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Man and World 25:271-280, 1992. 1992 Kluwer Academic Publishers. Printed in the Netherlands. Heidegger im Gespr ich mit Hegel: Zur Negativit/it bei Hegel* WALTER BIEMEL Am Hangeweiher 3, D-5100Aachen, Germany In Heideggers Denken laBt sich fiber Jahrzehnte sein Gespr~ich mit Hegel verfolgen, um nur einige Etappen davon in Erinnerung zu bringen. In der Logik-Vorlesung von 1925/26 (GA 21) ist in den w167 20 und 21 Hegel gegenwO_rtig mit seiner Deutung der Zeit in der Enzyklop~idie (den w167 257-260). Hier sei nur ein Moment berfihrt, dab Hegels Deutung des Raumes aus der Zeit scheinbar in der Nachbarschaft zu Heideggers Deutung der Temporalit~it des Seins steht. Diesen Schein will Heidegger beseitigen. (Vgl. Logik, S. 256f.) In diesem Semester hielt Heidegger auch ein Seminar tiber Hegels Logik, worfiber wir Aussagen im Briefwechsel an Jaspers finden (z.B. Brief vom 10.12.25, S. 57). In der ersten Phase ist das Gespr~ich dadurch gekennzeichnet, dab Heidegger von seiner Fragestellung besessen, bei Hegel anfragt, wie es um seine Deutung der Zeit im Zusam- menhang mit dem Sein steht und dann die Unterschiede heraushebt. Als Beispiel f'tir das Gespr~ich im Sinne der aufnehmenden Lekttire von Hegel ist das Seminar des Sommer-Semesters 1927 anzuftihren Aristoteles' Ontologie und Hegels Logik. In Sein und Zeit ist Hegel besonders in w 82 gegenw~rtig. 1930 h~ilt Heidegger in Amsterdam den Vortrag Hegel und das Problem der Metaphysik. Hegel wird daraufhin befragt, wie er das Problem der Metaphysik denkt und warum bei ihm die Grundfrage der Metaphysik ausbleibt. In der Vorlesung Hegels Phiinomenologie des Geistes (GA 32) will Heidegger zeigen, was in der Phfinomenologie des Geistes geschieht, das lebendige Denken Hegels soll zug~nglich gemacht und die Verwandtschaft * Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hermann Heidegger konnte hierbei ein unverrffenflichtes Manuskript als Grundlage dienen. Die Seitenangaben beziehen sich auf die Abschrift dieses Textes, der sich im Heidegger-Archiv unter der Signature A 37 befindet.

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Man and World 25:271-280, 1992. �9 1992 Kluwer Academic Publishers. Printed in the Netherlands.

Heidegger im Gespr ich mit Hegel: Zur Negativit/it bei Hegel*

WALTER BIEMEL Am Hangeweiher 3, D-5100 Aachen, Germany

In Heideggers Denken laBt sich fiber Jahrzehnte sein Gespr~ich mit Hegel verfolgen, um nur einige Etappen davon in Erinnerung zu bringen. In der Logik-Vorlesung von 1925/26 (GA 21) ist in den w167 20 und 21 Hegel gegenwO_rtig mit seiner Deutung der Zeit in der Enzyklop~idie (den w167 257-260). Hier sei nur ein Moment berfihrt, dab Hegels Deutung des Raumes aus der Zeit scheinbar in der Nachbarschaft zu Heideggers Deutung der Temporalit~it des Seins steht. Diesen Schein will Heidegger beseitigen. (Vgl. Logik, S. 256f.) In diesem Semester hielt Heidegger auch ein Seminar tiber Hegels Logik, worfiber wir Aussagen im Briefwechsel an Jaspers finden (z.B. Brief vom 10.12.25, S. 57). In der ersten Phase ist das Gespr~ich dadurch gekennzeichnet, dab Heidegger von seiner Fragestellung besessen, bei Hegel anfragt, wie es um seine Deutung der Zeit im Zusam- menhang mit dem Sein steht und dann die Unterschiede heraushebt. Als Beispiel f'tir das Gespr~ich im Sinne der aufnehmenden Lekttire von Hegel ist das Seminar des Sommer-Semesters 1927 anzuftihren Aristoteles' Ontologie und Hegels Logik. In Sein und Zeit ist Hegel besonders in w 82 gegenw~rtig.

