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Ich saß in einer Pre-digt von Theo Leh-

mann. Es war in ei-nem Kulturhaus inder Nähe von Chem-nitz. Der engagierteEvangelist sprachüber die Hölle. Das

war schon vor 20 Jahren eine absoluteSeltenheit. Ja, Theo Lehmann erklärteGläubigen und Ungläubigen, was Höl-le bedeutet, aber er machte ihnen dieHölle nicht heiß, sondern lud zumGlauben ein. Als ich nach der Predigtnoch mit ihm sprach sagte er, dass erbei diesem Thema am meisten Ärgervon seinen Amtsbrüdern bekommt,Pfarrern aus der Evangelischen Lan-deskirche.

Ende vergangenen Jahres wurde inFreiburg ein Jugendevangelist nachzwei JesusHouse-Abenden von derdortigen Evangelischen Allianz ausge-laden, weil er angeblich zuviel Druckauf die Zuhörer ausgeübt hätte. Erhätte unangemessen mit Gottes Zorngedroht. Die Veranstalter reagiertendamit auf Kritik aus der örtlichen Pres-se. In einer Stellungnahme in IdeaSpektrum vom 14.12.2010 schriebLutz Scheufler, selber Jugendevange-list der Landeskirche Sachsens, unteranderem: „Ohne Jesus gibt es aber kei-nen Himmel! Weichei-Evangelisten,die das Gericht unterschlagen, legiti-mieren Psychotricks, die dem Zeit-geistgenossen einen … Himmel ohneHölle vorgaukeln.“

Ist es Ihnen schon aufgefallen? Got-tes Zorn, das Endgericht und die Höllefallen auch unter Evangelikalen fastvollständig aus, obwohl die Bibel klardavon spricht. „Lasst euch von nie-mand einreden, dass das alles harmlossei! Denn gerade wegen dieser Dingeziehen sich die ungehorsamen Men-schen den Zorn Gottes zu.“ (Epheser5,6). Man kann Gottes Wort nicht treusein, wenn man einfach ein paar unan-genehme Themen umgeht. Aber mankann auch nicht richtig evangelisieren,ohne das ganze Evangelium mitGericht und Gnade zu verkündigen.

Nun hat Willow Creek Deutsch-land den Amerikaner Rob Bell alsHauptreferenten des Jugendplus-Kon-gresses 2011 eingeladen. In seinemBuch Love Wins (bisher nur auf Eng-lisch; sie finden eine Rezension auf S.76ff.) fragt er zum Beispiel: „Hat Gottüber tausende von Jahren hinweg tat-sächlich Milliarden von Menschengeschaffen, um nur einige wenige fürden Himmel zu erwählen, währendalle anderen ewige Höllenqualen lei-den müssen? Wäre das eines Gotteswürdig?“ Soll dieses Argument, dasübrigens eine Grundlage für die Grün-dung der Sekte der Zeugen Jehovaswar, jetzt den Verzicht auf die Verkün-digung der ganzen Wahrheit unter-mauern? Bleiben wir doch bei dem,was die Bibel wirklich sagt!

Ihr

Die Hölle hat man abgeschafft

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Einladung zu einer Israel-Reise von 10.-19. November 2011mit Michael Kotsch.Stellungnahme zu einem Leserbrief anlässlich der erstenReher Bibelbundkonferenz. (Alexander Seibel/KHV)Leserbrief zum Erscheinen der Nullnummer der Zeitschrift„Faszination Bibel“. (Michael Kotsch)

Verschwörungstheorien und kein Ende. Stellungnahme zuden Reaktionen auf den Aufsatz von Johannes Pflaum in „Bi-bel und Gemeinde“ 1/2011. (Reinhard Möller)Der Koran auf dem Prüfstand. Thesen der Islamwissen-schaft und Hinweise aus der Bibel. (Eberhard Kleina)

Irrtumslos trotz Fehlern? (Schluss) Wörtlich genau, trotzAbweichungen im Buchstabenbestand. Wir können unsauf die Bibel verlassen!(Thomas Jeising)Calvins Kampf für die Bibel. (Michael Kotsch)

Wohlgeruch, Kamel und Tod. (Thomas Jeising)

Calvins Lehre über die Bekehrung (Álmos Ete Sípos)Bekehrung – eine alternativ-biblische Sicht (Peter Strei-tenberger)

Warum steht Israel in den Medien so schlecht da? (Johan-nes Gerloff)

Friedrich von Bodelschwingh und die „gelehrte Bibelkri-tik“. Aus der Biografie seines Sohnes. (Karl-Heinz Vanhei-den)

Elberfelder Begriffskonkordanz (KHV)Kuhn, Winfried. Der Feind in unseren Köpfen. (KHV)Padberg, Lutz von. In Gottes Namen? Von Kreuzzügen, In-quisition und gerechten Kriegen. Die 10 häufigsten Vorwürfegegen das Christentum. (KHV)Maier, Gerhard. Biblische Hermeneutik. (Matthias Mack)Graul, Adolf. Rock-, Pop und Technomusik und ihre Wir-kungen. Eine wissenschaftliche und biblische Untersu-chung. (Thomas Hammer)Bell, Rob. Love Wins: A Book About Heaven, Hell, and theFate of Every Person Who Ever Lived. (Tim Challies, Kanada.Die wichtige Rezension von „Die Liebe siegt!“ übersetzte IvoCarrobio.)

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Bibelstudienreise nach IsraelIn der Zeit vom 10.11. bis 19.11.2011 wird Michael Kotsch (Vorsitzender des Bibel-bundes) eine Bibelstudienreise nach Israel leiten. Abgesehen von der Erholung ineinem faszinierenden und vielfältigen Land soll es darum gehen, Orte zu besuchen,an denen die Ereignisse stattgefunden haben, von denen uns die Bibel berichtet.

1. Tag 10.11.11 Ankunft in Tel Aviv, Fahrt zum See Genezareth in Tiberias, FreieZeit, Vorstellungsrunde 2. Tag 11.11.11Entdeckung Tiberias: Arbel Cliffs, Kapernaum (Petrus Haus, Synagoge-Ausgra-bung), Tabgha (Kirche der Brotvermehrung); Bootsfahrt auf dem See Genezareth,Freie Zeit, Abendprogramm: Einladung von einem Rabbiner 3. Tag 12.11.11 Kana: Kirche, Nazareth (Verkündungsbasilika, Josefskirche), Tabor (Berg der Ver-klärung), Jezreel-Tal, Fahrt zum Toten Meer 4. Tag 13.11.11Jordan, Wadi Kelt (Elia), Jericho: Tell es-Sultan, Seilbahn zum Kloster der Versu-chung, Abendprogramm: „Wo ist was in Israel?“ 5. Tag 14.11.11 Baden im Toten Meer, En Gedi, Massada (jüdischer Widerstand gegen die römi-sche Besatzung), Fahrt nach Jerusalem 6. Tag 15.11.11Ölberg (Panoramablick über die Stadt Jerusalem), Dominus flevit (lat. „Der Herrweinte“), Paternosterkirche (Vater-Unser-Kirche), Garten Gethsemane, Teich vonSiloah, Gihonquelle, Hiskiatunnel, Via Dolorosa (Leidensweg von Christus), Erlö-serkirche, Grabeskirche 7. Tag 16.11.11 Aufenthalt in Jerusalem, Yad Vashem (Holocaust Museum), Knesset (Parlament)und Menorah, Israel Museum, Abendprogramm: Treffen mit messianischen Juden 8. Tag 17.11.11Klagemauer, Davidson Center, Al Aqsa Moschee, Felsendom, Gartengrab, Fahrtnach Netanya, Abendprogramm: Sakrileg – Geheime Evangelien 9. Tag 18.11.11Freizeit am Meer, Karmel, Fahrt nach Haifa, Museum zur Immigration, Bahai-Garten, Rückfahrt nach Natanya, Freie Zeit, Erfahrungsaustausch 10. Tag 19.11.11 Transfer nach Tel Aviv, Rückflug nach Deutschland

Preis: 1250 EUR (inklusive Flug, Unterkunft, Halbpension und Eintritte)Anmelden bei: [email protected] oder bei: Internationale Reisen, Tel: 05261/ 921 4727, E-Mail: [email protected]

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Am 27. November war in ideaSpek-trum eine Meldung über die ersteKonferenz des Bibelbundes in Rehe

nachzulesen. Überschrift: Unwissenheitüber die Bibel führt zur Unmoral.

An dieser Aussage nahm ein idea-Le-ser deutlich Anstoß. Hat sie ihn womög-lich an frustrierende Kindheitserlebnisseim Zusammenhang mit Bibel und Bibelle-sen erinnert? Jedenfalls verwundert dieebenso heftige wie emotionale Reaktion.

Zunächst sei hier der volle WortlautHartmut Jägers wiedergegeben: „VieleEvangelikale suchen Lebenshilfe inirgendwelchen Büchern anstatt im WortGottes“. Häufig nähmen sich Christenmorgens nicht die Zeit zum Bibelstudium,sondern begnügten sich mit einem „geist-lichen Schnellimbiss“. Dies sehe häufig soaus, dass man im Andachtsbuch „Losun-gen“ jeweils den für den Tag angegebenenBibelvers lese. Dies aber sei zu wenig undwirke sich negativ auf die Lebensführungaus: „Unwissenheit über das Wort Gottesführt zur Unmoral“ (ideaSpektrum, 47, S.12).

Hartmut Jäger wurde darauf vorge-worfen, das morgendliche Lesen der Lo-sungen als „geistlichen Schnellimbiss“ zuverstehen, sei „verunglimpfend gegenüberden Losungen“ und „grenzwertig“. Weiterheißt es in dem Leserbrief: „Dies sei ‚zuwenig’, sagt Hartmut Jäger. Schon in mei-ner Kindheit bekam ich zu hören, dass ichso, wie ich war und handelte, kein rechterChrist sein konnte, dass es vielmehr ande-

re Christen gebe, die mir sagen müssten,wie ich zu sein und zu handeln hätte.“ Diessei „anmaßend“. Die Behauptung, wennman sich zu wenig Zeit zum Bibelstudiumnehme, wirke sich das negativ auf die Le-bensführung aus und führe zu einem un-moralischen Lebenswandel, sei „bizarr“und „unerträglich“ (ideaSpektrum, 48, S.43).

Soweit die Liste der Anklagen eines Le-sers, der in seiner Jugend Nachfolge Jesuwahrscheinlich eher als gesetzlich dennbefreiend erlebt haben dürfte und mit die-sem Artikel ungute Erinnerungen assozi-ierte.

Damit hat er dem Geschäftsführer derChristlichen Verlagsgesellschaft manchesunterstellt, was dieser so nicht sagte bzw.meinte. Sein Hauptanliegen war, zu inten-siverem und freudigerem Bibellesen anzu-regen, denn Fastfood-Mentalität führt nuntatsächlich nicht zu tieferem Gottesver-ständnis. Auch war dies als Gewissensfra-ge nach dem Stellenwert der HeiligenSchrift gedacht. Sein Ziel war es, denWunsch zu erwecken, wie er im 119.Psalm nachzulesen ist: „Ich freue michüber dein Wort wie einer, der große Beutemacht“ (Vers 162).

Es ist eine Tatsache, dass mangelndesGegründetsein in Gottes Wort Irrströmun-gen begünstigt und dies kann tatsächlichAuswirkungen auf ethischem Gebiet ha-ben. Letztlich formuliert es Petrus genau-so: Es waren aber auch falsche Prophetenunter dem Volk, wie auch unter euch sein

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Führt Unwissenheit über die Bibel zur Unmoral?

Stellungnahme zu Reaktionen auf die Konferenz des Bibelbundes, speziell zu einem Leserbrief in ideaSpektrum

Bibel undGemeinde

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werden falsche Lehrer, die ver-derbliche Irrlehren einführen ...

Und viele werden nachfolgen ihrem zucht-losen Wandel; und um ihretwillen wird derWeg der Wahrheit verlästert werden. (2.Petrus 2,1-2).

Als wirksames Gegenmittel für so eineGefahr empfiehlt Petrus das lebendigeWort Gottes: Um so fester haben wir dasprophetische Wort, und ihr tut gut daran,dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, dasda scheint an einem dunklen Ort (1,19).

Genau das istder Wunsch vonHartmut Jäger im Besonderen und der desBibelbundes im Allgemeinen.

In einer Zeit, wo man sich immer mehrverteidigen muss, wenn man sich zur Bibelbekennt, kann man nur umso mehr das le-bendige Wort Gottes empfehlen. Genausokann man es auch bei Paulus nachlesen (2.Timotheus 4,2-3).

Alexander Seibel/ Red.

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Leserbrief zum Erscheinen der Nullnummer der Zeitschrift „Faszination Bibel“

Großartig, endlich eine allgemeinverständliche Zeitschrift, die sich der Bibel wid-met. Das selbstgesteckte Ziel klingt vielversprechend: „Wachsende Liebe zur Bi-bel. Den Schatz der Bibel aufschließen … Das Wort Gottes zum Leuchten brin-

gen.“ (S.7). Wer das 100 Seiten starke Heft gelesen hat, ist stellenweise jedoch ziemlichirritiert. So outen sich zwei der Herausgeber, die andere zum Bibellesen motivieren wol-len, als ausgesproche Bibelmuffel. Ulrich Eggers: „Jenseits vom Beruf lese ich wenig inder Bibel und erwarte nicht viel von ihr…“ Martin Grundlach: „Als Teenager bin ich vomregelmäßigen Bibellesen abgekommen. Und habe bis heute nicht so richtig dahin zu-rückgefunden.“ Es wirkt seltsam, wenn jemand, der selber nicht gerne in der Bibel liest,andere gerade dazu ermutigen will.

Dann bekennt Eggers, dass er lieber John Ortberg liest als die Bibel, und ThomasHärry unterstützt ihn: „Muss jeder die Bibel wichtig finden und gut kennen? Nein, nichtdie Bibel, sondern Jesus Christus“ (S.38-41). Das hört sich nach dem altbekanntenSpiel an, Jesus von der Bibel trennen zu wollen – man fragt sich nur, wie das gehen soll.Später werden uralte und längst geklärte Argumente gegen die Glaubwürdigkeit der Bi-bel präsentiert und bejaht: „Der Hase ein Wiederkäuer? Hier irrt die Bibel doch tatsäch-lich.“ (S.95) Auch Christel Eggers theologische Erkenntnis: „Ich habe viel gelernt …[Gott] sein Versagen zu verzeihen …“ (S.47) dürfte manchem Leser zu denken geben.Wer sich denn noch Christoph Schrodts verunklarenden Grundlagenartikel zur Inspira-tion vornimmt, weiß hinterher nur noch, was Inspiration sicher nicht ist. (S.26-29)„Faszination Bibel“ ist offensichtlich ein „Aufatmen“ für Bibelleser.

Seit 115 Jahren wirbt der Bibelbund für die absolute Zuverlässigkeit und Glaubwür-digkeit der Bibel. Die bibelrelativierenden Parolen in der Zeitschrift „Faszination Bibel“dienen eher einer Verunsicherung interessierter Gemeindeglieder. Christen mit Bibel-kritik zum Bibellesen animieren zu wollen, ist doch wohl ein seltsames Konzept.

Michael Kotsch, Bibelbund Deutschland (Vorsitzender)

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Gibt es eine christliche, biblisch fun-dierte Position zum Thema „Ver-schwörungstheorien“? Die folgen-

den Punkte sind ein Versuch, sich der The-matik anzunähern.

1. „ICH habe von Anfang an verkündigt,was hernach kommen soll, und vorzeiten,was noch nicht geschehen ist. Ich sage:Was ich beschlossen habe, geschieht, undalles, was ich mir vorgenommen habe, dastue ich. ... Wie ich‘s gesagt habe, so lasseich‘s kommen; was ich geplant habe, dastue ich auch.“ (Jesaja 46,10.11)

Allein der Lebendige und Wahrhaftige,der dreieinige Gott regiert diesen Kosmosund das Weltgeschehen. Ja, es gibt Men-schen, die intrigieren (vgl. 2. Samuel 15,1-6) und andere, die versuchen, Menschenallein an sich zu binden (vgl. Apg 20,30b)– dennoch ist es allein der HERR, der dieWeichen in Zeit und Ewigkeit stellt (vgl.Psalm 33,13-17; Sprüche 16,1.9; 21,1).Diese Worte aus der Heiligen Schrift ha-ben vielfältige und enorme Konsequenzenfür Gegenwart und Zukunft – es scheintmir, dass viele Anhänger von Verschwö-rungstheorien diese Wahrheiten ausblen-den.

2. „Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fa-beln gefolgt ...“ (2. Petrus 1,16) Biblischvertrauenswürdige Argumentation stütztsich auf Augenzeugenberichte, auf das

Hören von Gottes Stim-me (Heilige Schrift!) –der Kontrast dazu istSpekulation, Vermu-tung, Halluzination,Pseudo-Prophetie unddas Erschaffen einer at-traktiven Fata Morga-na.

Vergleich: Aus gu-ten Gründen, verankertin der Heiligen Schrift,lehnen wir als Christendie „Evolutionstheorie“und die sogenannte„Theistische Evolu-tion“ ab. – Verschwö-rungstheorien habenkeine „höhere“ Qua-lität. Zudem gilt auch inBezug auf diese: „... sieverführen und werdenverführt!“ (2. Timo-theus 3,13), d.h. sie schaffen sich ihre ei-genen „Fan-Gemeinden“.

3. „Seid nüchtern und wacht; denn euerWidersacher, der Teufel, geht umher wieein brüllender Löwe und sucht, wen er ver-schlinge. Dem widersteht fest im Glauben...“ (1. Petrus 5,8.9)

Die biblische Aufforderung zur Nüch-ternheit hat gewiss auch mit Sachlichkeit,Sorgfalt, Korrektheit, Überlegtheit ... zu

Der Aufsatz von Johan-nes Pflaum „Weltver-

schwörungstheorien im Licht der Bi-bel“ aus unserem letzten Heft („Bi-bel und Gemeinde“ 1/11) hat einstarkes Echo – vor allem bei Anhängern solcher Theorien – hervorgerufen. Es kursierenzum Teil diffamierende E-Mails gegen den Verfasser. Pfarrer Reinhard Möller hat diesenVorgang zum Anlass genommen, einige – wie wir meinen – wichtige Thesen zum Themazu formulieren. d.Red.

Verschwörungstheorienund kein Ende

Reinhard Möller

Reinhard Möller, Jg. 1950, verh., sechs

erwachsene Kinder, ist seit 1985 Verkündi-ger und Seelsorger der“Freien Evangelischen

Gemeinde Aesch“(Aesch BL/Schweiz),

einer unabhängigenFreikirche; ferner

Publizist und Verleger.

Anschrift:Industriestrasse 41

CH-4147 Aesch BLSchweiz

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tun. Verschwörungstheorienwerden dagegen durch Gerüch-

te und Verleumdungen, Spekulationenund Negativ-Utopien genährt. Ihre Urhe-ber sind meist Wichtigtuer im klassischenSinn von esoterischer Verführung: „Ichhabe ein Geheimwissen, das du noch nichtkennst; ich biete dir Schlüssel zu Wissen,das anderen verborgen ist ...“. Leser wer-den durch Zitate getäuscht, die nicht aufBelege/Fakten verweisen, sondern bei de-nen ein Spekulant vom anderen ab-schreibt, und man sich wechselseitig pseu-

do-wissenschaftlich be-glaubigt. Das aber istHeuchelei und Betrug.

Die biblische Auf-forderung zur Wach-samkeit bezieht sichimmer auf offenbarteProphetie und satani-sches Wirken, nichtaber auf menschliche

Spekulationen, egal in welchem Bereichdiese stattfinden (Politik, Wirtschaft, Wis-senschaft, Medien ...).

4. „Von törichten Fragen aber ... halte dichfern, denn sie sind unnütz und nichtig.“(Titus 3,9) – Man bedenke, dass der Kon-text, die Verse 8 und 14 konkret dazu auf-rufen, „sich mit guten Werken hervorzu-tun“, „darauf bedacht zu sein“. BestimmteThemen und Fragen sollten wir deshalbentschieden meiden, ja zurückweisen. Ver-schwörungstheorien sind nicht nur „tö-richt“, weil rein spekulativ, sondern dieBeschäftigung damit hält uns immer vonWesentlicherem ab. Dieses Thema ist of-fenbar so wichtig, dass der Apostel Paulusauch im Brief an Timotheus darauf zusprechen kommt; ihm schreibt er unter derLeitung des Heiligen Geistes: „... die tö-richten und unnützen Fragen weise zu-

rück; denn duweißt, dass sie nurStreit erzeugen.“ (2. Timotheus 2,23 [vgl.die Verse 22-26]).

Daneben gibt es Fragen und Themen,die wirklich nützlich sind ... Als Christensollten wir gelernt haben, hier weise zuunterscheiden!

Beispiel: Was ist entscheidender in Be-zug auf meinen Nachbarn, den Freimau-rer: Soll ich durch Forschen versuchenherauszufinden, ob er an einem Verschwö-rungsprojekt mitarbeitet? Oder soll ichihm in Wort und Leben Christus bezeu-gen? Worauf liegt Gottes Verheißung?

5. Alle Verschwörungstheorien sind aus-nahmslos Spekulationen, denn sonst wür-de man – unter dem Aufweisen nachprüf-barer Fakten – nicht von „Verschwörungs-theorien“ sprechen! Was die Sachlage be-trifft, so gibt es in Bezug auf Verschwö-rungstheorien also nur Vermutungen! An-dernfalls würden deren Vertreter ja die Tat-sachen offen auf den Tisch legen. Die mei-sten (alle?) Verschwörungstheorien –auch die über eine verborgene Weltherr-schaft von Freimaurerei, Illuminaten o.ä. –unterscheiden sich vom Wesen her kaumvom antisemitischen Machwerk der „Pro-tokolle der Weisen von Zion“.

Gewiss kommt es vor, dass sich einzel-ne Vermutungen, Befürchtungen oder Er-wartungen tatsächlich „erfüll(t)en“ –doch nirgends empfängt der Christ denAuftrag, derartigen Hypothesen und Uto-pien nachzusinnen, sie zu studieren und zukolportieren!

Im Gegensatz dazu hat uns unser HerrJesus Christus konkret gesagt, wie unsereHaltung sein soll: „Seht zu, dass euchnicht jemand verführe!“ (Mt 24,4) und:„Wenn ihr nun sehen werdet ... / Wenndann jemand zu euch sagen wird ... / Sie-

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Reinhard Möller

Leser werdendurch Zitategetäuscht, beidenen einSpekulant vom anderenabschreibt

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he, ich habe es euch vorausge-sagt / An dem Feigenbaum

lernt ein Gleichnis ... wenn ihr das allesseht, so wisst, dass ... / Darum wachet,denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euerHerr kommt!“ (Mt 24,15.23.25.32.33.42) – Neben den anderen Herausfor-derungen christlicher Existenz sind hier(und im übrigen prophetischen Wort Hei-liger Schrift) doch wohl genügend Auf-forderungen in Bezug auf Wachsamkeit,so dass es nur Zeitverschwendung wäre,sich mit Fabeln in Form von Verschwö-rungstheorien abzugeben. Letzteres soll-ten wir den Gurus und anderen falschenPropheten überlassen, anstatt damit un-sere kostbare Zeit zu vergeuden und garandere dazu zu verführen, sich vom We-sentlichen in Christus abzuwenden. WerVerschwörungstheorien kolportiert, derverleumdet, da ihm ja die Fakten fehlen;das aber bedeutet das Verbreiten von Spe-kulationen und Vermutungen ohne jedeechte Basis.

Dies gilt auch für zahlreiche Internet-Kettenbriefe, die oft auch von leichtgläubi-gen Christen übereilig verbreitet werden;jedes Jahr erhalte ich mehrere solcherPamphlete, die anderen ihre Zeit raubenund manchen in die Irre führen! EinzelneLügentexte geistern millionenfach undjahrelang durchs Internet; mituntertauscht jemand einfach einen Namen (z.B.vom angeblichen Verfasser) aus und ver-schickt diesen Text dann neu ... Man solltemeinen, Paulus habe im Brief an die Thes-salonicher geschrieben: „Prüfet nichts undverbreitet alles ungeprüft!“ (statt 1. Thes-salonicher 5,21).

Noch ein Wort zu einzelnen kritischenVoten in Bezug auf den Essay „Weltver-schwörungstheorien im Licht der Bibel“von Prediger Johannes Pflaum (Nov.2010); die Voten verschickte Dr. Lothar

Gassmann anonymisiert via E-Mail. Dazu muss man Folgen-des bemerken:

(a) Wer ihn mit Fakten widerlegen kann,der möge seine eigenen Fakten(!) offen an-führen. Wer keine stichhaltigen Fakten ge-gen Ausführungen von Johannes Pflaumhat, der verleumdet ihn – und das ist be-reits mit dem Rundmail vom 3.3.2011(11:31) geschehen. Durch die Anonymi-sierung wird das nur noch verschlimmert;es ist eine Schande,dass Stellungnah-men anonym verbrei-tet werden, obgleichdas Gegenüber – Jo-hannes Pflaum – mitseinem Namen zuseinem Essay steht!Entweder jeder stehtmit seinem Namenzu seinem Votumoder er schweigt völ-lig; wer zu feige ist,mit seinem eigenem Namen zu seinemWort zu stehen, dessen Votum sollte dannauch nicht verbreitet werden.

(b) Johannes Pflaum bestreitet nicht, dassGottes Wort von „Verführung“ spricht(vgl. Mt 24,4), nur hat das nichts mit derBeschäftigung mit „Verschwörungstheo-rien“ zu tun! Noch nie haben uns „Theo-rien“ (auch keine „Verschwörungstheo-rien“) über die Verführung aufgeklärt, vonder Jesus spricht. In „alle Wahrheit“ leitetuns einzig der Heilige Geist – niemals aber„Verschwörungstheorien“.

Es ist eher so, dass wir die „Verschwö-rungstheorien“ als Teil der antichrist-lichen Verführung sehen sollten. Auch hierhat Pflaum zweifelsohne recht.

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Verschwörungstheorien und kein Ende

Sich mit Fabelnin Form von

Verschwörungs-theorien

abzugebensollten wir Gurus

und anderenfalschen

Propheten überlassen

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(c) Wenn ein anonymes Schrei-ben im Rundmail (3.3.2011 /

11:31) zitierend sagt: „... oder (was ich im Falle von JohannesPflaum nicht hoffe) er ist selber invol-viert (z.B. Mitglied bei den Rotariernoder im Lions Club etc). ...“,

so ist das ein klassisches Beispiel üblerNachrede! Eine derartige, noch dazu „an-onyme“ Unterstellung (der Zusatz, „wasich nicht hoffe“, ändert daran garnichts!) ist eine Verleumdung,welche auf Grund der Eigen-schaften des Internets nun „ohneEnde“ weiterhin kolportiert wer-den wird. Die Verantwortungträgt dafür in diesem Fall alleineder Versender des Rundmails.Leider lässt sich das nicht mehrrückgängig machen. –

Das zweite Rundmail (4.3.2011 / 17:27) mit weiteren Voten enthältein noch massiveres Beispiel widerlicherVerleumdung:

„Mein erster Gedanke, als ich das gele-sen habe, war, dass Herr Pflaum unsvon den wahren Absichten diesermächtigen Menschen ablenken willund wahrscheinlich den Auftrag vondiesen Gruppen bekommen hat, diesenAufsatz zu schreiben. Sein Aufsatz hatdas typische Bild eines Politikers, der

das Fußvolk mitLügen undSchönrederei besänftigen will. Genaudas Bild, was uns diese Lügner aufti-schen ...“.

Bruder Pflaum somit spekulativ(!) als„Lügner“ zu verleumden, ist ein Gipfel anUnverschämtheit, dessen sich kein Christschuldig machen sollte – ob wir je davon

lesen werden, dass diese Anklagezurückgenommen wird?

(d) Prediger Pflaum möchte ausgeistlicher Verantwortung herausdie Mitchristen davor warnen,leichtgläubig zu sein – es gilt:Besser „gläubig“ als „leicht-gläubig“! Ihm gebührt unserDank und – angesichts der Ver-leumdungen – auch unsere Für-

bitte.

Nachtrag: Am 5.3.2011 schrieb Dr. Lo-thar Gassmann auf Grund der Stellung-nahme von RM an Johannes Pflaum u.a.:

„... Es tut mir leid, ich hätte die ver-leumderischen Passagen herauslö-schen sollen, denn diese tragen nichtzur Versachlichung bei. Ich bitte Dichdiesbezüglich um Vergebung ...“

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Reinhard Möller

Die Verantwortung

für die Verbreitung von Verleumdungen

hat der Versender der

Rundmails

Jahwe, wer darf Gast in deinem Zelt sein?Wer darf wohnen auf deinem heiligen Berg?

Wer ohne Tadel lebt und tut, was recht ist vor dir; wer durch und durch wahrhaftig ist / und andere nicht verleumdet; / wer seinem Freund nichts Böses antut /

und seinen Nachbarn nicht kränkt. Ps 15,1f. (NeÜ)

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Das Problem, mit dem sich die Arti-kelserie „Irrtumslos trotz Feh-lern?” beschäftigt1, lässt sich am

besten mit einer Frage umreißen: KönnenChristen guten Gewissens von Irrtumslo-sigkeit der Heiligen Schrift und von Verbal-inspiration der Urschriften sprechen,wenn doch niemand ein Originalmanu-skript auch nur eines biblischen Buchesbesitzt und wenn darüber hinaus in sämt-lichen der mehr als 5000 Abschriften derursprünglichen Texte, die uns erhalten ge-blieben sind, Abschreibfehler und Unter-schiede zu finden sind? Weil wahrschein-lich jede bekannte Abschrift wenigstenskleinere Abschreibfehler enthält, habenGegner der Überzeugung von der Irrtums-losigkeit der Heiligen Schrift diese immerwieder ins Feld geführt, um damit zu be-weisen, dass sowohl die Lehre von der Ver-balinspiration als auch der Glaube an dieIrrtumslosigkeit der Heiligen Schriftlängst als falsche oder wenigstens als sinn-lose Annahmen erwiesen sind.

Wie soll der Christ nun angemessendarauf reagieren? Immer wieder wurdeauch von treuen Christen versucht, die of-fensichtlichen Tatsachen einfach zu igno-rieren. Obwohl ich viel Sympathie für die-jenigen hege, die sich bis heute auf den

Standpunkt gestellt ha-ben, der sogenanntetextus receptus, eineZusammenstellung vonHandschriften aus dem16. Jahrhundert, dierund 200 Jahre allge-mein als sicherer Urtextangenommen wurde,dürfe nicht hinterfragtwerden, halte ich dasdoch nicht für den rich-tigen Weg. Vielmehrzeigen 250 Jahre inten-siven textkritischen Ar-beitens mit der Ent-deckung und Auswer-tung vieler sehr alterManuskripte, wie gutdie Qualität des textusreceptus allgemein schonwar, so dass nur wenige Korrekturen not-wendig sind. Aber das entbindet nicht da-von, sich mit der sogenannten Textkritikzu beschäftigen, wie es die Christen taten,seit es überhaupt Bibelabschriften gab. Sieist, wie man nicht oft genug betonen kann,eben keine Kritik am eigentlichen Bibel-text, sondern eine kritische Betrachtungder einzelnen Bibelhandschriften aus dem

Der Schluss-teil der inter-

essanten Aufsatzserieüber „die Lehre von derVerbalinspiration undder Irrtumslosigkeit derHeiligen Schrift trotz fehlender Urschriften und fehlerhafter Abschriften“ beschäftigtsich mit den Buchstaben. Die ersten fünf Teile der Serien können Sie bereits im Internet(www. bibelbund.de) frei herunterladen. Es ist geplant, die ganze Serie auch als Buch zuveröffentlichen. d.Red.

