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DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 05.07.2011 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr Blauer Himmel über der Ruhr Vom Begreifen der Demokratie als Möglichkeit Von Erika Fehse URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript -

Blauer Himmel über der Ruhr - Deutschlandfunk Kultur · 2011. 8. 30. · DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 05.07.2011 Redaktion: Hermann Theißen 19.15

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  • DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 05.07.2011 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 – 20.00 Uhr

    Blauer Himmel über der Ruhr

    Vom Begreifen der Demokratie als Möglichkeit

    Von Erika Fehse

    URHEBERRECHTLICHER HINWEIS

    Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

    � Deutschlandradio

    - Unkorrigiertes Manuskript -

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    Musik

    O-Ton Gisela van Haut

    Man macht sich keine Vorstellung, was das für ein Dreck war. Was aus den

    Schornsteinen kam. Gelbe Rauchfahnen, graue. Man kann sich das nicht mehr

    vorstellen.

    O-Ton Hermann Fengels

    Wenn man morgens über die Straße ging, der Rost, der rotbraune Staub lag dann

    überall, die Autos auf den Parkplätzen waren versaut.

    O-Ton Anna Weinberg

    Durch die Kokerei, durch die Zeche, durch das Hüttenwerk flogen ja immer

    irgendwelche Schmutzpartikel durch die Luft, die setzten sich dann auf der Wäsche

    fest. Und natürlich auch in Gesichtern, auf Haaren, überall. Aber ich habe damals

    gedacht, das müsste so sein. Das sei normal.

    O-Ton Kurt Pfläging

    So etwas hatte ich vorher in meinem ganzen Leben noch nie gesehen. Nur Bäume,

    die gar keine Blätter hatten, Dreck bis dorthinaus, richtig empfindlichen Dreck, der

    sich auf die Lunge legte. Man konnte kaum atmen. Ich könnte nicht hier leben, ich

    würde bald sterben. Es war grausig, richtig grausig.

    O-Ton Gisela van Haut

    Wir wollten die Luft sauberer haben. Wir wollten, dass der Bevölkerung das nicht

    zugemutet wird. Das war ein harter Kampf (lacht) na ja, wir haben uns bemüht.

    Sprecher

    Blauer Himmel über der Ruhr - Vom Begreifen der Demokratie als Möglichkeit

    Ein Feature von Erika Fehse

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    Musik

    Sprecher

    I. Der Landwirt

    O-Ton Kurt Pfläging

    Alle Leute redeten von der Dreckschleuder unten und meinten das

    „Gemeinschaftswerk“. Es war wirklich etwas Schlimmes was uns da passiert. Und

    deshalb prozessieren wir auch.

    Sprecherin:

    Anfang der 50er Jahre wohnte der damals 17-jährige Kurt Pfläging in Hattingen in

    unmittelbarer Nähe des Kraftwerks. Er litt unter Bronchitis, seine Mutter unter Asthma

    und auch seine zwei Jahre ältere Schwester Waltraud merkte, dass ihr die Luft in

    Hattingen nicht gut tat.

    O-Ton Waltraud Achenbach

    Ich weiß, dass ich immer fürchterliche Kopfschmerzen hatte davon. Und als wir

    heirateten und zogen dann nach Heiligenhaus, da waren die mit einem Schlag weg.

    Nun fuhren wir jedes Wochenende nach Hause, dann hatte ich die wieder und waren

    wir dann in Heiligenhaus, waren sie wieder weg.

    Sprecherin:

    Die Familie betrieb eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb. Über hundert

    Pflaumen- und Apfelbäume sollten das Einkommen der Bergmannsfamilie

    aufbessern. Doch jedes Jahr waren die Früchte von einer dicken, schmierigen

    Dreckschicht überzogen, die Ernte war mager und das Gras konnte nicht zur

    Fütterung der Kühe genutzt werden. Das Haus war schwarz von Ruß und die

    Dachrinnen waren vom Gift zerfressen.

    1951 beauftragte Vater Pfläging einen Rechtsanwalt, das „Gemeinschaftswerk“ auf

    Schadensersatz zu verklagen. Im April fand eine Ortsbesichtigung statt.

    O-Ton Waltraud Achenbach

    Meine Mutter hatte dann weiße Bettlaken in den Hof gelegt, um zu beweisen, wie

    dreckig das war.

  • 4

    O-Ton Kurt Pfläging

    Das sind so Deckbettlaken, ich würde mal sagen so zweieinhalb, mal zweieinhalb

    Meter, so große Laken, die ausgebreitet wurden, die kriegten an den vier Ecken

    kriegten die noch einen Stein, damit die nicht wegfliegen konnten, und dann wurden

    die nachmittags um 5, 6 Uhr wurden die verteilt aufgebaut.

    O-Ton Waltraud Achenbach

    Denn das „Gemeinschaftswerk“ hat meines Erachtens immer nachts auch ziemlich

    viel Dampf rausgelassen oder wie man das sagen will.

    O-Ton Kurt Pfläging

    Und morgens ging man dann vorbei und guckte sich die Bettlaken an. Dann waren

    sie nicht mehr weiß, sondern waren grau, bzw. an vielen Stellen auch schwarz. Ja,

    das war natürlich der Erfolg, den man dann wollte. Und wenn die Gutachter kamen,

    konnten sie an dieser Tatsache auch nicht vorbei. Es ist auch nie bezweifelt worden.

    Sprecherin:

    Trotz des Gutachtens wurde die Klage abgewiesen. Familie Pfläging ging in

    Berufung. Der Sohn fuhr gemeinsam mit dem Anwalt zum Prozess am

    Oberlandgericht Hamm.

    O-Ton Kurt Pfläging

    Die große Frage war bei dem Prozess, dass man damals meinte, in den

    Industriestädten muss sich die Bevölkerung an Dreck gewöhnen. Das war die

    offizielle Meinung der Gerichte auch. Das ist also nicht zu ändern, das müssen die

    ertragen, wenn wir hier eine Industrienation sein wollen. Da wurde eben auch gesagt:

    Was ihr da habt in Hattingen, das ist ortsüblich. Das Wort werde ich nie vergessen.

    Und das ist ein juristisches Wort. Und was war jetzt ortsüblich?

