Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 2

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  • 8/7/2019 Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 2

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    Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 2

    Christof Wahner 2010

    Vorwort: In dieser Art von Text geht es um eine neue Lesart von Bcherregalen in Bibliotheken wie

    z.B. der Badischen Landesbibliothek, die fortlaufend nummeriert sind, ohne rumliche Kategorisierung.

    Nun stellt sich bei solcher Zuflligkeit die Frage, ob sich nicht doch tiefere Grnde dahinter verbergen,

    wenn z.B. ein Buch mit dem Titel "Beruf Pferdewirt" direkt neben einem anderen Buch mit dem Titel

    "Der Sinn des Lebens" steht. Die Titel bzw. Untertitel der ausgewhlten Bcher sind hervorgehoben.

    Memmingen, Mittwoch 17:30. Ein Kamerateam unter der Leitung von Uwe Hausstdtler befragt einen

    jungen, dynamischen Mann, welches Verhltnis er zum Einsatz von Virtual Reality in der Praxis hat.

    Dieser junge Mann fragt erstaunt: "Was fr eine Praxis? Arztpraxis oder wie oder was? Also wenn sie

    das Kapitel Transsexualitt Transidentitt meinen, dann will ich als Transmensch nicht verschweigen,

    dass Virtual Reality und Transidentitt eigentlich das gleiche sind, zumindest vom Lebensgefhl her."

    Diese Worte spricht Udo R., whrend zur gleichen Zeit Hans-Georg Gadamer in einer Ecke seiner

    Heidelberger Ruhesttte kauert und ber die Verborgenheit der Gesundheit vor sich hin philosophiert.

    Immer wieder brabbelt er vor sich hin "Patient Massenmrder", whrend er sich mit zunehmender

    Klarheit an den Fall Ernst Wagner und die biopolitischen Diskurse erinnert. Er greift zu seinem immer

    noch funktionstchtigen Mobiltelefon und bittet seine langjhrige Geliebte Ricarda Liver, einen seiner

    interessantesten Gedankengnge auf Rtoromanisch zu bersetzen. Seine gleichermaen ethische

    wie erkenntnistheoretische Frage lautet, inwiefern ein an sich gesunder Massenmrder eine an sich

    kranke Gesellschaft heilen kann. Vor allem, wenn ein Alpha-1-Antitrypsin-Mangel mit im Spiel ist.

    Whrend Hans-Georg Gadamer beraus eifrig einen Tunnel durch Raum und Zeit grbt, denkt er weiter

    nach und spricht zu sich selbst: "Nanu! Hm, ich meine: Hoppla! Was bedeutet genetische Information?Hat das vielleicht irgendwie mit Pflegekompetenz zu tun?" Er denkt pltzlich an seinen Groneffen Udo

    R., der sich seit mehreren Jahren unermdlich dafr einsetzt, Gastroenterologie fr die Praxis tauglich

    zu machen, und zwar fr den praktischen Umgang mit Transsexualitt, seit er die folgende Hypothese

    gefunden hatte: Wenn Liebe bzw. Sexualitt durch den Magen geht, dann geht Transsexualitt ber

    den Magen-Darm-Trakt hinaus. Der beste Gegenbeweis ist aus seiner Sicht ein Gespann der griechi-

    schen Antike, nmlich Narziss und Echo: Optische und akustische Reflexion allein also das eigene

    Spiegelbild und der eigene Widerhall reicht auch bei heftigster Verliebtheit einfach nicht zum Leben.

    Nein, nicht nur die Fernsinne wollen liebevoll und geistreich umschmeichelt werden, sondern auch die

    Nah- und Tiefensinne am und im Krper und vor allem im Darm. Nicht von ungefhr haben brigensauch die berhmt-berchtigten Deutungsmuster sozialer Ungleichheit ihren Ursprung im Darm.

    Udo R. hat von seinem Groonkel Hans-Georg Gadamer gelernt, dass man bei solchen praktischen

    Angelegenheiten des Lebens das Heidegger-Lesebuch getrost im Regal stehen lassen darf, vor allem

    wenn es um Schnheit als Praxis bzw. um klassen- und geschlechtsspezifische Krperlichkeit geht.

    Dem stimme ich als Verfasser dieses Textes in vollem Umfang zu, werde aber umgehend von Udo R.

    mit folgender Hasstirade beglckt: "Ey, du perverse Sau, misch dich hier blo nicht ein! Du kennst ja

    noch nicht einmal die Unterschiede von Transsexualitt, Transvestismus, Transidentitt und hast wahr-

    scheinlich auch nicht die leiseste Ahnung von Transparenz und Transzendenz. In unsererStory hier

    hast du jedenfalls definitiv nix verloren. Halt endlich deine restlos unqualifizierte Schnauze und schreib

    einfach das auf, was hier abgeht! Aber bitte ohne irgendwelche eigenwilligen Kommentare aus deinem

    verschneiten Hirn! Und wenn du noch nicht mal DAS gebacken bekommst, dann zieh geflligst Leine!"

  • 8/7/2019 Bibliothekarisches Blitzlicht Nr. 2

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    Zum Glck ist bald schon das Flsterkind in Begleitung von Mona Michaelsen zu Stelle, um mit seinem

    bezaubernden Flsterton Udo R. zu besnftigen, bis nur noch dessen Reizdarm laute Tne anschlgt.

