Upload
others
View
8
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Bindungsdiagnostik bei psychisch kranken / belasteten Eltern
Alexander Trost
FiM-Workshop 2017 Köln
Inhalt
1. Um wen geht es?
2. Wozu Bindungsdiagnostik?
3. Bindungsentwicklung verstehen
4. Bindungstrauma und psychische Krankheit verstehen
5. Diagnostisches
6. Methodisches
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
1. Um wen geht es?
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Um...Psychisch kranke Eltern(-teile) - Patientengruppe: Junge Erwachsene mit komplexer Störung und
oft hochdramatischen, schnell chronifizierenden Verläufen zwischen Borderline PS, schizoaffektiver Psychose, Schizophrenie, häufig mit Entwicklungs-defiziten, Regressivität, Impulsdurchbrüchen, Dissozialität & Delinquenz, Suchtmittelabusus, Depressivität, Suizidalität…
aber auch: junge Menschen mit Strukturdefiziten, Schwächen in der Selbstregulation, im Selbstbild, Selbstwerterleben, Lernen
- Bindungsthematik als Erklärungsmodell
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Organisation der
Veränderungsschritte:
Förderung von Neugier,
Exploration, Kreativität
Organisation der Struktur:
Leitung, Regeln, Räume,
Zeiten, Verlässlichkeit Grenzen
Organisation der
Begegnung:
analoge Kommunikation,
Affektivität, emotionale
Einbettung
Exploration und
Lösung fördern
Bindung anbieten
Halt geben
Kontext-Faktoren
...und ihre Kinder
2. Wozu Bindungsdiagnostik?
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Bindungsdiagnostik:
–Durch wen?
–Altersspezifisch
• Klinisch, durch Beobachtungen?
• Testverfahren?
– Konsequenzen?
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost
8
„Diagnostic labeling has a way of 'stopping the conversation'.“
(Gergen 1996: 111)
„Es sei bewusst zu machen, dass Menschen zu komplex
sind, um sie in Kategorien einzupassen, dass soziale Beziehungen andauernder Veränderung und Re-
Interpretation unterliegen und dass ferner diagnostische Beschreibungen je nach Kontext und Zeit Unterschiedliches bedeuten können, es sich also eher
um Zu- als um Be-Schreibungen handelt.“ (Dollinger 2011: 33)
Systemisch verstandene Diagnostik...
...generiert wie jede Diagnostik Hypothesen,
...die kontextuell verstanden werden müssen:
=> Wer diagnostiziert Was zu Welchem Zweck?
...reflektiert, welche Wirklichkeiten werden konstruiert?
...zwischen Verdinglichung und ordnender Hilfe
...im Spannungsfeld: Defizit- vs. Ressourcenorientierung
...ist eine Frage von Haltung und Menschenbild
...und ein interaktioneller Prozess,
....der kaum von Intervention getrennt gesehen werden kann
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 9
3. Bindungsentwicklung verstehen
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Damit Menschen… • gut mit sich und Anderen in Kontakt sein..
• Impulse, Affekte und Stress regulieren…
• lern- und arbeitsfähig sein ...
• beziehungs- und kooperationsfähig sein…
…können,
…braucht es Voraussetzungen, die am besten bindungstheoretisch / neurobiologisch beschrieben werden.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander
Trost
Funktionsprinzipien des Gehirns
• Entwicklungsfenster (Critical Periods)
– Sprache
– stereoskopisches Sehen
– Bindungsbeziehungen
• Plastizität
– Von „Trampelpfaden zu Autobahnen“
• Phylogenetische Hierarchie
– „alte“ Hirnteile: Reflexhafte Automatismen, Hormone
– vs. Neocortex: willentliche Kontrolle & Integration
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Gehirnaufbau
Persönlichkeit und Temperament entwickeln sich auf 4 Ebenen im Gehirn:
Bindung und Psychiatrische Störung 4-10-2017 Alexander Trost
13
1. Untere limbische Ebene (Hypothalamus, zentrale Amygdala, vegetative Zentren des Hirnstamms)
- Regulation von lebenswichtigen vegetativen Funktionen und Notfallreaktionen
- bildet unter dem Einfluss von Genen und vorgeburtlichen Erfahrungen die Grundlage für unserer Temperament
=> Die individuelle Funktion dieser Ebene kann durch spätere Erfahrung / Erziehung nur schwer verändert werden.
(vgl. Roth / Strüber 2014: 371f) Bindung und Psychiatrische Störung 4-10-2017 Alexander
Trost 14
Lernen strukturiert die Hirnentwicklung
Medialansicht des menschlichen Gehirns mit den wichtigsten limbischen Zentren.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
2. Mittlere limbische Ebene (basolaterale Amygdala / mesolimbisches System)
- Ebene der unbewussten emotionalen Konditionierung und des individuellen emotionalen Lernens
- Die Funktionen entwickeln sich in den ersten Lebensjahren (frühkindliche Bindungserfahrungen)
- Untere & mittlere limbische Ebene bilden den Kern unserer Persönlichkeit
=> Veränderungen im Jugend- oder Erwachsenenalter nur über starke emotionale und lang anhaltende Einwirkungen
(vgl. Roth / Strüber 2014: 371f) Bindung und Psychiatrische Störung 4-10-2017 Alexander
Trost 16
3. Obere limbische Ebene (limbische Cortexareale)
- bewusstes emotional-soziales Lernen - emotionale Reaktionen der beiden unteren limbischen Ebenen
werden verstärkt oder abgeschwächt - Grundlage für Gewinn- und Erfolgsstreben, Freundschaft, Liebe,
Hilfsbereitschaft, Moral und Ethik
=> entwickelt sich in der späteren Kindheit und Jugend aufgrund sozial-emotionaler Erfahrungen und ist durch solche veränderbar
(vgl. Roth / Strüber 2014: 372) BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
4. Kognitiv-sprachliche Ebene (Sprachzentrum der linken Großhirnrinde, präfrontaler Cortex)
- bewusste sprachliche und rationale Kommunikation
- bewusste Handlungsplanung, Erklärung der Welt, Rechtfertigung des eigenen Verhaltens
=> individuelle Funktionen dieser Ebene entsteht relativ spät und wandelt sich ein Leben lang, durch sprachliche Interaktion.
(vgl. Roth / Strüber 2014: 372) BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Funktionsprinzipien des Gehirns
• Phylogenetische Hierarchie: Explizite Fähigkeiten des Neocortex, also des jüngsten Teils der Großhirnrinde, werden am stärksten durch interaktive Prozesse („nutzungsabhängig“) mit der Außenwelt modifiziert. Dies ist besonders im Hinblick auf die Aufgaben des Frontalhirns von Bedeutung:
Aufmerksamkeit
Motivation
Entscheidungsfähigkeit
Kontrollüberzeugungen
Selbstwirksamkeit. Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Psychoneuronale Grundsysteme
Differenzierte Gefühle & komplexes Verhalten entstehen durch enge Wechselwirkung der neurochemischen (Transmitter-) Systeme. Daraus bilden sich (‚quer‘ zu den genannten Ebenen)
sechs psychoneuronale Grundsysteme : • Stressverarbeitung • Selbstberuhigung • Bewertung und Belohnung bzw. Belohnungserwartung • Bindung • Impulshemmung • Realitätssinn
(vgl. Roth / Strüber 2014: 374)
Bindung und Psychiatrische Störung 4-10-2017 Alexander Trost
20
Was kann (bereits) ein Säugling?
• Fähigkeit, sofort nach der Geburt nachahmen zu können: „Synchronisation“ mit der Mutter: Identifikation, Teilnehmen am Erleben anderer, mittels Spiegelneuronen.
• Selbstwirksamkeit von Anfang an: Etwas beim Gegenüber bewirken!
• Diese frühe Intersubjektivität strukturiert die äußere und innere Welt des Säuglings, ist die Basis interaktiven Wissens und früher sensorischer Integration.
