-WaR 0, Liquor v611ig normal .

B. Schon lange war der E r f ah rene d a m i t v e r t r a u t , dab bei T a b e s im Gegensa tz zur Pa ra lysc der L iquorbe fund in keineswegs

sel tenen F/~llen vOllig nega t iv sein kann . A h r o n h e i m ha t bei se inem Mater ia l e inen sehr hohen P rozen t -

satz l iquornega t ive r Tabesf/~lle festgestel t t . E r f inder un te r 170 T a b e s k r a n k e n 34 F~lle mi t n o r m a l e m Liquor , das sind 20 %. Unsere klinischen E f f a h r u n g e n lieBen uns v e r m u t e n , dab wit un te r unse rem Mater ia l eincn ger ingeren P rozen t sa t z an l iquornega t iver Tabes haben. Eine Nachpr t f fung an e inem gr61~eren Mater ia l ist auch schon deswegen erwtinscht , well durch das H i n z u k o m m e n de'r Unte r suchung der EiweiBrelat ion und der Mas t ix reak t ion die Dia- gnose , ,normaler L i quo r " yon mehr F a k t o r e n abh~ng t als fft iher.

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Wir haben 323 Tabeskranke unter diesen Gesichtspunkten untersucht und linden 33 Kranke, bei denen ein vSllig normaler Liquor vorhanden ist, das sind etwa 10 %. Die DJ/ferenz unserer Zahl yon derjenigen A h r o n h e i m s erkl~rt sich vor allem daraus, dal~ die Feststellung der Eiwei•werte den Begriff ,,normaler Liquor" doeh erheblieh einengen kann. Wir fanden n~mlich 35 F~Ile, bei denen im Liquor alle Reaktionen aul]er den Eiweii~werten normal waren und unter diesen immerhin 14 F~lle, bei denen die EiweiJ]- werte nur um m~13ige Grade pathologiseh erh0ht waren (Gesamt- eiweiI3 bis 1,5 (normal bis 1,2), Eiweil3quotient bis 0,75 [0,5]). Diese Befunde zeigen uns, dal~ die durch die Untersuchung der EiweilL relation erweiterte Liquordiagnostik noeh pathologische Vorg~nge zu erweisen vermag, die friiheren Untersuchungen entgangen waren. Die Feststellung A h r o n h e i m s , dab liquornegative Tubes h~ufig vorkommt, besteht aueh bei Anwendung strengster Krite- rien der Liquordiagnostik zu Reeht; aueh wir fanden 10% der Tabesf~ille liquornegativ.

Eine wiehtige Frage ist, ob die liquornegative Tabes sich in ihrem klinisehen Bilde und in ihrem Verlauf anders verh~lt als die liquorpositive Tabes. Wir haben 33 Tabesf~Llle mit ausgesprochen positivem Liquorbefund mit den 33 l i q u o r n e g a t i v e n Tabesf~llen zusammengestellt, um einen Vergleieh zu unseren liquornegativen F~llen zu haben. Die Untersehiede der beiden Gruppen yon Tabes- kranken sind in der Tat ziemlieh erheblich. Der erste Unterschied bezieht sich auf die Sehwere des Krankheitsbildes. Unter den 33 liquornegativen Tabeskranken linden sieh 16 Patienten, bei denen nicht das Bild einer volt ausgebildeten Tabes dorsalis vor- handen war. Wir verstehen bier unter inkompleter bzw. oligo- symptomatischer Tubes ein Krankheitsbild, bei dem entweder die Pupillenstarre fehlt oder die Areflexie der unteren Extremitgten gar nicht oder mangelhaft ausgebildet ist und bei dem auch sonst eine Armut an Symptomen besteht. Unter den 33 F~llen der liquor- positiven Gruppe zeigten nur vier ein inkompletes Krankheitsbild. Die liquornegative Tubes dorsalis ist also wesentlich h~ufiger rudi- ment/~r und oligosymptomatisch als die liquorpositive Tabes. Diese Feststellung deckt sich mit den Befunden yon D r e y f u s, 1% o b e r t S c h m i d t und W i t t g e n s t e i n . Die liquornegative Tabes k a n n abet auch in seltenen Fgllen ein ausgesprochen polysymptomati- sehes und schweres Krankheitsbild aufweisen. Zwei unserer Fglle

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zeigen unter anderen Tabessymptomen hoehgradige Ataxie, Urin- inkontinenz und arthropathisehe Ver/inderungen. Ein weiterer Kr~nkheitsfall soll wegen der Sehwere und wegen des tt~dliehen Ausgangs hier besproehen werden, obgleieh der Liquor nicht vt~llig negativ ist, indem er als einziges pathologisehes Zeiehen eine 1V[astixzacke bis V hatte.

