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Lebensfreude UND STATT TROTZ Bildung Impulsvortrag von Inge Patsch beim Herbst der Erwachsenenbildung im Haus der Begegnung, Innsbruck Was sollen Gedanken zur Bildung bewirken? Wofür sollen sie gut sein? Als Legitimation für einen Abend mit interessanten und netten Menschen? Als Inspiration für eigene Ideen? Als Ermutigung für Herzenskraft und Denkvermögen? Suchen Sie sich aus – was in Ihnen die meisten Funken von Freude auslöst. Die Menschen müssen leiden, um stark zu werden, dacht ich. Jetzt denk ich, sie müssen Freude haben, um gut zu werden. Wilhelm von Humboldt hat uns diese Erkenntnis hinterlassen. Humboldt war Staatsmann, Mitbegründer der Berliner Universität und als Minister für Kultus und Unterricht im Preußischen Innenministerium leitete er wesentliche Reformen ein für ein Erziehungs system von der Volksschule bis zur Universität. Vorweg meine sehr persönliche Meinung: Bildung stärkt Lebensfreude, wenn sie neben der Anhäufung von Wissen, dem Verstandesfutter auch Seelennahrung zu bieten hat. Heinrich Heine, einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts meinte: „Bildungslücken erleichtern den Weg zum Herzen“ Was könnte er damit gemeint haben? Ich bin ziemlich sicher, dass der Dichter, der in seinen Gedichten immer wieder die Schwächen der Menschen aufs Korn genommen hat nichts gegen eine gute Bildung hatte. Vielleicht meinte er, dass Lücken in der Bildung einen Blick in die Weite ermöglichen. Oder verstand er darunter die Erkenntnis, dass man niemals alles wissen kann? Dort wo Menschen meinen, dass es keine Bildungslücken geben darf, wird es eng. Die Enge in unserer Bildungslandschaft ist bei vielen jungen Menschen durch Angst vor Versagen geprägt und der Angst aus der Gemeinschaft herauszufallen. Ich meine, wir alle brauchen den Mut zur Lücke. Dort wo alle Wege vorgezeichnet und geebnet sind entstehen meistens Trampelpfade und die Freude selbst zu denken und zu fühlen wird geringer. Können Bildungslücken unseren Umgang mit dem erleichtern, was uns im Leben unbegreiflich bleibt? Wir brauchen den Mut, auch die Lücken und jene Bereiche, die uns nicht gelingen, in unser Dasein zu integrieren. Dazu brauchen wir mehr menschliches Herz statt einer funktionierenden Zentraleinheit. Damit bin ich bei einer wesentlichen Erkenntnis von Viktor E. Frankl angelangt und bei der Fähigkeit zwischen Mensch und Maschine unterscheiden zu können: „Je genormter eine Maschine ist, um so besser ist sie, je genormter jedoch ein Mensch je mehr er in seinem

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Lebensfreude  UND  STATT  TROTZ  Bildung  

Impulsvortrag  von  Inge  Patsch  

beim  Herbst  der  Erwachsenenbildung  im  Haus  der  Begegnung,  Innsbruck  

 

Was  sollen  Gedanken  zur  Bildung  bewirken?  Wofür  sollen  sie  gut  sein?  

Als  Legitimation  für  einen  Abend  mit  interessanten  und  netten  Menschen?  

Als  Inspiration  für  eigene  Ideen?  

Als  Ermutigung  für  Herzenskraft  und  Denkvermögen?  

Suchen  Sie  sich  aus  –  was  in  Ihnen  die  meisten  Funken  von  Freude  auslöst.  

 

Die  Menschen  müssen  leiden,  um  stark  zu  werden,  dacht  ich.    

Jetzt  denk  ich,  sie  müssen  Freude  haben,  um  gut  zu  werden.  

