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Der Hongkonger Shaw- Preis gilt als »asiatischer Nobelpreis«. Ian Wil- mut, der weltbekannte Schöpfer des Klonschafs Dolly, hat bei der Entgegennahme des Shaw-Preises einen Me- thodenwechsel seiner Forschung angekündigt. In Zukunft will Wilmut auf menschliche Stammzellen aus geklonten Embryo- nen ganz verzichten. Der Grund für seinen Sinneswandel: Gleich zwei Forschergruppen konnten die ethisch umstritte- nen embryonalen Stammzellen durch »normale« Körperzellen ersetzen. Kurz rekapituliert: Nach der Befruchtung besitzen die Zel- len des Embryos die Fähigkeit, sich unendlich zu teilen und zu jedem Gewebe des Körpers zu entwickeln ( Pluripotenz ). Sol- che Zellen hätten die Mediziner gern, um kranke Zellen oder Gewebe zu ersetzen, etwa im Rückenmark oder bei Diabeti- kern in der Bauchspeicheldrüse. Da der Embryo zur Gewin- nung dieser Stammzellen aber zerstört werden muss, ist diese Methode ethisch umstritten und in Deutschland verboten. Doch was, wenn man Körperzellen Erwachsener so um- programmieren könnte, dass sie die Eigenschaften embryona- ler Stammzellen annehmen? Genau das gelang einem Team um Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto bereits 2007. Dazu hatten sie nur vier Gene in die ausgereiften mensch- lichen Zellen eingeschleust. Die umgewandelten Hautzellen unterschieden sich in Aussehen und Wachstumseigenschaften nicht von embryonalen Stammzellen. Im Labor ließen sich die Zellen kontrolliert in andere Zelltypen verwandeln. So began- nen sie zum Beispiel in der Kulturschale rhythmisch zu zu- cken – sie hatten sich zu Herzmuskelzellen entwickelt. Vergleichbares gelang auch einer Forschergruppe um Jun- ying Yu von der Universität von Wisconsin-Madison. Während Stammzellen aus der Haut 13 22.05.10 R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen, DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Biotechnologische Leckerbissen || Stammzellen aus der Haut

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Der Hongkonger Shaw-Preis gilt als »asiatischerNobelpreis«. Ian Wil-mut, der weltbekannteSchöpfer des KlonschafsDolly, hat bei der Entgegennahme des Shaw-Preises einen Me-thodenwechsel seiner Forschung angekündigt. In Zukunft willWilmut auf menschliche Stammzellen aus geklonten Embryo-nen ganz verzichten. Der Grund für seinen Sinneswandel:Gleich zwei Forschergruppen konnten die ethisch umstritte-nen embryonalen Stammzellen durch »normale« Körperzellenersetzen.

Kurz rekapituliert: Nach der Befruchtung besitzen die Zel-len des Embryos die Fähigkeit, sich unendlich zu teilen und zujedem Gewebe des Körpers zu entwickeln (Pluripotenz). Sol-che Zellen hätten die Mediziner gern, um kranke Zellen oderGewebe zu ersetzen, etwa im Rückenmark oder bei Diabeti-kern in der Bauchspeicheldrüse. Da der Embryo zur Gewin-nung dieser Stammzellen aber zerstört werden muss, ist dieseMethode ethisch umstritten und in Deutschland verboten.

Doch was, wenn man Körperzellen Erwachsener so um-programmieren könnte, dass sie die Eigenschaften embryona-ler Stammzellen annehmen? Genau das gelang einem Teamum Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto bereits 2007.Dazu hatten sie nur vier Gene in die ausgereiften mensch-lichen Zellen eingeschleust. Die umgewandelten Hautzellenunterschieden sich in Aussehen und Wachstumseigenschaftennicht von embryonalen Stammzellen. Im Labor ließen sich dieZellen kontrolliert in andere Zelltypen verwandeln. So began-nen sie zum Beispiel in der Kulturschale rhythmisch zu zu-cken – sie hatten sich zu Herzmuskelzellen entwickelt.

Vergleichbares gelang auch einer Forschergruppe um Jun-ying Yu von der Universität von Wisconsin-Madison. Während

Stammzellen aus der Haut

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R. Renneberg, V. Berkling, Biotechnologische Leckerbissen,DOI 10.1007/978-3-642-37111-0_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Yamanaka Hautzellen aus dem Gesicht einer 36-jährigen Japa-nerin reprogrammierte, waren es bei Yu Zellen aus der Vorhauteines Neugeborenen. Die Gewinnung pluripotenter Zellen ausKörperzellen ist nicht nur ethisch konfliktfrei, sondern hatzudem den Vorteil, dass theoretisch jeder Patient mit körperei-genen Ersatzzellen versorgt werden kann und so die Problememit der Abstoßung bei Zell- oder Gewebetransplantationen ver-mieden werden. Yamanaka ist heute Professor am Institute forFrontier Medical Sciences an der Universität Kyoto und erhielt

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2012 den Nobelpreis für Medizin. Ich traf den bescheidenenund sympathischen Wissenschaftler vor Jahren während mei-nes Forschungsaufenthaltes in Kyoto, nicht ahnend, dass ichmeinen Sake mit einem Genie trank. Yamanaka ist ganz an-ders als der großsprecherische Südkoreaner Hwang Woo-Suk,dem später die Fälschung seiner Stammzell-Ergebnisse nach-gewiesen wurde.

Von einer therapeutischen Anwendung ist man aber nochweit entfernt. Die induzierten pluripotenten Stammzellen(iPSC), wie sie wegen ihrer Entstehung genannt werden, müs-sen noch genauer charakterisiert werden und ihr Einsatz darfkeine Tumore auslösen, ein Problem, das auch bei den em-bryonalen Stammzellen noch ungelöst ist.

Induzierte pluripotente Stammzellen weisen als solchenicht das Potenzial zur Entwicklung eines Embryos auf, sodass ihre Erzeugung, die gezielte Entwicklung zu differen-zierten Zellen an keiner Stelle mit einer Verletzung der Men-schenwürde verbunden wäre.

Es ist dem Entdecker Shinya Yamanaka umso höher anzu-rechnen, dass er selber auf noch vorhandene Missbrauchs-potenziale aufmerksam machte. Wenn nämlich induzierte plu-ripotente Stammzellen in entkernte Eizellen transferiert wür-den, könnte sich daraus wiederum ein Mensch entwickeln.Deshalb verbot das Ministerium für Wissenschaft Japans schonmal prophylaktisch die Zugabe von iPSC zu einem Embryooder Fetus, die Produktion von Ei- und Samenzellen aus iPSCsowie die Implantation von Embryonen, die aus iPSC herge-stellt werden, in Menschen und Tiere. In all diesen Fällenginge es um neue Klonvarianten. Besonders heikel wäre dieProduktion von Ei- und Samenzellen mittels iPSC. Letztereswürde enorme Missbrauchsmöglichkeiten bei einer Zeugungvon Menschen völlig unabhängig von Mann und Frau imLabor mit sich bringen.

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