• Die Erfahrungen der ersten 18 Monate sind nonverbal, nicht-symbolisch, nicht erzählbar, implizites Wissen, bleibt auch nach Spracherwerb parallele Erlebenswelt (Somatische Marker).
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Resonanz
Wir leben – von Anfang an – von Resonanz, Anerkennung und emotionaler Spiegelung. Dies wird in einer responsiven frühen Eltern-Kind Interaktion verwirklicht, und ist die Grundlage einer sicheren Bindung.
Martin Buber: „Der Mensch wird am Du zum Ich“
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Bei Hirnuntersuchungen mit Schweinsaffen (Makakken) stellten die Forscher Vittorio Gallese und Giacomo Rizzolatti (Parma) fest, dass einige Nervenzellen im Stirnhirn nicht nur dann in Erregung gerieten, wenn sie eine bestimmte eigene Tätigkeit ausführten, Die gleichen Nervenzellen feuerten ihre Signale auch, wenn die Affen den Versuchsleiter bei der Ausführung der gleichen Tätigkeiten beobachteten.
Resonanz als evolutionäres Prinzip: Von Spiegelphänomenen zu Spiegelneuronen
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Affektive Kommunikation
„Die Resonanz der rechten Hemisphären von Mutter und Kind in der regulatorischen Interaktion ist der wesentliche „promotor“ für eine normale Entwicklung“ Allan Schore, 2011
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Intuitive elterliche Kompetenzen: typische Verhaltensmuster
Dialogabstand, Grußreaktion
Ammensprache - erhöhte Stimmlage
Verlangsamtes Tempo, prototypische Melodik
Prototypische Mimik
Imitationsneigung
Interaktive Spielchen
Gemeinsame Ausrichtung der Aufmerksamkeit
Entwicklungsphasenspezifische Anpassungen und Verhaltensmuster
nach Papoušek 1996
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Containment
• Die Mutter akzeptiert die Gefühle ihres Kindes, nimmt sie in sich auf, verarbeitet sie („Vorkauen“) und gibt sie dem Kind in verständlicher Form zurück (Bion, W.R)
• Ziel dieses Prozesses ist es, das Kind in der Verarbeitung ängstigender Affekte / Erlebnisse so zu unterstützen, dass es in explorativem Kontakt mit der Umwelt bleiben kann.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Affektregulation & Selbstentwicklung (Bateman & Fonagy, 2006, 2007, zit. nach Schultz-Venrath, 2017)
Resonanz
Repräsentation des eigenen Zustandes
Abnahme der inneren
Erregung
Ausdruck
„Verdauung“
Kind Bindungsperson
Psychisches Selbst
Sekundäre Repräsentationen
Körper-Selbst
Primäre
Repräsentationen
Signal
Nonverbaler Ausdruck
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Das „Good-Enough“ Prinzip
…Ziel der (M-K) Beziehung ist nicht perfekte Übereinstimmung (perfect agreement) sondern, dass es im Gegenteil zwischen dem Baby und seiner primären Bezugsperson auch immer wieder Momente von Dissonanzen und Unverständnis gibt.
Wieso?
… Episoden von „Wiedergutmachung“ (interactive repair) kennzeichnen eine gelungene M-K-Beziehung! (Allan Schore)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
29
Selbstregulation
• …eine lebenslange Aufgabe, die (spätestens) mit der Geburt beginnt.
• Anfänglich benötigt das Kind feinfühlige Co-Regulation.
• Im Laufe der Entwicklung lernt das Kind, sich immer mehr, häufiger und besser selbst zu regulieren, und gewinnt so mehr Autonomie und Selbstwirksamkeit.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
SÄUGLING Zufriedene Dyade MUTTER Entwicklungsförderung
Vernachlässigung Misshandlung
Positive Gegenseitigkeit
Vorsprachliche Kommunikation
„Gute“ selbst-regulatorische Fähigkeiten „Schwieriger“
Säugling
Mutter-Kind-Beziehung
Negative
Gegenseitigkeit
„hinreichend gute Mutter“ (Winnicott)
psychosozial
hochbelastete Mutter
Schwieriges Temperament
Regulationsprobleme: - Nahrungsaufnahme - Schlaf-
Wachrhythmus - Aufmerksamkeit - Schreien
somatische, neurologische
und seelische Störungen
Sozio-ökonomische Faktoren
Körperliche / psychische Störungen
Partnerkonflikte
Beziehungskonflikte zum Kind, Rollenumkehr
„Gespenster im Kinderzimmer“
Unangemessene entwicklungspsychologische Vorstellungen
Gewalt tolerierender und rigider Erziehungsstil Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Misfit.... exemplarisch
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Engels- und Teufelskreise
• Wenn diese Entwicklungsrisiken frühzeitig erkannt und behandelt werden, kann die Ausbildung von destruktiven Zyklen in der Beziehungsgestaltung zwischen Mutter (Vater) und Kind verhütet werden.
• Interaktionelle „Teufels- oder Engelskreise“ lassen sich mittels unterschiedlicher Verfahren wie z.B. Videoanalyse, Tiefeninterview, Fragebogentests erfassen.
Bindungstheorie… in aller Kürze
• Während seines ersten Lebensjahres entwickelt der Säugling eine spezifische Bindung zu einer primären Bindungsfigur.
• Das Bindungssystem ermöglicht das Überleben.
• Die Bindungsfigur ist die “sichere Basis” für das Kind (sicherer Hafen)
• Das Bindungssystem wird bei Angst und Trennung aktiviert.
• Das Bindungssystem wird durch die physische Nähe der Bindungsfigur beruhigt.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Entwicklung der Bindung nach Ainsworth et al. (1978)
Vorphase: „Preattachment phase“
Differenzierungs- phase: „Attachment-in the-making“
Ausgeprägte Bindung: „Clear-Cut Attachment“
Zielkorrigierte Partnerschaft: „Reciprocal Relationships“
Erste Lebensmonate
Bis ~ 7 Lebensmonat Bis 2 - 3 Jahre Ab ca. 2 - 3 Jahre
Kind schenkt jeder sich nähernden Person Aufmerksamkeit. Angeborene Signale bringen Personen in die Nähe des Säuglings.
Säugling differenziert zwischen ihm bekannten / unbekannten Personen. Einschränkung auf spezifische Personen. Präferenz für Vertraute Personen
Kind beginnt mit der aktiven & bewussten Kontaktaufnahme Es sucht aktiv die Nähe zur Bezugsperson
Kommunikation/ Interaktion mit gemeinsamen Handlungszielen Es entsteht eine Art ‚Partnerschaft‘ zwischen Mutter und Kind. Die Beziehung wird wechselseitig Reguliert.
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Explorations-System + Mentalisierung
Bindungs- system
Explorations- system
Bindungs- system
Aktivierung des Bindungssystems Beruhigung des Bindungssystems
Eine Aktivierung des Bindungssystems und gleichzeitige Dämpfung des Erkundungssystems erfolgt, wenn das Kind ängstlich, unsicher, fremd, einsam, verlassen, hungrig, müde ist, usw.
Eine Beruhigung des Bindungssystems und gleichzeitige Aktivierung des Erkundungssystems erfolgt bei Wohlbefinden und dem Gefühl von Sicherheit. Das Kind ist unternehmungslustig, spielt, exploriert mit Mund und Händen usw.
Bindung & Exploration
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Wenn eine Mutter (primäre Bezugsperson) im ersten Jahr….
…sowohl positive als auch negative Äußerungen des Kindes vorwiegend feinfühlig beantwortet hat • weinen die Säuglinge schon mit 10 Monaten weniger und
äußern sich differenzierter, • willigen die Krabbler häufiger in die Ziele der Mutter ein,
sind kooperativer und seltener trotzig, • zeigen die Kleinkinder offener ihre Gefühle,… lassen sich
gut beruhigen, und • können … ihre Wünsche nach Nähe und Trost oder Hilfe,
aber auch nach ungestörtem Erkunden selbständig regulieren und entsprechend handeln.
