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Leitartikel Die Winzer-Zeitschrift Mai 2019 3 Bodenpflege will wohlüberlegt sein Die nachfolgenden Ausführungen bildeten das Schlusswort von Dr. Edgar Müller, DLR Rhein- hessen-Nahe-Hunsrück, anlässlich seines Vor- trags „Bodenpflege im Klimawandel“ bei der Kreuznacher Wintertagung und beim mittelrhei- nischen Weinbautag. Sie ergänzen die zweiteilige Schriftfassung dieses Vortrags in dieser und in der letzten Ausgabe der DWZ – Die Winzer- Zeitschrift. Der Klimawandel macht es nicht erfor- derlich, die Bodenpflege neu zu erfin- den. Vieles, was in der Vergangenheit schon richtig und angemessen war, bleibt dies auch zukünftig. Allerdings verschiebt sich die Gewichtung man- cher Probleme, zum Beispiel die Ver- schärfung der Erosionsproblematik und eine kürzere Winterruhe in den Böden, was Anpassungen erforderlich macht. Mir missfällt ein allzu sehr von Dogmen und Ideologie geprägter Weinbau, bei dem die Gefahr droht, dass um des Prinzips willen naturwissenschaftlicher Sachverstand unter die Räder gerät und durch zum Weltbild passende Wunschvorstellungen ersetzt wird. Mir missfällt auch der zunehmende Einfluss einer von viel Naivität und Unwissenheit geprägten „öffentlichen Meinung“ auf die Gestaltung von Bewirtschaf- tungskonzepten, wobei die Medien mehrheitlich eine verhängnisvolle Rolle spielen, weil von Ausge- wogenheit und Kompetenz in der Berichterstattung meist keine Rede sein kann. Eine den heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht werdende Bodenpflege ohne Herbizidein- satz, die mit den wichtigsten in diesem Vortrag skizzierten Zielen in Einklang steht, ist zweifellos auf vielen Flächen möglich. Das gilt aber nur dann, wenn mechanische Bearbeitungsmaßnah- men durchdacht und zurückhaltend durchgeführt werden und wenn neben dem Ziel einer Bewuchs- beseitigung auch die damit einhergehenden Nebenwirkungen bedacht werden. „Zu oft, zu früh, zu spät, in einer dafür ungeeigneten Fläche“ – das sind die Ursachen und in der Realität zu beobach- tende Fehlentwicklungen, die aus einer an sich höchst begrüßenswerten Technik ein Problem machen können. Eine ausgeglichene Humusbilanz auf hohem Niveau, ohne größere Humus- und Nährstoffzu- fuhr von außen, ist das übergeordnete Ziel, mit dem sich die meisten der angesprochenen Probleme reduzieren ließen. Dazu müssen wir Nährstoffver- luste minimieren und den mit der Mineralisation einhergehenden Humusabbau auf das für die N-Ver- sorgung der Rebe notwendige Maß reduzieren. Gleichzeitig gilt es, die Möglichkeiten des Humus- aufbaus vor Ort durch intelligente Begrünungs- strategien zu nutzen. Die zentralen Zielsetzungen der Dünge-VO (Reduzierung des Nitrateintrags in Grundwasserkörper und des Phosphateintrags in Oberflächengewässer) lassen sich leichter er- reichen und ihre weinbaulichen Konsequenzen (deutlich eingeschränkte Möglichkeiten der Humus- und Nährstoffzufuhr) bleiben weniger fol- genschwer, wenn Bodenbearbeitungsmaßnahmen auf ein enges Zeitfenster (ca. April bis Juni/Juli) be- grenzt bleiben. Dieses Vorhaben würde durch die Möglichkeit des Einsatzes eines Nachauflaufherbi- zids erleichtert. Es gibt somit triftige Gründe, die eine Kombination von zurückhaltender Bodenbe- arbeitung mit einem ebenso zurückhaltenden Herbizideinsatz für Boden und Umwelt nicht nur als akzeptabel, sondern je nach Rahmenbedingungen sogar als vorteilhaft erscheinen lassen. Wer völlig zurecht „Boden- und Gewässerschutz“ fordert, wäre daher gut beraten, das Thema „Nachauflauf- herbizide im Weinbau“ etwas differenzierter zu betrachten, als das derzeit in Deutschland der Fall ist. Sollte dem Weinbau kein Nachauflaufherbizid mehr zur Verfügung stehen, droht die Gefahr einer Ent- wicklung, die in mancherlei Hinsicht das Gegenteil dessen bewirken könnte, was eigentlich gewollt ist. Viele Kritiker leiden in Bezug auf die Thematik unter dem Problem eines verengten Blickfelds. Missiona- rischer Eifer oder schlichtweg fehlende Kenntnis größerer Zusammenhänge, in vielen Fällen wahr- scheinlich beides gemeinsam, lassen es nicht zu, die Auswirkungen und Konsequenzen dessen zu erkennen, was gefordert wird. Im Hinblick auf im Raum stehende Forderungen eines Glyphosatverbots dürfen wir auch die Flächen nicht vergessen, auf denen ein Wegfall eventuell sogar die Fortführung des Weinbaus gefährden würde. Viele dieser Flächen haben einen außeror- dentlichen Wert für unsere Kulturlandschaft, für die Natur im weitesten Sinne und nicht zuletzt für das Bild des deutschen Weinbaus. Ich bin mir sicher, dass den meisten derjenigen, die seit zwei Jahren vehement das Verbot von Glyphosat fordern, nicht klar ist, welche Konsequenzen ein Er- folg ihrer Bemühungen im Hinblick auf Weinbau und Umwelt haben könnte. „Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende“, diesen be- reits im neuen Testament zu findenden Ratschlag möchte man ihnen zurufen. Es wäre fatal, in einigen Jahren Äußerungen nach dem Motto „hätten wir das gewusst“ zu hören. Diese Wissenslücke sollen meine heutigen Aus- führungen vorbeugend schließen. Und ich will mir in einigen Jahren auch nicht den Vorwurf machen müssen, zu einem Zeitpunkt, an dem man mög- licherweise noch hätte Einfluss nehmen können, nichts gesagt zu haben. Dr. Edgar Müller

Bodenpflege will wohlüberlegt sein - Weingut Weingart...tue es klug und bedenke das Ende“, diesen be-reits im neuen Testament zu findenden Ratschlag möchte man ihnen zurufen. Es

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Leitartikel

Die Winzer-Zeitschrift • Mai 2019 3

Bodenpflege will wohlüberlegt seinDie nachfolgenden Ausführungen bildeten dasSchlusswort von Dr. Edgar Müller, DLR Rhein-hessen-Nahe-Hunsrück, anlässlich seines Vor-trags „Bodenpflege im Klimawandel“ bei derKreuznacher Wintertagung und beim mittelrhei-nischen Weinbautag. Sie ergänzen die zweiteiligeSchriftfassung dieses Vortrags in dieser und in der

letzten Ausgabe der DWZ – Die Winzer-Zeitschrift.Der Klimawandel macht es nicht erfor-derlich, die Bodenpflege neu zu erfin-den. Vieles, was in der Vergangenheitschon richtig und angemessen war,bleibt dies auch zukünftig. Allerdingsverschiebt sich die Gewichtung man-cher Probleme, zum Beispiel die Ver-schärfung der Erosionsproblematik undeine kürzere Winterruhe in den Böden,was Anpassungen erforderlich macht. Mir missfällt ein allzu sehr von Dogmenund Ideologie geprägter Weinbau, bei

dem die Gefahr droht, dass um des Prinzips willennaturwissenschaftlicher Sachverstand unter dieRäder gerät und durch zum Weltbild passendeWunschvorstellungen ersetzt wird. Mir missfälltauch der zunehmende Einfluss einer von viel Naivität und Unwissenheit geprägten „öffentlichenMeinung“ auf die Gestaltung von Bewirtschaf-tungskonzepten, wobei die Medien mehrheitlicheine verhängnisvolle Rolle spielen, weil von Ausge-wogenheit und Kompetenz in der Berichterstattungmeist keine Rede sein kann. Eine den heutigen und zukünftigen Anforderungengerecht werdende Bodenpflege ohne Herbizidein-satz, die mit den wichtigsten in diesem Vortrag skizzierten Zielen in Einklang steht, ist zweifellosauf vielen Flächen möglich. Das gilt aber nurdann, wenn mechanische Bearbeitungsmaßnah-men durchdacht und zurückhaltend durchgeführtwerden und wenn neben dem Ziel einer Bewuchs-beseitigung auch die damit einhergehenden Nebenwirkungen bedacht werden. „Zu oft, zu früh,zu spät, in einer dafür ungeeigneten Fläche“ – dassind die Ursachen und in der Realität zu beobach-tende Fehlentwicklungen, die aus einer an sichhöchst begrüßenswerten Technik ein Problem machen können. Eine ausgeglichene Humusbilanz auf hohem Niveau, ohne größere Humus- und Nährstoffzu-fuhr von außen, ist das übergeordnete Ziel, mit dem sich die meisten der angesprochenen Probleme reduzieren ließen. Dazu müssen wir Nährstoffver-luste minimieren und den mit der Mineralisationeinhergehenden Humusabbau auf das für die N-Ver-sorgung der Rebe notwendige Maß reduzieren.Gleichzeitig gilt es, die Möglichkeiten des Humus-aufbaus vor Ort durch intelligente Begrünungs-strategien zu nutzen. Die zentralen Zielsetzungender Dünge-VO (Reduzierung des Nitrateintrags in Grundwasserkörper und des Phosphateintrags

