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BMW K 1600 GT/GTL - Fahrbericht aus MOTORRAD 6/2011 - Flaggschiff und Luxusliner: In der technologieträchtigen Flotte von BMW sind gleich zwei Top-Tourer mit Reihensechszylinder vom Stapel gelaufen. Angesichts eines Ausstattungsfeuerwerks schlagen die Wogen hoch. Leinen los! Südafrika. Ein anderes Klima - Hochsommer, ein anderes Leben: die Natur reicher, die Farben bunter, die Luft klarer. Hinzu kommt nun anderes Fahren. Erstmals bestückt BMW nach seinen Automobilen jetzt auch Motorräder famos mit sechs Zylindern in Reihe. Die K 1600 GT und ihr noch luxuriöser ausgestattetes Schwesterschiff GTL mit gleichem Motor, Antriebsstrang und Fahrwerk konkurrieren mit Pan European, 1400er-GTR, FJR 1300 und Gold Wing auf Seh-Reisen. Im Geleit ersetzen die zwei Top-Tourer die vierzylindrige K 1300 GT, bei ähnlichem Konzept: Zylinderbank um 55 Grad geneigt, Alu-Brückenrahmen, Duolever-Vorderradführung und Paralever-Kardan-Einarmschwinge. Doch mit faszinierenderem hochemotionalem Triebwerk. Der Reihensechszylinder erwacht mit wohlig-schaurigem Wroouumm. Sinnlich, fast schon aggressiv klingt die rote GT kernig aus ihren zwei völlig getrennten Drei-in-eins- Auspuffsträngen. Sie föhnt die Flimmerhärchen. Der röhrende Sound erinnert an die Power-Limousine BMW M 3. Dagegen klingt der silber- weiße Luxusliner GTL leiser, gedämpfter, wie ein Fünfer von BMW. Möglich macht es ein anders gestaltetes Innenleben seiner verchromten Töpfe. Beide 1600er, die in Wirklichkeit 1650er sind, haben nicht allein akustisch echten Sechs-Appeal. Extrem leicht dreht der Sixpack hoch, beantwortet jedes kleinste Zucken im Handgelenk blitzschnell per „E-Gas“. Ein Elektromotor steuert die einzelne, zentrale Drosselklappe mit 52 Millimeter Durchmesser. Von dort führen automobilartig sechs drehmomentfördernd lange Ansaugschnorchel zu den Brennräumen. Ultradirekt spricht der gut zur GT passende Fahrmodus „Dynamic“ an, einer von drei per Knopfdruck vom rechten Lenkerende aus wählbaren. Im Modus „Road“, prima für die GTL, hängt der Motor nicht ganz so bissig am Gas, „Rain“ kappt zusätzlich auch die Leistungsabgabe. Vernehmlich verzahnen sich die Gangräder des ersten Ganges. Uupps, die Kupplung lässt sich zwar kinderleicht ziehen, aber nicht besonders feinfühlig dosieren, greift ungestüm ein wenig digital zu. Die Koordination von Gas und Kupplung braucht Gewöhnung, ansonsten hat man zu viel oder gar keine Drehzahl mehr. Ist die selbstverstärkende Mechanik im Kupplungskorb aktiv, sind leichte Bewegungen am Kupplungshebel zu spüren. Es ist der pure Genuss, extrem schaltfaul durch die südafrikanische Bilderbuch-Landschaft zu gleiten. BMW verspricht 125 Newtonmeter bereits bei 1500 Touren. Energisch setzt sich der schwere Kreuzer in Fahrt. Auf dem Franschhoek-Pass kann selbst in Kurven, die man sonst im dritten Gang umrunden würde, der Sechste drin bleiben. Phantastische Elastizität. Das Getriebe dieser Vorserienmaschinen hier hakelt mitunter, die Schaltwege fallen eher lang aus. Im Drehzahlkeller lassen sich mit Gas-auf-Gas-zu spürbare Lastwechselschläge provozieren. Dann kalonkt und scheppert es ein wenig aus dem Maschinenraum. Ist eben eine BMW.

