5
BIOGRAPHIE

BIOGRAPHIE - Scharwenka Stiftung Bad Saarow · 2013. 12. 11. · Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: BIOGRAPHIE - Scharwenka Stiftung Bad Saarow · 2013. 12. 11. · Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent

BIOGRAPHIE

Page 2: BIOGRAPHIE - Scharwenka Stiftung Bad Saarow · 2013. 12. 11. · Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent

„Begnadeter Pianist mit hinreißendem Spiel“

„Ein Klavierkonzert der Sonder-klasse mit großem Suchtpotenzial“

„Märchenhaft“

„Höllisches Vergnügen am Klavier“So ehrte und feierte die Presse Lev Vinocours Auftritte der Saison 2008/09, die weitgehend im Zeichen der vom Prestige-Label Sony / RCA Red Seal im Herbst 2008 veröffentlichten SACD mit der Erstaufnahme zweier Klaviersuiten aus Peter Tschaikowskys zauberhaftem Ballett „Dornröschen“ stand.

Diese für manche Betrachter überraschende Repertoirewahl traf Lev Vinocour keineswegs zufällig, sie ist vielmehr eine weitere Facette seines langjährigen Einsatzes für das Schaffen Tschaikowskys, dieses größten der russischen Komponisten. Neben CD-Aufnahmen und un-zähligen Auftritten mit Solo-Werken, Kammer-musik und Klavierkonzerten („Ein wegweisendes Tschaikowsky-Spiel“ hieß es in der WAZ vom 2. April 2003) gehören Vinocours Mitarbeit an der Herausgabe von Tschaikowskys Klavierwerken und verschiedene musikwissenschaftliche Veröffentlichungen dazu. Nach Claudio Abbado und Mikhail Pletnev wurde Lev Vinocour 2007 die Ehrenmitgliedschaft der Internationalen Tschaikowsky-Gesellschaft verliehen.

Sein zukünftiger Beruf und seine Berufung wurden Lev Vinocour sozusagen „in die Wiege gelegt“. In vierter Generation von Berufsmusikern einer traditionsbewussten St. Petersburger Künstlerfamilie geboren, erhielt er zunächst die für einen Vertreter der russischen Musikschule typische Ausbildung. Mit sechs Jahren wurde der Knabe in die Spezialschule für Musik

Page 3: BIOGRAPHIE - Scharwenka Stiftung Bad Saarow · 2013. 12. 11. · Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent

Leidenschaft für Kammermusik und auch für die Musikwissenschaft. Die in der Klasse von Prof. Tatjana Gajdamowitsch (1918-2005) erlernten Geheimnisse der hohen Kunst des Ensemble-Spiels ermöglichen es dem Pianisten noch heute, jederzeit das gesamte Repertoire für Violoncello und Klavier sowie für Klavierquintett aufzuführen.

Die bei Prof. Alexej Kandinsky (1918-2000), einem Neffen des berühmten Malers, erlernten musikwissenschaftlichen Arbeitsmethoden dienen Lev Vinocour als feste Grundlage seiner nunmehr auf deutsch, englisch, italienisch und natürlich nach wie vor auf russisch geführten Schumann-, Liszt- und Tschaikowsky-Forschungen.

Ein beträchtlicher Geld-Preis, 1993 beim erwähnten „Mavi Marcoz“-Wettbewerb gewonnen, ermöglichte es dem jungen Künstler, nach seinem glänzenden Studium-Abschluß in Moskau westlich des damals gerade geöffneten „eisernen Vorhangs“ zu bleiben. Er ging nach Großbritannien und erwarb das Postgraduate (Master) Diploma in Advanced Studies der Victoria University in Manchester. Auf die Empfehlung seines damaligen Mentors, Arnaldo Cohen, nahm Lev Vinocour 1994 am 1. Internationalen Concours „Clara Schumann“ in Düsseldorf teil und gewann den Zweiten Preis, was sein weiteres Leben entscheidend prägen sollte, allein schon deshalb, weil es seinen Umzug in diese rheinische Stadt mit sich brachte. Seit Mitte der 1990er Jahre nahmen Zahl und Bedeutung seiner Auftritte in der ganzen Welt zu, so dass diese, zusammen mit seinen CD-Einspielungen, allmählich zu einem festen Bestandteil des internationalen Musiklebens geworden sind.

