3
Die Schlümpfe, bisher vor allem aus dem Fernsehen bekannt und im nächsten Jahr wohl auch aus dem Kino, hausen in ausgehöhlten Pilzen. Wenn die Kleinen das können, vielleicht taugen Pilze auch dazu, uns Große warm zu halten? Moderne Häuser werden heute noch massenhaft mit Styropor isoliert. Das ist aufgeschäumtes Polystyrol, ein Erd- ölprodukt. Erfunden wurde es 1949 von dem tschechisch- deutschen Chemiker Fritz Stastny (1908 - 1985). Charakte- ristisch ist der Aufbau: zwei bis drei Millimeter große, zusammengebackene Schaumkugeln, besonders gut zu erkennen an Bruchstellen. Geschäumtes Polystyrol wird als schockdämpfendes Ver- packungsmaterial oder zur Wärmedämmung für Gebäude ein- gesetzt. Die Bauindustrie ist mit 60 Prozent des weltweiten Umsatzes der größte Abnehmer. Doch bald beginnt vielleicht die Pilzzeit. Auf einer Bio- Farm in Kalifornien wächst in dunklen Containern die Öko- Alternative zum Styropor. Sogar Ziegel können daraus hergestellt werden. Philip Ross, Künstler und leidenschaft- licher Amateur-Pilzforscher, züchtet auf seiner Farm neue Varianten. Deren dünne wurzelähnliche Fasern formen unter- irdisch ein riesiges und dichtes Netzwerk, das Myzel. Dieses weiße schwammige Material ist unglaublich stabil. Getrock- net hat es einige herausragende Eigenschaften: ungiftig, feuerfest, schimmel- und wasserresistent und besser wärme- isolierend als Glasfasern. Im Dezember »züchtete« Ross 500 Ziegel, aus denen er einen Torbogen formte, der 1,8 Meter hoch und breit ist. Diese Konstruktion ist so strapazierfähig, dass beim Formen Metallfeilen und Sägeblätter zu Bruch gingen. 43 In Pilzhäusern wie die Schlümpfe? 09.10.10 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Biotechnologische Leckerbissen || In Pilzhäusern wie die Schlümpfe?

  • Upload
    viola

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Biotechnologische Leckerbissen || In Pilzhäusern wie die Schlümpfe?

Die Schlümpfe, bishervor allem aus demFernsehen bekannt undim nächsten Jahr wohlauch aus dem Kino,hausen in ausgehöhlten Pilzen. Wenn die Kleinen das können,vielleicht taugen Pilze auch dazu, uns Große warm zu halten?

Moderne Häuser werden heute noch massenhaft mit Styropor isoliert. Das ist aufgeschäumtes Polystyrol, ein Erd-ölprodukt. Erfunden wurde es 1949 von dem tschechisch-deutschen Chemiker Fritz Stastny (1908-1985). Charakte- ristisch ist der Aufbau: zwei bis drei Millimeter große, zusammengebackene Schaumkugeln, besonders gut zu erkennen an Bruchstellen.

Geschäumtes Polystyrol wird als schockdämpfendes Ver-packungsmaterial oder zur Wärmedämmung für Gebäude ein-gesetzt. Die Bauindustrie ist mit 60 Prozent des weltweitenUmsatzes der größte Abnehmer.

Doch bald beginnt vielleicht die Pilzzeit. Auf einer Bio-Farm in Kalifornien wächst in dunklen Containern die Öko-Alternative zum Styropor. Sogar Ziegel können daraushergestellt werden. Philip Ross, Künstler und leidenschaft-licher Amateur-Pilzforscher, züchtet auf seiner Farm neue Varianten. Deren dünne wurzelähnliche Fasern formen unter-irdisch ein riesiges und dichtes Netzwerk, das Myzel. Diesesweiße schwammige Material ist unglaublich stabil. Getrock-net hat es einige herausragende Eigenschaften: ungiftig, feuerfest, schimmel- und wasserresistent und besser wärme-isolierend als Glasfasern.

Im Dezember »züchtete« Ross 500 Ziegel, aus denen ereinen Torbogen formte, der 1,8 Meter hoch und breit ist.Diese Konstruktion ist so strapazierfähig, dass beim FormenMetallfeilen und Sägeblätter zu Bruch gingen.

43

In Pilzhäusern wie die Schlümpfe?

09.1

0.10

R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Page 2: Biotechnologische Leckerbissen || In Pilzhäusern wie die Schlümpfe?

Ein Nachbau ist derzeit im Kunstmuseum Stuttgart zu be-staunen. Doch das Ergebnis ist mehr als nur ein Kunstobjekt.

Das vielversprechende junge Unternehmen Ecovative er-richtet derzeit eine fast 1000 Quadratmeter große Pilzfabrik.Geschäftsführer Eben Bayer sieht Myzel als einen holzähn-

44

Page 3: Biotechnologische Leckerbissen || In Pilzhäusern wie die Schlümpfe?

lichen Plastikersatz. Das erste Produkt des Unternehmens Ecocradle könnte in der Verpackungsindustrie Styropor er-setzen. Im Frühjah 2012 kam es auf den Markt.

Somit wäre dann bald Schluss mit den Styropor-Flockenvon Speisebehältern an den sonst so herrlichen HongkongerStränden. Das Myzelmaterial nämlich ist biologisch abbaubar,es kann auch als Mulch im Garten dienen. Das erst drei Jahrealte Unternehmen erhielt für seine Projekte bereits zahlreicheForschungsunterstützungen.

Die Pilzfäden »ernähren« sich beim Wuchs von Reisspreuund Baumwollkapseln. Das Ausgangsmaterial wird gemein-sam mit den Pilzen in die gewünschten Formen gesetzt, warmund dunkel gelagert und ein bis zwei Wochen später kann dasfeste Produkt aus der Form genommen werden.

Das nächste Produkt von Ecovative Greensulate, soll tra-ditionelle Hausisolierungen ersetzen. Laut Bayer ist das dichtgepackte Myzel sogar stark genug, um die Funktion hölzernerBalken zu übernehmen.

Meine kritische Frage an die frohlockenden Experten:Wenn das Material biologisch so gut abbaubar, also im Prinzipessbar ist, muss man dann nicht mit gefräßigen Insekten rech-nen? Schließlich wurde jüngst meinem chinesischen Kollegenan der Uni in nur zwei Monaten (!) Abwesenheit die gesamteWohnungseinrichtung von Termiten »zerlegt« – mit Aus-nahme der offenbar ungenießbaren IKEA-Regale.

Ich würde also erstmal mit dem Pilzmaterial Lebensmittelverpacken und das mit der Hausisolierung (zumindesthier in Hongkong) noch verschieben! Die Zukunft wird dann zeigen, ob wir es irgendwann den Schlümpfen gleich tun können ...

45