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BMW K 1600 GT/GTL

- Fahrbericht aus MOTORRAD 6/2011 -

Flaggschiff und Luxusliner: In der technologieträchtigen Flotte von BMW sind gleich zwei Top-Tourer mit Reihensechszylinder vom Stapel gelaufen. Angesichts eines Ausstattungsfeuerwerks schlagen die Wogen hoch. Leinen los!

Südafrika. Ein anderes Klima - Hochsommer, ein anderes Leben: die Natur reicher, die Farben bunter, die Luft klarer. Hinzu kommt nun anderes Fahren. Erstmals bestückt BMW nach seinen Automobilen jetzt auch Motorräder famos mit sechs Zylindern in Reihe. Die K 1600 GT und ihr noch luxuriöser ausgestattetes Schwesterschiff GTL mit gleichem Motor, Antriebsstrang und Fahrwerk konkurrieren mit Pan European, 1400er-GTR, FJR 1300 und Gold Wing auf Seh-Reisen.

Im Geleit ersetzen die zwei Top-Tourer die vierzylindrige K 1300 GT, bei ähnlichem Konzept: Zylinderbank um 55 Grad geneigt, Alu-Brückenrahmen, Duolever-Vorderradführung und Paralever-Kardan-Einarmschwinge. Doch mit faszinierenderem hochemotionalem Triebwerk. Der Reihensechszylinder erwacht mit wohlig-schaurigem Wroouumm. Sinnlich, fast schon aggressiv klingt die rote GT kernig aus ihren zwei völlig getrennten Drei-in-eins-Auspuffsträngen. Sie föhnt die Flimmerhärchen.

Der röhrende Sound erinnert an die Power-Limousine BMW M 3. Dagegen klingt der silber-weiße Luxusliner GTL leiser, gedämpfter, wie ein Fünfer von BMW. Möglich macht es ein anders gestaltetes Innenleben seiner verchromten Töpfe. Beide 1600er, die in Wirklichkeit 1650er sind, haben nicht allein akustisch echten Sechs-Appeal.

Extrem leicht dreht der Sixpack hoch, beantwortet jedes kleinste Zucken im Handgelenk blitzschnell per „E-Gas“. Ein Elektromotor steuert die einzelne, zentrale Drosselklappe mit 52 Millimeter Durchmesser. Von dort führen automobilartig sechs drehmomentfördernd lange Ansaugschnorchel zu den Brennräumen. Ultradirekt spricht der gut zur GT passende Fahrmodus „Dynamic“ an, einer von drei per Knopfdruck vom rechten Lenkerende aus wählbaren. Im Modus „Road“, prima für die GTL, hängt der Motor nicht ganz so bissig am Gas, „Rain“ kappt zusätzlich auch die Leistungsabgabe.

Vernehmlich verzahnen sich die Gangräder des ersten Ganges. Uupps, die Kupplung lässt sich zwar kinderleicht ziehen, aber nicht besonders feinfühlig dosieren, greift ungestüm ein wenig digital zu. Die Koordination von Gas und Kupplung braucht Gewöhnung, ansonsten hat man zu viel oder gar keine Drehzahl mehr. Ist die selbstverstärkende Mechanik im Kupplungskorb aktiv, sind leichte Bewegungen am Kupplungshebel zu spüren. Es ist der pure Genuss, extrem schaltfaul durch die südafrikanische Bilderbuch-Landschaft zu gleiten.

BMW verspricht 125 Newtonmeter bereits bei 1500 Touren. Energisch setzt sich der schwere Kreuzer in Fahrt. Auf dem Franschhoek-Pass kann selbst in Kurven, die man sonst im dritten Gang umrunden würde, der Sechste drin bleiben. Phantastische Elastizität. Das Getriebe dieser Vorserienmaschinen hier hakelt mitunter, die Schaltwege fallen eher lang aus. Im Drehzahlkeller lassen sich mit Gas-auf-Gas-zu spürbare Lastwechselschläge provozieren. Dann kalonkt und scheppert es ein wenig aus dem Maschinenraum. Ist eben eine BMW.