in Oberflächengewässer) lassen sich leichter er-reichen und ihre weinbaulichen Konsequenzen(deutlich eingeschränkte Möglichkeiten der Humus- und Nährstoffzufuhr) bleiben weniger fol-genschwer, wenn Bodenbearbeitungsmaßnahmenauf ein enges Zeitfenster (ca. April bis Juni/Juli) be-grenzt bleiben. Dieses Vorhaben würde durch dieMöglichkeit des Einsatzes eines Nachauflaufherbi-zids erleichtert. Es gibt somit triftige Gründe, dieeine Kombination von zurückhaltender Bodenbe-arbeitung mit einem ebenso zurückhaltenden Herbizideinsatz für Boden und Umwelt nicht nur alsakzeptabel, sondern je nach Rahmenbedingungensogar als vorteilhaft erscheinen lassen. Wer völligzurecht „Boden- und Gewässerschutz“ fordert,wäre daher gut beraten, das Thema „Nachauflauf-herbizide im Weinbau“ etwas differenzierter zu betrachten, als das derzeit in Deutschland der Fallist.Sollte dem Weinbau kein Nachauflaufherbizid mehrzur Verfügung stehen, droht die Gefahr einer Ent-wicklung, die in mancherlei Hinsicht das Gegenteildessen bewirken könnte, was eigentlich gewollt ist.Viele Kritiker leiden in Bezug auf die Thematik unterdem Problem eines verengten Blickfelds. Missiona-rischer Eifer oder schlichtweg fehlende Kenntnisgrößerer Zusammenhänge, in vielen Fällen wahr-scheinlich beides gemeinsam, lassen es nicht zu,die Auswirkungen und Konsequenzen dessen zu erkennen, was gefordert wird.Im Hinblick auf im Raum stehende Forderungen eines Glyphosatverbots dürfen wir auch die Flächennicht vergessen, auf denen ein Wegfall eventuell sogar die Fortführung des Weinbaus gefährden würde. Viele dieser Flächen haben einen außeror-dentlichen Wert für unsere Kulturlandschaft, für dieNatur im weitesten Sinne und nicht zuletzt für dasBild des deutschen Weinbaus. Ich bin mir sicher, dass den meisten derjenigen, dieseit zwei Jahren vehement das Verbot von Glyphosatfordern, nicht klar ist, welche Konsequenzen ein Er-folg ihrer Bemühungen im Hinblick auf Weinbau undUmwelt haben könnte. „Was auch immer du tust,tue es klug und bedenke das Ende“, diesen be-reits im neuen Testament zu findenden Ratschlagmöchte man ihnen zurufen. Es wäre fatal, in einigen Jahren Äußerungen nachdem Motto „hätten wir das gewusst“ zu hören. Diese Wissenslücke sollen meine heutigen Aus-führungen vorbeugend schließen. Und ich will mirin einigen Jahren auch nicht den Vorwurf machenmüssen, zu einem Zeitpunkt, an dem man mög-licherweise noch hätte Einfluss nehmen können,nichts gesagt zu haben.

Dr. Edgar Müller

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Weinbau

Die Winzer-Zeitschrift • April 201926

Über die Anforderungen der Bodenpflege, desBoden- und Umweltschutzes in Zeiten des Klima-wandels berichtete Dr. Edgar Müller, DLR Rhein-hessen-Nahe-Hunsrück, in 2 Teilen. Dieses Thema behandelte Dr. Müller in seinen Vorträgenauf der Kreuznacher Wintertagung und beim Mittelrheinischen Weinbautag.

Die mit der Bewirtschaftung von Böden ein-hergehenden Maßnahmen verfolgen eineganze Reihe von Zielen. Sie lassen sich in

drei Komplexe einordnen:– Erhaltung bzw. im Bedarfsfall Verbesserung der

Bodenfunktionen (Bodenfruchtbarkeit).– Vermeidung/Reduzierung von Belastungen für

die Umwelt und die Allgemeinheit.– Deckung der spezifischen Bedürfnisse von

Reben hinsichtlich deren Nährstoff- und Wasserversorgung sowie für das Rebwachs-tum wichtiger bodenphysikalischer Para-meter (Gasaustausch, Durchwurzelbarkeit, …)unter Beachtung der oenologischen An-forderungen an die Beschaffenheit der Trauben.

Jeder Ziel- bzw. Problemkomplex beinhaltet zahlreiche Einzelziele, zwischen denen sich Zielkonflikte ergeben. Bei der unausweichlichenSuche nach Kompromissen müssen die Ziele gewichtet werden. Was muss auf jeden Fall er-reicht, was darf in Kauf genommen und was muss unter allen Umständen vermieden wer-den?Die Zielsetzungen gelten unabhängig davon, un-ter welchen klimatischen Bedingungen die Bewirt-schaftung der Rebflächen stattfindet. Allerdingshaben diese Bedingungen einen Einfluss auf dieBrisanz und damit auch Gewichtung der Probleme.Damit haben sie auch Auswirkungen auf die gebotenen Maßnahmen.

Problemfelder und Ziele der Bodenpflege

Wahrung bzw. im Bedarfsfall Verbesserung derBodenfunktionen (Bodenfruchtbarkeit).

„Der Boden ist eines der kostbarsten Güter derMenschheit. Er ermöglicht es, Pflanzen, Tieren undMenschen auf der Erdoberfläche zu leben … DerBoden ist ein nur begrenzt vorhandenes Gut undleicht zerstörbar.“

Nüchtern, aber dennoch Ehrfurcht gebietend, be-schreibt die Europäische Bodencharta von 1972die Rolle des Bodens in unserer modernen Welt.Sie animiert dazu, sich der Verantwortung be-wusst zu werden, die die Bewirtschaftung von Bö-den birgt und welchen Stellenwert Bodenschutzgenießen muss. Maßnahmen zum Schutz des Bo-dens und seiner Funktionen liegen darüber hinausim ureigenen Interesse des Bewirtschafters, fallser über den Tag hinaus denkt. Im Übrigen bestehtfür den Bewirtschafter nicht nur eine ethische,sondern, z. B. in Form des Bundes-Bodenschutz-gesetzes, auch eine rechtliche Verpflichtung, As-pekten des Bodenschutzes große Beachtung zuschenken.

Das Bewusstsein um die Notwendigkeit von Bo-denschutz erscheint bitter notwendig, denn der„Produktionsfaktor Boden“ ist nicht einfach einervon vielen. Verglichen mit anderen Produktions-faktoren (Arbeit, Kapital, Gebäude, Maschinen)zeichnet er sich durch wichtige Besonderheitenaus:– Seine Menge ist endlich. Darüber hinaus

konkurriert die Nutzung für landwirtschaft-liche Zwecke mit alternativen Verwendun-gen (Wald, schutzwürdige Flächen, Verkehrs-flächen …).

– Er kann unwiderruflich geschädigt oder gar zer-stört werden. Je nach Art und Ausmaß einer

Schädigung ist dieWiederherstellungder Bodenfunktionennicht oder nur mitsehr hohem Aufwandbzw. über sehr langeZeiträume möglich.

– Er ist nicht ersetzbar.Selbstverständlichlassen sich heuteauch auf künstli-chen Substraten Nah-rungsmittel erzeugen,aber ein vollständi-ger Ersatz landwirt-schaftlicher Nutzflä-chen ist utopisch undwürde im Weinbauden Gedanken des„Terroirs“ ad absur-dum führen.

Bei Schädigungen (das Bundes-Bodenschutzge-setz spricht von „schädlichen Veränderungen“)gilt es, zwischen reparablen und irreparablen,nicht mehr wiedergutzumachenden Schädigun-gen zu unterscheiden. Es bedarf keiner Betonung,dass letzteren eine ganz besondere Beachtung zu-kommt.

Wodurch ist Bodenfruchtbarkeit bedroht?Massive Bodenverluste durch Erosion können Böden nicht nur schädigen, sondern zerstören.Welche Form der Bodenschädigung könnteschlimmer sein als das Verschwinden des Bodensan sich? Weltweit findet Erosion in beängstigen-dem Ausmaß statt. In Mitteleuropa dominiert die Erosion durch Was-ser. Mit jedem Erosionsereignis verschwindet zu-dem nicht nur Boden, sondern auch Wasser, dasmöglicherweise für das Pflanzenwachstum introckneren Witterungsphasen fehlt. Die mit derErosion einhergehende Verfrachtung von Nähr-stoffen (insbesondere P) ist nicht nur ein weinbau-liches, sondern in noch stärkerem Maße ein öko-logisches Problem (s. u.).Der Erosion durch Wind, der global in einigen Re-gionen der Erde eine noch größere Bedeutung zu-kommt, spielt bei uns, bezogen auf die gesamteWeinbaufläche, eine untergeordnete Rolle. Aller-dings kann es z. B. auf schluffigen LössstandortenRheinhessens vorrangig im Spätwinter und zeitigen Frühjahr bei Trockenheit und stürmischerWitterung auch zu „Staubstürmen“ und damit zuBodenabträgen kommen. Erosionsereignisse durch Wasser kommen in zweiFormen vor:Spektakulär sind die in der Regel kleinräumig auf-tretenden „Erosionskatastrophen“ in Form mehroder weniger tiefer Gräben als Folge lokaler Un-wetter, oft begünstigt durch eine mangelhafteoder beeinträchtigte bergseitige Wasserführung.Derartige Ereignisse sind häufig Auslöser für einÜberdenken der bisherigen Bewirtschaftungs-praxis. Verglichen mit der nachfolgenden Erosi-onsform lassen sie sich über eine veränderte Be-wirtschaftung jedoch kaum vermeiden. Wenn sichz. B. bedingt durch eine fehlerhafte Wasserfüh-rung ein Sturzbach in einen Weinberg ergießt, sindschwere Schäden unausweichlich.Erosionsereignisse, die auf weniger Aufmerksam-keit stoßen, sind eigentlich das größere Problem.Damit ist die sogenannte schleichende Erosion ge-meint. Mehr oder weniger große, schon bei nurmoderatem Starkregen und oftmals mehrmaligjährlich auftretende Bodenablagerungen in talsei-

Bodenpflege in Zeiten des Klimawandels – Teil 1

„Das wichtigste Ziel der Bodenpflege bestehtdarin, den Boden an Ort und Stelle zu halten“.Gäbe es ein „Grundgesetz für die Bodenpfle-ge“, wäre dieser Satz als Präambel bestensgeeignet. Ein Bodenpflegesystem, dass Ero-sionsprozesse über das unabänderliche Maßhinaus zulässt, kann kaum für sich in An-spruch nehmen, als nachhaltig bezeichnet zuwerden. Das Ziel der Minimierung von Erosi-onsrisiken ist daher allen anderen Zielsetzun-gen übergeordnet.