    Sprecherin:

    Familie Pfläging verlor auch die Berufung. Das Gericht bezog sich bei der Ablehnung

    der Schadensersatzforderungen auf §906 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Der

    stammte aus dem Jahre 1900 und legte fest, dass Anwohner in Industriegebieten

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    Verschmutzung hinnehmen müssen, wenn die „ortsüblich“ sei. Die Städte an der

    Ruhr waren „Industrieschutzgebiet“ und das waren sie auch noch Anfang der 50er

    Jahre. Die meisten Anwohner regten sich darüber allerdings auch nicht weiter auf

    und nahmen den Dreck und die schmutzige Luft in Kauf. Rauchende Schornsteine

    galten als Inbegriff des Wirtschaftswachstums. Und das war rasant. Wurden 1950

    103 Millionen Tonnen Kohle gewonnen, waren es 1957 schon 123 Mio. Tonnen. Das

    Ruhrgebiet war in weiten Teilen noch vom Krieg zerstört. Jeder war glücklich über

    einen Arbeitsplatz – auch wenn die Arbeit unter Tage oder an den Hochöfen schwer

    und dreckig war. Sie wurde gut bezahlt. „Ohne Ruß kein Moos“ lautete deshalb die

    Devise.

    Musikakzent

    Sprecher

    II. Der Betriebsrat

    O-Ton Harald Winter

    Willi Winter war ein ziemlich gestandener Mann, der also sein Wort machen konnte.

    Und dessen Wort auch Gewicht hatte, auch sagen wir mal auf Landesebene bei den

    Ministerien oder so. Weil er auch mit Wahlergebnissen in Oer-Erkenschwick mit den

    Pfunden immer wuchern konnte. (lacht) So kann man sagen. Weil er immer sehr gute

    Ergebnisse hier eingefahren hat für die SPD.

    Sprecherin:

    Oer Erkenschwick, ein kleiner Ort am Rande des Ruhrgebiets. Willi Winter war hier

    Bürgermeister und gleichzeitig Betriebsrat auf der Zeche „Ewald Fortsetzung“. Im Juli

    1954 wurde dort ein neues Kraftwerk mit zwei Hochdruck-Schmelzkammerkesseln in

    Betrieb genommen. Die Abgase gelangten durch zwei sechs Meter lange Rohre in

    die Umwelt. Kurz nach der Einweihung erkrankten einige Arbeiter in der Kokerei.

    Harald Winter, der Neffe des Betriebsrates, war damals 14 Jahre alt.

    O-Ton Harald Winter

    Es ging also um Brechreiz, um Schwindelgefühle, bei einem trat sogar eine

    Leberschwellung auf. Man versuchte dann mit allen möglichen Sofortmaßnahmen,

    mit Milchgaben und was weiß ich, da also erste Abmilderung zu schaffen. Das war

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    schon eine sehr heftige gesundheitliche Beeinträchtigung für die Kokereiarbeiter, die

    ja nun sowieso ihre Probleme haben am Arbeitsplatz.

    Sprecherin:

    In den Gärten im naheliegenden Stadtteil Rapen fielen mitten im Sommer die Blätter

    von den Bäumen. 130 Belegschaftsmitglieder, die dort wohnten, meldeten Schäden

    an Obst und Gemüse in ihren Gärten. Auch die Familie von Rudi Moisch.

    O-Ton Rudi Moisch

    Wir haben uns beschwert beim Betriebsrat, damals war der Betriebsrat Winter noch

    Betriebsrat. Er sagte, wir leiten das weiter. Und dann nach drei Wochen kam eine

    Kommission, die haben dann den Garten besichtigt und haben dann die Bäume

    gezählt, wie viel Schaden wir haben.

    O-Ton Harald Winter

    Willi Winter, mein Onkel, der hat sich da sehr heftig mit den Betriebsräten zusammen

    engagiert und hat sich sofort eingeschaltet und hat also bis an die höchsten Stellen

    entsprechende Beschwerdebriefe geschrieben.

    Sprecherin:

    Im August informierte Willi Winter das Oberbergamt Dortmund über die

    Umweltschäden und schickte Durchschläge an alle Fraktionen des Landtags, an die

    Stadt- und Kreisverwaltungen, den Vorstand der IG Bergbau und an den zuständigen

    Minister des Landes NRW. Er wollte, dass die Belästigungen der Bevölkerung durch

    die Abgase aufhören, die Arbeiter entschädigt werden, aber auch, dass sich die

    Politik mit der Luftverunreinigung befasst.

    Weil nichts geschah und es im Oktober erneut zu einem Zwischenfall kam, wandte

    sich Willi Winter noch einmal an das Oberbergamt:

    Zitator:

    „Am 24.10.1954 bemerkte der anwesende Sanitäter Wember auf der Morgenschicht,

    dass mehrere Kokereiarbeiter ihre Arbeit im schwankenden Zustand verrichteten. Auf

    Anweisung des Werksarztes wurden sofort von der Molkerei in Datteln 40 Flaschen

    Milch herbeigeschafft. …. Husten, Kopfschmerzen und Erbrechen waren die

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    hauptsächlichsten Erscheinungen. Wir bitten um sofortige Untersuchung des

    Vorfalles und um beschleunigte Abstellung der Mängel.“

    Sprecherin:

    Wohl auch weil die Zeitungen über den Vorfall berichteten, beauftragte nun endlich

    das Oberbergamt das Hygieneinstitut Gelsenkirchen, die Schwefeldioxidwerte an der

    Zeche zu messen. Soviel Aufmüpfigkeit gefiel der Werksleitung natürlich ganz und

    gar nicht. Am 26. November wurde Betriebsrat Winter zu einer Aussprache in die

    Zeche einbestellt. Über den Vortrag seines Vorgesetzten, den er über sich ergehen

    lassen musste, verfasste er ein Gedächtnisprotokoll.