1930 h~ilt Heidegger in Amsterdam den Vortrag Hegel und das Problem der Metaphysik. Hegel wird daraufhin befragt, wie er das Problem der Metaphysik denkt und warum bei ihm die Grundfrage der Metaphysik ausbleibt.

In der Vorlesung Hegels Phiinomenologie des Geistes (GA 32) will Heidegger zeigen, was in der Phfinomenologie des Geistes geschieht, das lebendige Denken Hegels soll zug~nglich gemacht und die Verwandtschaft

* Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hermann Heidegger konnte hierbei ein unverrffenflichtes Manuskript als Grundlage dienen. Die Seitenangaben beziehen sich auf die Abschrift dieses Textes, der sich im Heidegger-Archiv unter der Signature A 37 befindet.

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mit seinem eigenen Denken in der Auseinandersetzung "Endlichkeit- Unendlichkeit" sichtbar werden. Es kommt Heidegger darauf an, die H6rer zum Mitdenken Hegels zu bringen. Die Wissenschaft der Ph~inomenologie des Geistes ist die Fundamentalontologie der absoluten Ontologie. Der Unterschied des Zusammendenkens von Sein und Zeit ist hier zentral.

Im Winter-Semester 1934/35 ist Hegels Rechtsphilosophie das Thema. Ich m(Jchte nun auf Heideggers Ausftihrungen zur Negativit~it aus den

Jahren 1938/39 eingehen, die auch Thema des Festkolloquiums zum 70. Geburtstag von 1959 waren.

Zu der sp~iteren Phase dieses Gespr~ichs sei auf Hegels Begriff der Erfahrung in den Holzwegen hingewiesen, die Interpretation der Einleitung der Phiinomenologie des Geistes im Seminar des Winter-Semester 1942/43. Im darauf folgenden Semester behandelte das Seminar die Sinnliche Gewij3heit und die Wahrnehmung. 1956 hielt Heidegger ein Seminar tiber Hegels Logik. 1958 hielt er in der Heidelberger Akademie der Wissenschaf- ten den Vortrag Hegel und die Griechen, der in der Festschrift ftir Gadamer unter dem Titel Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken erschienen ist. (Wegmarken, S. 255ff.) In den Thor-Seminaren und in Das Ende der Philosophie und die Sache des Denkens ist das Gespr~ich mit Hegel nicht abgebrochen. Ich beschr~inke mich hier aber auf die Auseinan- dersetzung mit Hegels Begriff der Negativitgit.

Heidegger will zu einer Aussprache mit Hegel kommen, indem er an Hegel Fragen stellt, die aber nicht von aaBen "einfallen . . . . mit jener 'Ungeduld der einfallenden Reflexion', die einer Systematik des Denkens zumal vonde r Art der Hegelschen durchaus zuwider und deshalb auch unfruchtbar sein muB." (4) Under rechtfertigt die Aussprache damit, dab seine Philosophie "als die einzigartige und noch nicht begriffene Forderung einer Auseinandersetzung mit ihr - ftir jegliches Denken, das nach ihr kommt, oder auch nur erst die Philosophie wieder vorbereiten will und vielleicht muB."(4)

Es ist nicht m6glich, einen h6heren Standpunkt gegentiber seiner Philosophie des Geistes einzunehmen und so seine Philosophie diesem unterzuordnen, was Hegel mit seinen Vorg~ngern tun konnte. Von welchem Standpunkt kann dann eine Auseinandersetzung erfolgen? Der Standpunkt mug in der Hegelschen Philosophie gefunden werden "als der ihr selbst wesensm~ig unzug~ingliche und gleichgiiltige Grund verborgen liegen."(4f.) Damit ist schon angezeigt, worauf Heidegger hinaus will. Einen Grundgedanken Hegels daraufhin untersuchen, dab er yon Hegel selbst nicht in Frage gestellt wird. Dazu ist zuerst n6tig, den "Standpunkt" und das "Prinzip" von Hegels Philosophie zu kl~en.