(Grossmann & Grossmann, 2004, Sroufe et al., 2005)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
„Urvertrauen“ …bedeutet Vertrauen…
- In sich selbst: Selbstwertgefühl, Liebesfähigkeit, Frustrationstoleranz
- In ein Du & Wir: Partnerschaft, Solidarität,
Verantwortung
- In das Ganze, die Existenz: Existenzbejahung, Hoffnung, Glaube
=> Ähnlichkeit zum Salutogenesekonzept (Antonovsky)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
(Gloger-Tippelt/König 2009)
Organisierte Bindungsstrategien ~ 50% 15-20% 25-30%
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Auswirkungen von Bindungsstilen
Bei Kindern, Jugendl. & Erwachs.:
sicher gebunden unsicher gebunden
Sozio - emotionale Kompetenz
- wenig aggressiv - mehr soziale Kompetenz
im Umgang mit anderen Kindern
- öfter feindselig, wütend - Isolation, Anhänglichkeit
Selbst- und Persönlichkeits-
entwicklung
- beziehungsorientiert - eher angemessenes
Selbstbild - höhere Ich-Flexibilität - bessere Emotions-
regulierung - bessere Verhaltens-
regulierung
- auf sich selbst fixiert - idealisiertes oder negatives Selbstbild - weniger Ich-Flexibilität - schlechtere Emotions- regulierung - schlechtere Verhaltens- regulierung
Kognitiver Bereich - planvolleres Handeln - höhere Effektivität
- planloseres Handeln - niedrigere Effektivität
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Das innere Arbeitsmodell – „inner working model“ (Bowlby)
Kinder bilden während der sozio – emotionalen Entwicklung ihrer frühen Kindheit eine interne Repräsentation von sich und ihrem Bezugsobjekt.
Dieses verinnerlichte frühe Beziehungsmuster hat eine beständige Wirkung auf die weitere Entwicklung und wird in ähnlichen Beziehungssituationen während des ganzen Lebens reaktiviert.
Die wichtigste Aufgabe dieses Arbeitsmodells ist es, Ereignisse der realen Welt gedanklich vorwegzunehmen, um in der Lage zu sein, das eigene Verhalten besser zu planen und die Situation kontrollieren zu können
Bei sicher gebundenen Kindern, funktioniert dieses Arbeitsmodell als sichere Basis, von der aus sie ihre Umwelt erkunden und begreifen zu können. In Zeiten von emotionalem Stress fungiert es als eine Art sicherer Hafen.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Bindungstheorie und -praxis Unsichere Bindungsrepräsentation Inkohärente Darstellung von Beziehungserfahrungen und gegenwärtige Einschätzung dieser B.E. Episodische Erinnerungen und deren kognitive, semantische Bewertung sind in ihren Anteilen unausgewogen.
Unsicher-abwehrende B-R - Kognitiv > affektiv - Semantisches Gedächtnis - Wenige, vage Erinnerungen an Bindungserfahrungen, wenig Zugang zu Gefühlen - Leugnen neg. Beziehungs- erfahrungen - Idealisieren der Kindheit - Bedürfnis, allein zu sein
Unsicher-präokkupiert-verstrickte B-R - Kognitiv < affektiv - Episodisches Gedächtnis - Heftige Gefühle, keine Integration + Bewertung auf globaler Ebene - Betonung negativer (Kindheits-) Erfahrungen - kann schlecht allein sein
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
„Attachment first!“
Das Kind organisiert sein Verhalten und Denken so, dass auch um den hohen Preis von Entwicklungs- und Funktionsstörungen,
die Bindungsbeziehungen aufrechterhalten werden :
N.B.: Ich säge doch nicht den Ast ab, auf dem ich sitze....
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Mentalisieren heißt…
„Äußerlich wahrnehmbares Verhalten in einen bedeutungsvollen Zusammenhang mit innerpsychischen („mentalen“ ) Zuständen und Vorgängen zu erleben und zu verstehen, und umgekehrt. (Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse, Wünsche, Begründungen, Bedeutungen und ganz persönliche Lebenserfahrung)
Darüber hinaus: die imaginative Fähigkeit, sich differenzierte Vorstellungen über die Psyche und ihre Wechselwirkungen mit Erlebens- und Verhaltensweisen incl. Beziehungsgestaltung. Dies gilt in Bezug auf einen selbst und andere und erlaubt, mit Bedeutungen spielen und die Perspektive wechseln zu können.“
(Bolm, 2015)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Mentalisierung • „To hold the mind in Mind“ (P. Fonagy)
= Die Psyche einer anderen Person wird unabhängig und getrennt von der eigenen Psyche wahrgenommen, deren Aktivität gedeutet.
• Mentalisierung: …Bildung eines symbolvermittelten sekundären Repräsentationssystems der Affekte, des Selbst und der Objekte. Dies gelingt durch die kontingente Spiegelung der Affekte des Kindes durch die Primärobjekte…. (Potthoff P, in Hirsch M (Hg) 2008: Die Gruppe als Container. Göttingen)
• Diese Fähigkeit wird in einem in reziproken Prozess zwischen der Mutter und dem Kind entwickelt, wobei die Mutter dem Kind hilft, sein Verhalten – und das von anderen - in Verbindung mit der Benennung von Gefühlen, Wünschen, Erwartungen und Überzeugungen zu verstehen.
• Mentalisierung gelingt in sicheren Bindungen besser als in unsicheren: hohe Feinfühligkeit und „Mind-Mindedness“ der Mutter promoted Mentalisierung
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
4. Bindungstrauma und psychische Krankheit verstehen
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Trauma, chronische Belastung & Bindung
„Wenn die Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung verschlossen ist, bleibt sie unzugänglich. Dann richtet sich Ärger auf die falschen Ziele, Angst tritt in unangemessenen Situationen auf, und Feindseligkeit wird von falscher Seite erwartet“
(John Bowlby, 1988)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Neue Erkenntnis:
Ursachen aller psychischen Störungen sind…
• Genetisch-epigenetische Aspekte (10-20% der Varianz)
• Traumatisierung der Mutter vor und in der Schwangerschaft
• Traumaerfahrungen des Kindes in den ersten 2-3 Lebensjahren.
(Roth, G., Stüber, N.: Wie das Gehirn die Seele macht, Stuttgart, 2014)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Entwicklung des Gehirns unter Trauma-Bedingungen
• Veränderungen des Gehirns der Mutter aufgrund traumatisierender Erfahrungen: Misshandlung, Vergewaltigung, Verlust des Partners, Krieg, schwere Unfälle wirken auf das unreife Gehirn des Embryos / Fötus Fehlentwicklungen im Stressverarbeitungs- und Selbstberuhigungssystem des Kindes
• Beeinträchtigung dieser Systeme (Bindungssystem!) bei Kleinstkindern
durch: - Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung und Tod der Eltern, längere
Trennung von den Eltern, psychische Störungen der primären Bezugsperson
• Frühe massive Störungen des Stressverarbeitungssystems (Cortisol) und des Selbstberuhigungssystems (Serotonin) führen zu Fehlregulation des Cortisol-Haushalts
Langfristige Folgen: Negative Beeinflussung der Ausbildung der anderen psychoneuronalen Systeme
(vgl. Roth / Strüber 2014: 375)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
49
The Adverse Childhood Experiences (ACE) Study:
Was ist eine ACE ? → Erleben / Erleiden einer der folgenden Erfahrungen in der Familie vor dem 18. Lebensjahr:
• Wiederholte körperliche Misshandlung
• Wiederholte emotionale Misshandlung
• Sexueller Missbrauch
• Ein Alkoholiker /Drogenuser im Haushalt
• Ein Haushaltsmitglied im Gefängnis
• Jemand der chronisch depressiv, psychisch krank, suizidal oder in der Psychiatrie ist • Eine Mutter, die Gewalt erleidet
• Ein oder kein Elternteil
• Emotionale oder physische Vernachlässigung
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Die erworbene Dysbalance…
• des Stressverarbeitungssystems
• des Selbstberuhigungssystems
…blockiert Reifung der Motivationssysteme in den ersten Lebensabschnitten:
- Impulshemmung 1.- 20. LJ.