Irrtumslos trotz Fehlern? Teil 7Wörtlich genau, trotz Abweichungen

im Buchstabenbestand

Thomas Jeising

Thomas Jeising Jg.1963, verh., drei

Kinder, istPrediger und

StellvertretenderVorsitzender

des Bibelbundes.

Anschrift:Steinweg 6, D-34576

Homberg/EfzeEmail: jeising@

bibelbund.de

___________________________1 Die früheren Artikel finden sich in den Heften 3/2008, 4/2008, 2/2009, 3/2009, 4/2009,

3/2010.

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Zeitraum zwischen dem 2.Jahrhundert v.Chr. und dem 15.

Jahrhundert n.Chr. mit dem Ziel, den Ur-text als das zuverlässige und irrtumsloseWort Gottes zu erkennen. So wenig wie Ig-noranz den richtigen Umgang mit der Si-tuation darstellt, genauso wenig ist esauch ein ängstliches Einknicken vor densteilen Behauptungen vieler Kritiker, diemit den Tatsachen meist wenig zu tun ha-ben. Wenn Gottes Wort die Wahrheit ist,wovon wir fest überzeugt sind, dann brau-chen wir keine Furcht zu haben, dass unseine empirische Wahrheit erschüttert oder

uns den Grund unse-res Glaubens raubenkann. Darum gibt esnach meiner Über-zeugung auch keineAlternative dazu,dass wir uns mit denTatsachen der Hand-

schriftensituation umsichtig beschäftigen.Wie sich gezeigt hat, wird das unserenGlauben nicht erschüttern, sondern amEnde stärken.

Franz Stuhlhofer hat eindrücklich dar-auf aufmerksam gemacht, dass es keineAlternative dazu geben kann, Gottes Wegmit der Entstehung und Überlieferung derBibel anzunehmen. Man kann die Proble-me, die sich uns dabei stellen, nicht aufirgendeinem Weg umgehen:

„Manche Christen hätten diese gerneausgeschaltet: Gott selbst hätte die Bi-bel schreiben sollen, auch selbst (feh-lerlos natürlich!) abschreiben und dannauch selbst übersetzen – und natürlichauch selbst den Kanon dekretieren [den

Umfang der Bi-bel festlegen An-merk. T.J.]. Damit wären alle Unsicher-heiten ausgeschaltet. Jedenfalls hatGott das nicht getan. Und es ist auchein Missverständnis zu glauben, durchdas Fixieren bestimmter Worte alleinewäre auch schon das richtige Verständ-nis gesichert. Gott hätte uns dann auchnoch mit einem eigenhändig geschrie-benen Kommentar versehen müssen,und – nachdem Meinungsverschieden-heiten über die Bedeutung mancherStellen im Kommentar aufbrechen -noch mit einem weiteren Kommentar,nämlich einem Kommentar zum Kom-mentar ... Und so weiter, ad infinitum.Das Bewahren bestimmter Worte istein wichtiger Faktor, aber das alleineschließt Missverständnisse auch nochnicht aus“2.

Ein entscheidender Unterschied: Wortgenau oder Buchstabengenau

Karlheinz Deschner, der sich seit rund 50Jahren mit seiner ätzenden Kirchenkritikeinen Namen gemacht hat, meint: „DerText der heute in 1100 Sprachen und Dia-lekten verbreiteten Bibel ist also heillosverwildert und in seiner ursprünglichenForm nie auch nur annähernd wiederher-stellbar“3. Da die Schriften des Neuen Tes-tamentes angeblich anfangs gar nicht fürheilig oder inspiriert gehalten wurden, seian ihnen ungeniert herumgedoktert wor-den. Die Kopisten „strichen und setztenzu, paraphrasierten und ergingen sich inder Ausmalung von Details, sie erzählten

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Thomas Jeising

Die Beschäftigungmit den Hand-schriften wirdunseren Glaubennicht schwächen,sondern stärken

___________________________2 Franz Stuhlhofer Jesus und seine Schüler: Wie zuverlässig wurden Jesu Worte überliefert?

Gießen: Brunnen, 1991: 109.3 Karlheinz Deschner, Der gefälschte Glaube: eine kritische Betrachtung kirchlicher Lehren und

ihrer historischen Hintergründe. München: Knesebeck-Verlag, 2004: 26.

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überhaupt mehr nach, als dasssie korrekte Abschriften liefer-

ten“4. Diese seien 200 Jahre lang „po-liert“, „ergänzt“, „harmonisiert“, „geglät-tet“ und „verbessert“ worden. Für diesesUrteil beruft sich Deschner auf eine Reihehistorisch-kritisch arbeitender Theologen,die weiter an einem christlichen Glaubenfesthalten, während Deschner ihn beerdi-gen will. Sowohl Deschner als auch seineGewährsleute unterliegen einem fatalenIrrtum. Erstens gibt es bis heute keineneinzigen Beweis für die angeblich 200-jäh-rige Entstehungsgeschichte irgendeinesneutestamentlichen Buches. Nicht einmalein belastbarer Hinweis ist vorhanden. Dermüsste nämlich nicht nur in der Fantasievon Theologen, sondern auch in den Bi-belmanuskripten erkennbar sein. Undzweitens schauen Deschner und seineZeugen viel zu sehr auf die Ebene der ma-terialen Buchstabengenauigkeit und da-mit auf die unerheblichen Unterschiede,statt auf die wörtlichen Aussagen der Hei-ligen Schrift, in denen sie eine überzeu-gende Übereinstimmung vorfänden. Las-sen wir noch einmal als unbestrittene Ken-ner der neutestamentlichen Handschrif-tenfunde Kurt und Barbara Aland zu Wortkommen:

„Alles in allem wird man sagen müssen,daß bei der Beurteilung des Textes desNeuen Testaments viel zu wenig auf dasGanze und viel zu sehr – von denAußenstehenden sowohl wie von denSpezialisten – auf die Varianten gese-hen wird, die die Ausgaben und die dieHandschriften untereinander aufwei-sen. [...] Die Textkritik selbst und in ent-sprechend gesteigertem Maße dieFachvertreter des Neuen Testaments,

von den Außenstehendenganz zu schweigen, blickenfasziniert auf die Differenzen und ver-gessen darüber, wieviel davon Zufällig-keit, wieviel naturnotwendige Varia-tionsbreite und wie wenig echte Diffe-renz ist“.5

Welchen Unterschied es macht, die In-spiration auf der Ebene des wörtlichenSinns der Heiligen Schriften zu erkennenstatt in der materialen Buchstabengenau-igkeit, kann ein Vergleich mit dem Koranzeigen. In einem Gespräch mit einem Mus-lim über die Frage, wa-rum man die Bibel in jedeSprache übersetzen darf,der Koran aber nur aufAlt-Arabisch der wahreKoran ist, kamen wir zufolgendem für den Mus-lim traurigen Ergebnis.Der Muslim konnte vier Suren auf Ara-bisch auswendig, die er einmal als Kindgelernt hat, verstand sie aber nicht, weilseine Muttersprache eine andere ist. Erwollte, wenn es ihm einmal möglich ist,das Alt-Arabische des Koran lernen, um zuverstehen, was der Koran eigentlich sagt.Jetzt liest er ihn manchmal auch aufDeutsch oder in seiner Muttersprache,aber andere Muslime sagen ihm, dass jedeÜbersetzung falsch ist. Nur der Koran imOriginal sei buchstabengenau und ohneFehler das Wort Gottes. Jede Übersetzungverfälsche das Wort Gottes, weil es nur imOriginal Wort Gottes ist. Darum bestrei-ten Muslime auch strikt, dass es etwa Ab-schreibfehler im Überlieferungsprozessvom Propheten Mohammed bis heute ge-geben haben könnte. Jeder einzelne Fehlerverfälschte nämlich das Wort Gottes und

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Deschner und seine

Gewährsleuteunterliegen

einem fatalenIrrtum

___________________________4 A.a.O. 25.5 Der Text des Neuen Testaments. 2. Aufl. Stuttgart: Dt. Bibelgesellschaft, 1989: 38.

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es wäre nicht mehr Wort Got-tes. Im Ergebnis aber bedeutet

diese Situation für meinen Gesprächspart-ner und viele andere auch, dass ihm derKoran, den er für das Wort Gottes hält, fürimmer verschlossen bleiben wird. Selbstwenn er einmal Arabisch verstehen kann,

so wird diese Spracheimmer eine Fremdspra-che bleiben. Er wird,was er für das WortGottes hält, niemals inseinem Herzen habenkönnen. In seinem Her-zen werden immer nurdie Auslegungen derImame sein, niemalsdas Wort Gottes selbst.

Wie traurig! Und wie anders ist die Situa-tion für Christen!

Christen dürfen die Bibel in jede Spra-che übersetzen. Jeder Mensch darf GottesWort in seiner Muttersprache hören. Da-rum gibt es auch so viele Übersetzungenund darum ist auch die Freude so groß,wenn Menschen das Wort Gottes in ihrerHerzenssprache hören und lesen können.Die Wycliff-Bibelübersetzer berichten im-mer wieder von dieser Freude:

„Das Wort Gottes zum ersten Mal inmeiner Muttersprache hören, das ist,als ob du allein und verloren in einemfremden Land bist und plötzlich hörstdu, wie jemand deinen Namen in deinereigenen Sprache ruft.“ In meinem Gespräch mit dem Muslim

habe ich ihm erzählt, wie Gott am Anfangeine Sprache für alle Menschen geschaffenhatte und aus der einen aufgrund des Ge-richtes Gottes die vielen Sprachen hervor-gegangen sind. Damit ist aber auch ge-sagt, dass im Grundsatz jede sprachlicheAussage von einer in die andere Spracheübersetzt werden kann.

Die Bibel selbstmacht auch keinenHehl daraus, dass während ihrer rund1500 Jahre dauernden Entstehung ver-schiedene Sprachen gesprochen wurden.Aber die Worte Gottes sind ohne Zweifel injede Sprache übersetzbar. In welcher Spra-che Gott selbst die 10 Gebote in die Stein-tafeln schrieb, ist an sich unerheblich.Weil es Gott aber darauf ankommt, dassdie Worte Gottes dem Menschen in seinemHerzen nahe sind, darum war es wahr-scheinlich das frühe Hebräisch, das dasVolk Israel während seines Aufenthalts inÄgypten herausgebildet hatte. Irgendeinehimmlische Engelssprache hätte GottesAbsicht nicht gedient. Wie fasst es Gottselbst durch den Mund von Mose kurz vordessen Tod zusammen (5Mo 30,11-14):

„Denn das Gebot, das ich dir heute ge-biete, ist dir nicht zu hoch und nicht zufern. Es ist nicht im Himmel, dass dusagen müsstest: Wer will für uns in denHimmel fahren und es uns holen, dasswir’s hören und tun? Es ist auch nichtjenseits des Meeres, dass du sagen müss-test: Wer will für uns über das Meer fah-ren und es uns holen, dass wir’s hörenund tun? Denn es ist das Wort ganz na-he bei dir, in deinem Munde und in dei-nem Herzen, dass du es tust“. Es ist also Gottes Ziel, dass sein Wort

Herz, Mund und Hand des Menschen er-reicht und erfüllt. Und dieses Ziel erreichtGott durch die Inspiration seines Wortes.Als Inspiration ist dann ebenso zu verste-hen, dass Gott sein Wort den ersten Zeu-gen gegeben hat, als auch, dass sie esdurch den Heiligen Geist aufgeschriebenhaben und es so bis zu uns kommen konn-te. Und weil der Heilige Geist – wie es Mar-tin Luther ausdrückte – auf dem Wort rei-tet, ist es in der Lage, den Menschen zuverändern, ihn zu einem Menschen Gottes

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Im Herzen desMuslim werdenimmer nur dieAuslegungender Imamesein, niemalsdas Wort Gottesselbst

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zu machen, der an Jesus glaubtund lebt, wie Gott es will.

Das Prinzip der Wortgenauigkeit imNeuen Testament

In diesem Teil von „Irrtumslos trotz Feh-lern?“ geht es darum, zu zeigen, dass dieBibel selbst ein bestimmtes Konzept vonwörtlicher Inspiration enthält. Gerade die-ses Verständnis von Inspiration ist es, dasdie zweifellos vorhandenen Abschreibfeh-ler in der Überlieferung der Bibelmanu-skripte unbedeutend werden lässt. GottesWort wurde den Schreibern nicht buchsta-biert, sondern durch den Heiligen Geistdem wörtlichen Sinn nach eingegeben. Ichunterscheide eine buchstäbliche Inspira-tionsvorstellung von der Verbalinspira-tionslehre, die dem Umgang der HeiligenSchrift mit dem Reden Gottes und denHeiligen Schriften entspricht. Schauen wirallein auf den materialen Buchstabenbe-stand der heute bekannten Bibelhand-schriften, dann sind die Abweichungen derHandschriften untereinander so, dass esunmöglich erscheint, zu sagen, welcheBuchstaben die ursprünglichen waren.Schauen wir dagegen die Ebene des wört-lichen Sinns an, dann sind 98,5 % unum-stritten und auch die unsicheren 1,5 % ste-hen mit keiner Aussage des übrigen Textesin Konflikt. Es ist bei ihnen nur nicht si-cher, ob sie zum ursprünglich von Gott ge-wollten Text gehören oder nicht.

Die Wörter sind wichtigWelche Hinweise finden wir nun in der

Bibel selbst dafür, dass diese Annahme ei-ner Verbalinspiration der Heiligen Schriftals Inspiration des wörtlichen Sinns auchrichtig und angemessen ist? Es lohnt sichdazu einmal den Umgang der Evangelis-ten mit der wörtlichen Rede von Jesus und

den Aposteln genauer anzu-schauen. Dabei machen wir ei-ne Reihe von interessanten Beobachtun-gen, die uns sowohl für das Inspirations-verständnis als auch für das Problem derVarianten in den Bibelhandschriftenweiterhelfen.

Steigen wir mit einer kleinen Beobach-tung ein, die zeigen kann, worum es ei-gentlich geht. Matthäus schreibt in 26,18,dass Jesus seine Jünger für die Vorberei-tung des Passamahls mit den Worten los-schickt: „Gehet in die Stadt zu dem unddem ...“. Ich gehe einmal davon aus, dassjedem Leser klar ist,dass – hätten wir eineTonbandaufnahme desvon Jesus Gesagten –wir statt „dem unddem“ hören würden,wohin Jesus sie genauschickte. Wir hörtendie Anweisungen (vgl.Mk 14,13; Lk 22,10),der Person mit demKrug zu folgen undvielleicht sogar den Namen des Hausbesit-zers, mit dem Jesus Absprachen über dasPassafest getroffen hatte. Matthäus hat al-so kein Problem damit, in die wörtliche Re-de von Jesus einzugreifen. Er ist nicht derÜberzeugung, buchstabengetreu wieder-geben zu müssen, was Jesus gesagt hat,sondern er gibt den wörtlichen Sinn genauwieder. Das bestätigt der Vergleich mit denanderen Evangelisten.

Während es in der antiken Geschichts-schreibung durchaus üblich und akzep-tiert war, den Hauptpersonen seiner Ge-schichte Reden in freier Gestaltung in denMund zu legen, die sie so nicht gehaltenhaben, wollten die Evangelisten offenbardas wörtlich wiedergeben, was Jesus auchtatsächlich gesagt hatte. Die antiken

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Gottes Wortwurde denSchreibern

nicht buchstabiert,sondern dem

wörtlichen Sinn nach

eingegeben

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Geschichtsschreiber verstan-den sich überwiegend als His-

toriker, die keineswegs nur Historienro-mane schreiben wollten und es dabei mitder Wirklichkeitstreue nicht so genau neh-men mussten. Wenn sie sich auch der ge-schichtlichen Wahrheit verpflichtet sahen,so war es für sie doch zugleich normal,wenn sie ihre schriftstellerische Kunst dortzeigten, wo sie Reden kunstvoll kompo-nierten, von denen sie zwar wussten, dasssie gehalten wurden und worum es in denReden ging, aber eben nicht, was genaugesagt wurde. Am ausführlichsten hat dar-über der griechische Historiker Thukydi-des (ca. 455 - 400 v.Chr.) Aus-kunft gegeben:

„Und was in Rede die einzel-nen sagten, entweder im Be-griff, Krieg zu führen, oderschon darin befindlich, da-von war es schwierig, dengenauen Wortlaut des Ge-sprochenen im Gedächtniszu behalten, für mich, wennich es selbst gehört hatte,und für die, die mir anderswoher davonberichtet; wie es mir aber schien, dassdie einzelnen über die jeweils vorliegen-den (Dinge) das Gehörige am ehestengesagt haben könnten – wobei ich michso eng wie möglich an den Gesamtsinndes wirklich Gesprochenen hielt –, soist (in meiner Darstellung) geredet“.6

Wenn Thukydides auch nicht genauwusste, was sein Protagonist gesagt hatte,so reichte es ihm, eine Rede zu komponie-ren, die den „Gesamtsinn des wirklich Ge-sprochenen“ repräsentierte. Später haben

es Tacitus (ca. 58 -120 n.Chr.) und Ar-rian (ca. 85/90 - 145 n.Chr) für normal ge-halten, selbst wenn sie den genauen Wort-laut einer Rede kannten, diese für ihreWerke literarisch zu bearbeiten und ihr da-bei eine geschliffene, einheitliche Form zugeben7.

Die Schreiber der neutestamentlichenBücher nahmen sich diese Freiheit offen-bar nicht. Wenn wir auch keine Tonband-aufnahme der Bergpredigt von Jesus mitdem geschriebenen Text bei Matthäus oderLukas vergleichen können, so zeigen dochzahlreiche Indizien, dass sie sich keine

künstlerische Gestaltungsfrei-heit herausnahmen, um eineRede in ihrem Wortbestandquasi erst zu erfinden.

Paulus sieht auch den Wegzur Irrlehre beschritten, wennsich einer „nicht an die gesun-den Worte unseres Herrn JesusChristus hält“ und unterschei-det diese dabei von „der Lehre,die der Frömmigkeit ent-

spricht“ (1Tim 6,3). Es gibt also einerseitsdie Sätze, die Jesus tatsächlich gesprochenhat und andererseits die Lehre der Apostel,die auf dieser Grundlage durch die Leitungdes Heiligen Geistes herausgebildet wur-de. Wenn Paulus auch nicht viele Sätze ausdem Mund von Jesus zitiert, so legt er dochWert darauf, dass ihnen besondere Auto-rität zukommt. „Nicht ich, sondern derHerr“ gebietet im Blick auf die Eheschei-dung, betont Paulus (1Kor 7,10). Und inseiner Rede an die Epheser in Milet er-innert er an seine Praxis, für seinen Le-

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Es gibt viele Indizien dafür,

dass die Evangelisten

sich keine künstlerische

Gestaltungsfreiheitherausnahmen

___________________________6 Zitiert nach Armin D. Baum, „Hat Lukas Jesus und die Apostel genau zitiert? Die oratio recta

im lukanischen Werk zwischen antiker Profan – und Kirchengeschichtsschreibung”, Israel inGeschichte und Gegenwart: Beiträge zur Geschichte Israels und zum jüdisch-christlichen Dia-log, hrsg. Gerhard Maier. Wuppertal: Brockhaus, 1996: 113.

7 A.a.O. 126-127.

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bensunterhalt als Missionarweitgehend selbst aufgekom-

men zu sein und die gleichzeitige Ver-pflichtung, sich der Notlagen der Schwa-chen anzunehmen, indem er das als einAusleben des Jesuswortes „Geben ist seli-ger als nehmen!“ bezeichnet (Apg 20,35).Weitere Stellen bei Paulus sind 1Kor 9,14,wo es auch um die Versorgung der Predi-ger geht, und 1Thess 4,15, das sich zwarauf eine persönliche Offenbarung an Pau-lus beziehen könnte, ebenso aber auch aufAussagen, wie wir sie Matthäus 25,30f.finden. Wie Paulus sieht auch Petrus einebesondere Autorität in den Jesusworten,wenn er betont, dass man sich an sie ge-nauso erinnern soll, wie an die Worte derPropheten des Alten Testaments. Dabeibenennt er interessanterweise auch dieTatsache, dass diese Jesusworte erst durchdie Apostel überliefert wurden (2Pet 3,2).Sie sind aber nicht Sätze, die die Apostelaus dem gebildet haben, was Jesus so un-gefähr gemeint haben könnte, sonderneben Sätze aus dem Mund von Jesus.

Und auch den nachfolgenden Genera-tionen von Christen war die Frage wichtig,ob die Reden von Jesus nun frei erfunden,gut nachgeahmt oder eben authentischeWiedergabe darstellte. Nur so ist zu erklä-ren, dass Eusebius (ca. 260 - 340 n.Chr.) inseiner Kirchengeschichte klar zwischender „heiligen Vierzahl der Evangelien“und den unechten Schriften unterscheidet,die von Irrlehrern unter dem Namen vonAposteln verfasst wurden. Auch wenn dasThomasevangelium und andere zahlreicheangebliche Gespräche zwischen Jesus und

seinen Jüngern enthalten, ste-hen sie doch „im stärkstenGegensatz zu der wahren, echten Lehre“und geben „dadurch deutlich zu erkennen,daß sie Fiktionen von Häretikern sind“8.Von Papias (ca. 60? - 140 n.Chr.), der nochmit direkten Schülern der Apostel bekanntwar, wenn auch nicht mit den Aposteln sel-ber, weiß Eusebius, dass Markus als Autordes Evangeliums zwar nicht immer in derrichtigen Reihenfolge, aber dennoch „dieWorte und Taten des Herrn genau aufge-schrieben“ hat. Die Worte von Jesus warenPapias sogar so wichtig, dass er einen fünf-bändigen Kommentar nur zu ihnen verfas-ste.9 Diese Tatsachenwerden noch dadurchunterstrichen, dass dieEvangelien zu einemgroßen Teil aus wört-licher Rede von Jesusbestehen, z.B. bei Lukas etwa 68% allerVerse. Es muss hier nicht diskutiert wer-den, ob es den Aposteln überhaupt mög-lich war, die Worte Jesu genau zu überlie-fern. Dass das nicht nur eine Spekulationist, sondern eine durch und durch realisti-sche Annahme, hat Rainer Riesner vor 30Jahren eindrücklich bewiesen10.

Wie genau ist genau?Für unsere Untersuchung nach dem

Einfluss der Varianten auf die Zuverlässig-keit der Heiligen Schrift und auf die Lehrevon der Verbalinspiration ist jedoch dieFrage wichtig, wie viel Abweichungen inder Überlieferung der wörtlichen Redemöglich sind, damit diese noch als wörtli-

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Jesuswortesind Sätze ausdem Mund von

Jesus

___________________________8 Eusebius, Kirchengeschichte III,25,2-7.9 Eusebius, Kirchengeschichte III,39,15.10 Rainer Riesner, Jesus als Lehrer: eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelienüberliefe-

rung, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 2, Tübingen: Mohr, 1981.Der Titel erlebte zahlreiche Auflagen.

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che Rede bezeichnet werdenkann. Inwieweit ist der wörtli-

che Sinn betroffen, wenn es Abweichun-gen gibt? Das Maß dieser Abweichungenkann ein gutes Maß dafür sein, wie viel Va-rianz in den Abschriften zu ertragen ist,ohne dass man sagen muss, man weißnicht mehr genau, was an einer bestimm-ten Stelle gestanden hat. Das wäre näm-lich gleichbedeutend mit der Aussage,dass man das Wort Gottes nicht kennt.

Betrachten wir nun die wörtliche Redevon Jesus Christus in den Evangelien,dann machen wir eine Reihe von hilfrei-chen Beobachtungen. Erstens geht ausden Evangelien ganz klar hervor, dass Je-sus mindestens zuallermeist Aramäischsprach. Aber es stehen nur wenige Wörteroder Sätze auf Aramäisch in den grie-

chisch verfassten Evan-gelien („Abba“ Mk14,36; auch Röm 8,15,Gal 4,6; „Talita kum“Mk 5,41; „Eloi, Eloi, le-ma sabachtani“ Mk15,34; mit hebräischer

Aussprache „Eli, Eli“ genauso Mt 27,46;„Hefata“ Mk 7,34; „Gabbatha“ Joh 19,13;„Golgota“ Joh 19,17; „Rabbuni“ Joh20,16). Dabei handelt es sich um Translite-rationen, das heißt, die aramäische Aus-sprache wurde mit griechischen Buchsta-ben wiedergegeben. Uns liegt also von An-fang an übersetzte wörtliche Rede vor. Wirkennen die buchstäblichen Originalaussa-gen des Herrn Jesus Christus überhauptnicht. Nun wurde das aber zu keiner Zeitvon den Christen als echtes Problem ange-sehen. Wir haben die genauen wörtlichenAussagen von Jesus in der Bibel in einerÜbersetzung. Doch diese Übersetzungliegt uns im Unterschied zu allen unserenÜbersetzungen in einer vom HeiligenGeist autorisierten Form vor. Für unsere

Übersetzungen giltdafür, dass wir anihnen ständig verbessern und feilen kön-nen und immer wieder mit dem Originalvergleichen, bis sie genau wiedergeben,was das Original sagt. Erinnern wir uns indiesem Zusammenhang an eine frühereBeobachtung: Die Abweichungen, dieselbst zwischen den besten unserer Über-setzungen zustande kommen, sind regel-mäßig größer als die Unterschiede, diesich aus dem fehlerhaften Abschreibenvon Manuskripten ergeben haben.

Genauer als jede Übersetzung Wenn wir also zwei deutsche Überset-

zungen des NT nehmen, die sich gleichenÜbersetzungsprinzipien verpflichtet wis-sen und möglichst nah am griechischenText bleiben wollen, dann sind die Unter-schiede zwischen diesen erheblich größerals die größten feststellbaren Unterschiedezwischen zahlreichen alten Manuskripten.

Weil uns die Geschichte von der Ver-klärung noch in einem anderen Zu-sammenhang beschäftigen wird, betrach-ten wir einmal beispielhaft drei Verse dar-aus. Ich stelle sie hier in griechischenSchriftzeichen nebeneinander, weil dasden genauen Vergleich möglich macht.Die Unterschiede werden so auch für den-jenigen deutlich, der kein Griechisch kann.Übrigens waren manche Kopisten der al-ten Handschriften in einer ähnlichen Lage.Sie malten nur die Buchstaben ab, ohnedie griechischen Wörter lesen zu können,was zu einer anderen Art von Abschreib-fehlern führen kann. Der erste Text ist derin der 27. Auflage des sogenannten Nestle-Aland abgedruckte. Das ist die gängigeTextausgabe für das Neue Testament, diepraktisch sämtliche bekannte Handschrif-tenfunde berücksichtigt.

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Uns liegt vonAnfang anübersetztewörtliche Redevon Jesus vor

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Die größte Differenz, in Mat-thäus 17,11-13, die sich aus

rund 100 griechischen Manuskripten ausrund 1000 Jahren Überlieferungsge-schichte konstruieren lässt, ist folgende:

Die Abweichungen im Einzelnen: Der Sprecher Jesus, der aus dem Zu-

sammenhang klar ist, wird ergänzt. Das Wort zuerst, das in Vers 10 an

gleicher Stelle kam, wird hier ergänzt. Das Wort und fällt aus. Entweder man nimmt einen Gramma-

tikfehler bei dieser grammatischenNebenform von „wiederherstellen“ anoder der Abschreiber hat vielleicht ver-standen „du stellst wieder her“, wasaber keinen rechten Sinn macht.

Das Wort „in, an“ entfällt. Die Erkenntnis, dass Jesus

von Johannes dem Täufer sprach, ist in derReihenfolge der Sätze dem über das Lei-den des Menschensohnes vorangestellt.

Zwei sehr ähnliche Übersetzungen ausder gleichen Entstehungszeit haben dop-pelt so viele Abweichungen untereinanderwie rund 100 Abschriften aus 1000 Jahren.Ehe wir uns aber an den festgestellten Ab-weichungen festhalten, müssen wir beach-ten, dass sich bei dem griechischen Text ander wörtlichen Aussage durch die Abwei-chungen gar nichts ändert. Ob im Original„Jesus“ stand oder nicht, ist deswegen un-erheblich, weil eindeutig „Jesus“ gemeintwar. Wenn auch Matthäus das Wort

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Schlachter 2000

11 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Elia kommt freilichund wird alles in den rechten Stand setzen; 12 ich sage euch aber, daßElia schon gekommen ist; und sie haben ihn nicht anerkannt, sondernmit ihm gemacht, was sie wollten. Also wird auch des MenschenSohn von ihnen leiden müssen. 13 Da verstanden die Jünger, daß er zuihnen von Johannes dem Täufer redete.

Elberfelderrevidiert

11 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Elia kommt zwar undwird alle Dinge wiederherstellen. 12 Ich sage euch aber, daß Eliaschon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihmgetan, was sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschenvon ihnen leiden ( ). 13 Da verstanden die Jünger, daß er von Johannesdem Täufer zu ihnen sprach.

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„Jesus“ nicht geschrieben ha-ben sollte, so ist das wörtlich,

was er gesagt hat, denn „er“ ist Jesus. Dasgleiche gilt analog für alle anderen Varian-ten, auch für die Umstellung der Verse, diesich so im parallelen Text bei Markus fin-det (9,11-12). Auch die meisten Abwei-chungen in den Übersetzungen sind keineVarianten im wörtlichen Inhalt, denn obwir übersetzen „alles“ oder „alleDinge“, „des Menschen Sohn“oder „der Sohn des Menschen“,„sprach“ oder „redete“ ändertnichts. Aber selbst wo der wörtli-che Sinn der Übersetzung leichtvariiert, da müssen wir zugeben,dass das im Rahmen dessen liegt,was wörtlich im Urtext gemeint ist undsich aus der Variationsbreite ergibt, die je-de Übersetzungsarbeit mit sich bringt. Einerster Blick auf durchaus typische Varian-ten in drei Bibelversen zeigt uns also er-neut: der wörtliche Inhalt ist vollkommenklar, auch wenn der Buchstabenbestandunsicher ist.

Im wörtlichen Sinn übereinstimmendBetrachten wir nun zweitens die Ver-

klärungsgeschichte als ein Beispiel für eineinmaliges Ereignis, das uns drei Evange-listen genau schildern und das als histori-sches Ereignis auch im zweiten PetrusbriefErwähnung findet (2Pt 1,16-18). Für un-sere Untersuchung besonders interessantist, dass die wörtliche Rede Gottes auch im2Pt wiedergegeben wird. Es lohnt sich, dieentsprechenden Verse miteinander zu ver-gleichen, weil sie eindeutig auf dieselbe hi-storische wörtliche Rede zurückgehen. Beivielen Sätzen von Jesus in den Evangelienmuss man davon ausgehen, dass Jesus sie

nicht nur einmal ge-sagt hat. Da sämtli-che Reden von ihm vielleicht drei StundenRedezeit ausmachen11, dürfen wir davonausgehen, dass er viele Predigten mehr alseinmal gehalten hat und sich dabei oftwiederholt, ohne immer exakt die gleichenWorte benutzt zu haben. Selbst wenn es al-so stenografische Notizen der Reden Jesu

gab, könnte der inhaltlich gleicheSatz schon deswegen in mehre-ren Varianten vorliegen, weil ihnJesus bei verschiedenen Gelegen-heiten auch in mehreren Varian-ten gesagt hat. Dafür sprichtauch der durchgängige Befund,dass der Zentralsatz oder Spit-

zensatz einer Rede jeweils die höchsteÜbereinstimmung zwischen den Evange-lien aufweist.

