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Lebensfreude UND STATT TROTZ Bildung
Impulsvortrag von Inge Patsch
beim Herbst der Erwachsenenbildung im Haus der Begegnung, Innsbruck
Was sollen Gedanken zur Bildung bewirken? Wofür sollen sie gut sein?
Als Legitimation für einen Abend mit interessanten und netten Menschen?
Als Inspiration für eigene Ideen?
Als Ermutigung für Herzenskraft und Denkvermögen?
Suchen Sie sich aus – was in Ihnen die meisten Funken von Freude auslöst.
Die Menschen müssen leiden, um stark zu werden, dacht ich.
Jetzt denk ich, sie müssen Freude haben, um gut zu werden.
Wilhelm von Humboldt hat uns diese Erkenntnis hinterlassen. Humboldt war Staatsmann, Mitbegründer der Berliner Universität und als Minister für Kultus und Unterricht im Preußischen Innenministerium leitete er wesentliche Reformen ein für ein Erziehungs-‐system von der Volksschule bis zur Universität.
Vorweg meine sehr persönliche Meinung: Bildung stärkt Lebensfreude, wenn sie neben der Anhäufung von Wissen, dem Verstandesfutter auch Seelennahrung zu bieten hat.
Heinrich Heine, einer der bedeutendsten deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts meinte: „Bildungslücken erleichtern den Weg zum Herzen“
Was könnte er damit gemeint haben? Ich bin ziemlich sicher, dass der Dichter, der in seinen Gedichten immer wieder die Schwächen der Menschen aufs Korn genommen hat nichts gegen eine gute Bildung hatte. Vielleicht meinte er, dass Lücken in der Bildung einen Blick in die Weite ermöglichen. Oder verstand er darunter die Erkenntnis, dass man niemals alles wissen kann? Dort wo Menschen meinen, dass es keine Bildungslücken geben darf, wird es eng. Die Enge in unserer Bildungslandschaft ist bei vielen jungen Menschen durch Angst vor Versagen geprägt und der Angst aus der Gemeinschaft herauszufallen.
Ich meine, wir alle brauchen den Mut zur Lücke. Dort wo alle Wege vorgezeichnet und geebnet sind entstehen meistens Trampelpfade und die Freude selbst zu denken und zu fühlen wird geringer. Können Bildungslücken unseren Umgang mit dem erleichtern, was uns im Leben unbegreiflich bleibt? Wir brauchen den Mut, auch die Lücken und jene Bereiche, die uns nicht gelingen, in unser Dasein zu integrieren. Dazu brauchen wir mehr menschliches Herz statt einer funktionierenden Zentraleinheit.
Damit bin ich bei einer wesentlichen Erkenntnis von Viktor E. Frankl angelangt und bei der Fähigkeit zwischen Mensch und Maschine unterscheiden zu können: „Je genormter eine Maschine ist, um so besser ist sie, je genormter jedoch ein Mensch -‐ je mehr er in seinem
Typus (Rassen-‐, Klassen-‐ oder Charakter-‐) aufgeht und einer Durchschnittsnorm entspricht -‐ um so abtrünniger ist er der ethischen Norm."
Technische Geräte funktionieren auf Knopfdruck, tun sie es nicht, werden sie meistens ausgetauscht und manchmal repariert. Menschen funktionieren nicht auf Knopfdruck, sondern sind lebendige Wesen, die Schmerz empfinden, wenn sie ausgetauscht werden. Das Maschinendenken der letzten Jahrzehnte hat den Menschen verführt Funktion, Messbarkeit und Vergleichbarkeit auf den Menschen zu übertragen, anstelle von Einmaligkeit, Einzigartigkeit und Verletzbarkeit. Dies ist auch eine Bildungslücke immer weniger Menschen halten dem Funktionalen, der Messbarkeit und dem Vergleichen stand.
Wir befehlen zu viel, wir gehorchen zu viel und leben zu wenig. Normen und Regeln sind eine gute Sache, aber eben nicht nur eine gute. Dort man alles planen und bestimmen will, wird es anstrengend.
Es ist anstrengend, wenn man sich ständig an eine Regel halten soll – aber dies verhindert nicht Lebensfreude. Im Gegenteil wer Anstrengungen permanent vermeiden will, wird es zwar bequem haben und das ist meistens ohne Lebensfreude möglich.
Dem Thema Gehorsam widmet sich Arno Gruen in einem neuen Buch. Er schildert an einer Studie, welche Auswirkungen eine bestimmte Art des Gehorsams hat.
