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Biografien zur Farbenlehre - colour.education

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Biografien zur Farbenlehre Arthur Schopenhauer 1788 - 1860

4.01 Porträt von Ludwig Sigismund Ruhl um 1815

ARTHUR SCHOPENHAUER, „der Begründer der Willensmetaphysik, gehört zu den populärsten deutschen Philosophen. Seine Lehre wirkte über die Grenzen der Philo-sophie hinaus in der Literatur, Musik und Psy-chologie. ... Seine Philosophie prägt bis heute die Diskussion über die fundamentalsten Fra-gen.“ (Ulfig 2000) Nicht ohne Grund wählte J. W. v. Goethe 1813 den 25-jährigen, frisch promovierten Dr. Schopenhauer aus, um ihn in seiner Far-benlehre persönlich zu unterweisen. Ihm lag daran, seine Denk- und Forschungsweise auf einen jungen Schüler und Mitarbeiter zu über-tragen. Im Frühjahr 1814 verlässt allerdings Schopenhauer Weimar, um nach Dresden zu

gehen. Einerseits hinreichend durch Goethe geschult, aber auch angefüllt mit Beobach-tungen und Ideen, die von denen Goethes etwas abweichen, trägt er sich mit dem Ge-danken, diese in einer eigenen Abhandlung darzulegen. Schopenhauer nimmt in Dresden seine Wohnung in der Großen Meißenschen Gasse 35. Die vier Dresdner Jahre bezeichnet er später als die produktivsten seines Lebens: „Wann ... durch welche günstigenUmstände die Stunde herbeigeführt wurde, wodasGehirndiehöchsteSpannunghatte;somochtemeinAugetreffenaufwelchenGegen-standeswollte, -er redeteOffenbarungenzumir.“ Das ganze System sei, schreibt er in einem Brief der letzten Jahre „gewisser-maßen ohne mein Zuthun ... strahlenweise wie ein Krystall

zu einem Centro konvergierend (zusammen-ge-schossen), so wie ich es sofort im ersten Band meines Hauptwerkes niedergelegt habe.“ - ge-meint ist hier sein Hauptwerk ‚Die Welt als Wil-le und Vorstellung‘ - (Safranski 1996). Im Sommer 1815 schickt er auch das inzwi-schen fertige Manuskript seiner Abhandlung ‚Über das Sehn und die Farben‘ an Goethe in der Hoffnung auf einen Kommentar. Dieser je-doch kann sich nicht dazu entschließen und so kommt es 1816 zur Veröffentlichung der Schrift ohne eine empfehlende Anmerkung Goethes. Schopenhauer wendet sich erst 40 Jahre später wieder seiner Lehre ‚von der qualitativ geteil-ten Tätigkeit der Retina‘ zu, indem er sie nur um weniges verbessert neu auflegt (1854).

Biogafische Daten (Auswahl)

1788 am 22. Februar wird Arthur Schopenhauer in einer patrizischen Kaufmannsfamilie in Danzig geboren 1805 Abbruch seiner Kaufmannslehre in Hamburg undÜbersiedelungzurMutternachWeimarab 1809 StudiumderNaturwissenschafteninGöttingenab 1811 StudiumderPhilosophieinBerlin/Dissertation1813inJena Dissertationsschrift‚UeberdievierfacheWurzeldesSatzesvomzureichendenGrunde‘1813 UnterweisungenzurFarbenlehredurchJ.W.v.GoetheinWeimar 1814 Übersiedlung nach Dresden, Studien in den Sammlungen und Bibliotheken der Stadt, u.a. Begegnung mit dem Maler Ludwig Sigismund Ruhlbis 1818 Aufenthalt in Dresden, Entwurf der Farbenlehre und des philosophischen Hauptwerkes1816 ErstveröffentlichungerSchrift‚UeberdasSehnunddieFarben‘beiHartknochinLeipzig1819 erscheint ‚DieWeltalsWilleundVorstellung‘bei F.A. Brockhaus in Leipzig1820 Italienreise/HabilitationinBerlin/VersucheinerLehrtätigkeitanderUniversitätab 1831 zurückgezogenes Leben als Privatgelehrter in Frankfurt / M. 1854 erscheintinLeipzigdiezweite,vermehrteAuflage‚UeberdasSehnunddieFarben‘1860 stirbtSchopenhaueram21.SeptemberinFrankfurt/M.imAltervon72Jahren