Mit der Verklärungsgeschichte und derAbendmahlserzählung – aber natürlichauch einigen anderen – ist es aber so, dasssie ein einmaliges Ereignis erzählen. EinVergleich lohnt sich für unsere Betrach-tung also besonders. Dabei wird man zu-nächst einmal feststellen, dass die soge-nannten Synoptiker Matthäus, Markusund Lukas wohl kaum so oder so vonein-ander abgeschrieben haben. Die Zahl derWortunterschiede in der Erzählung istnämlich so groß, dass sie schon auf denzweiten Blick den starken Eindruck hinter-lassen, dass sie nicht direkt voneinanderabhängig sind. Denn sonst müsste mandoch für jede Abweichung eine Erklärunggeben können der Art: „Matthäus hat, alser von Markus abschrieb, diese Formulie-rung geändert, weil ...“. Was aber möglichist und von Lukas auch bestätigt, dass siedie gleichen Quellen kannten und benutz-

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SämtlicheReden unseresHerrn machenvielleicht drei

Stunden Redezeit aus

___________________________11 Siehe dazu den interessanten Artikel von Franz Stuhlhofer, „Drei Stunden Jesus-Reden”,

Schritte: Magazin für Christen 1(1991): 24-26.

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ten. Aber das ändert nichts ander Tatsache, dass sie am exak-

ten Wortlaut der wörtlichen Rede ein be-sonderes Interesse zeigten12.

Ich stelle wieder einige Verse zum Ver-gleich nebeneinander und versuche mitUnterstreichungen auf die Gemeinsam-keiten und einige interessante Abweichun-gen hinzuweisen.

Ohne auf alle Einzelheitenin diesem Vergleich eingehenzu können, kann man folgende Beobach-

tungen machen, die so regelmäßig wieder-zufinden sind:

A. Es gibt erstaunlich große Überein-stimmungen besonders in der wörtlichen

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Irrtumslos trotz Fehlern?

___________________________12 Zurecht stellt A. Baum fest: „Aber die grundsätzliche Beobachtung, dass die Evangelisten am

exakten Wortlaut der Reden Jesu interessiert waren, wird durch keine der gängigen Hypothe-sen in Frage gestellt. Sind die Synoptiker von einer gemeinsamen Quelle abhängig, etwa einemschriftlichen Urevangelium oder Einzeldiegesen bzw. Diegesensammlung, so hätten sie diesewenigstens teilweise, besonders aber in den Redestücken wörtlich abgeschrieben. Bildete einmündliches Urevangelium die Grundlage ihrer Darstellungen, dann wären sie mit diesem ähn-lich verfahren. Und auch falls man von einer gegenseitigen Benutzung ausgeht, etwa im Sinneder Markus- oder der Matthäuspriorität, müsste man annehmen, dass beispielsweise Lukaszahlreiche Jesusworte nahezu wortwörtlich aus dem Werk des Matthäus oder Markus kopierthat” (A.a.O. 137).

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Rede, die sich am natürlichstendamit erklären lassen, dass alle

Evangelisten aus den gleichen Quellenschöpften und auf die genaue Wiedergabeder Jesusworte und anderer wörtlicher Re-de hoher Wert gelegt wurde. Dabei lässtsich eine Abstufung feststellen:

„Die synoptischen Gespräche sind inder Regel ganz auf jenenAusspruch konzentriert,mit dem Jesus eine Streit-frage entscheidet. Bei die-sen Aussprüchen weisendie Synoptiker eine be-trächtliche Wortüberein-stimmung auf, während diese Überein-stimmung beim Rahmen wesentlichgeringer ist. Das zeigt, dass bei jenementscheidenden Ausspruch Jesu das be-sondere konservierende Interesse derTradenten lag. Daneben wurden auchdie Worte von Jesu Gesprächspartnernsehr einheitlich überliefert“.13

B. Die Art und Weise der einzelnen Ab-weichungen wiederum kann uns helfen,das richtige Verständnis für die Inspirationder Worte Gottes zu finden. Der Vergleichder Verse der ersten Reihe zeigt zum Bei-spiel, dass Lukas das „Amen, ich sageeuch“, was eine aramäische Ausdrucks-weise darstellt, auf Griechisch übersetzthat, indem er schrieb: „Ich sage euch derWahrheit gemäß“.

Am Ende der Verse liegt die Überein-stimmung im Sehen der KönigsherrschaftGottes. Die jeweiligen Zusätze bei Mat-thäus und Markus weisen erklärend dar-aufhin, dass es sich um ein besonderes Er-eignis, das über den Anbruch des ReichesGottes mit dem ersten Kommen von Jesushinausgeht, handeln muss. Was Jesus nun

buchstäblich genaugesagt hat, das kön-nen wir an dieser Stelle nicht wissen. Waser aber dem wörtlichen Sinn nach gesagthat, ist eindeutig. Für das Ergebnis ist esdarum auch unerheblich, ob wir anneh-men, dass Jesus in der kürzesten Form wiebei Lukas formuliert hat und Matthäus

und Markus unter der Leitungdes Heiligen Geistes die erklä-renden Zusätze nach dem vonJesus Gemeinten hinzugefügthaben oder ob Lukas die erklä-renden Worte weggelassenhat.

Wenn in der zweiten Reihe deutlichwird, wie hoch die Übereinstimmung derWiedergabe der wörtlichen Rede von Pe-trus ist, dann fragt man sich vielleicht um-so mehr, wie Petrus Jesus denn genau an-gesprochen hat, als „Herr“ oder als „Rab-bi“ oder als „Meister“. Hier erscheint esmir am sinnvollsten davon auszugehen,dass alle drei Anreden innerhalb der Varia-tionsbreite einer Übersetzung aus demAramäischen liegen. Denn in dem aramäi-schen „Rabbi“ klingt die gegebene Breitean.

Bei der Aussage Gottes vom Himmelüber seinen Sohn vermag die hohe Über-einstimmung nicht zu verwundern, dennwas die Jünger da gehört hatten, war si-cher höchst eindrücklich. Umso mehr istman erstaunt, dass sich bei Lukas statt„geliebter“ „auserwählter“ findet. EinBlick in die Situation der Handschriften-funde zeigt, dass die Mehrzahl der Lukas-manuskripte an dieser Stelle „geliebter“stehen haben, die älteren jedoch „auser-wählter“. Was genau hat Gott nun gesagt?Welcher Text ist inspiriert? Vergleichenwir das hebräisch-aramäische Bedeu-

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Thomas Jeising

Es gibt erstaunlich große

Übereinstimmungen,besonders in derwörtlichen Rede

___________________________13 Stuhlhofer, a.a.O. 105.

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tungsspektrum von „erwählen“mit dem von „lieben“, dann

zeigt sich, dass „erwählen“ im Sinne von„vorziehen“ verstanden werden kann, wasim Gegensatz zu „verachten, gering schät-zen“ steht. Und „lieben“ kann genauso imSinne von „vorziehen“ verstanden wer-den. Dieses Verständnis kommt etwa inMatthäus 6,24 zum Ausdruck. So zeigtsich auch in diesem Fall, dass die beidenBegriffe eher Licht aufeinander werfen,statt einander zu widersprechen. GottesLiebeserklärung ist ja kein Ausdruck vonGefühlsüberschwang, sondern in dem ge-samten Zusammenhang die Mitteilungseines Beschlusses, dass sich an JesusChristus die zeitliche und ewige Geschich-te entscheiden soll.

C. Was hier beispielhaft gezeigt wurde,findet sich an vielen Stellen des Neuen Tes-taments. Das hohe Interesse am genauenWortlaut widerspricht sich nicht mit einergewissen Variationsbreite in den Formu-lierungen. Wie gesehen sind diese keines-wegs beliebig und dienen zu einem besse-ren Verständnis des Gemeinten. Die Vari-anten bewegen sich in einem Spektrum,das man bei einer guten Übersetzung er-warten kann. Mal variiert die Auswahl desWortes im Bedeutungsspektrum, mal fin-den sich erklärende Zusätze, aber nie hatman den Eindruck, als würden die Evan-gelisten frei formulieren oder Jesus ihrenStil aufdrängen.

Stuhlmacher beschreibt die Situationeindrücklich:

„Grundsätzlich kann man festhalten:Die normale Sprache der Lehre Jesuwar das Aramäische. Die weite Verbrei-tung des Griechischen in Palästina waraber eine wichtige Voraussetzung für

eine sorgfältige Überset-zung der Worte Jesu. Schonallein das damalige Sprachmilieu wirdalso eine starke Barriere gegen eine we-sentliche Entstellung der Worte Jesubei ihrem Übergang ins Griechischegewesen sein.

Als positiver Hinweis auf die Über-lieferungstreue beim Übersetzungspro-zess dient die Beobachtung, daß sichbei der Rückübersetzung der Worte Je-su ins Aramäische viele poetische Phä-nomene erkennenlassen (bzw. wer-den die Wortebeim Zurückge-hen aufs Aramäi-sche erst richtigverständlich).

Bei Markussehen wir, dass ernur sehr zögerndseinen eigenenSprachgebrauch eingeführt hat undmanche Satzteile selbst dann vollkom-men übernommen hat, wenn bei wei-tem nicht alle Einzelworte zu seinemKontext paßten. Lukas, der glänzendesGriechisch schreiben konnte, hat dieAussprüche Jesu doch nur mit großerZurückhaltung gräzisiert, obwohl de-ren semitisierende Form sein Stilemp-finden stören mußte“14.Das gilt nach meiner Ansicht auch für

das Johannesevangelium, das sicher eineSonderstellung einnimmt. An den weni-gen Stellen, wo es Parallelen zu den Synop-tikern gibt, wie etwa bei der Speisung der5000, beobachten wir das Gleiche wiebeim Vergleich der Synoptiker untereinan-der. Und trotz der vielen kleinen Unter-schiede bei gleichzeitig jeweils großem

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Bei der Rück-übersetzung derWorte des Herrnins Aramäische

lassen sich vielepoetische

Phänomeneerkennen

___________________________14 Stuhlmacher, a.a.O. 89.

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Anteil von wörtlicher Rede inden Evangelien hat man trotz-

dem nie den Eindruck, es mit unterschied-lichen Personen zu tun zu haben, ob nunJesus bei den Synoptikern spricht oder beiJohannes.15

Diese Beobachtungen stehen in einerunübersehbaren Parallele zu dem, was wirin den alten Manuskripten und ihren Vari-anten untereinander vorfinden. Es gibt einhohes Maß an Übereinstimmung, ein vielhöheres als man erwarten kann, und dieAbweichungen, soweit sie nicht als Recht-schreib- oder Grammatikfehler irrelevantsind, bewegen sich im selben Rahmen, wiewir ihn auch bei der Wiedergabe der wört-lichen Rede von Jesus antreffen. Und weildieser Rahmen bei der Wiedergabe derwörtlichen Rede durch die göttliche Inspi-ration bestätigt wurde, können wir darausschließen, dass dieselbe Inspiration durchVariationen bei den Handschriftenfundennicht beschädigt wird. Ich will aber auchan dieser Stelle noch einmal betonen, dassdies nur wenige Stellen im Neuen Testa-ment überhaupt betrifft. 98,5 % unseresBibeltextes ist unstrittig und wir könnendavon ausgehen, dass wir in ihm den Ur-text vorliegen haben.

Zusammenfassung: Fehlerhafte Manuskripte –Schwächung oder Stärkung der Überzeugungvon der Zuverlässigkeit der Heiligen Schrift?

2008 kam ein Buch nach Deutschland, indem sein amerikanischer Autor Bart D.Ehrmann schildert16, wie er sich von

seinem „Hard-core-Christentum für diehundertprozentig Überzeugten“17, dasdie Bibel für das unfehlbare Wort Gotteshält, ohne Fehler und wörtlich inspiriert,durch die Entdeckung der Handschriften-überlieferung („Wir haben nur Abschriftenvoller Fehler.“18) zu einem Christen ent-wickelte, dem die Bibel nur mehr „als sehrmenschliches Buch“ erscheint. Er nimmtim Laufe der Zeit die meisten Überzeu-gungen der historisch-kritischen Theolo-gie an und kommt zu dem Schluss: „DieBibel ist letztendlich ein durch und durchvon Menschen gemachtes Buch“.19 Dannentschließt er sich, das – seiner Meinungnach – erste Buch für theologische Laienüber Textkritik zu schreiben, um sie aufseinem Weg weg von der „Bibel als fal-sches Idol“20 mitzunehmen.

In Anbetracht dessen, dass die Textkri-tik eine kritische Untersuchung der Hand-schriftenfunde darstellt, um den Urtext zuerkennen, aber keine Kritik am Urtextselbst ist, kann ich nur sagen, dass ich imLaufe meiner Beschäftigung mit ihr in derÜberzeugung gestärkt worden bin, dassich in meiner Bibel das unfehlbare WortGottes vor mir habe. Darum verstehe ichauch diese Artikelreihe nicht als verzwei-felten Abwehrkampf zur Verteidigung ge-gen den Vorwurf, der Bibeltext sei unge-nau. Ich stelle vielmehr fest, dass uns Gottgerade durch einen Text mit Ungenauig-keiten und möglichen Varianten, eine Ver-sicherung über den Zustand des Bibeltex-tes gibt, den wir nicht hätten, wenn nur

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Thomas Jeising

___________________________15 Stuhlmacher schreibt zu Recht: „Die Verschiedenheiten sollten uns auch die Gemeinsamkeiten

nicht übersehen lassen. Wer zum ersten Mal die vier Evangelien durchliest, wird durchaus dasEmpfinden haben, eine einheitliche Botschaft vor sich zu haben. Auf die Unterschiede wird ererst bei genauem Vergleichen aufmerksam”. A.a.O. 105.

16 Bart D. Ehrmann, Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden: wie die Bibel wurde, was sieist. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2008.

17 A.a.O. 17. 18 A.a.O. 20. 19 A.a.O. 25. 20 A.a.O. 28.

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eine einzige alte Handschriftvorhanden wäre. Darum will

ich hier noch einmal die Gewinn- und Ver-lustrechnung aufmachen, die sich unsdurch die vorhandene Handschriftenlagedarbietet.

A. Der Überblick über die Handschrif-tenfunde zeigt uns einen schmalen Rauman Unsicherheit, aber einen erstaunlichgroßen Raum an Sicherheit über den Urtext.

Hätten wir nur eine einzige Hand-schrift, wüssten wir nicht, wie genau dieseist. Wir hätten zwar kein Problem mit Ab-schreibfehlern und der Abwägung von Va-rianten, die sich aus dem Vergleich von 50oder 100 Abschriften ergeben. Wir wüs-sten aber tatsächlich nicht, wie gut oderschlecht unsere Abschrift wäre. Den Argu-menten von Verschwörungstheoretikern,dass die Bibel das Produkt systematischerFälschung durch Irrlehrer, die römischeKirche oder die Freimaurer sei, wäre kaumetwas entgegenzusetzen. Vielmehr müs-sten wir selbst misstrauisch werden, wieder Polizeiermittler, dem mehrere Zeugendie exakt gleiche Erklärung präsentieren.Er kann nichts anderes schließen, als dasssie sich aus irgendeinem Grund abgespro-chen haben. Dass es bei mehreren ZeugenAbweichungen gibt, ist als normal zu er-warten. Die Qualität der Zeugen ist geradean der Art der Varianten zu erkennen unddas hilft, ihre Zuverlässigkeit abzuschät-zen. Nun haben aber selbst die moderns-ten Computervergleiche immer wieder er-wiesen, dass bei allen Variationen, die vor-kommen, der zuverlässige Bibeltext bis aufwenige Stellen eindeutig zu ermitteln ist,und auch diese wenigen Stellen, wo derWortlaut nicht 100%ig ist, bringen keine

neue Lehre oder widersprüchli-che Erkenntnisse. Aber auchüber die Zeiten betrachtet haben alle Ge-nerationen von Christen einen zuverlässi-gen Bibeltext besessen. Die verbreitetenHandschriftenfamilien des Mittelalterssind gegenüber unseren mit ausgefeiltenMethoden erhobenen Textfassungen nuran wenigen und niemals an entscheiden-den Stellen abweichend. Unserem heuti-gen Alten Testament liegt immer noch eineüber 1000 Jahre alte Handschrift zugrun-de, die nur an wenigenStellen verbessert wer-den musste.

Insofern fragt mansich, wie Bart Ehrmannzu einer Darstellungüber den Galaterbriefkommen kann, die amEnde lautet:

„Es ist kaum möglich, etwas über den‚ursprünglichen’ Text des Briefes an dieGalater zusagen. Wir haben ihn nicht.Was wir tun können: in ein möglichstfrühes Stadium seiner Übermittlungzurückgehen und zu hoffen, dass das,was wir von den dort zufällig erhalte-nen Kopien rekonstruieren können, un-gefähr dem Wortlaut oder wenigstensder Intention des Paulus entspricht“21. Aus der Tatsache, dass das älteste Manu-

skript des Galaterbriefes auf etwa 200 n. Chr.datiert wird, zieht er den Schluss, der Briefsei zwischen seiner Entstehung und die-sem Manuskript von Abschreibern 150Jahre lang willkürlich korrumpiert wor-den. Zu diesem Schluss kann nur jemandkommen, der Wesentliches der Überliefe-rungsgeschichte nicht verstanden hat. Daes zahlreiche andere Manuskripte gibt, dienicht von diesem Papyrus 46 abstammen,

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Die Qualität derZeugen ist

gerade an der Art der

Varianten zuerkennen

___________________________21 A.a.O. 75.

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sondern von anderen Abschrif-tenfamilien, beweist ein Ver-

gleich, dass sich Ehrman grundlegend irrt.Selbst wenn, was ganz unwahrscheinlichist, gleich die ersten Abschriften des origi-nalen Galaterbriefes größere Fehler ent-hielten, bedeutet das nicht, dass diese un-entdeckt geblieben wären und wir des-wegen einen unsicheren Text des Galater-briefes hätten. Im Blick auf das Johannes-evangelium möchte er allein aufgrund derFeststellung, dass einzelne Abschnitte, wieetwa die Einleitung Kapitel 1,1-18, einenanderen Schreibstil haben, gleich eine

„Originalform“ ohnediesen Abschnitt „re-konstruieren“ odernoch besser gleich ei-ne fiktive ursprüngli-che mündliche Tradi-tion. Er behauptet ge-gen alle Tatsachen:

„Dies sind die Fragen, die Textkritikerquälen und einigen von ihnen jede Su-che nach dem Originaltext sinnlos er-scheinen lassen, können wir uns dochnicht einmal darüber einigen, was den‚Originaltext’, sagen wir des Galater-briefes oder des Johannesevangeliums,ausmacht“.22

Tatsächlich sind sich alle ernstzuneh-menden Textkritiker darüber einig, dass essich bei diesen Erwägungen um Spekula-tionen von Exegeten handelt, für die dieTextüberlieferung keinerlei Anlass bietet.

Die unvorstellbare mühevolle Entziffe-rung immer neuer Handschriften hat inden vergangenen 250 Jahren keinen neuenUrtext hervorgebracht, sondern den altennur immer wieder bestätigt. Die Abwei-chungen halten sich in Grenzen, die deut-lich machen, dass wir nicht damit rechnen

müssen, dass irgend-wann herauskommt,wie irgendein Kirchenvater unser NT zu-sammenfabuliert hat und dass Jesus wirk-lich etwas ganz anderes sagen wollte. DieArt der Abweichungen zeigt auch, dass dieFehler sich nicht potenzierten, sondernsich in engen Grenzen hielten. Man kannsogar sagen, dass das seinen Grund in derInspiration der Texte hat. Das kann jedenBibelleser zuversichtlich machen, dassauch in den kommenden 250 Jahren keinneuer Bibeltext „rekonstruiert“ werdenmuss. Wir haben heute den Urtext wört-lich vor uns liegen. Außerdem haben wirviele gute Bibelübersetzungen, so dassauch derjenige, der den hebräischen undgriechischen Text nicht lesen kann, sichersein darf, dass ihm das Wort Gottes zu-gänglich ist, wie Gott es von Anfang anmitteilen wollte.

B. Die vorhandenen Unstimmigkeiten re-gen dazu an, genauer zu fragen, was an ei-ner Stelle gemeint ist.

Wer nur oberflächlich liest, der wirdUnstimmigkeiten in der Bibel gar nichtentdecken. Wer genauer hinschaut, wirdaber über sie stolpern. Und beim Lesen derBibel ins Stolpern zu geraten, ist gar nichtimmer schlecht. Unnötige „Wacken undKlötze“ wollte der Übersetzer Martin Lu-ther für den Leser aus dem Weg räumen.Es gibt aber auch „Wacken und Klötze“,die durchaus notwendig sind und nichteinfach weggeräumt werden sollten undkönnen. Wenn ich anstößige, unklare oderwidersprüchliche Aussagen entdecke, hatmich das bisher immer dazu angespornt,genauer hinzuschauen und hinterher habeich viel mehr entdeckt, weil ich nicht nachdem ersten Blick gleich weitergezogen bin,

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Ehrmann hatWesentliches derÜberlieferungs-geschichteoffenbar nichtverstanden

___________________________22 A.a.O. 76-77.

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sondern auf meiner Suche nachdem richtigen Verständnis ge-

forscht habe. Weil aber das Wort Gottes ei-nen Reichtum enthält, den Mark Twaineinmal mit dem Sternenhimmel verglich:„Je länger ich hineinschaue, umso mehrentdecke ich“, darum glaube ich, dassgöttliche Absicht auch dort vorhanden ist,wo wir auf den ersten Blick nur menschli-che Fehler sehen.

Bart Ehrman diskutiert mit übertriebe-nem Pathos eine kleine, aber interessanteAbweichung im Text der Handschriftenvon Hebräer 2,9. In nur zwei späten Ma-nuskripten aus dem 10. Jahrhundert heißtes, dass Jesus nicht „durch Gottes Gnade“für uns den Tod schmecken sollte, sondern„ohne Gott“. Diese Verschreibung ist si-cher aufgrund der Ähnlichkeit zwischenden griechischen Wörtern ca,rij für „Gna-de“ und cwri,j für „ohne“ entstanden.Dass Ehrman aufgrund dieser Verschrei-bung beinahe eine eigene Jesus-Theologiedes Hebräerbriefes konstruieren will, zeigtwieder, wie er sich bei teilweise richtigenErkenntnissen regelmäßig versteigt.23

Aber immerhin, es gab unzweifelhaft Chri-sten, die den Text mit dem falschen „ohne“vorliegen hatten und ihn benutzt haben,auch wenn das Original und damit der Ur-text mit Sicherheit anders war. Aber selbstdiese kleine Nebenbeobachtung kann,wenn wir nicht unsere eigene Theologiedaraus entwickeln wollen, einen geist-lichen Gewinn bringen. Werden wir dochdaran erinnert, dass Jesus Christus amKreuz mit dem Schrei starb: „Mein Gott,mein Gott, warum hast du mich verlas-sen?“ Der Herr Jesus erlebte tatsächlichmindestens einen Moment der Abwen-dung Gottes um der Sünde der Menschenwillen. Ich bin der Überzeugung, dass

Jesus im Garten Gethsemanegenau diesen Moment fürchte-te und nicht das Leiden an sich. Einen Mo-ment ohne Gott fürchtete er so sehr, weil erals der Geliebte Gottes genau wusste, wasdas bedeutet, und nicht leichtfertig wie wirohne Gott auszukommen meinte. Wirmerken sofort, dass uns die nähere Be-schäftigung mit dem Wort Gottes durchden Heiligen Geist auch in die Nähe Gottesbringt. Selbst wenn es also tatsächlich inHeb 2,9 „ohne Gott“ geheißen haben soll-te, dann änderteselbst das nichts anden biblischen Aussa-gen über das Leidendes Herrn Jesus Chri-stus. Es änderte auchnichts an seinem Ver-hältnis zu Gott demVater, denn der He-bräerbrief sagt janoch viel mehr darüber und in seinem Zu-sammenhang muss die Aussage verstan-den werden. Das Nachdenken darüber istaber immer ein Gewinn.

C. Die Handschriftenlage hilft uns, denUnterschied zwischen einer buchstabischenund einer wörtlichen Inspiration genauerzu erkennen.

Immer wieder habe ich Begegnungenmit ernsthaften Christen und Gemeinden,die bibeltreu sein wollen, aber oft habe icherlebt, dass ich ungläubig angeschaut wer-de, wenn ich sage, dass ich die Verbalinspi-rationslehre vertrete. Dann werde ich ge-fragt, ob ich denn wirklich glaube, dass dieBibel vom Himmel gefallen sei und jederBuchstabe – wie beim automatischenSchreiben – den Autoren in die Feder floss.Ja, man schaut mich an, als lebte ich hinter

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Irrtumslos trotz Fehlern?

Göttliche Absichtist auch da

vorhanden, wowir auf den

ersten Blick nurmenschlicheFehler sehen

___________________________23 A.a.O. 164-170.

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dem Mond. Ich habe das „Un-wort“ „Verbalinspiration“ in

den Mund genommen. Wenn ich dann fra-ge, was meine Gesprächspartner dennüber das Verhältnis von Gottes Geist undWirken und seiner Heiligen Schrift glau-ben, dann höre ich manchmal Ausdrücke

wie „Realinspira-tion“ oder nochlieber „Personal-inspiration“, woich den Eindruckgewinne, dassmein Gegenüberdiese Begriffe –

ohne ihren Inhalt oder ihre Geschichterichtig durchdacht zu haben – nur verwen-det, um das Schreckgespenst „Verbalinspi-ration“ zu umgehen. Mathias Kürschnerscheint Ähnliches erlebt zu haben:

„Man kann fast den Eindruck gewin-nen, die Realinspiration sei eine Erfin-dung modern-aufgeklärter Apologetik,um das Unwort ‚Verbalinspiration’ um-gehen zu können, ein ‚missionarischesAngebot’ derjenigen, die stets ge-sprächsbereit am Puls der Zeit lau-schend die biblische Botschaft selbst-vergessen ihrer Widerwärtigkeiten(biblisch gesprochen: ihres ‚Ärgernis-ses’) entäußern, sobald jener Puls ange-sichts ihrer Rede ein wenig zu steigendroht. Sie reagieren damit auf diegleichsam magisch-exorzistische Wir-kung, welche die Aussprache diesesWortes zur Folge hat. In der Tat, es isteine Art ‚Knüppel-aus-dem-Sack’, derauch die lethargischsten Charaktere zuungeahnter Dynamik zu stimulierenvermag“.24

Aber Christen,die darauf vertrau-en, dass Gottes Wort das von Gottes Geistaus- und eingehauchte Wort ist und dassman dieses Wort in der Bibel finden kann,leben keineswegs hinter dem Mond. Siehaben auch kein islamisches Verhältniszur Bibel. Sie glauben auch nicht an die Bi-bel anstatt an Jesus Christus. Es ist aller-dings auch für sie notwendig, sich und an-deren darüber Rechenschaft zu geben, wassie mit „Inspiration der Bibel“ genau mei-nen. Und dabei sollte man sich ebenso we-nig hinter Begriffen verstecken, die nurscheinbar etwas erklären, wie hinter wol-kigen Aussagen, die jede Klarheit absicht-lich vermeiden. Der alte Begriff „Verbalin-spiration“ ist jedoch immer noch eine guteGrundlage, um Klarheit zu erreichen,wenn man darlegt, was mit der Inspirationder Bibel auf der Ebene des wörtlichenSinns gemeint ist. Diese bietet eine guteHilfe, das Vertrauen auf das lebendige WortGottes, wie wir es in der Bibel vorfinden, zustärken. Die Diskussion um die Situationder Handschriften und das Vertrauen aufdie Irrtumslosigkeit der Bibel in ihren Ur-schriften, wie es die Chicago-Erklärungwiderspiegelt, kann dabei sehr hilfreichsein. Es ist nicht nötig, sich von Menschenverunsichern zu lassen, die nicht aufhören

„Dinge an der Schrift zu betonen undsogar zu problematisieren, die derzeiteigentlich von niemandem bezweifeltwerden. Unermüdlich betonen sie, dassdie Bibel von Menschen geschriebenwurde, dass dieses Buch nicht einfachvom Himmel gefallen sei. Man zeigemir diesen Menschen, der das behaup-tet. Ich kenne ihn nicht. Dennoch mussman den Eindruck gewinnen, dass die

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„Verbalinspiration“gilt selbst in manchenfrommen Kreisen als„Unwort“ undSchreckgespenst

___________________________24 Mathias J. Kürschner, Martin Luther als Ausleger der Heiligen Schrift, Gießen: Brunnen-Ver-

lag, 2004: 18-19.

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Rede nicht wirklich ins Leerezielt. Sie wirkt wie die Rede des

Taschendiebes, der dem designiertenOpfer mit zum Himmel gereckten Ar-men predigt: ‚Alles Gute kommt vonoben!’ Während das arme Opfer nochbeglückt zum Himmel schauend der tie-fen Wahrheiten nachsinnt – denn es istja wahr, dass das Gute von oben kommt– kommt von unten die (nicht ganz sogute) Hand des Diebes und die Briefta-sche ist weg. – Vielleicht sollte man beimanchen theologischen Statementsmehr auf das hören, was gerade nichtbetont wird – und wird reicher, sozusa-gen ‚sub contrario’ belehrt, aus der Situ-ation hervorgehen.“25

Darum ist es so entscheidend wichtig,dass wir den Reichtum einer gesunden In-spirationslehre für uns selbst nicht verlie-ren. In der Debatte um die Überlieferungder biblischen Texte sind in den vergange-nen 250 Jahre so viele Nebelkerzen ver-schossen worden. So viele Ablenkungs-manöver wurden gestartet, in denen manaus Halb- und Viertelwissen weitreichen-de Schlüsse gegen die Vertrauenswürdig-

keit der Bibel zog. Da ist es beider nicht immer einfachen Ma-terie in der Verteidigung der Bibeltreue fürviele schwer geworden, die Übersicht zubehalten. Das hat zu manchen Kurz-schlüssen verführt, die nur weiter verunsi-chern. Darüber hinaus sollten wir auch imGespräch mit unseren Zeitgenossen eineInspirationslehre verantworten können,die nicht wesentliche Tatsachen ausblen-den muss. Es zeigt sich auch an diesemThema, dass die Väter der Chicago-Erklä-rung zur Irrtumslosigkeit der HeiligenSchrift vor 30 Jahren Wegweisendes ver-fasst haben, das uns weiter eine Hilfe ist.Sicher wird die Inspirationslehre dazunicht zum Thema für eine evangelistischePredigt oder ein evangelistisches Ge-spräch, aber weil alle unsere Verkündi-gung auf der Autorität des Wortes Gottesberuht, wird das Fragen früher oder spä-ter auch dazu führen, dass wir darlegenmüssen, warum wir uns auf unseren heu-tigen Bibeltext verlassen können. Für die-se Fragen gibt es gute Antworten, die we-der das Denken noch den Glauben im Re-gen stehen lassen.