Wiederkehrender moderater Erosionsprozess unter einer nur schwach ge-neigten feinsandigen Rebfläche. Foto: Dr. Müller

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Weinbau

Die Winzer-Zeitschrift • April 2019 27

tigen Wegen, ohne größere Gräben in den Rebflä-chen, sind in vielen Gemarkungen ein alltäglicherAnblick. Dabei kann nur darüber spekuliert wer-den, wie viel Boden in räumlicher Nähe abgelagertund wie viel mit dem Wasser abtransportiert wurde und für braun-rote Bäche gesorgt hat. Die Beobachtung, dass es oft immer die gleichenFlächen sind, die betroffen sind, ist ein Indiz fürden Einfluss der Bodenpflege. Ein paar trockeneTage und eine größere Anzahl darüber fahrenderFahrzeuge lösen das Problem häufig zwar nicht inLuft, aber doch in Staub auf. Dann gilt „aus denAugen aus dem Sinn“. Während die Ursachen für die insbesondere inSteillagen anzutreffenden punktuellen „Erosions-katastrophen“ häufig außerhalb des Weinbergsliegen, ist die schleichende Erosion oft wenigereine Folge der Hängigkeit als vielmehr eines un-zureichenden Infiltrations-(Versickerungs)vermö-gens der Böden. Es handelt sich um ein „wein-bergsinternes“ Problem. Bei besonders erosions-anfälligen humusarmen, verschlämmungsgefähr-deten feinsandig-grobschluffigen Böden (z. B.Löss), sind mitunter schon bei 2-5% Hangneigung wiederkehrende Erosionsprozesse zu beobachten(Abbildung 1). Auf sehr bindigen („klebrigen“) tonigen Böden hält sich die Verfrachtung von Erdehingegen oft in Grenzen. Grobsandige und insbe-sondere sehr steinige Böden sind aufgrund ihreshohen Infiltrationsvermögens ebenfalls wenigergefährdet.Der häufig sehr hohe Steinanteil vieler Steillagenverleiht ihnen ein sehr hohes Infiltrationsvermö-gen (Abbildung 2) und dämpft die kinetische Ener-gie eines eventuell einsetzenden Abflussprozes-ses (ständige Umlenkung des Wassers). Die ver-breitete Vorstellung „je hängiger, desto erosions-gefährdeter“ gilt nur unter der Voraussetzungidentischer Bodenbeschaffenheit. Ansonstenkommt, abgesehen von brettebenen Flächen, derBodenbeschaffenheit und Bodenpflege vielfacheine größere Bedeutung zu als der Hängigkeit.Schädigungen der Bodenstruktur bilden ein wei-teres Problemfeld. Böden können ihrer Funktionfür das Rebenwachstum nur gerecht werden,wenn sie ein stabiles ausreichend großes Poren-volumen mit unterschiedlich großen Poren auf-weisen. Das ist die Basis eines intakten Wasser-haushalts (Infiltrations- und Wasserspeicherver-mögen) und eines funktionierenden Gasaus-tauschs. Ist der Boden zu stark verfestigt, ist derEindringwiderstand für Rebwurzeln zu hoch. Wäh-rend die „chemischen Ansprüche“ an den Boden(Bereitstellung von Nährstoffen) vergleichsweisegering sind, haben Rebwurzeln hohe Ansprüchean die „physikalische Beschaffenheit“ (Porosität,Gasaustausch, Eindringwiderstand …).Die wichtigsten Gefahren für die Bodenstruktursind Verdichtung und Verschlämmung. Das wie-derkehrende Befahren der gleichen Fahrspurenüber lange Zeiträume setzt Weinbergsböden ei-nem besonderen Verdichtungsrisiko aus. Rad-schlupf in Hanglagen verschärft das Problem. DieVerdichtung verschlechtert die Eignung des Bo-dens als Bewurzelungsraum und erhöht aufgrundder abnehmenden Infiltrationsfähigkeit das Erosi-onsrisiko. Während das Problem der Sackungsver-

dichtung in Fahrspurenjedem Winzer bewusstist, wird das Problem derEinlagerungsverdich-tung unterschätzt. Da-runter versteht man dasEinspülen an der Boden-oberfläche vorhandenerfeiner Bodenteilchen indas Porensystem des Bo-dens. Auf diese Weisewerden Poren zuneh-mend verengt bzw. ver-stopft. Infiltrationsver-mögen und Wasserspeicherfähigkeit gehen zu-rück. Wichtigste Auslöser dafür sind eine instabileKrümelstruktur in Kombination mit einer vor Stark-regen ungeschützten Bodenoberfläche. Als wich-tigster „Strukturkiller“ erweist sich dabei eine zuhäufige und/oder zu intensive fein krümelnde Be-arbeitung der Böden. Verschlämmung und Ver-dichtung sind somit die wichtigsten Ursachen vonErosionsprozessen. Prinzipiell lassen sich Verdichtungen wieder behe-ben, allerdings wird das umso schwieriger, je tiefersie in den Boden reichen. Oberflächliche Boden-strukturprobleme lassen sich durch ein durch-dachtes Bodenpflegemanagement langfristig wie-der beheben. Auf sehr sauren Böden kann eineKalkung aufgrund der Ton- und Humusteilchenvernetzenden Wirkung von Ca++- und Mg++-Ioneneinen wichtigen Beitrag leisten.Verstünde man unter Bodenpflege nur die Summealler damit einhergehenden Bewirtschaftungs-maßnahmen könnte man das Thema „Boden-schadstoffe“ ausklammern. Legt man den Begriffaber etwas weiter aus, gehört zur „Pflege einesBodens“ auch die Minimierung derartiger Ein-träge. Dabei wäre zwischen Schadstoffen zu un-terscheiden, die abbaubar sind und daher als prinzipiell reversible Schädigung einzustufen sindund solchen, die im Boden nicht abbaubar sindund deren potenzielle Schadwirkung damit auchkaum reparabel ist. Vor diesem Hintergrund stelltaus naturwissenschaftlicher Sicht die prinzipielleAblehnung synthetisierter organischer minerali-sierbarer (abbaubarer) Kohlenstoff/Wasserstoff-Verbindungen als Pflanzenschutzwirkstoffe unddie Bevorzugung eines auf den meisten Böden inbereits kritischen Mengen anzutreffenden Metalls(Cu) als Alternative dazu eine schwer nachvoll-ziehbare Sichtweise dar. Eine Verdünnung vonSchadstoffen (z. B. durch Verlagerung in die Tiefe,sofern sie denn erfolgen kann, oder durch horizon-tale Verfrachtung über Erosion (s. u.) stellt sicher-lich nicht die wünschenswerte Form einer Pro-blemlösung dar.Auch eine Verarmung der biologischen Aktivitätstellt eine Form von Bodenschädigung dar. Sie istwichtig für die Erhaltung einer intakten Boden-struktur und spielt eine bedeutsame und vielfälti-ge Rolle für die Freisetzung von Nährstoffen undbeim Abbau unerwünschter organischer Verbin-dungen. Allerdings ist eine Optimierung und keineMaximierung der biologischen Aktivität das Ziel!Letztere kann zu einer übermäßigen Freisetzungvon Nährstoffen, allen voran Stickstoff, aus der or-

ganischen Masse des Bodens führen. Dabei drohtauch die Gefahr, dass der Boden langfristig an Hu-mus verarmt. Eine zu hohe biologische Aktivitäthat den Charakter eines „Strohfeuers“. Eine damitausgelöste zu starke Mineralisation von organi-scher Masse in CO2, H2O und pflanzenverfügbareNährstoffe entspricht – zieht man den ökonomi-schen Sektor als Analogie heran –dem Verzehr desKapitals (Humusabbau größer als Humusbildung)anstatt des Lebens von den Zinsen (Nutzung derbei der Mineralisation freigesetzten Nährstoffeunter Wahrung eines Gleichgewichts zwischen Humusabbau und Humusbildung). Insofern kanneine übermäßige Förderung der biologischen Aktivität durchaus zu einer langfristigen Boden-schädigung beitragen!

Vermeidung/Reduzierung von Umweltbelastungen

Beeinträchtigungen bzw. unerwünschte Beein-flussungen der Umwelt durch Bodenpflegemaß-nahmen können sowohl kleinräumigen Charakteraufweisen als auch von globaler Bedeutung sein.Auch hier seien nur die wichtigsten erwähnt:a) Erosionsprozesse sind nicht nur, wie bereits er-

wähnt, ein Problem für die Fläche, von der sieausgehen, sondern ein Problem für die Allge-meinheit.Ein zu geringes Infiltrationsvermögen der Bö-den erhöht Hochwasserrisiken.Wasser, das in die Böden nicht eindringenkann, fehlt nicht nur den Nutzpflanzen, son-dern es kann auch die Grundwasserkörpernicht speisen – ein potenzielles Problem für die Wasserversorger.Mit Erosionsprozessen wird Phosphat in Ober-flächengewässer gespült, eventuell auch dieReste noch nicht abgebauter bzw. nicht abbau-barer Pflanzenschutzmittel. Vor allem derPhosphateintrag stellt aufgrund einer übermä-ßigen Anregung des Wachstums von Algen undWasserpflanzen (Eutrophierung) eine massiveBeeinträchtigung der Gewässerqualität dar. Ein Beispiel für den Problemmix von Erosionund nicht abbaubaren Substanzen, die im Falleeiner überhöhten Konzentration als „Schad-stoff“ zu bewerten sind, spielt sich seit einigerZeit in der Verbandsgemeinde Rhein-Selz ab,wobei davon auszugehen ist, dass es andern-orts ähnliche Situationen geben könnte. Rück-haltebecken, deren Aufgabe es ist, aus denWeinbergen abgetragenes Erdreich aufzufan-gen, sind mittlerweile zu einem medien- und

Ein extrem hohes Infiltrationsvermögen eines derartigen Bodens macht schleichende Erosion zum Fremdwort. Foto: Dr. Müller

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Die Winzer-Zeitschrift • April 201928

öffentlichkeitswirksamen Politikum geworden.Das aufgefangene Erdreich (mehrere tausendTonnen) ist so hoch mit Kupfer (überwiegendAltlasten aus dem Zeitraum zwischen ca. 1900und 1960) belastet, dass bei Beachtung derRechtslage ein Aufladen und Zurückfahren inden Weinberg nicht mehr möglich ist. Stattdes-sen droht eine Millionen teure Entsorgung alsSondermüll. In einen ähnlichen Kontext ist auch die im letz-ten Sommer zu beobachtende spektakuläreGrünfärbung der Mosel als Folge einer Anrei-cherung von Cyanobakterien einzuordnen. Sieist zu einem wesentlichen Teil das Ergebnis derKombination von hohen Wassertemperaturenmit Nährstoffreichtum, insbesondere P-Erosi-onsprozesse spielen für den P-Eintrag eineSchlüsselrolle.

