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Wege aus der „Wohlfühl-Falle“ Um im digitalen Zeitalter fit für rasche, bisweilen radikale Veränderungen zu sein, richten viele Firmen ihr Handeln neu aus. Für die Unternehmensberaterin Regina Bergdolt kommt dabei auch dem mittleren Management eine wichtige Rolle zu. Wie stellen sich Firmenlenker darauf ein? Bergdolt: Die Entwicklung von Strategien für die Zukunft, die Arbeit am, nicht im Unter- nehmen ist die zentrale Führungsaufgabe. Das operative Tagesgeschäft alleine gene- riert meist keine großartigen Ideen. Der Ma- nagementvordenker Gary Hamel hat das tref- fend formuliert: „Erfolg ist die Ausnahme, nicht die Regel.“ Auf jedes erfolgreiche Pro- bewerberunterschiede. Eine wirklich disrup- tive Idee ist nicht mehr so schnell „einzuho- len“ – weil sie die Befriedigung von Kunden- bedürfnissen mit der Nutzung neu geschaffe- ner Technologien verbindet. Das ist einmalig. Und doch war der Wettkampf um Märkte und Menschen ja schon immer der Kern des Un- ternehmertums – sonst würden wir noch in Hütten wohnen und uns per Pferd oder zu Fuß bewegen. Ob Amazon, Apple oder Uber: Vor dem Hin- tergrund rasant fortschreitender Digitali- sierung rund um den Globus bereiten dis- ruptive Konzepte dem Erfolg langjähriger Geschäftsmodelle oft ein jähes Ende. Was heißt das auch für Unternehmen hierzulan- de? Regina Bergdolt: Digitale Technologien ver- größern durch Technologiesprünge die Wett- Dienstleistungen, auf die drei Kriterien zu- treffen: Viele Leute wollen sie haben, sie sind mit neuen Technologien (besser) machbar und sie bringen Umsatz und Gewinn für das Unternehmen (Geschäftsmodell). Wie grenzen Sie Agilität von Anarchie ab? Bergdolt: Das ist eine häufige Angst, die auf einem Missverständnis beruht: In Anarchien gibt es zwar keine zentrale Lenkung, jedoch sehr wohl soziale Normen und Regeln. Agiles Arbeiten ist sehr zielorientiert und selbstor- ganisierter. Schnelle Innovationen entstehen nicht dadurch, dass man ziellos in Arbeits- gruppen herumsitzt – was in mancher Orga- nisation bei zahlreichen Meetings der Fall ist. Agilität ist quasi strukturierte Flexibilität – und kein Aktionismus. Start-ups haben den Vorteil, dass sie so eine Kultur von Anfang an aufbauen können. Doch es gibt auch Unter- nehmen, die schon außerordentlich agil sind, obwohl sie den Begriff vielleicht noch nie ge- hört haben. Für Firmen, die flexibler sein wollen, muss es kein „Entweder-Oder“, keine Entschei- dung zwischen Verändern und Bewahren ge- ben, sondern einen Übergang zu deutlich mehr Flexibilität. Allerdings braucht es dafür die Entschlossenheit der Unternehmenslei- tung – ein bisschen agil ist selten eine Lö- sung. Was ergibt sich daraus für die Unterneh- menskultur in einem etablierten Betrieb? Bergdolt: Unternehmenskultur zeigt sich im Alltag. Da kann es schon sein, dass die Kultur agilem Handeln widerspricht – wenn es wichtig ist, nicht gegen den Strich zu bürs- ten, wenn vermeintliche Harmonie und An- passungsfähigkeit gefragt sind, wenn ge- schicktes politisches Taktieren mit verdeck- ten Interessen den Entscheidungsalltag be- stimmt. Kritisch ist es auch, wenn die Idee von „Sicherheit“ eine große Rolle spielt und diese gleichzeitig stark mit Unveränderbar- keit verknüpft ist. Disruptive Marktereignisse sind mit einer gemütlichen Grundhaltung schwer zu vereinbaren. Mangelnde Offenheit für Neues ist angesichts der Digitalisierung mit ihren Umbrüchen keine Option mehr. Offenheit für Neues ist bei Menschen übri- gens ein relativ stabiles Persönlichkeits- merkmal, das man messen kann; es ist nicht vom Alter abhängig. Eine der Kernfragen ist, ob die Führungs- kultur die richtigen Ziele unterstützt: Beloh- nen Führungskräfte noch immer die Bewah- rer und kann man es sich als Querdenker „schnell verderben“? Wird Wendigkeit be- lohnt oder Beharrlichkeit, auch durch Boni oder Jobchancen? Wird man