Schon während des Wettbewerbs in Düsseldorf zog Vinocours Talent die besondere Beachtung eines Mitglieds der hochkarätigen Jury, eines Großen

des St. Petersburger Konservatoriums aufgenommen, und zwar in die Klavierklasse von Valentina Kunde (1921-1990), und trat bereits anderthalb Jahre später in großen öffentlichen Konzerten auf. Mit neun Jahren vertrat er St. Petersburg (damals noch Leningrad) beim Festival junger Musiker der UdSSR in Baku (heute Aserbaidschan), mit 13 Jahren debütierte er als Solist im 2. Klavierkonzert von Dmitri Schostakowitsch mit dem Orchester des legendären Jewgeny Mrawinsky, den Leningrader (heute St. Petersburger) Philharmonikern, und als Sechzehnjähriger spielte er zum ersten Mal im Ausland (Beethovens 2. Klavierkonzert sowie Solo-Programme in Halle an der Saale, Leipzig, Weimar und in Magdeburg).

Kurz vor seinem Abitur, im März 1988, wurde der Pianist beim chronologisch letzten Klavierwettbewerb der UdSSR in Tiflis mit dem Zweiten Preis ausgezeichnet. Der darauf folgenden schmeichelhaften Einladung der berühmten Pianistin Tatjana Nikolaewa (deren Schüler Nikolaj Luganskij als Sieger des genannten Wettbewerbs hervorging), in ihre Meisterklasse in Moskau einzutreten, folgte Lev Vinocour sozusagen nur „zur Hälfte“. Nachdem er die St. Petersburger Schule als Pianist und Dirigent mit Auszeichnung absolviert hatte, setzte er zwar seine Ausbildung am Tschaikowsky-Konservatorium in Moskau fort, jedoch in der Klasse von Prof. Lev Vlassenko (1928-1996) und seines heute als Pianist und Dirigent weltberühmten Assistenten Mikhail Pletnev.

Schon bald kamen weitere Wettbewerbserfolge. Allein 1993 gewann der junge Musiker erste Preise bei zwei internationalen Wettbewerben: zuerst im März beim Concours International de Piano in Epinal, Frankreich, sodann im September beim Concorso Internazionale „Mavi Marcoz“ in Aosta, Italien. Noch während seines Studiums in Moskau entwickelte sich Lev Vinocours

Page 4: BIOGRAPHIE - Scharwenka Stiftung Bad Saarow · 2013. 12. 11. · Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent

der Pianisten-Garde auf sich: Alexis Weissenberg. Bis heute genießt Lev Vinocour nicht nur dessen kollegiale Hilfe und Beratung, sondern, noch viel wichtiger, freundschaftliche Fürsprache und Anteilnahme.

Seit 1994 nahm Vinocour an den jährlichen Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent des Maestros. Mit der Unterstützung Weissenbergs wurde er 1996 in die „Fondazione Internazionale per il Pianoforte“ am Comer See aufgenommen und lernte in dieser ehrwürdigen Institution weitere Größen wie Murray Perahia, Charles Rosen und Karl-Ulrich Schnabel kennen. Letzterer wurde zu einer zentralen Figur im künstlerischen Werdegang Lev Vinocours. Bei all seiner Vielseitigkeit und Breite des Repertoires war der junge Pianist bis dahin weitgehend der russischen Tradition verpflichtet, durch diese aber auch begrenzt. Die Zusammenarbeit mit Karl-Ulrich Schnabel bedeutete einen Aufbruch in andere Musikwelten, die der

deutschen Romantik und, noch wichtiger, der deutschen Klassik, wie diese durch ihre feinsten Vertreter, die Schnabel-Dynastie, aufgefasst wurden.

