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Bei uns im Osten Deutschlands waren Weihnachtsbäume im- mer ein spezielles Pro- blem. Man munkelte, die edlen Bäume gingen alle in den Export, die »Krücken« aber blieben bei uns. Tannen, heute gern gekauft, sah man sowieso kaum. Und die handelsüblichen Fichten verloren oft schnell ihre Nadeln. Ein anderes Weihnachts-Phänomen waren die kurz vorher auftauchenden Südfrüchte, darunter die begehr- ten Bananen. Nun, 20 Jahre nach der »Wende«, ergeben sich plötzlich wis- senschaftliche Zusammenhänge zwischen Bananen und na- delnden Weihnachstbäumen. Das Bindeglied heißt Ethylen. Ethylen, ein einfaches Kohlenwasserstoffgas, ist nämlich ein Pflanzenhormon. Behandelt man grüne Bananen mit Ethy- len, werden sie schneller reif. Die grün geernteten Bananen aus Mittelamerika können so exakt bei der Auslieferung an die Supermärkte reif sein. Früchte selbst setzen auch Ethylen frei, z.B. reifen Äpfel und Avocados in der Tüte schneller. Beim abgesägten Weihnachtsbaum ist das Ethylen dagegen unerwünscht. Das Nadeln wird beschleunigt! Was passiert nun, wenn man die Ethylen-Biosynthese hemmt? Gesagt, getan! Die Université Lavalin Quebec und das Nova Scotia Agricultural College in Colchester bei Halifax im Osten Kanadas teilten es der Welt gerade mit: Demnach pro- duzieren auch die Bäume, nachdem sie geschlagen wurden, Ethylen. Das pflanzliche Hormon sorgt nach ein paar Tagen dafür, dass der Baum seine Nadeln verliert. Wird der Stoff hingegen abgeblockt, »hält« der Baum mehr als doppelt so lange: Ein normaler, unbehandelter Baum ver- lor schon nach wenigen Tagen seine ersten Nadeln, nach 58 Nadeln gestoppt? 18.12.10 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Biotechnologische Leckerbissen || Nadeln gestoppt?

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Bei uns im OstenDeutschlands warenWeihnachtsbäume im-mer ein spezielles Pro-blem. Man munkelte,

die edlen Bäume gingen alle in den Export, die »Krücken« aberblieben bei uns. Tannen, heute gern gekauft, sah man sowiesokaum. Und die handelsüblichen Fichten verloren oft schnellihre Nadeln. Ein anderes Weihnachts-Phänomen waren diekurz vorher auftauchenden Südfrüchte, darunter die begehr-ten Bananen. Nun, 20 Jahre nach der »Wende«, ergeben sich plötzlich wis-senschaftliche Zusammenhänge zwischen Bananen und na-delnden Weihnachstbäumen. Das Bindeglied heißt Ethylen.

Ethylen, ein einfaches Kohlenwasserstoffgas, ist nämlichein Pflanzenhormon. Behandelt man grüne Bananen mit Ethy-len, werden sie schneller reif. Die grün geernteten Bananenaus Mittelamerika können so exakt bei der Auslieferung an dieSupermärkte reif sein. Früchte selbst setzen auch Ethylen frei,z.B. reifen Äpfel und Avocados in der Tüte schneller.

Beim abgesägten Weihnachtsbaum ist das Ethylen dagegenunerwünscht. Das Nadeln wird beschleunigt!

Was passiert nun, wenn man die Ethylen-Biosynthesehemmt?

Gesagt, getan! Die Université Lavalin Quebec und dasNova Scotia Agricultural College in Colchester bei Halifax imOsten Kanadas teilten es der Welt gerade mit: Demnach pro-duzieren auch die Bäume, nachdem sie geschlagen wurden,Ethylen. Das pflanzliche Hormon sorgt nach ein paar Tagendafür, dass der Baum seine Nadeln verliert.

Wird der Stoff hingegen abgeblockt, »hält« der Baum mehrals doppelt so lange: Ein normaler, unbehandelter Baum ver-lor schon nach wenigen Tagen seine ersten Nadeln, nach

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R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

40 Tagen stand nur noch das Gerippe. Der Vergleichsbaummit Spezialbehandlung war zu diesem Zeitpunkt noch grün.Erst nach 87 Tagen war auch er kahl.

Die Forscher aus Kanada wollen jetzt ein Mittel entwi-ckeln, das man einfach dem Gießwasser für den Weihnachts-

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baum zugeben kann, um das lästige Nadeln zu verhindern.Noch begieriger darauf ist die Wirtschaft – könnte man dochso die Bäume weitertransportieren. Kanada exportiert jährlichWeihnachtsbäume im Wert von fast 50 Millionen Euro. DieKanadier versorgen dabei ganz Nordamerika bis nach Südme-xiko und in die Karibik.

Als Biochemiker interessierte mich natürlich der Mecha-nismus. Die Substanz Aminocyclopropancarbonsäure (kurzACC) wird von einem Enzym mit Sauerstoff oxidiert. Es ent-stehen Ethylen, Cyanid und Wasser. Eine Hemmung der ACC-Oxidase verhindert also Ethylen.

Aber wie schaffen das die Kanadier? Business secret ,schrieben sie mir per E-Mail. Dabei wollte ich doch nur inHongkong den sauteuren kanadischen Baum mit Substanzenaus dem Labor testen und frisch halten!

Einen Hinweis gaben sie aber dennoch: Die Substanz sei verwandt mit Ascorbinsäure. Ha! Ich werde es also mit Vitamin C probieren...

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