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Trotz perfekten Massenausgleichs eines Reihensechsers sind auf der Vorserien-GT ganz sanfte Vibrationen spürbar. Der Sechszylinder-Boxer einer Honda Gold Wing läuft noch geschmeidiger. Tempomat an, halbe Fahrt voraus. Bis 4000 Touren, das sind gut 130 km/h im sechsten Gang, erfolgt der Vortrieb mit Nachdruck. Dann zündet der Nachbrenner. Nun ändert der Motor Tonlage und Charakter, bellt und brüllt. Bereits bei 5250 Touren soll das maximale Drehmoment 175 Newtonmeter betragen, bei nur 7750/min satte 160 PS bereitstehen.

Wahnsinn, dieser Schub beim Ausdrehen, fühlt sich wie ein Ritt auf einem Torpedo an. Als Nachfolger der K 1300 GT sind BMWs 1600er-Flaggschiffe die weltweit stärksten Super-Tourer. Verbrauchsoptimierung war ein zentrales Entwicklungsziel, durch die Minimierung der bei einem Sechszylinder höheren inneren Reibung und durch hohe Verdichtung von 12,2 zu eins. 4,5 Liter auf hundert Kilometer soll die GT bei konstant Tempo 90 konsumieren, 4,6 Liter die GTL. Somit dürfte der 24-Liter-Tank der GT - die GTL bunkert gar 26,5 Liter Eurosuper - einen großen Aktionsradius erlauben.

Für Gran Tourismo, für großartiges Touren, bürgen die schluckfreudigen Fahrwerke. Stets satt und stabil liegen die 1600er auf der Straße. Sensationell, wie ihre Federelemente selbst bucklige Feldwege vermeintlich zu topfebenen Pisten glatt bügeln. Bodenwellen in der Kurve, bewusst provozierte Lastwechsel am Scheitelpunkt, alles egal. Unerschütterlich ziehen die beiden Kreuzfahrtschiffe ihre Bahn. Noch komfortabler sind die Federelemente im ansonsten unveränderten Fahrwerk der GTL abgestimmt. Sehr wirkungsvoll ist die elektronische Feder-Dämpferverstellung ESA II für 740 Euro als Extra ab Werk. Es passt das Fahrwerk auf Knopfdruck in neun praxisgerechten Stufen an die Gegebenheiten von Asphalt, Zuladung und Fahrweise an.

319 Kilogramm gibt BMW für die GT an, ohne Serien-Koffer und mit 90 Prozent Treibstoff an Bord. 348 Kilogramm wiegt die GTL, Koffer, Topcase und neun Zehntel Tankinhalt inklusive. Dies ergäbe hier wie dort rund 200 Kilogramm Zuladung, bei 0,54 und 0,56 Bruttoregistertonnen zulässigen Gesamtgewichts. Nach solch schierer Masse fühlen sich die Dickschiffe allein beim Wenden und Rangieren an. In Fahrt scheint sich locker ein ganzer Zentner zu verflüchtigen, so frech rollen beide ums Eck. Beschwingt, handlich und zielgenau.

Wenn die GT-Fußrasten schleifen, ist man ganz schön schräg unterwegs. Der für die 1600er modifizierte Hinterreifen Metzeler Z8 Interact in Sonderkennung „C“ haftet gut und rollt mit seinem 190/55er-Querschnitt schön rund ab. Kräftig und gut dosierbar beißen die Bremsen zu. Vor allem vorn regelt das serienmäßige ABS sehr feinfühlig. Der Bremsnickausgleich durch das Duolever hält den Dampfer extrem stabil, gibt wie das geringe Aufstellmoment beim Bremsen in Schräglage und die optionale Traktionskontrolle ein Gefühl der Sicherheit.

Wer die GT 1300 kennt, fühlt sich an Deck der 1600er sofort heimisch. Man sitzt sehr ähnlich, thront 81 oder 83 Zentimeter hoch im verstellbaren, beheizbaren Sattel. Auf Wunsch gibt’s niedrigere Sitzbänke, bis hin zu 75 Zentimetern. Das ist die Standard-Sitzhöhe der einteiligen Komfort-Sitzbank der GTL mit ihrer ausgeprägten Sitzmulde und Lendenwirbelabstützung samt heizbarem Soziussitz. Für sie sind höhere Ausführungen zu haben. Die aufrechtere GTL-Ergonomie im US-Stil erinnert an die K 1200 LT: Lenker weiter hinten, Fußrasten tiefer und weiter vorn platziert. Dazu ist die GTL-Scheibe höher und größer.