    Nach einiger Zeit packt Udo R. seinen Dudelsack aus, um diese intestinale Konversation zu bertnen.

    Er wei, dass er das Handbuch der frhneuenglischen Aussprache fr Musiker heute nicht mehr braucht,

    aber umso mehr seinen herrlichen knielangen Schottenrock aus mercerisierter Baumwolle, der sogar

    auf blinde Bienen eine geradezu magische Anziehung ausbt. Udo R. sieht im Schottenrock ungefhr

    so aus wie die Hauptfigur in diesem Theaterstck Odysseus, Verbrecher Schauspiel einer Heimkehr,das zur erheiternden berraschung des Publikums wieder einmal zufllig in San Francisco endet, und

    zwar unerwarteterweise in dem an sich harmlosen Kurs "Photoshop CS3 fr Dummies". Aber wieso

    endet die Odyssee von Udo R. nicht in Deutschland? Die soziologische Erklrung ist ganz einfach:

    Deutschland macht dicht, schon allein wegen der poetischen Dogmatik und Gotteslehre. Vermutlich

    auch wegen der dogmatischen Poesie. Daran kann sogar das Mnchen-Komplott im Grunde nichts

    mehr ndern. Auch der zarte Imperativ des Weltverbesserers Udo R. greift ins Leere. So zart er auch

    seinen Satz "Ruf zurck die Vgel!" vor sich hin fltet, es tut sich einfach gar nichts. Sogar Zypern,

    Insel der Aphrodite hlt sich sehr bedeckt, aber vielleicht nur deshalb, weil das Flsterkind trotz inten-

    siver Untersttzung seitens ihrer Betreuerin Mona Michaelsen die Prfung und Praxis FachverkuferinBckerei und Konditorei in voller Lnge versiebt hat. Tja, sie bekam weder Prfung noch Praxis auf die

    Reihe. Wenn sie weniger Zeit auf der Insel der Aphrodite vertrdelt htte, dann htte sie ihre Lern- und

    Arbeitsaufgaben nicht so verschludert. Das ist wirklich ein bitteres Armutszeugnis, das wahrscheinlich

    jedoch auf die Impfentscheidung zurckzufhren ist, also auf jene Entscheidung, nach der man darauf

    verzichtet, die Bevlkerung flchendeckend gegen Inkompetenz zu impfen.

    Jedenfalls ist Udo R. nun stinkesauer auf Zypern, weil diese verdammte Insel seinen aphrodisischen

    Imperativ "Ruf zurck die Vgel" einfach ignoriert. Zypern als stellvertretende Instanz der Liebesgttin

    Aphrodite ist stinkesauer auf das Flsterkind, weil es durch seine notorische Herumbummelei auf der

    Insel seine Prfung und Praxis vergeigt hat und aufindirekte Weise die bildungs- und beschftigungs-

    politische Reputation der Insel in Mitleidenschaft zieht. Auerdem beschftigt sich ein Untersuchungs-

    ausschuss inklusive internationaler Expertenkommission mit der Frage, inwieweit das Flsterkind fr

    das Fortbestehen der politischen Teilung von Zypern zur Rechenschaft gezogen werden kann. Und das

    Flsterkind ist stinkesauer auf den IHK-Prfer Wolfgang Mner, der immer so strenge Mastbe anlegt.

    Aber jetzt mal ganz ehrlich: Wer will sich noch bei einem dermaen umfangreichen Konfliktpotenzial

    auch nur ansatzweise darum kmmern, auf wen eigentlich Wolfgang Mner stinkesauer sein darf?

    Aber zum Glck gibt es immer noch solche Kompetenzbestien wie Michael Bole und Harald Rzychon,

    die mit ihrem Fallbuch erwachsener Mensch ein gigantisch-revolutionres Werk vorgelegt haben, inwelchem sie smtliche Anstze zur naiven Quantenmechanik konsequent auf humanitre Thematiken

    transferieren, so dass nun dadurch sogar noch die berhmtesten Meilensteine der Architektur regelrecht

    unter Beschuss geraten. Dies wiederum erzeugte bereits eine offene Unruh und 100 Liebesgedichte.

    In letzter Konsequenz geraten also nicht nur die Meilensteine der Architektur an sich unter Beschuss,

    sondern auch die Frauen der Knstler, also die Frauen der betreffenden Stararchitekten.

    Udo R. gibt mir gerade zu verstehen, dass dieser Text nun zu Ende ist, weil es ansonsten allzu intim

    werden knnte, weil Bibliophilie sowieso berhaupt eine Perversion in Reinform darstelle, und weil ich

    ein genauso sensationsgeiler Spanner sei wie diese idiotischen Gaffer bei einer Massenkarambolage.

    Meine bislang tapfer unterdrckte Aggression verleitet mich nun dazu, ihm einen einigermaen deutli-chen Stinkefinger zu zeigen, was ihn wiederum dazu ermuntert, nun doch noch eine richtige Schlgerei

    zu iniziieren. Am Ende sehen wir beide nicht nur einfach Sterne, sondern auch die Messier-Objekte in

    ihrer wunderbaren Vielfalt, und zwar ohne den geringsten Einsatz von Virtual Reality.