Es handelt sich um eine 56j/thrige Frau, die eine Infektion negiert, aber vor 20 J~hren schon tabische Krisen hatte, vor 10 Jahren lanzinierende Schmerzen bekam und empfindlich gegen K/ilte wurde; seit 1 Jahr unsicher auf den Beinen ist und Urininkontinenz verSpiirt. Befund: Schlechter Allgemeinzustand; ab- solute Pupfllenst~rre; m~il]ige Hypotonie; Hypalgesie; Schmerzverlangsamung; K/iltehyper/isthesie; Areflexie der unteren Extremit~ten. Schwere fieberhafte Cystopyelitis, Arthropathia deformans, Opium~busus. Die Sektion ergab nekro- tisierende Cystitis mit schwerer doppelsei~iger Pyelonephritis und eine schwere graue Degeneration der Hinterstr/inge.

Dieser Fall ist wichtig, weil er wit die vorhergehenden ~/~lle zeigt, dal] es s c h w e r e Tabeserkrankungen gibt, die einen ~iuflerst geringen positiven Befund im Liquor haben, und andererseits des- wegen, weil sieh hier~n die Fragen anschlieGen, die sich ~uf den Verlauf der liqaornegativen Tabes beziehen.

Die Beurteilung der Frage, ob eine Tabes stationer ist, ist nattirlieh yon den subjektiven Eindriieken des Untersuchers ab- h/~ngig. Von unseren 33 l i q u o r n e g a t i v e n Tabesf~llen sehen wir immerhin 15 als v611ig station&r an (das bedeutet, dafl seit iiber 10 Jahren keine neuen Symptome aufgetreten sind); sechs hat ten iiberhaupt keine Beschwerden. Von der liquor p o s i t i v e n Gruppe sind vier stationer und einer hatte keine Besehwerden. Unter den 15 sicher station/iren F/illen sind 10, bei denen die luische Infektion niemals behandelt wurde. Die liquornegative Tabes, vor allem auch diejenige, welche nieht erst dureh Behandlung liquornegativ wurde, ist also prognostisch wesentlieh giinstiger einzusch/~tzen als die liquorpositive Tabes.

Wenn wir jetzt versuchen, eine eingehendere Analyse des Ver- laufes und der Prognose der liquornegativen Tabes durchzuftihren, miissen wir folgendes beriieksiehtigen: Der Begriff liquornegative Tabes sagt zun/~ehst nichts anderes aus, als dab der Liquor eines an Tabes dorsalis leidenden Kranken in einem gegebenen Moment, n/~mlieh dem der Punktion, ohne naehweisbare patho]ogische Ver- i~nderungen gefunden wird. Es sind theoretiseh mehrere MOglich- keiten fiir das Verhalten des Liquors denkbar, wenn man den

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Liquor bei demselben Kranken in mehr oder weniger grol?en Ab- st~nden fortlaufend untersucht:

1. Der jetzt negative Liquor kann frtiher positiv gewesen sein. W/ihrend des positiven Stadiums entsteht und verschlechtert sich der degenerative Hinterstrangsprozel~, und das Negativwerden ist ein Ausdruek fttr ein Station~rwerden, sei es nun, dab die Tabes rudiment/~r bleibt oder nach roll ausgebildeten Symptomen statio- ner wird, d .h . dab der Prozel3 sich ersch0pft hat.

2. Die tabische Erkrankung kann sieh progredient in ihrem Symptomenbild ausgestalten, ohne dal3 der Liquor jemals patholo- gisehe Vergnderungen zeigt, oder die Tabes kann w/~hrend der negativen Liquorlohase noch weiterhin Iorogredient sein. Die siehere Beurteilung solcher F~lle ist dadurch ersehwert, dab Lumbalpunk- tionen nut in gr6Beren Zwischenr/~umen vorgenommen werden, und man nieht aussehlieBen kann, daft in der Zwischenzeit der Liquor- befund einmal positiv war.

3. Ein negativer Liquor kann mit und ohne Verschleehterung des klinisehen Bildes wieder positiv werden.

Unter unseren Fitllen linden wit Beispiele ftir die beiden ersten dieser M~Sglichkeiten.