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Irrtumslos trotz Fehlern?

___________________________25 Kürschner, a.a.O. 19.

In dieser Ausgabe liegenwieder einige Fragen undAntworten zur Bibel vor. Je-der Leser ist eingeladen, andere am Forschen in der Schrift teilhaben zu lassen, in dem erseine Fragen einsendet. Die neue Frage bietet auch wieder die Möglichkeit, selber eineAntwort an die Redaktion zu schicken, die entweder abgedruckt wird oder je nach dem ineine gemeinsame Antwort mehrerer Leser einfließt. Die Antworten stammen diesmal vomBetreuer der Rubrik Frage und Antwort

Thomas Jeising aus Homberg/Efze.

Wohlgeruch, Kamel und Tod

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Wohlgeruch Christi?

Woran denkt Paulus, wenn er das Bild vomWohlgeruch Christi in 2Kor 2,14-16 be-nutzt? Ist hier an die Opfer gedacht, die öf-ter ein „lieblicher Geruch“ genannt werden(z.B. 3Mo 1,9, Hes 20,41 u.ö.) und woraufPaulus auch in Eph 5,2 und Phil 4,18 an-spielt?

Hartmut Denker, Siegen

Schaut man sich die Verse im 2Korin-therbrief genau an, dann ist offen-sichtlich, dass Paulus an dieser Stel-

le mindestens nicht ausschließlich denlieblichen Geruch der Opfer, die in der Re-de des Alten Testaments angesprochensind, im Sinn haben kann. Das wird darandeutlich, dass die verschiedenenAusdrücke „Duft seiner Erkennt-nis“, „Wohlgeruch Christi“, „Ge-ruch des Todes“ und „Geruch desLebens“ noch ganz andereAspekte ansprechen. Der ange-nehme Geruch des Opfers im Alten Testa-ment ist allein für Gott selbst bestimmt.Darum steht der Räucheraltar auch imheiligen Bereich, der nur für den Priesterzugänglich ist. Auch das Räucherwerk inOffenbarung 5,8, das die Ältesten im Him-mel bringen und das die Gebete der Heili-gen darstellt, richtet sich allein an Gott.

Der gute Geruch der Erkenntnis vonChristus aber soll sich überall ausbreitenund ist dazu bestimmt, dass Menschen er-kennen, dass Christus der Retter ist undseine wunderbare Rettungstat der einzigeWeg zu Gott. So spricht ja Paulus in die-sem Zusammenhang eindeutig von sei-nem und unserem Auftrag der Verkündi-gung in dieser Welt. Paulus hat hier alsooffenbar noch ein anderes Bild im Sinn.Am ehesten scheint mir das das Bild dessiegreichen Feldherrn zu sein, der mit sei-

nen Soldaten nachder entscheidendenSchlacht zurückkehrt. Vor den TorenRoms etwa sammelte sich das zurückge-kehrte Heer, um sich vom Schmutz desKampfes und der Wegstrecke zu reinigenund dann in der besten Uniform in dieStadt einzuziehen. Im Zug wurden Gefan-gene mitgeführt, die entweder ihre Ehrer-bietung und Unterwerfung zum Ausdruckbrachten oder auch, weil sie zu Unterwer-fung nicht bereit waren, am Ende des Tri-umphzuges hingerichtet wurden. Den rö-mischen Zug umgab eine Wolke von gutenGerüchen und sein Ziel war ein Opfer amJupitertempel.

Wie Paulus in Epheser 6 die römischeRüstung zum Vorbild der geistlichen Waf-

fenrüstung nimmt, so wird auchder römische Triumphzug zu ei-nem Bild für den Sieg von Chris-tus. Nach seiner Auferstehung istauch Christus im Triumphzugüber diese Erde unterwegs. Es ist

der Triumphzug des Evangeliums, das To-te zu Lebenden macht und Menschen ausder Verlorenheit der Sünde herausrettet. Indiesem Triumphzug gehen alle Gerettetenmit und sind dabei selbst Überwundene(Kol 2,15) und als solche zugleich Verkün-der des Sieges ihres Herrn Jesus Christusüber Hölle, Tod und Teufel. Vielleicht spieltPaulus hier auf den Geruch an, weil diesersich unaufhaltsam und durchdringendverbreitet. Er kann von Mauern nicht auf-gehalten werden und erreicht jeden Men-schen. Den Wohlgeruch, der vom Sieg desChristus ausgeht, identifiziert Paulus mitsich und seinen Mitchristen. Jeden, dender Geruch erreicht, fordert er zur Stel-lungnahme heraus. Beugt er sich für denSieger Jesus Christus und erkennt seinRettungswerk an, dann ist ihm der Geruchein Geruch zum Leben. Bleibt er aber im

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Das Bild dessiegreichenFeldherrn imTriumphzug

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Widerstand, dann verkündigtihm der Geruch den kommen-

den Tod im Gericht Gottes. Dass Paulus andieses Bild vom römischen Triumphzugdenkt, wird auch daran deutlich, dass ervor der Konsequenz seiner Gedanken er-schrickt. „Wer aber ist dazu fähig?“

Kamel und Nadelöhr

Seit einigen Jahren lese ich „Bibel und Ge-meinde“ und somit auch Ihre Beiträge.Nun gibt es da eine Frage, die mich schonseit einiger Zeit beschäftigt und auf die ichmir eine Antwort von Ihnen erhoffe. In vierverschiedenen Büchern habe ich eine ande-re Übersetzungsmöglichkeit von Mt 19,24gelesen (statt Kamel ... ein Seil ...). Da ichdie Schrift der zu Grunde liegenden Ma-nuskripte in der Originalsprache nicht le-sen/übersetzen kann, ist es mir nicht mög-lich dies nachzuprüfen. Wenn es tatsäch-lich so sein sollte, dass hier eigentlich ste-hen müsste, daß es um die Schwierigkeitgeht, ein Seil durch ein Nadelöhr (eines Fi-scher-) Netzes zu fädeln, statt des bekann-ten Textes mit dem Kamel etc., verstehe iches als Laie nicht, warum man zumindest inden modernen Übersetzungen dies nichtändert oder durch Anmerkungen deutlichmacht. Denn auch die Fehlübersetzung des„gehörnten“ Mose wurde revidiert, nach-dem klar wurde, dass dies nicht so in denvorhandenen ältesten Texten steht, sonderneben das uns nun bekannte „glänzende An-gesicht“ des Mose.

Thomas Hoffmann, Hecklingen

Ich freue mich über diese interessanteFrage, die den seit Jahren aufmerksa-men Bibelleser zeigt. Aber zur Ant-

wort:1. Es gibt in der Textkritik, also der

Wissenschaft, die den ursprünglichen Text

einer alten Urkunde aus Ab-schriften rekonstruieren will,einen wesentlichen Unterschied in der Be-urteilung eines Sachverhaltes. Der Unter-schied wird dadurch festgelegt, ob es alteHandschriften gibt, die Textvarianten bie-ten, oder ob es solche Handschriften nichtgibt und eine Textänderung allein aus demVerständnis des Textes oder der Unver-ständlichkeit der gegebenen Wörter moti-viert ist. Bei der Sache mit Moses Hörnernist es so, dass man die Hörner solange ausRespekt vor demText akzeptierte, bisdas bessere Ver-ständnis des Hebräi-schen zeigte, dass„die Hörner“ eineindeutiger Schreib-oder vielleicht auch Übersetzungsfehler inder lateinischen Vulgata (cornuta stattcoronata) war. Weil die Vulgata einenziemlichen Einfluss hatte, hatte das zurFolge, dass Mose auf vielen Gemälden mitHörnern dargestellt wurde. Luther konntedie Vulgata praktisch auswendig und wur-de bei seiner Übersetzung des AT davonbeeinflusst. Dass Übersetzungsfehler eineziemliche Auswirkung haben können, daszeigt die feste Überzeugung, Jesus sei einZimmermann gewesen, wobei man sichdabei meist den heutigen Zimmermannvorstellt. „Bauarbeiter“ wäre aber wohl ei-ne passendere Übersetzung. Wenn es kei-ne Textvarianten gibt und der Text, weil essinnvoll erscheint, trotzdem geändertwird, dann nennt man das Konjektur. Al-lein aufgrund einer Vermutung, dass ander Stelle ein Fehler vorliegen könnte, wirdgeändert. Das ist manchmal sinnvoll,wenn der vorhandene Text völlig unver-ständlich ist und durch eine kleine Ände-rung verständlich wird. Allerdings ist dasdie absolute Ausnahme. Eine Zeitlang hat

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Wohlgeruch, Kamel und Tod

Die „Hörner“ desMose entstanden offenbar aus dem

Fehler eines Übersetzers

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man in der Textkritik ganz gernKonjekturen eingesetzt, um

den Text zu „verbessern“, allerdings istman heute weitgehend davon wieder abge-gangen, weil es eben nur willkürliche Ver-mutungen sind. Darum wird auch in kei-ner neuen Übersetzung das Kamel durchein Tau ersetzt, weil es nur eine mittelalter-liche Konjektur gibt, die in ganz wenige re-lativ junge Handschriften eingeflossen ist(aus dem 13. Jahrhundert). Ein Rückgriffauf Vermutungen, die das Aramäische be-treffen, ist in diesem Fall noch willkür-licher.

2. Tatsächlich ist das Sprachbild, „einKamel durch ein Nadelöhr“ sehr unge-wöhnlich und findet sich in der aramäi-schen, hebräischen oder griechischenSprache sonst nicht. Es ist allein in derBibel überliefert. Es ist außerdem vonseiner Vorstellbarkeit her schwierig. Wer

wollte denn überhauptversuchen, ein Kameldurch ein Nadelöhr zuzwängen. Insbesonde-re dieses zweite Pro-blem hat dazu geführt,zu hinterfragen, ob das

Sprachbild ursprünglich ist oder auf ei-nen Schreibfehler zurückgeht. Dass einereinen zu dicken Faden durch ein Nadel-öhr zu ziehen versucht, was aber nichtgeht, das kann man sich vorstellen. Undso wird aus der Tatsache, dass der reicheJüngling ja ins Himmelreich wollte, derSchluss gezogen, dass das Bild vom Ka-mel durch das Nadelöhr nicht stimmt.Allerdings gilt das Gleiche für die Lösung„ein Tau durch ein Nadelöhr“. Wer wolltedas versuchen oder hat es schon ver-sucht?

Ich hinterfrage also auch das Motiv zurTextänderung, mit der man den Text unddas Verständnis verbessern möchte.

3. Schließlich istdas ungewöhnlicheSprachbild den Menschen, die näher dranwaren als wir, also den frühen Abschrei-bern nicht aufgestoßen, sonst hätten wirverschiedene Textvarianten. Denn wennein Kopist das Bild für so unwahrschein-lich gehalten hätte wie manche Exegetenheute, dann hätte bereits er es geändertund weil ihm vielleicht noch das „tatsäch-liche“ Wortbild bekannt war, wäre es ihmauch leicht gefallen. Aber es gibt keine sol-chen Textvarianten in über 100 alten Ma-nuskripten.

4. Was Jesus mit dem Bild sagen will,ist absolut klar. Warum sollte er in demBild nicht maßlos übertrieben haben, umdie Unmöglichkeit der Errettung einesReichen zu verdeutlichen. Das Sprachbildfunktioniert doch sehr gut. Aus all dem er-gibt sich, dass wir den Text nicht ändernsollten. Die Argumente dafür reichen ein-fach nicht aus. Jede Änderung wäre letzt-lich willkürlich.

Wo ist der Verstorbene?

Gestatten Sie mir einmal eine „einfache“Frage, die mich anlässlich von Beerdigun-gen immer wieder beschäftigt. In der Regelwird davon gesprochen, dass der Verstorbe-ne – (oder seine Seele) bei dem Herrn ist.Gleichzeitig werden die sterblichen Überre-ste zu Grabe getragen. Dann warten wir aufdie Auferstehung, wenn der Herr in denWolken erscheint und die Gläubigen zu sichruft. Nun klingen einzelne Bibelverse so,dass bei der Wiederkunft des Herrn nochein Teil im Körper des Toten existent seinmuss, der die Posaune und Aufforderungzur Auferstehung hört, da der Geist bereitsbeim Sterben den Leib verlassen hat. Ichhabe Schwierigkeiten, die anscheinend„leichte Frage“ zu beantworten, wie das zu

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Thomas Jeising

Das Sprachbildist zwar ungewöhnlichaber dennocheindeutig

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der Rede vom verweslichen Leibpasst. Können Sie mir helfen,

wie ich diese Frage mit möglichst einfachenWorten erklären und beantworten kann?

Fritz Theis, per email

Ich will gern eine Antwort versuchenund hoffe, dass sie so einfach wie mög-lich ist. Dass die Fragen nach Tod und

Auferstehung uns bewegen und bewegensollen, zeigen nicht nur die Anfragen andiese Rubrik, sondern auch die vielen bi-blischen Aussagen, die tatsächlich nichtganz einfach in eine übersichtliche Syste-matik zu bringen sind. Das liegt daran,dass sie von etwas reden, das zum Teilschon der neuen Welt Gottes ohne Sündeund Tod angehört. Wir leben aber ganzdieser Welt verhaftet und können prinzi-piell nur ein bildhafte Ahnung von derkommenden Herrlichkeit erlangen.

Wenn wir sterben, kommen wir alsganze Person, jedoch ohne unseren Leibins Totenreich. Darum ist auch die Redevon der „Seele“ irreführend, wenn sienicht im Sinne der Person mit Denken,Wollen, Fühlen, Glauben, Geschichte ver-standen wird. Das Totenreich ist keinZwischenreich, sondern ein Herrschafts-ort Gottes, an dem alle Toten bis zum letz-ten Gericht aufbewahrt werden. Es gibtauch dort eine klare Trennung zwischenden Geretteten und den Verlorenen.

Unser Körper verwest inzwischen undje nach den Umständen beim Tod, etwa beieiner sehr heißen Explosion oder auchnach der Bestattung, ist nach einer gewis-sen Zeit nichts mehr davon zu finden. Erwird wieder völlig zu Erde, aus der Gottihn auch gemacht hat. Modern gespro-chen: Seine Moleküle gehen wieder in derMaterie auf, aus der sie genommen sind.Dass andererseits vereinzelt Knochen odersogar Mumien auch tausende von Jahren

überdauern können, ändertdaran nichts. Daraus ergibtsich die Frage, was dann Offenbarung20,13 bedeuten soll:

„Und das Meer gab die Toten heraus,die darin waren, und der Tod und seinReich gaben die Toten heraus, die darinwaren; und sie wurden gerichtet, ein je-der nach seinen Werken“. Oder auch Johannes 5,28-29: „Wundert euch darüber nicht. Denn eskommt die Stunde, in der alle, die in denGräbern sind, seine Stimme hören wer-den, und werden hervorgehen, die Gu-tes getan haben, zur Auferstehung desLebens, die aber Böses getan haben,zur Auferstehung des Gerichts“.Es scheint sich daraus zu ergeben, dass

irgendwie der tote und verweste Körpernotwendig sei oder direkt angesprochenwird. Aber ich glaube, wir sollten das nichtso verstehen. Besser ist es, den Sachver-halt mit dem Bild des Apostels Paulus zudeuten. Er spricht davon (1Kor 15,35-49),dass der alte Leib wie ein Samenkorn inder Erde liegt. Wennman dieses Bild nimmt,dann kann man sagen,dass der tote Körperganz verwesen kann,sogar absichtlich oderunabsichtlich zu Ascheverbrennen kann. Er ist in gewisser Hin-sicht wie ein Samenkorn für den neuenKörper: Das heißt, dass es eine geheimnis-volle Verbindung zwischen unserem leib-lichen Leben und unserem ewigen Lebengibt. Aber das ist keine materielle. Dassieht man gut an Jesus: Er trägt auf Ewig-keit das Menschsein körperlich – aller-dings im Auferstehungskörper – an sich.Obwohl der ganz anders ist, als der Kör-per, der am Kreuz starb, trägt er doch diegeheilten Wunden der Kreuzigung an sich.

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Wohlgeruch, Kamel und Tod

Wir sollten unsbesser an das

Bild vom Samenkorn

erinnern

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Sie sind zu Sieges- und Erken-nungszeichen geworden. Nach

dem zweiten Hinsehen erkennen die Jün-ger auch die Ähnlichkeit im Aussehen mitdem Jesus, den sie vorher kannten.

Wir sollten die genannten Verse alsonicht so verstehen, als ob der materielleKörper, der beerdigt wird, für die Auferste-

hung notwendigsei, sondern so,dass unser Ausse-hen, unsere Ge-schichte, unserWesen dem neuenLeib in geheiligterForm wiedergege-ben wird. Es gibt

also eine geheimnisvolle Verbindung zwi-schen altem und neuem Leib, ohne dassder neue Leib nur eine Wiederbelebungoder Wiederherstellung des alten wäre.Das kann man bei genauem Hinsehenauch in den genannten Bibelversen ent-decken: Johannes spricht vom Meer paral-lel zum Totenreich, aber auch die im MeerErtrunkenen oder Bestatteten sind ja mitihrer geistigen Person im Totenreich. DasMeer findet hier nur seine besondere Er-wähnung wegen der starken Bildsymbolik

des Meeres in derOffenbarung. Undauch Jesus redet eindeutig in bildhafterRede: „die in den Gräbern“ steht einfachfür „die Toten“, aber ist nicht so zu verste-hen, dass die sterblichen Überreste ange-sprochen werden. Die alte Materie, dieMoleküle also, sind nicht notwendig, aberwas wir in dem Leib getan haben, dass be-stimmt über unseren Lohn. Ob wir leiblichgeglaubt und wie wir gelebt haben, dasszählt für unsere Rettung.

Neue Frage:

Das Gespräch über Hebräer 4,15: „Dennwir haben nicht einen Hohenpriester, dernicht Mitleid haben könnte mit unserenSchwachheiten, sondern der in allem ingleicher Weise wie wir versucht worden ist,doch ohne Sünde“ warf bei uns die Frageauf, ob Jesus überhaupt hätte sündigenkönnen. Es wäre ja beides möglich: entwe-der es war ihm vom sündlosen Wesen herunmöglich oder er ließ mit seinem Willenkeine Sünde zu. Bei uns bestehen die unter-schiedlichen Auffassungen weiterhin. Kannman entscheiden, welche richtig ist?

Helmut Krcal, Rimbach

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Thomas Jeising

Unser Aussehen,unsere Geschichte,unser Wesen wirddem neuen Leib ingeheiligter Formwiedergegeben

2. Reher BibelbundkonferenzFreitag, 21.10.2011 ab 18 Uhr

bis Dienstag 25.10.2011, 14 Uhr.Thema:

Fasziniert von der Bibelmit vielen interessanten Einzelthemen. Anmeldung an dasChristliche Erholungsheim „Westerwald“. Tel. 02664/5050

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Angriffe auf die Heilige Schrift gab esin der Kirchengeschichte jedochschon immer. Erstaunlich aktuell

erscheinen beispielsweise die Ausein-andersetzungen des Genfer ReformatorsJohannes Calvin (1509-1564) um die Re-lativierung der Bibel.1 Auch wenn sich diehistorische Situation von der heutigenweitgehend unterscheidet, gleichen sichdie Argumentationen durchaus.

Calvin und die esoterische Uminterpretation der Bibel

Zu den Spiritualisten der Reformations-zeit zählen einige Täufer, aber auch Inspi-rierte wie die Zwickauer Propheten und So-zialrevolutionäre wie Thomas Müntzer(1489-1525). In ihren theologischen Aus-sagen stützten sie sich auf Bibelverse, vorallem aber auf innere Eingebungen, die siedirekt vom Heiligen Geist empfangen ha-ben wollten.2 Damit wichen sie langwieri-gen Diskussionen um die richtige Bibelin-terpretation aus. Ihre Sichtweise wurdedurch die Autorität höherer Eingebungzum nicht mehr hinterfragbaren, gött-lichen Willen. Sie orientierten sich am vor-

geblich unmittelbarenReden des Heiligen Gei-stes durch Prophetienund innere Eindrücke.Den so empfangenenBotschaften Gottesschenkten sie absolutesVertrauen, auch wenndiese eindeutigen bibli-schen Aussagen wider-sprachen.3 Für Müntzerwar die Bibel primär derBericht von den Erfah-rungen der „erleuchte-ten Seelen“ im Umgangmit dem lebendigenGott. Sie lade den Leserein, ähnliche Erfahrun-gen zu machen. Auf die-se käme es an und nichtauf die Berichte aus bi-blischer Vergangenheit.Die Bibel sei nur das„verbum externum“(äußerliches Wort), das das „verbum inter-num“ (innerliches Wort) braucht, um imMenschen anzukommen. Das „verbuminternum“ hingegen benötige nicht unbe-

Mancher hat denEindruck, die mas-

sive Infragestellung der Bibelsei in erster Linie ein Problem der Gegenwart. Und tatsächlich hatte die Bibel in Mitteleu-ropa wahrscheinlich selten eine so geringe Bedeutung für das Denken und Leben der Men-schen. Obwohl überall in zuverlässiger Übersetzung kostengünstig erhältlich, wird siekaum zur Kenntnis genommen und wenn, dann als Objekt kirchlicher Tradition. Selbst inden bibelfreundlichen Freikirchen ist das echte, persönliche Interesse am Wort Gottesstark zurückgegangen.

Calvins Kampf für die Bibel

Michael Kotsch

Michael Kotsch, Jg.1965, verh., drei

Kinder, ist seit 1995Lehrer an der

Bibelschule Brake,seit 2004 Dozent ander STH Basel und

seit 2005Vorsitzender des

Bibelbundes

Anschrift:Detmolder Str. 42,

D-32805 Horn-BadMeinberg

[email protected]

___________________________1 Vgl. Michael Kotsch: Johannes Calvin, Christliche Verlagsgesellschaft, Dillenburg, 2009, S. 73-

84, 109ff2 Vgl. Paul Wappler: Thomas Müntzer in Zwickau und die „Zwickauer Propheten“, Mohn, Gü-

tersloh, 1966, S. 57f3 Vgl. Calvin: Institutio I,9

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dingt die Bibel, um Glauben zuwecken.4

Calvin misstraute dem flüchtigen Re-den des Heiligen Geistes allein. Einerseitsfehle ohne die Bibel jeder Maßstab, umechte und vorgebliche Offenbarungen desGeistes sachgemäß unterscheiden zu kön-nen. Andererseits habe Gott seinen Willenschon vor langer Zeit und jedem Interes-sierten frei zugänglich in der HeiligenSchrift mitgeteilt. Natürlich sei sowohl beider Abfassung als auch bei dem korrektenVerständnis der Bibel der Heilige Geist ak-tiv. Dann aber könne der Gläubige „ohne

alle Furcht vor einerTäuschung den Geistergreifen, wo er ihn anseinem Bilde, das ist:am Wort, wiederer-kennt.“5 Die Konzen-tration auf individuel-le Mitteilungen desHeiligen Geistes seioffensichtlich Bibel-kritik, da sie die Be-

deutung der als zuverlässig erkannten Of-fenbarung Gottes einschränke. Nach Cal-vins Ansicht räumten die Schwärmer derSchrift gegenüber dem Heiligen Geist nureine zweitklassige Offenbarungsqualitätein.6 Es war für ihn theologisch vollkom-men unakzeptabel, den Heiligen Geist derSchrift überzuordnen. Vielmehr wirke derHeilige Geist bei den Gläubigen zuallererstin und durch die Bibel.

Die außerordentliche Wertschätzungindividueller Offenbarungen durch den

Heiligen Geist fin-det sich heute so-wohl in esoterischen (z.B. Neale DonaldWalsch, William Paul Young) als auch incharismatischen Kreisen (z.B. Rick Joy-ner, Mike Bickle) oder bei Jenseitsreisen(z.B. Don Piper). Diese berufen sichdurchaus auf Gott und lehnen die Bibelnicht prinzipiell ab. Sie ziehen aber die ak-tuellen und direkten Mitteilungen des Hei-ligen Geistes der Bibel vor. PersönlicheOrientierung, Motivation und geistlichePrägung werden vor allem durch religiöseErlebnisse gesucht (Prophetie, Zungenre-de, Wunder). Die Bibel verliert demgegen-über an Bedeutung. Calvin lehnte ein sol-ches Vorgehen als gefährliche Bibelkritikab. Dabei ist noch nicht einmal die drän-gende Frage berücksichtigt, welches vor-gebliche Reden des Heiligen Geistes wirk-lich von Gott stammt und welches nurmenschlichen Wünschen entspringt.

Calvin und die rationalistische Relativierung der Bibel

Für die Humanisten der Reformationszeitwar „der Mensch das Maß aller Dinge“(z.B. Erasmus von Rotterdam). Auch the-ologische Wahrheiten sollten der verstan-desmäßigen Prüfung unterzogen werden.7

Fände der Mensch in der Bibel Unstim-migkeiten, könnten diese sicher nicht vonGott stammen. Man könne eben nicht alleAussagen der Bibel wirklich auf Gott zu-rückführen. Hinter den biblischen Schrif-ten stünden vor allem Menschen, die ihre

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Michael Kotsch

Für Calvin war es gefährlicheBibelkritik,persönlicheMitteilungen desHeiligen Geistesder Bibel vorzuziehen

___________________________4 Helmar Junghans (Hrsg.): Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe. Evangeli-

sche Verlagsanstalt, Leipzig 2004 ff.5 CR 30,716 Calvin: Institutio I, 9,17 Vgl. Cornelis Augustijn: Erasmus: Der Humanist als Theologe und Kirchenreformer, Brill, Lei-

den 1996, S. 35, 256f, 317f.

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Gedanken und Erlebnisse mitGott niedergeschrieben hätten.

Deren Aussagen gelte es nun zu prüfenund dann neu zu gewichten. Nicht nach-vollziehbare Wunder beispielsweise seiendeshalb eher als allegorische Bilder zu be-trachten.

Als 1543 darüber entschieden werdensollte, ob Castellio für ein Genfer Pfarramtin Frage käme, äußerte sich Calvin kri-tisch. Zwischenzeitlich hatte der Rektor inGesprächen bestritten, dass das Hoheliedvon Gott inspiriert sei und interpretiertedie Höllenfahrt Christi eher symbolisch.Calvin sah darin die Ehrerbietung vor derHeiligen Schrift gefährdet und lehnte dieBerufung ab.8

Bekannt geworden ist insbesonderedie Konfrontation Calvins mit MichaelServet (1511-1553). Der spanische Medi-ziner und Theologe leugnete die Trinitätaufgrund mangelnder Logik und vorgeb-licher biblischer Widersprüche. Jesus seioffensichtlich nur ein Geschöpf Gottes.Den Israeliten unterstellte er eine minder-wertige Gottes- und Erlösungsvorstellung.Die Gesetze, die Gott seinem Volk am Si-nai offenbarte, hielt Servet für einen zwei-ten Sündenfall, weil sie dem Menschennun auch seine geistliche Verdammnis vorAugen führten. Im Unterschied zu einermateriell körperlichen Erlösung, die im Al-ten Testament in Aussicht gestellt würde,sah Servet in den Evangelien die Lehre voneiner geistlichen Vergöttlichung des Men-schen durch Jesus Christus.9 Calvin wider-

sprach Servet vehement, so-wohl schriftlich als auch münd-lich. Er verurteilte Servets Umgang mitund Kritik an der Offenbarung Gottes alseindeutig abzulehnende Bibelkritik.10

Für Calvin sind alle biblischen Berichteso geschehen und gemeint, wie sie überlie-fert wurden. In seiner Auslegung der Ge-nesis wird deutlich, dass Adam und Evafür Calvin historische Personen waren,dass es sich bei der Sintflut um ein realesgeschichtliches Ereignis handelt und dassder Turmbau in Baby-lon so stattfand, wie esin der Bibel zu lesen ist.Die absolute Zuverläs-sigkeit der Bibel bezogCalvin nicht nur auf diegeistlichen und ethi-schen Inhalte, sondernwie selbstverständlichauch auf die histori-schen und geographischen Angaben.

Zwar kommt Wundern, nach Calvin,nur eine untergeordnete Bedeutung zu.Rationale Bedenken oder Zweifel an denaußergewöhnlichen Taten von Jesus abersind Calvin fremd. Bei seiner Auslegungvon Mt 13,54 warnte Calvin vor dem Un-glauben der Einwohner Nazareths.11

Ließen die biblischen Berichte für Cal-vin Fragen offen, suchte er nach einer ver-ständlichen Erklärung, die im Einklangmit der wörtlichen Formulierung des Bi-beltextes stand. Die Aussage, dass Adamnach der Zeugung Seths noch 800 Jahre

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Calvins Kampf für die Bibel

Für Calvin sindalle biblischen

Berichte sogeschehen und

gemeint, wiesie überliefert

wurden

___________________________8 CR. XI, ep. 531 (Febr. 1544)9 Vgl. J.Friedman, Michael Servetus. A Case Study in Total Heresy, Travaux d’Humanisme et Re-

naissance 163, Genf 1978 / Achim Detmers: Gleichmacherei der Testamente. Michael ServetsAuseinandersetzung mit dem Judentum und mit Calvins Israellehre, http://www.reformiert-info.de/side.php?news_id=3135&part_id=0&part3_id=0&navi=20

10 Vgl. Michael Kotsch: Johannes Calvin. Reformator und Wegbereiter, Christliche Verlagsgesell-schaft, Dillenburg, 2009, S. 77-85

11 CO 45,426

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gelebt habe, bezweifelt Calvinnicht. In diesem Zusammen-

hang bemerkte er lediglich, es sei zu be-denken, wieviele der Patriarchen gleichzei-tig gelebt hätten.12

Bei Widersprüchen zwischen den Aus-sagen der Evangelisten und außerbibli-schen Zeugnissen ging Calvin generell vonder Zuverlässigkeit der biblischen Berich-te aus, da sie auf Informationen Gottes zu-rückgingen. Die Differenz zwischen denAngaben des Lukas (Lk 2,1) und des Jose-phus (Ant 18,1) bezüglich des Zeitpunktsder Volkszählung des Quirinius und damitder Geburt Jesu führte Calvin auf einen Irr-tum des jüdischen Historikers zurück.13

Die in den Evangelien gelegentlichvom hebräischen Original abweichendenZitate (z.B. Mi 5,1 / Mt 2,6) erklärte Calvin

mit der Absicht derEvangelisten, ledig-lich den Sinn der je-weiligen Aussage rich-tig wiederzugeben.14

Gegenüber der his-torischen Kritik einesErasmus hielt Calvinan der Gleichwertig-keit aller kanonischenBücher der Bibel fest.Da für ihn alle kanoni-schen Schriften inspi-

riert seien, könnten die Texte des Alten wiedes Neuen Testamentes gleichermaßenden Anspruch erheben, als Wort Gottes ansein Volk zu gelten. Es sei unsinnig, zwi-schen echten und falschen Aussagen Got-tes unterscheiden zu wollen. Gott sprächein der ganzen Bibel autoritativ zum Men-schen. Nicht irdische Autoren mit ihren

Gedanken seienletztlich verantwort-lich für die Entstehung der Bibel, sondernGott selbst. Deshalb könne und dürfe auchkein Mensch das Wort Gottes bewertenoder relativieren.

