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Brauchen wir in Bayern ein PsychKG - Gesetz für Hilfen und ... Stellungnahme PsychKHG PTK-1.pdf · und Jugendlichentherapeuten (PTK Bayern) Psychische Erkrankungen sind heute besser

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Page 1: Brauchen wir in Bayern ein PsychKG - Gesetz für Hilfen und ... Stellungnahme PsychKHG PTK-1.pdf · und Jugendlichentherapeuten (PTK Bayern) Psychische Erkrankungen sind heute besser

Brauchen wir in Bayern ein PsychKG - Gesetz für Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch kranke Menschen? Fachgespräch am 7. Juni 2013 im Bayerischen Landtag Position der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichentherapeuten (PTK Bayern) Psychische Erkrankungen sind heute besser diagnostizierbar und besser behandelbar als noch vor zwanzig Jahren, als das Bayerische Unterbringungsgesetz erlassen wurde. Auch der Blick darauf, was Menschen mit einer psychischen Erkrankung brauchen, um möglichst selbstbestimmt und bestmöglich behandelt ihren Platz in unserer Gesellschaft einnehmen zu können, hat sich gewandelt. Dazu haben auch aktuelle Rechtsprechungen sowie die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen beigetragen. Wenn die psychische Erkrankung eines Menschen Anlass zur Annahme gibt, dass sein Leben bedroht ist, oder dass Menschen in seinem Umfeld gefährdet sind, so muss in jedem Fall versucht werden, diese Bedrohung abzuwenden. Dabei muss die Selbstbestimmung der erkrankten Menschen aber so weit als möglich gewahrt und Zwang darf nur im geringst möglichen Maß angewendet werden. Um dies zu gewährleisten, ist das polizeirechtlich geprägte Unterbringungsgesetz durch ein Gesetz für Hilfe- und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke – PsychKG - zu ersetzen, wie es in nahezu allen anderen deutschen Bundesländern bereits erfolgt ist. Bezogen auf die Behandlung psychisch kranker Menschen mit Psychotherapie muss ein PsychKG für Bayern folgende Inhalte regeln:

1. Entscheidend zur Vermeidung von Zwangsunterbringungen sind die Hilfen im Vorfeld Die Situationen, in denen über eine Unterbringung entschieden werden muss, haben in aller Regel eine Vorgeschichte bzw. eine Entwicklung, innerhalb derer sich eine psychische Krise entwickelt. Diese Vorgeschichte bietet in vielen Fällen gute Ansatzpunkte, um Eskalationen zu verhindern oder zu reduzieren. Anlaufstellen für Menschen in psychischen Krisen sind bedarfsgerecht auszubauen, um eskalierte Situationen fachgerecht aufzufangen und Zwangsunterbringungen und -maßnahmen sowie stationäre Aufenthalte zu vermeiden. Derzeit fehlen insbesondere flächendeckende Krisendienste rund um die Uhr und gesicherte Sozialpsychiatrische Dienste mit Ärzt/innen und Psychotherapeut/innen. Auch die Möglichkeit von Akutsprechstunden im Sinne von kurzfristiger Abklärung, Indikation und Krisenintervention bei Psychotherapeut/innen und Psychiater/innen stellen wichtige Angebote zur Vermeidung von Unterbringungen dar und könnten die aktuell hohe Zahl der Zwangseinweisungen in Bayern reduzieren. Eine bessere Vernetzung und Koordination zwischen Institutionen wie etwa Krisendiensten oder Sozialpsychiatrischen Diensten und ambulant tätigen Fachkräften (Psychiater/innen, Psychotherapeut/innen) ist strukturell zu fördern. Der Einbezug der Angehörigen psychisch Kranker, wo sie Unterstützung und Stabilisierung sein können und wollen, ist regelhaft vorzusehen. Ein Ausbau und die weitere Differenzierung der präventiven Angebote sowie der Früherkennung von Menschen mit psychischen Belastungen muss über ein PsychKG in der Versorgung nachhaltig verankert und finanziert werden.