- Mentalisierung und Empathie 2.- 20. LJ.
- Realitätssinn und
Risikowahrnehmung 3.- 20. LJ. Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander
Trost
Bindung und Psychiatrische Störung 4-10-2017 Alexander Trost
Bindungstheorie & Gewalt I (Bowlby, 1988)
• Aggressionen sind normal & adaptiv, wenn die
Sicherheit zentraler Beziehungen bzw. das Leben
wichtiger Menschen in Gefahr scheint.
• Familiäre Gewalt ist eine verzerrte, übertriebene
Version adaptiver Aggressionen.
• Gewalterfahrungen erschüttern & beeinträchtigen die emotionale Sicherheit von Kindern & Erwachsenen ganz grundlegend.
• Gewalt von engen Bezugspersonen (z.B. Eltern, Partnern) ist psychisch weitaus belastender als Gewalt von Fremden
51
Chronische /sequentielle Traumatisierung: Individuelle („abnorme“) Lösungen, die als persönlichkeitsgestört wahrgenommen werden und allen psychopathologischen Symptomen entsprechen:
Störungen von • Affektregulation, • Impulskontrolle, • Aufmerksamkeit, • verzerrte Wahrnehmungen von Selbst und Anderen • Bewusstseinsveränderungen, Dissoziationen, • brüchige Normen- und Wertsysteme, Sozialverhalten • Lern- und Kontaktstörungen, etc…
• Bindungstraumata haben noch gravierendere
Auswirkungen auf die Gehirnorganisation.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Desorganisation & Desorientierung: • Desorganisiertes Bindungsverhalten stellt im Gegensatz
zu organisiertem Bindungsverhalten ein „Steckenbleiben“ zwischen zwei Verhaltenstendenzen dar, bei dem
• auf der einen Seite die Zuwendung zur Mutter und das Nähe Suchen, und...
• auf der anderen Seite die Abwendung steht.
• Die gleichzeitige Aktivierung von beiden Systemen führt zu einem Zusammenbruch des organisierten Bindungsverhaltens.
• Desorganisiertes Verhalten wird als Indikator für Stress und Angst angesehen, den das Kind nicht beenden kann weil die Bezugsperson gleichzeitig die Quelle von Furcht und der potentielle sichere Hafen ist („no where to go“ ).
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Desorganisierte – desorientierte Bindungsbeziehung / D – Gruppe
Diese Kinder zeigen eine Vielzahl irritierender und widersprüchlicher Verhaltensweisen, z. B. Widersprüche zwischen Mimik und Körperbewegung, Stereotypien der Gesten, eingefrorene verlangsamte Mimik oder Bewegung, direkte subtile Zeichen von Anspannung, Furcht und Desorganisation
Die hier bestehenden Zusammenhänge zwischen Misshandlung und anderen traumatischen Situationen in der Familie sind empirisch belegt.
Folgen desorganisierter Bindung (Bateman & Fonagy, 2006, 2007, zit. nach Schultz-Venrath, 2017)
Resonanz
Nicht kontingente
Repräsentation
Innere Erregung bleibt oder steigt an
Ausdruck
Misslingende „Verdauung“
Kind Bindungsperson
Fremdes Selbst / eigener Körper als Objekt
Psychisches Selbst
Sekundäre Repräsentationen
Körper-Selbst
Primäre
Repräsentationen
Signal
Nonverbaler Ausdruck
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Bindung als Fundament
• Sichere Bindung: stabiles, griffiges Fundament
• Unsicher organisierte B.: Fundament in Schieflage Desorganisierte B: Löcher im Fundament
• Bindungsstörung: Sumpf als Fundament
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Risiken für Bindungsdesorganisation und Bindungsstörungen I
• Erleben von Gewalt – v.a. Annäherungs-Vermeidungskonflikte
• Vernachlässigung – v.a. deutlicher Rückzug und geringe emotionale Reaktivität
• psychische Erkrankung der Eltern – z.B. Fehlen von Verlässlichkeit, Schutz, Sicherheit, Struktur
• häufiger Wechsel der Bezugspersonen • Lern- / geistige Behinderung der Eltern • wenige Sozialkontakte der Mutter
insgesamt: extrem geringe Passung von kindlicher Reaktion und elterlichem Fürsorgeverhalten
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Risiken für Bindungsdesorganisation und Bindungsstörungen II
• unverarbeitete Traumatisierungen der Eltern
• komorbide Erkrankungen des Kindes
• Bereits im Neugeborenenalter Defizite in der Verhaltensorganisation – geringe Orientierungsfähigkeit, – hohe Irritabilität, – geringe Selbstregulationsfähigkeit
• Molekulargenetische Polymorphismen des Dopaminsystems
und Serotonintransports
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Folgen einer Bindungsstörung
• emotionale Basis, die dem Kind Sicherheit und Vertrauen
vermittelt, ist zerstört
• mangelnde Beziehungsfähigkeit
• Veränderungen in den neuronalen Strukturen des Gehirns – Stresshormon Cortisol wirkt bei konstanten hohen Werten im Gehirn
neurotoxisch, so dass Gehirnzellen abgebaut werden Vgl.: Brisch, K.H.2006 & 2009 a. S.42-43
• Verschaltungen die notwendig und durch Wiederholungen zu festigen sind, können nicht entstehen – Defizite der kognitiven Fähigkeiten vorprogrammiert – Entwicklungsverzögerungen in allen Bereichen Vgl.:Petzold, H. 2006. S 627-713
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Folgen einer Bindungsstörung
• Hohe Vulnerabilität andere Psychopathologien auszubilden Vgl.: Brisch. 2002. S 235
• Borderline-Störung als Folge einer desorganisierten / unsicheren Bindung und ungelösten Traumata in den Bindungsgeschichten, die in Bindungsstörung übergehen
Vgl.: Hofmann . 2005.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Transgenerationale Perspektive
• Weitergabe positiver Kindheitserfahrung
• Wahrscheinlichkeit: sichere Eltern 3-4-fache höhere Wahrscheinlichkeit sichere Kinder
• Statistisch hoher Zusammenhang zwischen Bindungsrepräsentation der Eltern und der Bindungsqualität der Kinder
• „Transmission Gap“: ...die Lücke zwischen 68 -75% und 100% Übereinstimmung, wahrscheinlich durch Prozesse der Selbstreflektion (auch Psychotherapie, u.ä.) mit Bezugspersonen / Partnerwahl bedingt
(Bretherton, 2001, S.61f./ Seiffge-Krenke, 2009, S.75ff/Buchheim, 2005, S.36) Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander
Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Zur Entstehung psychischer Krankheiten:
„Nehmen (psychotische) Störungen ihre Genese über einen Entwicklungspfad, der
• unbewältigte traumatische und / oder Verlusterfahrungen der Eltern,
• eine frühe Bindungsdesorganisation mit ihren Folgen für die Entwicklung der Persönlichkeit,
• spätere traumatische Erlebnisse,
• Mentalisierungsdefizite und
• ungelöste oder feindlich/hilflose Bindungseinstellungen zusammenführt?“ (Read & Gumley, 2009)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Volkes Stimme - die „Öffentliche Meinung“:
„Schizophrenie wird eher durch Armut, Isolation, familiäre Probleme, frühe Misshandlung als durch defekte Gene oder Gehirne verursacht – trotz der Dominanz des ,medizinischen Modells‘.“
Angermeyer & Dietrich, 2006, Read 2007
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
V.Aderhold, U.Borst: Viele Wege in die Psychose.
