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Bindungsentwicklung von der frühen Kindheit bis in das Erwachsenenalter; Bindungsqualitäten in späterer Partnerschaft und Perspektiven der Bindungstheorie Seminar:Grundlagen der Bindungstheorie und Diagnostik von Bindungsstörungen im Kontext familiaer Entwicklungen und Konflikte Dozent: Dr. Rainer Balloff Referentinnen: Kerstin Engelke, Julia Becker, Verena Kammerer

Bindungsentwicklung von der frühen Kindheit bis in das Erwachsenenalter; Bindungsqualitäten in späterer Partnerschaft und Perspektiven der Bindungstheorie

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Bindungsentwicklung von der frühen Kindheit bis in das Erwachsenenalter; Bindungsqualitäten in späterer Partnerschaft und Perspektiven der Bindungstheorie

Seminar:Grundlagen der Bindungstheorie und Diagnostik von Bindungsstörungen im Kontext familiaer Entwicklungen und KonflikteDozent: Dr. Rainer BalloffReferentinnen: Kerstin Engelke, Julia Becker, Verena Kammerer

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Grossmann, 1995

• „Individuelle Autonomie eines Kindes entsteht auf der Grundlage einer sicheren Bindung zu seinen Bezugspersonen und nicht auf erzwungener Unabhängigkeit oder Beziehungslosigkeit.“

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Entwicklungsmodell der Bindungstheorie

• Kein Modell einer frühen Prägung

• Modell einer von der Kindheit bis zum Jugendalter abnehmenden Sensitivität gegenüber den Erfahrungen mit den Bezugspersonen

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Abnehmende Sensitivität

• Aufbau und Stabilisierung internaler Arbeitsmodelle von sich und den Bezugspersonen

• Autonome Selbstregulation im Verhalten

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Bis zum 5. Lebensjahr:

• Vorhersage /Erwartungen des Verhaltens der Bezugspersonen noch von tatsächlichen Erfahrungen abhängig

• Notwendigkeit der direkten körperlichen und emotionalen Verfügbarkeit der Bindungspersonen, um bei aktiviertem Bindungsverhaltenssystem wieder beruhigt zu werden

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• Sicher gebundene Kinder zeigen :– Mehr „gutes“ Spiel– Besseres „Konfliktmanagement“– Weniger Verhaltensprobleme

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Ab dem 5. Lebensjahr:

• Geringere Bedeutsamkeit unmittelbarer körperlicher Nähe

• Erwartungen bzgl. der Verfügbarkeit der Bezugspersonen verinnerlicht

• Wissen um potentielle Verfügbarkeit hilft bei der Regulation negativer Gefühle

• Bis ca. Jugendalter nimmt die Veränderbarkeit internaler Arbeitsmodelle kontinuierlich ab

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Jugendalter

• Suchen nach körperlicher Nähe bei den Bindungspersonen weniger häufig auslösbar

• Manifestation des Bindungsverhaltens in offener Kommunikation mit den Bindungspersonen in Form eines Austausches über negative emotionale Befindlichkeiten oder Schwierigkeiten

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• Hinzukommen weiterer Bindungspersonen (Freundschaften, Liebesbeziehungen)

• Veränderung der Beziehung zu den Eltern von einer asymmetrischen hin zu einer symmetrischen und gleichrangigen Beziehung

• Zunehmende Kompetenz und Autonomie im Umgang mit Problemen

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Bielefelder Längsschnittstudie (seit 1976)

• Ursprünglich 49 Kinder (23 Mädchen, 26 Jungen)

• Letztlich 44 Jugendliche, 50% Mädchen

22

35

43

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

Oberschicht

Mittelschicht

untereMittelschicht

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Erfassung der Bindungsorganisation zu drei verschiedenen Zeitpunkten

1. Im zweiten Lebensjahr im Labor mittels FS

2. Mit zehn Jahren zu Hause mittels Bindungsinterview

3. Mit 16 Jahren zu Hause mittels AAI

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1. Fremde Situation

• Mit 12 Monaten mit der Mutter

• Mit 18 Monaten mit dem Vater

49

32,7

12,26,1

0

10

20

30

40

50

Bindungstyp

A

B

C

unklassifiziert

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2. Interview der Kinder und Eltern bezüglich bindungsrelevanter Themen