Fall 11. Ein 27j~thriger Kaufmann hat eine inkomplete Tabes mit gastrisehen Krisen. WaR im Liquor positiv. 1 Jahr naeh Malariakur ist der Liquor negativ.

Fall 12. Eine 42jahrige Frau hat eine inkomplete Tabes; der jetzt normale Liquor hatte vor 5 Jahren eine leiehte Pleozytose gezeigt.

Fall ]6. Ein 54j~hriger Mann, der vor 1 Jahr bei Pupillenst6rungen, Sehwetlenlabilits und lanzinierenden Sehmerzen im Liquor 10/3 Zellen, Wal~ 1,0 @ ~-t-, Gesamteiwei/?erh6hung auf 1,3 hatte, zeigt jetzt ohne Behandlung normMen Liquor.

Fall 14. Eine 40j&hrige Frau, die sieh wahrseheinlieh rnit 19 Jahren infiziert hat, kommt wegen seit 3 Jahren bestehender lanzinierender Schmerzen und seit 1 Jahr bestehender Stuhl- und Urininkontinenz und wegen Parasthesien und Analgesie ins Krankenhaus. Befund: Volltabes mit Ataxie und ttypotonie. Auf 40g t~g und 3 g Neosalvarsan ]31ut-WaR negativ. 1 Jahr spgter Liquor: 16/3 Zellen, Globulinreaktion ~-, WaR ~. Wieder 100 g Hg. 12 Jahre sp&ter mit 54 Jahren auBer Arthropathia tabiea beider Kniegelenke v611ig station&rer Befund, Liquor vOllig negativ.

Fall 15. Bei einem 50j&hrigen Manne mit inkompletter Tabes ist der vorher positive Liquor 1 Jahr naeh Malariakur vOllig negativ.

FM1 17. Bei einem 39j~hrigen Manne, der vor 18 Jahren eine luisehe In- fektion hatte und vier his ffinf Salvarsankuren durehmaehte, findet sieh eine Volltabes. Blut-Wag 0. Liquor: Globulinre~ktionen ~-4 , WaR bei 1,0 -~-t--t-. Behandlung mit Hg und Salvarsan. Bei zwei Nachkontrollen, die eine 9 Jahre

Deutsche Zeitsehrift f. Nervenheilktmde. Bd. 127. 19

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sp~ter, die andere 13 Jahre sparer, wird der Liquor v6llig normal gefunden. Inzwischen waren ausgepr~gte arthropatMsehe Ver/~nderungen hinzugekommen.

Von unseren 33 l iquornegat iven Tabesf~llen sind im ganzen n u t sieben nachweisl ieh Jn frf iheren Krankhe i t s s t ad i en p u n k t i e r t wor-

den. Die e rw~hnten seehs P a t i e n t e n b a t t e n bei frf iheren P u n k -

t ionen einen pos i t iven Liquorbefund , w~hrend n u t einer daue rnd

nega t iven Liquor zeigte.

Diese Beispiele lassen es als sehr wahrscheinl ieh erseheinen, dag

in vielen yon den 26 F~llen, bei denen wit n icht fiber Punk t ions - ergebnisse aus frf iheren Stadien verffigen, ebenfalls ein pos i t iver

L iquorbefund v o r h a n d e n war.

Zu 2. : Hie r seien zuns vier K r a n k e erw/~hnt, bei denen vor 1 - -2 J a h r e n zuers t t in nega t ive r L iquor fes tgestel l t wurde und in

den le tz ten Monarch eine N a e h p u n k t i o n v o r g e n o m m e n wurde. Bei allen blieb der Liquor nega t iv und der klinisehe Befulld s ta t ioner .

Der fo]gende wiehtige Fal l g ibt AufschluB fiber die Frage, ob eine

Tabes dorsalis bei daue rnd nega t iv b le ibendem Liquor en t s tehen

und sieh for ten twieke ln kann .

