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| TREFFPUNKT FORSCHUNG RELEVANZ BIOLOGIEDIDAKTISCHER FORSCHUNG, TEIL 3 Biologielernen außerhalb der Schule Das Angebot ist groß – die Biologie ist zum Greifen nah: Zoos, Botani- sche Gärten und Museen bieten Einblicke in die Tier- und Pflanzenwelt und ermöglichen vielen Menschen den unmittelbaren Kontakt mit bio- logischen Phänomenen. Science Center laden dazu ein, mit spektakulä- ren Experimenten die Naturwissenschaften zu entdecken. Aber tragen diese Angebote wirklich zum gewünschten „Public understanding of Science“ bei? Sind sie in der Lage, das Interesse der Besucher für Biolo- gie zu wecken und grundlegende Inhalte zu vermitteln? Aufmerksamkeit der Besucher we- cken, sind von Ort zu Ort unter- schiedlich und häufig individuell verschieden. Dennoch lassen sich grundlegende Muster feststellen: unerwartete Phänomene erregen beispielsweise ebenso die Auf- merksamkeit wie solche, die Wie- dererkennung ermöglichen. Möchte man also die Besucher dazu bringen, sich einem bestimm- ten Thema zuzuwenden, sollte man entweder Überraschungsef- fekte nutzen oder Anknüpfungs- punkte liefern, die das Vorwissen der Besucher aktivieren oder zuvor gemachte Erfahrungen aufgreifen. Ist die Aufmerksamkeit ge- weckt, geht es darum, die Besu- cher zur tiefer gehenden Auseinan- dersetzung mit dem Thema anzu- regen. Biologiedidaktische Studien befassen sich daher ebenfalls mit der Frage nach den „hold-Fakto- ren“ des Biologie-Interesses, die also die Aufmerksamkeit für eine gewisse Zeit aufrechterhalten. Positive Erfahrungen während der Beschäftigung mit dem Thema för- dern die Bereitschaft, sich einge- hend damit zu befassen. Solche Er- fahrungen können beispielsweise Spaß aufgrund spielerischer Ver- mittlungsmethoden sein. Ebenfalls förderlich für die Interessenent- wicklung ist es, wenn die Person Bezüge zum eigenen Leben her- stellt. Die Auseinandersetzung mit Themen oder Lerngegenständen kann also durch bestimmte An- reize angeregt und für eine ge- wisse Zeit aufrechterhalten wer- den. Ein solches situationales Inte- resse stellt bereits ein wichtiges Lernziel dar, denn neurobiologi- sche Untersuchungen belegen, dass angenehme emotionale Erfah- rungen die Qualität des Lernergeb- nisses positiv beeinflussen. Wie misst man Interesse? Um den Untersuchungsfragen zur Interessengenese an außerschuli- schen Lernorten nachzugehen, werden Besucherstudien durchge- führt. Dabei kommen unterschied- liche Methoden zum Einsatz. Häu- fig werden die Besucher beispiels- weise bei ihrem Ausstellungs- oder Zoobesuch beobachtet und im An- schluss daran mit Fragebögen oder in Interviews zu ihren Erfahrungen befragt. Bei Kindern kommen auch andere Instrumente, wie bei- spielsweise Zeichnungen, zum Ein- satz. In einer Studie zum Vermitt- lungswert von naturkundlichen Dioramen (museale Darstellungs- form mit Lebensräumen hinter Glas) wurden Kinder im Anschluss an den Ausstellungsbesuch zum Beispiel gebeten, ihr Lieblingsdio- rama zu malen. Die Zeichnung diente dann als Gesprächsgrund- lage für ein Interview, dessen Ziel es war, catch- und hold-Faktoren und individuelle Interessenschwer- punkte zu erfragen. Um Fragestellungen mit einem speziellen thematischen Fokus untersuchen zu können, werden auch Vermittlungsprojekte eigens zu Forschungszwecken konzipiert und durchgeführt. Beispielhaft zu © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 1/2013 (43) | Biol. Unserer Zeit | 15 Die biologiedidaktische Forschung widmet sich diesen Fragen und un- tersucht, wie Konzepte zur Biolo- gievermittlung an außerschuli- schen Lernorten gestaltet werden müssen, um nachhaltig zu wirken. Bei dieser Forschung stehen Unter- suchungen zur Interessengenese im Vordergrund, denn Interesse ist die Grundvoraussetzung, damit Wissensvermittlung an außerschu- lischen Lernorten überhaupt statt- finden kann: Lernen in der Freizeit ist selbstbestimmt und geschieht häufig unbewusst und beiläufig. Ob beim Durchblättern einer Zei- tung oder beim Zappen am Fernse- her – es ist jeweils von individuel- len Faktoren abhängig, an welcher Stelle eine Person innehält und verweilt. Genauso verhält es sich mit dem Besucher eines außer- schulischen Lernorts: Beispiels- weise entscheidet ein Zoobesu- cher in der Regel völlig frei, an welchem Tiergehege er stehen bleibt und wie intensiv und in welcher Form er sich dort mit den Tieren befasst. Um biologische In- halte vermitteln zu können, ist es jedoch wichtig, dass die Besucher für eine gewisse Zeit verweilen und sich mit den Themen ausei- nandersetzen. Biologiedidaktische Studien widmen sich also zunächst der Frage, welche Faktoren das In- teresse der Besucher wecken und sie zum Stehenbleiben animieren – sei es am Gehege im Zoo, an einer Informationstafel im Botanischen Garten oder an einem bestimmten Exponat im Museum. Diese so ge- nannten „catch-Faktoren“, die die ABB. Biologie zum Greifen nah – die biologiedidaktische Forschung untersucht, welche Konzepte die Menschen auch wirklich erreichen.