vorrufen. In der komplementären Ergänzung addieren sich dann diese partiellen Tätigkeits-grade, die den Farbhellengrößen entsprechen, zur vollen Tätigkeit. Nur zwei Farben - Grün und Rot - induzieren einen ertwa gleich großen Grad der Tätigkeit, und zwar jede von beiden die halbe. Für jede Qualität gibt Schopenhauer einen bestimmten Helligkeitsgrad in Bruchteilen an (Abb. 4.03)„Die wahre Farbentheorie“, so sagt Schopen-hauer, „hat es ... stets mit Farbenpaaren zu tun, ... die Farbe erscheint immer als Dualität, dasiediequalitativeBipartionderTätigkeitderRetina ist. Chromatologisch darf man dahergar nicht von einzelnen Farben reden, sondern

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Schopenhauer geht von der graduellen Ver-schiedenheit der ‚intensiven Teilbarkeit der Tätigkeit der Retina‘ aus, von der ‚vollen Tätig-keit‘ bis zur ‚Untätigkeit‘. Danach bestimmt er die Zustände: Volle Tätigkeit - Licht - Weiß Halbschatten - Grau Untätigkeit - Finsteniß - Schwarz Die besondere Leistung Schopenhauers für die Farbenlehre ist das paarweise Einbeziehen der Komplementärfarben und ihrer spezifischen Helligkeiten. Er unterscheidet die Funktionen der verschiedenen Buntheiten für die Tätigkeit der Retina: Durch Weiß wird ‚die volle Tätigkeit der Retina‘ entfaltet, während die bunten Far-ben bestimmte Bruchteile dieser Tätigkeit her-

nur von Farbenpaaren, deren jedes die ganze, inzweiHälftenzerfallendeTätigkeitderRetinaenthält.DieTeilungspunktesindunzählig,und,alsdurchäußereUrsachenbestimmt,insofernfür das Auge zufällig. Sobald aber die eine Hälf-te gegeben ist, folgt ihr die andere, als ihr Kom-plement, notwendig.“ Angemerkt werden muß hier eine frühere Ar-beit des Chemikers Joh.Gottfr. VOIGT (1796 veröffentlicht), in der für die wichtigsten Far-ben ebenfalls Proportionswerte zu einer kon-stanten Summe angegeben werden. Schopenhauers Theorie hat zu Unrecht eine entsprechende Würdigung bislang nicht gefun-den, obwohl er vermutlich als erster erkann-

4.03oben:Äquivalenten-FarbkreisvonC.v.BiemanachSchopenhauersTheorieder‚qualitativgeteiltenTätigkeitderRetina‘,darunter:SchopenhauersBruchteilederHelligkeits-gradederFarbtönezwischendenPolenSchwarzundWeiß

4.02 TitelblattderErstausgabe ‚ÜberdasSehnunddieFarben‘,Leipzig1816

4.04EigenhändigeNotizenSchopenhauerszurFarbenlehre. Dresden 2014

te, daß der Schlüssel für jede psychologische Farbenordnung in der Einheit und Paargestalt des Komplementären und deren spezifi scher Helligkeitsskala liegt. Hierbei sei von Wilhelm OSTWALD und Eckart HEIMENDAHL einmal ab-gesehen, die seine Leistung ausdrücklich wür-digten und seine Vorleistung z.T. in ihre eige-nen Theorien einbezogen (z.B. Ostwalds Lehre vom ‚Farbenhalb‘). Erwähnt werden soll hier noch Schopenhau-ers ‚Theorie der farbigen Ränder‘‚ die auf eine Korrektur der Goethe‘schen nur in dem Punkte hinausläuft, dass er den Gedanken einer Träg-heitsreaktion bei plötzlicher Veränderung ins Zentrum stellt und hier auch die Analogie zur Polarisation stärker betont.