„Helen Bluvol und Ann Roskam führten Studien an einem amerikanischen Gymnasium durch. Sie untersuchten zwei Gruppen von Schülern – eine, die äußerst erfolgreich war, sich gehorsam den Ambitionen der Eltern anpasste, und eine andere Gruppe, deren Leistung zwar als genügend eingestuft wurde, die sich aber nicht sonderlich für Erfolg interessierte und keinem Druck ausgesetzt war, den Erwartungen der Eltern zu entsprechen, also gehorsam zu sein.
Die erste Gruppe zeichnete sich durch ein starkes Bedürfnis nach Bestätigung aus. Diese Schüler reagierten mit Angst, wenn sie den Eindruck hatten, von gängigen Verhaltens-‐normen abzuweichen. Diese Gruppe war auch unfähig, die Eltern als eigenständige, differenzierte Menschen wahrzunehmen. Diese Schüler neigten dazu, ihre Eltern, aber auch Autoritätspersonen wie ihre Lehrer zu idealisieren. Die Gruppe der wenig erfolg-‐sorientierten Schüler dagegen beschrieb die Eltern als reale Persönlichkeiten mit guten und schlechten Seiten. Idealisierungen waren ihnen fremd.
Die erfolgsorientierten Schüler, die ihre Eltern verklärten, tendierten vehement dazu, ihre Mitschüler zu Unterlegenen zu machen. Nur dann empfanden sie sich als „autonom“. Hier sehen wir die Auswirkungen des Gehorsams. Die Gruppe, die sich im Hinblick auf Erfolg und allgemeines „Wohlverhalten“ den allgemein anerkannten Normen unterord-‐nete und somit am stärksten im System elterlich-‐autoritärer Erwartungen gefangen war, fühlte sich unabhängig – und zwar dann, wenn sie andere schlechtmachen und herab-‐setzen konnte. Viele erleben also das Gefühl von Freiheit und Autonomie, wenn sie das Fremde im Anderen und damit unbewusst in sich selbst bestrafen.“
Arno Gruen, Wider den Gehorsam, Stuttgart 2014, 58
Ergänzend zu Arno Gruen meine ich, dass junge Menschen derzeit nicht so sehr von einem Gehorsam den Eltern gegenüber geprägt sind, sondern von einem "Gehorsam des Erfolges", der zu einem Dogma unserer Gesellschaft wurde.
Wo eine gute Sache – wie der Erfolg – ins Extrem kippt, wächst wie von selbst eine Gegenkraft. Mir ist nichts besseres eingefallen als der "Gehorsam des schwerelosen Lebens". Zuerst wollte ich unbeschwert schreiben, aber unbeschwert stimmt nicht. In manchen Bereichen gibt es diese eigenartige Entwicklung, dass man sich für nichts anstrengen darf. Zu meiner Zeit hieß das im Schuljargon: Streberlaus.
Ob es den goldenen Mittelweg im Bereich der Bildung gibt, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht, ob dieser Weg bildungsfördernd oder lebensgelingend sein könnte. Nehmen wir das Bild der Schaukel auf der zwei Kinder sich gegenseitig einmal in die Höhe und wieder auf den Boden bringen. Bei diesem Bild würde der Mittelweg zum Stillstand führen und die Freude über das spielerische Auf und Ab wäre dahin. Deshalb ist für mich persönlich jene Bildung wesentlich, die mich befähigt das Auf und Ab des Lebens zu gestalten.
Zwei Modelle zur Förderung dieser Art von Bildung sind schon sehr alt. Das eine stammt aus dem vierten Jahrhundert vor Christus und das andere aus dem vierten Jahrhundert nach Christus.
1. Das Potentialmodell von Aristoteles, stammt aus dem vierten Jahrhundert vor Christus: Menschen haben Potentiale und ein Wachstumsmodell liegt darin diese Potentiale zu verwirklichen. Umso mehr Potentiale verwirklicht werden oder worden sind, umso besser. Das ist ein Wachstumsmodell für den Fortschritt. Ob dies menschlich ist, das steht noch nicht fest.
2. Das Modell Johannes Cassian, einem der Wüstenväter stammt aus dem vierten Jahrhundert nach Christi Geburt. Der hat ein ganz anderes Wachstumsmodell. Der stellt sich darunter vor, dass die Gemütsbewegungen der Seele bekämpft werden. Die Fehlhaltungen der Seele, die da sind: die berühmten Todsünden: Neid, Gier, Maßlosigkeit in allen Formen, Zorn, innere Trockenheit. Das ist ein ganz anderes Wachstumsmodell. Dieses Modell hat die Fähigkeit des spezifisch Humanen im Blick, wie Viktor E. Frankl dies gesagt hat.
“Sich” entscheidet der Mensch: alle Entscheidung ist Selbstentscheidung, und Selbstentscheidung ist allemal Selbstgestaltung.