    Zitator:

    „Nach einer längeren Vorrede gipfelte seine Ausführung in der Annahme, die

    Belästigungen durch den Rauch des Kraftwerks seien übertrieben, bzw. die

    Maßnahmen des Betriebsrates seien zu weit gegangen. Zweck seines Vortrages

    war, den Betriebsrat davon zu überzeugen, dass eine Weiterverfolgung der Eingaben

    zu parlamentarischen Diskussionen im Landtag führen würde, die unangenehme

    Folgen für die gesamte Industrie und damit der Volkswirtschaft nach sich ziehen

    würde.“

    O-Ton Harald Winter:

    Und es gab dann zum Schluss wohl das Angebot: Wir erhöhen die Schornsteine,

    damit das also beseitigt wird, das Problem. Wir entschädigen die Leute, die also

    Schaden erlitten haben und dafür Betriebsrat, hängst du das nicht mehr an die große

    Glocke, sondern wir regeln das hier intern und damit ist die Sache gegessen. Aber

    das wurde rund heraus abgelehnt von Willi Winter. Er sagte: Nein, wir werden das

    weiter verfolgen, weil das einfach auch wichtig ist für diese Diskussion, für diese

    Luftreinhaltungsgeschichte, die da nun im Gange waren.

    Sprecherin:

    Willi Winters „Nein“ war erfolgreich und die Befürchtungen der Betriebsleitung

    wurden wahr: Im Januar 1955 mischte sich das zuständige Wirtschaftsministerium

    ein und wies die Bergbehörde an, dafür zu sorgen, dass eine unzulässige

    Verunreinigung der Luft durch Rauch, Flugstaub und schädliche Gase verhindert

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    werde. Die Werksleitung ließ nun die beiden Schornsteine um ganze 14 Meter

    erhöhen, doch damit gab sich das Hygiene Institut nicht zufrieden. Die Maßnahme

    sei nicht ausreichend, befand es in seinem Gutachten vom 3. Februar 1955. Doch

    das hatte keine unmittelbaren Konsequenzen. Die Werksleitung dachte gar nicht

    daran, die Schornsteine mit Filter zu versehen, sie versuchte stattdessen die

    protestierenden Anwohner ruhig zu stellen.

    O-Ton Rudi Moisch

    Wir kriegten unsere 200 Mark entschädigt, also nach Wochen, und mussten dann

    noch einmal hin und unterschreiben, dass wir keine Ansprüche mehr stellen.

    Sprecherin

    Doch inzwischen hatten auch die Parteien erkannt, dass die Rede von der

    „ortsüblichen Verschmutzung“ nicht mehr in die Zeit passte. Im Herbst 1955 erteilte

    die CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen der Verwaltung den Auftrag, ein „Gesetz

    zur Reinhaltung der Luft“ vorzubereiten.

    O-Ton Harald Winter

    Ich denke mal, das wird ein gutes Stück dazu beigetragen haben, die ganzen Dinge,

    die hier aufgedeckt wurden, dass diese Luftreinhaltungsverordnung dann doch auf

    den Weg gebracht wurde.

    Sprecherin

    Am 13. Dezember 1955 beschäftigte sich der Düsseldorfer Landtag als erstes

    deutsches Parlament mit der dicken Luft. Zuvor hatte die Industrie vor immensen

    Kosten für den Fall gewarnt, dass alle Werke mit Filtern ausgestattet werden

    müssten. Von 50 Milliarden DM war die Rede und von einer Beeinträchtigung der

    Wettbewerbsfähigkeit. Das verfehlte seine Wirkung nicht, vorerst würde es kein

    Gesetz zur Reinhaltung der Luft geben. Es sollten erst einmal Daten erhoben und

    geforscht werden.

    Musik

  • 9

    Sprecher

    III. Die Wissenschaftler

    O-Ton Gisela van Haut:

    Ja, wie sah das aus? Wenn man bei Nacht kam, dann waren da Feuer. Das

    Ruhrgebiet brannte. Offene Feuer. Das war ich nicht gewöhnt, wie ich aus

    Norddeutschland kam. Also, das war atemberaubend. Ein Lärm, ein Rauch und

    Feuer.

    Sprecherin:

    1956 fand die 21-jährige Gisela van Haut eine Anstellung in Essen. Jeden Tag fuhr

    sie nun nach Essen-Bredeney in die „Kohlenstoffbiologische Forschungsstation“,

    kurz Kofo genannt. Ein Verein, der seit 1946 Forschungen auf

    ernährungswissenschaftlichem Gebiet betrieb und von der Privatwirtschaft finanziert

    wurde. Hier ging man seit 1951 auch der Frage nach, welche Schäden Staub und

    Rauchgase bei Pflanzen bewirken können. Gisela arbeitete nun eng mit dem

    Biologen Hans van Haut zusammen, den sie später heiratete.

    O-Ton Gisela van Haut

    Der erste Luftreinhaltungsforschungsauftrag, das war „Schäden durch Zementstaub“.

    Die Zementwerke hatten damals kaum Staubfilter und schickten den Staub raus. Es

    hat ein Zementwerk gegeben, da war die Umgebung weiß.

    Wir sind mit Pflanzen, die in vier Wochen fertig sind, wir sind angefangen mit

    Keimpflanzen, mit Radieschen, Spinat, Rüben, Getreide, haben wir in Parzellen

    ausgesät und bestäubt.

    Wir haben eine Bestäubungsanlage gehabt, ganz einfach, aber sehr effektiv. Ich

    habe die Versuchsreihen nebeneinander gestellt, das konnte man so sehen, was

    behandelt war und was nicht behandelt war. Das war der Beweis, dass es schädlich

    ist.

    Sprecherin

    Doch es geht nicht nur um Staub. Seit Anfang der 50er Jahre beschäftigte sich die

    von dem Chemiker Heinrich Stratmann geleitete Forschungsstation mit der Wirkung

    von Schwefeldioxid. Stratmann nahm an, dass zu viel Schwefeldioxid aus den

  • 10

    Werken an der Ruhr entweiche und die Pflanzen dadurch geschädigt würden. Er

    entwickelte das erste mobile Messgerät für SO2– den „Stratmannkoffer“.

    O-Ton Gisela van Haut

    Dann ist er mit seinem Messgerät rundgegangen und hat gemessen und hat gesagt:

    „Hier kommt aber viel zu viel Schwefeldioxid raus. Das geht so nicht.“ Und die Firmen

    haben aber dann gesagt: „Du kannst messen so viel du willst, wen stört das, wer

    sagt, dass das eine Wirkung hat?“

    Sprecherin:

    Also musste festgestellt werden, wie viel Schwefeldioxid in der Luft sein darf, ohne

    dass Pflanzen beeinträchtigt werden. Hans van Haut baute eine Versuchsanlage.

