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www.der-betrieb.de Arbeitsrecht Kompakt Arbeitsvertragsrecht/Tarifvertragsrecht )>D8]258090 111. Praxishinweise Die Begründung des BAG überzeugt absolut. Der Arbeitgeber hat mit vorliegender Klausel zum Ausdruck gebracht, dass mit dieser nu r die Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitneh- mer mit Gewerkschaftsmitgliedern bezweckt werden soll. Zur Vermeidung langwieriger gerichtlicher Auseinandersetzungen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich jeweils um Kollektivtatbestände handelt, weshalb regelmäßig mehr als nur ein Arbeitsverhältnis von der Auslegung einer Bezug- nahmeklausel betroffen ist, empfiehlt sich die Aufnahme einer ausfÜhrlicheren Regelung in den Arbeitsvertrag, auch wenn dieser dadurch (noch) umfangreicher wird. Eine transparente Regelung könnte in etwa wie folgt formuliert werden: Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag Bedingte zeitdynamische Verweisu ngsklausel Die Auslegung des Inhalts von Bezugnahmeklauseln aufTärif- verträge wird in der praktischen Beratung insbesondere unter zwei Gesichtspunkten relevant: Welche Folgen hat ein mög- licher Verbandsaustritt? Was gilt bei einem Betriebsübergang? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, ob sich ein Ver- bandsaustritt lohnt oder wie eine Harmonisierung von Arbeits- vertragsbedingungen nach Betriebsübergangbewerkstelligt werden kann. Mit dem vorliegenden Urteil hat das BAG eine überzeugende Antwort für eine häufig anzutreffende Formu- lierung einer Bezugnahmeklauselgegeben. BAG,Urteil vom 05.07.2017 - 4 AZR 867/16 Musterformulierung ,Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der . . . [tndus- triezweig] in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Bezugnahme nur so lange gilt, wie der Arbeitgeber unmittelbar und zwingend an dieseTarifverträge gebun- den ist. Entfällt die unmittelbare und zwingende Wirkung, gelten die Tarifverträge statisch in der zuletzt unmittelbar und zwingend beim Arbeitgeber geltenden Fassung fort, soweit sie nicht durch andere Abmachungen ersetzt werdend RA/FAArbR Dr. Matthias Köhler LL.M.(Sydney) ist tätig bei Baker& McKenzie in Berlin. Kontakt: [email protected] 1. Sachverhalt In dent:im Jahr 1992abgeschlossenen Arbeitsvertrag findet sich u.a. folgende Regelung: "Es gelten die Bestimmungen der.fÜr den Einsatzort einschlä- gigen Tarifverträge.für die Beschäftigtenim Einzelhandel - soweit sie.fürH verbindlich sind sowie etwaige Betriebsver einbarungen/-ordnungen in ihrerjeweiLs geltenden Fassung." In den folgendenJahren, zuletzt in 2006, schlossen die Arbeits- vertragsparteien Änderungsvereinbarungen zum bestehen- den Arbeitsvertrag. Die Bezugnahmeklausel blieb allerdings unverändert. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten trat zum 31.12.2011 aus dem Arbeitgeberverband "Rheinischer Einzel- handels- und Dienstleistungsverband' aus. Mit Wirkung zum O1.01.2013 ging dasArbeitsverhältnis der Klägerin im Rahmen eines Betriebsübergangs aufdie Beklagte über. Diesewar nicht tarifgebundenes Mitglied eines Arbeitgeberverbands. Die Arbeitnehmerin machte mit der Klage Ansprüche aus einem in 2013abgeschlossenen Tarifvertrag für die Beschäftig- ten im Einzelhandel geltend. Siehatte vor dem Arbeitsgericht Erfolg, das LAG wies ihre Klage dagegenab. Die in den Arbeitsverträgen im Unternehmen existierenden Bezugnahmeklauseln sollten regelmäßig überprüft und nach Möglichkeit vereinheitlicht werden. Damit sollte nicht erst vor einem geplanten Verbandsaustritt, Betriebsübergang o.ä. begonnen werden. Nur so lässt sich die notwendige Flexibili- tät erhalten bzw. herstellen. Im Rahmen von Transaktionen kommt es nicht selten vor, dass ein (potenzieller) Erwerber in einem Unternehmen drei Bezugnahmeklauseln mit unter- schiedlicher Wirkung gegenübersteht, die eine Harmonisie- rung von Arbeitsvertragsbedingungen deutlich erschweren.Es ist dabei zu unterscheiden zwischen der statischen Bezugnah- meklauselund der kleinen bzw. großen Bezugnahmeklausel. Bei der statischen Bezugnahmeklausel wird aufeinen Tarifver- trag in einer ganz bestimmten Fassung verwiesen. Änderungen desjeweiligen Tarifvertrags finden auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Als kleine dynamische Bezugnah meklausel wird die Bezugnahmeauf einen bestimmten Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung bezeichnet und bei der großen dyna- mischen Bezugnahmeklausel wird die jeweilige Fassung der einschlägigen Tarifverträge der jeweiligen Branche in Bezug genommen. Die aus unterschiedlichen Bezugnahmeklauseln folgende Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern kann nicht nur Einfluss aufdie Mitarbeitermotivation haben, esbereitet auch Schwierigkeiten bei der Abrechnung der Arbeitsver- hältnisse, weil jeweils genau geprüft werden muss, an welche Arbeitnehmer tarifvertragliche Veränderungen weiterge geben werden müssen.Freilich wird der Arbeitgeber häufig Überzeugungsarbeit zur Änderung der Bezugnahmeklausel leisten massen,weil eine einseitige Änderung durch Ände- rungskündigung regelmäßig ausscheidet. Allerdings lohnt sich der Aufwand in aller Regel, und zwar selbstdann, wenn der Arbeitgeber im Gegenzug arbeitnehmerfreundlichere Arbeitsvertragsbedingungen anbietet. 11. Entscheidung Das BAG folgte mit seiner Entscheidung dem Urteil desLAG. Dieses habe die Klausel zu Recht als bedingte zeitdynamische Verweisung ausgelegt, weshalb mit dem Austritt der früheren Arbeitgeberin zum 31.12.201 1über die Nachbindung($ 3Abs. 3 WG) nur noch die zum 31.12.2011 geltenden Tarifverträge aufdas Arbeitsverhältnis anwendbar gewesen wären. Nach diesem Zeitpunkt abgeschlos- sene Tarifverträge Bänden aufdas Arbeitsverhältnis dagegen keine Anwendung. Der Gleichstellungszweckkomme in einer Bezug- nahmeklausel jedenEäUs dann ausreichend zum Ausdruck, wenn der Zweckund die Folgen in der Regelung eindeutig beschrieben seien. Die Aulhahme der Normen des WG zur Tarifbindung seien dagegen für äe Vereinbarung einer GleichsteUungsabrede nicht zwingend erforderlich. Durch dasWort"vera!/z(elch" werde hinrei- chend deutlich zum Ausdruck gebracht, dassfur die Anwendung der einschlägigen tarifvertraglichen RegelungenVoraussetzung eine unabhängig vom Arbeitsvertrag bestehendeBindung der Arbeitgeberin an den fraglichen Tarifvertrag sei. l Bgdgk119DgHer Hinweis: Volltext-Entscheidung online unter RSI 257349. DER BETRIEB Nr.01-02 12.01.2018 69

Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag€¦ · O1.01.2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Rahmen eines Betriebsübergangs aufdie Beklagte über. Diese war nicht

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Page 1: Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag€¦ · O1.01.2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Rahmen eines Betriebsübergangs aufdie Beklagte über. Diese war nicht

www.der-betrieb.de Arbeitsrecht Kompakt

Arbeitsvertragsrecht/Tarifvertragsrecht )>D8]258090 111. Praxishinweise

Die Begründung des BAG überzeugt absolut. Der Arbeitgeberhat mit vorliegender Klausel zum Ausdruck gebracht, dass mitdieser nu r die Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitneh-mer mit Gewerkschaftsmitgliedern bezweckt werden soll. ZurVermeidung langwieriger gerichtlicher Auseinandersetzungenund unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich jeweilsum Kollektivtatbestände handelt, weshalb regelmäßig mehrals nur ein Arbeitsverhältnis von der Auslegung einer Bezug-nahmeklausel betroffen ist, empfiehlt sich die Aufnahme einerausfÜhrlicheren Regelung in den Arbeitsvertrag, auch wenndieser dadurch (noch) umfangreicher wird. Eine transparente

Regelung könnte in etwa wie folgt formuliert werden:

Bezugnahme auf Tarifvertrag im Arbeitsvertrag

Bedingte zeitdynamische Verweisu ngsklausel

Die Auslegung des Inhalts von Bezugnahmeklauseln aufTärif-verträge wird in der praktischen Beratung insbesondere unterzwei Gesichtspunkten relevant: Welche Folgen hat ein mög-licher Verbandsaustritt? Was gilt bei einem Betriebsübergang?Von der Beantwortung dieser Fragen hängt ab, ob sich ein Ver-bandsaustritt lohnt oder wie eine Harmonisierung von Arbeits-vertragsbedingungen nach Betriebsübergang bewerkstelligtwerden kann. Mit dem vorliegenden Urteil hat das BAG eineüberzeugende Antwort für eine häufig anzutreffende Formu-lierung einer Bezugnahmeklausel gegeben.

BAG, Urteil vom 05.07.2017 - 4 AZR 867/16

Musterformulierung

,Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der . . . [tndus-

triezweig] in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Es bestehtEinigkeit darüber, dass die Bezugnahme nur so lange gilt, wie der

Arbeitgeber unmittelbar und zwingend an diese Tarifverträge gebun-

den ist. Entfällt die unmittelbare und zwingende Wirkung, gelten die

Tarifverträge statisch in der zuletzt unmittelbar und zwingend beim

Arbeitgeber geltenden Fassung fort, soweit sie nicht durch andere

Abmachungen ersetzt werdend

RA/FAArbR Dr. Matthias Köhler LL.M.(Sydney) ist tätig bei Baker &McKenzie in Berlin.