b) Eine zu starke Ankurbelung der biologischenAktivität kann zu einer übermäßigen Freiset-zung von Stickstoff aus der organischen Masseführen. Insbesondere in Zeiträumen, in denendieser Stickstoff von Reben oder einem zu ge-ringem, nicht wachsendem oder fehlendem Bodenbewuchs nicht aufgenommen werdenkann, stellt dies aufgrund der hohen Wasser-löslichkeit des gebildeten Nitrats eine Gefahrfür die Grundwasserqualität dar.

c) Der CO2-Anstieg in der Atmosphäre und die da-mit einhergehende globale Erwärmung (Treib-hauseffekt) stellt derzeit das größte globaleUmweltproblem dar. Von erheblicher Bedeu-tung ist es in diesem Zusammenhang, ob Bö-den als sink oder als source für CO2 fungieren,d. h. ob sie langfristig CO2 binden oder abge-ben. Im Wege der Fotosynthese wird der LuftCO2 entzogen und der daraus gewonnene Koh-lenstoff dient zum Aufbau organischer Sub-stanz in Form pflanzlicher Masse. Humusbil-dung aus den Reststoffen toter Pflanzenmasseentzieht der Atmosphäre somit CO2. Beim Humusabbau wird dieser Kohlenstoff als CO2

wieder freigesetzt (Abbildung 3). Als Humusbilanz bezeichnet man den Saldo zwi-schen Humusaufbau aus organischen Rohstoffendurch Humifizierungsprozesse einerseits und Hu-musabbau durch Mineralisation andererseits. Ver-

fügt ein Boden über eine positive Humusbilanz(Humusbildung durch Humifizierung größer alsHumusabbau durch Mineralisation), trägt das zueiner Entschärfung des Problems bei. Für eine negative Humusbilanz gilt das Gegenteil. Verän-derte landwirtschaftliche Praktiken, die in derLage wären, global großflächig die Humusgehaltevon Böden zu erhöhen, erfahren vor diesem Hin-tergrund zunehmende Beachtung, da sie einenwesentlichen Beitrag zur Minderung des CO2-Pro-blems leisten könnten.Die klimaschädigende Wirkung einer humuszeh-renden Bodenpflege ist den wenigsten Winzernbekannt oder wird zumindest unterschätzt. DieMehrzahl würde bei der Frage nach der potenziellklimaschädigenden Wirkung eine Bodenbearbei-tung auf die CO2-Emissionen durch den Kraftstoff-verbrauch des Schleppers verweisen. Verglichenmit der den Humusabbau begünstigenden Wir-kung einer mechanischen Bodenbearbeitung istdie jedoch vernachlässigbar. Nachfolgende Kalku-lation verdeutlicht dies:– 1% Humus entspricht bei einem weitgehend

steinfreien Boden bezogen auf den Oberboden(0 bis 30 cm) eines Hektars einer Humusmassevon ca. 45 t (Berechnung: 10.000 m2 x 0,3 m xca. 1,5 t/m2 = 4.500 t Boden/ha; davon 1% Humus = 45 t Humus/ha).

– Angesichts eines durchschnittlichen Kohlen-stoffgehalts im Humus von 58% wären das 0,58 x 45 t/ha = 26 t/ha gebundener Kohlen-stoff.

– Würde diese Kohlenstoffmenge beim Abbaudieser Humusmenge, also bei der Verringerungdes Humusgehaltes um 1% (absolut), in Formvon CO2 freigesetzt, läge die gebildete CO2-Menge bei 95 t.

– Da die Verbrennung von 1 l Dieselkraftstoff ca.2,62 kg CO2 freisetzt, ist die klimaschädigendeWirkung des Abbaus einer derartigen Humus-menge mit der klimaschädigenden Wirkungdes Verbrennens von 36.000 l Dieselkraftstoffgleichzusetzen!

Die große „Klimasünde“ einer fachlich fragwürdi-gen bzw. unnötigen Bodenbearbeitung ist somitweniger der Kraftstoffverbrauch und die damit ein-hergehende CO2-Freisetzung als vielmehr die CO2-

Freisetzung durch unnö-tigen Humusabbau.

Weinbaulich/oenologische Anforderungen

Aus Sicht des Winzerssind die Erzielung einesfür die Reben bedarfsge-rechten Wasser- undNährstoffangebotes undgünstiger bodenphysi-kalischer Bedingungendie wichtigsten Ziele von Bodenpflegemaßnah-men. Mechanische Lo-ckerungsmaßnahmen,eventuell einhergehendmit der Beseitigung von

Bodenbewuchs, verringern die Wasserverduns-tung sowohl der Bodenoberfläche als auch des Bo-denbewuchses und verbessern die Versorgungs-situation für die Reben. Die Ankurbelung der Mi-neralisation erhöht das Nährstoff- insbesondereStickstoffangebot an die Reben. Diese Vorgängesind mit der sprichwörtlichen „Medaille mit zweiSeiten“ vergleichbar. Nährstofffreisetzung ist dieschillernde Vorderseite, der damit einhergehendeHumusverlust die dunkle Rückseite.Besteht seitens der Reben entsprechender Be-darf, insbesondere für Stickstoff, ist die Ankurbe-lung der Mineralisation wünschenswert, da sie einen wichtigen Beitrag zur Deckung des Bedarfsleisten kann. In vielen Fällen kann er vollständiggedeckt werden. Auf gut mit Humus versorgtenBöden (ca. 1,8 bis 3% Humus bezogen auf das Ge-samtbodenvolumen) ist bei einer Mineralisations-rate von 1 bis 2% (jährlicher Abbau von 1 bis 2%der vorhandenen Humusmenge) mit einer N-Frei-setzung in wünschenswerter Größenordnung zurechnen. Ist bei normaler Mineralisationsrate derHumusgehalt zu hoch oder bei den oben genann-ten Humusgehalten die Mineralisationsrate zuhoch und erst recht natürlich, wenn beide Wertesehr hoch sind, ist mit einer überhöhten Freiset-zung und weinbaulich und oenologisch nachteili-ger Überversorgung zu rechnen. Analoges im Hin-blick auf eine Unterversorgung gilt selbstver-ständlich, wenn die Humusgehalte und/oder dieMineralisationsrate deutlich unter den genanntenWerten liegen. Die zielgerichtete Beeinflussung der Minerali-sation ist das wichtigste Merkmal einer ziel-orientierten und nachhaltigen Bodenpflege. DerWinzer sollte dabei seine Einflussmöglichkeitenkennen. Neben einer Reihe anderer Einflussfakto-ren (z. B. pH-Wert, C/N-Verhältnis, Durchfeuch-tung, Erwärmbarkeit …) kommt der Durchlüftungdes Bodens eine zentrale Rolle zu. Sie wird durchdie Intensität und Häufigkeit von Bodenlocke-rungsmaßnahmen stark beeinflusst. Je häufigerdie Mikroorganismen einer vitalisierenden Sauer-stoffdusche ausgesetzt sind, desto höher ist dieMineralisationsrate. Die auf diese Weise mög-liche Beeinflussung der Mineralisation hat so-wohl einen weinbaulich/oenologischen Aspekt(Über- oder Unterversorgung) als auch Umwelt-aspekte (insbesondere Nitrateintrag ins Grund-wasser).Die Neuregelung der Düngeverordnung (DüV) imJahr 2017 bringt einen weiteren wichtigen Aspektins Spiel. Die Umweltproblematik der Verfrach-tung von N und P in Grundwasser- und Oberflä-chenwasserkörper, bei P wesentlich begünstigtdurch die hohe Versorgung der meisten Wein-bergsböden, macht eine Zügelung der Zufuhr die-ser Nährstoffe durch Düngungsmaßnahmen not-wendig. Dies wurde durch die DüV umgesetzt. Daalle Humusdünger neben organischer Substanzausnahmslos auch mehr oder weniger hohe N-und P-Gehalte aufweisen, ergibt sich aus der Deckelung der Nährstoffgaben auch eine Decke-lung der Möglichkeiten zur Humuszufuhr. Im Hinblick auf die Bodenpflege ergibt sich darausein simpler Grundsatz: „Was man nicht verliert,muss man nicht ersetzen“. Die Ankurbelung der

Abbildung 3: Der Kohlenstoffkreislauf

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Weinbau

Die Winzer-Zeitschrift • April 2019 29

Mineralisation durch Bodenbearbeitung über dasfür eine bedarfsgerechte Versorgung der Rebennotwendige Maß hinaus oder außerhalb des Zeit-fensters dieses N-Bedarfs führt zu unnötigen N- und Humusverlusten, was allein schon ein mas-sives ökologisches Problem wäre. Verschärfendkommt aber hinzu, dass es aufgrund der Neurege-lung der DüV schwieriger geworden ist, unnötigeHumusverluste durch Humuszufuhr von außenwieder zu kompensieren.Bodenbewuchs kann auch ohne mechanische Ein-griffe in den Boden durch Mähen/Mulchen odermittels Herbiziden eingedämmt werden. Ziel ist u. a. die Vermeidung einer übermäßigen Nähr-stoff- bzw. Wasserkonkurrenz. Höherer Bewuchskann auch das Mikroklima in der Anlage zu Un-gunsten der Rebengesundheit beeinträchtigen.Bei jungen Reben sollte auch eine übermäßigeLichtkonkurrenz vermieden werden. Entschei-dungskriterium für die Durchführung einer Maßnahme muss dabei das „Wohlergehen derRebe“ und nicht das „Wohlergehen des Winzers“sein. Noch immer finden sich Flächen, bei denen maneher das Gefühl hat, bei den durchgeführten Maß-nahmen hätten weniger die Bedürfnisse der Re-ben, als vielmehr fragwürdige Vorstellungen desBewirtschafters hinsichtlich solcher Begriffe wie„sauber, ordentlich, gepflegt oder akkurat“ im Vor-dergrund gestanden. Nicht alles, was Winzer stört,stört auch die Rebe. Schon allein die Beachtungdieser simplen Devise könnte dazu beitragen,manchen Unfug zu vermeiden.