• Einschätzung der kindlichen Repräsentation der emotionalen Verfügbarkeit der Eltern bei emotionaler Belastung, geschilderte Bindungsverhaltenweisen bei einerseits emotionaler Belastung sowie bei Alltagsproblemen

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• Stabilität der Bindungsorganisation auch noch bei 10jährigenKindern (80%)

• Teilnehmer an der Studie, die mit 12 Monaten sichergebunden waren, suchen mit 10 Jahren eher die Unterstützung der Eltern bei Kummer, Angst oder Ärger

• eher Zugang zu ihren Gefühlen und deshalb ihre Antworten in einem Bindungsinterview flüssiger und offener

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3. AAI - 16 Jährige

• kein direkter, enger Zusammenhang zwischen der Bindungsqualität im frühen Kindesalter und der Bindungsrepräsentation im Jugendalter

• Vielmehr nehmen Risikofaktoren ganz wesentlich Einfluss auf die spätere Bindungssicherheit.

• in stabilen familiären Verhältnisse eher Kontinuität

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Einschub – Risikofaktoren:

• Bedeutsame familiäre Lebensveränderungen • Scheidung der Eltern• Verlusterfahrungen• Lebensbedrohliche Erkrankungen oder Unfälle

der Eltern oder Kinder • In Regensburg zusätzlich:

– Tod der Großeltern– übermäßiger Leistungsdruck der Eltern bei

gleichzeitigem Schulversagen des Kindes

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• Jugendliche mit unsicherer Bindungsrepräsentation wiesen vermehrt Risikofaktoren auf

• Zusammenhang war bei unsicher-verwickelter Bindungsrepräsentation besonders deutlich

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• kein signifikanter Zusammenhang der Bindungsrepräsentation der Jugendlichen zu ihrer Bindungsqualität zur Mutter mit 12 Monaten oder zu ihrer Bindungsqualität zum Vater mit 18 Monaten

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Regensburger Längsschnittstudie (seit1980)

• Ursprünglich 51 Kinder, 3/5 Mädchen

• Letztlich 43 Jugendliche: 27 Mädchen, 16 Jungen

• Familien aus allen sozialen Schichten, die meisten aus der unteren Mittelschicht

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Erfassung der Bindungsorganisation zu drei verschiedenen Zeitpunkten

1. Im zweiten Lebensjahr mittels FS2. Mit sechs Jahren mittels

Wiedervereinigungssituation3. Mit 16 Jahren mittels AAI

jeweils im Labor

• Weiterhin wurde die Interaktionsqualität zwischen Müttern und Jugendlichen erhoben mittels Urlaubsplanungsaufgabe von Grotevat und Cooper (1985) und Streitgesprächssituation von Kobak, Cole et al. (1993)

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1. Fremde Situation

31

57

6 60

10

20

30

40

50

60

Bindungstyp

ABCunklassifiziert

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Ergebnisse:

• Ähnlich denen der Bielefeldstudie• Fehlende Übereinstimmung der Bindungsqualität

hängt mit Diskontinuität der Lebensbedingungen zusammen, welche die Interaktion zwischen Eltern und Kind beeinflussen

• Hingegen deutliche Stabilität der Qualität der Interaktion zwischen Mutter und Kind von der frühen Kindheit bis zum Jugendalter = Kontinuität auf der Verhaltensebene

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Urlaubsplanungsaufgabe:

Jugendliche, die im Alter von zwei Jahren sicher gebunden

Jugendliche, die im Alter von sechs Jahren sicher gebunden

Verbundenheit förderndes Verhalten

Signifikant mehr Signifikant mehr

Autonomie und Verbundenheit verhinderndes Verhalten

Signifikant weniger Tendenziell weniger

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(Bowlby, 1979/1982, S. 133; zit. nach Zimmermann, 1995, S. 216)