Kontakt: [email protected]

1. SachverhaltIn dent:im Jahr 1992 abgeschlossenen Arbeitsvertrag findetsich u.a. folgende Regelung:"Es gelten die Bestimmungen der.fÜr den Einsatzort einschlä-gigen Tarifverträge.für die Beschäftigten im Einzelhandel- soweit sie.fürH verbindlich sind sowie etwaige Betriebsvereinbarungen/-ordnungen in ihrerjeweiLs geltenden Fassung."In den folgendenJahren, zuletzt in 2006, schlossen die Arbeits-vertragsparteien Änderungsvereinbarungen zum bestehen-den Arbeitsvertrag. Die Bezugnahmeklausel blieb allerdingsunverändert. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten trat zum31.12.2011 aus dem Arbeitgeberverband "Rheinischer Einzel-handels- und Dienstleistungsverband' aus. Mit Wirkung zumO1.01.2013 ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Rahmeneines Betriebsübergangs aufdie Beklagte über. Diese war nichttarifgebundenes Mitglied eines Arbeitgeberverbands.Die Arbeitnehmerin machte mit der Klage Ansprüche auseinem in 2013 abgeschlossenen Tarifvertrag für die Beschäftig-ten im Einzelhandel geltend. Sie hatte vor dem ArbeitsgerichtErfolg, das LAG wies ihre Klage dagegen ab.

Die in den Arbeitsverträgen im Unternehmen existierendenBezugnahmeklauseln sollten regelmäßig überprüft und nachMöglichkeit vereinheitlicht werden. Damit sollte nicht erstvor einem geplanten Verbandsaustritt, Betriebsübergang o.ä.begonnen werden. Nur so lässt sich die notwendige Flexibili-tät erhalten bzw. herstellen. Im Rahmen von Transaktionen

kommt es nicht selten vor, dass ein (potenzieller) Erwerberin einem Unternehmen drei Bezugnahmeklauseln mit unter-schiedlicher Wirkung gegenübersteht, die eine Harmonisie-rung von Arbeitsvertragsbedingungen deutlich erschweren. Esist dabei zu unterscheiden zwischen der statischen Bezugnah-meklausel und der kleinen bzw. großen Bezugnahmeklausel.Bei der statischen Bezugnahmeklausel wird aufeinen Tarifver-trag in einer ganz bestimmten Fassung verwiesen. Änderungendes jeweiligen Tarifvertrags finden auf das Arbeitsverhältniskeine Anwendung. Als kleine dynamische Bezugnah meklauselwird die Bezugnahme auf einen bestimmten Tarifvertrag inseiner jeweiligen Fassung bezeichnet und bei der großen dyna-mischen Bezugnahmeklausel wird die jeweilige Fassung dereinschlägigen Tarifverträge der jeweiligen Branche in Bezuggenommen. Die aus unterschiedlichen Bezugnahmeklauselnfolgende Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern kann nichtnur Einfluss aufdie Mitarbeitermotivation haben, es bereitetauch Schwierigkeiten bei der Abrechnung der Arbeitsver-hältnisse, weil jeweils genau geprüft werden muss, an welcheArbeitnehmer tarifvertragliche Veränderungen weitergegeben werden müssen. Freilich wird der Arbeitgeber häufigÜberzeugungsarbeit zur Änderung der Bezugnahmeklauselleisten massen, weil eine einseitige Änderung durch Ände-rungskündigung regelmäßig ausscheidet. Allerdings lohntsich der Aufwand in aller Regel, und zwar selbst dann, wennder Arbeitgeber im Gegenzug arbeitnehmerfreundlichereArbeitsvertragsbedingungen anbietet.

11. EntscheidungDas BAG folgte mit seiner Entscheidung dem Urteil des LAG. Dieses

habe die Klausel zu Recht als bedingte zeitdynamische Verweisung

ausgelegt, weshalb mit dem Austritt der früheren Arbeitgeberinzum 31.12.201 1 über die Nachbindung($ 3 Abs. 3 WG) nur noch diezum 31.12.2011 geltenden Tarifverträge aufdas Arbeitsverhältnisanwendbar gewesen wären. Nach diesem Zeitpunkt abgeschlos-sene Tarifverträge Bänden aufdas Arbeitsverhältnis dagegen keine

Anwendung. Der Gleichstellungszweck komme in einer Bezug-nahmeklausel jedenEäUs dann ausreichend zum Ausdruck, wennder Zweck und die Folgen in der Regelung eindeutig beschriebenseien. Die Aulhahme der Normen des WG zur Tarifbindung seien

dagegen für äe Vereinbarung einer GleichsteUungsabrede nichtzwingend erforderlich. Durch das Wort"vera!/z(elch" werde hinrei-chend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass fur die Anwendungder einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen Voraussetzung

eine unabhängig vom Arbeitsvertrag bestehende Bindung derArbeitgeberin an den fraglichen Tarifvertrag sei.

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Bgdgk119DgHer Hinweis:

Volltext-Entscheidung online unter RSI 257349.

DER BETRIEB Nr.01-02 12.01.2018 69