    Glaskästen, in denen auf der einen Seite Pflanzen mit Schwefeldioxid begast

    wurden, und die auf der anderen Seite nicht. Die Blätter der behandelten Pflanzen

    wurden schnell braun, welk und fleckig. Die Schäden waren deutlich zu sehen und

    wurden mit einer großen Plattenkamera dokumentiert.

    Heinrich Stratmann forderte, dass der Gesetzgeber Grenzwerte festlegen müsse –

    mehr als 0,5 mg Schwefeldioxid dürfe in einem Kubikmeter Luft nicht sein. Doch

    davon wollten weder die Politik noch die Industrie etwas wissen. Denn oftmals

    wurden sogar 5 mg pro Kubikmeter gemessen. Auch offizielle Gutachter wehrten sich

    gegen Grenzwerte, weil dadurch die industrielle Entwicklung gehemmt würde.

    Stratmann wurde aufgefordert, seine Untersuchungsergebnisse öffentlich zu

    widerrufen. Er lehnte ab.

    O-Ton Gisela van Haut

    Wir hätten gerne das Ganze auf die Gefährlichkeit für den Menschen bezogen, aber

    wir waren ja gebrannte Kinder mit Giftgasen. Also das Wort Gas durfte man

    eigentlich nicht benutzen. Wenn Wissenschaftler, Besucher das Institut besuchten

    und wir sagten: „Wollen Sie mal die Begasungsversuche sehen?“, die wurden blass

    und wir haben die später „Klimakammerversuche“ genannt.

    Sprecherin:

    Der Verein Deutscher Ingenieure erhielt nun von der nordrhein-westfälischen

    Landesregierung den Auftrag, einen wissenschaftlichen Großversuch zu starten.

  • 11

    Heinrich Stratmann und seine Mitarbeiter sollten dabei die Luftmessungen

    durchführen. Für den Versuch wurde die Grube Füsseberg in dem kleinen Ort

    Biersdorf ausgesucht, im Erzbergbaugebiet im Westerwald.

    O-Ton Gisela van Haut:

    Das war eine Eisenrösterei und man sah einen Berghang, an dem die Rauchfahne

    sich niederschlug, der war kahl. Mein Mann hatte regelrecht geschrieben von der

    „Todeszone“! Das sah furchtbar aus. Und ich weiß nicht in wie viel Entfernung, 500

    Meter Entfernung würde ich sagen, haben wir Tische mit Versuchspflanzen

    aufgestellt gehabt.

    Sprecherin:

    Je näher die Pflanzen an der Eisenrösterei standen, desto schlechter wuchsen sie,

    die Blätter wurden braun und fleckig. Die Entwicklung der Pflanzen wurde wieder

    fotografisch dokumentiert und in einem Schadatlas festgehalten, welche Schäden an

    welchen Pflanzen unter dem Einfluss von Schwefeldioxid entstehen. 1960 war er

    fertig, veröffentlicht wurde er aber erst zehn Jahre später.

    O-Ton Gisela van Haut:

    Der Schadatlas, der wurde erst mal irgendwo versteckt, der wurde nicht

    veröffentlicht. Ich weiß es nicht aus welchem Grund. Ich glaube, dass es zu

    gefährlich war. Ich denke, es sollte nicht so öffentlich werden. Vielleicht war es ein

    bisschen ein Politikum.

    Sprecherin:

    Die Versuche in Biersdorf brachten eine erste Klärung. Entgegen der bis dahin

    verbreiteten Meinung, erzeugte Schwefeldioxid schon in geringer Konzentration

    Schäden an Pflanzen. Doch noch immer wehrten sich viele Fachleute aus der

    Industrie gegen einen Grenzwert. Erst im September 1961 wurde der Grenzwert von

    0,5 mg pro Kubikmeter Luft in die offiziellen Richtlinien des VDI aufgenommen – als

    Empfehlung.

    Musik

  • 12

    Sprecher:

    IV. Die Mediziner

    O-Ton Frau:

    Herr Doktor, ich habe eine Frage: „Glauben Sie, dass meine Bronchitis mit der

    schlechten Großstadtluft oder mit dem Industriequalm zusammenhängt, dass es

    vielleicht daher kommt?"

    Sprecherin:

    Das fragten in den 50er Jahre viele Patienten ihre Ärzte und sie hatten allen Grund

    für ihre Besorgnis. In Oberhausen warfen 1951 sechs Kraftwerke pro Stunde 6,4

    Kilogramm Flugasche aus. In Herne verbrannten durch säurehaltige Abgase und

    Salpeterstaub die Wiesen. Zäune wurden vom Rost zerfressen. Und den Menschen

    fiel das Atmen schwer. Der feine Staub setzte sich auf die Bronchien,

    Schwefelwasserstoff reizte die Schleimhäute und konnte Nervenschäden

    verursachen. Schwefeldioxid beeinträchtigte die Atmung und führte zu

    Kreislaufstörungen.

    Durch die vielen Beschwerden der Bürger aufgeschreckt, schlossen sich 1954 zehn

    Ruhrgebietsstädte zu der "Arbeitsgemeinschaft Lufthygiene" zusammen. Man wollte

    wirksame Gesetze gegen die Luftverschmutzung. Dazu brauchte es fundiertes

    Wissen. Der Gelsenkirchener Oberstadtdirektor Hans Hülsmann, der die

    Arbeitsgemeinschaft ins Leben gerufen hatte, wurde nach der ersten Zusammenkunft

    am 19. Oktober 1954 so zitiert:

    Zitator:

    Die Kommunen des Industriereviers hätten zwar genug Lasten zu tragen, die

    Menschen aber, die in diesem Gebiet leben müssten, hätten ein Recht darauf, dass

    ihnen geholfen würde. Es sei notwendig, Grundlagenforschung zu betreiben und

    dieses habe aus kommunaler Sicht heraus zu geschehen.