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Ganz hochgefahren schauen kleinere Kapitäne ständig durchs Plexiglas. Dann herrscht himmlische Ruhe, kann man der serienmäßigen Audioanlage der GTL lauschen. Allerdings produziert die Scheibe hoch gestellt deutlichen Sog, tanzen Windwirbel um die Schultern. Phänomenal wirkt die bordeigene „Klimaanlage“, ausstellbare Windleitflügel rechts und links im Verkleidungsoberteil. Sie kühlen den Rumpf des Fahrers selbst bei tropischen Temperaturen. Bei ausgeschalteter Zündung fährt der Windschild automatisch ganz runter, Anti-Einklemm-Funktion inklusive, als Diebstahl- Schutz fürs Garmin-Navi (650 Euro).

Nach Starten des Motors fährt die Scheibe dann per Memory-Funktion in die zuletzt gewählte Position zurück. Ausstattung und Details setzen neue Maßstäbe. Da lassen sich die geräumigen Gepäckboxen vom Lenker aus zentral verriegeln und sind trotzdem abnehmbar. Schnittstellen für MP3, USB, iPod, Bluetooth und andere Audio-Geräte erfüllen höchste Ansprüche an Entertainment und Kommunikation; Lautsprecher auf der Brücke sind bei der GTL Serie. Premiere: Im Cockpit prangen alle Infos des Bordcomputers und zu den gewählten Einstellungen in einem 5,7 Zoll großen TFT-Farbdisplay - selbst bei hoch stehender Sonne bestens ablesbar.

Im Bug leuchten zwei H7-Fernleuchten mit unverwechselbaren LED-Augenringen und serienmäßig ein Xenon-Abblendlicht. Seine Linse bewirkt automatischen Niveauausgleich per Niveau-Sensoren an beiden Federbeinen. Eine Weltneuheit ist das adaptive Kurvenfahrlicht, um die Fahrbahn effektiver auszuleuchten. Sein Schwenkspiegel kompensiert Schräglagen bis 25 Grad, für 850 Euro Aufpreis - im Paket mit Traktionskontrolle und Reifendrucksensoren.

19900 Euro kostet der Power-Tourer GT, 21850 Euro der Luxusliner GTL in der Basisversion. Eine Honda Gold Wing kostet ab 28300 Euro.

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Technische Daten

Motor

Wassergekühlter Sechszylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 52 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 740 W, Batterie 12 V/19 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Kardan, Sekundärübersetzung 2,75.

Kraftübertragung

Bohrung x Hub 72,0 x 67,5 mm, Hubraum 1649 cm³, Verdichtungsverhältnis 12,2:1, Nennleistung 118,0 kW (160 PS) bei 7750/min, Max. Drehmoment 175 Nm bei 5250/min

Fahrwerk

Brückenrahmen aus Aluminium, Doppellängslenker aus Alumi- nium, Federbein (mit ESA: verstellbare Zugstufendämpfung), Zweigelenk-Einarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung (mit ESA: verstellbare Federbasis, Federrate und Zugstufendämpfung)

Räder und Bremsen

Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 320 mm, Zweikolben-Festsattel, Teilintegral-Bremssystem mit ABS. Aluminium-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17, Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17

Maße und Gewicht

Radstand 1618 mm, Lenkkopfwinkel 62,2 Grad, Nachlauf 106 mm, Federweg v/h 135/115 mm, Sitzhöhe 810/830 mm (750 mm), Leergewicht 319 kg (348 kg) Tankinhalt 24,0 (26,5) Liter. Farben Rot-/Graumetallic (Silber-/Blaumetallic)

Preis

19.900 (21.850) Euro, Nebenkosten ca. 262 Euro

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