Was bringt der Klimawandel?

Immer wieder ist zu hören „die Sommer werdentrockener und heißer“. Stimmt das tatsächlich?Die beiden nachfolgenden Tabellen zeigen die Entwicklung der Temperaturen und der Nieder-schläge in Dekaden in Bad Kreuznach seit 1960.Aufgrund fehlender Daten ist das Jahr 1964 nichtberücksichtigt.Die zu beobachtenden Tendenzen decken sichweitgehend mit den an anderen Stationen im süd-westdeutschen Raum festgestellten Veränderun-gen, so dass auf die Darstellung weiterer Datenverzichtet werden kann.

Bei der Betrachtung der einzelnen Dekaden zeigtsich, dass sich bis in die 80er Jahre wenig verän-dert hat. Die Tatsache, dass 1987 das letzte Wein-jahr mit unbefriedigenden Mostgewichtsleistun-gen war, ist kein Zufall. Seit Anfang der 90er Jahrespiegeln sich die Klimaveränderungen sowohl inphänologischen Daten wie auch in den Wetter-daten wieder. Vergleicht man den Zeitraum vor Be-ginn der sich im Weinbau bemerkbaren klimati-schen Veränderungen um das Jahr 1990 mit demZeitraum danach, sind beachtliche Temperatur-steigerungen insbesondere im Frühjahr und Som-mer zu beobachten. Die beiden kühlen Jahre 2010und 2013 haben dafür gesorgt, dass die Tempera-tursteigerung im aktuellen Jahrzehnt nicht fortge-schritten ist. Die in den letzten Jahren gelegentlichin den Medien zu lesende Vermutung „macht derKlimawandel Pause?“ wird vordergründig bestä-tigt, kann aber aufgrund der Wirkung von lediglich2 „Ausreißern“ in 9 Jahren weder untermauertnoch widerlegt werden.Die zweite Tabelle zeigt die Niederschlagsentwick-lung, die viele überraschen dürfte. Ungewöhnlicherscheinen die für die 1970er Jahre zu verzeichnen-den geringen Niederschlagssummen. Ein Hinweisauf fehlerhafte Daten ließ sich jedoch nicht finden.Entgegen verbreiteten Vermutungen ist kein Rück-gang der Niederschläge zu verzeichnen. Tenden-ziell ist sogar das Gegenteil der Fall. Der Anstiegerfolgte insbesondere in den Herbst- und Winter-monaten, während sich im Frühjahr und Sommerkeine relevanten Veränderungen zeigen. Auch diese Trends stimmen mit den in Rheinland-Pfalzverzeichneten Durchschnittsdaten überein.Allerdings kann man im Gegensatz zu den Tempe-raturen nicht von einem klaren Trend sprechen.Dafür sind die der Tabelle nicht zu entnehmendenSchwankungen zwischen den einzelnen Jahrenviel zu hoch. Vordergründig könnte man aus den Zahlen ableiten, dass die verbreitete Sorge vorSommern, die den Reben Trockenstress besche-ren, unbegründet ist. Dem ist jedoch nicht so:– Böden mit geringer Wasserspeicherkapazität

profitieren von den im Herbst und Winter fal-lenden stärkeren Niederschlägen kaum, da siedie entsprechenden Wassermengen nicht spei-chern können. Sie sind stärker auf ausreichen-

den und regelmäßigen „Nachschub“ währendder Hauptbedarfsphase im Sommer angewie-sen. In diesem Zeitraum ist jedoch kein merk-licher Anstieg erkennbar.

– Unterschätzt wird der verbrauchssteigernde Effekt höherer Temperaturen und stärkerer Besonnung. Auch die Sonnenscheinstundensind seit Anfang der 90er Jahre deutlich ange-stiegen.

– Daten von Versicherern deuten auf eine Zunah-me von Hagelrisiken hin. Daraus darf die Ver-mutung abgeleitet werden, dass auch Starkre-genereignisse zunehmen. Einige Studien zurEntwicklung von Starkregenereignissen leidenunter dem Dilemma, das in den vergangenenJahrzehnten kaum Daten aus systematischenAufzeichnungen derartiger Ereignisse vorlie-gen. Tendenziell bestätigen sie jedoch die ver-breitete Vermutung, dass die Sommernieder-schläge vermehrt in Form von Starkregen undweniger in Form von flächendeckendem Land-regen fallen. Kommt es zum Abfluss von Ober-flächenwasser, begünstigt das nicht nur die bereits erwähnten Erosionsprobleme, sondernreduziert auch den Wassereintrag in den Bo-den. Die „Regennutzungseffizienz“ geht zu-rück.

Auch wenn es demnach derzeit keine Hinweise füreine Abnahme der Niederschläge in der Vegeta-tionsphase gibt, geben die geschilderten Verän-derungen doch Anlass zur Sorge. Niederschlags-mengen, die bisher für eine ausreichende Versor-gung der Reben ausreichten, reichen möglicher-weise zukünftig immer häufiger nicht mehr aus.Der Autor dieser Zeilen ist kein Klimaforscher undenthält sich daher Prognosen. Im Internet findensich Simulationen renommierter Institutionen (z. B. die Seite www.klimafolgenonline.de desPotsdamer Instituts für Klimafolgenforschung)hinsichtlich dessen, was uns und die Reben in dennächsten Jahrzehnten erwartet. Demnach ist voneiner Fortsetzung der dargestellten Entwicklun-gen auszugehen.Der in der nächsten Ausgabe folgende zweite Teil

dieses Beitrags beschäftigt sich mit den Konse-

quenzen der bisherigen Ausführungen für eine

zukunftsorientierte Bodenpflege. �

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Tabelle 1: Durchschnittstemperaturen in Jahreszeiten [°C] in Bad Kreuz-nach seit 1960

Winter Frühjahr Sommer Herbst Gesamt- (Dez.-Feb.) (März-Mai) (Juni-Aug.) (Sept.-Nov.) jahr

60er 1,40 9,40 17,10 9,70 9,40

70er 1,60 8,90 17,70 9,40 9,50

80er 1,50 9,10 17,60 9,80 9,50

90er 2,00 10,00 18,60 9,40 10,00

00er 2,20 10,70 19,20 10,60 10,70

seit 2010 2,50 10,60 19,10 10,60 10,70

bis 1989 1,54 9,13 17,51 9,65 9,45

seit 1990 2,23 10,42 18,94 10,18 10,44

Verän- + 0,69 + 1,29 + 1,43 + 0,54 + 0,99 derung

Tabelle 2: Niederschlagssummen in Jahreszeiten [mm] in Bad Kreuz-nach seit 1960

Winter Frühjahr Sommer Herbst Gesamt- (Dez.-Feb.) (März-Mai) (Juni-Aug.) (Sept.-Nov.) jahr

60er 112,0 122,0 210,0 140,0 584,0

70er 93,0 107,0 147,0 102,0 449,0

80er 117,0 130,0 154,0 131,0 532,0

90er 120,0 103,0 152,0 155,0 529,0

00er 117,0 148,0 185,0 147,0 597,0

seit 2010 139,0 113,0 193,0 142,0 578,0

bis 1989 107,1 119,4 168,9 123,9 519,4

seit 1990 125,0 122,9 174,0 145,9 567,8

Verän- + 17,8 + 3,50 + 5,10 + 22,0 + 48,4 derung

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Die Winzer-Zeitschrift • Mai 201934

Der erste Teil dieses Beitrags beschäftigte sich

mit den Problemfeldern und grundsätzlichen Zie-

len der Bodenpflege sowie mit den klimatischen

Veränderungen. Im zweiten Teil beschreibt Dr.

Edgar Müller, DLR Rheinhessen-Nahe-Hunsrück,

Bad Kreuznach, die daraus resultierenden Kon-

sequenzen.

Die in Teil 1 skizzierten Zielsetzungen bergenzahlreiche Zielkonflikte. So wäre z. B. maximaler Erosionsschutz und eine posi-

tive Humusbilanz mit einer ganzflächigen (inkl.Unterstockstreifen) und ganzjährigen Begrünungleicht erreichbar. Vor dem Hintergrund einer be-darfsgerechten Nährstoff- und Wasserversorgungwäre ein derartiges System jedoch auf den meisten Standorten weinbaulich inakzeptabel.Eine differenzierte Darlegung standortabhängigsinnvoller Bodenpflegekonzepte würde in Anbe-tracht der Vielfalt den Rahmen dieser Abhandlungsprengen. Nachfolgend daher nur ein paar grund-sätzliche zum Nachdenken anregende Überlegun-gen zu einigen Aspekten von besonderer Wichtig-keit.

Die Bodenpflege in der GasseDas System der Dauerbegrünung jeder zweitenGasse und Offenhaltung der anderen Gassen ist inRheinland-Pfalz das am häufigsten anzutreffendeBodenpflegesystem. Es kombiniert die Vorteilebeider Systeme, wie z. B. Gewährleistung der Befahrbarkeit in Nässephasen sowie die Vermei-dung übermäßiger Wasser- und Nährstoffkonkur-renz in Trockenphasen. Kombiniert werden aberauch ihre jeweiligen Nachteile. Eine dauerhafte

Offenhaltung jeder zweiten Gasse birgt Gefahrenfür deren Bodenstruktur und begünstigt die daraus resultierenden Risiken.Bodenlockerungsmaßnahmen in der offenen Gas-se nach der Lese sind grundsätzlich abzulehnen(Abbildung 1). Der auf leichten Böden nicht notwendige, auf schweren Böden durchaus ge-gebene positive Effekt einer „Frostgare“ wird ökologisch so teuer erkauft (Nitratfreisetzung, Humusabbau, CO2-Freisetzung), dass er nur inAusnahmefällen zu rechtfertigen ist. Ein solcherAusnahmefall wäre zum Beispiel die Tiefenlocke-rung verdichteter Fahrspuren in einem trockenenHerbst (guter Lockerungseffekt) mit nicht wen-denden Geräten (Tiefengrubber, Parapflug). Mandarf davon ausgehen, dass ein großer Teil der ausdem Weinbau resultierenden Nitratbelastung desGrundwassers nicht das Ergebnis einer unsachge-mäßen Düngung als vielmehr das Ergebnis einerunsachgemäßen Bodenpflege ist, wobei die un-reflektierte Bearbeitung von Böden, außerhalb der Stickstoffbedarfsphase der Reben, den größ-ten aller denkbaren Fehler darstellen dürfte.Die Problematik wird durch den Klimawandel ver-schärft. Er trägt dazu bei, dass die Zeitspanne inden Wintermonaten, in denen die mikrobiologi-sche Aktivität in den Böden aufgrund zu tiefer Bodentemperaturen ruht, immer kürzer wird. Dieökologisch verhängnisvollen Auswirkungen, dieMineralisation ankurbelnder Lockerungsmaßnah-men im Herbst, werden dadurch immer größer!Kurzzeitbegrünung im Sommer offener Gassen