Wilhelm  von  Humboldt  hat  uns  diese  Erkenntnis  hinterlassen.  Humboldt  war  Staatsmann,  Mitbegründer  der  Berliner  Universität  und  als  Minister  für  Kultus  und  Unterricht  im  Preußischen  Innenministerium  leitete  er  wesentliche  Reformen  ein  für  ein  Erziehungs-­‐system  von  der  Volksschule  bis  zur  Universität.  

Vorweg  meine  sehr  persönliche  Meinung:  Bildung  stärkt  Lebensfreude,  wenn  sie  neben  der  Anhäufung  von  Wissen,  dem  Verstandesfutter  auch  Seelennahrung  zu  bieten  hat.  

Heinrich  Heine,  einer  der  bedeutendsten  deutschen  Dichter  des  19.  Jahrhunderts  meinte:  „Bildungslücken  erleichtern  den  Weg  zum  Herzen“  

Was  könnte  er  damit  gemeint  haben?  Ich  bin  ziemlich  sicher,  dass  der  Dichter,  der  in  seinen  Gedichten  immer  wieder  die  Schwächen  der  Menschen  aufs  Korn  genommen  hat  nichts  gegen  eine  gute  Bildung  hatte.  Vielleicht  meinte  er,  dass  Lücken  in  der  Bildung  einen  Blick  in  die  Weite  ermöglichen.  Oder  verstand  er  darunter  die  Erkenntnis,  dass  man  niemals  alles  wissen  kann?  Dort  wo  Menschen  meinen,  dass  es  keine  Bildungslücken  geben  darf,  wird  es  eng.  Die  Enge  in  unserer  Bildungslandschaft  ist  bei  vielen  jungen  Menschen  durch  Angst  vor  Versagen  geprägt  und  der  Angst  aus  der  Gemeinschaft  herauszufallen.  

Ich  meine,  wir  alle  brauchen  den  Mut  zur  Lücke.  Dort  wo  alle  Wege  vorgezeichnet  und  geebnet  sind  entstehen  meistens  Trampelpfade  und  die  Freude  selbst  zu  denken  und  zu  fühlen  wird  geringer.  Können  Bildungslücken  unseren  Umgang  mit  dem  erleichtern,  was  uns  im  Leben  unbegreiflich  bleibt?  Wir  brauchen  den  Mut,  auch  die  Lücken  und  jene  Bereiche,  die  uns  nicht  gelingen,  in  unser  Dasein  zu  integrieren.  Dazu  brauchen  wir  mehr  menschliches  Herz  statt  einer  funktionierenden  Zentraleinheit.  

Damit  bin  ich  bei  einer  wesentlichen  Erkenntnis  von  Viktor  E.  Frankl  angelangt  und  bei  der  Fähigkeit  zwischen  Mensch  und  Maschine  unterscheiden  zu  können:  „Je  genormter  eine  Maschine  ist,  um  so  besser  ist  sie,  je  genormter  jedoch  ein  Mensch  -­‐  je  mehr  er  in  seinem  

Typus  (Rassen-­‐,  Klassen-­‐  oder  Charakter-­‐)  aufgeht  und  einer  Durchschnittsnorm  entspricht  -­‐  um  so  abtrünniger  ist  er  der  ethischen  Norm."  

Technische  Geräte  funktionieren  auf  Knopfdruck,  tun  sie  es  nicht,  werden  sie  meistens  ausgetauscht  und  manchmal  repariert.  Menschen  funktionieren  nicht  auf  Knopfdruck,  sondern  sind  lebendige  Wesen,  die  Schmerz  empfinden,  wenn  sie  ausgetauscht  werden.  Das  Maschinendenken  der  letzten  Jahrzehnte  hat  den  Menschen  verführt  Funktion,  Messbarkeit  und  Vergleichbarkeit  auf  den  Menschen  zu  übertragen,  anstelle  von  Einmaligkeit,  Einzigartigkeit  und  Verletzbarkeit.  Dies  ist  auch  eine  Bildungslücke  immer  weniger  Menschen  halten  dem  Funktionalen,  der  Messbarkeit  und  dem  Vergleichen  stand.    