    Sprecherin:

    Das war neu: Kommunalvertreter stellten sich auf die Seite der Bürger und vergaben

    selbstständig Forschungsaufträge. Das Hygieneinstitut Gelsenkirchen, das

    Wetteramt in Mühlheim und das Oberhausener Gesundheitsamt sollten gemeinsam

  • 13

    herausfinden, ob die Bewohner im Ruhrgebiet kränker sind als die in ländlichen

    Regionen. Über ein Jahr lang sammelten sie Daten über den Gesundheitszustand

    von Kindern aus Oberhausen und verglichen den mit Kindern aus Empel-Rees und

    Geldern. Zudem maß man den Grad der Luftverunreinigung in beiden Gebieten.

    O-Ton Anna Weinberg:

    Ich war sehr viel krank, ich hatte sehr oft Mittelohrentzündung, Husten, Schnupfen

    und war insgesamt auch appetitlos und schwächlich. Ich habe sehr, sehr viele Tage

    im Bett verbracht mit Ohrenschmerzen, mit Fieber und Husten und musste dann

    eigentlich immer warten, bis ich wieder auf den Beinen war, dass ich auch spielen

    konnte mit den anderen Kindern. Also ich habe darunter schon gelitten.

    Sprecherin:

    Anna Weinberg wuchs in Oberhausen-Osterfeld auf, einem Stadtgebiet, das in der

    Studie besonders schlecht wegkam:

    O-Ton Anna Weinberg:

    „Es herrschte große Aufregung, ich sollte mit meiner Mutter zu einem besonderen

    Arzt kommen, nämlich zum Gesundheitsamt. Die Untersuchung, daran kann ich mich

    nur ganz dunkel erinnern. Da wurde in die Ohren hinein geguckt, natürlich in die

    Augen, in die Nase, in den Hals, dann wurde der Rücken abgeklopft, vorne die Brust

    auch, es wurde abgehorcht. Dann die Wirbelsäule untersucht, die Körperhaltung

    wurde untersucht. Daran kann ich mich noch erinnern.“

    Sprecherin:

    Die Ergebnisse der Studie wurden Ende 1959 veröffentlicht.

    O-Ton Reporter:

    Schwerpunktuntersuchungen von Kindern in Oberhausen in Vergleich mit Kindern

    aus weniger staubgefährdeten niederrheinischen Landkreisen ergaben: Die Kinder

    im Windschatten der Schlote, der Konverter und Hochöfen leiden. Schon Säuglinge

    zeigten doppelt so viel rachitische Symptome wie ihre Altersgenossen weiter

    westlich. Die Stadtkinder wiesen fast vier Mal so viel Augenverletzungen und

  • 14

    Entzündungen auf und die Vierzehnjährigen in der Stadt waren im Durchschnitt

    leichter und kleiner als ihre Altersgenossen in den grünen Zonen.

    Sprecherin:

    Die Ergebnisse der Studie beunruhigten die Bürger. Zum ersten Mal ging es um die

    Gesundheit – nicht nur um Dreck und Gestank. Doch Entstaubungsanlagen und

    Filter sind teuer und eine gesetzliche Handhabe gab es nicht – denn § 16 der

    Gewerbeordnung von1900 ließ es nicht zu, bei einmal genehmigten Betrieben

    Nachbesserungen zu verlangen. Und freiwillig baute die Industrie nur selten diese

    Filter ein. Preiswerter war es, die Kinder zur Kur ans Meer zu schicken.

    O-Ton Anna Weinberg:

    Ich bin dann nach Borkum gekommen, für sechs Wochen, das war eine

    wunderschöne Zeit, ein wunderschöner Sommer und das war eigentlich auch der

    gesundheitliche Durchbruch. Das hat wirklich geholfen.

    Musik

    Sprecher:

    V. Die Bürgervereine

    O-Ton Hermann Fengels:

    Da kamen ja diese Staubwolken hier rüber - der Himmel war verdunkelt,

    dunkelbrauner Qualm, der zog über ganz Meiderich drüber weg. Im Stadtpark sind

    die Bäume eingegangen. In den Gärten konnte man kaum Gemüse ernten. Es war

    alles voll Dreck. Man hat ja nicht umsonst gesagt: Im Ruhrgebiet, wenn man tief Luft

    holt, hat man ein Brikett unter der Nase!

    Sprecherin:

    Hermann Fengels wohnt in Duisburg, in unmittelbarer Nähe der Phönix Rheinrohr

    AG. In dieser Gegend war die Luftverschmutzung besonders unerträglich. Ein

    Industriebetrieb reihte sich an den anderen. Bei der Phönix-Rheinrohr AG wurde aus

    Roheisen Edelstahl hergestellt. Und da das Wirtschaftswunder-Deutschland nach

    immer mehr Stahl verlangte, wurden 1957 neue Konverter gebaut. Die Behörden

  • 15

    konnten keine Auflagen machen. Denn nach der alten Gewerbeordnung mussten

    Betriebserweiterungen nicht genehmigt werden.

    Zitator:

    „Duisburger Luft wirbelt Staub auf“ – „Die Dunstglocke nimmt uns unsere

    Gesundheit“

    Sprecherin:

    textete die Westdeutsche Allgemeine am 19. Januar 1957 und berichtete von einer

    Versammlung der Bürgervereine, bei der ein „Volksaufstand gegen

    Luftverschmutzer“ gefordert worden sei.

    Zitator:

    Wir müssen auf breitester Basis gegen die Luftverschmutzer Sturm laufen – nicht nur

    in Duisburg, im ganzen Ruhrgebiet.

    Sprecherin:

    Natürlich gab es keinen Volksaufstand. Doch die Versammlung hatte Folgen: Zehn

    Duisburger Bürgervereine schlossen sich zur „Interessengemeinschaft gegen

    Luftverunreinigung“ zusammen. Das war etwas ganz Neues. Bürgervereine, die sich

    bislang um die Verschönerung von Parks und Kirchenportalen bemüht hatten,

    mischten sich in die Politik ein. Sie spielten fortan eine wichtige Rolle und bündelten

    den Protest der Bevölkerung. Gut zehn Jahre nach Kriegsende und dem Ende der

    Hitlerdiktatur hatten die Menschen das Gefühl, dass sie endlich die Dinge beim

    Namen nennen können.

    O-Ton Gisela van Haut:

    Das hing auch ein bisschen mit Demokratie zusammen. Das war ja ein ganz neuer

    Begriff, ein ganz neues Leben eigentlich. Das kannten wir nicht. Dass man sich

    beschweren durfte, ohne den Arbeitsplatz zu verlieren. Das war, das war großartig,

    dass man das sagen durfte.