Biologielernen außerhalb der Schule

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Page 1: Biologielernen außerhalb der Schule

| T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

R E L E VA N Z B I O LO G I E D I DA K T I S C H E R FO R SC H U N G , T E I L 3

Biologielernen außerhalb der Schule Das Angebot ist groß – die Biologie ist zum Greifen nah: Zoos, Botani-sche Gärten und Museen bieten Einblicke in die Tier- und Pflanzenweltund ermöglichen vielen Menschen den unmittelbaren Kontakt mit bio-logischen Phänomenen. Science Center laden dazu ein, mit spektakulä-ren Experimenten die Naturwissenschaften zu entdecken. Aber tragendiese Angebote wirklich zum gewünschten „Public understanding ofScience“ bei? Sind sie in der Lage, das Interesse der Besucher für Biolo-gie zu wecken und grundlegende Inhalte zu vermitteln?

Aufmerksamkeit der Besucher we-cken, sind von Ort zu Ort unter-schiedlich und häufig individuellverschieden. Dennoch lassen sichgrundlegende Muster feststellen:unerwartete Phänomene erregenbeispielsweise ebenso die Auf-merksamkeit wie solche, die Wie-dererkennung ermöglichen.Möchte man also die Besucherdazu bringen, sich einem bestimm-ten Thema zuzuwenden, sollteman entweder Überraschungsef-fekte nutzen oder Anknüpfungs-punkte liefern, die das Vorwissender Besucher aktivieren oder zuvorgemachte Erfahrungen aufgreifen.

Ist die Aufmerksamkeit ge-weckt, geht es darum, die Besu-cher zur tiefer gehenden Auseinan-dersetzung mit dem Thema anzu-regen. Biologiedidaktische Studienbefassen sich daher ebenfalls mitder Frage nach den „hold-Fakto-ren“ des Biologie-Interesses, diealso die Aufmerksamkeit für einegewisse Zeit aufrechterhalten. Positive Erfahrungen während der

Beschäftigung mit dem Thema för-dern die Bereitschaft, sich einge-hend damit zu befassen. Solche Er-fahrungen können beispielsweiseSpaß aufgrund spielerischer Ver-mittlungsmethoden sein. Ebenfallsförderlich für die Interessenent-wicklung ist es, wenn die PersonBezüge zum eigenen Leben her-stellt. Die Auseinandersetzung mitThemen oder Lerngegenständenkann also durch bestimmte An-reize angeregt und für eine ge-wisse Zeit aufrechterhalten wer-den. Ein solches situationales Inte-resse stellt bereits ein wichtigesLernziel dar, denn neurobiologi-sche Untersuchungen belegen,dass angenehme emotionale Erfah-rungen die Qualität des Lernergeb-nisses positiv beeinflussen.

Wie misst man Interesse?Um den Untersuchungsfragen zurInteressengenese an außerschuli-schen Lernorten nachzugehen,werden Besucherstudien durchge-führt. Dabei kommen unterschied-liche Methoden zum Einsatz. Häu-fig werden die Besucher beispiels-weise bei ihrem Ausstellungs- oderZoobesuch beobachtet und im An-schluss daran mit Fragebögen oderin Interviews zu ihren Erfahrungenbefragt. Bei Kindern kommenauch andere Instrumente, wie bei-spielsweise Zeichnungen, zum Ein-satz. In einer Studie zum Vermitt-lungswert von naturkundlichenDioramen (museale Darstellungs-form mit Lebensräumen hinterGlas) wurden Kinder im Anschlussan den Ausstellungsbesuch zumBeispiel gebeten, ihr Lieblingsdio-rama zu malen. Die Zeichnungdiente dann als Gesprächsgrund-lage für ein Interview, dessen Zieles war, catch- und hold-Faktorenund individuelle Interessenschwer-punkte zu erfragen.