Der Standpunkt ist der des absoluten Idealismus. Was heiBt das? Es ist das unbedingte Denken "dieses aber ist das in seiner Gedachtheit Zudenken-

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den selbst" (31). Anders formuliert: "Der Standpunkt ist das Absolute selbst; und dieses als das Ganze des 'Seins' ist das Standpunkt - Unbed&ftige..." (31). Das heil3t keineswegs Standpunkt-lose. Alles ist vielmehr von ihm schon gedacht. Es lebt in der Wiederholung seiner "gegenw~irtigen 'Vergangenheit'." (31)

Was ist das <Prinzip>? "die Substanzialit& ist die Subjektivitiit" (vgl. dazu die Ausfiihrungen in der Vorrede zur Phanomenologie des Geistes). Dieses Prinzip hat Hegel durch alle Bereiche des Seienden dargestellt: Natur, Kunst, Recht, Staat, Religion. Dazu die Stelle aus der Vorrede, II,56: "Wahre Gedanken und wissenschaftliche Einsicht ist nur in der Arbeit des Begriffs zu gewinnen. Er allein kann die Allgemeinheit des Wissens hervorbringen, welche weder die gemeine Unbestimmtheit und Dtirftigkeit des gemeinen Menschenverstandes, sondern gebildete und vollstandige Erkennmis, - noch die ungemeine Allgemeinheit der durch Tr~igheit und Eigendtinkel von Genie sich verderbenden Anlage der Vemunft, sondem die zu ihrer einheimischen Form gediehene Wahrheit ist, welche f'~ihig ist, das Eigentum aller selbstbewuBten Vernunft zu sein."

Prinzip heil3t ja das, womit die Philosophie anf~.ngt "so zwar, dais der Anfang dasjenige ist, was als tragender Grund des Denkens das Zudenkende bleibt". Zum genannten Prinzip "Die Substanz ist Subjekt" mul3 noch hinzugeffigt werden: "Das Sein (im wesentlichen Sinne genom- men) ist "Werden", und Heidegger erg~azt: "Hegel fangt mit dem Anfang an, sofem ffir ihn Werden eben Anfangen ist." Und da Heideggers Denken selbst immer wieder um das Anfangen kreist ffigt er gleich hinzu: "Abet ist dieses eine absolute Bestimmung des Anfangs und Anfangens - oder nur die Hegelsche, d.h. metaphysische?" (12) Zur Erl~iuterung des Werdens bei Hegel noch ein Hinweis. Werden ist for Hegel das Zu-sich-selbst-Kommen des absoluten Wissens, und nicht einfach UnbestS.ndigkeit. Um sich un- bedingt zu denken, mul3 das Wissen sich seiner selbst zum ./kuBersten ent~iul3em (das ist das blol3e Sein zu Beginn der Logik). Die Selbstent- ~iul3emng geschieht nur, um sich selbst zu gewinnen und "im Gewinnen zu haben und im Haben zu 'sein,' d.h. seinem Wesen gemfi/5 zu 'wirken'."(12a)

Aber mul3 nicht solch eine Auseinandersetzung mit Hegel jedem Schritt innerhalb seines Systems folgen? Was k~ime jedoch dabei heraus - eben "immer wieder nur die Vorftihmng desselben Prinzips, wenngleich in einer je anderen, dem Gebiet ~iberhaupt (Kunst, Religion) zugeh6rigen Durchdrin- gungskraft und AufheUungskraft."(6) Heidegger weist abet sofort auf die Gefahr hin, das Prinzip als leeres Prinzip als dtirftiges Gerippe, zu fassen und so nicht zugfinglich zu machen, was durch das Prinzip zug~_nglich wird.

Die Voraussetzung ffir eine Auseinandersetzung, sie mul3 zwei Forderun- gen genfigen: einen Standpunkt beziehen, der ursprtinglich ist, nicht von

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auBen "einfallend" und sie mu6 das Grunds~itzliche seines Systems "in seiner Bestimmtheit und Bestimmungskraft urspriinglich ... fassen," (6) also nicht eine ~iuBerliche formalistische Darstellung geben.

Welches kann diese Grundbestimmung sein "deren Durchdenkung in einen urspriinglicheren Standpunkt zurUckfiihrt, weil sie von diesem her erst wahrhaft als eine solche erblickt werden kann?" (6) - und die zugleich Hegels System gerecht bleibt. Heideggers These lautet: "diese Grundbestim- mung ist die "Negativitdt'."(7)

Aus den Uberlegungen zur Wirkung Hegels greife ich einen Satz heraus "dab der Deutsche Idealismus im Ganzen und Hegels Philosophie im besonderen eine geschichtliche Wirkungskraft entfaltete, deren Weite und Grenzen wir heutigen noch gar nicht iabersehen, weil wir von ihr iiberallher und ohne sie als solche zu kennen, iaberflutet werden." (8) Dazu geh6rt auch die Reaktion des Positivismus. Das Zeitalter, in dem Nietzsche lebte, ist ohne Hegel nicht denkbar, nattirlich auch der Marxismus nicht. Das Entscheidende nach Heidegger ist "dab hier dasjenige, was die Philosophie zu denken hat, in einer ausgezeichneten Weise gedacht ist, dab hier etwas geschieht, was nicht auBerhalb der 'Zeit' verl~iuft, wohl aber seine eigene Zeit hat, indem es sie jeweils urspriinglich gr0"ndet." (9)