Ein Großteil gegenwärtiger, universi-tärer Theologie in Deutschland bedientsich eines rationalistischen Zugangs zurBibel. Die Analysen dieser Forscher undder vermeintliche gegenwärtige Stand his-torischen Wissens bestimmen darüber,wie welche biblischen Aussagen einzuord-nen und zu gewichten sind. Meint manWidersprüche zum eigenen Weltbild oderzum naturwissenschaftlich Möglichenfestgestellt zu haben, wird die entspre-chende biblische Aussage als unhistorisch,mythologisch oder symbolisch eingeord-net, auch wenn sie selbst mit dem An-spruch auftritt, ein historisches Ereigniszu beschreiben. Mit dieser Konzeptionmüssen beispielsweise Wunder uminter-pretiert werden, weil sie dem denkendenMenschen rational nicht erklärlich sind.Calvin lehnte ein solches Vorgehen als ge-fährliche Bibelkritik ab.

Calvin und die katholische Traditionalisierung der Bibel

Wie alle Reformatoren, so setzte sich auchCalvin mit der Bedeutung der Bibel in derkatholischen Kirche seiner Zeit auseinan-der. Oftmals beschränkte man sich damalsauf den liturgischen Gebrauch der Heili-gen Schrift während der Messe. Gelesenwurde in der Bibel wenig, selbst von denGeistlichen der Kirche. Das lag nicht nuran der mangelnden Verfügbarkeit der Hei-

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Michael Kotsch

Gegenüber derhistorischenKritik einesErasmus hieltCalvin an der Gleich-wertigkeit allerkanonischenBücher der Bibel fest

___________________________12 CO 23,10613 Vgl. CO 45,71f14 Vgl. CO 45,84f

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ligen Schrift15, sondern an denBedenken der Kirchenleitung,

selbstständiges Bibellesen könne zu theo-logischen Trugschlüssen führen. Nur un-ter Anleitung des kirchlichen Lehramteskönne man die Bibel richtig verstehen.16

Dass diese Bedenken nicht ganz unbe-rechtigt waren, zeigte sich, nachdem Prie-ster der Reformationszeit begannen, in-tensiver die Bibel zu erforschen und dar-aufhin zahlreiche Traditionen der katholi-schen Kirche in Frage zu stellen. Viele Ver-haltensweisen wurden von der Kirche abermit Hinweis auf die Bibel und deren göttli-che Autorität legitimiert. Das katholischeVerständnis der Sakramente, des Fegefeu-ers oder des Zölibats sollte sich in der Bibelwiederfinden. In diesen Argumentationenging man gelegentlich jedoch ziemlich freiund kreativ mit biblischen Texten um.17

Calvin nahm eine gründliche Prüfungdieser kirchlichen Traditionen vor undkam zu dem Schluss, dass viele Regeln undBräuche nicht in der Bibel zu finden wä-ren, manche sogar in deutlichem Wider-spruch zu biblischen Aussagen stünden.So ordnete er unter anderem die Aufgabender Pfarrer, die Gemeindezucht und dasHandeln nach biblischen Prinzipien neu.Bischof Sadolet warf Calvin vor, die Bibeleigenmächtig, ohne Leitung des HeiligenGeistes, auszulegen und dadurch für eige-ne Zwecke zu instrumentalisieren.18 Ausdieser Erfahrung des traditionalistischenMissbrauchs der Bibel heraus hob Calvin

die Bedeutung der Bibelkennt-nis für die ganze Gemeinde her-vor. Noch in seinem Testament betonteCalvin, dass er die nachprüfbare Ausle-gung der Bibel als eine seiner wichtigstenAufgaben betrachtete. „Ich habe versucht,in dem Maße der mir gegebenen Gnade,sein Wort rein zu lehren, sowohl in Predigtwie durch Schrift, und die ganze HeiligeSchrift treu auszulegen.“19

Nicht nur in der katholischen Kirchewird die Bibel oftmalszur Rechtfertigung undStabilisierung eigenerTraditionen benutzt.Auch evangelische undfreikirchliche Christenstehen in Gefahr, in derBibel nur ihre eigenenIdeen, Vorlieben undGewohnheiten wieder-zufinden. Wenn sich ei-ne gemeindliche oderpersönliche Tradition bildet, gerade wennsie frommen Erwägungen entspringt, wer-den schnell biblische Aussagen zu ihrerRechtfertigung herangezogen. Bei genau-erer Betrachtung sind diese Ableitungenallerdings nicht immer wirklich tragfähig.Hier wirkt die Bibel nicht mehr als Korrek-tur eigenen Denkens und Lebens, sondernwird aus frommen, aber falschen Motivenfür eigene Zwecke missbraucht. Be-sonders ältere Christen neigen dazu, ihreeigene, geistliche Vergangenheit unter-

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Calvins Kampf für die Bibel

Die Bibel darfnicht zur

Rechtfertigungoder

Stabiblisierungder eigenen

Tradition benutzt werden

___________________________15 Die lateinische Vulgata war im späten Mittelalter in vielen kirchlichen Einrichtungen zu finden.

Die studierten Theologen beherrschten durchaus genügend Latein zu deren Verständnis, wur-den jedoch nicht zum Studium der Bibel angeleitet.

16 Vgl. Ludger Grenzmann / Karl Stackmann: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter undin der Reformationszeit, J.B. Metzler, Stuttgart 1984, S. 6-8

17 Vgl. Annemarie Meichtry-Gruber: Die Sprache der Wycliff-Bibel, Peter Lang, Bern / Frankfurt2008, S. 19f.

18 CR 33,39319 CO 20,299f.

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schiedslos in der Bibel wieder-finden zu wollen, ohne zu be-

merken, wie viele, selbst gute und sinnvol-le geistliche Gewohnheiten und Ansichtenzwar alt und bewährt, deshalb aber nichtautomatisch biblisch sein müssen. Eineunsachgemäße Vermischung eigener theologischer Traditionen mit Aussagendes Wortes Gottes sind nach Calvin Bibel-kritik.

Calvin und die libertinistische Ignoranzder Bibel

Insbesondere imwohlhabenden undselbstbewusstenBürgertum Genfswurde die Wahr-heit von der Ret-tung des Men-schen ohne Werke,aus Gnade allein,gerne aufgenom-men. Zu Recht fühl-

te man sich befreit vom Druck unzähligerreligiöser Tabus, Pflichten und Leistun-gen. Für nahezu jeden Lebensbereich wa-ren im Laufe der Jahrhunderte detaillierteVerhaltensregeln entwickelt worden. Die-se engten die persönliche Freiheit erheb-lich ein. Mit der Aufgabe katholischer Tra-ditionen verbanden zahlreiche Bürger dieweitgehende Abschaffung biblisch-ethi-scher Vorschriften. Ihr alltägliches Verhal-ten wollten sie vor allem nach eigenemEmpfinden gestalten und neben der Erret-

tung von Sündenauch genügend irdi-sches Vergnügen genießen. Aus diesemGrund schickte die Genfer BürgerschaftCalvin 1538 ins Exil. Zu deutlich hatte ergefordert, gerade der von Gott begnadigteChrist solle sich durch eine streng an derBibel ausgerichteten Ethik auszeichnen.Selbst als Calvin zurückgerufen wordenwar, musste er um jede konkrete Umset-zung biblisch-ethischer Vorstellungenkämpfen (seit 1541).

Für Calvin aber sollte es keine prinzi-pielle Aufspaltung von geistlichem undprivatem Leben geben. Im vorbildlichenAlltagsleben sollte die Errettung des Chri-sten für jeden sichtbar werden. Gott wolleden Menschen nicht nur retten, sondernkonkret verändern – mit dessen tatkräfti-ger Unterstützung. Auch die ethischenAussagen der Bibel hatten für Calvin un-veränderliche göttliche Autorität. Deshalbsetzte er sich beispielsweise vehement einfür die Abschaffung der Prostitution unddes Ehebruchs, gegen Trunkenheit undFaulheit, für Ehrlichkeit im Geschäftsle-ben und Gehorsam der Kinder.20

Für Calvin war die Bibel nicht nur dasgrundlegende theologische Lehrbuch,sondern auch Ausgangspunkt für alltägli-che politische, wirtschaftliche und sittli-che Fragen.21 Das ethische Gesetz Gottesist nach Calvin auch nach der Erlösungdurch Jesus Christus weiterhin von Bedeu-tung. Es schrecke den Menschen ab, seinebösen Vorhaben umzusetzen und trüge da-durch zur Erhaltung des gesellschaftlichen

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Michael Kotsch

Die Bürger Genfsfühlten sich befreitvom Druck unzähli-ger religiöser Tabusund wollten diebiblisch-ethischenVorschriften gleichmit abschaffen

___________________________20 Vgl. Beintker: Der Weg zur modernen Demokratie und Wirtschaftsordnung, in: Traugott Jäh-

nichen, Thomas K. Kuhn, Arno Lohmann Hrsg.: Calvin entdecken. Wirkungsgeschichtliche,theologisch-systematische, sozialethische und literarische Zugänge, LIT Verlag, Berlin / Müns-ter, 2010, S. 147ff

21 Z.B. CO 23,31422 Vgl. Calvin: Institutio II,7,10-11

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Friedens bei (usus politicus / ci-vilis legis).22 Außerdem führe

das Gesetz dem Christen den konkretenWillen Gottes für dessen alltägliches Han-deln vor Augen. Denn auch geistlicheMenschen seien noch der Trägheit desFleisches unterworfen und benötigten derGeißel, die sie „wie einen faulen und lang-samen Esel zur Arbeit antreibt.“23 Auchwenn das Gesetz den Gläubigen nichtmehr mit dem Tode bedrohe, erfülle esnach wie vor eine Erziehungsaufgabe,„nicht nur zu einer äußeren Ehrbarkeit,sondern zu einer inneren geistlichen Ge-rechtigkeit.“24 In sofern habe das Gesetznach wie vor Autorität, wie Calvin unterHinweis auf die Auslegung der alttesta-mentlichen Gebote in der Bergpredigtdurch Jesus feststellt (Mt 5,17-48).

„Wir sehen, dass Gott von Anfang an sogeredet hat, dass er nicht eine Silbe spä-ter ändern würde, soweit es die Summeder Lehre angeht. Er umfasst nämlichim Gesetz die Regel vollkommen zu le-ben, danach zeigt er, was denn der Wegzum Leben sei, und führt das Volk … zuChristus.“25

Zahlreiche Christen beteuern heute die ho-he Bedeutung der Bibel im Allgemeinenund Besonderen. Sie meinen, Gott teilesich in der Bibel dem Menschen zuverläs-sig mit. Insgeheim unterscheiden sie aberzwischen den soteriologischen und denethischen Aussagen der Schrift. Alles, wasüber Gott, Jesus Christus, Vergebung unddas Jenseits geschrieben steht, wird gerneakzeptiert. Konkrete Aussagen über die ei-gene Lebensführung aber werden mit ver-

schiedenen, teilweise theologi-schen Argumenten zurückge-wiesen. Entweder werden dann die bibli-schen Anweisungen zu bloßen Empfeh-lungen herabgestuft, oder ihre Gültigkeitwird auf die biblische Kultur beschränktoder es werden persönliche Ausnahme-gründe konstruiert. Eine solche Ausklam-merung konkreter, ethisch korrektiverAussagen der HeiligenSchrift wurde von Cal-vin als Bibelkritik be-zeichnet. Gott wolleauch gegen persönlicheBefindlichkeiten odermomentan gültige Mo-ralvorstellungen auto-ritativ in das Leben desChristen hineinspre-chen. Gottes Regelnwaren für Calvin über kulturelle und histo-rische Grenzen hinaus anwendbar.

Natürlich zeigen die hier genannten Bei-spiele der Bibelkritik nur Aspekte des theo-logischen und praktischen EngagementsCalvins für die Bibel. Calvin wandte sich inseinen Vorträgen und Veröffentlichungenimmer wieder gegen jede Kritik oder Infra-gestellung der Bibel, die für ihn unaufgeb-bare Grundlage jeglichen christlichen Le-bens war. Durch Gebet, philologischesStudium, Nachdenken und Vergleichensolle der Prediger den konkreten Inhalt derBibel erschließen und seinen Zuhörern er-klären. Nie aber dürfe er sich über die bi-blischen Aussagen stellen und meinen, siebeurteilen oder argumentativ entkräftenzu können. „Niemand“, so betonte Calvin,„kommt auch nur zum geringsten Ver-

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Calvins Kampf für die Bibel

Das Gesetz hat für Calvinnach wie vor

Autorität,obwohl es ihn

nicht mehr mit dem Tod

bedroht

___________________________23 Calvin: Institutio II,7,1224 Calvin: Institutio II,8,625 CO 38,688

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ständnis rechter Lehre vonGott, wenn er nicht zuvor ein

Schüler der Heiligen Schrift wird.“26

Für Calvin ist die Bibel absolut glaub-würdig und irrtumslos, weil sie auf einenvollkommenen Gott zurückgeht. „Diehöchste Beglaubigung der Schrift wirdvon der Person Gottes als des Sprechersgenommen.“27 Die schriftliche Form desWortes Gottes war notwendig geworden,

um dem Vergessenund den Irrtümernder Menschen entgegenzuwirken.28 DerAusleger muss, nach Calvin, stets realisie-ren, dass er es in der Bibel mit dem WortGottes zu tun hat. Für dessen Verständnisist er auf die Erleuchtung durch GottesGnade29 und das innere Zeugnis des Heili-gen Geistes angewiesen.30

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Michael Kotsch

___________________________26 Calvin: Institutio I, 6, 227 Calvin: Institutio I,7,428 Vgl. Calvin: Institutio I,6,329 Vgl. Calvin: Institutio II,2,2130 Vgl. Calvin: Institutio I,7,4

Willmington, H.L. Elberfelder Begriffs-konkordanz. Witten: SCM Brockhaus/Dillenburg CV 2009. 919 S. Hardcover:29,90€. ISBN 3-89436-6551/ ISBN 3-417-25985-8.

Die Elberfelder Begriffskonkordanzist ein Mittelding zwischen Lexi-kon und Konkordanz. Sie behan-

delt mehr als 350 Begriffe in alphabetisch-er Sortierung und bietet zu jedem Begriffmindestens eine typische Belegstelle mitausgedrucktem Bibeltext. Bei jedemSachgebiet wird in Querverweisen auf einverwandtes Sachgebiet hingewiesen. Sohat man eine Fundgrube biblischer Infor-mationen, aus der man zum Beispiel fürVorbereitungen von Bibelarbeiten oderPredigten schöpfen kann.

So findet man beim Stichwort „Allegorien(umfangreiche Metaphern)“ den Hin-weis: siehe auch Fabeln, Gleichnisse. Man

findet auch zum Teilkuriose Stichworte,zum Beispiel „Statisti-sche Angaben zur Bi-bel“. Dort sind allemöglichen zum Teilauch absonderlichenStatistiken aufgeführt,nicht nur die 10 läng-sten Bücher der Bibel,sondern auch die Anzahl der Zitate in deneinzelnen biblischen Büchern, oder auchden dicksten Mann der Bibel. Sehr erfreuthat den Rezensenten zum Beispiel dasStichwort „Genauigkeit wissenschaft-licher Aussagen in der Bibel“, wo Bibel-stellen von der kugelähnlichen Gestalt derErde bis hin zum zweiten Hauptsatz derThermodynamik aufgelistet sind. Ein sehrnützliches Handbuch.

Karl-Heinz Vanheiden07926 Gefell

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Die Bekehrung wird in der Bibel anmehreren hundert Stellen er-wähnt, wenn wir jedoch die Men-

schen fragen oder die Predigten der Pfar-rer anhören, wie sie eigentlich die Bekeh-rung erklären, können wir uns unter denvielen verschiedenen Antworten nurschwer zurechtfinden. Deshalb halten wires für wichtig, auch im Zusammenhangmit diesem Begriff „reines Wasser“ einzu-schenken. Dieses reine Wasser suchen wirReformierte deshalb bei Calvin, weil dasalle ihn lesenden Menschen davon über-zeugen kann, dass nur wenige so auf derLehre der Bibel bestanden und nur wenigedie Bibel auch „fachlich“ als großen Leh-rer verstanden, dessen 500. Geburtstags1

die „calvinistischen“ Kirchen der Welt indiesem Jahr gedenken.

Wenn jemand in der größten und be-kanntesten Arbeit Calvins, in seinem 1559erschienenen Werk Instituto ReligionisChristianae2 die Erklärung des Wesensder Bekehrung sucht, findet er diese im III.Buch, das den Titel „Über die Art undWeise, in der wir Christi Gnade empfangen…“ trägt. Dieser Titel verrät bereits, dassCalvin an erster Stelle die Frage interes-sierte, wie der Mensch an Christi Gnade

teilhaben kann. Wiekann jemand an demHeil teilhaben, dasChristus uns mit seinemTod am Kreuz und sei-ner Auferstehung ver-schafft hat? Wie kön-nen die Buße, die seligeAuferstehung und dasGeschenk des ewigenLebens uns erreichen?

1. Die biblischenGesichtspunkteCalvins imZusammenhang mitder Bekehrung

Um die Antwort Calvins zu verstehen,müssen wir die biblischen Gesichtspunktekennen, die er bei der Behandlung der Be-kehrung vor Augen hatte.

a) Er nahm das, was die Bibel über densündigen Zustand des Menschen lehrt,sehr ernst. Laut Calvin besteht die Erbsün-de und das größte Elend des Menschendarin, dass in dem nach dem Sündenfallgeborenen Menschen das höchste Gutefehlt (Privatio boni): die Verbindung mit

Unterder

Rubrik „Zur Dis-kussion gestellt“ veröffentlichen wir Beiträge zu Themen, bei denen es auch unter bibel-treuen Christen unterschiedliche Auffassungen gibt. Auf diese Weise wollen wir erreichen,dass wichtige Themen nicht unter den Tisch fallen, weil sie umstritten sind, andererseitswill der Bibelbund sich nicht einseitig festlegen und die Erkenntnis einiger Mitglieder zurNorm für alle erheben. Die Grundlage der uneingeschränkten Wahrheit der Bibel ist da-von in keinem Fall betroffen. d.Red.

Calvins Lehre über die Bekehrung

Álmos Ete Sipos

Pfr. Dr. Álmos EteSípos, Jg. 1937. verh.,

elf Kinder,Generalsekretär des ungarischen

Bibelbundes

Anschrift: Múzeum u. 10/D.

H-2766 Tápiószele

___________________________1 Gemeint ist das Jahr 2009. Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Noyon, Picardie geboren und starb

am 27. Mai 1564 in Genf.2 Auf ungarisch: Kálvin János, A Keresztyén Vallás Rendszere I.( Pápa: Ref. Föiskolai Nyomda,

1909), Weiter: Institutio.

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Gott! Anders ausgedrückt:Christus.

„So lange Christus nicht in uns ist, wirjedoch von Ihm getrennt sind, ist SeineErlösung für uns vergeblich.“3

b) Sehr ernst nahm er auch, dass derohne Christus lebende Mensch, der see-lisch tot ist, im Sündenfall seinen freienWillen zum Glauben und zum Tun des Gu-

ten verloren hatte. (Röm3,11-12; Eph 2,1 usw.)D.h., dass er aus freiemEntschluss weder zuglauben noch dem Maß-stab Gottes entspre-chend Gutes zu tun inder Lage ist. Da die Bibeljedoch schreibt, dass derMensch allein durch denGlauben Christus und

die Gnade gewinnen kann, beschäftigteCalvin die Frage, wie der Mensch auchdann Christus besitzen und er Christus ge-hören kann, wenn er von allein nicht einmalfähig ist, wirklich zu glauben.

c) Weiterhin spielte bei Calvin in sei-nen mit der Bekehrung zusammenhän-genden Gedanken die biblische Offenba-rung der Prädestination (Gnadenwahl) ei-ne Rolle.

Calvin sah klar, dass das Heil außer-halb des menschlichen Wirkungsbereichsliegt. Der Mensch ist gerade selbst wegenseiner Sündhaftigkeit unfähig, seine elen-de Lage zu verändern, d.h. er ist unfähig,an Jesus Christus zu glauben und sich zubekehren, dazu fehlt ihm der freie Wille.Deshalb ist hinter dem Gelangen des sün-digen Menschen zum Glauben und zur

Bekehrung aus-schließlich GottesHeilswille im Hintergrund verborgen (solagratia).

d) Er nahm auch die biblische Wahr-heit sehr ernst, dass alles, was der sündigeMensch am meisten benötigt, an das einzi-ge und wichtigste Geschenk, an Christus,gebunden ist, von dem diese Geschenkenicht getrennt werden können. Eigentlichdeshalb braucht der Mensch Christus. Derder Sünde verfallene Mensch muss mitIhm in eine persönliche, lebendige Ge-meinschaft gelangen und dann werden alleSchätze Gottes dem Gläubigen gehören.Für Calvin war von größter Bedeutung,den Gläubigen in Christus einzupfropfen(insitio in Christum). Der Gläubige wirdmit Jesus Christus vereint, der somit„nicht nur an allen rechten Taten Anteilhat, sondern uns zu einem Teil von sichselbst macht“.4 An Ihm teilhabend, habenwir Anteil an Seinen rechten Taten (benefi-cia Christus), z.B. Sündenvergebung,Freispruch und ewiges Leben. Die Gläubi-gen besitzen also die Kraft ihres neuen Le-bens nicht in sich selbst, sondern in JesusChristus. Auch die Gewissheit ihres neuenLebens und ihres ewigen Lebens liegt al-lein in Ihm! Für den Menschen ist alsoChristus das größte Geschenk.

e) Letztendlich sah Calvin klar dieentscheidende Bedeutung des Glaubensan Jesus Christus. Bei Calvin – und beiden Reformatoren allgemein – bedeutetder Glaube an Christus nicht, anzuneh-men, dass Er lebte, dass Er existiert, son-dern viel mehr: es bedeutet, dass wir dasEvangelium über Ihn annehmen. In

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Álmos Ete Sipos

___________________________3 Institutio, p. 513. 4 Institutio, III. 2. 24.

Der ohne ChristuslebendeMensch kannaus freiemEntschlussweder glaubennoch Gutes tun

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diesem Zusammenhang neh-men wir Ihn selbst auf und tre-

ten somit mit Ihm in eine Lebensgemein-schaft. Das ist anders auch nicht möglich,nur durch den Glauben (sola fide).

2. Die Schwerpunkte der Lehre Calvins

a) Calvin untersuchte die Frage der Bekeh-rung auch von Christus aus betrachtet(sub speciae aeternitatis). Seine erste Fra-ge war immer, was tat und was tut Christusfür meine Bekehrung? Im Zusammen-hang mit der Bekehrung des Menschenfragte er nicht, was muss derjenige tun,der sich bekehren möchte, sondern wasmuss er glauben? Die die Be-kehrung begleitende Freudeder Buße und der Sündenver-gebung ist immer eine Folgedes Glaubens und nicht eineBedingung für den Glauben,den der Geist von Christusdurch die Verkündigung desEvangeliums im Herzen desMenschen weckt. Als der Ge-fängniswärter von PhilippiPaulus fragte, was muss ichtun, um gerettet zu werden, erhielt er dieAntwort, „glaube an den Herrn Jesus Chri-stus!“ (Apg 16, 30-31.) In der Gemein-schaft mit Christus erhält der glaubendeMensch Sündenerkenntnis, Buße und deninneren Kampf gegenüber der Sünde. Cal-vin beschäftigte der Begriff der Bekehrungalso nicht so, wie die meisten uns bekann-ten Evangelisten. Er analysierte nicht denbiblischen Begriff der Bekehrung, ihninteressierte nicht einmal, wie man sichrichtig bekehrt oder aus welchen Ele-menten die Bekehrung besteht, damit je-der sich selbst danach kontrollierenkann, ob er tatsächlich bekehrt ist odernicht. Er untersuchte das sehr wichtige

Ereignis der Bekehrung vonChristus aus betrachtet.

b) Eindeutig machte er klar, dass derMensch nur so Christus gehören kann undChristus ihm gehört, wenn Christus selbstdurch die Verkündigung des Evangeliumszu den verlorenen und hilfslosen sündigenMenschen kommt und den wahren Glau-ben im seelisch toten Menschen bewirkt(Eph 2,8-9). Calvin glaubte und verkünde-te unbeirrt, dass in allen Fällen Christus imMenschen den erweckenden Glauben anJesus Christus anregt, der uns mit Ihmdurch den Heiligen Geist verbindet oder,wie Calvin häufig sagt, durch den Heiligen

Geist in den Leib von Christuseingepfropft wird (Eph 5,30).Wir können also nicht genugbetonen, dass Calvin als einzi-ge Ursache für die Bekehrungdes Menschen Christus sahund nicht den Menschen.

c) Calvin betonte auch,dass Christus, wenn er durchden Glauben in eine Lebensge-meinschaft mit uns tritt, unse-

re Person in Anspruch nimmt, unter seineHerrschaft bringt und nicht zulässt, dasswir unsere sündhafte Lebensführung un-angefochten und ungestört weiter fortset-zen. Er ist derjenige, der uns unsere Sün-den erkennen lässt und zur Buße bewegt.Er versichert uns der Vergebung unsererSünden, richtet uns dadurch auf und for-dert uns zum Widerstand, zum „Soldatsein“, zum Kampf gegenüber unserenSünden auf. Dieser durch die Gnade be-wirkte Kampf gegen die Sünde dauertdann das ganze Leben des Menschen undendet nur mit dem Tod. Das Wesentlicheist auch hier, dass wir diese Wendung in uns, die wir als Absterben des alten

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Calvins Lehre über die Bekehrung

In der Gemeinschaftmit Christus erhält

der glaubendeMensch

Sündenerkenntnis,Buße und den inneren Kampfgegenüber der

Sünde

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Menschen, d.h. als Widerstandgegen die Sünde bzw. als Bele-

ben des neuen Menschen, d.h. als Erschei-nen des neuen Lebens in uns bezeichnen,nicht eine Leistung des Menschen ist, son-dern die Wirkung des Kreuzestodes undder Auferstehung des Chris-tus in dem Ihn aufnehmendenMenschen. Wenn der Menschalso durch den Glauben Chri-stus angenommen hat, hat eram Tod und an der Auferste-hung von Christus Teil, wo-durch sich seine Situationund sein Leben vor Gott än-dern.

Exkurs: Demzufolge sindgemäß Calvin die Recht-fertigung (Zustand vorGott) und die Heiligung(oder Wiedergeburt! – das Leben)gleichermaßen eine Folge dessen, dassder Gläubige in Jesus Christus einge-gliedert wird. Wenn der Gläubige mitJesus Christus verbunden wird, wird ergereinigt und betritt damit den Weg derHeiligung. Diese beiden Elementekonnten übrigens vor Calvin Lutherund Zwingli sehr schwer miteinanderverbinden. Calvin konnte diese beiden(Rechtfertigung umsonst, Verpflich-tung zum Gehorsam) in einer Einheiterhalten, weil er sie der Vereinigung desGläubigen und Jesus Christus unterge-ordnet hatte: Damit wurde der Sünderumsonst von Gott angenommen undals Forderung stand vor ihm der Gehor-sam.

Wenn wir also Calvin über den Ablauf derBekehrung des Menschen befragen, könnenwir sagen, dass gemäß ihm alles damit be-ginnt, dass Christus infolge der Verkündi-

gung und des Anhö-rens des Evangeli-ums der Gnade zuerst den Glauben in unserweckt, durch den wir Christus anneh-men und mit Ihm in eine Lebensgemein-schaft treten können. In dieser Gemein-

schaft mit Christus erhaltenwir die Geschenke der Sün-denvergebung, der Sündener-kenntnis und der Buße, dieRechtfertigung, die Heili-gung und die Adoptierung alsKinder Gottes. Danach be-ginnt der Kampf gegen unse-re Sünden, die der Heidelber-ger Katechismus als täglichenKampf der Entkleidung desalten Menschen und die Auf-nahme des neuen Menschenbeschreibt, was erst mit demleiblichen Tod endet. Hinter

allen diesen steht die auswählende Gnadeund Liebe der Dreifaltigkeit.

3. Die Aktualität der Lehre Calvins

Wenn wir anerkennen, was Calvin und un-sere im Sinne seiner Lehren formuliertenGlaubensbekenntnisse (Confessio Helveti-ca Posterior Cap. XIV., Heidelberger Kate-chismus, Fragen 88 und 89) über die Be-kehrung lehren, müssen wir auch denpraktischen Folgen dieser entgegen sehen.

a) Zuerst müssen wir das Wesen desEvangeliums immer wieder neu klären!Wenn wir nämlich nicht das Evangeliumverkünden, können wir auch nicht mitwirklichen Bekehrungen rechnen, dennGott bewirkt gerade durch die Verkündi-gung des Evangeliums die Bekehrung imMenschen. Grundsätzliche Ursache fürden Verfall unserer Kirche und unsererkirchlichen Gemeinden ist, dass das Evan-

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Erst wenn wir inLebengemeinschaftmit Christus sind,erhalten wir die Geschenke der

Sündenvergebung, derSündenerkenntnis und

der Buße, die Rechtfertigung, dieHeiligung und die

Adoptierung als KinderGottes

Álmos Ete Sipos

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gelium von Jesus Christus nichtverkündet wird. An die Stelle

des wahren Evangeliums treten vielerleifalsche Evangelien. Wenn wir von Calvinetwas lernen wollen, ist das Erste, dass wirvon ihm das Wesen des Evangeliums ler-nen und die Verkündigung des WortesGottes mit dem Evangelium, d.h. JesusChristus, als Mittelpunkt beginnen. Alleindadurch können Menschen bekehrt wer-den und dann beginnen auch unsere kirch-lichen Gemeinden den Weg der Erneue-rung zu betreten.

Die Gedanken Calvins konfrontierenalso die Verkündiger des Wortes auch mitder Frage, was wir verkündigen. Sollen wirdas Evangelium Jesus Christus in denMittelpunkt stellen oder den Sünder, dieSünden bzw. die Aufgaben der Sünder?Sollen wir betonen, dass die Bekehrung ei-gentlich nichts anderes ist als die Annah-me des für die Sünder gestorbenen undwiederauferstandenen Nazareners JesusChristus als Erlöser und Herr? Machen wirklar, dass die Bekehrung erst der Anfangdes neuen Lebens ist und nicht das Errei-chen des Ziels?

Anmerkung: Die auf dem Wort Gottesbegründeten Lehren Calvins schließenmit nobler Einfachheit die mehrstufigeHeilslehre aus – wir denken hier an dieLehre, die die Bekehrung räumlich undzeitlich trennt, z.B. von der Wiederge-burt, letztere von der Taufe mit demHeiligen Geist, von der Heiligung…Wenn jemand den im Evangelium voruns stehenden Jesus Christus mit Glau-ben annimmt, gewinnt er zusammenmit Jesus Christus alles auf einmal: InIhm gab uns der Vater alles. Wir kön-nen nicht verkünden, dass du bekehrtbist, jedoch noch nicht wiedergebo-ren… Oder: Du bist wiedergeboren,

hast jedoch die Taufe desHeiligen Geistes noch nichterhalten.

b) Aus den bisherigen Ausführungen gehtvielleicht auch hervor, dass: 1. die Bekehrung/Buße für Calvin kein

Tabuthema ist, das in der Gegenwartviele als ein überflüssiges und „ver-dächtiges“ Ding vermeiden.

2. weiterhin viele irrtümlich denken, dasses sich bei der Bekehrung ebenfallsausschließlich umirgendeine Leistungdes Menschen han-delt.