Mehr als das bisher schon üblich ist, sollte in die-sen Gassen mit Herbst- oder Winterbegrünungs-einsaaten gearbeitet werden. Herbstbegrünun-

gen (z. B. Gelbsenf ) schossen noch im Herbst undfrieren oder reifen in den Wintermonaten ab, wäh-rend Winterbegrünungen (z. B. Winterraps) denWinter als kleine Pflanzen überdauern und dannim nachfolgenden Frühjahr schossen.Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile, aberinsbesondere auf Flächen, auf denen sorten- undstandortbedingt üblicherweise relativ früh gele-sen wird, spricht vieles für die Herbstbegrünung.Sie bildet im Frühjahr keine Wasserkonkurrenz mitmöglicherweise fatalen Folgen für die Wasserver-sorgung in den Sommermonaten.Die Chancen steigen, dass die Pflanzen abreifenund verholzen. Im strohigen Zustand kann die ge-bildete Pflanzenmasse einen deutlich höheren Bei-trag zur Humusbildung leisten können, als das fürim Frühjahr abgemähte grüne Pflanzenmasse gilt.Im Herbst wird wesentlich mehr im Boden nochvorhandener Stickstoff aufgenommen und vorAuswaschung geschützt, als dass für eine in die-sem Zeitraum noch spärliche Winterbegrünunggilt.Wird strohiges Pflanzenmaterial (Abbildung 2) imnachfolgenden Frühjahr grob und oberflächlicheingearbeitet, reduzieren die sich nur langsam abbauenden verholzten Pflanzenreste in dem offenen Boden die Verschlämmungs- und Ero-sionsgefahr in den Sommermonaten.Mit diesen Maßnahmen bzw. Effekten wird nichtnur mehreren in Teil 1 skizzierten bodenkundli-chen, ökologischen und weinbaulichen Forderun-gen Rechnung getragen, die aufgrund der klimati-schen Veränderungen an Bedeutung gewinnen.Sie sind auch eine sinnvolle Reaktion auf die Konsequenzen der Düngeverordnung. Da sieNährstoffverluste reduzieren und zu einer posi-tiven Humusbilanz beitragen können, schrumpftder Bedarf an Nährstoff- und Humuszufuhr von außen.Dauerbegrünungen – Flexibilität ist angesagt

Die Pflege dauerbegrünter Gassen sollte sich nicht auf ein jahrzehntelanges Mulchen/Mähenbeschränken. „Stupides Rasenmähen“ erlaubtkeine Reaktion auf standort- und jahrgangsspe-zifische Witterungsbesonderheiten. Ein flexiblesBegrünungsmanagement in Form der „gestörtenBegrünung“ mit nichtzerstörenden mechanischenEingriffen in die Begrünungsnarbe ermöglicht es,die Vorteile (z. B. Erosionsschutz, gute Befahrbar-keit) zu nutzen, ohne die Nachteile (z. B. Wasser-und Nährstoffkonkurrenz) in voller Härte in Kaufnehmen zu müssen.Auch „mehr walzen, weniger mähen“ ist eine Stra-tegie, die man verstärkt ins Auge fassen sollte. Obwohl mehrjährige exakte Versuchsergebnissefehlen, deuten Beobachtungen im Trockenjahr2018 darauf hin, dass mehrjährig gewalzte Anla-gen einen besseren Wasserversorgungsstatusaufwiesen als Flächen, in denen eine Grasnarbemehrmals gemäht und immer wieder zum Wachs-tum angeregt wird. Auch der beim Walzen durchdie Förderung von Verholzungsprozessen sich instärkerem Umfang bildende „Teppich“ aus Pflan-zenrückständen (Abbildung 3) dürfte für diese Beobachtungen einen Beitrag leisten.Die Anreicherung organischen Materials unter-schiedlichen Verrottungszustands in dem Über-

Bodenpflege in Zeiten des Klimawandels – Teil 2Anforderungen aus Sicht des Weinbaus, des Boden- und Umweltschutzes

Abbildung 1: Eine dauerhafte Offenhaltung jeder zweiten Gasse birgt Gefahren für deren Bodenstrukturund begünstigt die daraus resultierenden Risiken. Bodenlockerungsmaßnahmen in der offenen Gassenach der Lese sind grundsätzlich abzulehnen. Foto: Dr. Müller

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Die Winzer-Zeitschrift • Mai 2019 35

gangsbereich (Mulchschicht) zwischen Begrü-nung und dem eigentlichen Boden (beim Walzenmehr als beim Mähen) stellt jedoch auch ein Problem dar. Während der Standzeit bleiben N-Auswaschungsrisiken gering. Wird die Flächehingegen gerodet, rigolt oder gespatet und neubepflanzt, kann dies der Zündung einer Zeitbombeähneln. Die Einarbeitung großer Mengen organi-schen Materials in ein großes und gut belüftetesBodenvolumen kann dazu führen, das ein großerökologischer Nutzen der Dauerbegrünung (ver-minderte Nitratauswaschung) in den Jahrzehntendavor, binnen weniger Monate ins Gegenteil um-schlägt. Die intensive Mineralisation kann dann zuschockierend hohen Nitratkonzentrationen unddamit Auswaschungsrisiken führen. Allerdings,und das spräche für das Walzen, würde strohige-res Material bzw. daraus gebildete Huminstoffeein weites C/N-Verhältnis aufweisen. Die Zeitbom-be wäre zwar dicker, aber sie würde wenigerSprengstoff enthalten.Diese Gefahren lassen sich minimieren durch einen Wechsel dauerbegrünter und offen gehalte-ner/kurzzeitbegrünter Gassen in mehrjährigen Intervallen (Rotationsbegrünung) mit gelegent-lichen mechanischen Eingriffen in die Begrü-nungsdecke (gestörte Begrünung). Beide Maß-nahmen tragen dazu bei, dass sich in der Mulch-schicht keine extremen Mengen von organisch ge-bundenem Stickstoff ansammeln, die im Falle einer Neupflanzung schlagartig freigesetzt wür-den. Rodungen sollten zudem von langer Hand geplant werden. Eine vorhandene langjährigeDauerbegrünung sollte im Idealfall über mehrereJahre Schritt für Schritt gestört, aufgebrochen undschließlich umgebrochen werden. Die Stickstoff-freisetzung aus der organischen Masse verteiltsich dann auf mehrere Jahre und kann von den Reben genutzt werden. Eine Düngung kann in diesem Zeitraum unterbleiben.Darüber hinaus ist die Konzeption einer auf die in-dividuellen Besonderheiten des Standorts rück-sichtnehmenden „intelligenteren Bodenbearbei-tung“ während der Umtriebsphase eine wichtigeHerausforderung für die Zukunft. Einerseits gilt es,die Mineralisation nicht zu sehr anzukurbeln, bzw.freigesetzten N zu verwerten, andererseits soll

sich zumindest im Pflanzstreifen der Boden in einem Zustand befinden, der einen problemlosenEinsatz der Pflanzmaschine ermöglicht und jungen Reben guten Entwicklungsbedingungenbietet.

Bodenpflege im UnterstockstreifenMechanische Unterstockbodenpflege

Scheiben, Roll-/Sternhacken und Fingerhackenhaben in den letzten Jahren die Unterstockboden-pflege revolutioniert. Der Absatz der Geräteboomt. Verglichen mit ausschwenkenden Gerätensteht den Betrieben damit eine technisch einfa-chere, wenig störanfällige, zuverlässige und wirk-same Möglichkeit zur mechanischen Offenhaltungvon Unterstockstreifen einschließlich einer Be-wuchslenkung zur Verfügung. Nicht wenige Betriebe (denen das mehrheitlich aufgrund der Topographie und Bodenbeschaffenheit ihrer Reb-flächen leicht fällt!), haben, beflügelt durch dieGlyphosat-Diskussion der beiden letzten Jahre,diese Entwicklungen dazu genutzt, aus der An-wendung von Herbiziden ganz auszusteigen. Einwichtiger Grund dafür ist der bei einer zunehmendgrößeren Zahl von Winzern, vor allem aber in dermehrheitlichen öffentlichen Meinung, tief ver-wurzelte Gedanke, dass ein Herbizideinsatz(„Chemie“) prinzipiell abzulehnen sei, wenn dieBewuchskontrolle auch auf anderem Weg erreichtwerden kann. Manche Betriebsleiter berichten darüber auf den Webseiten ihrer Betriebe vollerStolz und bei Facebook konnte man von einem be-geisterten Betriebsleiter z. B. lesen, dass „dieScheibe im Sommer immer mitläuft“. Erste Wein-güter werben mit einer glyphosatfreien Produk-tion und Einzelne bewerben sogar ihren glypho-satfreien Wein. Verzicht auf Herbizideinsatz gehört seit Jahrzehnten sozusagen zur DNA desbiologischen Weinbaus und bildet eines der wich-tigsten Abgrenzungsmerkmale. Manche Einschätzungen und Kommentare erwe-cken den Eindruck, „der Stein der Weisen“ hin-sichtlich der Unterstockbodenpflege sei gefun-den. Die genannten Geräte stellen sozusagen die„moderne Form der Hacke“ dar und was kann amHacken eines Bodens schon schlecht sein. Der mitder Hacke arbeitende Mensch ist schließlich das