Wir  befehlen  zu  viel,  wir  gehorchen  zu  viel  und  leben  zu  wenig.  Normen  und  Regeln  sind  eine  gute  Sache,  aber  eben  nicht  nur  eine  gute.  Dort  man  alles  planen  und  bestimmen  will,  wird  es  anstrengend.  

Es  ist  anstrengend,  wenn  man  sich  ständig  an  eine  Regel  halten  soll  –  aber  dies  verhindert  nicht  Lebensfreude.  Im  Gegenteil  wer  Anstrengungen  permanent  vermeiden  will,  wird  es  zwar  bequem  haben  und  das  ist  meistens  ohne  Lebensfreude  möglich.  

Dem  Thema  Gehorsam  widmet  sich  Arno  Gruen  in  einem  neuen  Buch.  Er  schildert  an  einer  Studie,  welche  Auswirkungen  eine  bestimmte  Art  des  Gehorsams  hat.  

„Helen  Bluvol  und  Ann  Roskam  führten  Studien  an  einem  amerikanischen  Gymnasium  durch.  Sie  untersuchten  zwei  Gruppen  von  Schülern  –  eine,  die  äußerst  erfolgreich  war,  sich  gehorsam  den  Ambitionen  der  Eltern  anpasste,  und  eine  andere  Gruppe,  deren  Leistung  zwar  als  genügend  eingestuft  wurde,  die  sich  aber  nicht  sonderlich  für  Erfolg  interessierte  und  keinem  Druck  ausgesetzt  war,  den  Erwartungen  der  Eltern  zu  entsprechen,  also  gehorsam  zu  sein.  

Die  erste  Gruppe  zeichnete  sich  durch  ein  starkes  Bedürfnis  nach  Bestätigung  aus.  Diese  Schüler  reagierten  mit  Angst,  wenn  sie  den  Eindruck  hatten,  von  gängigen  Verhaltens-­‐normen  abzuweichen.  Diese  Gruppe  war  auch  unfähig,  die  Eltern  als  eigenständige,  differenzierte  Menschen  wahrzunehmen.  Diese  Schüler  neigten  dazu,  ihre  Eltern,  aber  auch  Autoritätspersonen  wie  ihre  Lehrer  zu  idealisieren.  Die  Gruppe  der  wenig  erfolg-­‐sorientierten  Schüler  dagegen  beschrieb  die  Eltern  als  reale  Persönlichkeiten  mit  guten  und  schlechten  Seiten.  Idealisierungen  waren  ihnen  fremd.  

Die  erfolgsorientierten  Schüler,  die  ihre  Eltern  verklärten,  tendierten  vehement  dazu,  ihre  Mitschüler  zu  Unterlegenen  zu  machen.  Nur  dann  empfanden  sie  sich  als  „autonom“.  Hier  sehen  wir  die  Auswirkungen  des  Gehorsams.  Die  Gruppe,  die  sich  im  Hinblick  auf  Erfolg  und  allgemeines  „Wohlverhalten“  den  allgemein  anerkannten  Normen  unterord-­‐nete  und  somit  am  stärksten  im  System  elterlich-­‐autoritärer  Erwartungen  gefangen  war,  fühlte  sich  unabhängig  –  und  zwar  dann,  wenn  sie  andere  schlechtmachen  und  herab-­‐setzen  konnte.  Viele  erleben  also  das  Gefühl  von  Freiheit  und  Autonomie,  wenn  sie  das  Fremde  im  Anderen  und  damit  unbewusst  in  sich  selbst  bestrafen.“  

Arno  Gruen,  Wider  den  Gehorsam,  Stuttgart  2014,  58  

Ergänzend  zu  Arno  Gruen  meine  ich,  dass  junge  Menschen  derzeit  nicht  so  sehr  von  einem  Gehorsam  den  Eltern  gegenüber  geprägt  sind,  sondern  von  einem  "Gehorsam  des  Erfolges",  der  zu  einem  Dogma  unserer  Gesellschaft  wurde.  