Führungskraft, weil man „halt schon lange da ist“ – oder weil man mit anderen etwas bewirkt? Was sind Anzeichen dafür, dass ein Unter- nehmen diese Herausforderung angenom- men hat? Bergdolt: Ein Unternehmen ist gut vorberei- tet, wenn es eine nachvollziehbare Vorstel- lung dazu entwickelt hat, wie sich neue Tech- nologien und Entwicklungen auf Kunden- wünsche oder das eigene Produktportfolio auswirken werden – und wie sich die gesam- te Wertschöpfungskette und auch die Orga- nisation unter diesen Einflüssen weiter ent- wickeln lassen. Technologietrends müssen ein zentrales Thema für alle Management- ebenen sein, nicht nur für die in der IT. Unterschätzt wird oft die Wirkung eines positiven Zielbildes. Wenn das Unternehmen nicht Opfer, sondern Gewinner in Sachen Di- gitalisierung wird, wie sieht dann die Zukunft aus? Was wird besser, leichter, erfolgreicher? Noch stärker unterschätzt wird häufig die strukturelle Erneuerung als Unternehmen. Gary Hamel sagt dazu: „In turbulenten Zeiten haben nur Unternehmen Erfolg, die bei der eigenen Erneuerung genauso effizient sind wie bei der Herstellung ihrer Produkte und Dienstleistungen.“ Sie fordern, viele Unternehmen müssten „agiler“ werden. Was verstehen Sie in die- sem Zusammenhang unter Agilität? Bergdolt: Eine der Wurzeln des „agilen Un- ternehmens“ liegt im „agilen Manifest“, das eine Gruppe von Softwareentwicklern –„The Agile Alliance“ – 2001 in den USA entwickelt hat. Sie wollten sich von den Konzernzwän- gen befreien, die sie bisweilen an Dilbert-Co- mics erinnerten: absurd, aber real; „Leidens- fähigkeit“ als Kernkompetenz, Gehalt als „Schmerzensgeld“. Das Ziel: eine kunden- wie menschenfreundliche, am Markt sehr wendige Form der Zusammenarbeit. Im Kern sind das auch die Ideen der „agilen Organisa- tion“: eine radikale Orientierung am Kunden statt sinnarmer Beschäftigung mit Organisa- tionsroutinen. Dazu gehört es, sich ein ech- tes und gründliches Verständnis der Kunden- probleme und -wünsche zu erarbeiten, schnell Prototypen zu bauen und zu diesen wieder schnell die Meinung von Kunden ein- zuholen. Das ist die Basis vieler Methoden wie Design Thinking. Agiles Arbeiten nutzt die Kreativität vieler, lädt zu kreativen Prozessen ein, die jedoch sehr gut strukturiert sind. Eine agile Organi- sation sucht die Sicherheit nicht in Prozess- handbüchern, sondern in schnellen Entschei- dungen, die dort getroffen werden, wo die Ex- pertise sitzt – das muss nicht dort sein, wo die Chefebene sitzt. Diese Arbeitsweise rich- tet sich keineswegs gegen wirtschaftliche Ziele. Ganz im Gegenteil: Sie ist im Kern un- ternehmerisch. Man will Produkte oder dukt, auf jede Dienstleistung, die gut ange- nommen wird, kommen viele Ideen und Ver- suche, die nicht funktioniert haben. Deshalb ist es auch so wichtig, sehr frühzeitig zu tes- ten, ob die Produktidee am Markt ankommt. Und es gilt für Führungskräfte aller Ebenen, die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter für den Wandel zu begleiten. Die Digitalisierung ist ja nicht die einzige Herausforderung – auch der stetige demo- grafische Wandel, die Konkurrenz durch weltweite, teilweise gut finanzierte Start-ups, die Verdichtung und Ermüdung, das sind al- les reale Herausforderungen. „Weiter so“ wird da sicher nicht funktionieren. Auch die Definition von Sicherheit verän- dert sich. Bergdolt: Sicherheit bedeutet mehr denn je, Veränderungen klug zu bewältigen – und als Unternehmen gerade dann neue Ideen zu entwickeln, wenn es mir gerade gut geht. Wenn der Umsatz einbricht, ist oft die Strate- giekrise schon da. Dann hat man viel weniger Zeit, Neues zu entwickeln; in diese „Wohl- fühl-Falle“ sind schon viele Unternehmen ge- tappt. Deshalb lautet ja auch der Buchtitel des Intel-Mitgründers Andrew Grove „Only the Paranoid survive“. INTERVIEW | Bild: preto_perola/Fotolia.com econo 5/2016 9. Dezember 2016 econo 5/2016 9. Dezember 2016 107 MENSCH & MANAGEMENT