Familiendynamik 34, S 370-385, 2009
Risikofaktoren für schizophrene Erkrankungen: gesicherte Erkenntnisse
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Frühe Misshandlung und Vernachlässigung
• Tabuisierung durch „Schuld-Debatte“ und Exkulpierung der Angehörigen im biomedizinischen Modell
• Erdrückende Evidenz (Beispiele):
– 46 Studien mit 2604 Patientinnen(1356):
• 48% sexueller Missbrauch in Kindheit (:28%)
• 48% körperliche Misshandlung (:50%)
• 69% sex. oder körperl. Misshandl. (:59%)
Read et al, 2005)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Frühe Misshandlung : Dosiseffekt
Prospektive Studie NL (n> 4000):
• Je nach Misshandlungsgrad: Wahrscheinlichkeit für Psychose:
11-48 x / Kontrollpersonen (Genetische Aspekte herausgerechnet!)
Janssen et. al. 2004
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Elternverluste
Mehrere (ca. 20) Studien seit 1966 bis 2002 belegen häufigere und frühere Verluste von Elternteilen bei später „Schizophrenen“ als die jeweiligen Kontrollgruppen . (zit. nach Read et. al.2004)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Verlust und Trauma bei den Eltern Schizophrener
• Trauma- und Verlusterfahrungen (bis zu 2 Jahren nach der Geburt des später schizophrenen Kindes) sind bei den Eltern/-teilen signifikant häufiger =>
desorganisierte Bindung des Kindes
(verschiedene Studien 1988-2003)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Vernachlässigung
• Inzidenz frühe Vernachlässigung bei erw. stat. Pat.
22-62% (Read, 2004)
• Emotional misshandelte Frauen=>5x Risiko
Psychiatrie (Mullen et al. 1996)
• Langzeitstudie (30 J.) mit 500 Prob. in stat. Erziehungshilfe: 35% der später Schizohrenen Herausnahme wegen Vernachlässigung (= 2x)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Vulnerabilität…
….kann dem Einfluss traumatischer Geschehnisse, spezifischer Krankheiten, perinataler Komplikationen, sowie dem Einfluss von Familienerfahrungen, Interaktionen unter den jugendlichen Peers und anderen Lebensereignissen geschuldet sein, die sich entweder förderlich oder hinderlich auf das Entstehen einer nachfolgenden Störung auswirken“ (Zubin & Spring, 1977)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Die Ergebnisse der MKI-Studie (Trost) zeigen, wie stark die Säuglinge drogenkranker Mutter vom Beginn ihres Lebens an gefährdet sind
• Sie sind nicht nur dem Risiko eines transplazentaren Schadens durch den Drogengebrauch, speziell dem Beikonsum ausgesetzt, sondern insbesondere auch durch Stresshormone wie Cortisol als Langzeitefffekt auf die kindliche Hirnstruktur
• Wir haben starke Hinweise, dass mütterlicher Stress in der Schwangerschaft ebenso wie nichtresponsives, übergriffiges oder vernachlässigendes Verhalten der Mutter im ersten Lebensjahr eine schwach ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstregulation beim Baby bewirkt.[1].
• [1] Wurmser. H. (2007) Einfluss der pränatalen Stressbelastung auf die kindliche Verhaltensregulation im ersten Lebenshalbjahr. In: Brisch KH, Hellbrügge Th, Ed.): Die Anfänge der Eltern-Kind-Bindung. Stuttgart: Klett-Cotta
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Die Effekte des Oszillierens zwischen Verhaltenssextremen können zu einem zusätzlich beeinträchtigenden Faktor werden: Ohne Drogen oder auf Entzug sind die Mütter oft überaktiv bis intrusiv ihrem Baby gegenüber, während sie sich unter Drogeneinfluss nichtresponsiv und wenig feinfühlig verhalten. Dadurch kann das Baby keinen konsistenen Erwartungshorizont aufbauen, den es jedoch zum Aufbau einer jeglichen Bindungsstartegie benötigt. Dies wiederum führt zu einer erhöhten CortisolAusschüttung, wodurch die Hirnentwicklung negativ beeinflusst wird. Alle diese Risiken begünstigen die Ausprägung einer desorganisierten Bindungsstruktur, die ihrerseits wieder das Risiko der “Selbstmedikation” mit Cannabis und/oder Opiaten (in sich birgt. (calm down and get a kick at the same time).
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Die Drogenmütter sind in zwei zusätzlichen Aspekten besonders:
• Erstens weisen sie möglicherweise eine (epi-)genetische Prädisposition für eine Dysfunktion der Erregungsregulierung auf, die es wahrscheinlich macht, Drogen als Hilfe zur Beruhigung oder Stimulation zu nehmen.
• Zweitens: Wenn Eltern selbst schlecht reguliert sind, kann man kaum von Ihnen erwarten, dass sie in der Angelegenheit gute Lehrer für ihre Babys sind.
• Daher benötigen sie oft selbst Hilfe und Anleitung zur Selbstkontrolle von Erregung.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Erkenntnis:
Deutlicher Zusammenhang zwischen Drogenabhängigkeit
und ängstlich-vermeidender Bindung
Interpretation:
• Sensibilität für negative emotionale Erfahrungen bei
fehlenden Bewältigungsstrategien
• Drogengebrauch zur emotionalen Regulation,
• Abhängigkeit als entgleister Bewältigungsversuch
Schindler, A., Thomasius, R., Sack, P.M., Gemeinhardt, B., Küstner, U.J., & Eckert, J.,
(2005). Attachment and substance use disorders: a review of the literature and a study in
drug dependent adolescents. Attachment & Human Development, 7(3), 207–228.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
„Drogenbabies“ im Frühförderkontext
• Da die meisten Drogenbabies zur Behandlung von Irritabilität, Tonus- oder Koordinations-Problemen in einem Frühförderzentrum vorgestellt werden, liegt darin eine Chance zur Stärkung der Mutter-Kind-Dyade und Verbesserung der mütterlichen Feinfühligkeit und Mentalisierung, anstatt nur funktionelle Therapie anzubieten.
• Die FrühförderInnen sollten versuchen, die Situation der Mutter zu verstehen und ihr auf dem Weg zu kompetenter Elternschaft zur Seite zu stehen.
• Das hilft dem Baby mehr, als wenn man sich von den somatischen Auffälligkeiten “hypnotisieren” lässt und die möglicherweise schwierige Mutter als reines Hindernis für die Entwicklung des Kindes ansieht.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Ziele:
• Unterstützung der Mutter bez. Drogenabstinenz
• Unterstützung der Mutter bez. der Beziehung zu ihrem Kind:
– Reflexive Funktionen (Mentalisieren) entwickeln und stärken
– Entwicklungspsychologische Beratung mit Video / Feinfühligkeitstraining
– „Vorhersehen lernen“ des nächsten Entwicklungsschrittes
– Balance in der Triade (Mu-K-Ther) beachten
Hilfreiche Interventionen • Diese jungen Frauen benötigen klare, emotional nahe
und gleichzeitig strukturgebende und “erziehende” professionelle Helfer, die hinreichend reflektiert sein müssen, um ihre Gegenübertragung zu kontrollieren.
• Das ist ein dezidiert anderer Zugang im Vergleich zu dem distanzierteren und Grenzsetzung betonenden Beziehungsparadigma in der “klassischen Drogenrehabilitation, der ja als Konsequenz aus dem absorbierenden, oft übergriffigen und manchmal “saugenden” Verhalten der DogenklientInnen resultierte.
• Die Arbeitsbeziehung sollte möglichst in der Schwangerschaft beginnen und lange andauern.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Zentrale Annahme:
Eine Verbesserung der elterlichen Kompetenzen begünstigt auch Abstinenz: Belohnungssystem (Dopamin)
Die Beziehung zu den Drogen wird ersetzt durch Beziehung zum Kind.
