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Big Data: Warum Sie noch lange darauf warten sollten Big Data soll die Welt retten und zusätzliche Umsatzquellen eröffnen, aber zuvor erst einmal der IT-Industrie zu neuen Einnahmen verhelfen. Big Data is just another Big Deal. Man sollte darüber schreiben, solange es noch aktuell ist. Big Data ist die Erfassung, Speicherung und Verarbeitung von Datenmengen, die üblicherweise jenseits der Terabyte-Größe liegen. Erreicht werden diese Größenordnungen durch die automatisierte Sammlung von Daten aus technischen Senso- ren und durch Software, die uns beim Surfen, Shoppen und sonstigen Aktivitäten beobachtet. Große Datenbestände und rasend schnelle Input-Output- Transaktionen alleine sind allerdings noch nicht Big Data. Das entscheidende Merkmal ist die Verschiedenartigkeit der Daten. Big Data macht beliebige Datenformate und beliebige Datenstrukturen auswertbar. Damit ist die Verknüpfung von Daten möglich, die bisher isoliert voneinander gespeichert und ausgewertet wurden. Wo man früher auf der Grundlage von Hypothesen gezielt nach Zusammenhängen in eindeutig strukturierten Daten- banken suchte, macht man sich nun unvoreingenommen auf die Suche, lässt sich von den Ergebnissen überraschen und entwickelt darauf aufbauend neue Erkenntnisse. Big Data ist allerdings für die Steuerung von Organisatio- nen in der jetzigen Form unbrauchbar. Die Kompetenzen zur Beherrschung der Komplexität von Big Data fehlen Die Bearbeitung großer und komplexer Datenbestände stellt sehr hohe Anforderungen an die Kompetenzen der Mitarbei- tenden. Das gilt nicht nur für technische, sondern noch viel mehr für die fachlichen Kompetenzen. Big Data setzt an- spruchsvolle statistische Analyseverfahren voraus. Diese Kompetenzen sind, wenn überhaupt, nur in großen Unter- nehmen – und dort nur in Entwicklungsabteilungen – vor- handen. Selbst wenn es Unternehmen gelänge, den darin sehr aktiven Geheimdiensten die notwendigen personellen Ressourcen abzuwerben, es bliebe trotzdem eine Frage offen: Was tun mit all diesen neuen Erkenntnissen? Wer ist in der Lage, aus den Ergebnissen der Varianz- und Regressionsana- lysen, der Korrelations- und Assoziationsmaße brauchbare Entscheidungsgrundlagen abzuleiten? Big Data offenbart eine bedingungslose Datengläubigkeit. Die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse ist unvereinbar mit einem wirksamen Führungsstil Die große Menge an Daten und ihre Heterogenität führen zwangsläufig zu überraschenden Messergebnissen. Die Füh- rung von Organisationen kann jedoch nicht beliebig auf Neuigkeiten reagieren. Führung bedeutet, Ziele zu setzen und den Weg dorthin – die Strategie – nachvollziehbar zu kom- munizieren. Hier steht Big Data vor einem Dilemma: Wenn man tat- sächlich wesentliche neue Erkenntnisse zu den Zielen und der Strategie von Unternehmen gewinnt, dann wird es nicht einfach sein, diese in der Organisation zu implementieren. Die Widerstände gegenüber abstrakten Daten im Vergleich Serie Reporting Roman Griesfelder hinter- fragt in dieser Beitragsserie den Status quo des Repor- tings und zeigt Wege auf, die das interne Berichtswesen wirksam machen. Dabei be- schäftigt er sich mit der Kom- munikationskultur, der Spra- che und den Darstellungsdetails in Diagrammen und Tabellen. Roman Griesfelder studierte BWL und Soziologie und gründete – nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit Professor Dr. Rolf Hichert – die aspektum gmbh mit Sitz in St. Gallen (Schweiz). 64 Controlling & Management Review 1 | 2014 Service | Reporting

Big Data: Warum Sie noch lange darauf warten sollten

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Big Data: Warum Sie noch lange darauf warten sollten Big Data soll die Welt retten und zusätzliche Umsatzquellen eröffnen, aber zuvor erst einmal der IT-Industrie zu neuen Einnahmen verhelfen. Big Data is just another Big Deal. Man sollte darüber schreiben, solange es noch aktuell ist.