Fall 6. Ein 35j~hriger Funkoffizier, weleher vor 8--9 J~hren ein Ulcus durum am Penis hatte und nut 14 Tage lang I-Ig schmier~e, kam wegen Pur- ~sthesien und Sehmerzen in den Beinen zum erstenmal in das Xrankenhaus. Befund. Pupillen etwas verzogen, reagieren auf Lieht und Konvergenz, tIyp- algesie, Aehillessehnenreflex links fehlend. Blut-WaR negativ, Liquor normal. Diagnose: Neuropathie? Tabes ineipiens*. Zweite Krankenhausaufnahme mit 36 Jahren wegen lanzinierender Sehmerzen. Neue Symptome: ScMeehte Lieht- reaktion, herabgesetzte Konvergenzreaktion, leiehte I-Iypotonie, Patellarsehnen- reflexe beiderseits p~thologiseh schwaeh, Achillessehnenreflexe beiderseits feh- lend. Blut-Wal~ negativ, Liquor o. B. Diagnose: Tabes dorsaIis. 80 g Hg. Dritte Wiedervorstellung 4~ Woehen sp~ter: Patellarsehnenreflexe jetzt beider- seits fehlend, Romberg angedeutet. Vierte t(.rankenhausaufnahme mit 39 Jahren wegen starker lanzinierender Schmerzen, Doppeltsehen und seit ~/e Jahr be- stehender Urininkontinenz. Neue Symptome: Reduzierter Ern~hrungszustand, Abdueensparese, Sehmerzverlangsamung, K~ltehyper~sthesie. Fiinfte Kranken- hausaufnahme mit 40 Jahren (1/~ Jahr vorher wegen gastriseher Krisen Malaria- kur in einem anderen Krankenhaus), stationgrer Befund. Seehste Krankenhaus- aufnahme mit 42 Jahren, keine l~nzinierenden Sehmerzen oder Krisen mehr, Befund stationer. WaI~ im Blur ~, Liquor o. B.

D i e s e r F a l l z e i g t , d a b es d u r e h a u s m o g l i e h i s t , d a b t r o t z d a u e r n d n e g a t i v e m L i q u o r b e f u n d e i n l a n g s a m e s F o r t s e h r e i t e n d e s d e g e n e r a t i v e n P r o z e s s e s s t a t t f i n d e t . B e t Fa l l ist leider der einzige, bei dem die Entwiek lung der K r a n k - hei t fiber viele J ah re dureh K r a n k e n h a u s b e o b a e h t u n g e n zu ver -

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folgen war nnd gleichzeitig eine h~ufigere Liquorkontrolle vorge- nommeu wurde. Bei den ersten Punktionen wurde keine Mastix- kurve angefertigt und wurde keine Eiweil3relation bestimlnt. Ferner weil3 man selbstverstttndlich nieht mit Sicherheit, ob im Primgr- und Sekund/~rstadium der Liquor ebenfal]s negativ war, und ob zwischen den oft jahrelang auseinander liegenden Punktionen der Liquor vorfibergehend geringe positive Reaktionen gehabt hat. Trotzdem m6ehte ich annehmen, dab man aus diesem Fall mit einiger Sicherheit den Sehlul3 ziehen darf, dab eine Tabes dorsalis bei negativem Liquor progredient sein kann. Wir verftigen fiber drei F/~lle, welehe den Eindruck erwecken, ale ob die anamnestiseh festgestell~e Progredienz in den letzten Jahren sich in ghnlicher Weise bei dauernd negativem Liquor abgespielt hat. Bei diesen Kranken ist die luisehe Infektion hie behandelt worden. Der nega- tive Liquor beruht also nicht auf vorausgegangener Behandlung. Es sind Tabesfg!le, die in den letzten Jahren progredient waren und prim/~rnegativen Liquor haben. MOglich ist, dab der Liquor erst seit kurzer Zeit negat ivis t (vgl. oben Fall 12 und 16), und dab dieses ein Ausdruck daffir ist, daI3 der Befund yon jetzt ab stationer bleibt; wahrscheinlicher is~, dab die Progredienz der letzten Jahre, wie bei Fall 6, mit negativem Liquor einherging.

Andere Autoren ( S c h m i d t , D r e y f u s , W i t t g e n s t e i n ) haben ebenfalls bei einigen Kranken mit primiirnegativem Liquor trotz weiterhin negativen Liquors eine langsame ProgTedienz der Tabes meist nur der Intensit~t, manchmal auch dem Umfange der Sym- ptome nach, gefunden. Auch Kranke mit sekundgrnegativem Liquor kSnnen eine Progredienz des degeneratives Prozesses zeigen (Grfin).

Zu 3 : Wit verfiigen nicht fiber Beispiele, bei denen ein negativer Liquor wieder positiv geworden ist. D r e y f u s sah prim~rnegativen Liquor niemals, sekund~rnegativen Liquor manehmal sp~tter wieder positiv werden.