Wo  eine  gute  Sache  –  wie  der  Erfolg  –  ins  Extrem  kippt,  wächst  wie  von  selbst  eine  Gegenkraft.  Mir  ist  nichts  besseres  eingefallen  als  der    "Gehorsam  des  schwerelosen  Lebens".  Zuerst  wollte  ich  unbeschwert  schreiben,  aber  unbeschwert  stimmt  nicht.  In  manchen  Bereichen  gibt  es  diese  eigenartige  Entwicklung,  dass  man  sich  für  nichts  anstrengen  darf.  Zu  meiner  Zeit  hieß  das  im  Schuljargon:  Streberlaus.  

Ob  es  den  goldenen  Mittelweg  im  Bereich  der  Bildung  gibt,  weiß  ich  nicht.  Ich  weiß  auch  nicht,  ob  dieser  Weg  bildungsfördernd  oder  lebensgelingend  sein  könnte.  Nehmen  wir    das  Bild  der  Schaukel  auf  der  zwei  Kinder  sich  gegenseitig  einmal  in  die  Höhe  und  wieder  auf  den  Boden  bringen.  Bei  diesem  Bild  würde  der  Mittelweg  zum  Stillstand  führen  und  die  Freude  über  das  spielerische  Auf  und  Ab  wäre  dahin.  Deshalb  ist  für  mich  persönlich  jene  Bildung  wesentlich,  die  mich  befähigt  das  Auf  und  Ab  des  Lebens  zu  gestalten.  

Zwei  Modelle  zur  Förderung  dieser  Art  von  Bildung  sind  schon  sehr  alt.  Das  eine  stammt  aus  dem  vierten  Jahrhundert  vor  Christus  und  das  andere  aus  dem  vierten  Jahrhundert  nach  Christus.  

1.  Das  Potentialmodell  von  Aristoteles,  stammt  aus  dem  vierten  Jahrhundert  vor  Christus:  Menschen  haben  Potentiale  und  ein  Wachstumsmodell  liegt  darin  diese  Potentiale  zu  verwirklichen.  Umso  mehr  Potentiale  verwirklicht  werden  oder  worden  sind,  umso  besser.  Das  ist  ein  Wachstumsmodell  für  den  Fortschritt.  Ob  dies  menschlich  ist,  das  steht  noch  nicht  fest.    

2.  Das  Modell  Johannes  Cassian,  einem  der  Wüstenväter  stammt  aus  dem  vierten  Jahrhundert  nach  Christi  Geburt.  Der  hat  ein  ganz  anderes  Wachstumsmodell.  Der  stellt  sich  darunter  vor,  dass  die  Gemütsbewegungen  der  Seele  bekämpft  werden.  Die  Fehlhaltungen  der  Seele,  die  da  sind:  die  berühmten  Todsünden:  Neid,  Gier,  Maßlosigkeit  in  allen  Formen,  Zorn,  innere  Trockenheit.  Das  ist  ein  ganz  anderes  Wachstumsmodell.  Dieses  Modell  hat  die  Fähigkeit  des  spezifisch  Humanen  im  Blick,  wie  Viktor  E.  Frankl  dies  gesagt  hat.  

 

“Sich”  entscheidet  der  Mensch:  alle  Entscheidung  ist  Selbstentscheidung,  und  Selbstentscheidung  ist  allemal  Selbstgestaltung.    

Während  ich  das  Schicksal  gestalte,  gestaltet  die  Person,  die  ich  bin,  den  Charakter  den  ich  habe  –  gestaltet  “sich”  die  Persönlichkeit,  die  ich  werde.  

Dazu  fällt  mir  eine  Geschichte  ein  

Erlebte  Geschichten  sind  für  mich  immer  eine  wunderbare  Möglichkeit  theoretisches  Wissen  mit  Erkenntnis  zu  beleben.  