Big Data ist die Erfassung, Speicherung und Verarbeitung von Datenmengen, die üblicherweise jenseits der Terabyte-Größe liegen. Erreicht werden diese Größenordnungen durch die automatisierte Sammlung von Daten aus technischen Senso-ren und durch Software, die uns beim Surfen, Shoppen und sonstigen Aktivitäten beobachtet.

Große Datenbestände und rasend schnelle Input-Output-Transaktionen alleine sind allerdings noch nicht Big Data. Das entscheidende Merkmal ist die Verschiedenartigkeit der Daten.

Big Data macht beliebige Datenformate und beliebige Datenstrukturen auswertbar. Damit ist die Verknüpfung von Daten möglich, die bisher isoliert voneinander gespeichert und ausgewertet wurden.

Wo man früher auf der Grundlage von Hypothesen gezielt nach Zusammenhängen in eindeutig strukturierten Daten-banken suchte, macht man sich nun unvoreingenommen auf die Suche, lässt sich von den Ergebnissen überraschen und entwickelt darauf aufbauend neue Erkenntnisse.

Big Data ist allerdings für die Steuerung von Organisatio-nen in der jetzigen Form unbrauchbar.

Die Kompetenzen zur Beherrschung der Komplexität von Big Data fehlenDie Bearbeitung großer und komplexer Datenbestände stellt sehr hohe Anforderungen an die Kompetenzen der Mitarbei-tenden. Das gilt nicht nur für technische, sondern noch viel mehr für die fachlichen Kompetenzen. Big Data setzt an-spruchsvolle statistische Analyseverfahren voraus. Diese Kompetenzen sind, wenn überhaupt, nur in großen Unter-nehmen – und dort nur in Entwicklungsabteilungen – vor-handen. Selbst wenn es Unternehmen gelänge, den darin sehr aktiven Geheimdiensten die notwendigen personellen Ressourcen abzuwerben, es bliebe trotzdem eine Frage offen: Was tun mit all diesen neuen Erkenntnissen? Wer ist in der Lage, aus den Ergebnissen der Varianz- und Regressionsana-

lysen, der Korrelations- und Assoziationsmaße brauchbare Entscheidungsgrundlagen abzuleiten?

Big Data offenbart eine bedingungslose Datengläubigkeit.

Die Unvorhersehbarkeit der Ergebnisse ist unvereinbar mit einem wirksamen FührungsstilDie große Menge an Daten und ihre Heterogenität führen zwangsläufig zu überraschenden Messergebnissen. Die Füh-rung von Organisationen kann jedoch nicht beliebig auf Neuigkeiten reagieren. Führung bedeutet, Ziele zu setzen und den Weg dorthin – die Strategie – nachvollziehbar zu kom-munizieren.

Hier steht Big Data vor einem Dilemma: Wenn man tat-sächlich wesentliche neue Erkenntnisse zu den Zielen und der Strategie von Unternehmen gewinnt, dann wird es nicht einfach sein, diese in der Organisation zu implementieren. Die Widerstände gegenüber abstrakten Daten im Vergleich

Serie Reporting

Roman Griesfelder hinter-fragt in dieser Beitragsserie den Status quo des Repor-tings und zeigt Wege auf, die das interne Berichtswesen wirksam machen. Dabei be-schäftigt er sich mit der Kom-munikationskultur, der Spra-

che und den Darstellungsdetails in Diagrammen und Tabellen.Roman Griesfelder studierte BWL und Soziologie und gründete – nach einer langjährigen Zusammenarbeit mit Professor Dr. Rolf Hichert – die aspektum gmbh mit Sitz in St. Gallen (Schweiz).