Zur Kl~xung der Begriffssprache, die diese Auseinandersetzung tr~igt. Es ist die Dimension der abendlandischen Philosophie - in ihr geht es um die Besinnung auf "das Seiende im Ganzen," was mehrdeutig als "das Fragen der Seinsfrage" genannt werden kann.

Fiir Hegel bedeutet Sein "Wirklichkeit." Die Wirklichkeit ist die "Seiendheit als Vorgestelltheit der absoluten Vernunft. Vernunft als absolutes Wissen - unbedingt sich vor-stellendes Vor-stellen und dessen Vorgestelltheit." (10) Das mfissen wir gegenwartig haben, wenn wir Hegels Ausspruch aus der Vorrede der Grundlinien zur Philosophie des Rechts verstehen wollen: "Was vem~inftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist verniinftig." Das heil3t keineswegs, d ~ die gemeine Wirklich- keit, das gerade gegenw~tige Wirkliche vemiinftig sei, und dab der zuf'~illige Verstand des gemeinen Denkens mit der Vernunft gleichgestellt werden daft. Wie Heidegger sagt: "Der Satz gibt nicht eine Feststellung im Sinne der Gleichsetzung eines angetroffenen Vorhandenen und einer gerade einleuchtenden Meinung, des 'vemiinftigen' Lebeswesens Mensch genannt, sondem er ist der Grundsatz der Wesensbestimmung des Seins. Sein ist Vorgestelltheit des unbedingt sich vorstellenden Vorstellens, (des Denkens), die Vernommenheit der Vemunft." (10) Das ist ein Wesenssatz, der nicht zu widerlegen ist. Die Hegelsche Bestimmung des Seins m%sen wir im Zusammenhang mit der Geschichte der Metaphysik verstehen, als der Frage nach der Seiendheit des Seienden.

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2. Zur Er6rterung der Negativit~it

Heidegger will die Auseinandersetzung mit Hegel so ffihren, dab er den zentralen oder Grundbegriff des Hegelschen Denkens durchdenkt. Wir k6nnen vorgreifend sagen, indem er versucht aufzuzeigen, dab der Ursprung dieses Begriffs nicht gedacht ist.

Wenn wir die Negativit~it zu verstehen versuchen, haben wit die Ten- denz, uns an das Nichts zu halten. Wie versteht Hegel das Nichts? Sehen wir uns den Anfang der Logik an, so sehen wir, dab das erste Wahre das Werden ist, denn durch das Werden kommt es zum Unterschied von Sein und Nichts - allerdings ein Unterschied, der keiner ist. Die Bestim- mungslosigkeit haben Sein und Nichts gemeinsam. "Nichts ist somit dieselbe Bestimmung oder vielmehr Bestimmungslosigkeit und damit tiberhaupt dasselbe, was das reine Sein ist." (III, 78) Der Versuch, die Negativit~it vom Nichts aus zu erhellen versagt "Weil das Nichts kein Unterschiedenes, Negation aber 'Unterschied,' deshalb gerade ist am Nichts die Negativit~it nicht aufzuhellen." (13) Anders gesagt, bzw. gefragt: "Wo ist der Ursprung der Negativit~it? Wo ist sie am reinsten zu fassen? Im Anfang? im Sein und Nichts - das ist ja kein Unterschied; gewig nicht, Sein ist hier nicht das Eine zum Nichts als dem Anderen; wohl abet ist das Sein das unbedingteste und schlechthin Anderste zur absoluten Wirklichkeit. Also das Sein selbst ist das unbedingteste Unterscheiden; nicht zum 'Nichts' sondern zur absoluten Wirklichkeit." Und Heidegger setzt erlautemd fort: oEs [sc. das Sein] grtindet in der v611igen Negation der Absetzung gegen alle Bestimmung und Vermittlung; woher also diese v6llige Negation der absoluten Negation? was besagt sie? Das v611ige Ent- werden des unbedingt Entwerdbaren und Entwordenen. [Das verstehe ich so, als die v611ige Ent~iul3emng des Absoluten.] Und dann ftigt Heidegger einen zweiten Punkt hinzu: "Mit Sein und der absoluten Wirklichkeit zumal ist tiberdies noch und schon unterschieden gegen das Seiende, das Sein i.w.Si. [im wahren Sinne?] (Kategorien). Das Sein entspringt zumal der v6lligen Negation der absoluten Negativit~it und der ebenso v6lligen Differenz gegen das Seiende tiberhaupt. Woher diese Negationen? wieso etwa aus der absoluten und mit der absoluten Negativitat?" (20)