  • 16

    Sprecherin:

    Gisela van Haut war häufig in Duisburg, denn die Kohlenstoffbiologische

    Forschungsstation, bei der sie arbeitete, führte in der Nähe der Kupferhütte

    Messungen durch.

    O-Ton Gisela van Haut:

    In der Nähe der Kupferhütte waren die Straßen rot. Und Vorgärten waren nur Erde,

    rot, rote Erde. Und in einem Garten gab es einen grünen Rasen und Tulpen. Da bin

    ich hingegangen und habe mir das angeguckt, weil das wirklich ein Wunder war,

    dass da Grün war. Und der Rasen war aus Kunststoff und die Tulpen aus Polyester.

    Ja, es war schon traurig. Duisburg war sehr traurig.

    Sprecherin:

    Zwei Jahre nachdem die Phönix-Rheinrohr AG die neuen Konverter in Betrieb

    genommen hatte, sollte das Werk noch einmal erweitert werden. Deshalb lud im Juli

    1959 der Meidericher Bürgerverein wieder zu einer Versammlung ein. 10 000

    Flugblätter wurden verteilt, 250 Plakate aufgehängt. Fast 1000 Bürger kamen ins

    Duisburger Bahnhofshotel. Die Stimmung war aufgeladen. Die Kleingärtner klagten,

    dass ihre Sträucher und Bäume von den Abgasen zerfressen würden. Die

    Berufsgärtner sahen sich in ihrer Existenz bedroht. Andere kritisierten, dass sie

    wegen des Gestankes nicht schlafen könnten und sich übergeben müssten. Auch

    Lackschäden an den Autos waren Thema. Am Schluss der Versammlung wurde

    gefordert, dass die Bundesregierung endlich die Gesetze ändern soll.

    Im August 59 wurden trotz des Protestes die größten bodenblasenden Konverter der

    Welt in Betrieb genommen. Die neue Anlage kostete 100 Millionen Mark. Im Monat

    konnten 115 Tonnen Stahl produziert werden. Und der braune Rauch schoss –

    geladen mit feinsten Eisenteilchen - nach wie vor ins Freie.

    O-Ton Hermann Fengels:

    Da hat sich der Bürgerverein so richtig stark gemacht. Dann hat der Eingaben

    gemacht an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf, an den Landtagspräsidenten

    und es tat und tat sich nichts. Und dann sind die nachher dazu übergegangen und

    haben Bonn eingeschaltet. Haben eine Petition an den Bundestagspräsidenten

    eingereicht. Und da wurden die dann auf einmal hellhörig.

  • 17

    Sprecherin:

    Dass etwas getan werden musste, war allzu augenfällig. Das Thema Luftreinhaltung

    stand nun bei allen Parteien auf der Agenda. Die SPD-Fraktion im Duisburger

    Stadtrat stellte sogar den Antrag,

    Zitator:

    „zwei interessierten Bürgern die finanzielle Möglichkeit zur Durchführung eines

    Musterprozesses in allen Instanzen gegen die Beeinträchtigung durch industrielle

    Luftverschmutzung zu geben.“

    Sprecherin:

    Ein Novum. Doch der Bürgermeister gab zu bedenken:

    Zitator:

    „So ganz einfach ist das nicht, dass die Stadt ihrerseits die Prozesskosten übernimmt

    für eine Klage eines Bürgers unserer Stadt, gegen ein Duisburger Unternehmen, das

    zwar juristische Person ist, aber immerhin doch auch Gewerbesteuerzahler unserer

    Stadt ist.“

    Sprecherin:

    Die missliche Lage der Lokalpolitiker ist klar. Sie saßen zwischen den Stühlen. Doch

    der Unmut der Bevölkerung war längst in den Bonner Ministerien angekommen.

    Am 22. Dezember 1959 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Veränderung

    der Gewerbeordnung. Nun konnte – erstmals seit Beginn der Industrialisierung - die

    Genehmigung von Industrieanlagen vom Einbau wirksamer Filter abhängig gemacht

    werden. Endlich erhielten die Behörden ein Instrument, bei bereits genehmigten

    Betrieben Nachbesserungen zu verlangen. Und die nach § 906 im BGB festgelegte

    Duldungspflicht, die „Ortsüblichkeit“, wurde eingeschränkt.

    Musik

    Sprecher:

    VI. Die Bürgerinitiative

  • 18

    Musik

    O-Ton Dr. Clemens Schmeck:

    Unser Nachbarwerk schüttet stündlich 200 Zentner rotbraunen Staub in die Luft und

    bläst 500 000 Kubikmeter Abgase ab. Was das bedeutet, kann nur der ermessen,

    der sich an Ort und Stelle von den Dingen überzeugt hat. Die Verschmutzung der

    Luft im Ruhrgebiet hat die Grenzen des Zumutbaren weit überschritten und es treten

    ernstliche gesundheitliche Schäden jetzt in den Vordergrund.

    Sprecherin:

    Essen-Dellwig. Der Allgemeinmediziner Clemens Schmeck wohnte und arbeitete in

    unmittelbarer Nachbarschaft der Rennanlage Krupp, des Hüttenwerks Oberhausen

    und der Zinkhütte in Borbeck. Sein Haus und sein Garten waren ständig von einer

    dicken Staubschicht überzogen und die Kinder, die in seiner Praxis Hilfe suchten,

    litten häufig unter Bronchitis und Asthma. Werner Alberts hat den couragierten

    Mediziner gut gekannt.

    O-Ton Werner Alberts:

    Ich bin 1960 aus der Lokalredaktion Dortmund in die Lokalredaktion Essen der WAZ

    gekommen und da habe ich schon sehr früh Dr. Schmeck kennen gelernt. Der

    brachte uns seine Presseerklärung, hat auch ab und zu Versammlungen veranstaltet

    und ich habe das damals, weil ich selbst auch unter Bronchitis gelitten habe, als ein

    sehr wichtiges Thema angesehen und habe ihm gesagt: „Wenn Sie Hilfe brauchen,

    ich helfe Ihnen gerne, wenden sie sich an mich, ich bin ja jetzt hier Lokalredakteur.“

    Sprecherin:

    Clemens Schmeck, der auch Vorsitzender des Bürger- und Verkehrsvereins war, lud

    am 16. September 1960 Vertreter der Gesundheitsämter, Gewerbeaufsichtsämter,

    Politiker, Ärzte und die örtlichen Betriebschefs zu einem Gespräch ein. Denn auch

    die Dellwiger Bürger wollten den Dreck nicht mehr länger widerstandslos hinnehmen

    Die Anwohner machten ihrem Ärger Luft. Clemens Schmeck nahm kein Blatt vor den

    Mund.