A h r o n h e i m erw~hnt in seiner Arbeit noeh andere Unter- sehiede der liquornegativen und liqnorpositiven Tabes, die wir nieht best/~tigen konnen; z. B. haben wit keine Unterschiede hin- sichtlich der Inkubationszeiten finden k(~nnen In beiden Gruppen entspraehen die Inkubationszeiten denjenigen, die ftir die Tabes dorsalis als die durehschnittlichen angenommen werden Auch das Verh~ltnis yon Frauen zu Mgnnern entspraeh etwa dem unseres

19.

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Gesamtmaterials. Unter unseren 33 liquornegativen Kranken fanden sieh 13 Frauen und 20 M~nner, unter den 33 liquorpositiven 14 Frauen und 19 Ms Das Durehschnittsalter der Kranken beider Gruppen ist kaum mltersehieden; bei den liquornegativen betr~gt es 46,1, bei den liquorpositiven 45,6 Jahre. Der Gipfel der Alterskurve liegt bei der liquornegativen Gruppe zwisehen 51 und 55 Jahren (9 FMle), bei der liquorpositiven zwisehen 41 und 45 Jahren (7 FMle). Zwisehen 46 und 50 sowie zwisehen 51 und 55 Jahren linden sieh in dieser Gruppe ]e 6 t~&lle. Die WaR im Blut war bei den liquorneg~tiven Kranken 7 m M u n d bei den liquorpositiven l~a-auken 20mM positiv.

Ein Untersehied zwisehen beiden Gruppen finder sieh hinsieht- lieh der Vorbehandlung:

Beh~ndlung Liquornegative Liquorpositive

Uberhaupt keine . . . . . . . . . . . . . . . 13 9 Ers t nach Auttreten der Tabes . . . . . . . . . 13 11 Mangelhafte Behandlung der 1. und 2. L u e s . . . 3 3 Gute Behandhmg der 1. und 2. Lues . . . . . . $ 10

Unser Material zeigt zu kleine Zahlen, um beweiskr~ftig zu dem bekannten Streit Stellung zu nehmen, ob die Behandlung tier Lues das Entstehen der sehweren Nervenlues begiinstig~, ersehwert oder nieht beeinflugt. Die Gegentiberstellung scheint abet zum Ininde- steu offensichtlich zu maehen, dab unsere Tabeskranken ihren negativen Liquor nicht einer grtindlichen Behandlung der Frtih]ues verdanken. Nach N o n n e s Erfahrungen, die er mehrere Male auf Kongressen ausgesproehen und literarisch festgelegt hat, sieht man hs einerseits gutartige bzw. imperfekte und station~re Tabes und Paralyse bei nach der Infektiou n i c h t oder mangelhafL be- handelten F~llen, andererseits schwere F~lle der Metalues naeh intensiver Behandlung der Luesinfektion. N o n n e hat diese Auf- fassung bisher niem~ls in Zahlen bewiesen. Die obige kleine Sta- tistik sprieht in seinem Sinne.

C. Unter unserem Gesamtmaterial an syphilogenen Nerven- krankheiten linden sieh 31 gglle mit isolierten PupillenstOrungen. Unter diesen 31 Kranken haben 12 einen normalen Liquor. Wir halten es ftir riehtig, diese Fglle aus der Gruppe der Lues eerebri- Kranken herauszunehmen und sie gesondert zu bespreehen. Die reflektorisehe Pupillenstarre ist unter unseren liquornegativen t~Mlen in gleieher H~ufigkeit vorhanden wie die absolute Pupillen-

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starre. D r e y f u s und seine Schiller haben festgestellt, dal3 die Prog~lose der liquornegativen isolierten PupfllenstOrungen eine andere ist als diejenige der liquorpositiven. Sowohl die primer liquornegativen als aueh die sekund~rnegativen F~ille sind stationer and als ausgeheilt anzusehen. N o n n e schr~nkt diese schar~e Auf- fassung ein and hat Ausnahmen gesehen. Die liquorpositiven F~lle haben eine zweifelhafte Prognose (Wi l l l enweber ) .

D. Von insgesamt 315 Kranken mit der klinischen Diagnose Lues eerebrospinMis haben nur sieben F~lle einen vollig negativen Liquorbefund. Unter diesen sieben F~llen befindet sieh nut einer, der einen prims Liquor hat, w~hrend die ilbrigen sechs ihren negativen Liquor erst durch die Behandlung gewannen. Unsere F~lle unterstreichen die bekannte Tatsaehe, dab eine Lues cerebrospinalis unter Negativwerden und Negativbleiben des Li- quors vNlig ausheilen kann. Wir haben Beispiele solcher Aus- heilungen sowohl filr die endarteriitische als auch ftir die meningo- myelitische Form der Lues cerebrospinalis. Filr die gummose Form ist das ohnehin bekannt.