„Der  Sohn  eines  Kollegen  hatte  am  ersten  Schultag  mit  dem  neuen  Lehrer  Pech.  Er  kam  weinend  und  sehr  verletzt  nach  Hause.  Sein  Vater  wurde  ärgerlich  und  wollte  sich  den  Lehrer  „krallen“  und  ihm  die  Meinung  sagen.  Der  Ärger  tat  dem  Sohn  sichtlich  gut.  Danach  hatte  sein  Vater  noch  eine  andere  Idee.  Schon  in  der  Jacke  setzte  er  sich  zu  seinem  Sohn  und  sagte:  „Weißt  du  –  du  wirst  ja  mal  groß  sein  und  in  einer  Firma  arbeiten.  Da  gibt  es  vielleicht  einen  Chef  und  der  gibt  dir  einen  Auftrag.  Du  machst  deine  Sache  gut  und  legst  ihm  die  Unterlagen  vor.  Aber  dein  Chef  schmeißt  deine  Arbeit  in  den  Papierkorb  und  sagt,  sie  tauge  nichts.  Dabei  hast  du  einen  guten  Job  gemacht!  Solche  Leute  gibt  es  immer  mal.  Manchmal  haben  sie  einen  schlechten  Tag,  und  manche  sind  immer  so.  Jetzt  überleg  einmal  –  ich  kann  hingehen  und  dem  Lehrer  sagen:,  So  was  hört  auf,  sonst  bekommen  Sie  Ärger  mit  mir.‘  Oder  du  nimmst  den  zum  Üben,  dann  weißt  du  schon,  wie  man  später  im  Leben  mit  solchen  Leuten  umgeht.  Was  soll  ich  jetzt  machen?  Soll  ich  sagen:  ,Das  hört  auf!,  oder  möchtest  du  ihn  zum  Üben  haben?“    

Nach  minutenlangem  Schweigen  sagte  sein  Sohn:  „Den  nehm’  ich  zum  Üben.“  Der  Vater  hörte  nie  mehr  etwas  von  diesem  Lehrer.  Sein  Sohn  nahm  ihn  zum  Üben  und  erwarb  sich  schon  früh  in  seiner  Schullaufbahn  die  Reputation,  mit  den  verschiedensten  Leuten  geschickt  umzugehen.  Er  hat  schon  früh  geübt.  

Quelle:  Bernhard  Trenkle:  „Dazu  fällt  mir  eine  Geschichte  ein“,  S  16  Carl  Auer  Verlag  

 Zu  dieser  Geschichte  passt  eine  Gedanke  des  österreichischen  Philosophen  Ludwig  Wittgenstein:  „Wir  spüren,  dass  selbst  wenn  alle  wissenschaftlichen  Fragen  geklärt  sind,  unsere  Lebensprobleme  dadurch  noch  gar  nicht  berührt  sind.“    

 

Deswegen  schließe  ich  mit  einem  Maler  und  einem  Dichter.  Malerei  und  Dichtkunst  gehören  zu  jenen  Schätzen  der  Bildung,  die  Verstandesfutter  mit  Seelennahrung  ergänzen  und  beleben.  

Der  Maler  ist  Oskar  Kokoschka.  In  einem  Gespräch  mit  Lilli  Palmer,  einer  Schauspielerin,  die  auch  Malerin  war  sagter  zu  Ihr:  „Ob  und  dass  Sie  Talent  haben,  ist  unwichtig.  Tausende  haben  Talent.  Genausogut  könnte  ich  Sie  dazu  beglückwünschen,  dass  Sie  Augen  im  Kopf  haben.  Es  kommt  auf  eins  allein  an  und  auf  nichts  anderes:  Haben  Sie  Stehvermögen?”  

Der  Dichter  ist  Erich  Kästner  

Noch  immer  räumt  ihr  dem  Guten  und  Schönen  

den  leeren  Platz  überm  Sofa  ein.  

Ihr  wollt  euch  noch  immer  nicht  dran  gewöhnen  

gescheit  und  trotzdem  tapfer  zu  sein.  