  • 19

    O-Ton Werner Alberts:

    Das war so ein richtiger Ruhrgebietstyp, so ein Bullerkopf sagen wir hier. Aber da

    hatte er sein Pendant in Dr. Roskothen. Beide haben also immer auf den Putz

    gehauen und haben sich auch nicht gescheut, ziemlich harte Worte zu gebrauchen.

    Beispielsweise war da ständig die Rede von den Verbrechern in Nadelstreifen, die

    uns vergasen und so haben die gepoltert, aber sie haben ja dann letztlich auch den

    Erfolg gehabt.

    Sprecherin:

    Zu Beginn des Jahres 1961 bekamen Clemens Schmeck und seine Mitstreiter

    Rückenwind durch die Veröffentlichung einer neuen Studie. Das Oberhausener

    Gesundheitsamt und das Hygieneinstitut in Gelsenkirchen hatten untersucht, wie

    viele Männer in Oberhausen an Lungenkrebs gestorben waren. Das Fernsehen kam

    nach Oberhausen und Ministerialdirektor Klaus Peter Faerber erklärte die

    Ergebnisse.

    O-Ton Hier und Heute 17.2.1961

    Wir sind dabei zu der Feststellung gekommen, dass z.B. für die Vereinigten Staaten

    von Nordamerika, kürzlich, das heißt vor einem Jahr jetzt ungefähr, eine

    Sterblichkeitsrate an Lungenkrebs angegeben worden ist, die sich auf 31 pro

    100 000 Menschen beläuft, wir haben nach denselben statistischen Verfahren unsere

    Untersuchungen betrieben und festgestellt, dass diese Rate bei uns bereits 1952

    erreicht worden war und dass sie seitdem kontinuierlich weiter angestiegen ist und

    jetzt auf über 50 pro 100 000 liegt. D.H. wir haben auf diesem kleinen Raum natürlich

    …. immerhin aber doch 60 Prozent mehr Lungenkrebstodesfälle als der Durchschnitt

    der Vereinigten Staaten. …..

    Sprecherin:

    Nun landete das Thema in der großen Politik: Die SPD entdeckte die schlechte Luft

    als Wahlkampfthema.

    O-Ton Willy Brandt

    Erschreckende Untersuchungsergebnisse zeigen, dass im Zusammenhang mit der

    Verschmutzung von Luft und Wasser eine Zunahme von Leukämie, Krebs, Rachitis,

  • 20

    Blutbildveränderungen sogar schon bei Kindern festzustellen sind. Es ist bestürzend,

    dass diese Gemeinschaftsaufgabe, bei der es um die Gesundheit von Millionen

    Menschen geht, bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Verehrte Anwesende und

    besonders Freunde aus dem Revier: Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder

    blau werden!"

    Sprecherin:

    Willy Brand verkündete die Parole, die sich in das Gedächtnis der Nation einprägen

    sollte. Er prägte eine griffige Formel, mit der die Medienaufmerksamkeit gesichert

    war. Die „Zeit“, der „Spiegel“ und viele andere Zeitungen widmeten sich fortan

    verstärkt der Luft im Ruhrgebiet. Doch Willi Brandts Einschätzung, dass diese

    Aufgabe bislang völlig vernachlässigt worden sei, stimmte zumindest für das

    Ruhrgebiet nicht. Denn hier wurde unter der Federführung von CDU-Arbeits- und

    Sozialminister Konrad Grundmann bereits an einem Landesimmissionsschutzgesetz

    gearbeitet.

    Clemens Schmeck lud den Minister im Dezember nach Essen-Dellwig ein, damit er

    sich vor Ort einen Eindruck von der Situation verschaffe. Nach dieser

    Besichtigungstour erklärte der CDU Mann:

    Zitator:

    „Wenn ich mit meinen drei Kindern dort wohnen müsste und wenn meine Kinder in

    diesen Straßen spielen sollten und ich nachts meine Fenster nicht öffnen könnte,

    dann gehörte ich auch zu denen, die auf die Pauke schlagen.“

    Sprecherin:

    Im Januar 1962 gründeten Clemens Schmeck und 116 Dellwiger Bürger offiziell die

    „IG gegen Luftverschmutzungsschäden und Luftverunreinigung e.V." Die erste

    Bürgerinitiative der Bundesrepublik! Werner Alberts war dabei.

    O-Ton Werner Alberts:

    Der ganze Saal picke packe voll, die hatten ihre Patienten da mobilisiert und auch

    der Bürger- und Verkehrsverein hatte sich eingeschaltet - also brechend voll der Saal

    und jeder rauchte. Es war eine Luft wie es draußen nicht schlimmer sein konnte. Da

    sind dann aber auch die Forderungen aufgestellt worden und Konrad Grundmann,

  • 21

    das weiß ich, hat das mitgenommen nach Düsseldorf und hat es im Kabinett erzählt,

    und von da an galt diese Interessengemeinschaft als eine mächtige Organisation.

    Sprecherin:

    So mächtig, dass Konrad Grundmann den Arzt aus Essen alsbald in den von ihm

    geschaffenen "Landesbeirat für Immissionsschutz" berief. Schmeck blieb auch in den

    Medien präsent: Immer wieder warnte er öffentlich wirksam vor den Gefahren der

    Umweltverschmutzung.