Full 1 (endarterii~isehe Form). Eine 45jahrige Frau, welehe vor 11 Jahren an Doppeltsehen und L~hmung des reehten Beines mit loositivem Liquorbefnnd erkrankte und damals eine Salvarsankur durehmaehte, hat ietzt einen normalen neurologisehen Befund und einen vSllig normalen Liquor.

Full 2 (meningomyelitische Form). Ein Steward, dermit 23 Jahren eine Lues bekam, und mit vier Sehmierkuren behandelt wurde, wurde mit 28 Jahren wegen Urinverhaltung, Urininkontinenz, Sehw&ehe und Unsieherheit in den Beinen zum erstenmal im Krankenhaus beobaehtet. Befund: Diirftiger Er- n~ihrungszustand. Normale Pupillen. Spastisehe Parese der Beine bei regel- reehter Sensibilit/~t. Bht-WaR positiv. Liquor-Wal~ 0,3--1,0 @@-~. Auf Queeksilber-Salvarsankur Besserung der spastisehen Erscheinungen. 1A Jahr sparer Blut-Wal~ positiv, im Liquor 31/3 Zellen, Globulinreaktionen negativ, WaR negativ. Mit 3i Jahren erneute Neosalvarsankur. Zweite Beobaehtung mit 35 Jahren: Spastiseher Gang, Inkontinenz, tr/~gt Urinar. Befund ziemlich nnver~ndert. Dritte tleobaehtung mit 44 Jahren: l%urologiseher Befund seit 16 Jahren unverhndert: Spastisehe Sloinalparalyse mit Urininkontinenz. Blur- WaR und Liquor vSllig negativ.

Fall 1 und 2 sind K_ranke, bei denen augenseheinlich der luische ProzeB ausgeheilt bzw. v/)llig station/~r geworden ist. Es sind im Sinne yon D r e y f u s sekund/ir liquornegative F&lle. Man kann mit grol3er Sicherheit annehmen, dab sic nicht wieder progredient werden. Bei dem folgenden Fall ist die Prognose hinsichtlich des Negativbleibens des Liquors fraglicher.

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Fall 3. Ein 33j~thriger Kaufmann erkrankt 10 Jahre naeh der Infektion mit psychisehen StOrungen und einer Parese des rechten Armes. Befund: Etwas tr~ge Lichtreaktion und rechtsseitig gesteigerte Armreflexe. Der Liquor zeigt Wal~ 0,5 @(+) , 1,0 + + und Mastixzacke. 1 Monat sparer na.ch Malariakur ~uger Gesamteiweif]erh6hung uuf 1,.1~ und Erh6hung des EiweiBquotienten auf 0,7 normaler Liquorbefund. Weitere 2 Monate Sl0~ter Liquor vSllig normal.

Fall 4. Eine 44j~hrige Frau kommt wegen sehr starker Kopfschmerzen und typiseher Migr~neanf~lle. Im Liquor Wal~ 1,0 + - ~ - . Gesamteiweig 1,9. Eiweigquotient 0,9. Naeh Malariakur keine Xopfsehmerzen. Der Liquor ist normal.

Bei diesen Kranken ist erst kurze Zeit seit der Behandlung ver- gangen. Wie uns weitere Erfahrungen zeigen, kann ein dutch Be- handlung negativ gewordener Liquor sparer wieder positive Be- funde zeigen. Bei zwei ~gllen (Nr. 5 und 6, wahrscheinlich end- arteriitische Formen der Lues cerebri) wurde dureh Behandlung der positive Liquorbefund v611ig saniert. 1 Jahr spgter zeigte sieh bei beiden eine m~l~ige Gesamteiweil~erh0hung und eine Mchte Mastix- zaeke, ohne daft neue klinische Erscheinungen auftraten. Die eben besprochenen sechs Lues eerebri-Kr~nken hatten alle frtiher nach- weislich einen positiven Liquorbefund. Der jetzige neggtive Be- fund, der bei zweien nur voriibergehend war, ist also nichts anderes Ms ein Zeiehen far den dureh die Behandlung erzielten Erfolg.

Unter 315 an Lues eerebrospinMis leidenden Kranken findet sich, wie schon erw~hnt, nur ein einziger, der kliniseh die Symptome einer ~ktiven Lues eerebri bietet und trotzdem einen vollig nor- malen Liquor besitzt.