Heidegger verweist auf das Verh~ilmis yon Etwas und Anderes. Das Etwas wird zum Einen des Anderen, und das Andere zum Anderen des Einen. Der Unterschied ist nach jeder Seite einseitig - also bedingt. "Erst wenn das Eine das Andere wird zum Anderen des Anderen - wenn das Eine zum Anderen wird, werden die Unterschiede nicht einseitig entgegen- gesetzt und zugleich herabgesetzt, sondem wechselweise hinaufgesetzt in die wechselweise Zusammengeh6rigkeit als ihren 'Grand'; sie verlieren die M6glichkeit der Bedingnis und werden selbst die Bedingten.

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Die unbedingte Negativit~it ist jene, die weder durch das Eine noch durch das Andere des Einen, noch durch das Andere des Anderen bedingt ist, sondern von beiden losgelfst, sie erst in ihre Wechselbeziebnng bindet." (14)

Wir haben zuerst die erste Negation yore Einem zum Anderen - das ist die abstrakte Negation. Dariiber oder danach die absolute Negation, das ist die Negation, die die Negation negiert. Die Andersheit erscheint jetzt als Wesen des Anderen an ihm selbst und nicht im Unterschied zum Einen. Durch diesen Unterschied werden beide voneinander weggesetzt. "Das Andere an ihm selbst ist das Andere zum Anderen - so zwar, dab dieses zu ihm als seinem Grund gehSrt und gleichwohl unterschieden ist. Das Andere des Anderen verhiilt sich zu sich selbst im Unterschied. So kommen wir dazu die absolute Andersheit als das unbedingte Sich-auf-sich-selbst- Beziehen zu verstehen."

Zur Erl~iuterung der eigentlichen Negativit~it gibt Heidegger folgende Erl~iuterungen. Wenn wir zu ihr nicht dadurch kommen, dab wir yon einer abstrakten Negativit~it zur anderen gelangen, sondem wenn die wesenhafte Negativit~it "als die 'Energie' des absolut Wirklichen" (19) zu denken ist, dann mug umgekehrt die abstrakte Negativit~it aus der unbedingten 'entspringen' (19). Heidegger stellt die Frage - woher kann aber diese unbedingte Negativit~it entspringen? Das kann nicht augerhalb der ab- soluten Idee liegen. Aber was ist innerbalb der absoluten Idee das Erste: "das "Bewufltsein' (einfach gesprochen) als Ich stelle etwas vor oder die 'Unterscheidung" - die diese Vorstellungsbeziehung als Unterschied kennzeichnet." (19) Nun kann gesagt werden: BewuBtsein und Un- terscheidung sind gleichursprtinglich. Wie ist aber dann die Negation zu fassen, als das "Entgegen zu", aus dem das "Nicht" abhebbar als "formales," oder als formale Unterscheidung, die erst die Beziehung des Entgegen erm6glicht. [Und Heidegger schlieBt diese Uberlegung:] So wesentlich und entscheidend durchgangig die Negativit~it ist, so fraglos sie mit der absoluten Idee selbst 'ist' - so dunkel bleibt doch ihr Ursprung." (19)

Nun kann auf die Negativit~it als die Zerrissenheit und Trennung in der Phanomenologie des Oeistes hingewiesen werden. Und Heidegger tut das auch, bei der Er6rtemng des Todes im Kapitel "Herrschaft und Knechtschaft," "Dies BewuBtsein...hat die Furcht des Todes, des absoluten Herrn, empfunden." (11,148) Er erl~iutert- "'Leben des absoluten Geistes heiBt nichts anderes als den Tod ertragen und austragen [und fiigt die kritische Bemerkung hinzu] (aber mit diesem 'Tod' kann es gar nie ernst werden, keine Katastrophe m6glich; kein Sturz und Umsturz m6glich; aUes aufgefangen und ausgeglichen; alles ist schon unbedingt gesichert und untergebracht). [Einfiigung von 25] "Das Scheiden ist die 'absolute'