Vielleicht  ist  Bildung  und/statt/trotz  Lebensfreude  „gescheit  und  trotzdem  tapfer  zu  sein“  und  über  ein  gutes  Maß  an  Stehvermögen  zu  verfügen.  

Natürlich  tut  sich  hier  die  nächste  Dimension  auf:  Wofür  will  ich  Stehvermögen  haben?  Das  ist  ein  anderes  Thema.  

Während  des  Vortrags  haben  wir  unsere  Zuhörerinnen  und  Zuhörer  eingeladen  ein  „Elfchen“  zu  schreiben.  Ein  Elfchen  besteht  aus  elf  Wörtern  und  man  beginnt  in  der  ersten  Zeile  mit  einem  Wort,  dann  folgen  in  der  zweiten  Zeile  zwei,  dann  drei,  dann  vier  und  in  der  letzten  Zeile  noch  ein  Wort.  

Hie  und  da  ein  „Elfchen“  zu  schreiben,  macht  Freude  und  stärkt  die  Kreativität.  

 

Viel  Freude!!!  

Lebensfreude  

DU    ich  

unbeschwert  freuen  können  

ohne  Empörung,  ohne  Klagen  

freuen  

Mein  Blick  in  die  Welt  

Die  Einstellungswerte  in  der  Logotherapie  beschäftigen  sich  mit  der  persönlichen  Sichtweise.  Mit  welcher  Brille  schaue  ich  in  die  Welt?  Meine  Einstellung  hat  weniger  mit  den  Bedingungen  IM  Außen  zu  tun,  sondern  mit  meiner  Sicht  INS  Außen.  Verschiedene  Brillen  können  als  Metapher  für  unterschiedliche  Sichtweisen  dienen.  

Brille  mit  Herz  hat  den  Vorteil  der  Herzlichkeit  und  Fröhlichkeit.  Für  Begegnungen  mit  Menschen  ist  sie  unerlässlich.  Ganz  so  wie  Viktor  E.  Frankl  dies  beschreibt:  „Wollen  wir  eine  Brücke  schlagen  von  Mensch  zu  Mensch  -­‐  und  dies  gilt  auch  von  einer  Brücke  des  Erkennens  und  Verstehens  -­‐    so  müssen  die  Brückenköpfe  eben  nicht  die  Köpfe,  sondern  die  Herzen  sein.”    Ihr  Nachteil  ist,  dass  Fakten  und  Tatsachen  manchmal  zu  wenig  ernst  genommen  werden.    

 

 

Die  Schwarzseher  Brille  hat  den  Vorteil,  dass  man  sehr  oft  in  guter  Gesellschaft  ist.  Viele  reden  bei  der  Gruselpropaganda  mit  obwohl  sie  nichts  zu  sagen  habe.    Bob  Hope  meinte  dazu:  „Untergangspropheten,  die  vom  Pessimismus  leben  –  und  gar  nicht  schlecht  –  empfinden  jede  Art  von  Zuversicht  zwangsläufig  als  Existenz-­‐bedrohung.”  Der  Nachteil  dieser  Brille  ist,  dass  Lebensfreude  und  Fröhlichkeit  selten  durchdringt.  

Die  Brille  der  Finanzen  hat  den  Vorteil,  dass  der  Sinn  auf  dem  Hintergrund  der  Wirklichkeit  ein  Mitspracherecht  bekommt,  falls  die  kühlen  Rechner  Verantwortung  übernehmen.    “In  der  Existenzweise  des  Habens  gibt  es  keine  lebendige  Beziehung  zwischen  mir  und  dem,  was  ich  habe.  “  Erich  Fromm  schrieb  dies  in  seinem  “Haben  oder  Sein”.  Diese  Brille  hat  den  Nachteil,  dass  sie  die  Sorge  des  Materiellen  und  das  Haben-­‐wollen  zu  wichtig  nimmt.  

