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Ich bin ein friedlicher Mensch. Dachte ich zu- mindest. Aber ich liebe auch schnelle und klare Entscheidungen. Hong- kong ist genau der richtige Platz für mich. Hier werden E-Mails beantwortet, bevor man sie gelesen hat. Deutsche Langsam- keit macht mich echt kribbelig... Ich habe also kurz entschlossen zugestimmt, als die schwei- zerische Gentest-Firma Igenea mir anbot, mein »MAOA-Gen« zu testen. Die Genvariante MAOA-L bewirkt eine erhöhte Risikobe- reitschaft, lässt sie aber auch ihre Erfolgschancen in kritischen Situationen besser einschätzen. MAOA ist das Enzym Monoamino-Oxidase Variante A. Das Enzym baut Neurotransmitter im Körper ab, das sind Stoffe, die Nervenimpulse übertragen (z.B. Dopamin). Das L in MAOA-L bedeutet low (niedrig). Das Enzym wird nur in geringer Menge produziert. Dementsprechend wird we- niger Dopamin abgebaut, seine Konzentration bleibt hoch. Der Körper steht unter »Hochspannung«. Für eine kürzlich veröffentlichte Studie ließen Wissen- schaftler des California Institute of Technology (Caltech) männliche Studenten der Uni in Santa Barbara in einer Fi- nanzsimulation ihr Startkapital von 25 Dollar vermehren. Die jungen Männer konnten zwischen der sicheren Option (garantiert kein Gewinn und kein Verlust) oder der riskanten Option (verschiedene Verlustrisiken und Gewinnchancen) wählen. Die Träger der Genvariante MAOA-L nahmen finanzielle Risiken eher in Kauf, doch nur dann, wenn es für sie wirklich vorteilhaft war. Frühere Studien hatten gezeigt, dass mit die- ser Gen-Variante oft auch impulsiveres und aggressives Ver- Das »Krieger-Gen« 25.06.11 97 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_30, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Biotechnologische Leckerbissen || Das »Krieger-Gen«

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Page 1: Biotechnologische Leckerbissen || Das »Krieger-Gen«

Ich bin ein friedlicherMensch. Dachte ich zu-mindest. Aber ich liebeauch schnelle und klareEntscheidungen. Hong-kong ist genau der richtige Platz für mich. Hier werden E-Mailsbeantwortet, bevor man sie gelesen hat. Deutsche Langsam-keit macht mich echt kribbelig...

Ich habe also kurz entschlossen zugestimmt, als die schwei-zerische Gentest-Firma Igenea mir anbot, mein »MAOA-Gen«zu testen.

Die Genvariante MAOA-L bewirkt eine erhöhte Risikobe-reitschaft, lässt sie aber auch ihre Erfolgschancen in kritischenSituationen besser einschätzen.

MAOA ist das Enzym Monoamino-Oxidase Variante A. DasEnzym baut Neurotransmitter im Körper ab, das sind Stoffe,die Nervenimpulse übertragen (z.B. Dopamin).

Das L in MAOA-L bedeutet low (niedrig). Das Enzym wirdnur in geringer Menge produziert. Dementsprechend wird we-niger Dopamin abgebaut, seine Konzentration bleibt hoch. DerKörper steht unter »Hochspannung«.

Für eine kürzlich veröffentlichte Studie ließen Wissen-schaftler des California Institute of Technology (Caltech)männliche Studenten der Uni in Santa Barbara in einer Fi-nanzsimulation ihr Startkapital von 25 Dollar vermehren.

Die jungen Männer konnten zwischen der sicheren Option(garantiert kein Gewinn und kein Verlust) oder der riskantenOption (verschiedene Verlustrisiken und Gewinnchancen)wählen.

Die Träger der Genvariante MAOA-L nahmen finanzielleRisiken eher in Kauf, doch nur dann, wenn es für sie wirklichvorteilhaft war. Frühere Studien hatten gezeigt, dass mit die-ser Gen-Variante oft auch impulsiveres und aggressives Ver-

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halten verbunden ist. Deshalb bekam diese Ausprägung denNamen »Krieger-Gen«. Aber ist so etwas auch im Interesse derGesellschaft?

Keine Frage: Menschliches Verhalten ist sehr komplex undwird sowohl durch Gene als auch durch die Umstände beein-

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flusst. Deshalb sprechen Forscher auch von erhöhten oder nie-drigeren Risiken.

Gewaltbereitschaft oder Kampfgeist mit einfachen Gentestsvoraussagen zu wollen, ist wohl etwas zu kurz gegriffen.

Das »Krieger-Gen« liegt auf dem X-Chromosom, Männererben es also von ihrer Mutter. Da Männer nur ein X-Chro-mosom (bekanntlich im XY-Verbund) besitzen, kann das Krie-ger-Gen, wenn es denn vorliegt, seine volle Wirkung entfalten.

Frauen dagegen besitzen zwei X-Chromosomen, weshalbsich ein einzelnes Krieger-Gen gar nicht oder weniger starkauswirkt.

Und wie ist es nun bei mir? Igenea bescheinigt mir gleichdrei Kopien des Gens! Der geborene General also! Doch denHeldentod fürs Vaterland zu sterben, ist überhaupt nichtmeine Philosophie, ich bin ziemlich unmilitärisch ...

Deshalb interessiert mich nun eine weitere Gen-Kombina-tion: die Mutation »Avoidance of Errors« (Vermeiden vonFehlern). Wie ausgeprägt ist meine Fähigkeit, aus Fehlern zulernen?

»Es irrt der Mensch, so lang’ er strebt«sagt Goethes Faust.

Ketzerischer Gedanke: Wäre es nicht wichtig, Bankerund erst recht künftige Armee-Oberbefehlshaber allerLänder diesem Gentest zu unterziehen?