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'Zerrissenheit,' aber sofem sie ertragen wird und der absolute Geist in ihr sich erhiilt. Das absolute Wissen ist absolutes Sicherhalten in der Zerrissen- heit - d a s ist 'Leben'." [Ende Einschub 25]

Die Philosophie als ab-solute; als un-bedingte; mug in einer eigenttimlichen Weise die Negativitiit in sich schliefien und d.h. doch im Grunde nicht ernst nehmen; die Los-16sung als Behalten - der vollstgndige Ausgleich in Allem - das Nichts gibt es gar nicht." (21) Oder wie es an einer anderen Stelle heigt: Hegels Negativitiit ist keine - weil sie mit dem Nicht und Nichten nie ernst macht - d a s Nicht schon in das 'Ja' aufgehoben. hat." (47) Wie Heidegger selbst das Nichts denkt, wird zum Schlul3 zu er6rtem sein.

Das Negative des Unterschieds ist andererseits ftir Hegel entscheidend. "Negation - Vemeinen - Ver-nichten - Zugrunderichten - Zugrundegehen. Wo liegt also der Ursprung der Negativitiit? Wie kommt 'das' 'Bewugtsein' in den maBgebenden, alles tragenden und einschliegenden Vorrang? (Die Frage kehrt wieder:) Ist die Negation - das Unterscheiden 'frtiher' als das BewuBtsein - oder umgekehrt - oder beides dasselbe? Was also der Grund des 'Nicht'? Ich denke etwas. [27]

Die Ausftihrungen tiber die Negativit~it kreisen um die These Heideggers, die entscheidende These seiner Deutung - dab ftir Hegel die Negativit~it nicht "fragwtirdig" und nicht "fragbar" wird, "weil die Negativit~it mit dem vorausgesetzten 'Bezirk' seines Fragens schon gesetzt ist - , gesetzt mit dem Denken, das hier besagt: ich stelle etwas vor im allgemeinen, - in seinem 'Begriff,' in seiner Gedachtheit, als der Gedanke; worauf alles einzig ankommt, ist, die Gedachtheit unbedingt zu denken und somit das Denken selbst. [Dazu Rb. "Bewugtsein als Selbstbewugtsein und die dann sich wissende Unendlichkeit.'] Dieses hinter l~t daher auch nichts, was in seinem Sinne unbew~iltigt, unentschieden w ~ e - d a s unbedingte Denken ist die Fraglosigkeit selbst." (37) Das ist der erste Punkt einer Auseinanderset- zung, die in 7 Punkten erfolgt.

Im 2. Punkt er6rtert Heidegger, warum das Negative einer Befragung nicht bedtirftig werden kann "denn das Negative, Vemeinte und Ver- neinende, geh6rt zur Verneinung; Nein-sagen, Ja-sagen sind Urformen des urteilenden Denkens; am Verneinten als solchen lal3t sich dalm die Verneint- heit 'abstrahieren' als das 'Nicht" und wendet man dieses 'Nicht,' d.h. die vorstellende Vemeinung, an auf alles Vemeinbare tiberhaupt - d.h. auf das zuerst Bejahte - das Seiende im Ganzen-, dann ergibt sich als das Nicht des Seienden im Ganzen das Nichts ..." (37) Das erscheint dann als das schlechthin Nichtige, das man auger acht lassen kann. "Aus der Selbstverst~indlichkeit des Denkens und dab es immer 'etwas' zu denken haben mug, um es selbst zu sein, ergibt sich die v611ige Fraglosigkeit der Negativit~it, wobei jetzt 'Negativitat' besagt: jener selbstverstfindliche

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Zusammenhang zwischen, Nein, Verneinung, Vemeintheit, Nichts und Nichtigkeit." (37)

Im 3. Punkt geht Heidegger darauf ein, dab das Denken als selbstverst~andlich angesetzt wird beim Menschen als animal rationale. Selbst in der h6chsten metaphysischen Systematik wird dieser Bestand als bekannt vorausgesetzt. Die Negativit~it gilt als fraglos.