Synonym für Landbewirtschaftung überhaupt. Mitmechanischen Lösungen zur Bodenbearbeitung,egal ob althergebrachte Hacke oder moderneTechnik am Schlepper, verbinden nur wenige potenzielle Risiken für Boden oder Umwelt.Allerdings funktioniert auch diese Technik nichtimmer reibungslos. In den zahlreichen Videoclips,z. B. bei Youtube oder Facebook, findet der Einsatzfast nur unter Idealbedingungen statt: Weitge-hend ebene Flächen, kaum Seitenhang oder garKleinterrassen, allenfalls moderater Bewuchs,keine schweren zur Klumpenbildung neigenden,sondern locker zerfallende Böden. Von großenSchollen, auf denen vorhandener Bewuchs fröhlich weiterwachsen kann oder verstopftenRoll- oder Fingerhacken ist nichts zu sehen.Solche Probleme sind vielen Praktikern jedochdurchaus geläufig und sie reagieren: „Scheiben imSpätsommer“ beseitigt in der Reifephase uner-wünschten hohen Bewuchs im Unterstockstreifenund „Scheiben noch einmal nach der Lese bzw. im Winter“ soll dazu beitragen, die Entwicklungdes Unterstockbewuchses im Frühjahr etwas hinauszuzögern bzw. die Frostgare zu nutzen, um im Frühjahr eine bessere Arbeitsqualität zu gewährleisten. Die Argumente sind nachvollzieh-bar.Allerdings ist die Gefahr groß, dass diese Vorteilemit handfesten Nachteilen erkauft werden, denneine mit den genannten Geräten, mit dem Ziel einer Störung bzw. Beseitigung des Unterstock-bodenbewuchses, durchgeführte Bodenbearbei-tung beschränkt sich in ihren Wirkungen nicht aufdieses Ziel.Die verzögert einsetzende Ankurbelung der Mine-ralisation als Folge einer Bearbeitung im Frühjahrund Frühsommer ist aus weinbaulicher Sicht inden meisten Fällen wünschenswert. FreigesetzterStickstoff wird von Reben, teilweise auch von angrenzendem bzw. nachwachsendem Bewuchsaufgenommen.Unterstockbodenbearbeitung im Hoch- und Spätsommer kann je nach Rahmenbedingungen(Bodentemperaturen, Niederschlagsereignisse)zu einem um diese Jahreszeit für die Traubenge-sundheit nachteiligen Stickstoffschub führen. Dieökologischen Folgen halten sich zunächst noch in

Abbildung 2: Wird strohiges Pflanzenmaterial im nachfolgenden Frühjahr grob und oberflächlich eingearbeitet, reduzieren die sich nur langsam abbauendenverholzten Pflanzenreste in dem offenen Boden die Verschlämmungs- und Erosionsgefahr in den Sommermonaten. Fotos: Dr. Müller

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Die Winzer-Zeitschrift • Mai 201936

Grenzen, die weinbaulichen Folgen können hinge-gen fatal sein.Lockerungsmaßnahmen im Unterstockbereichnach der Lese bzw. über Winter haben den glei-chen Nachteil, wie die bereits erwähnten Locke-rungsmaßnahmen in der Gasse. Sie sind abzuleh-nen!Neben fragwürdigen Einsatzzeiträumen birgt auchdie Häufigkeit, mit der die genannten Geräte inmanchen Betrieben mittlerweile zum Einsatz kom-men, aus bodenkundlicher und ökologischer SichtProbleme:Die Lebensbedingungen für größere Bodenorga-nismen verschlechtern sich, wenn „Wohnraum“bzw. Nisträume in kurzen Abständen immer wie-der zerstört werden. So sind z. B. bei Böden, diezu oft bewegt werden, nachteilige Wirkungen aufim Boden nistende Wildbienenarten (ca. 70%) be-obachtet worden. „Wem in kurzen Abständen dieHütte abgerissen wird, der neigt dazu, wegzuzie-hen“.Auch wenn die erwähnten Geräte als relativ struk-turschonend einzustufen sind, droht bei einer zuhäufigen mechanischen Bearbeitung eine schlei-chende Schädigung der Bodenstruktur. Humusge-halt und Krümelstruktur leiden und nach anfäng-lichem mikrobiologischem Strohfeuer auf langeSicht betrachtet dann auch die mikrobiologischeAktivität. Gerade vor dem Hintergrund des Klima-wandels droht die Bodenfruchtbarkeit durch einerhöhtes Erosionsrisiko langfristig im wahrstenSinne des Wortes „den Bach runter zu gehen“ (Ab-bildung 4). In der Summe bleibt festzustellen, dass die Etab-lierung dieser Technik im Weinbau als begrüßens-werter großer Fortschritt zu bewerten ist. Dies istallerdings kein Freifahrschein für einen unreflek-tierten zügellosen Einsatz. Der Einsatz sollte nichtausschließlich davon abhängig gemacht werden,ob es Bodenbewuchs zu beseitigen bzw. vorzu-beugen gilt. Vielmehr sollte er sich vorrangig da-nach orientieren, ob eine Förderung der Minerali-sation und Beseitigung der Nährstoff- und Was-serkonkurrenz unter Abwägung der Vor- und Nach-

teile sinnvoll ist. Diese Denkweise ist manchen Anwendern dieser Technik noch fremd.Eine Alternative zur Bewuchslenkung durch Bodenbearbeitung kann der Einsatz ausschwen-kender Unterstockmäh- bzw. Mulchgeräte sein. Obwohl entsprechende Technik schon seit Jahr-zehnten angeboten wird, sind die Geräte nichtsonderlich verbreitet. Ein Grund ist sicherlich dieStörungsanfälligkeit insbesondere auf steinigenBöden. Wichtiger dürfte jedoch sein, dass damitBewuchs lediglich eingekürzt, aber nicht beseitigtwird. Insbesondere Gräser werden jedes Mal zu er-neutem Wachstum angeregt. Die Minderung derWasserkonkurrenz – im Gegensatz zur Bodenbe-arbeitung – unterbleibt weitgehend und eine Ankurbelung der Mineralisation findet nicht statt.In der Summe ergibt sich dadurch, verglichen mitder Unterstockbodenbearbeitung, ein wuchs-dämpfender Effekt, der umso stärker ausfällt, jeknapper die Niederschläge ausfallen. In Regionenmit reichlichem Niederschlagsangebot (z. B.Schwarzwaldrand) kann diese Technik eine er-wägenswerte Alternative darstellen.Mehr noch gilt dies für Bürstengeräte. Von Samen-unkräutern dominierter Bodenbewuchs wird relativ gut beseitigt. Der Effekt bei Gräsern ist ge-ringer. Sehr gute Effekte werden bei am Stammhochrankenden Unkräutern wie zum Beispiel Win-de erreicht. Hier können sie „Feuerwehrfunktion“haben. Auf steinigen Boden ist der Verschleiß derBürsten/Schnüre hoch. Dem daraus resultieren-den Eintrag von „Mikroplastik“ wurde bisher keineBeachtung geschenkt. Im Wege der Sensibilisie-rung für diese Problematik ist davon auszugehen,dass dies jedoch nicht so bleiben wird.Der auf befestigten Flächen sinnvolle Einsatz vonHitze, Heißwasser oder Heißschaum ist auf offe-nen Böden mit einer so großen Zahl offensichtli-cher Nachteile bzw. Probleme verbunden (hoherEnergieaufwand, hohe CO2-Emissionen, geringeFahrgeschwindigkeit, schlechte Wirkung auf grö-ßere Pflanzen oder Wurzelunkräuter), dass erkaum als ernsthafte Alternative zu bewerten ist.Ein mit einem rotierenden Hochdruckwasserstrahl

(1.000 bar!) arbeitendes, als „Graskiller“ bezeich-netes, Gerät, ist aufgrund der anspruchsvollenTechnik sehr teuer und erlaubt eine nur sehr ge-ringe Fahrgeschwindigkeit. Angaben des Herstel-lers, wonach der Wasserstrahl „wie ein Skalpell bisin 5 cm Tiefe Wurzeln durchschneidet“ lassen imHinblick auf die Auswirkungen für die Krümel-struktur und größere Lebewesen Böses erahnen.Chemische Unterstockpflege und die Diskussion

um Glyphosat

In den beiden letzten Jahren wurde in Deutschlandeine hitzige Diskussion um den Wirkstoff Glypho-sat geführt, der man Züge von Hysterie kaum ab-sprechen kann. Eine Vielzahl von Vorwürfen stehtim Raum. Es ist im Rahmen dieses Beitrags unmög-lich, im Detail darauf einzugehen und der Verfas-ser dieser Zeilen verfügt auch nicht über die Kom-petenz, alle Vorwürfe zu bewerten. Insofern sindnachfolgende Zeilen auch nicht als Versuch zu werten, alle Bedenken zu zerstreuen.Anlass zum Nachdenken gibt jedoch die Tatsache,dass sich viele Vorwürfe schon mit einem Mini-mum an naturwissenschaftlichem Sachverstandbzw. Informationsrecherche entkräften oder in ihrer Bedeutung relativieren lassen. Wer sich näher mit der Materie beschäftigt, kommt zu derErkenntnis, dass wichtige Sachverhalte einseitigdargestellt oder verschwiegen werden, da sie einen Teil der Kritik in Frage stellen würden. Dazunur zwei von zahlreichen Beispielen:So wird von Kritikern im Fall Glyphosat die Bedeu-tung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen weitge-hend ignoriert. Mit den heutigen Möglichkeitender Analytik ist, überspitzt formuliert „überall al-les nachweisbar“. Aus dem bloßen Nachweis einerSubstanz an einem Ort, an dem sie zweifellos nichtsein sollte (z. B. in Lebensmitteln), auf Gefahrenzu schließen, ist unseriös. Wer lebenslang täglichmehrere hundert Liter eines „mit Glyphosat be-lasteten Bieres“ aufnehmen müsste, um an einetoxikologisch relevante Belastung zu stoßen, hätte schon frühzeitig ein ganz anderes Prob-lem …Immer wieder wird von Kritikern darauf verwiesen,dass die IARC (Internationale Krebsforschungs-agentur der Weltgesundheitsorganisation) denWirkstoff in der Gefahrenstufe 2 als „wahrschein-lich karzinogen (krebsauslösend)“ eingestuft hat.Sofern es in Medien überhaupt erwähnt wird,stößt es auf Irritationen, dass fast alle anderen na-tionalen und internationalen Bewertungsbehör-den dem Wirkstoff kein krebserzeugendes Risikoattestieren. Den Wenigsten ist klar, das zwischenGefahrenbewertung (Aufgabe der IARC) und Risi-kobewertung (Aufgabe z. B. des BfR, Bundesinsti-tuts für Risikobewertung) ein fundamentaler Unterschied besteht. In einem Fall geht es um dieBewertung einer grundsätzlich möglichen Gefahr,im anderen Fall um die Bewertung des Risikos, in-wieweit aus einer Gefahr der Ernstfall wird. Wirsind umgeben von Dingen und Situationen, dieeine grundsätzliche Gefahr für Leib und Leben dar-stellen. Das gilt z. B. für ein Feuerzeug, ein Messer,eine Leiter, ein Fahrrad oder unfallträchtige Sport-arten. Sicherheitsvorschriften und -maßnahmenplus Verhaltensregeln (= Risikomanagement), dieauch für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln

Abbildung 3: Der beim Walzen durch die Förderung von Verholzungsprozessen sich in stärkerem Umfangbildende „Teppich“ aus Pflanzenrückständen dürfte einen wichtigen Beitrag leisten. Foto: Dr. Mülller

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Weinbau

Die Winzer-Zeitschrift • Mai 2019 37

existieren, sollen dafür sorgen, das aus einer mög-lichen Gefahr kein Ernstfall wird. Die Wahrschein-lichkeit einer Schädigung lässt sich dadurch so-weit reduzieren, dass niemand auf die Idee käme,aufgrund der erwiesenen Gefahr eines Fahrrad-sturzes das Verbot von Fahrrädern zu fordern. Ge-nau das glauben Kritiker von Glyphosat aus des-sen Einstufung durch die IARC ableiten zu müssen.Geradezu skurril wird diese Forderung, wenn man sich auf der Webseite der IARC (https://monographs.iarc.fr/agents-classified-by-the-iarc)darüber informiert, dass z. B. Wurstwaren, rotesFleisch, Alkohol, Senföle (z. B. in Rettich, Radies-chen), Sonnenstrahlung, Holz- und Lederstaub inder Gefahrenklasse 1 „krebserregend“ eingestuftsind. Bei diesen Substanzen bzw. Einflüssen be-steht an dem karzinogenen Potenzial, im Gegen-satz zu Glyphosat, demnach kein Zweifel! Den Genuss nachweislich krebserregender Inhalts-stoffe in Lebens- oder Genussmitteln nicht zuübertreiben, wäre in diesem Fall das „Risiko-management“.Mit derartigen Beispielen für die Fragwürdigkeitvieler Vorwürfe lassen sich nicht alle Bedenkenzerstreuen. Aber sie lassen erkennen, dass dieVorwürfe, denen der Wirkstoff ausgesetzt ist, teil-weise auf Unkenntnis wichtiger Zusammenhängebasieren. Vor allem aber sind sie offensichtlich inerheblichem Maß auch das Produkt einer prinzi-piellen Fundamentalopposition, bei der dogma-tisch-ideologische Überlegungen eine wichtigeRolle spielen, so dass die Kritik einen „feldzugar-tigen Charakter“ angenommen hat.Kaum Berücksichtigung findet in der öffentlichenDiskussion die Tatsache, dass ein rechtskonfor-mer und zurückhaltender Einsatz eines Nachauf-laufherbizids wie Glyphosat – im Weinbau gibt esderzeit und wohl auch in absehbarer Zukunft keineAlternative – durchaus dazu geeignet wäre, zur Lösung wichtiger, in diesem Beitrag skizzierter, Ziele beizutragen. Auch dazu zwei Beispiele:Die potenziellen Nachteile einer über das sinnvol-le Maß hinausgehenden Intensität und Häufigkeitvon Bodenlockerungsmaßnahmen im Unterstock-bereich im Hinblick auf weinbaulich unerwünschteund ökologisch problematische Stickstoff- undHumusverluste wurden dargestellt. Dass ausfrisch gelockerten Unterstockstreifen erhöhte Ero-sionsrisiken resultieren können, die umso größerwerden, je stärker langfristig die Bodenstrukturunter der zu häufigen Bearbeitung leidet, kannniemand bestreiten. Der Ersatz einer ausschließ-lich zum Zweck der Bewuchsbeseitigung durchge-führten Bodenbearbeitung durch ein Nachauflauf-herbizid kann diese Probleme verringern.Im letzten Jahr konnte man mehrfach von politi-schen Forderungen einer Ausweitung des ökolo-gischen Anbaus mit dem Ziel der Anhebung derHumusgehalte lesen. Man darf davon ausgehen,dass dabei insbesondere das oft vorbildliche Be-grünungsmanagement ökologisch wirtschaften-der Betriebe und der dort praktizierte Herbizidver-zicht als Automatismus und Garant für die Errei-chung dieses Ziels betrachtet wurden. So einfachsind – zumindest im Weinbau – die Dinge jedochnicht. Die Bodenpflege in der Fahrgasse zeichnetsich in „konventionellen Betrieben“ durch eine

große Bandbreite aus. Es gibt einerseits „Ewig-gestrige“, bei denen nach wie vor die offene Bo-denpflege dominiert. Es finden sich andererseitsaber auch Betriebe, bei denen die Bewirtschaf-tung der Fahrgasse sich kaum von derjenigen,ökologisch wirtschaftender Betriebe unterschei-det. Die Mehrzahl der konventionell wirtschaften-den Winzer agiert zwischen diesen beiden Extre-men. Begrünungsmanagement beschränkt sichim Wesentlichen auf „Rasenmähen“. Die erwähn-te Forderung, falls dabei überhaupt an den Wein-bau gedacht wurde, würde dem „konventionellenAnbau“ unterstellen, dass er in einer nicht mehrzeitgemäßen Form durchgeführt wird. Das kannsein, muss aber nicht sein. Wenn ein „konventio-nell“ arbeitender Betrieb in der Gasse ein Boden-pflegesystem praktiziert, das dem eines ökolo-gisch wirtschaftenden Betriebs nahekommt undim Unterstockbereich eine zurückhaltende me-chanische Bearbeitung mit einem ebenso zurück-haltenden Einsatz eines Nachauflaufherbizidskombiniert, sind die Voraussetzungen für Humus-aufbau und die Realisierung der übrigen in diesemBeitrag skizzierten Ziele besser als bei häufigerUnterstockbodenbearbeitung als notwendigeKonsequenz eines prinzipiellen Herbizidverzichts!Die in der Forderung sich spiegelnde plakative Vorstellung „Öko = gut für Humus“ und „konven-tionell = schlecht für Humus“ erweist sich, bezo-gen auf den Weinbau, als höchst fragwürdig.Fundamentalopposition gegen Glyphosat wird der komplexen Sachlage demnach nicht gerecht.Leider regiert in der Branche, in der Öffentlichkeit,in den Medien und auch in der Politik im Hinblickauf die Thematik zu sehr ein „schwarz-weiß-Den-ken“ im Sinne von „gut“ (ohne Herbizid) und„böse“ (mit Herbizid). Alle erwähnten Verfahrender Unterstockbodenpflege haben ihre Rechtfer-tigung und Vorteile, bergen im Falle eines durchunzureichende Sachkenntnis oder allzu dogma-tischen Denkens geprägten Einsatzes aber auchRisiken und Gefahren.Dass das Fehlen eines geeigneten Nachauflauf-herbizids die Bewirtschaftung mancher Flächenmassiv erschweren würde, bis hin zur Gefahr, dassihre weitere Bewirtschaftung infrage gestellt wird,dürfte jedem klar sein. Die Anmerkung steht zwarnicht in unmittelbarem Kontext zur Thematik die-

ses Beitrags, gehört aber in die Diskussion zur Be-wertung des Herbizideinsatzes. Insbesondere vie-le exponierte, kaum mechanisierbare, Steillagen-flächen, in denen ein vollständiger Herbizidver-zicht vielfältige Probleme für die Bewirtschaftungmit sich brächte, sind im Hinblick auf Fauna undFlora einzigartige Standorte. Das Projekt „Leben-dige Moselweinberge“ (https:// www.lebendige-moselweinberge.de) belegt dies eindrucksvoll.Die weinbauliche Nutzung (i. d. R. mit Herbizid-einsatz) solcher Flächen ist eine wichtige Voraus-setzung für ihren hohen ökologischen Wert hin-sichtlich Flora und Fauna, der durch Verbuschunggefährdet wäre. Die mit einem Herbizidverzichteinhergehende Erschwernis der Bewirtschaftunggefährdet dort die Fortführung des Weinbaus.Sollte dies eintreten, würde die Absicht, durch Her-bizidverbot „Gutes für die Umwelt zu tun“, das zu vernichten drohen, was man zu schützen be-absichtigt. Auch dieser Aspekt verdient in der Diskussion Beachtung.Fazit:

Das Gesamtziel aller Bemühungen, sowohl hin-sichtlich der Pflege der Gasse als auch des Unter-stockbereiches, sollte ein Bodenpflegesystemsein, das Nährstoffverluste minimiert, den Hu-musabbau reduziert und ihn durch Humusproduk-tion vor Ort weitgehend kompensiert, um dadurchZufuhren von Nährstoffen und Humus von außenauf ein Minimum reduzieren zu können. Das wäreder Schlüssel für die Lösung einer Vielzahl der indiesem Beitrag erörterten Probleme, von denenviele durch den Klimawandel verschärft werden.Gewarnt werden muss vor allzu sehr von Dogmengeprägten Bewirtschaftungskonzepten, bei de-nen die Gefahr droht, dass um des Prinzips willennaturwissenschaftlicher Sachverstand unter dieRäder gerät. Mit dem zunehmenden Einfluss einervon viel Naivität und Unwissenheit geprägten „öffentlichen Meinung“ auf die Gestaltung von Be-wirtschaftungskonzepten droht die Gefahr einerEntwicklung, die in mancherlei Hinsicht das Ge-genteil dessen zu erreichen droht, was eigentlichgewollt war. Wer „Boden- und Umweltschutz“ for-dert, wäre gut beraten, das Thema „Nachauflauf-herbizide im Weinbau“ etwas differenzierter zubetrachten, als das in Deutschland derzeit möglicherscheint. �

Abbildung 4: Eine zu häufige mechanische Bearbeitung führt zu einer schleichenden Schädigung derBodenstruktur. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels ist die Bodenfruchtbarkeit durch ein erhöhtes Erosionsrisiko langfristig gefährdet. Foto: Dr. Müller