Häufig können wirauch hören, dass Be-kehrung und Wieder-geburt zwei Seiten dergleichen Medaille sind.„Die Bekehrung ist ei-ne Tat des Menschen,die Wiedergeburt eine Gottes“, sagen vie-le. Das erweckt jedoch den Eindruck, alshätte Gott mit der Bekehrung nichts zutun, als wäre diese allein eine Tat des Men-schen. Wir können auch hören, dass,wenn jemand zuerst zur Sündenerkennt-nis, danach zur Buße gelangt undschließlich seine Sünden bekennt und sichIhm hingibt, dann die Bekehrung erfolgt,für die er als Antwort die Sündenverge-bung oder die Wiedergeburt erhält undsich vor ihm einmal der Himmel öffnenwird.

Calvin wollte jedoch die Aufmerksam-keit seiner Leser darauf richten, dass sie inder Buße/Bekehrung in erster Linie dieGnadenarbeit des Herrn sehen und nichtdie Leistung des Menschen.

3. Dank Calvin verstehen wir klarer, dassdie Bekehrung nicht die Annahme von

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Calvins Lehre über die Bekehrung

Machen wirklar, dass die

Bekehrung erstder Anfang desneuen Lebens

ist und nichtdas Erreichen

des Ziels

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etwas (Sündenvergebung, dasBlut von Jesus, ewiges Leben),

sondern von Jemand, d.h. dem Nazare-ner Jesus Christus als Erlöser und Herrdurch den Gläubigen bedeutet, in demalle Geschenke Gottes uns gehörenwerden.

4. Die Änderung der Denkweise über dieBekehrung beeinflusst auch unsereUmgangssprache über die Bekehrung.In Verbindung mit der Bekehrung wer-den – wenn diese überhaupt zur Spra-che kommt (!) – mehrere verschiedeneFragen unter den Christen ins Ge-spräch gebracht. Zum Beispiel: „Bist du schon be-

kehrt?“, „Wann hast du dich bekehrt?“,„Wo hast du dich bekehrt?“, „Bei wem?“,„Wie hast du dich bekehrt?“, „Kannst duden Ablauf deiner Bekehrung erzählen?“,„War deine Bekehrung eine richtige?“,„Aus welchen Schritten besteht die Bekeh-rung?“, „Was muss derjenige tun, der sichbekehren möchte?“ usw. Natürlich sinddiese Fragen grundsätzlich deshalb be-rechtigt, weil Gott in der Bibel dennoch al-le Menschen zur Bekehrung auf-fordert, mit dem schwerwiegen-den Hinweis, dass derjenige, dersich im Laufe seines Erdenlebensnicht bekehrt, verdammt wird(Apg 17, 30-31). Deshalb istauch die Untersuchung dermenschlichen Seite berechtigt.Gleichzeitig haben diese Fragenalle etwas Gemeinsames, dass siedie Rolle des Menschen bei derBekehrung suchen und die Auf-merksamkeit vom Wesentlichenablenken: dass die Bekehrung dieArbeit des Geistes Gottes ist, dasWunder der Gnade. Diese Beto-nung müssen wir den Gedankenaustau-schen über die Bekehrung zurückgeben.

c) Calvins Lehreveranlasst auch uns, die bei den Evangeli-sationen in der Gegenwart angewandten„die Bekehrung herbeiführenden“ Techni-ken kritisch zu behandeln, die darin gip-feln, dass die Bekehrten nach der Evange-lisation ihre Hände hoch hielten oder auf-standen, zum Tisch des Herrn traten underklärten, dass sie sich bekehrt haben. Die-se die Bekehrung fördernden – an denfreien Willen des Menschen appellieren-den Techniken – kamen infolge der Evan-gelisierungsbewegung im 18.-19. Jahr-hundert in Mode und deren Richtigkeitwurde mit den Ergebnissen, d.h. mit denmassenweisen Bekehrungen bezeugt.

Wir dürfen jedoch nicht vergessen,dass es immer Menschen gab und gibt, dieüber eine bei derartigen Evangelisierun-gen erfolgende „zeitpunktgemäße“ Be-kehrung nicht berichten können, „nur“darüber, dass sie an Jesus Christus, an dieVergebung ihrer Sünden und daran glau-ben, dass sie ihr Heil nicht verlieren kön-nen. Waren diese – da sie sich nicht gemäß

der üblichen Bekehrungsscha-blone bekehrten – keine bekehr-ten Menschen? Es lohnt sich,darüber nachzudenken, warumunsere ehemalige Theologen soüber die Bekehrung sprachen wieüber die Ausdehnung eines Pro-zesses oder über eine „evolutio-näre“ Bekehrung (z.B. Prof. J.Sebestyén).

Calvin lehrt, dass die eigentli-che Frage in Verbindung mit derBekehrung nicht ist, wann, beiwem, wo und wie jemand sich be-kehrte, sondern die, was wir jetztüber Christus und seine Erlösung

glauben und ob die Herrschaft Christi, de-ren Zeichen die Liebe zu Christus sowie

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Álmos Ete Sipos

Die entschei-dende Frage ist

nicht, wann,bei wem, wo

und wie jemandsich bekehrte,sondern die,was wir jetztüber Christus

und seineErlösungglauben

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der Widerstand und der Kampfgegen die in uns wohnende

Sünde in unserem Leben sind, begonnenhat.

Anmerkung: Bei der Seelsorge müssenwir die bei der Anwendung der oben er-wähnten Evangelisationsmittel er-reichten, augenblicklichen, plötzlicherfolgenden massenweisen Bekehrun-gen zum Gegenstand einer gründlichenPrüfung machen. Bei einem persön-lichen Gespräch kann sich herausstel-len, ob die auf diese Weise herbeige-führten Bekehrungen tatsächlich Be-kehrungen sind oder nur Anfänge, diespäter zu einer wirklichen Bekehrungreifen.

Wenn wir den calvinistischen Begriff derBekehrung untersuchen, ergibt sich auchbei mehreren die Frage, was wir über dieBekehrung von Calvin selbst wissen. Dar-über schreibt ein Verfasser seines Lebens-laufs:

„Wenn wir über die Bekehrung von Cal-vin sprechen, müssen wir im Wesen dieinnere Umwandlung verstehen, die in-folge der Natur der Sache ein längererProzess ist und der an keine zeitlichenDaten gebunden werden kann“.5

Jedoch auch Calvin zitierend: „Mein Herr, das Licht Deines Geisteshast Du auf mich ausgegossen, … inmeine Hand hast Du die Fackel DeinesWortes gegeben, damit ich die Eigen-schaft aller bösen Dinge erkenne, mei-nen Geist hast Du beflügelt, mich aufeine würdige Weise zu bewahren.“ „Alsich die Zustände gründlicher unter-

suchte, bemerkte ich wie beieinem Licht der auf michflutenden Helligkeit, fühlte ich, wieschmutzig ich war … spürte geradezuden ewigen Tod. Als meine dringendsteAufgabe betrachtete ich, dass ich –wenn auch nicht ohne jedes Seufzenund Tränen – mein bisheriges Lebenverurteile und ein neues Leben begin-ne.“6

d) Calvins Lehre wirft natürlich auch dieFrage auf, ob derMensch, wenn allesChristus durch seinenHeiligen Geist für dieBekehrung des Men-schen handelt und wennEr der Veranlasser die-ser ist, bei der Bekeh-rung überhaupt eineVerantwortung trägt. Inder Frage benutzen wir absichtlich dasWort „Verantwortung“! Auf die gestellteFrage ist die eindeutige Antwort der Bibel,ja! Die Verantwortung des Menschen be-steht darin, ob er den mit dem Geschenkder Gnade zu ihm kommenden Christusannimmt oder ablehnt. Die Verantwor-tung bedeutet, dass jeder Mensch für sei-nen Widerstand vor Gott Rechenschaft ab-legen wird. Jesus sagte zu denjenigen, dieIhn abgelehnt hatten:

„Jerusalem, Jerusalem… wie oft wollteich deine Bewohner um mich scharen,wie eine Henne ihre Küken unter dieFlügel nimmt, und du hast das nicht ge-wollt. Deshalb wird Gott euren Tempelverlassen.“ (Mt 23, 37-38)

Aus Worten von Jesus geht also hervor,dass Gott alles für unsere Bekehrung und

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Calvins Lehre über die Bekehrung

Trägt derMensch nach

Calvin dennüberhaupt eineVerantwortung

bei der Bekehrung?

___________________________5 Pruzsinszky Pál, Kálvin János (Pápa: Ref. Fôiskolai könyvnyomda, 1909), pp. 66-75. 6 Pruzsinszky: 1909. pp.74 -75. Zitiert das Schreiben Calvins an Cardinal Sadolet.

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unser Heil getan hat und tut.Dieses „alles“, was Er tat, be-

deutet, dass Christus uns bereits erlösthat! Und dieses „alles“ bedeutet auch,dass er die Nachricht des Evangeliums aufjeden Fall zu uns kommen lässt.

Ein Prediger fragte einmal seine Zuhö-rer, was ihrer Meinung nach das Schwer-

ste auf der Welt ist.Sie konnten keinerichtige Antwort geben. Die richtige Ant-wort lautete: Das Schwerste ist, einenMenschen zu verdammen. Deshalb, weilGott alles dafür tut, um uns zu retten.

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Álmos Ete Sipos

Die Bekehrung zu Jesus Christus istdas zentrale Geschehen im Lebeneines Christen und markiert den

Unterschied zu Menschen, die nicht andas Evangelium glauben. Wenn man sichüber die Bekehrung Gedanken macht,wirft das einige Fragen im Hinblick aufdas Heil auf: Warum bekehren sich be-stimmte Menschen und warum anderenicht? Will Gott alle Menschen retten odernur bestimmte? Kann sich jeder Menschzu Christus bekehren oder gibt es einenvorweltlichen Beschluss Gottes, das Heilauf bestimmte Personen zu begrenzen?Welche Rolle spielt der menschliche Willedabei und gibt es überhaupt einen freienWillen?

Die Antworten fallen recht unter-schiedlich aus. Eine Frage ist dabei unterChristen unstrittig, da die Schrift in die-sem zentralen Punkt klar und eindeutigist: Das am Kreuz von Golgatha durch denHerrn Jesus erworbene und vollbrachteHeil muss auch subjektiv im Glauben an-genommen werden, es muss im Leben ei-ne Kehrtwendung, Buße und Annahmedes Heils geben, um Christ zu werden.Nicht gute Werke oder eigenes Tun kön-nen uns retten, sondern allein das, was derHerr Jesus für uns stellvertretend amKreuz getan hat. Christus hat Sühnung

geleistet für unsereSchuld und Sünde; undwer Christ gewordenist, hat dies für sich beiseiner Bekehrung inAnspruch genommen.An diesem Konsensmüssen Christen unbe-dingt festhalten, denndies bildet das Zentrumdes christlichen Glau-bens und den Kern desEvangeliums.

Wenn man nun ei-nen Schritt weiter geht,sieht man, dass überviele daran ansetzendeFragen keine eindeuti-ge Übereinkunft erzieltwerden kann. Christenlesen die gleiche Bibel,kommen aber zu ganz unterschiedlichenÜberzeugungen. Eine dieser Fragen ist,was es im Hinblick auf die Annahme desHeils bedeutet, dass der Mensch von derSünde geprägt und gekennzeichnet ist, jasogar als geistlich tot beschrieben wird(Eph 2,1). Ist damit auch impliziert, dassniemand das Heil für sich beanspruchenkann, wenn er nicht zu den von Gott Aus-erwählten gehört?

Bekehrung - eine alternativ-biblische SichtP. Streitenberger

Peter Streitenberger,Jg. 1979, verh., ist

Dipl. Sozialpäd. (FH)und hat im Zweitstu-

dium Germanistik undPhilosophie studiert.

Er moderiert seit 2006die Deutsche Mailing-

liste Bibelgriechischmit momentan 190

Teilnehmern.

E-Mail:[email protected]

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Da letztendlich nicht alle Men-schen gerettet werden, stellt

sich die Frage, wieso bestimmte Menschenglauben und andere nicht.

Eine Antwort darauf lautet, dass esGott selbst ist, der diesen Unterschied zuverantworten hat: Er schenkt bestimmtenMenschen den rettenden Glauben und an-deren nicht.

Dabei muss man sich aber die Fragegefallen lassen, warum Gott – wenn er somit dem Heil verfährt und bestimmtenMenschen das Heil und den Glauben un-widerstehlich schenkt – er nicht mit allenMenschen ohne Ansehen der Person soumgeht. Warum sollte ein gerechter undliebender Gott den einen Teil der Mensch-heit bevorzugen und den anderen im Hin-blick auf die Erlösung benachteiligen?Immerhin geht es um die kardinale Frage,wo Menschen die Ewigkeit verbringenwerden.

Die alternative Antwort wäre, dass derpersönliche Glaube oder Unglaube in derVerantwortung seitens des Menschen an-zusiedeln ist. Das würde bedeuten, dass esnicht Gott ist, der für den Unglauben ver-antwortlich ist, sondern der Menschselbst. Es ist nicht Gott, der einen Unter-schied im Hinblick auf das Heil macht,sondern der Faktor Mensch.

Die Frage, wie Gott in Sachen des Heilshandelt, muss die Schrift zeigen: Er hatkeinen Gefallen am Tod des Gottlosen,sondern dass dieser sich bekehrt (Hes33,11). Gott will, dass alle Menschen ge-rettet werden und Christus hat für alle denTod geschmeckt (Heb 2,9). Das Wort „al-le“ sollte dabei in 1Tim 2,4 und Heb 2,9durchaus in seiner eigentlichen Bedeu-tung verstanden werden, nämlich, dassdamit tatsächlich auch jeder einzelneMensch adressiert und gemeint ist. Gottwill nicht, dass Menschen verloren gehen

(2Pet 3,9). Wir können sicherannehmen, dass es keine Stelleder Schrift gibt, die dieser Aussage wider-sprechen würde.

Von daher ist es schwierig, wenn wireine vorweltliche Prädestination zum Heilannehmen, denn das bedeutet, dass Gottnicht alle, sondern nur bestimmte Men-schen tatsächlich erlösen und vor der Hölleretten will. Zu einer befriedigenden Lö-sung kommt man dabei nicht, wenn mandas Wort „alle“ im Sinne von „alle Artenvon Menschen“ relativiert.

Vielmehr ist es wohl so, dass die Gnadeund das Heil in Christus tatsächlich allenMenschen erschienen ist (Tit 2,11). Daswürde aber bedeuten, dass Buße und Be-kehrung, d.h. derWeg zum Heil, allenMenschen gleicher-maßen offen steht.Dazu kam auch zuPfingsten der GeistGottes auf die Erde,um die Welt von ih-rer Sünde zu über-führen (Joh 16,8).Letztendlich musses der Wirkung desGeistes Gottes zugeschrieben werden,wenn Menschen Sündenerkenntnis erlan-gen und sich nach dem Heil in Christusausstrecken, indem sie sich bekehren. DiePerson des Geistes allein ist dazu im Stan-de und in Fragen des Heils muss Gott al-lein die Ehre zukommen. Eine Bekehrungist daher der Verzicht auf menschliche Ei-genleistung und dankbares Annehmendessen, was Christus vollbracht hat. DasAnnehmen dieses Geschenkes der Gnadegibt also keinerlei Anlass zum Ruhm des-sen, der es im Glauben für sich in An-spruch nimmt, und ist auch keine Leistungdes bußfertigen Sünders.

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Bekehrung - eine alternativ-biblische Sicht

Eine Bekehrung istdaher der Verzicht

auf menschlicheEigenleistung

und dankbares Annehmen

dessen, wasChristus

vollbracht hat

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Auch der Tauf- und Missions-befehl macht es für den Leser

deutlich, dass die Objekte des Heils nichteine göttlich begrenzte Auswahl innerhalbder Menschheit sind, sondern dass tat-sächlich alle Nationen zu Jüngern zu ma-chen sind (Mt 28,19).

Das bedeutet, dass niemand vom Zu-gang zum Heil ausgeschlossen ist. DiePrägnanz, die in der Verwendung „alle Na-tionen“ liegt, sollte nicht zu gering bemes-sen werden und uns Antrieb für das eifrigeEinstehen für das Evangelium geben. Je-der Mensch, der uns begegnet, ist automa-

tisch als Adressat desHeils in Betracht zuziehen oder in denWorten der Schrift aus-gedrückt: Alle Natio-nen sind zu Jüngern zumachen. Buße und Be-kehrung zu Christussind für jeden Men-schen angezeigt. Wenn dabei Menschen,

obwohl sie tatsächlich adressiert sind, imUnglauben verharren, ist dies nicht Gottaufgrund einer unterlassenen vorwelt-lichen Erwählung anzulasten, sondern imVerantwortungsbereich des einzelnen zuverorten. Die Annahme, dass die Botschaftdes Evangeliums dabei in zwei Rufe zer-fällt (einen allgemeinen, ohne rettende Ab-sicht und einen besonderen, der die Er-wählten unabdingbar zum Glauben führt),bringt Probleme mit sich. Die Schrift lässtes nicht erkennen, dass es unter den Men-schen, die noch keine Christen sind, zweiKlassen von Adressaten gibt, je nachdem,ob diese vermeintlich zum Heil erwähltsind oder nicht. Die ganze Menschheit istvielmehr mit der Botschaft des gekreuzig-ten und auferstandenen Herrn adressiertund das ohne Unterschied.

Jesus Christusist das Lamm Got-tes, das der Welt Sünde am Kreuz getragenhat (Joh 1,29) und dadurch die Welt mitGott versöhnt hat (2Kor 5,19). Christus istdie Sühnung für unsere Sünden und dieder ganzen Welt (1Joh 2,2).

Niemand kann also behaupten, dasWerk des Herrn hätte für ihn keine Bedeu-tung oder er wäre dabei im Sinne einer be-grenzten Sühnung nicht berücksichtigtoder ausgeklammert. Ryrie schreibt dazu:

„Der Tod Christi hat die Erlösung füralle Menschen ermöglicht, ob sie dieBezahlung ihrer Sünden annehmenoder nicht“ (1996, S. 359).

Auf dieser Grundlage ergeht der Ruf derGemeinde und des Geistes in die Welt:„wer da will, der nehme das Wasser desLebens umsonst!“ (Offb 22,17). Apg17,30 zeigt dabei die universale Adressie-rung des Evangeliums an alle Menschenund das an allen Orten: „jetzt aber gebieteter allen Menschen überall, Buße zu tun“.

Was ist aber mit den Schriftstellen, dievon Erwählung sprechen? Müssen wiretwa als gedankliche Stütze eine Schie-nenanalogie heranziehen, um uns dasHandeln Gottes plausibel zu machen: ein-erseits die göttliche Erwählung zum Heil,andererseits die menschliche Verantwor-tung als zwei Pole bzw. Schienen, diegleichberechtigt im Raum stehen? In an-deren Worten würde dies bedeuten, dasses eine göttliche Erwählung zum Heil gibt,der davon betroffene Mensch aber auchdie Verantwortung hat, sich zu bekehren.Wäre dem so, würde das bedeuten, dassdie Aussage, alle sollen gerettet werdenund niemand soll verloren gehen, relati-viert werden müsste. Somit hätten wir ei-nen Widerspruch, den es in Gottes Wort

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Peter Streitenberger

Jeder Mensch,der uns begegnet,ist automatischals Adressat des Heils inBetracht zuziehen

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nicht geben kann. Die Veran-schaulichung mit den beiden

parallelen Schienen zur Verdeutlichungder göttlichen Erwählung ist nur dannplausibel, wenn eine Prädestination zumHeil gezeigt werden kann. Eph 1,4ff hinge-gen spricht von einer Erwählung der Ge-meinde zur Heiligkeit, nicht von einer Aus-wahl bestimmter Menschen zum Heil. Apg13,48 redet von einer Bestimmung der be-reits gläubigen Heiden zum künftigen ewi-gen Leben und wiederum nicht von einerAuswahl zur Bekehrung. Die Auserwähl-ten in 2Tim 2,10 sind nicht bestimmte Un-gläubige, die zur Bekehrung vorgesehensind, sondern bereits Christen, die diekünftige Rettung erlangen werden. AuchRöm 9 bespricht nicht eine Auswahl zumHeil, sondern von Gottes Heilshandeln,wobei er in seiner Souveränität sowohlGläubige als auch Ungläubige in seine Plä-ne einbeziehen kann.

Fisk betont dabei im Hinblick auf dieFrage der Erwählung ganz treffend:

„Wie eine Person durch Geburt der er-wählten Nation Israel hinzugefügtwurde, so wird heute eine Person dererwählten Körperschaft, der Gemein-de, durch Wiedergeburt hinzugefügt.Das bedeutet nicht, dass einzelne Men-schen in der Gemeinde sind, weil sie er-wählt sind, sondern, dass sie erwähltsind, weil sie in der Gemeinde sind“(2002, S. 5).

Jesus Christus spricht vom Auftrag derJünger, der mit der getroffenen Erwählungeinhergeht, indem er in Joh 15,16 sagt:„[...] sondern ich habe euch erwählt undgesetzt, dass ihr hingeht und Fruchtbringt“.

Paulus als „auserwähltes Werkzeug“(Apg 9,15) wurde von Gott in ganz beson-derer Weise gebraucht, um den Namen

von Jesus Christus in der Weltbekannt zu machen.

Dabei kann man die besondere Verant-wortung sehen, die mit Gottes Erwählungverbunden ist.

Der Zusammenhang zwischen Erwäh-lung und bestimmten Aufgaben wird inApg 15,22 deutlich:

„Dann schien es den Aposteln und denÄltesten samt der ganzen Gemeindegut, Männer aus ihrer Mitte zu erwäh-len und sie mit Paulus und Barnabasnach Antiochia zu senden“.

Apg 1,2 weist darauf hin, dass diejenigen,die als Apostel „erwählt wurden“ vomHerrn auch spezielle Befehle erhalten ha-ben. Es war vornehmlich apostolischeAufgabe, etwa die neutestamentlichenEvangelien und Briefe zu schreiben. DieErwählung der Leviten betraf ihren prie-sterlichen Dienst:

„Dann sollen die Priester, die Söhne Le-vis, herantreten. Denn sie hat derHERR, dein Gott, erwählt, seinenDienst zu verrichten und im Namen desHERRN zu segnen“ (5Mo 21,5).

In der Heiligen Schriftfindet man Erwählungalso stets in enger Ver-bindung mit Aufträgen,Verantwortung und Ge-horsam erwähnt.

Als Urheber von Er-wählung wird in der Bi-bel meist Gott selbst ge-nannt: So ist es Gott,der Vater, der die Ge-meinde vor Grundle-gung der Welt zur Heiligkeit erwählt hat(Eph 1,4) und der Sohn Gottes, der dieJünger zum Fruchtbringen und zwölf sei-ner Nachfolger als Apostel erwählt hat.

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Bekehrung - eine alternativ-biblische Sicht

In der HeiligenSchrift findet

man Erwählungstets in enger

Verbindung mitAufträgen,

Verantwortungund Gehorsam

erwähnt

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Apg 15,22 erwähnt jedoch auchApostel, Älteste und die Ge-

meinde, d.h. menschliche Akteure, die be-stimmte Männer erwählen.

Entscheidend ist in diesem Zu-sammenhang jedoch die besondere Auto-rität, die dem Urheber der Erwählung inseiner Entscheidung zukommt. Auf dieAutorität und Souveränität des Erwählen-den nimmt Röm 9 in deutlicher Weise Be-zug. Gottes freie Entscheidung ist es, Men-schen, die „in Christus“ sind (Eph 1,4),d.h. auf Grundlage des persönlichen Glau-bens, zur Heiligkeit, Untadeligkeit und alsEigentumsvolk zu erwählen. Es ist daherder persönliche Glaube an Jesus Christus,der mit der Auserwählung durch Gott ver-bunden ist (Tit 1,1). Thiessen vertritt dazu folgende plausibleAuffassung:

„Der himmlische Vater hat vor der Er-schaffung der Welt seinen Sohn be-stimmt, damit wir durch sein Erlö-

sungswerk er-löst und gehei-ligt werden sollten. Wer ‚in ihm’ ist, derist erwählt und hat das ewige Leben,oder mit anderen Worten: Wer die ein-ladende Botschaft der Vergebung undErneuerung durch Jesus Christus an-nimmt und Jesus Christus in sein Lebenaufnimmt, der gehört zu den Auser-wählten bzw. zu denen, die durch dieWiedergeburt aus der sündigen Weltfür Gott ausgesondert wurden (vgl. ausRöm 8,29-30)“ (2004, S. 137).

Verwendete Literatur:

Ryrie, Charles: Die Bibel verstehen, Dillenburg1996

Fisk, Samuel: Election and Predestination –Keys to a Clearer Understanding, Eugene/Oregon 2002

Thiessen, Jacob: Biblische Glaubenslehre,Nürnberg 2004

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Peter Streitenberger

Kuhn, Winfried. Der Feind in unserenKöpfen. Einflüsse der Medien erkennenund mit ihnen umgehen. Holzgerlingen:Hänssler 2007. 116 S. Paperback: 10,95 €.ISBN 978-3-7751-4663-0

„V ieles erscheint Ihnen vielleichtübertrieben. Es mag sein, dassSie bei manchen Abschnitten

durchaus anderer Meinung sind“ schreibtder Verfasser gleich im Vorwort und emp-fiehlt: „Vergleichen Sie mit der Bibel, obich über das Ziel hinausgeschossen bin.“Es ist jedenfalls viel Nachdenkenswertes,was Winfried Kuhn über den Feindschreibt, der sich allmählich und unmerk-lich in unseren Köpfen einnistet. Wir Chri-sten sollten alles um uns herum wach und

nüchtern betrachtenund uns wehren, wo esnur geht. Um das tunzu können, müssen wiraber erst einmal auf ei-nige Dinge aufmerk-sam gemacht werden.Das tut der Autor indem leicht lesbarenBüchlein. Bei der grie-chischen Mythologie hat er allerdings ein-mal selbst Anleihe genommen, was abernur zeigt, wie sehr diese Dinge in unserenKöpfen sind (S. 14) und beim Internet warer noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit,was allerdings der rasanten Entwicklungdieses Mediums anzulasten ist.

Karl-Heinz Vanheiden

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1. Beobachtungen zum Umgang mit demKoran

Es ist kein Einzelfall. Viele Muslime le-sen den Koran sogar in Arabisch, weil diesvor Allah als ein verdienstliches Werk gilt –aber sie verstehen kein einziges Wort, dasie nicht Arabisch können. Das Lesen wirdso praktiziert, dass der Koranlehrer einenVers in Arabisch vorliest, und der Schülerspricht das Gehörte dann nach. Für Men-schen, die in Deutschland oder Europaaufgewachsen sind, ist das nicht nachvoll-ziehbar, weil man viel Zeit und Mühe dar-auf verwendet, etwas zu lernen oder zu hö-ren, weiß aber nicht, was. Es gibt Mos-lems, die ganze Suren (Kapitel) aus demKoran auswendig wissen, in islamischenLändern trifft man sogar Menschen an, dieden Koran ganz auswendig können. Ange-merkt sei an dieser Stelle aber auch, dasslängst nicht alle Moslems den Koran lesenoder gar Sätze daraus rezitieren können,sie sind verwestlicht und säkularisiert. Ei-ne türkische Schülerin meinte gar, mitdem Koran könne man sie jagen.

Wegen der weltpolitischen Konfliktemit dem Islam (Naher Osten, Sudan,Iran), wegen der islamischen Terrorbedro-

hung und wegen derMasseneinwanderungvon Muslimen in denletzten 40 Jahren nachWesteuropa, wodurchimmer größer werden-de soziale Konflikteausgelöst werden, kom-men wir um eine Aus-einandersetzung mitdem Koran, demgrundlegenden Buchdes Islam, nicht mehrherum. Im folgendensollen als eine Art Mo-mentaufnahme einigewesentliche Thesen derIslamwissenschaft wie-dergegeben werden so-wie Hinweise aus derSicht der Bibel.

2. Zweifel am Koran

Nach islamischem Dogma hat Moham-med den Koran durch Vermittlung des En-gels Gabriel (nicht zu verwechseln mitdem Engel Gabriel der Bibel) Wort fürWort von Allah erhalten (Verbalinspira-

Eberhard Kleina

Eberhard Kleina, 63,verh., drei erw. Kinder,

ist engagiert in derBekenntnisbewegung

„Kein anderes Evange-lium“, und hat 33 Jahre

als Berufsschulpfarrer gearbeitet.

Anschrift:Julius-Brecht-Str. 42

32312 Lü[email protected]

Hatice, eine tür-k i s c h - i s l a m i -

sche Schülerin, 17 Jahrealt, trägt selbstbewusst einKopftuch, nicht ein Haarschaut hervor. In Gesprä-chen lässt sie durchblicken, wie stolz sie als Türkin auf ihren islamischen Glauben ist. Siekennt viele Koransätze auswendig, die sie in einer Koranschule gelernt hat, wohin ihre El-tern als fromme Muslime sie geschickt hatten. Auf die Frage ihrer Mitschüler, ob sie dieseSätze ins Deutsche übersetzen könne, antwortet sie ausweichend mit einem etwas verlege-nen Achselzucken. Der Koran sei unübersetzbar, aber sie wisse so ungefähr den Inhalt dervon ihr rezitierten Sätze, ihr Koranlehrer habe ihn ihr gesagt. Manche Mitschüler schüt-teln den Kopf, andere machen bissige Bemerkungen, allgemein reagieren sie mit Unver-ständnis.

Der Koran auf dem PrüfstandThesen der Islamwissenschaft

und Hinweise aus der Bibel

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tion), der Koran sei daher au-thentisch, heilig und ewig gül-

tig für alle Menschen in allen Kulturen. Ersei eine fehlerlose Kopie des Originals, dasim Himmel aufbewahrt werde, sei auch bisheute fehlerlos überliefert worden. Herab-gesandt worden sei er in Arabisch, dergöttlichen Sprache, die man wegen derGefahr der Verfälschung letztlich nichtübersetzen könne. In der islamischen Weltgilt der Koran als Wunder Allahs, der wieAllah selbst unerschaffen ist.

Dass dieses makellose Bild keineswegszutrifft, der Koran vielmehr voller gram-

matischer Fehlersteckt, völlig chao-tisch angeordnet ist,dass sogar ganze Pas-sagen verlorengegan-gen und viele Sätzeund Wörter mehrdeu-tig sind und im Kon-text keinen rechtenSinn ergeben, man al-so schwerlich von ei-nem Wunder spre-chen kann, daraufwurde schon in denRegionalen Informa-tionen Nr. 146 derBekenntnisbewegung

„Kein anderes Evangelium“ vom März/April 2010 in einem Aufsatz von mir unterdem Titel „Der Koran, ein heiliges Buch?“hingewiesen. Damals habe ich mich weit-gehend nur auf islamische Quellen ge-stützt, wie das heute allgemein üblich ist.Und schon das Auswerten dieser Quellenzeigt, dass das glänzende Koran-Bild ebenin keiner Weise zu halten ist. Nimmt mannun noch die bisherigen Ergebnisse derneueren Islamwissenschaft hinzu, so gehtder unfehlbare Nimbus des Koran völligverloren. Es zeigt sich, auf welch brüchi-

gem Grund mehrals eine MilliardeMoslems ihren Glauben und Lebenssinnaufgebaut haben, mit Konsequenzen fürZeit und Ewigkeit. Das sei nicht mit Hämegesagt, sondern mit tiefem Erschrecken,und sollte Christen motivieren, das Evan-gelium von Jesus Christus unter Moslemszu tragen.