    O-Ton Dr. Schmeck:

    Meine Herren, Sie wissen, dass ich Ihnen als Arzt klar gemacht habe, wie groß die

    Gesundheitsschäden in letzter Zeit geworden sind, die handgreiflich aufzuzählen sind

    wie die Zunahme der Rachitis, die Reduzierung des Längenwachstums bei Kindern,

    die Atemnotzustände, das Ansteigen des Lungenkrebses. In Zusammenhang damit

    auch die Schäden in den Augen, die immer mehr bei den Schulkindern auftreten. Es

    ist wichtig, gerade als Arzt darauf hinzuweisen, dass wir endlich etwas dagegen

    unternehmen und handeln danach. Denn Sie wissen, dass die Dunstglocke, die uns

    hier belastet, zwei Drittel der Sonneneinstrahlung unterbindet und uns auf die Dauer

    krank macht und wir auf die Dauer ersticken!

    Sprecherin:

    Die Bürgerinitiative machte fortan von sich Reden, lud die

    Bundesgesundheitsministerin Elisabeth Schwarzhaupt nach Essen ein und

    verkündete ihre zentralen Botschaften auf Flugblättern:

    Zitator:

    „Die Industrie soll endlich ihre Gewinne dazu benutzen unser Leben zu schützen,

    indem sie endlich Filter einbaut und sie auch benutzt.

    Das geht uns alle an! Bürger wehrt Euch!“

    Sprecherin:

    Clemens Schmeck und sein Kollege und Mitstreiter, der Hals- Nasen- und Ohrenarzt

    Rolf Roskothen, wollten nicht nur die Menschen informieren und aufrütteln, sie

    wollten auch mit den Verursachern des Schmutzes ins Gespräch kommen. Werner

  • 22

    Alberts erinnert sich an einen Besuch bei den Hüttenwerken in Oberhausen, der

    HOAG, gegen die Schmeck 1959 Klage wegen Körperverletzung eingereicht hatte.

    O-Ton Werner Alberts:

    Bei der HOAG war ich mit dabei. Das war sehr lustig. Wir kamen da an, gingen zum

    Pförtner und sagten, wir möchten gerne zum Vorstand. Da sagte der Pförtner: „Das

    geht heute nicht, da kommen gleich so ein paar Idioten, die wollen, dass wir hier den

    braunen Rauch verschwinden lassen.2 Dann sagte Roskothen: „Melden Sie Ihrem

    Vorstand, die Idioten sind schon da.“ Das waren wir.

    Die Angriffe waren sehr, sehr krass und teilweise auch sehr verletzend, weil die

    Industrie dann auch mit unwahren Behauptungen argumentiert hatte und dann

    standen die beiden da, als würden sie dummes Zeug erzählen. Das was sicherlich

    auch verletzend für die beiden.

    Sprecherin:

    Die Forschungsergebnisse der Ärzte und Wissenschaftler, die Aktionen der

    Bürgervereine und Betriebsräte, die Klagen einzelner und die Eingaben der

    Kommunalvertreter zeigten Wirkung. Im April 1962 wurde das

    Landesimmissionsschutzgesetz vom Düsseldorfer Landtag einstimmig angenommen.

    Es war das erste Landesgesetz zur Reinhaltung der Luft in der Bundesrepublik, und

    es wurde für andere Länder zum Vorbild. Es stärkte die Regulierungsmöglichkeiten

    der Behörden, man beschloss, kommunale Messstationen aufzubauen, gründete ein

    landeseigenes Forschungsinstitut, legte Grenzwerte fest. Aber immer noch standen

    diese Maßnahmen unter dem Vorbehalt, dass sie „im Rahmen der wirtschaftlichen

    Möglichkeiten“ der Unternehmen bleiben müssten.

    O-Ton Schmeck:

    Eine Lücke ist die sog. Kautschukbestimmung, wonach die Betriebe nur dann

    gezwungen werden können Filter einzubauen, wenn sie das wirtschaftlich verkraften

    können. Hinter dieser Tatsache wird sich die Industrie lange, lange Zeit drücken

    wollen und möglichst dadurch den Termin hinausschieben.

  • 23

    Sprecherin:

    Der Gründer der ersten Bürgerinitiative im Ruhrgebiet sollte Recht behalten mit

    seinem Einwand. Doch wichtige Weichen in Richtung "Blauer Himmel" waren nun

    gestellt. 1963 nahm die „Landesanstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz“

    ihre Arbeit auf. Ein Zusammenschluss der ehemaligen KOFO und der Landesanstalt

    für Bodennutzungsschutz.

    Die Aufgabe: Das Landesinstitut sollte erstmals unabhängig von der Industrie

    Forschungen und Messungen durchführen. Man begann, die Luftverschmutzung

    systematisch zu erfassen. Über das ganze Land verteilt wurde an 2700 Messpunkten

    Staub gesammelt und überall wurden Schadstoffe analysiert. Werner Alberts arbeitet

    mittlerweile als Hörfunkreporter für den WDR.

    O-Ton Alberts:

    Diese neue Landesanstalt, die hieß ja „Landesanstalt für Immissions- und

    Bodennutzungsschutz“. Und das war ein Stolperstein für jeden Sprecher im Radio

    und wir haben überlegt, wie können wir das vielleicht vereinfachen und ich meine,

    damals gab es das Wort „Umwelt“ noch gar nicht und wir haben dann überlegt:

    Können wir sagen „Landesanstalt für Umweltschutz“. Man kannte Naturschutz, man

    kannte Landschaftsschutz, aber das Wort Umweltschutz meine ich, hätten wir hier

    erfunden. Da gebe ich aber keine Garantie für.

    Musik

    Sprecherin:

    Umweltschutz - ein neuer Begriff in einer sich verändernden Gesellschaft. 15 Jahre

    werden verstreichen, bis sich die langsam wachsende Umweltbewegung so

    organisierte, dass sie den etablierten Parteien mit grünen und bunten Listen die

    Wähler abspenstig machte.

    O-Ton Kurt Pfläging:

    Es kam an bei der Bevölkerung. Und die Bevölkerung wirkte mit. Und sie achtete

    darauf, sie kriegte ein Umweltbewusstsein, klagte an, wenn etwas nicht stimmte... Im

    Ruhrgebiet brach eine neue Zeit an.

  • 24

    Musik

    Absage:

    Blauer Himmel über der Ruhr

    Vom Begreifen der Demokratie als Möglichkeit

    Ein Feature von Erika Fehse

    Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2011.

    Es sprachen: Anja Herden und Michael Wittenborn

    Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Hanna Steger

    Regie: Claudia Kattanek

    Redaktion: Hermann Theißen

    Musik