Erkenntnis: “Auf Droge bekomme ich schlechter Kontakt zum Kind, das fühlt sich nicht gut an!”
Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)
• manifestiert sich sowohl im Individuum als auch in den sozialen Beziehungen zu anderen Menschen („interpersonelle Störung“)
• tiefgreifendes Muster von Instabilität in – zwischenmenschlichen Beziehungen, – im Selbstbild und – in den Affekten
• deutliche Impulsivität => Affekte und Verhalten
(vgl. Kernberg 2001: 99ff.)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
BPS: eingeschränkte Selbstregulation von Affekten und Verhalten
• Borderline-Betroffene können das Gefühl von Lebendigkeit nur durch Erfahrungen auf hohem Erregungsniveau erreichen
• Zustände hoher Spannung wurden schon früh verinnerlicht und überwältigen kindliche Regulationsfähigkeiten
• ebenso können sie meist nicht auf die externe Regulation ihrer Bezugspersonen hoffen
(vgl. Peichl 2008: 131-132) Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander
Trost
BPS: eingeschränkte Fähigkeit zur Mentalisierung
• eingeschränkte Mentalisierungsfähigkeit bei Borderline-Patienten:
• Sie können sowohl fremde als auch die eigenen Zustände nicht (angemessen) identifizieren
• Fehlinterpretationen sind häufig
• geringes Bewusstsein für Selbst-Zustände, Mangel an Selbstkontrolle
• Unterscheidung zwischen der inneren und äußeren Realität ist oft nicht möglich
(vgl. Gergely/ Fonagy/ Target 2003: 224)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016
Alexander Trost
Therapeutische Ansätze
► Jede Mutter will eine gute Mutter sein! Kritik an mütterlichen Fähigkeiten kränkt und mobilisiert massive Abwehr!
• Stärkung der mütterlichen Kompetenzen: nicht die HelferIn kann es besser. Cave: vernachlässigte / inadäquat gehändelte Kinder reagieren meist sehr positiv auf Helfer
• Entlastung, nicht höhere Anforderung. Sichere, fürsorgliche
Umgebung. Cave: behandlungsbedürftige psychische Störung bei der Mutter
• Stützende Anleitung und entwicklungspsychologische Beratung • Wahrnehmen von und respektvoller Umgang mit der Scham der
Mutter
5. Diagnostisches
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Interaktionsdiagnostik 0-8 Monate
- vorwiegend dyadisch ausgerichtet -
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 85
Mother-Infant Playing Scale
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 86
Chatoor / Pal-Skala
N M.R. M-W-U
Test p =
Wechselseitige Bezogenheit Kontrolle 24 25,52
Drogenklientin 18 16,14 .014
Unempfänglichkeit der
Mutter für die kindlichen
Bedürfnisse
Kontrolle 24 16,15
Drogenklientin 18 28,64 .001
Dyadischer Konflikt Kontrolle 24 17,21
Drogenklientin 18 27,22 .006
Aufdringlichkeit der Mutter Kontrolle 24 17,23
Drogenklientin 18 27,19 .009
Gesamt 42
Diagnostik: Emotional Availability Scales (Z. Biringen)
– Sensitivität: Gefühle, Gedanken, Motive des Kindes
erkennen, benennen, spiegeln,
– Struktur: Regeln & Grenzen setzen, eigene Initiativen der Mu., Eins nach dem Anderen, Ziele benennen, Delay of gratification
– Akzeptanz: freundliches Gesicht, angemessener Ton, konstruktiver Dialog, keine „hostility indicators“
– Nicht-Intrusivität: Raum geben, beschreibende statt vorschreibende Sprache, Abwechseln im Gespräch, kein „chase & dodge“
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Care-Index (Crittenden, 1988)
Feinfühlig Anpassung an das Verhalten des Kindes (angemessenes Handlungstempo, zugewandte Körperhaltung, Verbalisierung von Gefühlen etc.)
Nicht-responsiv Mimische, sprachliche, körperliche Zurückgezogenheit (Wegschauen, Schweigen, körperlich entfernt, etc.)
Verdeckt kontrollierend
Pseudo feinfühlig (Hänseln, abruptes Unterbrechen der kindlichen Aktivität)
Offen kontrollierend
Feindselig (Anstarren, Beschimpfen, Schütteln, etc.)
Kooperativ Fröhlicher Gesichtsausdruck, einladend, aktiv
Passiv Leerer Gesichtsausdruck, eingeschränktes Spiel, wenig Kontaktinitiative
Schwierig Abwehrend, widerständig, ärgerlich
Bemüht angepast
Gehemmt, wachsam, fügsam
DIESB : Working Model of the Child Interview (Zeanah et al.)
• Erfasst u.a. die Reflexionsfähigkeit der Mutter über sich und das Baby (Mentalisierung)
• Gefühle und Einstellungen der Mutter zu sich selbst, zu ihrer Geschichte und zu dem Kind
• Auswertung wie Adult-Attachment-Interview (AAI): nach Inhalt und Form/Kohärenz
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 89
Triadische Interaktion: Das Lausanner Spiel zu Dritt
Fivaz-Depeursinge, Corboz-Warnery, 2001
1. Mutter in Aktion mit dem Kind 2. Vater in Aktion mit dem Kind 3. Mutter und Vater gemeinsam in Aktion mit dem Kind 4. Mutter und Vater in Aktion, mit dem Kind als Zuschauer Setting: halbstandardisierte Situation mit 4 Konfigurationen (15 min) Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall?
Alexander Trost 90
Triadische Interaktion: Das Lausanner Spiel zu Dritt
Fivaz-Depeursinge, Corboz-Warnery, 2001
Familienallianz: kooperativ, kollusiv, gestört Triangulärer Rahmen: A - D Korrektur: schnell, kostspielig, ausweichend, verschlimmernd Triangulärer Prozess: differenziert, eingeschränkt, umleitend, verschlimmernd,... Arbeitsallianz: funktional, schwierig, (offen, geschlossen)
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost
91
Bindungsorientierte Diagnostik
• Was machen wir schon?
• Cave Klassische Diagnosemanuale: RDC (Research Domain Criteria) als künftige Alternative
• Sinnvolle Ergänzungen?
– Verhaltensbeobachtung von Kind + Eltern im Gespräch und freiem Spiel / VIDEO!
– GEV-B, BISK
– Eltern: BFPE, BFKE, AAI, AAP, …
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Methoden zur Erfassung von Bindungsverhalten und -repräsentation
Quelle: Bolten, 2009, S.63 93 Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost
Der Fremde-Situation-Test (FST) Ainsworth et al. 1978
Bindung und Psychiatrische Störung 4-10-2017 Alexander Trost
94
Bindung in der mittleren Kindheit Das Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindung 5- bis 8-jähriger Kinder (GEV-B) Basis: ASCT
GEV-B (Gloger-Tippelt 2009: 62ff.)
– Ursprung: Attachment Story Completion Talk (ASCT) nach Bretherton/Ridgeway (1990)
– Zielgruppe: 5-8 Jahre
– Gegenstand: Narrative
– Thema: Bindungsrelevante Situationen
– Spielmaterial: Puppenfiguren
– Prozedere: • Anfangssituation
• Problem für Protagonisten
• Versuch einer Problemlösung
– Ziel: Weiterführung soll Aufschluss über das Innere Arbeitsmodell (IA) von Bindung geben
– Auswertung: Videoaufzeichnung und -analyse
– Zuverlässigkeit: Reliabilität bei .87
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 96
• Projektive Erfassung des Bindungsverhaltens (Gloger-Tippelt 2009: 56, 60)
– Mittel: Symbolische Medien
– Kinder übertragen Gefühle/Erlebnisse/Wünsche/Bewertungen aus bindungsrelevanten Situationen auf die Medien
– Annahme: In den gespielten Geschichten manifestieren sich die Bindungsrepräsentationen der Kinder
– Ebene der prozeduralen und deklarativen Bindungsrepräsentation
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 97
• standardisierte Reihenfolge, da Thema Bindung von Geschichte zu Geschichte intensiver wird
• am Ende jeder Geschichte folgen zwei Nachfragen: „Wie geht es dem Kind?“ „Denkt das Kind noch etwas?"