Bild: preto perola/Fotolia - Unternehmen im Wachstum...Wie muss sich die Organisationsstruktur verändern, wenn eine Firma „agiler“ werden soll? Bergdolt: Im Unternehmen brauchen

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Page 1: Bild: preto perola/Fotolia - Unternehmen im Wachstum...Wie muss sich die Organisationsstruktur verändern, wenn eine Firma „agiler“ werden soll? Bergdolt: Im Unternehmen brauchen

Wege ausder „Wohlfühl-Falle“Um im digitalen Zeitalter fit für rasche, bisweilen radikale Veränderungen zu sein, richten viele

Firmen ihr Handeln neu aus. Für die Unternehmensberaterin Regina Bergdolt kommt dabei auch

dem mittleren Management eine wichtige Rolle zu.

Wie stellen sich Firmenlenker darauf ein?

Bergdolt: Die Entwicklung von Strategienfür die Zukunft, die Arbeit am, nicht im Unter-nehmen ist die zentrale Führungsaufgabe.Das operative Tagesgeschäft alleine gene-riert meist keine großartigen Ideen. Der Ma-nagementvordenker Gary Hamel hat das tref-fend formuliert: „Erfolg ist die Ausnahme,nicht die Regel.“ Auf jedes erfolgreiche Pro-

bewerberunterschiede. Eine wirklich disrup-tive Idee ist nicht mehr so schnell „einzuho-len“ – weil sie die Befriedigung von Kunden-bedürfnissen mit der Nutzung neu geschaffe-ner Technologien verbindet. Das ist einmalig.Und doch war der Wettkampf um Märkte undMenschen ja schon immer der Kern des Un-ternehmertums – sonst würden wir noch inHütten wohnen und uns per Pferd oder zuFuß bewegen.

Ob Amazon, Apple oder Uber: Vor dem Hin-

tergrund rasant fortschreitender Digitali-

sierung rund um den Globus bereiten dis-

ruptive Konzepte dem Erfolg langjähriger

Geschäftsmodelle oft ein jähes Ende. Was

heißt das auch für Unternehmen hierzulan-

de?

Regina Bergdolt: Digitale Technologien ver-größern durch Technologiesprünge die Wett-

Dienstleistungen, auf die drei Kriterien zu-treffen: Viele Leute wollen sie haben, sie sindmit neuen Technologien (besser) machbarund sie bringen Umsatz und Gewinn für dasUnternehmen (Geschäftsmodell).

Wie grenzen Sie Agilität von Anarchie ab?

Bergdolt: Das ist eine häufige Angst, die aufeinem Missverständnis beruht: In Anarchiengibt es zwar keine zentrale Lenkung, jedochsehr wohl soziale Normen und Regeln. AgilesArbeiten ist sehr zielorientiert und selbstor-ganisierter. Schnelle Innovationen entstehennicht dadurch, dass man ziellos in Arbeits-gruppen herumsitzt – was in mancher Orga-nisation bei zahlreichen Meetings der Fall ist.Agilität ist quasi strukturierte Flexibilität –und kein Aktionismus. Start-ups haben denVorteil, dass sie so eine Kultur von Anfang anaufbauen können. Doch es gibt auch Unter-nehmen, die schon außerordentlich agil sind,obwohl sie den Begriff vielleicht noch nie ge-hört haben.

Für Firmen, die flexibler sein wollen, musses kein „Entweder-Oder“, keine Entschei-dung zwischen Verändern und Bewahren ge-ben, sondern einen Übergang zu deutlichmehr Flexibilität. Allerdings braucht es dafürdie Entschlossenheit der Unternehmenslei-tung – ein bisschen agil ist selten eine Lö-sung.

Was ergibt sich daraus für die Unterneh-menskultur in einem etablierten Betrieb?