Seit mehr als 200 Jahren wird die Bibelmit den Methoden der historisch-kriti-schen Bibelwissenschaft auf jede nurdenkbare Schwachstelle abgeklopft, oftmit der Absicht, sie ad absurdum zu füh-ren. Sie hat aber standgehalten. Gegnerdes christlichen Glaubens sehen das zwaranders, aber diese Methode hat die Bibelnicht zerstört, wie immer wieder behaup-tet wird. Anders der Koran. Betrachtetman ihn durch die historische Brille undlässt alle viel später entstandenen Legen-den über seine „Herabsendung“ undÜberlieferung beiseite, offenbart sich einkatastrophales Bild. Es bleibt kaum einStein auf dem anderen.

Zwar gab 1924 die Al-Ahzar-Univer-sität in Kairo, maßgebend für alle Sunni-ten in Religionsangelegenheiten und da-mit für den Großteil der islamischen Welt,eine Ausgabe des Koran heraus, die iden-tisch sein soll mit dem ursprünglichen Ko-ran, den man kurz nach Mohammed zu-sammengestellt hat. Aber gerade die Spra-che dieses angeblich authentischen Korangibt Anlass zu erheblichen Zweifeln amheiligen Buch des Islam.

3. Probleme mit dem Koran-Arabisch

„Das“ Arabisch allgemein gab es weder inMohammeds Zeit, also im 6./7. Jahrhun-dert, noch heute. Es gibt aktuell eine Reihevon Umgangssprachen, etwa Syrisch, Ma-rokkanisch, Ägyptisch, Golf-Arabisch.

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Eberhard Kleina

Der Koran stecktoffenbar vollergrammatischerFehler, ist völlig chaotisch angeordnet,ganze Passagensind verloren-gegangen, vieleSätze und Wörtersind mehrdeutigund ergeben imKontext keinenrechten Sinn

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Schon diese unterscheiden sichsehr stark voneinander, ähnlich

wie Deutsch, Niederländisch, Dänisch, al-les germanische Sprachen, also miteinan-der verwandt, aber dennoch sehr unter-schiedlich. Die heutigen arabischen Um-gangssprachen unterscheiden sich abernicht nur untereinander, sondern auchvom Hoch-Arabisch (Arabiya), dem offi-ziellen Arabisch, das vom Volk in den je-weiligen Ländern allerdings kaum ver-standen und schon gar nicht im Alltag ge-sprochen wird. Es ist eine Sprache der ge-hobenen Schicht, gesprochen im Kreis vongebildeten Intellektuellen. Dieses Hoch-Arabisch leitet sich zwar vom Koran ab, istaber nicht mehr identisch mit dem Koran-Arabisch. So kommt es, dass ein normalerSaudi-Araber, der ja in dem Land lebt, woauch Mohammed gelebt hat und den Ko-ran empfangen haben will, ziemliche Pro-bleme mit der Sprache des Koran hat.

Für nicht-arabische Moslems, etwaTürken, Iraner, Indonesier, ist das Koran-Arabisch schlichtweg eine Fremdsprache,die sie nicht verstehen. Nicht verwunder-lich daher, dass Hatice als Türkin ihre Ko-ran-Zitate nicht übersetzen kann. Wennsie, wie behauptet, von ihrem Koranlehrerdie ungefähre Bedeutung der auswendiggelernten Sätze erfahren hat, so darf mangewiss davon ausgehen, wenn dieser einTürke war, dass auch er nicht von sich auswusste, was er lehrte, es sei denn, er hätteKoran-Arabisch studiert. Wahrschein-licher ist aber, dass man auch ihm nur ge-sagt hat, was die Sätze bedeuten, die er anseine Schüler weitergibt.

Nun ist es so, dass selbst Islam-Gelehr-te, die Koran-Arabisch lesen und verstehenkönnen, dennoch an nicht wenigen Stellenim Koran Probleme haben, diese Sätze zuverstehen. Man fragt sich natürlich ver-wundert, woran das liegt.

Zur Beantwortung dieserFrage sei exemplarisch auf diesogenannten „dunklen Stellen“ im Koranverwiesen, Verse, die einfach keinen rech-ten Sinn ergeben bzw. fragwürdig und an-stößig sind. Kein Wunder daher, dass esdazu Interpretationen im Dutzend-Be-reich gibt. Eine mehr als hilflose Ausredelautet: Wer diese Passagen nicht verstehenkönne, verstehe eben noch nicht die per-fekte heilige Sprache Allahs. Wer soll siedenn aber verstehen, wenn nicht die Islam-Gelehrten? Will Allahdenn riskieren, dassseine Gläubigen seineBotschaft nur unvoll-kommen begreifen?Die Ursache für dasProblem mit den„dunklen Stellen“wird man daher wo-anders suchen müs-sen, nämlich in der Sprache, dem Koran-Arabisch selbst.

Als Mohammed zu Beginn des 7. Jahr-hunderts gemäß dem islamischen Dogmaden Koran in seiner heutigen Sprache„empfangen“ hat, gab es noch keine arabi-sche Einheitssprache. Es gab nur eineVielzahl von Dialekten. Mit anderen Wor-ten: Der Koran wurde in einer Sprache„herabgesandt“, die noch gar nicht exi-stierte, sondern die erst 300 Jahre späterentstand. Dagegen gab es in der Zeit des6./7. Jahrhunderts eine von allen verstan-dene und von allen benutzte gemeinsameVerkehrssprache, nämlich Aramäisch.Dies ist eine sprachhistorische Tatsache.Aramäisch spielte damals die Rolle, die imAltertum Latein gespielt hatte und Eng-lisch heute.

Schon die vielen Fremdwörter im Ko-ran gehören nicht zur „göttlichen“ arabi-schen Sprache. Der beispielsweise häufige

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Der Koran auf dem Prüfstand

Will Allah dennriskieren,

dass seineGläubigen seine

Botschaft nur unvollkommen

begreifen?

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Begriff „dschehennam“ (Höl-le) kommt aus dem Persischen,

„taura“ (Thora, Gesetz) ist dem Hebräi-schen entlehnt und „logos“ (Wort) ent-stammt dem Griechischen. Auch eine gan-ze Reihe aramäischer Wörter kommt vor,„Koran“ selbst (Lesung, Rezitation),„rahman“ (Erbarmer), „milla“ (Gefolg-schaft), „firdaus“ (Paradies) und andere.

Um 900 n.Chr. begann man, alle imheutigen Koran vorkommenden Texte zusammeln. Sie lagen vor in Aramäisch, ge-nauer: Syro-Aramäisch. Dazu gehörten dieGeschichten der Bibel, aber auch alles an-

dere, was den Be-stand des Koran aus-macht. Die Gelehr-ten-Schulen in Basraund Kufa, zwei Städ-te im heutigen Irak,waren federführend.Man sammelte alles,was an Schrifttumund mündlichen Tra-ditionen verfügbarwar, stellte es zum

Koran zusammen und übersetzte es ausdem Syro-Aramäischen ins Koran-Arabi-sche, das man jetzt erst schuf, zugleich da-mit auch die arabische Schrift. Ein be-kannter Übersetzer und Interpret war at-Tabari, ein persischer Philologe. Da umdiese Zeit Aramäisch aber bereits stark anBedeutung eingebüßt hatte, waren dieAramäisch-Kenntnisse der Übersetzerschon recht lückenhaft. Die Folgen warenschwere Übersetzungsfehler. Die geradeerst beginnende historische (sprach-) wis-senschaftliche Koranforschung geht mo-mentan davon aus, dass gut 25 Prozent desheutigen Korantextes falsch übersetztsind, seriöse Schätzungen nehmen sogarbis zu 50 Prozent an. Man wird sehen.

Die erwähnten„dunklen Stellen“ergeben sogleich einen Sinn, wenn man siein ihrer syro-aramäischen Ursprungsspra-che liest. Dazu einige Beispiele:

In Sure 19, der Sure „Maryam“ oder „Ma-ria“, wird gesagt, dass sich die Mutter vonJesus – verzweifelt über die bevorstehendeuneheliche Geburt von Jesus – den Todwünscht. In 19,24 heißt es im heutigenText:

„Und es rief jemand unter ihr: ,Beküm-mere dich nicht; dein Herr hat unter direin Bächlein fließen lassen.‘“

Ein eigenartiger Satz, liest man ihn dage-gen in Syro-Aramäisch, bekommt er so-gleich einen Sinn:

„Da rief er (Jesus) ihr nach der Nieder-kunft zu: ,Sei nicht traurig, der Herr hatdeine Niederkunft legitim gemacht.‘“

Den merkwürdigen Umstand, dass Jesusgleich nach der Geburt sprechen konnte,lassen wir einmal unberücksichtigt.

Ein weiteres Beispiel sind die Paradies-mädchen (Huris), die den sog. Märtyrernversprochen werden, wenn sie im djihad(heiligen Krieg) gegen die Ungläubigenfür Allah sterben. Dazu Sure 44,54:

„Wir vermählen sie mit schwarzäugi-gen (andere Übersetzung: großäugi-gen) Huris.“

In Syro-Aramäisch heißt dieser Satz:„Wir werden es ihnen unter prachtvol-len Weintrauben behaglich machen.“

Aus den Paradiesmädchen werden Wein-trauben. Und aufgrund dieses falsch über-setzten Verses werfen die islamischenSelbstmordattentäter ihr Leben weg, fürein paar Weintrauben. Von der Bibel hermuss man leider sagen: In Ewigkeit verlo-rene Menschen!

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Eberhard Kleina

Die erwähnten„dunklen Stellen“ ergebensogleich einenSinn, wenn mansie in ihrer syro-aramäischenUrsprungsspracheliest

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Aus Sure 38,52 leitet man dasAlter der Paradiesmädchen ab.

Sie sind gleichaltrig. Spätere Interpreta-tionen erklären sie für immerwährendjung, noch später erhalten sie das Alter von33 Jahren. Was steht im heute gültigenText?

„Bei ihnen sind züchtig blickende Hu-ris, Altersgenossinnen.“

In der syro-aramäischen Originalschriftlautet er dagegen:

„Bei ihnen werden niederhängende,saftige Früchte sein.“

Von Mädchen also auch hier keine Spur.

In Sure 55,56 schließlich erfährt man, dasses sich um Jungfrauen handeln soll:

„In ihnen (den Paradiesgärten) sindkeusch blickende Mädchen, die wederMensch noch dschinn (Geist) zuvor be-rührte.“

In der Ursprungsversion liest sich das we-sentlich anders:

„Darin befinden sich herabhängendeFrüchte, die noch niemand angerührthat.“

Der Islamwissenschaftler Christoph Lu-xenberg bemerkt hierzu:

„Wer den Koran mit etwas Verstandliest, muss an dieser Stelle geradezu dieHände über dem Kopf zusammenschla-gen. Nicht nur Unwissenheit ist daranschuld, es gehört schon eine gehörigePortion Dreistigkeit dazu, bei einer hei-ligen Schrift sich so etwas auszudenkenund dies dem Koran zu unterstellen.“(Pressburg, S.27)

Man muss wohl vermuten, dass bei derÜbersetzung die sexuelle Phantasie derschwarzbärtigen Männer übergekocht ist.

Auch in einem weiteren Beispiel standwohl die sexuelle Phantasie Pate. Aus Su-re 78,33 erfahren wir, dass die Huris voll-busig sind:

„... Jungfrauen mit schwel-lenden Brüsten.“

Im syro-aramäischen Ursprungstext sindes dagegen keine schwellenden Brüste,sondern

„....üppige, saftige Früchte.“

Als letztes Beispiel sei das heißumstritteneKopftuch genannt. Im Koran gibt es nureine einzige Stelle, die darauf Bezug zunehmen scheint. Sure 24,31 lautet:

„Und sprich zu den gläubigen Frauen… dass sie ihren Schleier über ihren Bu-sen schlagen.“

In der Originalversion heißt der Satz:„Sie sollen sich ihre Gürtel um die Len-den binden.“

Das betreffende Wort für Gürtel (chu-mur), das im Arabischen nicht existiert,haben Tabari oder andere Übersetzer ganzoffensichtlich nicht verstanden und ohneeine Erklärung zu lie-fern, mit „Kopftuch“übersetzt. Seitdem hatdie islamische Welt dasKopftuch für Frauen alsAllahs Gebot angenom-men. Der Ursprung desKopftuch-Streites in einem Übersetzungs-fehler, da bleibt einem schlicht die Spracheweg. Das Kopftuch-Gebot ist aus bibli-scher Sicht nur ein Menschengebot.

Die wichtige Frage ist nun: Wieso wa-ren solche sinnentstellenden Überset-zungsfehler überhaupt möglich? Zum ei-nen war, wie erwähnt, die Kenntnis des Sy-ro-Aramäischen stark geschwunden, mankannte diese Sprache nur noch unzuläng-lich. Zum anderen aber hatte man ver-säumt, sie rechtzeitig schriftlich für dieNachwelt eindeutig festzuhalten. Dazu ei-ne kurze Erläuterung.

Semitische Schriften, zu denen Aramä-isch und das Hebräisch des Alten Testa-

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Der Koran auf dem Prüfstand

Wieso warensolche sinn-

entstellendenÜbersetzungs-

fehler möglich?

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ments gehören, bestehen nuraus Konsonanten, also aus al-

len Buchstaben außer den Vokalen, dieman nicht schrieb, sondern im Alltag ausErfahrung hinzufügte, so wie dies auchheute in Israel üblich ist. Zwischen denWörtern ließ man keinen Zwischenraum,beides für uns höchst ungewöhnlich. Bei-spielsweise die Buchstaben HSNDHNDund LBNSTNLST können in unsererSprache folgendes bedeuten, wenn mandie Vokale (a, e, i, o, u) hinzufügt:

HSNDHND: Hase und Hund LBNSTNLST: Leben ist eine Lust.Hase und Hand Leben ist eine Last.Hose und Hund Lieben ist eine Lust.Hose und Hand Lieben ist eine Last.Hase und Hindu Leben ist eine List.Hose und Hindu Lieben ist eine List.Haus und Hund usw. Loben ist eineLust usw.

Vielleicht gibt es noch weitere Möglichkei-ten. Wenn man nun die Sprachenicht richtig beherrscht und nochdazu vielleicht den Satzzusam-menhang nicht recht beachtet,sind Fehlübersetzungen diezwangsläufige Folge.

Ein ähnliches Problem mitden Vokalen hatten die Überliefe-rer des Alten Testamentes, das jain Hebräisch, ebenfalls eine semi-tische Sprache, und zum Teil auch in Ara-mäisch abgefasst ist. Als zwischen dem 7.und 9. Jahrhundert zugleich mit dem Ara-mäischen auch das Hebräische1 als Um-gangssprache allmählich verschwand, ha-ben in dieser Zeit jüdische Schriftgelehrte,die Masoreten (=Überlieferer) den Textdes Alten Testamentes rechtzeitig durchVokale eindeutig festgelegt, indem sie ein

System von Punk-ten und Strichenoberhalb und unterhalb der Konsonanteneinfügten. Der Text konnte nun in späterenZeiten nicht mehr falsch übersetzt werden,er war der Nachwelt erhalten. Die syro-aramäischen Texte, aus denen man denKoran zusammenstellte, hatten so ein Sy-stem von Vokalen eben nicht, es kam zuden oben erwähnten Falschübersetzun-gen, für den Islam eine verheerende Tatsa-che!

Doch nicht nur diese Falschüberset-zungen stellen ein gravierendes Problemfür den Koran dar, es existieren auch Teilevon Koran-Handschriften aus frühislami-scher Zeit in Archiven (StaatsbibliothekBerlin, Leiden in den Niederlanden), dieeindeutig Eingriffe in den Text aufweisen:Buchstaben und ganze Wörter wurdenausradiert, korrigiert und neu eingesetzt.

All dies sind reichlich ernüchterndeFeststellungen für die islami-sche Welt, für Hatice und allegläubigen Moslems einSchock. Aber man reagiertauf solche Forschungen west-licher Islamwissenschaftlernicht, sachliche Einwändegegen den Koran ignoriertman, sie kommen ja von Un-gläubigen. Es ist das alte Di-

lemma im Islam: Man will keine Kritik zu-lassen. Man erklärt per Dekret die Koran-Ausgabe von 1924 zum einzig authenti-schen Koran, obwohl es viele konkurrie-rende Ausgaben gibt, mit zum Teil unter-schiedlichen Verszählungen. Fehler sindlaut Dogma undenkbar, also gibt es sienicht. Dagegen weiß man ganz sicher,dass die Bibel gefälscht ist. Wie unhaltbar

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Eberhard Kleina

Es existieren Teilevon Koran-Hand-

schriften ausfrühislamischer

Zeit, die eindeutigEingriffe in denText aufweisen

___________________________1 Die meisten Gelehrten nehmen an, dass das Hebräische schon zur Zeit des Neuen Testaments

nur noch Bibelsprache und nicht mehr Umgangssprache war. d.Red.

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dieser Vorwurf ist, ist spätestensseit den sensationellen Bibel-

funden von Qumran am Toten Meer imJahr 1947 bekannt, wo u.a. das fast kom-plette Buch Jesaja in einem bis dahin nichtbekannten Exemplar gefunden wurde. Eslässt sich fundiert belegen, wie gut die Bi-bel tatsächlich überliefert wurde. Hier gibtes keine Sinnentstellungen. Der Gott derBibel, der einzige Gott, hat sein heiligesWort bewahrt, Allah eben nicht.

4. Die Frage nach dem Ur-Koran

Der Ur-Koran ist nicht zu belegen. Dasheißt aber nicht, dass er aus der Luft ge-griffen ist. Denn es gibt Anhaltspunkte,und zwar im Koran selbst. In Sure 41,2f.heißt es:

„Es ist als Offenbarung herabgesandtund kommt vom barmherzigen undgnädigen Gott eine Schrift, deren Verseauseinandergesetzt sind als ein arabi-scher Koran für Leute, die Bescheidwissen.“2

Da das aramäische Wort für „ausein-andersetzen“ die Bedeutung von „übertra-gen“, „übersetzen“ hat, heißt dieser Versim ursprünglichen Syro-Aramäisch: „... ei-ne Schrift, die Wir (Allah) in eine arabi-sche Lesart übertragen haben ...“ Wennaber der Koran übertragen, also übersetztworden ist, dann muss er vorher in eineranderen Sprache vorgelegen haben. Undda es zur Zeit der „Herabsendung“ ebennoch kein Koran-Arabisch gab, sondernnur Syro-Aramäisch, wie oben erwähnt,muss er also in Syro-Aramäisch aufge-schrieben worden sein und wurde späterins Arabische übersetzt, genauer: 300 Jah-

re später. Auch Sure 19,97 und75,17 dürften Hinweise auf dieÜbersetzung des Koran ins Arabischesein.

Wenn das so ist, welche Schrift, d.h.welche Texte mit welchem Inhalt wurdendann nach Sure 41,2f. in eine arabischeLesart übertragen?

Wer den Koran kennt, weiß, dass erviele Anklänge an biblische Geschichtenenthält. Alle wichtigen Personen der Bibelvon Adam, Abraham, Mose, David bis zuJesus sind im Koranvertreten, allerdingsin stark entstellterForm. So ist Jesusnicht Gottes Sohn,wurde auch nicht ge-kreuzigt, und Maria,seine Mutter, war an-geblich die Schwestervon Mose, um nur die-se Beispiele zu nen-nen. Wir finden die bi-blische Schöpfungs-geschichte, den Sün-denfall, die Vernichtung von Sodom undGomorra und vieles mehr. Die Geschich-ten sind zwar manchmal kaum wiederzu-erkennen und finden sich auch im Koranverteilt. Der interessierte Leser mag sichinformieren bei Heinrich Speyer, „Die bi-blischen Erzählungen im Qoran“. Be-sonders häufig sind die Hinweise auf Je-sus. Die sehr zahlreichen Verse findet manzusammengestellt von Abd al-Masih undSalam Falaki.3 Die kurze Sure 97 dürftesogar die amputierte Weihnachtsge-schichte der Bibel sein, wo über die „Nachtder Bestimmung“, die „Engel, die hinab-

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Der Koran auf dem Prüfstand

Der Koran istwahrscheinlich

in Syro-Aramäisch

aufgeschriebenworden und

wurde erst 300Jahre später ins

Arabische übersetzt

___________________________2 Übersetzung nach R.Paret3 Was steht im Koran über Christus? Fellbach 2006

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kommen“ und „Heil und Se-gen“4 gesprochen wird.

Islam-Experten nehmen an, dass einLektionar existierte, wo wichtige Ab-schnitte aus dem Alten und Neuen Testa-ment zusammengestellt waren, und zwarals ein Lektionar (qeryana), als ein Schrift-lesungsbuch für die Liturgie im arabisch-christlichen Gottesdienst. Dieses Lektio-nar war, wie damals üblich, in Syro-Ara-mäisch abgefasst. Es dürfte der Ur-Korangewesen sein, mit anderen Worten: Derheutige Koran hat starke christliche Wur-zeln.

Nachweislich fanden auch Irrlehrender frühen Kirche Eingang in den Koran.

Exemplarisch seien hierzwei Namen genannt:Paul von Samosata undArius. Paul von Samosatastammte aus einer Stadtam Oberlauf des Euphrat.Von 260 – 268 war er Bi-schof von Antiochia. Für

ihn war Jesus nur ein normaler Mensch,allerdings mit ungewöhnlicher Kraft undgöttlicher Weisheit ausgestattet. Die Be-zeichnung „Sohn Gottes“ erhielt er nurwegen seines Gehorsams und wegen sei-ner besonderen Treue zu Gott. Arius, einGemeindeältester aus Alexandria in Ägyp-ten (gest. 336), erklärte, Jesus Christus seinicht mit Gott, dem Vater, wesensgleich,sondern nur wesensähnlich. Das bedeutet,er ist wie Engel und Menschen ein Ge-schöpf Gottes, zwar das vollkommensteWesen, das Gott erschuf, aber er hat ebenals Geschöpf einen Anfang und steht nichtauf gleicher Stufe mit Gott bzw. er ist nichtGott selbst in Menschengestalt, sondern ersteht unter Gott. „Sohn Gottes“ wurde ernur genannt, weil er so tadellos lebte (Aria-

nismus). SowohlPaul von Samosataals auch Arius sprachen Jesus die volleGottheit ab.

Diese und zahlreiche andere nicht-bi-blische Irrlehren entstanden, Gott sei esgeklagt, in der Kirche selbst. Die Streite-reien um Jesus Christus zogen sich überJahrhunderte hin. In einer ganzen Serievon Konzilien verwarf man zwar diese Irr-lehren, aber Teile der Kirche hielten an ih-nen fest, und so fanden sie schließlich Ein-gang in den Islam. Ohne die glaubens-mäßigen Irrwege der frühen Christenheitgäbe es demnach wohl keinen Islam. Auchhier ist Jesus ja nur ein Mensch, ein beson-derer zwar, nämlich ein Prophet, aberSohn Gottes ist er eben nicht. „Der Schöp-fer der Himmel und der Erde, woher sollteer ein Kind haben, wo er keine Gefährtinhat?“ (Sure 6,101). Dabei sagt die Bibeldoch ausdrücklich: „Das ist der Antichrist,der den Vater und den Sohn leugnet. Werden Sohn leugnet, der hat auch den Vaternicht, wer den Sohn bekennt, der hat auchden Vater.“ (1Joh 2,22f.) Schon Jesusselbst hatte vor falschen Propheten undfalschen Christussen gewarnt (Mt 24,24),und Paulus und andere wurden im NeuenTestament nicht müde, vor Spaltungen imGlauben und vor einem anderen Evange-lium zu warnen (Gal 1,6f. u.a.). Genau dasaber macht der Islam, er predigt einen an-deren Glauben, einen anderen Gott und ei-nen anderen Jesus. Mohammed ist ein fal-scher Prophet. Je weiter Teile der damali-gen Kirche sich von den biblischen Glau-bensgrundlagen entfernten, umso mehrbereitete man unwissentlich das Feld, aufdem dann später der Islam erwuchs.

Wenn zum Ramadan 2010 katholischeund evangelische Bischöfe, wie es schon

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Eberhard Kleina

Nachweislichfanden auchIrrlehren derfrühen KircheEingang inden Koran

___________________________4 Übersetzung nach R. Paret.

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Tradition ist, ein Grußwort andie Muslime in Nordrhein-

Westfalen richten und dabei betonen, manhabe einen gemeinsamen Gott, so habensie damit eindeutig den Boden der Bibelverlassen. Unterzeichner des Grußwortessind die evangelischen Präses NikolausSchneider und Alfred Buß, sowie der Lan-dessuperintendent MartinDutzmann und die katholi-schen Bischöfe Hans-JosefBecker, Joachim KardinalMeisner, Heinrich Mussing-hoff, Felix Genn und Franz-Jo-sef Overbeck.5

Wie damals bereiten auchheute wieder Teile der Kirchedem Islam das Feld und öffnender Islamisierung Tür und Tor,wie damals sind auch heuteBischöfe beteiligt. Die katholischen Bi-schöfe brauchen freilich keine Bedenkenzu haben, in ihrer Kirche in die Kritik zugeraten, denn schon in den 60er Jahrendes vorigen Jahrhunderts hat das 2. Vati-kanische Konzil festgelegt, dass Christenund Moslems denselben Gott verehren.Für die evangelischen Bischöfe liegt zwarkeine vergleichbare offizielle Festlegungvor, gleichwohl sprechen und handeln sieso. Damit verlassen sie freilich neben derBibel auch, soweit es sich um lutherischeKirchen handelt, den Boden der ConfessioAugustana (Augsburger Bekenntnis), ei-ner wichtigen, auch heute gültigen Be-kenntnisschrift aus dem 16. Jahrhundert,wo in Artikel 1 ausdrücklich die Gottesvor-stellungen sowohl der Muslime, als auchder Samosatener (Anhänger Pauls von Sa-mosata), als auch der Arianer (Anhängerdes Arius) verworfen werden. Es werdennoch andere Glaubensgemeinschaften ge-

nannt, die hier aber nicht vonInteresse sind. Im evangeli-schen Gesangbuch (EG) ist das Augsbur-ger Bekenntnis zwar abgedruckt (S.1363ff.), handelt es sich ja um eine wichti-ge „Geschäftsgrundlage“ der Kirche, aberman hat weggelassen, dass die Gottesvor-stellung des Islam usw. abgelehnt wird,

weil es sich um „zeitbedingteVerurteilungen Andersdenken-der“ handele und heute „einvon Toleranz geprägtes Ver-hältnis entstanden“ sei (S.1363). Bei soviel Toleranz kön-nen dann auch evangelischeBischöfe von einem gemeinsa-men Gott sprechen, der Zeit-geist gibt jetzt die Richtungvor, nicht mehr die eigene Be-kenntnisschrift.

Der Ur-Koran bestand also zunächst ausdem Lektionar der arabischen Christenund den Irrlehren der frühen Kirche, erumfasste alle sogenannten mekkanischenSuren aus der Frühzeit Mohammeds inMekka, wo er zum Glauben an nur einenGott aufrief anstelle der vielen Götter, vordem göttlichen Gericht warnte usw. kurz,die mehr toleranten Suren. Man fügte abernicht nur die oben genannten christlichenIrrlehren hinzu, sondern auch genuinheidnische Traditionen (Kaaba als Zen-tralheiligtum; Mondsichel als Symbol derGöttin Allat), auch rechtliche Bestimmun-gen aus dem damaligen sozialen Umfeld(Strafen für Vergehen; Stellung der Frau;Eherecht; Sklavenrecht; Beuterecht; Ge-walt gegen Andersgläubige u.a.), also diesogenannte medinensischen Suren ausMohammeds Spätzeit in Medina, die vonGewalt und Brutalität geprägt sind.

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Der Koran auf dem Prüfstand

Wenn katholischeund evangelischeBischöfe in einem

Grußwort an Muslime betonen,man habe einen

gemeinsamen Gott,verlassen sie denBoden der Bibel

___________________________5 Idea Spektrum Nr. 34 vom 25.8.2010, Seite 32.

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Der Islam ist eine Perversion(Umkehrung, Abkehr) des

christlichen Glaubens. Gegen die Bibel,die ja als verfälscht gilt, sowie gegen Chri-sten (und Juden) nimmt der Koran einescharfe Anti-Haltung ein. Ein gläubigerMoslem nimmt nicht einmal eine Bibel inseine Hand, es ist ihm eine Sünde. Judenund Christen sind Ungläubige, „schlim-mer als das Vieh“ (Sure 8,55), „Allahschlag sie tot! Wie sind sie verstandeslos!“(Sure 9,30) Diese Distanzierung undFeindschaft brauchte man zwangsläufig,sah man sich doch als höchste und letzte

Religion, nur so glaub-te man sich gegenüberJudentum und Chris-tentum legitimierenund durchsetzen zukönnen. Zwar werdenJuden und Christen imIslam auch als „Leutedes Buches“, der Bi-bel, bezeichnet, habengegenüber allen ande-ren Religionen dahereine gewisse Vorrang-

stellung, aber wenn der Islam die Machthat, werden auch sie verfolgt und diskrimi-niert.

Im 9. Jahrhundert trug man alle heuteim Koran enthaltenen Überlieferungen zu-sammen und übersetzte sie, wie ja er-wähnt, aus der ursprünglichen syro-ara-mäischen Sprache ins Koran-Arabisch.Der Koran war geboren. Um ihn endgültigzu sichern, d.h. ihm Anerkennung als einegöttliche Schrift zu verschaffen, kamenspäter Legenden seiner „Herabsendung“hinzu.

5. SchlussAus der Zusage ewigen Heils für denje-

nigen, der von Herzen an Jesus Christus

glaubt (Joh 5,24u.a.), der durchKreuzigung und Auferstehung die Sündenaller auf sich genommen hat, wie es dasNeue Testament bezeugt, wurde im Korander Fluch Allahs, der jeden in die Höllewirft, der an den gekreuzigten und aufer-standenen Sohn Gottes glaubt, der aberauch jeden Moslem in die Hölle wirft (Sure19,70f) und vielleicht den einen oder ande-ren wieder herausnimmt, wenn es ihm ge-fällt.

Nach dem Maßstab der Bibel ist Allahniemand anders als der Satan selbst. Ausdem Erlösungsglauben der Bibel wurdedie Gesetzesreligion Islam, wo der Menschdurch gute Werke versuchen muss, Allahgnädig zu stimmen, um vielleicht unterden Glücklichen zu sein, die der Hölle ent-rinnen.

Ist es nicht Aufgabe der Christen, Mus-limen die Erlösungsbotschaft von JesusChristus zurückzubringen, die ihnen ge-nommen wurde? Dabei gilt es zu unter-scheiden zwischen dem Moslem alsMensch, für den Jesus auch gestorben ist,und dem Islam, der seine Gläubigen durchstrenge Gesetze knechtet (Scharia). Haticeund alle, die Mohammed nachfolgen, sol-len nach dem Missionsbefehl Jesu (Mt28,18ff.) von ihm hören, sie haben ein An-recht darauf.

Literaturhinweise:Alle Koran-Zitate sind entnommen:

Der Koran, übersetzt von Max Henning. ReclamNr. 4206, Stuttgart 1991

Außerdem, wenn angegeben: Der Koran, übersetzt von Rudi Paret 7. Aufl.,

Stuttgart 1967Norbert G. Pressburg Good bye Mohammed.