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zu konkreten Erfahrungen sind in der Regel hoch. Wenn jedoch keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gewonnen, sondern Details beschrieben werden, dann ist der damit verbundene Aufwand wohl kaum zu rechtfertigen.

Die möglichen Vorteile stehen in keinem Ver-hältnis zu den ethischen RisikenDie größten und aktivsten Nutzer von Big Data sind staat liche Nachrichtendienste und Unternehmen, deren Kerngeschäft es ist, hohe Rechenleistung und Massendaten zur Verfügung zu stellen (Google, Amazon, Ebay u. a.). Die damit verbunde-nen ethischen Probleme liegen auf der Hand. Die Nutzung von Massendaten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sie und ich davon persönlich betroffen sind. Jeder ist potenzieller Kunde und damit ein lohnendes Ziel von Analysen.

Die gesellschaftliche Diskussion zu Massenüberwachung und Massenanalyse steht erst ganz am Anfang. Die damit ver-bundenen Reputationsrisiken für Unternehmen sind nicht abschätzbar. Ein hartnäckig recherchierter Artikel oder ein einziger Whistleblower genügt, um aus der interessanten Nut-zung von Kundendaten einen unangenehmen „Shitstorm“ entstehen zu lassen.

Die altmodisch klingende Frage ist wieder sehr aktuell: Sollen wir alles tun, nur weil es technisch machbar ist?

Der mögliche Nutzen steht in keinem Verhält-nis zu den KostenBig Data kostet viel Geld. Warum das so ist? Weil Big Data mit konventionellen IT-Systemen (Data Warehouse) nicht funk-tioniert. Data-Warehouse-Systeme werden dafür gebaut, bekannte Datentypen in eindeutigen Strukturen schnell abfragen zu können. Big Data verfügt nicht über eindeutige Strukturen und sprengt in der Regel auch die technischen Kapazitäten von gängigen IT-Systemen.

Unternehmen mit konventionellen Geschäftsmodellen soll-ten sich auf die Nutzung und Anreicherung der bereits beste-henden Datenbestände beschränken. Die notwendigen Daten, mit denen Argumente und Szenarien durch Fakten belegt werden können, sind in den meisten Unternehmen bereits vorhanden. Sie werden leider oft unzureichend genutzt.

Big Data ist eine wichtige Forschungsmethode für viele wis-senschaftliche Disziplinen. Eine sinnvolle Anwendung für die Unternehmenssteuerung kann zurzeit nicht nachgewiesen werden. Big Data ist ein Geschäftsmodell der IT-Industrie.

LiteraturFew, S.: Big Data, Big Ruse – Visual Business Intelligence Newsletter, 2012, http://www.perceptualedge.com/articles/visual_business_ intelligence/big_data_big_ruse.pdf (letzter Abruf: 26.11.2013).

Shah, S./Horne, A./Capellá, J.: Good Data Won’t Guarantee Good Decisions, in: Harvard Business Review, 2012, http://hbr.org/2012/04/good-data-wont-guarantee-good-decisions/ar/1 (letzter Abruf: 26.11.2013).

Ohm, P.: Don’t Build a Database of Ruin, 2012, http://blogs.hbr.org/2012/08/dont-build-a-database-of-ruin/ (letzter Abruf: 26.11.2013).

Kernthesen•Die Komplexität von Big Data übersteigt die techni-schen Möglichkeiten und fachlichen Kompetenzen von Unternehmen.•Big Data ist ungeeignet für die Führung von Organi-sationen.•Big Data führt zwangsläufig zur massenhaften Verar-beitung von personenbezogenen Daten.

Handlungsempfehlungen•Investieren Sie in die Analysefähigkeiten Ihrer Mit-arbeitenden, damit Sie Ihre heute verfügbaren Daten besser verstehen.•Bedenken Sie vor einer Investition in Big Data auch die weichen Faktoren: Die Ergebnisse von Big Data müssen im Unternehmen nutzbar gemacht werden.•Haben Sie keine Hemmungen, ethische Fragen zu dis-kutieren. Ist alles vertretbar, was technisch möglich ist?

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