Auswertung: • auf Grundlage von Videoaufnahmen
• wortwörtliches Transkript für einzelne Geschichten hilfreich
• Ziel: qualitative und quantitative Auswertung
– Grad der Bindungssicherheit – Bindungsqualität
98 Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost
GEV-B
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 99
Quelle: Glogler-Tippelt & König, 2009, S. 114
Bindungsinterview für die späte Kindheit (Zimmermann/Scheuerer-Englisch 2003: 19, 245f.)
– Entwicklung zu Forschungszwecken (1989)
– Zielgruppe: 8-12/13 Jahre
– Dauer: 50-90 Minuten
– Gegenstand: Halb-strukturiertes Interview
– Thema: Eigenständige Entwicklungsbereiche und Bindungsdynamik bei Überforderung
– Auswertung: Videoaufzeichnung und -analyse
– Ziel: Erfassung subjektiv-belastend erlebter Situationen > Aufschluss über das IA von Bindung (Regulationsfähigkeit)
– Längsschnittliche und zeitgleiche Validität
– Reliabilität zwischen .93 und .70
– Test-Retest-Reliabilität: .77 ElternRepr. und .76 B-Verh.
100 Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost
BISK: Erfassung von:
Bindungsrepräsentationen von den Bezugspersonen
• Auswertungsskala 1: Unterstützend vs. nicht-unterstützende Repräsentation der Bezugspersonen
• Auswertungsskala 2: Belastung des Kindes durch die Bezugspersonen
Bindungsverhaltensstrategien bei emotionaler Belastung
• Auswertungsskala 3: Beziehungsorientierte/ Beziehungsvermeidende Verhaltensstrategien
Qualität des Zugangs zu bindungsrelevanten Gedanken/ Gefühlen und deren mentale Organisation
• Auswertungsskala 4: Kohärenz und Inkohärenz des sprachlichen Ausdrucks
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 101
BISK
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 102
Bindungsdiagnostik: Was ist der Fall? Alexander Trost 103
Das Erwachsenen-Bindungs-Interview (AAI) Main & Hesse • Das Adult Attachment Interview (AAI) ist ein halbstrukturiertes
klinisches Interview, in dem Jugendliche und Erwachsene befragt werden zu ihren frühen Erfahrungen mit Bezugspersonen in der Herkunftsfamilie und über ihre Einschätzung der Bedeutung dieser Erfahrungen aus ihrer heutigen, aktuellen Sicht.
• Das AAI besteht aus einer festgelegten Reihenfolge von Fragen zu den frühen Beziehungen in der Herkunftsfamilie, der Kennzeichnung der Beziehungen zu Mutter und Vater in der Kindheit durch Nennung von fünf Adjektiven oder Wörtern und Belegung dieser mittels konkreter Ereignisse.
• Weiterhin werden Fragen gestellt dazu, welchem Elternteil sich die interviewte Person näher fühlte und was sie tat, wenn sie sich als Kind unglücklich fühlte oder sich verletzt hatte.
• Es wird nach frühen Trennungserfahrungen gefragt und nach Gefühlen des Abgelehnt-Werdens durch die Eltern…
6. Methodisches
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Mentalisierung • Affektspiegelung
• Markierung – Eltern reagieren im Gefühlsausdruck nicht ganz gleich wie
das Baby, sondern ähnlich und erkennbar übertrieben
• Kongruentes Spiegeln • Nicht-kongruent: eigene Affekte werden daran gekoppelt,
was ich als Kind bei den Eltern als Bedürfnisse, Normen, Werte zu spüren bekomme
• Autobiografisches Selbst (ab ca. 6. LJ.): – Erinnerungen an eigene intentionale Aktivitäten kausal,
temporal und kohärent organisiert
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
4 Polaritäten des Mentalisierens
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
automatisch – kontrolliert
innerlich fokussiert – äußerlich fokussiert
selbstorientiert – fremdorientiert
kognitiver Prozess – affektiver Prozess
(Bateman & Fonagy, 2015)
Epistemisches Vertrauen
Dieser Begriff kennzeichnet das basale Vertrauen in eine Bezugsperson als sichere Informationsquelle (Wilson und Sperber, 2012).
Es entsteht durch kontingente Spiegelung und Anwendung der intuitiven elterlichen Kompetenzen im Säuglingsalter, somit ist es mit Bindungssicherheit assoziiert.
Mentalisierende Interventionen, die das eigene wie das Innenleben des Gegenübers wahrnehmen und anerkennen, verbessern umgekehrt auch das epistemische Vertrauen.
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Teleologischer Modus
Ab ca. 9 Monate: In diesem Modus kann das Kind Handlungen nach ihrem Ergebnis und ihrer Urheberschaft unterscheiden, aber noch keine Vorstellungen von den Motiven oder Wünschen des Gegenübers bilden.
Es ist Mittel-Zweck-Verhalten: das konkrete, körperlich erfahrbare Resultat entscheidet über die Absicht. Die Umwelt steht damit ausschließlich im Dienst der eigenen Bedürfniserfüllung.
Mentalisieren des t M im Laufe des 2. LJ. Beispiel „Ich fühle mich nur geliebt, wenn Du in meiner Nähe bist“
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Äquivalenzmodus
• Innenwelt = Außenwelt
Eigene Gedanken werden als real und mit den Gedanken anderer identisch wahrgenommen. Eine Trennung von Selbst und Objekt, von Phantasie und Realität hat noch nicht stattgefunden und das Kind glaubt noch, dass Denken und Wünschen Realität sind und nicht etwa rein mentale Vorgänge.
paranoid, magisch, konkretistisch....
„Ich bin schuld an der Scheidung meiner Eltern!“
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Als-Ob-Modus
Der Als-ob-Modus befreit die Kinder von der psychischen Äquivalenz und sie können beginnen, die Handlungen anderer und auch die eigenen mit innerem Abstand wahrzunehmen; sie können Fantasieszenarien entwickeln.
Diese Dissoziation entlastet beispielsweise von der affektiven Überwältigung durch die eigenen destruktiven und aggressiven Impulse.
=> Unwirklich, Tagtraum, Phantasie, Pseudomentalisieren, detailliert, aber affektiv leer, Psychojargon
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Reflektierend Komplexes Mentalisieren
Playing with Reality
Als-ob Gefühle, Gedanken Körper und äußere
Realität unverbunden
Äquivalenz
Mentale=äußere Realität
Teleologisch
Nur das Ergebnis zählt
Die vier Wahrnehmungsmodi der Realität. Nach: Bolm, Th.: MBT, 2015
Mentalisieren – Diagnostik bei Kindern
• das Wissen um innerpsychische Prozesse als mentale Repräsentation: wenn ich weinen muss, bin ich manchmal traurig, manchmal wütend.
• Ursache von Verhalten sind psychische Prozesse: wenn mein Bruder gegen die Tür tritt, ist er sehr wütend, vielleicht, weil er nicht Fernsehen darf.
• In der mentalen Welt gibt es Veränderung und Entwicklung: als ich die Schüssel fallen gelassen habe, war ich erst traurig, aber nachdem du mir geholfen hast, die Scherben wegzumachen und mir gar nicht böse warst, ging es mir wieder gut.
• Psychische Befindlichkeiten wirken sich in Beziehungen aus: wenn ich rumschreie, muss ich mich nicht wundern, dass meine Mutter sauer wird.