Bergdolt: Unternehmenskultur zeigt sich imAlltag. Da kann es schon sein, dass die Kulturagilem Handeln widerspricht – wenn eswichtig ist, nicht gegen den Strich zu bürs-ten, wenn vermeintliche Harmonie und An-passungsfähigkeit gefragt sind, wenn ge-schicktes politisches Taktieren mit verdeck-ten Interessen den Entscheidungsalltag be-stimmt. Kritisch ist es auch, wenn die Ideevon „Sicherheit“ eine große Rolle spielt unddiese gleichzeitig stark mit Unveränderbar-keit verknüpft ist. Disruptive Marktereignissesind mit einer gemütlichen Grundhaltungschwer zu vereinbaren. Mangelnde Offenheitfür Neues ist angesichts der Digitalisierungmit ihren Umbrüchen keine Option mehr.Offenheit für Neues ist bei Menschen übri-gens ein relativ stabiles Persönlichkeits-merkmal, das man messen kann; es istnicht vom Alter abhängig.

Eine der Kernfragen ist, ob die Führungs-kultur die richtigen Ziele unterstützt: Beloh-nen Führungskräfte noch immer die Bewah-rer und kann man es sich als Querdenker„schnell verderben“? Wird Wendigkeit be-lohnt oder Beharrlichkeit, auch durch Bonioder Jobchancen? Wird man Führungskraft,weil man „halt schon lange da ist“ – oderweil man mit anderen etwas bewirkt?

Was sind Anzeichen dafür, dass ein Unter-

nehmen diese Herausforderung angenom-

men hat?

Bergdolt: Ein Unternehmen ist gut vorberei-tet, wenn es eine nachvollziehbare Vorstel-lung dazu entwickelt hat, wie sich neue Tech-nologien und Entwicklungen auf Kunden-wünsche oder das eigene Produktportfolioauswirken werden – und wie sich die gesam-te Wertschöpfungskette und auch die Orga-nisation unter diesen Einflüssen weiter ent-wickeln lassen. Technologietrends müssenein zentrales Thema für alle Management-ebenen sein, nicht nur für die in der IT.

Unterschätzt wird oft die Wirkung einespositiven Zielbildes. Wenn das Unternehmennicht Opfer, sondern Gewinner in Sachen Di-gitalisierung wird, wie sieht dann die Zukunftaus? Was wird besser, leichter, erfolgreicher?Noch stärker unterschätzt wird häufig diestrukturelle Erneuerung als Unternehmen.Gary Hamel sagt dazu: „In turbulenten Zeitenhaben nur Unternehmen Erfolg, die bei dereigenen Erneuerung genauso effizient sindwie bei der Herstellung ihrer Produkte undDienstleistungen.“

Sie fordern, viele Unternehmen müssten

„agiler“ werden. Was verstehen Sie in die-

sem Zusammenhang unter Agilität?

Bergdolt: Eine der Wurzeln des „agilen Un-ternehmens“ liegt im „agilen Manifest“, daseine Gruppe von Softwareentwicklern –„TheAgile Alliance“ – 2001 in den USA entwickelthat. Sie wollten sich von den Konzernzwän-gen befreien, die sie bisweilen an Dilbert-Co-mics erinnerten: absurd, aber real; „Leidens-fähigkeit“ als Kernkompetenz, Gehalt als„Schmerzensgeld“. Das Ziel: eine kunden-wie menschenfreundliche, am Markt sehrwendige Form der Zusammenarbeit. Im Kernsind das auch die Ideen der „agilen Organisa-tion“: eine radikale Orientierung am Kundenstatt sinnarmer Beschäftigung mit Organisa-tionsroutinen. Dazu gehört es, sich ein ech-tes und gründliches Verständnis der Kunden-probleme und -wünsche zu erarbeiten,schnell Prototypen zu bauen und zu diesenwieder schnell die Meinung von Kunden ein-zuholen. Das ist die Basis vieler Methodenwie Design Thinking.

Agiles Arbeiten nutzt die Kreativität vieler,lädt zu kreativen Prozessen ein, die jedochsehr gut strukturiert sind. Eine agile Organi-sation sucht die Sicherheit nicht in Prozess-handbüchern, sondern in schnellen Entschei-dungen, die dort getroffen werden, wo die Ex-pertise sitzt – das muss nicht dort sein, wodie Chefebene sitzt. Diese Arbeitsweise rich-tet sich keineswegs gegen wirtschaftlicheZiele. Ganz im Gegenteil: Sie ist im Kern un-ternehmerisch. Man will Produkte oder

dukt, auf jede Dienstleistung, die gut ange-nommen wird, kommen viele Ideen und Ver-suche, die nicht funktioniert haben. Deshalbist es auch so wichtig, sehr frühzeitig zu tes-ten, ob die Produktidee am Markt ankommt.Und es gilt für Führungskräfte aller Ebenen,die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter für denWandel zu begleiten.