FalI 7. Eine 38j~hrige F~tientin, die yon einer Luesinfektion niehts weit~ und niemals spezifiseh behandelt wurde, h a t t e v o r a/4 J~hr eine fliiehtige Lah- mung des reehten Armes und vor 9 Tagen eine voriibergehende Sehw~ehe der linken Extremiti~ten. AuBer einer reilektorisehen Pupillenstarre, dem Fehlen des linken Aehillessehnenreflexes und einem positiven Blut-Wal~ besteht kein pathologiseher Befund. Der Liquor is~ normal.

Dieses Ergebnis unserer Untersuehungen steht im auffallenden Gegensatz zu den Befunden Ahronhe ims . A h r o n h e i m findet unter 214 Lues eerebri-Kranken 25 Falle mit negativem Liquor. Der Widersprueh erkl/~rt sieh vielleieht, wenn man bedenkt, dal? A h r o n h e i m keine n~here Differenzierung seiner F~lle vornimmt. Es ist nieht zu erkennen, bei wievielen seiner Kranken der Liquor dutch Behancllung negativ geworden war, und wieviele wirklieh prim~rnegativ waren. Ferner hat er vielleieht die Gruppe der iso- lierten Pupillenstorungen unter seine Lues eerebri-Kranken ein-

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gereehnet. Wir Iinden also, dal3 die liquornegative Lues cerebri verh~ltnism~Big selten vorkommt. Um die Frage zu kl~ren, ob unsere geringen Zahlen auf die Strenge unserer Liquordiagnostik zurfiekzuftihren sind, habe ieh s~mtliehe Lues cerebri-F~lle heraus- gesueht, bei denen zwar kein vollig normaler, abet doGh nur ein gering positiver Liquorbefund vorhanden war (WaR negativ, Mastixzaeke bis h6ehstens VI, Zellen bis 19/3, Gesamteiweil]er- h~)hung his 1,5, Erh6hung des EiweiBquotienten bis hSehstens 0,75). Es linden sich nut aeht FS~lle. Unter diesen befinden sieh drei an endarteriitiseher Form der Lues eerebri leidende Kranke, deren Irfiher positiver Liquor dureh Behandlung negativ wurde. Bei dem vierten Fall handelt es sieh um eine sehr unsiehere luisehe spastisehe Spinalparalyse (wahrseheinlieher multiple Sklerose), bei dem ffinften Fall um eine fragliehe meningeMe Form mit Pupillen- st~)rungen and Kopfsehmerzen. Nr. 6 und 7 haben auBer den Pupillenst6rungen flfiehtige, l~nger zurfiekliegende Paresen in der Anamnese. Der aehte Fall hat eine tIemiparese, die auf antilu- isehe tfehandlung sehnell zur~ekgeht.

Wenn wit Ms Erg/~nzung zu unseren liquornegativen F~llen diese wenigen and teilweise unsicheren F~lle mit geringem Liquor- befund tiberblieken, gewinnen wit nieht den Eindruek, dub die Kleinheit der Prozentzahl unserer liquornegativen Fi~lle dureh die Strenge unseres Begriffes ,,negativer Liquor" verursaeht ist. Nonne hat friiher die Meinung vertreten, dub zwar bei der unkomplizierten endarteriitisehen Form der Hirnlues night ganz selten Mle vier geaktionen im Liquor negativ sind, dab aber, abgesehen hiervon, eine Lues eerebrospinMis mit negativem Liquorbelund nieht vor- kommt. Diese Meinung seheint dureh die Tatsaehe best/~tigt zu werden, dag wit unter 315 LuGs eerebri-Ka-anken nut einen einzigen Fall mit primgrnegativem Liquor finden, and dal3 dieser zur end- arteriitischen Form gereehnet werden muff.

In der Literatur der 1etzten 10 Jahre wurde aber nicht nar fiber F~lle yon prim~rnegativer endarteriitiseher Lues cerebri 6fter be- richter, sondern es finden sieh aueh verl~gliehe Angaben fiber prim/~rnegativen Liquor bei anderen Formen tier Lues eerebri: S o 1 o m o n u. K1 a u d e r beriehten ausfiihrlieh fiber zwei Kranke mit multiplen Gehirnnervenst0rungen and ferner fiber einen Kranken, bei dem trotz negativen Liquors ein zerebrales Gamma diagnosti- ziert wurde. Die Operation best~ttigte die Diagnose. S e h m i d t sah