Im 3. Punkt stellt Heidegger die Frage, weswegen er bei diesem Frag- losen verweilt. "Weil das Fraglose und gerade es noch zweideutig und deswegen fragwfirdig sein kann. Das Fraglose ist einmal das Un- fragwiirdige, was ... keinen m6glichen Anhalt einer Befragung zu bieten vermag. Das Fraglose ist zum anderen das im Grunde Un entschiedene aber in der Besinnungsflucht fiir Entschiedenes Ausgegebene." (38) Diese Flucht kann einer Unwissenheit entsprechen "hinsichtlich der Entscheidungen, kann aber auch bereits die Folge eines gewollten Ausweichens vor Entscheidungen sein ..." (38) Kommt beides zusammen - dann erscheint das Fraglose als das Selbstverst~ndliche.

Punkt 5. fiihrt zu einer Auseinandersetzung mit der Metaphysik. "Die Negativit~it ist sowohl im System der Vollendung der abendl~qdischen Metaphysik fraglos als auch tiberhaupt innerhallb der Geschichte der Metaphysik." Dahinter steht die Fraglosigkeit des Denkens als GrundvermOgen des Menschen. Diese Wesenbesimmung steht auBer Frage. Das Denken sagt, was und wie das Seiende ist. Es ist der mabgebende Bezug zum Seienden, bestimmt auch den Gesichtskreis "innerhalb dessen das Sein als ein solches sich bestimmt." "Das Denken ist somit nicht nur Vollzugsweise der vorstellenden Bestimmung des jeweilig Seienden, sondern es ist zugleich und vor allem die Gesichtskreisvorgabe ftir die Wesenfestsetzung des Seins." (39)

Das Sein ist verstanden als Anwesenheit und Best~ndigkeit ftir ein Vemehmen. Das Vemehmen, bei den Griechen durch den nous bestimmt, wird bei Hegel zum Denken der absoluten Vemunft. Dab Sein Gedachtheit ist liegt sowohl der idealistischen wie der realistischen Auslegung des Bezugs zum Seienden im voraus zugrunde. Wir sind mitten in der Auseinan- dersetzung Heideggers mit der Metaphysik als Ganzen, wenn er sagt: "Die Selbstverstfindlichkeit des Denkens bedeutet daher im Grund die Fraglosig- keit dessen, dab das Denken der maB - und gesichtskreisgebende Bezug zum Sein ist."

Die Selbstverstfindlichkeit der Negativit~t und des Denkens "besagt...nichts Geringeres als die Selbstverstandlichkeit des Verh~iltnisses zwischen Mensch und Seyn." (39) Wahrend in der Metaphysik das Verh~ilmis des Menschen zum Seienden in vielfacher Weise untersucht wird, auch bezweifelt und befragt, gedeutet und begrfindet so steht "gleichwohl allem zuvor das Verhfilmis des Menschen zum Sein aui3er

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jeder Frage" (39) es wird als das Selbstverst/tndlichste in Anspruch genom- men. Die "Ontologie" der Tradition ist daftir kein Gegenbeweis, vielmehr "die gelehrtenhafte Besiegelung dieser Selbstverst~dlichkeit." (39)

Die Auseinandersetzung wird fortgeftihrt, mit dem Bedenken, (Punkt 6), dab durch diese Frageweise der Metaphysik bei ihrer Seinsauslegung der Unterschied zwischen Sein und Seiendem nicht bedacht wird. "Well das Denken zun~ichst als unmittelbares Bedenken des jeweilig er6ffneten und begegnenden Seienden zugleich der Leitfaden der Bestimmung des Seins ist, kommt das, was wir den Unterschied zwischen dem Seienden und dem Sein nennen, gar nicht eigens als Unterschied in den Blick." (40f.) Die Frage nach dem Wesen dieses Unterschieds bleibt im Bereich des Un- bekannten.

Im 7. Punkt zieht Heidegger die Konsequenzen. Durch die Fraglosigkeit der Negativitat und des Wesens und der Rolle des Denkens bleibt un- entschieden:

1. das Verhfiltnis des Menschen zum Sein. 2. der Unterschied zwischen dem Sein und dem Seienden.

Und nun stellt Heidegger die ftir ihn entscheidende Frage, durch die die waltende Unentschiedenheit tiberwunden werden soil:

"Woraus, wenn niemals aus dem Seienden, jemals das Sein seine Wahrheit habe und worein diese zu griinden sei. Wie es mit dem Seyn stehe, wenn es nicht ein Seiendes und nicht das Seiendste, aber auch kein bloger 'Nachtrag' zum Seienden 'sei'." (40)

Das Fragen nach der Negativit~it, der "Energie" des unbedingten metaphysischen Denkens, will "dieses Unentschiedene" zur Entscheidung stellen. Und jetzt folgt eine Kennzeichnung seines eigenen Denkens.