Um Fragestellungen mit einemspeziellen thematischen Fokus untersuchen zu können, werdenauch Vermittlungsprojekte eigenszu Forschungszwecken konzipiertund durchgeführt. Beispielhaft zu

© 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.biuz.de 1/2013 (43) | Biol. Unserer Zeit | 15

Die biologiedidaktische Forschungwidmet sich diesen Fragen und un-tersucht, wie Konzepte zur Biolo-gievermittlung an außerschuli-schen Lernorten gestaltet werdenmüssen, um nachhaltig zu wirken.Bei dieser Forschung stehen Unter-suchungen zur Interessengeneseim Vordergrund, denn Interesse istdie Grundvoraussetzung, damitWissensvermittlung an außerschu-lischen Lernorten überhaupt statt-finden kann: Lernen in der Freizeitist selbstbestimmt und geschiehthäufig unbewusst und beiläufig.Ob beim Durchblättern einer Zei-tung oder beim Zappen am Fernse-her – es ist jeweils von individuel-len Faktoren abhängig, an welcherStelle eine Person innehält undverweilt. Genauso verhält es sichmit dem Besucher eines außer-schulischen Lernorts: Beispiels-weise entscheidet ein Zoobesu-cher in der Regel völlig frei, anwelchem Tiergehege er stehenbleibt und wie intensiv und in welcher Form er sich dort mit denTieren befasst. Um biologische In-halte vermitteln zu können, ist esjedoch wichtig, dass die Besucherfür eine gewisse Zeit verweilenund sich mit den Themen ausei-nandersetzen. BiologiedidaktischeStudien widmen sich also zunächstder Frage, welche Faktoren das In-teresse der Besucher wecken undsie zum Stehenbleiben animieren –sei es am Gehege im Zoo, an einerInformationstafel im BotanischenGarten oder an einem bestimmtenExponat im Museum. Diese so ge-nannten „catch-Faktoren“, die die

A B B . Biologie zum Greifen nah – die biologiedidaktische Forschunguntersucht, welche Konzepte dieMenschen auch wirklich erreichen.

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nennen ist hier die Ausstellung„Evolution schafft Vielfalt“, die imDarwinjahr 2009 zunächst beiIKEA gezeigt wurde und anschlie-ßend in mehreren deutschen Na-turkundemuseen zu besuchen war.Neben der Interessenentwicklungwurden hier auch speziell Fragenzu Problemen bei der Vermittlungdes Themas Evolution an einebreite Öffentlichkeit untersuchtund Unterschiede an den verschie-denen Ausstellungsorten vergli-chen. Ein weiteres Ausstellungs-projekt ist die Ausstellung „Prima-ten wie wir“, die derzeit alsWanderausstellung kostenfrei vonSchulen im Frankfurter Raum aus-geliehen werden kann. For-schungsfragen zum Biologielernenbeziehen sich hier vor allem aufdie Visualisierung komplexer Lern-inhalte sowie auf die Bedeutungvon Alltagsbezügen – beide As-pekte wurden im Ausstellungskon-zept bewusst in den Vordergrundgestellt.

An vielen außerschulischenLernorten besteht für die Besucher

zen und das Interesse der Schülerfür biologische Phänomene wecken.

Außerschulische Lernorte bie-ten umfangreiche Möglichkeiten,biologische Inhalte besonders an-schaulich und spannend zu vermit-teln. Die biologiedidaktische Forschung trägt dazu bei, diesesPotenzial nachhaltig zu nutzen.

Annette Scheersoi, Universität zuKöln, [email protected]

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die Möglichkeit, einen Einblick inbiowissenschaftliches Arbeiten zuerhalten. Vermittlungsansätze des„Forschenden Lernens“ lassen sichgut daran anknüpfen und sind außerhalb der schulisch einge-schränkten Rahmenbedingungenhäufig leichter zu realisieren. Beidiesen Ansätzen geht es darum, ba-sierend auf Beobachtungen Hypo-thesen zu äußern und Fragestellun-gen zu formulieren, die anschlie-ßend experimentell oder durchweitere Beobachtungen unter-sucht werden können. In mehre-ren EU-Projekten werden daher ak-tuell auch Konzepte für das „For-schende Biologielernen anaußerschulischen Lernorten“ ent-wickelt und evaluiert.