Die Digitalisierung ist ja nicht die einzigeHerausforderung – auch der stetige demo-grafische Wandel, die Konkurrenz durchweltweite, teilweise gut finanzierte Start-ups,die Verdichtung und Ermüdung, das sind al-les reale Herausforderungen. „Weiter so“wird da sicher nicht funktionieren.

Auch die Definition von Sicherheit verän-dert sich.

Bergdolt: Sicherheit bedeutet mehr denn je,Veränderungen klug zu bewältigen – und alsUnternehmen gerade dann neue Ideen zuentwickeln, wenn es mir gerade gut geht.Wenn der Umsatz einbricht, ist oft die Strate-giekrise schon da. Dann hat man viel wenigerZeit, Neues zu entwickeln; in diese „Wohl-fühl-Falle“ sind schon viele Unternehmen ge-tappt. Deshalb lautet ja auch der Buchtiteldes Intel-Mitgründers Andrew Grove „Onlythe Paranoid survive“.

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107MENSCH & MANAGEMENT

Page 2: Bild: preto perola/Fotolia - Unternehmen im Wachstum...Wie muss sich die Organisationsstruktur verändern, wenn eine Firma „agiler“ werden soll? Bergdolt: Im Unternehmen brauchen

Wie muss sich die Organisationsstrukturverändern, wenn eine Firma „agiler“ werdensoll?Bergdolt: Im Unternehmen brauchen Siefreilich ein Zielbild, um Kreativität zielgerich-tet nutzen zu können – wenn Sie aber Men-schen mit vorgegebenen Prozessen und „Or-ganisationsanweisungen“ beschäftigen,statt die nötigen Freiräume zu schaffen, ent-steht daraus sicher keine bahnbrechendeIdee. Führende digitale Unternehmen mana-gen oft Hunderte von Initiativen gleichzeitig.Wer da jeden Arbeitsprozess genau verfol-gen oder gar kontrollieren möchte, ist armdran. Viel sinnvoller ist es, als Führungskraftzu überlegen: Wen möchte ich in Netzwerkeeinbinden? Welche Unterstützung brauchtein Team wirklich, um gute Problemlösungenzu finden? Wo gibt es Leute, die mehr kön-nen und wollen, aber noch keinen Andock-punkt haben? Welche Methoden sollte ichpraktisch erlernen, damit ich Teams unter-stützen kann? Wo muss ich Hindernisse ausder Welt schaffen – auch wenn es unbequemwird für mich?

Einfach bestimmte Hierarchieebenen ab-zuschaffen, ist keine Option. Oder doch?Bergdolt: Solche Ansätze gab es immer wie-der. Doch etwas wegzunehmen, ist keine gu-te Idee, wenn nichts anderes dafür kommt;sonst gäbe es ja das ultimative Kochrezeptfür die agile Organisation. Die Gretchenfragelautet: Inwiefern hilft eine bestimmte Hierar-chieebene, das Unternehmen dauerhaftmarktfähig zu halten, das Denken und Han-deln unternehmerisch zu gestalten? AuchsoIlte man hinterfragen, was sie zur Ausrich-tung an Kundenbedürfnissen beiträgt.

Sinnvoll ist es außerden, zu überprüfen,welche Manager bereits Kompetenzen fürdas agile Arbeiten aufgebaut haben. SindFührungskräfte fit im Umgang mit digitalenMedien, die die Zusammenarbeit erleich-tern? Haben sie Ideen, wie sie verstreuteTeams mit sehr unterschiedlichen Teammit-gliedern führen?