"Diese Entscheidung erst einmal aufzustellen, sicht - und erfahrbar, d.h. zur Not zu machen, ist der einzige Gedanke eines Denkens, das die Seinsfrage fragt." (40)

Zu dieser Entscheidung geh6hrt die geschichtliche Auseinandersetzung mit der Metaphysik und es geh6rt auch "die st~ndige und lange Vor- bereitung zum Sprung in das Fragen jenes Unentschiedenen." (40f.)

Jetzt miil3te eine Ausftihrung zu Heideggers Denken folgen. Ich begntige mich mit kurzen Hinweisen.

Unter dem Titel "Die Unterscheidung als Ent-scheidung" sagt Heideg- ger: "Das Seyn selbst ist die Entsche idung - nicht ein gegen das Seiende Unterschiedenes ftir eine vorstellende, vergegenst/~ndlichende und sie einebende Unterscheidung.

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Das Seyn ent-scheidet - als Er-eignis in der Er-eignung des Menschen und der G6tter in die Not zum Wesen des Menschentums und der Gott- schaft" [Gedanken die ja dann in den Beitr~'gen im Mittelpunkt stehen, ohne dadurch ihre Befremdlichkeit zu verlieren]. Und Heidegger setzt fort "welche Er-eignung den Streit von Welt und Erde zur Erstreitung entsprin- gen l~iBt - , in welchem Streit sich erst das Offene l i ch t e t - in dem das Seiende zu ihm selbst zurfickf'fillt und ein Gewicht empf'fingt." (42)

Da diese Ausftihrungen mit Er6terungen des Nichts, der Nichtung als Negativit~it begannen, sei kurz auf Heideggers Deutung des Nichts ver- wiesen. Im Zusammenhang mit der Er6rterung der Lichtung und des Ereignisses sagt Heidegger: "Das Nichts ist niemals das 'Nichtige' im Sinne des bloB Unvorhandenen, Unwirksamen, Unwertigen, Un-seienden, sondem Wesung des Seyns selbst - als des ab-grtindig - abgrundhaft Nichtenden. (48) Und an anderer Stelle: "Die Lichtung ist der Ab-grund als Grund - das Nichtende zu allem Seienden und so Gewichtigste und damit der nicht 'vorhandene' - n i e vorfindliche - sondem sich in der Nichtung als Lichtung verweigemde 'Grund" - der tragend - stiftend Entscheidende - Er-eignende - das Er-eignis." (46) "Der Ab-grund-das Nichts." (46) An einer anderen Stelle, die den Titel tr~igt Der Fragebereich der Negativitdt sagt Heidegger: "Das Nichts als der Ab-grund - das Seyn selbst; aber hier das Seyn nicht metaphysisch, auf das Seiende zu und von ihm her - sondem aus seiner Wahrheit." (36) Ich verstehe das so, dab Heidegger zeigen will, wie es eine ganz andere Weise des Denkens der Negativit~it geben kann - die er selbst in seinem Denken versucht, das er als Denken des anderen Anfangs versteht. Das ist nicht eine Wiederholung des ersten Anfangs bei den Griechen sondern eines neuen Anfangs. Dazu eine wichtige Stelle:

"Der erste Anfang des abendl~_ndischen Denkens vollzieht die weitesten und reichsten und verborgensten Voraus-setzungen und gerade darin besteht das Anfangende; nicht etwa darin, dab es vermeintlich mit dem Geringsten und Leersten anhebt. Die Voraussetzung - der Voraus- entwurf des einstmals Einzuholenden ist: die Grundlosigkeit der un- befragten Wahrheit des Seyns.

Aber das Einholen dieser Voraus-setzung, das ausarbeitende Setzen derselben, ist nicht Vollendung des Anfangs, sondem wieder Anfang und damit voraus-setzender als der erste, - d a s Seyn selbst als Ab-grund; das Seiende und seine Erklarbarkeit fortan nicht mehr die Zuflucht - Schutz und Sttitze." (33f.)

Dem Klagen tiber die Schwierigkeit von Hegels Denken kann nun das Klagen tiber die Schwierigkeit von Heideggers Denken gegentibergestellt werden. Aber wo steht es geschrieben, dab Denken leicht sein muB. Vielleicht ist das ein Vor-urteil des gesunden Menschenverstandes.