Es überrascht nicht, daß sich schon bald erste Erfolge und Anerkennung einstellten. Im Januar 1999 rühmte die „Süddeutsche Zeitung“ die „luzide Klarheit“ von Vinocours Aufführung des 1. Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven und verglich seine Darstellung einzig mit dem genialen Spiel des jungen Friedrich Gulda. Ein Jahr darauf, 2000, wurde Lev Vinocour als Solist mit dem Kölner Rundfunk Sinfonie Orchester unter der Leitung von Semyon Bychkov auf der Tournee in Südamerika und Mexico für seine Interpretation des 3. Klavierkonzerts von Beethoven vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen und mit hohem Lob bedacht.

Mit diesem Kölner Orchester, aber auch mit vielen anderen Klangkörpern wie zum Beispiel dem Orchester der Tschechischen Philharmonie, Prag, und seinem Chefdirigenten Eliahu Inbal,

Page 5: BIOGRAPHIE - Scharwenka Stiftung Bad Saarow · 2013. 12. 11. · Meisterkursen von Alexis Weissenberg im schweizerischen Engelberg teil, zunächst als Student und später als Assistent

Islands National Symphonie Orchester, dem Radio Symphonie Orchester Wien oder auch dem Moskauer Tschaikowsky-Orchester und seinem Patriarchen Wladimir Fedossejew, um nur einige zu nennen, verbinden Lev Vinocour nicht nur gemeinsame künstlerische Interessen, sondern auch persönliche Freundschaft. Auf dem Gebiet der Kammermusik ist der Pianist ebenfalls tätig. Seit langem war er Klavier-Partner des weltberühmten Tokyo String Quartet. Ihre stets umjubelten gemeinsamen Auftritte wurden zuletzt vom Bonner „General-Anzeiger“ als „kammermusikalische Lehr- und Stern-Stunde“ bezeichnet.

Was Lev Vinocour von vielen Kollegen, welche auf ähnliche Erfolge zurückblicken können, prinzipiell unterscheidet, ist seine „geradezu philosophische Neugier, hinter dem Notenbild den eigentlichen, tieferen Sinn der Musik ausfindig zu machen und in plausible Klangrede zu verwandeln“, wie ein Kritiker in „Stereoplay“ 02/2004 formulierte. Eben diese Qualitäten erlauben es dem Künstler, Sinne, Herzen und Gedanken der Zuhörer mit seinen Programmen - fernab von ausgetretenen Pfaden - zu überzeugen und mitzureißen.

2003 war es seine mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnete Einspielung des gesamten Etüdenwerks von Robert Schumann, welche die Kompositionen dieses großen deutschen Romantikers aus einer bis dahin ungeahnten Perspektive betrachtete. 2005 erstaunte er die Zuhörer mit seinem Liszt-Zyklus in Weimar, wo Vinocour in vierzehn aufeinander folgenden Wochen eben so viele Solo-Programme mit Werken dieses genialen Komponisten und Klaviervirtuosen spielte. Die Kritik bescheinigte diesem Projekt „geradezu spektakuläre Züge“ und sprach von einer bis dahin schier unvorstellbaren Leistung. 2007 gelang Lev Vinocour eine weitere musikalische Sensation, indem er das seit langem

bekannte, aber unvollendet gebliebene Jugend-Klavierkonzert F-Dur von Robert Schumann in seiner Rekonstruktion und Instrumentierung uraufführte.

Schließlich erscheint im Frühjahr 2010 bei Sony / RCA Red Seal eine enzyklopädische Aufnahme des Gesamtwerks für Klavier und Orchester von Robert Schumann, welche neben den drei bekannten noch sieben (!) weitere Kompositionen enthält, fünf davon als Ersteinspielungen. Begleitet wird Lev Vinocour bei diesem ungewöhnlichen Repertoire vom hochkarätigen Wiener Radio Symphonie Orchester unter der meisterlichen Leitung von Johannes Wildner.

Kaum ein Künstler verfügt über eine derart unnachahmliche Mischung außergewöhnlicher Eigenschaften und eine solche Vielseitigkeit wie Vinocour: eine einnehmende, geistig flexible Persönlichkeit, profundes Wissen und Forscherdrang, Esprit und Intuition sowie atemberaubende Technik - Eigenschaften, die gleichermaßen Publikum wie Kritiker von Island bis zum Kap der Guten Hoffnung für diesen Ausnahmekünstler einnehmen.

(Stand: Frühjahr 2010)