Bergdolt: Kleinteilige Prozesse, Unmengenvon Meetings und die anhaltende E-Mail-Flut – die Organisation selbst schafft so vielKomplexität, dass ihre Akteure auch ohneKunden vollauf beschäftigt sind. Bei denmittleren Managern landet viel Komplexität,und gleichzeitig ist es für sie schwer, Routi-nen zu verändern, weil sie kein Mandat zurOrganisationsentwicklung haben. In zahlrei-chen Workshops mit mittleren Managern istmir viel Frustration begegnet. Nur eineexemplarische Aussage: „Es gibt interneProzesse, die zu komplex sind, und da ich sieselten anwende, kostet mich das wahnsin-nig viel Zeit. Hochbezahlte Manager erledi-gen stundenlang relativ einfache Aufgabenund verbraten Zeit. Unser Kunde verstehtnicht, warum das alles bei uns so lange dau-ert. Er drängt auf schnelle Entscheidungen.“Wenn darüber hinaus zu viele Beteiligte mit-reden wollen oder sollen, verzögert das denEntscheidungsprozess noch mehr.

Welche zentralen Vorteile haben mittlereManager gegenüber der Unternehmens-spitze, wenn es um strategische Neuaus-richtung geht?Bergdolt: Mit ihren vielfältigen Vernetzun-gen in der Organisation und zu Marktteilneh-mern entwickeln sie oft ein differenziertesBild. Sie wirken wie „Seismographen“ für dieAgilität und erkennen klar die Schwach-punkte ihrer Organisation. Ich würde mittle-re Manager immer als „interne Experten“ be-fragen, wenn sich die Organisation hin zumehr Agilität wandeln möchte. Die Vorschlä-ge kann man dann auswerten und darausdie organisationseigene, agile „Best Practi-ce“ entwickeln.

Dank ihrer Markt-Expertise helfen mittlereManager zudem dabei, die strategischenÜberlegungen am Kunden auszurichten.Durch marktnahe Informationen und Boden-ständigkeit können sie erfolgskritische stra-tegische Annahmen zeitnah korrigieren –das ist unbezahlbar. Sie nicht zu hören, be-deutet oft einen Verlust an strategischer

Stoßen diese Ansätze nicht gerade in gro-ßen Konzernen auf Hindernisse?

Bergdolt: Das kann passieren. Deshalbgründen oder finanzieren Konzerne eherStart-ups – zur Förderung des Intrapreneur-ship und Entrepreneurship; so entsteht eineArt Arbeitsteilung zwischen sehr großen Un-ternehmen, die über differenzierte Expertiseund Kapital verfügen, und den „Schnellboo-ten“ mit spannendem Innovationsauftrag. Al-lerdings beobachte ich eine Tendenz, Inkuba-toren einzurichten, statt selbst Veränderun-gen einzuleiten. In Konzernen laufen sich agi-le Innovationen oft tot, wie sich zum Beispielan Übernahmen von Start-ups durch großeUnternehmen zeigt: Eine andere Kultur musssich auch entwickeln können – wie einPflänzchen, das nicht im Schatten des Mut-terbaums steht. Das Behaupten-Müssen ge-gen eine konservative, rigide Kultur kostet zuviel Kraft, die auf Kosten der Innovation undder neuen Kulturentwicklung geht.

Mittelständler hingegen haben oft den er-heblichen Vorteil, dass sie stark am Gründeroder Inhaber ausgerichtet sind. Wer ein Un-ternehmen aufgebaut hat, ist meist eine Un-ternehmerpersönlichkeit, die das Handelndes Betriebs durchdringt und die oft direktmit den Mitarbeitern über das unternehmeri-sche Geschehen spricht.

Inwiefern hemmen starre BudgetzyklenInnovationssprünge?

Bergdolt: Generell gilt: Ressourcen solltenda sein, wo erfolgversprechendes Neuesentsteht – die Planung muss der Innovationfolgen, denn die Innovation wird sich kaumnach der Planung richten. Viele Transfor-mationsprojekte werden durch Budgetzy-klen behindert, die nicht flexibel genug aufdas Geschehen im Unternehmen reagieren.

Vor allem das mittlere Management giltvielen als „Lehmschicht“, böse Zungensprechen gar von einer „Lähmschicht“, dieunternehmerische Beweglichkeit ausbrem-se. Zu Unrecht?

beit in viele Bereichen eines Unternehmens– und für die Gruppenführung. Strukturie-rungsvermögen ist nicht nur in technischen,sondern auch in anderen problemlösendenAufgabenbereichen gefragt.