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Mentalisierungsdiagnostik
• Klinisch
• Reflective Self Functioning Scale RSFS
• Reflective Functioning Questionnaire (RFQ)
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
„Mind-Mindedness“
Dieses Konstrukt bezeichnet die per Videobeoachtung „online“ operationalisierbare Fähigkeit der primären Bezugsperson, das Verhalten ihres Säuglings angemessen zu kommentieren, und somit dessen mentale Zustände adäquat zu erfassen.
Zentraler Aspekt dieser förderlichen Feinfühligkeit ist die Anerkennung des Kindes als ein Wesen mit eigener Psyche, mit Gefühlen, Gedanken, Motiven und nicht eins, bei denen nur primäre Bedürfnisse wie Füttern, Wickeln, Schlafen, Kuscheln erfüllt werden müssen.
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost
Meins und Fernyhough , 2015)
... dass die Häufigkeit von mind-related Kommentaren und die allgemeine Symptombelastung der Mutter zusammen als Moderatoren einen Einfluss auf die Weitergabe mütterlicher Bindungsrepräsentationen auf ihr Kind haben....., dass unsicher gebundene Mutter mit hoher Wahrscheinlichkeit sicher gebundene Kinder haben, wenn ...bereits in einem Alter von drei Monaten einen starken verbalen Bezug auf die mentalen Befindlichkeiten des Kindes nehmen.
Die Studienergebnisse verweisen auf die Bedeutsamkeit der Steigerung der mütterlichen Mind-Mindedness sowie einer Verringerung der allgemeinen Symptombelastung, um die transgenerationale Weitergabe unsicherer Bindung zu vermeiden. (Taubner et al., 2014)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Was wir (als Profis) brauchen:
• fundiertes Bindungswissen in Theorie und Methodik
• die Kompetenz und Bereitschaft, das eigene Bindungsverhalten zu kennen, und …
• …den eigenen Bindungsstil für eine förderliche Beziehung zur KlientIn laufend zu reflektieren.
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Systemischer Blick
Ressourcen und Begrenzungen
• in der Dyade,
• in der Triade,
• im größere Familiensystem,
• im sozialen und
• politischen Umfeld
beachten /nutzen
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016
Alexander Trost
Welche Form des (therapeutischen) Bündnisses ist für eine Frau in der Mutterschaftskonstellation angemessen und hilfreich?
Die „Gute-Großmutter-Übertragung“ …..der Wunsch, von einer mütterlichen Gestalt geachtet zu werden, Unterstützung und Beistand zu finden, von ihr lernen zu können und von ihr anerkannt zu werden…… (Stern 1998) TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und andere HelferInnen sollten diese Wünsche wahrnehmen, als adäquat bewerten und möglichst auch erfüllen, die GGÜ damit annehmen, und mit ihr die Arbeitsbeziehung zu der Mutter-Kind-Dyade gestalten.
Bindungsaufbau
• Der Aufbau einer Bindung zu einer sekundären Bindungsperson ist möglich und kann eine neue (sekundäre) sichere Basis geben!
• Aber: Zwiebelschalenmodell von Bindung
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Bindung, „Resilienz“ & Prävention
• Vom Anfang des Lebens an sind Bindungsbeziehungen die bedeutsamsten und einflussreichsten Beziehungen im Leben eines Kindes.
• Sie bereiten den Boden für die emotionalen und kognitiven Bewertungen von sozialen und dinglichen Erfahrungen, und für die Bedeutungsgebungen über sich selbst und Andere. => Sense of Coherence: SOC
• Bindungsbeziehungen beeinflussen Gedanken, Gefühle, Motive und nahe Beziehungen ein Leben lang.
(Grossmann, K & K, 2012)
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander
Trost
Therapie und Behandlung von Bindungsstörungen
• KJPP / SA / Therapeut / Pädagoge als sichere Basis
• ermöglicht, dass auf der affektiven Ebene eine Art „Neustart“ im Sinne einer „korrigierenden Erfahrung“ stattfinden kann
• Besondere Beachtung gilt dabei bindungs- und trennungsrelevanten Situationen
• Bezugspersonen in die Behandlung einbeziehen – Kind kann Behandlungsfortschritte nur umsetzen, wenn
Bezugspersonen dies unterstützen Vgl.:Brisch. 2009. S. 131
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Behandlung von Bindungsstörungen
• Bindungsorientierte Beratung und Therapie – Fokus primär auf der Herstellung eines
entwicklungsförderlichen Umfelds – Aufarbeitung möglicher Entwicklungsdefizite
• Nachreifung durch die feinfühlige therapeutische
Beziehung – Jede neue positive Erfahrung wird im Gehirn registriert,
gespeichert und verändert neurobiologische Ebene der Bindungsrepräsentation
• Psychotherapie effektiv
– 30 - 40% zeigen erhöhte Bindungssicherheit
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander Trost
Bindungsorientierte Familientherapie (ABFT nach Guy Diamond & Suzanne Levy, 2005)
Prinzip: Earned Security anstoßen im direkten Dialog der Beteiligten: Entlasten, Verzeihen, Empathie fördern, in enactments.
Wirksam auch bei schwerstbeeinträchtigten K. & J.
1. Umdeutung der Beziehung:
Vom Zorn zur Suche nach Unterstützung durch die Eltern
2. Herstellen einer Beziehung zum Jugendlichen
„Störung“ als interpersonell definieren, Unterstützung anbieten
3. Herstellen einer Beziehung zu den Eltern:
Eigene Geschichte validieren, und als Ressource für Kind verstehen
4. Wiederherstellen der Bindung:
Eltern: in regulierter Atmosphäre Affekten des Kindes Raum geben, und unterstützend kommentieren, Verbalisieren (Mentalisieren) fördern
5. Formung von Kompetenzen:
Selbstwert, Autonomie, Selbstwirksamkeit aufbauen
Kinder psychisch kranker Eltern Porz 11-2016 Alexander
Trost
…etwas Literatur zum Thema
• Brisch, KH: Bindungsstörungen. Stuttgart (Klett-Cotta) 1999-2014
• Grossmann, K & K: Bindungen- das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart (Klett-Cotta) 2013
• Trost, A.(2007) Bindung anbieten, Halt geben, Lösungen finden – Zur Bedeutung früher Erfahrungen für die seelische Gesundheit. In Cormann, W. (Hrsg) Menschwerdung. Entstehung, Entwicklung und Veränderung menschlicher Potentiale. Lindau (Cormanninstitute Verlag für systemische Praxis) Trost, A.: …beziehungsweise lernen – Zu den neurobiologischen Grundlagen von Lernprozessen. In: Leyendecker, Ch. (Hrsg.) (2008) Gemeinsam handeln statt behandeln -- Aufgaben und Perspektiven der Komplexleistung Frühförderung. München: Ernst Reinhardt
• Trost A.: (Hrsg) 2014 Bindungsorientierung in der Sozialen Arbeit (Dortmund: vml)
• Trost, A. (2015) Bindungsorientierung in der Klinisch-therapeutischen Sozialen Arbeit. In: Lammel, U., Jungbauer, J., Trost, A.: (Hrsg): Klinisch-therapeutische Soziale Arbeit. Dortmund (borgmann).
• Trost, A.( 2015) Ich kooperiere, also bin ich …. Mensch! – Evolutions- und Bindungswissen für die Friedenpädagogik. In: Frieters-Reermann, N., Lang-Wojtasik, G. (Hrsg) Friedenspädagogik und Gewaltfreiheit. Schriften der KatHO-Nrw, Bd. 21, Opladen :Budrich
• Trost, A.(2017) Bindungsorientierung in der Sozialtherapie. In: Lammel, UA, Pauls, H. (Hrsg): Sozialtherapie. Dortmund (borgmann)
• Trost, A. (2018) Bindungswissen für die systemische Praxis – ein Handbuch. Göttingen:V & R
BKJPP Kassel 11-2017 Alexander Trost