• Die frühe Kindheit ist also auch hier keinesfalls Schicksal

• Bowlby betonte, seine Theorie „messe den Erfahrungen während der ganzen Kindheit und Adoleszenz eine Bedeutung für die Entwicklung bei und nicht nur fast ausschließlich den Erfahrungen während der ersten Monate oder Jahre“

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Bindung im Erwachsenenalter

Grundannahme:

– Die in der Kindheit entstandenen inneren Arbeitsmodelle beeinflussen lebenslang die Erwartungen und Verhaltensweisen gegenüber Beziehungspartnern

Unterschiede:

– Eltern- Kind- Beziehungen sind asymmetrischer, Erwachsene agieren gleichrangig

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• Erwachsene gehen reziproke Beziehungen ein

• wechselseitiges Einnehmen der Rollen des Bedürftigen und des Fürsorgenden

• drei zentrale Verhaltenssysteme:

Fürsorge-, Bindungs- und das sexuelle System

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• Suche nach dem Beziehungspartner, der auf die eigenen Bedürfnisse nach Bindung, Fürsorge und Sexualität komplementär reagiert

• als attraktiv im Partner werden empfunden:

Gemeinsamkeiten und Responsivität • psychische und physische Nähe

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• soziobiologische Sicht: die langfristige Bindung and den Partner bringt reproduktive Vorteile/ verbesserter Schutz von Nachkommen

• sexuelle Attraktion als Zugang zu körperlicher Nähe

notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Entwicklung einer emotionalen Bindung

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• mit der Dauer einer Beziehung:Bedürfnis nach körperlicher Nähe nimmt ab, Bedürfnis nach emotionaler Unterstützung nimmt zu

• der Partner als „sichere Basis“, weniger notwendig, sich des anderen durch körperliche Nähe zu versichern

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• Bindung offensichtlich in Zeiten von Krisen wie z.B. Krankheit, Angst, Trauer u.ä.

• Bindungsverhaltensweisen wie Nähesuche und Trennungsprotest

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• Angst und Unbehagen wenn grundlegende Bedürfnisse nach Bindung, Fürsorge und Sexualität nicht erfüllt werden

• Wahrscheinlichkeit von physischen und psychischen Beeinträchtigungen steigt an

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Zufriedenheit in der Partnerschaft

• der Grad der Zufriedenheit hängt vom Ausmaß der Befriedigung der grundlegenden Bedürfnisse in den drei Verhaltenssystemen ab

• die Art und Weise der Kommunikation ist von großer Bedeutung

Mittel zur Erfüllung der grundlegenden Bedürfnisse nach Bindung, Fürsorge und Sexualität

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• großes Vertrauen auf die Responsivität des Partners erleichtert die Selbstoffenbarung, die Kommunikation wird konstruktiver, die Problemlösefähigkeit größer und die Intimität nimmt zu

• sichere Bindungen gehen mit einer besseren

Partnerschaftsqualität und einer höheren Zufriedenheit einher (Verlässlichkeit hinsichtlich der Responsivität)

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• Konfliktsituationen zwischen Partnern sind Momente, in denen das Bindungssystem aktiviert ist:

• da befürchtet werden muss, dass die Beziehung in Frage steht, wenn der Konflikt nicht gelöst werden kann

• oder zumindest der Partner im Moment nicht responsiv auf die eigenen Bedürfnisse reagiert

• Gefühle der Angst, des Ärgers oder der Traurigkeit, der Betroffene zeigt das für ihn typische Bindungsverhalten

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Bindung und Trennung

• zwischen Beziehungsqualität und Beziehungsdauer muss unterschieden werden

• Menschen behalten lange das Gute im Blick, ehe die Trennung erwogen wird

• emotionale Bindungen sind schwer auflösbar

• Verlust einer Bindungsperson ist hoch mit Angst besetzt

• bereits Gedanken an eine Trennung aktivieren das Bindungssystem und damit Bindungsverhalten

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• Trennung, wenn das Vertrauen in die Responsivität des Partners extrem erschüttert ist bzw.:

• kaum noch offene Kommunikation über Gefühle und Bedürfnisse,

• konstruktive Konfliktlösestrategien fehlen

• keine eindeutige Festlegung auf die Beziehung

die Partner erleben einander nicht mehr als sichere Basis oder die Entwicklung dahin wurde nicht geleistet