 

 

Die  Brille  der  Verwirrung  hat  den  Vorteil,  dass  man  sich  auf  den  Weg  machen  muss,  um  Klarheit  zu  gewinnen.  Der  Nachteil  der  Verwirrung  besteht  vor  allem  in  der  Dauer.  Wer  ständig  verwirrt  ist,  braucht  Orientierung.  „Orientierungsverlust  bewirkt  Verwirrung.  Orientierungsarbeit  hängt  wesentlich  mit  der  Fähigkeit  zur  Erinnerung  zusammen.  Wir  schaffen  Ordnung  dadurch,  dass  wir  etwas  als  etwas  Bestimmtes  erkennen  und  auch  wieder  erkennen.”  So  Clemens  Sedmak.  

Die  Brille  der  Bildung  hat  den  Vorteil  der  Klarheit  und  Nüchternheit.  Wir  brauchen  diese  Nüchternheit  besonders  dort,  wo  das  positive  Denken  den  Hausverstand  auf  Dauerurlaub  schickt.  “Bildung  könnte  bedeuten,  die  Tore  zur  Wahrnehmung  der  unermesslichen  Bewegung  des  Lebens  zu  öffnen.  Es  könnte  bedeuten  zu  lernen,  glücklich  und  frei  zu  leben,  ohne  Hass  und  Verwirrung.  In  Wirklichkeit  bedeutet  richtige  Erziehung,  eine  andere  Lebensweise  zu  entdecken,  die  den  Geist  von  seiner  eigenen  Konditionierung  befreit.  Und  vielleicht  kann  es  dann  Liebe  geben.”  Jiddu  Krishnamurti  Vielleicht  hat  die  Brille  der  Bildung  den  Nachteil,  dass  sie  ein  bisschen  zu  wenig  leichtsinnig  ist.  

   

 

       

 

Die  Brille  der  Lebensfreude  kennt  alle  Farben  des  Regenbogens  und  damit  auch  alle  Sonnenstrahlen  und  Schattenseiten  des  Lebens.  „Ohne  Grund  im  Grund  des  Lebens  ist  diese  wirkliche  Freude  nicht  da,  unser  Freuen  ist  dann  immer  auf  Anlässe  und  Sachen  bezogen,    aber  die  wirkliche  Freude,  die  Lebensfreude,  das  Glück,  am  Leben  zu  sein,  ist  nicht  eine  Freude,  weil  es  Erdbeeren  oder  schulfrei  oder  einen  wunderbaren  Besucher  gibt.  Die  wirkliche  Freude  ist  ohne  Warum,  „sunder  warumbe“,  wie  mein  bester  Freund  aus  dem  Mittelalter,    der  Meister  Eckhart  sagt.“  Dies  schrieb  Dorothee  Sölle  in  ihrer  Autobiografie.  Die  Brille  der  Lebensfreude  hat  keinen  Nachteil  und  keinen  Vorteil.  

 Für  die  Brille  der  eigenen  Möglichkeiten  habe  ich  keine  Brille  ausgewählt,  denn  diese  ist  einmalig  und  einzigartig  für  jeden  Menschen.    Das  Plädoyer  dazu  stammt  von  Václav  Havel:    “Jeder  von  uns  hat,  kurz  gesagt,  die  Möglichkeit  zu  begreifen,  dass  auch  er  –    und  sei  er  noch  so  bedeutungslos  und  machtlos  -­‐  die  Welt  verändern  kann.    Jeder  aber  muss  bei  sich  anfangen:  würde  einer  auf  den  anderen  warten,    warteten  alle  vergeblich.    Es  ist  nicht  wahr,  dass  das  nicht  geht:  die  Macht  über  sich  selbst,    wie  sehr  sie  auch  in  jedem  von  uns  durch  Charakter,  Herkunft,  Bildungsgrad  und  Selbstbewusstsein  problematisiert  sein  mag,  ist  das  einzige,    was  auch  der  machtloseste  von  uns  hat,  und  sie  ist  zugleich  das  einzige,    das  niemandem  von  uns  genommen  werden  kann.”    ©  Inge  Patsch,  Tiroler  Institut  für  Logotherapie,  6094  Axams,  www.ingepatsch.at