Während ich das Schicksal gestalte, gestaltet die Person, die ich bin, den Charakter den ich habe – gestaltet “sich” die Persönlichkeit, die ich werde.
Dazu fällt mir eine Geschichte ein
Erlebte Geschichten sind für mich immer eine wunderbare Möglichkeit theoretisches Wissen mit Erkenntnis zu beleben.
„Der Sohn eines Kollegen hatte am ersten Schultag mit dem neuen Lehrer Pech. Er kam weinend und sehr verletzt nach Hause. Sein Vater wurde ärgerlich und wollte sich den Lehrer „krallen“ und ihm die Meinung sagen. Der Ärger tat dem Sohn sichtlich gut. Danach hatte sein Vater noch eine andere Idee. Schon in der Jacke setzte er sich zu seinem Sohn und sagte: „Weißt du – du wirst ja mal groß sein und in einer Firma arbeiten. Da gibt es vielleicht einen Chef und der gibt dir einen Auftrag. Du machst deine Sache gut und legst ihm die Unterlagen vor. Aber dein Chef schmeißt deine Arbeit in den Papierkorb und sagt, sie tauge nichts. Dabei hast du einen guten Job gemacht! Solche Leute gibt es immer mal. Manchmal haben sie einen schlechten Tag, und manche sind immer so. Jetzt überleg einmal – ich kann hingehen und dem Lehrer sagen:, So was hört auf, sonst bekommen Sie Ärger mit mir.‘ Oder du nimmst den zum Üben, dann weißt du schon, wie man später im Leben mit solchen Leuten umgeht. Was soll ich jetzt machen? Soll ich sagen: ,Das hört auf!, oder möchtest du ihn zum Üben haben?“
Nach minutenlangem Schweigen sagte sein Sohn: „Den nehm’ ich zum Üben.“ Der Vater hörte nie mehr etwas von diesem Lehrer. Sein Sohn nahm ihn zum Üben und erwarb sich schon früh in seiner Schullaufbahn die Reputation, mit den verschiedensten Leuten geschickt umzugehen. Er hat schon früh geübt.
Quelle: Bernhard Trenkle: „Dazu fällt mir eine Geschichte ein“, S 16 Carl Auer Verlag
Zu dieser Geschichte passt eine Gedanke des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein: „Wir spüren, dass selbst wenn alle wissenschaftlichen Fragen geklärt sind, unsere Lebensprobleme dadurch noch gar nicht berührt sind.“
Deswegen schließe ich mit einem Maler und einem Dichter. Malerei und Dichtkunst gehören zu jenen Schätzen der Bildung, die Verstandesfutter mit Seelennahrung ergänzen und beleben.
Der Maler ist Oskar Kokoschka. In einem Gespräch mit Lilli Palmer, einer Schauspielerin, die auch Malerin war sagter zu Ihr: „Ob und dass Sie Talent haben, ist unwichtig. Tausende haben Talent. Genausogut könnte ich Sie dazu beglückwünschen, dass Sie Augen im Kopf haben. Es kommt auf eins allein an und auf nichts anderes: Haben Sie Stehvermögen?”
Der Dichter ist Erich Kästner
Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.
Vielleicht ist Bildung und/statt/trotz Lebensfreude „gescheit und trotzdem tapfer zu sein“ und über ein gutes Maß an Stehvermögen zu verfügen.
Natürlich tut sich hier die nächste Dimension auf: Wofür will ich Stehvermögen haben? Das ist ein anderes Thema.
Während des Vortrags haben wir unsere Zuhörerinnen und Zuhörer eingeladen ein „Elfchen“ zu schreiben. Ein Elfchen besteht aus elf Wörtern und man beginnt in der ersten Zeile mit einem Wort, dann folgen in der zweiten Zeile zwei, dann drei, dann vier und in der letzten Zeile noch ein Wort.
Hie und da ein „Elfchen“ zu schreiben, macht Freude und stärkt die Kreativität.
Viel Freude!!!
Lebensfreude
DU ich
unbeschwert freuen können
ohne Empörung, ohne Klagen
freuen
Mein Blick in die Welt
Die Einstellungswerte in der Logotherapie beschäftigen sich mit der persönlichen Sichtweise. Mit welcher Brille schaue ich in die Welt? Meine Einstellung hat weniger mit den Bedingungen IM Außen zu tun, sondern mit meiner Sicht INS Außen. Verschiedene Brillen können als Metapher für unterschiedliche Sichtweisen dienen.