„Mein Führungsmodell der Zukunft ist je-nes: Ich habe keine feste Zuordnung mehrvon Führungskräften zu einer Abteilung bisan das Lebensende“, sagte mir vor einigerZeit ein mittlerer Manager. „Wenn sich Märk-te ändern, wenn sich Bedarfe ändern, dannsage ich: Das ist die Führungskraft, die ichjetzt für diese Abteilung für drei Jahre brau-che.“ Das persönliche „Skill-Set“ und die ak-tuelle Lebenssituation sind wichtiger als diefeste Position. Wir messen Kompetenzen beider Einstellung, entwickeln diese aber konti-nuierlich weiter und erwerben neue – dannwill man sie auch einsetzen.

Interview: Dennis Christmann

workshop mit Ihren Nachwuchskräften. Wiebeurteilen 25- bis 30-Jährige die Zukunftsfä-higkeit der Firma? Ist das Unternehmen anden richtigen Themen dran? Was nervt oderist unverständlich? Was fänden die Jungenrichtig gut? Das liefert wertvolle „Updates“für den Vorstand.

Immer mehr Firmen arbeiten projektbezo-gen. Sind feste Positionen und auf Dauerdefinierte Aufgaben vor diesem Hinter-grund noch zeitgemäß?Bergdolt: Es wäre viel gewonnen, wennman Menschen nach fachlichen wie über-fachlichen Kompetenzen für Aufgaben aus-wählen würde; viele Fähigkeiten und Fertig-keiten sind in verschiedenen Kompetenzbe-reichen einsetzbar. Moderne Personalarbeitrichtet sich, um ein Beispiel zu nennen, starkan vertrieblichen Aufgaben aus, gute Koope-rationsfähigkeit ist die Grundlage für die Ar-

Wirksamkeit. Für das Topmanagement heißtdas aber auch, Kritik auszuhalten und kon-struktiv damit umzugehen.

Wie können mittlere Manager im Arbeits-alltag konkrete Impulse einbringen?

Bergdolt: Geht es um Agilität, sollte man vorallem mit den mittleren Managern arbeiten,die wirklich etwas verändern wollen. Kon-kret kann das so aussehen: Obere Managerüberprüfen ihre strategische Ausrichtung inkurzen, straffen Workshops mit mittlerenManagern, die das Produktgebiet gut ken-nen. Mit wenigen Kernfragen: Können wirdamit unsere Expertise ausbauen? Werdenwir damit wirtschaftlich erfolgreich sein?Wenn nein, welche Alternativen sehen sie?

Freiräume für Querdenken und Kreativität,Verantwortung statt Funktionieren – da-rauf legt gerade die nachwachsende Fach-und Führungskräftegeneration Wert. EinWettbewerbsvorteil für das „agile“ Unter-nehmen?

Bergdolt: Oh ja! Ein Gesprächspartner an ei-ner Hochschule sagte mir neulich: „Die Ab-solventen suchen ein anderes Arbeitsumfeld– und finden es meist nicht.“ Wir solltennicht zu viel Zeit damit verbringen, das Altezu schützen; und auch nicht zu viel Zeit da-mit, dass innovative Menschen versuchenmüssen, neue Ideen durch einen zähenÄther der Skepsis zu bewegen. Denn innova-tive Köpfe können sich bestens mit neuenMärkten verbinden – auch mit solchen, diees noch gar nicht gibt.

Ein konkreter Tipp für Unternehmenslenker:Zwar mag eine Tour durch die Berliner Start-up-Szene spannend sein – beginnen Sie alsEntscheider jedoch lieber mit einem Kurz-

Verschiedene Maßnahmen, ein Ziel: Entwicklung zur unternehmerischenFlexiblität Grafik: Regina Bergdolt

Zur Person

Regina Bergdolt ist seit 20 Jahren Berate-

rin für Unternehmensentwicklung und die

Besetzung von Führungspositionen.

Sie begleitet Organisationen auf dem Weg

zu mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Digi-

talisierung und Entscheider auf dem Weg

zur agilen Organisation.

Schwerpunkte liegen auf Unternehmen der

IT-Industrie und anderen Technologieunter-

nehmen, dem Handel und den Bereichen

Biotechnologie/Pharma und Medizin.

Typische Projekte sind Nachbesetzun-gen von Managementpositionen, agileManagementmethoden und die Flexibi-lisierung der Unternehmensstrukturensowie die Einführung von Fachkarrieren.

Regina Bergdolt ist Vorstand im Förder-verein Forschungszentrum InformatikKarlsruhe (FZI).

Die „agile Toolbox“ für Entscheider,aktuelle Termine und Kontaktdatengibt es auf folgender Internetseite:www.unternehmen-im-wachstum.deB

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