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zwei F/tile, bei denen auBer PupillenstSrungen noch Augenmuskel- stSrungen nachweisbar waren. Schgber sah /Sfter, ,daG syphili- tisehe Patienten mit isolierten starken Kopfschmerzen negativen Liquor batten und trotzdem duroh Behandlung geheilt wurden. Einen sieheren Fall yon unbehandelter liquornegativer syphili- tischer Meningomyelitis habe ich in der Literatur nicht ~inden kSnnen. Ein FM1 yon Solomon u. K l a u d e r mit spastischer Paraplegic ist nut f a s t liquornegativ. Ohne Autopsie kann nieht entschieden werden, ob ein Fall mit spinMen, querschnitts~hn- lichen Symptomen bei negativem oder fast negativem Liquor auf einer Meningomyelitis luica beruht oder ob es sich nicht vielmehr um Myelomalazie auf endarteriitischer Grundlage handelt. Aueh kann man in solehen F~llen nicht mit Sicherheit das Vorliegen einer multiplen Sklerose ausschlieBen.

Auf Grund der Angaben in der Literatur ist wohl die Ansicht berechtig~, dab auch die gummSse und meningeale Form der Lues cerebri mit prim/~rnegativem Liquor einhergehen kann. Unsere Befunde legen aber die Annahme nahe, dab dieses tiberaus selten ist. Fiir die meningomyelitische Form scheint uns der Beweis noch nieht erbracht zu sein. Dal~ n~ch grtindlicher Behandlung der Liquor auch bei der meningomyelitisehen Form negativ werden und negativ bleiben kann, h~ben wir oben an einem Beispiel best~tigt.

Z u s a m m e n f a s s u n g .

Die Fortsehritte der letzten Jahre in der Liquordiagnostik maehen as erw/inscht, die Fmge der liquorneg~tiven syphilogenen Nervenkrankheiten an einem gr0Beren Material erneut zu prtifen.

Es zeigte sieh, dab vor allem dutch die Bestimmung der Eiweig- relation (Kafka) noeh pathologisehe Vorg~nge im Liquor naeh- gewiesen werden k6nnen, die den frfiheren Untersuehungen ent- gehen muBten. Dutch die Heranziehung der Eiweigrelation wird die Zahl der liquornegativen Neuroluesfi~lle erheblieh eingeengt.

Unter 236 an Paralyse leidenden Kranken, die nieht mit Malaria behandelt wuren, hatte keiner einen negativen Liquorbefund. Dureh Malariakur wurde bei zwei Kranken der Liquor vSllig saniert.

Unter 323 an Tabes dorsMis leidenden Kranken fanden wit 33 (etwa i0 %) mit v611ig normalem Liquor. Die liquornegative T~bes

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ist wesentlich h~ufiger oligosymptomatisch als die liquorpositive Tabes, sic k a n n abet aueh ein polysymptomatisches Bild zeJgen. Sic ist zumeist stationer, manchmal langsam progredient.

Viele der liquornegativen F/tlle hat~en frtiher ein Stadium mit positivem Liquor. Ein dauernd negativer Liquor schliel3t aber eine Entwieklung einer Tabes sowie eine Progredienz einer bestehenden Tabes nicht aus.

Bei den liquornegativen Tabesf~llen, die, wie wir sahen, hi~tffig oligosymptomatisch und station/~r sind, ist die prim~re und sekun- di~re Lues wesentlieh h~ufiger mangelhaft oder gar nicht behandelt worden als bei den sehweren, prognostiseh ungtinstigeren liquor- positiven F~llen.

Unter 31 F~llen mit isolierten Pupillenst(~rungen linden sich zw01f liquornegative ]~iille. Unter 315 an Lues eerebri leidenden Kranken batten nur sieben einen normalen Liquorbefund, bei sechs dieser Patienten ist der negative Liquor Folge einer erfolg- reichen antiluischen Behandlung.

Sowohl die endarteriitische als auch die meningomyelitische Form der Lues cerebrospinalis kann dureh Behandlung klinisch stationer und im Liquor negativ werden. 57ur e in Kranker, der an unkom- plizierter endarteriitischer Lues cerebri lira, hatte p r imi~rnega- r i v e n Liquor.

Aus der Literatur ist bekannt, daft auch andere Formen der Lues cerebri (Gummi, multiple Gehirnnervenl~hmungen, isolierte Kopfschmerzen) primiirnegativen Liquor haben k6nnen. Dieses sehen wir als iiufterst selten an. Das Vorkommen negativen Liquors bei der Meningomyelitis luiea is~ unseres Erachtens nicht erwiesen.

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