2. Die Selbstbestimmung psychisch erkrankter Menschen erhalten Viele psychisch kranke Menschen möchten stationäre Aufenthalte vermeiden, aus der Befürchtung oder Erfahrung heraus, dort eine Behandlung gegen ihren Willen zu erfahren. Dadurch werden psychische Belastungen und Krisen oft so lange ausgehalten, bis sie eskalieren und eine Einweisung erforderlich wird. Deshalb sind psychisch kranken Menschen ihre Rechte in jeder Behandlungsform ausführlich und ausdrücklich zu vermitteln, ihre Selbstbestimmung zu unterstützen und Zwangsmaß-nahmen weitestgehend zu vermeiden. Zusätzlich sind regelhaft individuelle Behandlungsverein-barungen zwischen den Kliniken, Behandler/innen und Patient/innen zu schließen, die den Willen der Erkrankten gegenüber den Behandelnden festschreiben und ihn so auch für Situationen zugänglich machen, in denen die selbstbestimmte Willensäußerung krankheitsbedingt nicht möglich ist. Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert hierzu auch eine entsprechende Regelung im bundesweiten Patientenrechtegesetz.

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3. Psychotherapie muss integraler Bestandteil der ambulanten, ambulant-komplementären und stationären Behandlung und Versorgung sein Die vorhandenen nationalen Versorgungsleitlinien und die Leitlinien von Fachgesellschaften, welche über die Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eingesehen werden können, stellen praxisbezogene und evidenzbasierte Empfehlungen zur Behandlung psychischer Störungen dar. Kern der Leitlinien bilden Fragen der Durchführung spezieller Behandlungsformen sowie zur Indikation verschiedener Behandlungssettings. In die Leitlinien fließen vor allem wissenschaftlich begründete Erkenntnisse ein. Die Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlungen ist für fast alle psychischen Erkrankungen sorgfältig wissenschaftlich untersucht und bestätigt worden. Es ist gut belegt, dass Psychotherapie unter anderem bei Angsterkrankungen, Depression, Sucht, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, posttraumatischen und weiteren Belastungsstörungen wirkt. Die Studien zeigen dabei, dass Patient/innen mit Psychotherapie sowohl kurzfristig eine deutliche Verringerung ihrer psychischen Beschwerden und eine Verbesserung der Lebensqualität erreichen als auch längerfristig stabile Behandlungserfolge erzielen. In den bisher von der AWMF veröffentlichten S3- bzw. S2-E-Leitlinien zu psychischen, aber auch zu einigen somatischen Erkrankungen hat Psychotherapie aufgrund von empirischen Wirksamkeitsnachweisen einen sehr hohen Stellenwert in der Krankenbehandlung. Im Sinne einer leitliniengerechten Behandlung von Patient/innen mit psychischen Störungen sollte Psychotherapie im Verlauf und in der Nachbetreuung von Unterbringungsmaßnahmen angeboten werden, um die Behandlungsbereitschaft und die Wahrscheinlichkeit eines positiven Verlaufs der Behandlung insgesamt zu erhöhen. Viele Metaanalysen belegen mittlerweile, dass eine Psychotherapie oder eine kombinierte Behandlung (medikamentös und psychotherapeutisch) störungsübergreifend die höchsten Effektstärken und die besten Behandlungsergebnisse erzielt und zusätzlich die Mitwirkung der Patient/innen stärken kann. Vor dem Hintergrund der Empfehlungen evidenzbasierter Leitlinien sollte Psychotherapie integraler Bestandteil der ambulanten, teilstationären und stationären Behandlung von Menschen mit psychischen Störungen darstellen. 4. Sektorenübergreifende Versorgung Das Versorgungssystem für Patient/innen mit psychischen Erkrankungen muss insgesamt durchlässiger gestaltet werden. Es sind die Voraussetzungen zu schaffen, dass die unterschiedlichen Berufsgruppen, welche an der Behandlung von Patient/innen mit psychischen Störungen beteiligt sind, gemeinsam und abgestimmt tätig werden können, unabhängig von ihrer institutionellen Verortung und Finanzierung. Die beteiligten Leistungsträger (GKV, überörtliche und kommunale Sozialhilfe- und Jugendhilfeträger) müssen sich auch für die Finanzierung der notwendigen Kooperationen und des Abstimmungsbedarfes verantwortlich zeigen. Übergänge von ambulanter zu stationärer Behandlung sind so zu gestalten, dass Behandlungskontinuität für Patient/innen unter psychotherapeutischer Behandlung gesichert ist. Dies bedeutet u.a. dass das ambulante Behandlungskonzept stationär systematisch berücksichtigt wird. Auch ein Aufrechterhalten der ambulanten Behandlungsbeziehung (personelle Kontinuität) im stationären Setting sollte ermöglicht werden.

Dr. Nikolaus Melcop Birgit Gorgas Präsident Mitglied des Vorstands