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Quellenhinweise Bähr, Carl Johann: Der dynamische Kreis. Die natürliche Reihenfolge der Elemente und zusammen-gesetzten Körper als Resultat der Beobachtung ihrer dynamischen Wirksamkeit. Lieferungen 1-6, Dresden 1860 Schemann, Ludwig (Hg.): Gespräche und Briefwech-sel mit Arthur Schopenhauer. Karl Bähr. Aus dem Nachlasse. Leipzig 1894 Ostwald, Wilhelm: Goethe, Schopenhauer und die Farbenlehre. Leipzig 1918, zit. nach 2., durchges. Aufl . 1931, S.71ff ders.: Die Farbenlehre in fünf Büchern. 1. Buch: Ma-thetische Farbenlehre. Leipzig 1918, S.122-123 Safranski, Rüdiger: Der streitsüchtige Stammgast im ‚Chiappone‘. In: Kleine Bettlektüre für alle, die das schöne Dresden lieben. Bern; München; Wien 1996, S.40-53 Heimendahl, Eckart: Licht und Farbe, Ordnung und Funktion der Farbwelt. Berlin 1961, S.46ff Ulfig, Alexander (Hg.): Arthur Schopenhauer. Haupt-werke Bd. 1, Köln 2000 Baum, Günter: Schopenhauer und die Künste. Göttin-gen 2005 Bendin, Eckhard: Eine offene Frage? Von Itten über Goethe zu Voigt und Schopenhauer...In: A.Schwarz (Hg.): Farbe interdisziplinär. Jahrbuch 2006, Essen; Berlin , S. 97-99 Stollberg, Jochen: Arthur Schopenhauers lebens-langer Versuch, Goethes Farbenlehre zu vollenden. In: Scheurmann, Konrad (Hg.): color continuo 1810...2010...System und Kunst der Farbe. Dresden 2009, S. 66-75

Schopenhauers Schriften zur Farbenlehre. (Auswahl) Über das Sehn und die Farben. Leipzig 1816 Pererga und Paralipomena. Kleine philoso-phische Schriften. Kap. VII ‚Zur Farbenlehre‘. In: Schoph. Sämtl. Werk. 1851 Über das Sehn und die Farben. Zweite, verb. und verm. Aufl ., Leipzig 1854

> Querverweis zu den Lehrmodulen 1/3, 1/6, 1/7 2/6, 2/14, 2/18, 2/20 3/1, 3/9 ,4/8 und 5/4

Zur den Anfängen der Rezeptionsgeschich-te gehört auch die hohe Würdigung noch zu Lebzeiten Schopenhauers durch den Dresdner Maler und Kunstprofessors Johann Karl Bähr (1801-1869), - einem Nachfahren von George Bähr - der sich in seinem weiten Freundes- und Bekanntenkreis sowie in Vorträgen und Veröf-fentlichungen für der Theorie Schopenhauers einsetzte.

4.05 SchopenhauersDarstellungderbipolarenFarbdifferen-zierung infolge sich überlagernder Bilder nach Durchgang einesLichtbündelsdurcheinPrisma(zumVergleichmitne-benstehendem Bild wurde die Darstellung diagonal verzerrt)

4.06ZumVergleich:FotografischeAufnahmederFarbdiffe-renzierungaufeinemSchirmnachDurchgangeineskreisför-migenLichtbündelsdurcheinPrisma.IndenZwickeln:GrünausÜberlagerungvonCyanblauundGelb(Foto:Bendin)

Biografien zur Farbenlehre Anhang zu Modul 3/4: Arthur Schopenhauer Einblick in die ‚Sammlung Farbenlehre‘ an der TU Dresden

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Archivalien zur Rezeption von Schopenhauers Farbenlehre aus dem Bestand der Dresdner Sammlung Farbenlehre Bild 1: Wilhelm Ostwald, Goethe, Schopenhauer und die Farbenlehre. Leipzig 1918 (NL Richter/Terstiege) Bild 2: Eckart Heimendahl, Licht und Farbe. Mit einem Vorwort von Carl Friedrich v. Weizsäcker. Berlin 1961 (NL Richter/Terstiege) Bilder 3 bis 5: Eckhard Bendin, Tafeln zur bipolaren Axialität der Farbe. Dresden 2010 (VL Eckhard Bendin) - Helligkeitsrelief zur diatonischen Spirale (Vier Gegenfarbenpaare, S und W)- Generation der sechs Gegenfarbenpaare des AMC - Helligkeitsäquivalenz und Achslage der Gegenfarbenpaare des AMC

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