Brille mit Herz hat den Vorteil der Herzlichkeit und Fröhlichkeit. Für Begegnungen mit Menschen ist sie unerlässlich. Ganz so wie Viktor E. Frankl dies beschreibt: „Wollen wir eine Brücke schlagen von Mensch zu Mensch -‐ und dies gilt auch von einer Brücke des Erkennens und Verstehens -‐ so müssen die Brückenköpfe eben nicht die Köpfe, sondern die Herzen sein.” Ihr Nachteil ist, dass Fakten und Tatsachen manchmal zu wenig ernst genommen werden.
Die Schwarzseher Brille hat den Vorteil, dass man sehr oft in guter Gesellschaft ist. Viele reden bei der Gruselpropaganda mit obwohl sie nichts zu sagen habe. Bob Hope meinte dazu: „Untergangspropheten, die vom Pessimismus leben – und gar nicht schlecht – empfinden jede Art von Zuversicht zwangsläufig als Existenz-‐bedrohung.” Der Nachteil dieser Brille ist, dass Lebensfreude und Fröhlichkeit selten durchdringt.
Die Brille der Finanzen hat den Vorteil, dass der Sinn auf dem Hintergrund der Wirklichkeit ein Mitspracherecht bekommt, falls die kühlen Rechner Verantwortung übernehmen. “In der Existenzweise des Habens gibt es keine lebendige Beziehung zwischen mir und dem, was ich habe. “ Erich Fromm schrieb dies in seinem “Haben oder Sein”. Diese Brille hat den Nachteil, dass sie die Sorge des Materiellen und das Haben-‐wollen zu wichtig nimmt.
Die Brille der Verwirrung hat den Vorteil, dass man sich auf den Weg machen muss, um Klarheit zu gewinnen. Der Nachteil der Verwirrung besteht vor allem in der Dauer. Wer ständig verwirrt ist, braucht Orientierung. „Orientierungsverlust bewirkt Verwirrung. Orientierungsarbeit hängt wesentlich mit der Fähigkeit zur Erinnerung zusammen. Wir schaffen Ordnung dadurch, dass wir etwas als etwas Bestimmtes erkennen und auch wieder erkennen.” So Clemens Sedmak.
Die Brille der Bildung hat den Vorteil der Klarheit und Nüchternheit. Wir brauchen diese Nüchternheit besonders dort, wo das positive Denken den Hausverstand auf Dauerurlaub schickt. “Bildung könnte bedeuten, die Tore zur Wahrnehmung der unermesslichen Bewegung des Lebens zu öffnen. Es könnte bedeuten zu lernen, glücklich und frei zu leben, ohne Hass und Verwirrung. In Wirklichkeit bedeutet richtige Erziehung, eine andere Lebensweise zu entdecken, die den Geist von seiner eigenen Konditionierung befreit. Und vielleicht kann es dann Liebe geben.” Jiddu Krishnamurti Vielleicht hat die Brille der Bildung den Nachteil, dass sie ein bisschen zu wenig leichtsinnig ist.
Die Brille der Lebensfreude kennt alle Farben des Regenbogens und damit auch alle Sonnenstrahlen und Schattenseiten des Lebens. „Ohne Grund im Grund des Lebens ist diese wirkliche Freude nicht da, unser Freuen ist dann immer auf Anlässe und Sachen bezogen, aber die wirkliche Freude, die Lebensfreude, das Glück, am Leben zu sein, ist nicht eine Freude, weil es Erdbeeren oder schulfrei oder einen wunderbaren Besucher gibt. Die wirkliche Freude ist ohne Warum, „sunder warumbe“, wie mein bester Freund aus dem Mittelalter, der Meister Eckhart sagt.“ Dies schrieb Dorothee Sölle in ihrer Autobiografie. Die Brille der Lebensfreude hat keinen Nachteil und keinen Vorteil.
Für die Brille der eigenen Möglichkeiten habe ich keine Brille ausgewählt, denn diese ist einmalig und einzigartig für jeden Menschen. Das Plädoyer dazu stammt von Václav Havel: “Jeder von uns hat, kurz gesagt, die Möglichkeit zu begreifen, dass auch er – und sei er noch so bedeutungslos und machtlos -‐ die Welt verändern kann. Jeder aber muss bei sich anfangen: würde einer auf den anderen warten, warteten alle vergeblich. Es ist nicht wahr, dass das nicht geht: die Macht über sich selbst, wie sehr sie auch in jedem von uns durch Charakter, Herkunft, Bildungsgrad und Selbstbewusstsein problematisiert sein mag, ist das einzige, was auch der machtloseste von uns hat, und sie ist zugleich das einzige, das niemandem von uns genommen werden kann.” © Inge Patsch, Tiroler Institut für Logotherapie, 6094 Axams, www.ingepatsch.at