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• Austauschtheorie: eine Trennung wird dann erwogen, wenn ein potentieller anderer Partner die eigenen grundlegenden Bedürfnisse besser erfüllt als der momentane Partner

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charakteristische Reaktionen auf Trennung:

• Protestphase, ständige Gedanken an den Partner, Angespannt sein, Angst, Suche nach ihm, dem Wunsch, die Trennung ungeschehen zu machen

• gefolgt von Phasen der Traurigkeit, Antriebslosigkeit und Depressivität

• nach und nach löst sich die Person emotional vom früheren Partner

• je tiefer die Bindung war, desto ausgeprägter die Reaktionen

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Forschungsergebnisse zur Bindung in der Partnerschaft

• Bindungssicherheit korrespondiert hoch mit Vertrauen, Verbindlichkeit und Zufriedenheit (erfasst mit Selbstbeurteilungsinstrumenten)

• fördert konstruktives Streiten

• unsichere Bindung korreliert negativ mit Vertrauen (auf die Responsivität) und Zufriedenheit

• das Streitverhalten ist destruktiver

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• zudem unterscheiden sich vermeidend Gebundene durch einen geringen Verbindlichkeitsgrad von

ängstlich-ambivalent Gebundenen, die als Besitz ergreifend beschrieben werden

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• sicher Gebundene agieren nach eigener Einschätzung in Konfliktsituationen mit dem Partner kompromissbereiter

• beziehen eher die Bedürfnisse beider Partner in die Lösungssuche mit ein als unsicher Gebundene

• ängstlich-ambivalent Gebundene zeigen häufiger dominantes, den Partner drängendes Verhalten als sicher und vermeidend Gebundene

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Intergenerationale Tradierung von Bindung, mütterliche Responsivität

und Fremdbetreuung

• Londoner Eltern-Kind-Projekt von

Steele, Steele & Fonagy, 1990–1996

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(N = 186)

Untersucht wurde:• Bindungsrepräsentation der Mütter• Mütterliches Verhalten• Bindungsmuster der Kinder zu ihren

Müttern• Fremdbetreuung und Bindungssicherheit

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Beschrieben wird:

• Bindungsinterview mit den werdenden Müttern

• Wöchentliche häusliche Beobachtungen im ersten Lebensjahr

• Fremde Situation mit einem Jahr

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Fallbeispiel 1: Maureen

• Sicher-autonomes Bindungsmuster

• Auf dem Land aufgewachsen

• Älteste von zehn Kindern, um die sie sich viel kümmern musste

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Maureens Beschreibung der Mutter:

„Warmherzig, fürsorglich, wahrscheinlich beschützend: manchmal beschützend. In

der Erinnerung würde ich uns beinahe als glücklich bezeichnen.“

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Zur Fürsorglichkeit der Mutter:

„Sie nahm immer wieder zwei oder drei von uns, und wir kuschelten uns eng

aneinander, und sie erklärte uns Dinge, wie z.B., wie und warum die Jahreszeiten

von einer in die nächste übergehen.“

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Emotionale Distanz zu Großmutter

„Meine Großmutter mochte ich nicht sehr, streng und immer belehrt sie einen und

solche Sachen. Wir machten immer etwas verkehrt. Wenn sie kam, fanden mein

Bruder und ich immer etwas anderes zu tun und so mussten wir nicht da sein. Sie

war kein sehr glücklicher Mensch, ich glaube nicht.“

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Maureen und ihr Kind:

Als Emily 8 Wochen und 2 Tage alt war, notierte der Beobachter, wie Emily Laute von sich gab – beruhigende Gurgellaute,

lächelte und dann ihren Kopf auf die Brust ihrer Mutter bettet ... Maureen

kommentierte darauf, wie sich das anfühle, es sei, als ob Emily mit ihr verschmelze – tatsächlich sah es so aus, als ob es nur ein

Körper wäre anstatt zwei.