Die Ergebnisse der biologiedi-daktischen Forschung fließen auchin die Ausbildung künftiger Biolo-gielehrerInnen ein. Basierend aufden Forschungsergebnissen lernensie, außerschulische Unterrichtsak-tivitäten zu planen und umzuset-zen, die die besonderen Möglich-keiten der jeweiligen Lernorte nut-

D I DA K T I K- R E I H E I N D E R B I U Z

Warum benötigt man eigentlich bio-logiedidaktische Forschung? Ergibtsich guter Unterricht nicht „von allein“? Mit diesen Fragen werden Didaktiker häufig konfrontiert. Unsere Serie nennt aktuelle Themenund Antworten aus der Biologie -didaktik. In BIUZ 6/2012 befasstenwir uns mit dem Thema „Kreationis-mus und Szientismus“. Im nächstenHeft wird es um das ethische Bewer-ten gehen, das Schüler und Lehrer oftvor große Herausforderungen stellt.

A B S C H I E D E U N D N E UA N F Ä N G E

Mit dem Jahr 2013 gibt es mehrere Veränderungen im BIUZ-Kuratorium:Prof. Dr. Dr. h. c. Heinz Penzlin und Dr. Bruno P. Kremer verlassen auf eige-nen Wunsch das Gremium. Wir akzeptie-ren diese Entscheidung nur schwerenHerzens, verstehen aber, dass beide sichnach vielen Jahren mit der BIUZ nunmehr Zeit für andere Aktivitäten wün-schen. Mit Bruno P. Kremer, Biologie -didaktiker aus Köln, verabschiedet sich einer unserer „dienstältesten“ Kuratoren– er war seit 1989 dabei. Den Lesern besonders bekannt sind seine Beiträgezu den Rubriken „Die Exkursion“ und„Das Experiment“, außerdem seine zahl-reichen Buchveröffentlichungen. Aktuellerschienen ist beispielsweise „Die Naturentdecken mit der Lupe“ im Quelle &Meyer-Verlag.

Heinz Penzlin, Tierphysiologe ausJena, war seit 1990 im Kuratorium undhat unter anderem viele Artikel zu derReihe „Menschen vor 100 Jahren“ beige-tragen. Ganz aktuell und hochinteres-

sant ist auch sein BIUZ-Artikel „Washeißt lebendig?“, der in Heft 1/2012 erschienen ist. Zur Zeit schreibt er an einem neuen Buch, auf das man gespannt sein darf.

Uns bleibt an dieser Stelle nur,„danke“ zu sagen für die jahrelange guteZusammenarbeit, unzählige hilfreicheIdeen, pointierte Gutachten und stän-dige Ansprechbarkeit zu allen Belangender BIUZ. Wir wünschen Ihnen von Her-zen alles Gute und bleiben in Kontakt!

Neu im Kuratorium begrüßen wirProf. Dr. Marco Thines. Er ist Arbeits-gruppenleiter an der Goethe Universitätund am BiK-F (Biodiversität und KlimaForschungszentrum) in Frankfurt undbefasst sich dort mit der Evolution, Öko-logie und Genomik einer faszinierendenLebensform: Oomyceten. Diese sind nurwenigen bekannt und doch gibt es sieauf der ganzen Welt. Sie haben ganz unterschiedliche Lebensstrategien ent-wickelt – einige sind Saprophyten, an-dere als sind spezialisierte Parasiten von

Tieren, Pilzen, Pflanzen, Algen oder Dia-tomeen gute Modelle für die Co-Evolu-tion von Wirten und Pathogenen. Pflan-zenpathogene Oomyceten verursachenjährlich direkte und indirekte Verluste inMilliardenhöhe, doch trotz ihrer wirt-schaftlichen Bedeutung harren noch im-mer neue Arten, Gattungen und sogarFamilien auf ihre Entdeckung – selbst imeigenen Vorgarten. Viele Oomyceten zei-gen Anpassungen an bestimmte Klima-bedingungen, und bei Pflanzenpathoge-nen ist die Symptomausprägung oft abhängig von der Witterung. Ziel vonThines’ Arbeitsgruppe ist daher auch, dieReaktion dieser wenig bekannten, dochbedeutsamen Gruppe von Organismenim Zuge des Klimawandels zu verstehen.Mehr darüber erfahren Sie in einem dernächsten Editorials von Marco Thines direkt.

Wir freuen uns auf die Zusammen -arbeit, bei der sich sicher viele span-nende neue Aspekte für die BIUZ-Leserergeben werden!