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Fremde Situation:

• Emily zeigte ein sicheres Reaktionsmuster

• Maureen passte sich den Bedürfnissen ihrer Tochter an

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Von den 186 Personen wurden:

• 115 als sicher-autonom klassifiziert und

• 91 (81%) davon hatten sicher gebundene Kinder

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Fallbeispiel 2: Wendy

• Unsicher-distanziertes Bindungsmuster

• Ihre Mutter hatte eine körperliche Behinderung

• Häufig Streit zwischen den Eltern

• Konflikte mit ihrer jüngeren Schwester

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Bei unsicher-distanziertem Bindungsmuster zeigt sich:

• ein idealisiertes Bild der eigenen Kindheit, welches gleichzeitig widerlegt wird durch das Fehlen jeglicher unterstützender Belege und die Unfähigkeit sich auf bindungsbezogene Themen wirklich zu zentrieren

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• eine Haltung sich auf vorwiegend persönliche Stärke zu verlassen, verbunden mit einem diesbezüglichem Gefühl von Stolz

• die Annahme, dass die Schwierigkeiten, die eine Person erfahren hat, ein normaler Bestandteil von Erfahrungen sind, die jeder überwinden oder hinter sich zurücklassen muss.

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Wendys Beschreibung der Mutter:

„mürrisch, mit emotionalen Höhen und Tiefen, liebend, distanziert und verlässlich ... eine Menge von

Zärtlichkeiten, aber sie gehört nicht zu den gefühlsbetontesten Menschen der Welt. Heute hält sie sie für frustriert, da sie es

nicht recht viel weiter brachte als für ihre Familie zu sorgen ... sie machte nicht eine

100% Karriere.“

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Wendys Beschreibung des Vaters:

„Etwas distanziert, attraktiv, umgänglich, intelligent, aber ein frustrierter Jazzpianist.“

Und weiter: „Ähm, ... er ist stets ein Mann für Ideen, ich denke, das ist, denke ich, ein

Bestandteil unserer Beziehung ist ... basiert darauf ... zu sprechen über ... über ... alles

ist ... haupt ... hauptsächlich ist es intellektuell, es scheint nicht ... es gibt nicht, es scheint nicht besonders viel zu geben, was darin emotional

ist ...“

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Erinnerung an Trost, aber auch Zurückweisung:

„Ich erinnere mich, sie waren immer da und wollten sich Klarheit verschaffen (als sie

Alpträume hatte) ... aber ich erinnere mich ebenso, dass sie mich zurückgewiesen

haben ... mich aus dem Bett warfen ... und sagten ich wäre zu alt um ... ins ... ins ...

dahin zu kommen, verstehen Sie.“

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Was ihr Kind von ihr lernen sollte:

„Ähm, zuversichtlich sein, verstehen Sie ... und hinauszugehen ... und in der Lage zu sein, mit den Dingen fertig zu werden, wie

sie auch kommen.“

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Wendy und ihr Kind:

• Sie wirkt anfangs ängstlich und ihr Sohn Adam unruhig

• Während sie ich füttert, ist sie mit anderen Dingen beschäftigt

• Wendy will Adam vorführen

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Als Adam vier Monate alt war, notierte der Beobachter:

Adam kann jetzt auf seinen Beinen stehen, wenn ihn die Mama an den Händchen festhält. Bis dahin konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Baby

dieses Alters so stehen kann! Die Mutter wollte auch, dass er krabbelt. Zu diesem Zweck legte sie ihn auf den Bauch – was er nicht mochte – und dann versuchte sie seine Beine und Hände zu

bewegen, indem sie Krabbelbewegungen imitierte. Das ganze funktionierte nicht, und als Adam zu

weinen begann, beendete die Mutter ihr Training.

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Fremde Situation

• Adam zeigt klares Bild von Vermeidung

• Reagiert weder als die Mutter wegging noch als sie zurückkam

• Mehr Freude und lebhaftes Spiel zeigt er bei der Fremden Person

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Von 186 Personen wurden:

• 38 als unsicher-distanziert klassifiziert und

• 24 (63%) davon hatten unsicher-vermeidend gebundene Kinder

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Ca. 25 % der Stichprobe zeigen keine intergenerationale Tradierung von Bindung - Grund könnte der Einfluss von positiven oder negativen Lebensereignissen sein.