Norderstedt 2000

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Eberhard Kleina

Erst im neuntenJahrhunderttrug man alleheute im KoranenthaltenenÜberlieferungenzusammen undübersetzte sie.Der Koran wargeboren.

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Die Beantwortung dieser Fragen istnicht einfach. Eigentlich müssteman eine gründliche medienwis-

senschaftliche Untersuchung zugrunde le-gen. Jede eindimensionale Antwort wirdder vielschichtigen Realität der europä-isch-israelischen Beziehungen genausowenig gerecht, wie der Wirklichkeit imNahen Osten. Trotzdem will ich einige Ge-dankenanstöße wagen:

1) Die gesellschaftliche und politische Lage imNahen Osten ist bei weitem vielschichtiger, als man das in kurzen Nachrichtenclips darstellen kann.

Berichterstatter müssen auf den Punkt kom-men, pauschalisieren. Dabei spiegeln siedie Diskussion auf der politischen Bühnewider, die ebenfalls vereinfachen muss,will sie verstanden werden und Entschei-dungen ermöglichen.

So gibt es nicht wenige Palästinenser,die profitieren vom Siedlungsbau undwohnen selbst in israelischen Siedlungenim besetzten Westjordanland. Gleichzeitighabe ich selbst gehört, wie orthodoxe Ju-den am Grabe Jasser Arafats vom alleini-gen Recht der Palästinenser auf das Landzwischen Jordan und Mittelmeer ge-schwärmt haben. Zwischen diesen beidenAntipolen gibt es im Heiligen Land prak-

tisch jede nur denkbareMeinung in jedem nurvorstellbaren Kopf.

Wer die Lage undden Konflikt im NahenOsten verstehen will,kommt nicht umhin,sich auch mit langwie-rigen, manchmal lang-weiligen, in jedem Fallaber komplizierten his-torischen, geistes- undtheologiegeschichtli-chen, sowie sozialenEntwicklungen ausein-anderzusetzen. Dasheute übliche Infotain-ment1 prädestiniert zueiner verzerrten Wahr-nehmung.

2) Wir bemühen uns um Äquidistanz2 bei zweiGesellschaften, die in fast allen Aspekten destäglichen Lebens nicht unterschiedlicher seinkönnten.

So ist in Israel jede Meinung erlaubt. Einisraelischer Moslem darf öffentlich ver-treten, dass Juden „die Nachfahren vonAffen und Schweinen sind“. IsraelischeParlamentsmitglieder betreiben erklärter-maßen die Auflösung des jüdischen Staa-

Das ist eine der häu-figsten Fragen, die

von Reisegruppen hier in Israelgestellt wird. Natürlich sind esIsraelfreunde, die das so sehen. Aber selbst Leute, die mit etwas mehr emotionalem Ab-stand das Heilige Land kennenlernen, fragen: Warum ist das, was wir hier sehen, so an-ders als das, was uns in Zeitung, Radio und Fernsehen vermittelt wird?

Warum steht Israel in den Medien so schlecht da?

Johannes Gerloff

Johannes Gerloff, Jg.63, verh. drei Kinder,

arbeitet als Korrespondent

des christlichenMedienverbundesKEP in Jerusalem.

Anschrift:c/o KEP

Postfach 186935528 Wetzlar

www.israelnetz.com

___________________________1 Information als Unterhaltung d.Red.2 Gleich großen Abstand d.Red.

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tes Israel. In der Palästinensi-schen Autonomie dagegen

muss nicht nur ein Moslem, der sich fürden christlichen Glauben entscheidet, umsein Leben fürchten. Auf Landverkauf anJuden und Kollaboration mit Israel stehtganz offiziell die Todesstrafe.

Wenn die eine Gesellschaft ihre Kinderals Schutzschilde und Waffen miss-braucht, während die andere alles tut, ummenschliches Leben zu schützen undmenschliches Leiden zu lindern; wenn ei-ne Seite das Leid ihrer Menschen zur

Schau stellt und pro-pagandistisch aus-schlachtet, währenddie andere die Persön-lichkeitsrechte desEinzelnen und einegewisse Schamgren-ze achtet; wenn eineSeite offen sagt: „Wirlieben den Tod!“ –und gleichzeitig deranderen hämischvorwirft, ins Lebenverliebt zu sein, wird

äquidistantes Verhalten zur Mittäter-schaft.

Beim israelisch-palästinensischenKonflikt kann man nicht einfach fragen:„Was sagen die Juden?“ – „Was sagen dieAraber?“ Man muss immer auch erklären,wer aus welchem Hintergrund, mit wel-cher Motivation und in welchem Kontextwas sagt, um dann zu einer angemessenenEinordnung der jeweiligen Aussage kom-men zu können. Dabei steht nicht einfachnur ein palästinensischer Narrativ der is-raelischen Sichtweise gegenüber – wäh-rend die Wahrheit irgendwo in der Mittezu suchen wäre. Nicht selten stehen Wahr-

heit und Lüge ein-ander direkt gegen-über – und eine objektive Beurteilung darfsich nicht scheuen, einseitig auf Seiten derWahrheit zu stehen. Das gilt auch dann,wenn die Seite, für deren Sache eigentlichdie Wahrheit spricht, um des Friedenswillen bereit ist, Kompromisse einzuge-hen, und deshalb historische Tatsachenunter den Teppich kehrt.

3) Die schärfsten Kritiker des jüdischen Volkes unddie wirkungsvollsten Feinde Israels sind Juden.

Besonders fatal wirkt sich dabei aus, dassgerade für Israelkritiker sakrosankt3 undüber jede saubere Recherche erhaben ist,wenn ein Jude Kritisches über sein eigenesVolk oder dessen Staat sagt.

Der hier angesprochene Mechanismushat eine uralte Tradition. So übernehmenChristen nicht selten bedenkenlos die Kri-tik des Neuen Testaments am damaligenjüdischen Volk – dürften aber ihrer eige-nen Obrigkeit in Staat oder Kirche niemalsvergleichsweise kritisch begegnen, wie dasder Jude Jesus gegenüber seiner jüdischenObrigkeit getan hat. Von der zynischenIronie des Rabbiners Paulus oder der ver-nichtenden Kritik alttestamentlicher Pro-pheten ganz zu schweigen. Heutzutagewerden jüdische Witze, die gerade wegenihrer Selbstkritik so gut sind, antisemi-tisch, wenn ein Nichtjude sie weiterer-zählt.

Ein besonders gutes Beispiel für vor-programmierte Verzerrung ist hier der„Corruption Perception Index“ der Orga-nisation „Transparency International“.Dieser Korruptionsindex, dessen Erkennt-nisse regelmäßig zitiert werden, misstnicht etwa den Korruptionsgrad eines

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Johannes Gerloff

Was macht man,wenn die eineGesellschaft ihreKinder alsSchutzschildemissbraucht,während dieandere alles tut,um menschlichesLeben zu schützen?

___________________________3 eine unantastbare Sache d.Red.

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Landes, sondern wie Korrup-tion in einer Gesellschaft wahr-

genommen wird. Bei einem Vergleich Is-raels mit einem westlichen Land wäre voreiner abschließenden Bewertung deshalbdie Frage zwingend, ob Israel nun korrup-ter oder schlicht selbstkritischer ist als dieGesellschaft im Vergleich. Je nach Landkönnte es nämlich durchaus sein, dass die-ser Index letztendlich nicht die Korruptioneiner Gesellschaft misst, sondern derenTransparenz.

An dieser Stelle muss auch die jüdischeund israelische Kritik an der „ethnischenSäuberung“ der Palästinenser in der Zeitder Staatsgründung angesprochen wer-den. Dass Juden diese Kritik an ihrem ei-genen Volk und Staat üben, ist in Ordnungund bewundernswert. Wenn allerdingsAußenstehende oder gar Araber diese Kri-tik übernehmen, ohne auf die „ethnischeSäuberung“ der Juden in der arabischenWelt einzugehen, muss das als blankerAntisemitismus bezeichnet werden.

Tatsache ist, dass in der Mitte des 20.Jahrhunderts zwischen Israel und der ara-bischen Welt de facto ein Bevölkerungs-austausch stattgefunden hat, wobei diejüdischen Flüchtlinge aus arabischenLändern dort flächenmäßig ungefährviermal so viel Landbesitz zurücklassenmussten, wie die Fläche des gesamtenStaates Israel umfasst. Wollte man diemateriellen Verluste gegeneinander auf-wiegen, müssten die Araber Israel ent-schädigen. Auch wird oft verschwiegen,dass ein Bevölkerungsaustausch in jenerZeit bei vielen Konflikten weltweit als Lö-sung versucht wurde. Und schließlichmuss bedacht werden, dass die Araber imBlick auf eine ethnische Säuberung vielerfolgreicher waren als die Juden. Judenmuss man heute in der arabischen Weltmit der Lupe suchen, während zwanzig

Prozent der israelischen Bevöl-kerung Araber sind.

4) Gott hat das Schwache erwählt.

Das sagt uns die Bibel. Deshalb steht eineGesellschaft, die sich christlich geprägtwähnt, reflexartig auf der Seite dessen, dersich besser als der Schwächere darzustel-len versteht. Wenn ein Kind einem Panzergegenüber steht, erübrigen sich für vieleMenschen der westlichen Gesellschaftweitere Fragen, auchwenn diese durchausberechtigt wären. Et-wa: Wo ist der Vater desKindes, der sich eigent-lich zwischen den Pan-zer und seine Familiestellen müsste? In die-sem Themenbereichlässt sich am besten zei-gen, dass ein Bild mehr als tausend Wortesagt. Nachdenken wird scheinbar über-flüssig.

Bei alledem bleibt natürlich die Frage:

Warum steht Israel so sehr und so einseitig imFokus unseres Interesses?

Woher weiß die öffentliche Meinung inDeutschland so schnell, wer im Recht, werim Unrecht, wer verantwortlich und werder Bösewicht ist, wenn sich beispiels-weise Türken und Israelis, Juden und Mos-lems eine Propagandaschlacht auf hoherSee liefern? Warum sind viele Deutscheangesichts des Leidens von Palästinen-sern, das möglicherweise von Juden verur-sacht wurde, so engagiert betroffen – wäh-rend sie der Tod von Tausenden Arabern,die von Arabern abgeschlachtet werden,vollkommen kalt lässt? Das zu beurteilentraue ich mir nicht zu, weil ich dazu in die

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Israel in den Medien

Wenn ein Kindeinem Panzer

gegenüber-steht, wo wareigentlich der

Vater desKindes?

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Herzen einzelner Menschen se-hen können müsste.

Aber die Schuld einfach und glatt denMedien in die Schuhe zu schieben, willmir auch nicht gefallen. Ich habe noch nieeinen Zeitungsleser getroffen, der seineZeitung liest, um sich die Meinung ma-chen zu lassen. Im Gegenteil: So ziemlichalle Leser, die ich persönlich kennenge-lernt habe, wollen als mündige Persön-lichkeit ernst genommen werden. Ande-rerseits habe ich schon manchen Journa-listen getroffen, der meinte: Das könnteich so nie schreiben! Da würde ich mei-nen Job verlieren! Auch habe ich nicht sel-ten erfahren, dass Leser Sanktionen oder

gar die Entlassungvon Journalistenfordern, die Unliebsames zu schreibenwagen.

Könnte es sein, dass uns die Einseitig-keit der Berichterstattung über Israelzeigt, dass Medien immer eine Zweibahn-straße sind? Dass Journalisten immer Le-ser brauchen – vielleicht viel mehr als um-gekehrt? Und dass wir nur gemeinsam,wenn wir als Medienmacher und Medien-verbraucher bewusst am selben Strangziehen, unsere Medienlandschaft verän-dern und das Diktat der Political Correct-ness – wer auch immer dasselbe verordnethat – durchbrechen können?

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Johannes Gerloff

Padberg, Lutz von. In Gottes Namen?Von Kreuzzügen, Inquisition und gerech-ten Kriegen. Die 10 häufigsten Vorwürfegegen das Christentum. Gießen: Brunnen2010. 255 S. Hardcover: 19,95 €. ISBN978-3-7655-1753-2.

Die erstaunliche Aggressivität der-zeitiger Atheisten nimmt der His-toriker Prof. Lutz von Padberg zum

Anlass, ein Buch über die 10 häufigstenVorwürfe gegen das Christentum zu schrei-ben. Was ist wirklich dran an den Behaup-tungen, die Kirche habe alle Abweichlerverfolgt, die Frauen unterdrückt und sichmit dem Staat eingelassen? Stimmt es,dass die Kirche Menschen mit Gewalt ge-tauft, während der Kreuzzüge in Blut geba-det, durch ihre Inquisition Millionen Men-schen habe umbringen lassen und die Mas-senverfolgungen gegen die Hexen imMittelalter initiierte? Ist es wahr, dass siesowohl für den Kolonialismus und dieUnterdrückung der unterworfenen Völkerverantwortlich ist als auch für die Juden-verfolgungen und dass sie schließlich sogar

den Krieg verherrlichthat?

Der Autor nimmtzu jedem Vorwurf ein-zeln Stellung. Er be-schreibt in jedem Ka-pitel zuerst die Vor-würfe und stellt danndie Fakten ausführlichdar, so, wie sie sich hi-storisch tatsächlichnachweisen lassen, und kommt dann zueinem Fazit, das durchaus manche Vor-würfe bestätigt und andere als maßlosüberzogen zeigt. Im letzten Teil jedes Ka-pitels stellt er mit hilfreichen Kommenta-ren verbundene weiterführende Literaturvor.

Das Abschlusskapitel „Licht undSchatten“ fasst noch einmal alle wesent-lichen Aussagen zusammen, das Zutref-fende an den Vorwürfe und das, was nichtzutrifft. Das Personenregister am Schlussist eine gute Hilfe zur Orientierung. EinBuch, das jeder Christ gelesen haben sollte.

Karl-Heinz Vanheiden

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Die Distanzierung

Im Jahrbuch der „Kirchlichen HochschuleBethel“ schreibt deren Rektor TraugottStählin in seinem Geleitwort3:

1894 hat Friedrich von Bodelschwinghin seiner für die preußische Generalsy-node geplanten Rede deutlich gemacht,warum er die Gründung einer „freien

theologischen Hochschule“ für not-wendig hielt: um Theologen heranzu-bilden, „die im Glauben und Bekennt-nis der Kirche stehen“, und ein Boll-werk gegen die „große Diana der Ephe-ser der heutigen Zeit, die Wissenschaft… losgelöst vom Glauben“4 zu bauen …Die Hochschule hat sich seitdem in denJahrzehnten ihrer Entwicklung von den

Der Bibelbundwurde 1894 in

einem pommerschen Pfarr-haus gegründet, um bibel-treuen Christen ein Fo-rum für schriftgebundene christliche Lehre zu bieten. Man wollte sich besser gegen dasmassive Vordringen der Bibelkritik und die zunehmende Liberalisierung der Theologiezur Wehr setzen können. Denn die Bibelkritik begann sich auch schon an der Gemeinde-basis bemerkbar zu machen. Deshalb erschien im Jahr 1901 die erste Zeitschrift des Bi-belbundes unter dem Titel „Nach dem Gesetz und Zeugnis“, die seit 1954 den Titel „Bibelund Gemeinde“ trägt.

Der Bibelbund war aber nicht das einzige Werk, das Ende des 19. Jahrhunderts ent-stand, um sich gegen die zunehmende Bibelkritik zur Wehr zu setzen. So hat auch Frie-drich von Bodelschwingh erkannt, dass Bibeltreue lebenswichtig für Christen ist, die die-sen Namen auch verdienen. Durch sein Lebenswerk, das noch heute unter dem Namen„von Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel“ existiert, war er schon damals sehr bekanntgeworden. So konnte er in seinen letzten Jahren sowohl eine „Theologische Woche“ alsauch eine „freie theologische Schule“ gründen, die einer bibeltreuen Theologie verpflichtetwaren.

Nachdem wir vor sechs Jahren schon einmal über Friedrich von Bodelschwinghs Kri-tik an der „historisch-kritischen Theologenschule“ berichtet haben1, wollen wir nun aus-führlicher aus dem Werk Gustav von Bodelschwinghs2 zitieren, um das Anliegen Frie-drich von Bodelschwinghs, das auch unser Anliegen ist, noch deutlicher zu machen. Daserscheint besonders wichtig, da die kirchliche Hochschule, die auf Betreiben Bodel-schwinghs entstand, sich 1980 öffentlich von dem distanzierte, was ihrem Gründer amHerzen lag.

Karl-Heinz Vanheiden

Friedrich von Bodelschwingh und die „gelehrte Bibelkritik“

___________________________1 Gottfried Schröter in „Bibel und Gemeinde“ 1/2005 S. 41ff.2 Gustav von Bodelschwingh berichtet darüber in seinem Buch „Friedrich von Bodelschwingh –

Leben und Lebenswerk, dargestellt von seinem Sohne Gustav von Bodelschwingh“ (2. Aufl. 1923).3 Kirchliche Hochschule Bethel 1905-1980. Herausgegeben von Gerhard Ruhbach 1980. Geleit-

wort des Rektors S. 8.4 Wort und Dienst, NF 4, 1955, S. 17.

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Vorstellungen ihres Gründers ingewisser Hinsicht entfernt, sie

könnte sonst auch ihrem Auftrag alswissenschaftliche Hochschule nicht imvollen Sinn gerecht werden. DieserAuftrag ist durch die Verleihung der Fa-kultätsrechte (Promotions- und Habili-tationsrecht) am 1. Januar 1980 unter-strichen worden.Wie sehr sich diese Hochschule von

„den Vorstellungen ihres Gründers“ ent-fernt hat, macht auch die vom Bibelbundherausgegebene Schrift: „Jesus, die Evan-gelien und der christliche Glaube“5 deut-lich, die auf ein bibelkritisches „Spiegel-Gespräch“ eines Theologen dieser Hoch-schule, Andreas Lindemann, reagiert.

Die Theologische Woche

1893 war Friedrichvon Bodelschwinghdas erste Mal mit demTheologen A. Schlatterzusammengetroffen.Daraus entwickeltesich eine Freundschaftund die Einrichtung ei-ner „TheologischenWoche“, die im August1898 zum ersten Mal

stattfand. Schlatter wünschte, dass dertheologische Kursus nicht in einer Univer-sitätsstadt, sondern in einer Gemeindestattfinden solle.

Denn dadurch sei von vornherein klarzum Ausdruck gebracht, dass die Bespre-

chungen zwischenden Männern derWissenschaft und denen der Praxis nichtden Köpfen gelten sollten, sondern denPersonen, nicht dem wissenschaftlichenBetriebe, sondern im tiefsten Sinn demwissenschaftlichen Leben. Darum ergabsich von selbst Bethel als Versammlungs-ort.

So kam im August 1898 die erste theo-logische Woche zustande. Die große Zahlder Besucher zeigte von vornherein, welchtiefem Bedürfnis der Gedanke entsprang.Cremer und Schlatter hatten die Haupt-vorträge übernommen.6

Die Vorträge selbst waren öffentlich,die Besprechungen aber, die den Vorträ-gen folgten, wurden im geschlossenenKreis der Theologen gehalten. Das hatsich gut bewährt, sodass diese Woche allezwei Jahre stattfinden konnte. Es wurdenauch noch andere Theologen dazu einge-laden:

So der blinde, immer wieder mit beson-derer Bewegung begrüßte Professor Rig-genbach von Basel, Professor Schaeder,später in Kiel und Breslau, Professor Lüt-gert aus Halle, Professor Bornhäuser ausMarburg. Die Führung behielten Cremerund Schlatter, die beiden, das darf wohlgesagt werden, neben Kähler, Halle, da-mals bedeutendsten Vertreter der deut-schen Theologie, die in tiefster Gemein-schaft der Überzeugungen einander er-gänzten.7

Friedrich von Bodelschwingh selbsthatte die beängstigende Unsicherheit ken-

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Friedrich von Bodelschwingh

___________________________5 Th. Mayer/K.-H. Vanheiden (Hrsg.): Jesus, die Evangelien und der christliche Glaube. Eine

durch ein SPIEGEL-Gespräch ausgelöste Debatte. Mit Beiträgen von A. Lindemann, G. Schrö-ter, A. D. Baum und I. Broer. ISBN 978-3-933372-10-9. 4,80 €. Bestellnummer 0305 bei derGeschäftsstelle des Bibelbund e.V., Postfach 470268, 12311 Berlin, Tel. 030/44039253.

6 Gustav von Bodelschwingh, a.a.O. S. 413f.7 A.a.O. S. 414

Friedrich vonBodelschwingh

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nengelernt, in die die Kritik hin-einführt.

Darum blieb er barmherzig mit denen,die in ähnlichen Kämpfen standen. Daskam immer wieder während dieser theolo-gischen Wochen zum Ausdruck. Aber zu-gleich wies er in den Besprechungen, diesich an die Vorträge der Professoren an-schlossen, die Wege, die zur Gewissheitdes Glaubens führen: die Demut der Bußeund die selbstverleugnende Liebe. Geistli-che Hoffart, das sprach er immer wiederaus, war für ihn das Haupthindernis desGlaubens.8

Es war von Bodelschwinghs feste bibli-sche Überzeugung, dass Gott sich hoch-mütigen Menschen nicht offenbart.

Die Besuche, die einzelne Teilnehmerder theologischen Wochen in den Häuserndes Elends in Bethel machten,blieben nicht ohne Fragen. Bo-delschwingh erklärte einem vonihnen, dass er zuweilen auch un-ter dem Elend der Welt leide undes nicht verstehen könne. Aberdann denke er immer wieder:Wie würde es sein, wenn dasElend nicht da wäre? Es würdenoch viel schrecklicher auf derWelt aussehen, weil dann derHochmut ohne alle Hindernissewachsen würde. Das Menschenherz istviel zu hochmütig, als dass es Leiden ent-behren könnte.

Die Liebe aber schöpfte er aus der in derSchrift geoffenbarten Liebe Gottes in JesusChristus. Deshalb war ihm die theologischeWoche und die Freundschaft mit den „Was-serschöpfern“ – so nannte er die Professorenam liebsten – eine besondere Erquickung.

Ein Professor der liberalenTheologie führte seine Studen-ten durch Bethel. Am Schluss machte erVater einen Besuch. „Herr Pastor“, sagteer, „wieviel Gutes tun Sie den Kranken.Und wie gütig haben Sie uns aufgenom-men. Warum sind Sie zugleich so ableh-nend gegen meine theologische Arbeit?“„Lieber Professor“, sagte er, „ohne den al-ten Glauben könnte ich keinen einzigenepileptischen Kranken pflegen – und duauch nicht.“9

Die freie theologische Hochschule

Bodelschwingh hatte seine tiefstenwissenschaftlichen und persönlichen An-regungen von Männern empfangen, dienicht aus staatlichen Fakultäten hervorge-

gangen waren, sondern aus denKreisen freier Körperschaften.

„Die evangelische Kirche“,sagte er, „hat sich viel zu langedaran gewöhnt, sich auf denstaatlichen Arm zu verlassen,und darüber ist sie eingeschla-fen.“10

Warum sollte die Christen-heit, wenn sie freie Anstalten derinneren und äußeren Missionschuf, nicht auch berechtigt und

in der Lage sein, eine freie theologische Fa-kultät zu schaffen … am besten in einer le-bendigen Christengemeinde inmitten ge-sunden christlichen Volkslebens?

Diesen Gedanken legte er in einemAufsatz nieder, der zuerst in einer kleinenkonservativen Zeitung Bielefelds er-schien und dann in vielen Sonderdruckenverbreitet wurde. Er fand zunächst nur

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... und die „gelehrte Bibelkritik“

Ohne ihr Elendwürde die Welt

noch vielschrecklicheraussehen, weil

dann der Hochmut ohne

alle Hindernissewachsen würde

___________________________8 A.a.O. S. 415.9 A.a.O. S. 416f. Friedrich von Bodelschwingh duzte fast jedermann.10 A.a.O. S. 417.

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wenig Zustimmung und Bo-delschwingh musste den Ge-

danken zurückstellen. Sein Ruf war den-noch nicht umsonst.

Es trat ein Kreis von Freunden deskirchlichen Bekenntnisses in Rheinlandund Westfalen zusammen, der die Grün-dung eines Studienhauses an der Univer-sität Bonn in die Hand nahm und rasch zurDurchführung brachte. Schon im Sommer1896 stand das Haus zum Einzug fertig,und unser jüngster Bruder war unter denersten Studenten, die darin für ihre Stu-dien willkommene Heimat und Anleitungfanden.11

Anlässlich der theologischen Woche inBethel im Herbst 1904 propagierte er denGedanken an eine freie theologische Schu-le erneut und verfasste eine ausführlicheSchrift dazu. Damals diskutierte man vielüber die Gefahr durch die Jesuiten. Bodel-schwingh schrieb:

Gefährlicher, grundstürzender bis instiefste Mark hinein, vergiftender als dieweiter geöffnete Tür für die Vä-ter der Gesellschaft Jesu, das sa-ge ich frei heraus, ist eine andereNot, die unsere Kirche an ihremeigenen Busen großzieht. Un-aufhaltsam ergießt sich eine Flutglaubensloser und pietätloserKritik von den theologischenLehrstühlen unserer deutschenHochschulen über unsere armetheologische Jugend und rütteltan der Grundlage unseres Glaubens, näm-lich an der Heiligen Schrift. Wie viele jun-ge Theologen ziehen fröhlich im Glaubenauf die Universität und kommen mit zer-brochenem Glauben zurück. Es schreienviele Vater- und Muttertränen gegen sol-

che grausamen See-lenhirten auf evan-gelischen Lehrstühlen. Sie bieten sich an,Diener für die Kirche zuzubereiten, undwiewohl sie genau wissen, dass ihre Schü-ler über ein Kleines sich verpflichten sol-len, das Amt des Wortes in ihre Gemein-den aufgrund der Heiligen Schrift und desBekenntnisses zu führen, wissen sie dochnichts eifriger zu tun, als ihnen die HeiligeSchrift verdächtig zu machen.

… es sind zum Teil recht kleine Geister,kümmerliche Gesellen, leere Herzen, Wol-ken ohne Wasser vom Wind der Eitelkeitumgetrieben, kahle, unfruchtbare Bäume.Ohne gründliche Gelehrsamkeit und ohneWahrheits- und Gewissensdrang, ohneErnst achten sie es doch für nötig, sich dieSporen des Professorentums zu verdienen,indem sie irgendeinem Buch der HeiligenSchrift zu Leibe gehen und es nach allenSeiten hin verdächtig machen.

… Und sie bleiben keineswegs bei denäußeren Schalen der Heiligen Schrift ste-

hen, bei der Kritik des Textesusw., sondern man merkt balddie Absicht: der ganze Grundmuss umgerissen werden; ausder ganzen Schrift sollschließlich nur ein feines Mär-chenbuch werden.

… Christi Person und Werkwird nicht nur in immer nebel-haftere Umrisse gehüllt, son-dern verschwindet endlich ganz.

Man bedarf sein nicht mehr.… Schlechte Theologen werden ebenso

wenig wie falsche Jesuiten durch polizeili-che Maßregeln überwunden. Ich weiß eswohl, dass es kein normaler Zustand ist,wenn der Staat solche Männer auf die the-

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Friedrich von Bodelschwingh

Schlechte Theo-logen werden

ebenso wenig wiefalsche Jesuiten

durch polizeilicheMaßregeln

überwunden

___________________________11 A.a.O. S. 418. Auch in neuerer Zeit ist dieser Gedanke wieder aufgegriffen worden zum Bei-

spiel im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen.

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ologischen Lehrstühle setzt undsie unseren jungen Theologen

zu ihren ordentlichen Lehrern bestellt, undjene hernach durch eine staatliche Prü-fungskommission prüfen und durchfallenlässt (ich habe dies bei einem meiner lieb-sten Konfirmanden erfahren), wenn sienun von dem Geiste und dem Unglaubenihrer Lehrer durchtränkt sind und sichehrlich zu diesem Unglauben bekennen.Aber was kann der Staat da machen? Waskönnen wir von ihm verlangen?12

„Fromme Lehrer der Kirche“, so pfleg-te mein seliger Freund Kögel zu sagen,„sind ein Gnadengeschenk Gottes, siekönnen nicht von Menschen gefordert,sondern müssen von oben erbeten wer-den.“13

Bodelschwingh wollte zuerst eine freietheologische Vorschule errichten, die abernicht gegen die Landeskirche und die be-stehenden Universitäten arbeitet, sondernjunge Menschen stärkt und stählt.

Dieser Pflanzschule müsste man eineäußerlich liebliche und geistlich gesundeStätte bereiten, in der die köstliche Saatmit Freuden und in der Hoffnung ausge-streut werden kann, dass sie nicht sofortwieder von wilden Säuen zerwühltwird.14

Als Bodelschwingh diese Sätze schrieb,waren die nötigen Mittel für die Hörsäleund die Wohnungen der theologischenLehrer schon vorhanden. Bodelschwinghdachte nicht an eine sofortige Anerken-nung oder gar Unterstützung des Staates.

Im Herbst 1905 zogen dieersten Studenten in die jungetheologische Schule ein. „Zwölf Jüngerhatte der Herr; mehr als zwölf möchte ichnicht gern haben“, sagte Vater. Aber vierWochen vor der Eröffnung hatte sich nurein einziger gemeldet. „Ich fange auch mitdem einen an“, sagte Jäger. Da fiel ihm Va-ter um den Hals und sagte: „Dafür kriegstdu einen Kuss.“ Aber zum Eröffnungstagewaren elf junge Studenten zur Stelle.

Vater selbst trat mit in den Unterrichtein. Während PastorJäger die systemati-schen Fächer nahm,Kähler das Neue Te-stament und der baldhinzutretende PastorOesterreicher das AlteTestament, gab Vaterjede Woche eine Abend-stunde praktischen In-halts, besonders über innere und äußereMission.

Viele hundert Studenten sind seitdemdurch die theologische Schule gegan-gen.15 Als Dozenten sind die Pastoren Mi-chaelis, Schrenk und Johanssen neu hin-zugetreten. Die bayrische Kirche hat alserste unter den deutschen Landeskirchendie auf der theologischen Schule verbrach-te Studienzeit in einzelnen Fällen ange-rechnet. Die badische Kirche erkennt siegrundsätzlich in allen Fällen an.16

Leider wird ein im Glauben begonne-nes Werk von den nächsten Generatio-

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... und die „gelehrte Bibelkritik“

Fromme Lehrerder Kirche sind

ein Gnaden-geschenk Gottesund müssen von

oben erbetenwerden

___________________________12 A.a.O. S. 420-423. Offensichtlich waren damals viele theologische Lehrer noch weiter von der

Heiligen Schrift und dem Bekenntnis entfernt als die Vertreter des Staates in der Prüfungskom-mission.

13 A.a.O. S. 426.14 A.a.O. S. 428.15 Das war offenbar der Stand von 1922.16 A.a.O. S. 429f.

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nen nicht immer auch imGlauben weiterge-

führt. So kam es leider zu deranfangs dargestellten Ent-wicklung. Dafür sind anderebibeltreue Ausbildungsstät-ten mit Hochschulniveau imdeutschsprachigen Raumentstanden, wie zum Beispiel die FreieTheologische Hochschule (FTH) in

Gießen17 und dieStaats-unabhängige TheologischeHochschule in Basel (STH),die beide die Chicago-Erklä-rung zur Irrtumslosigkeit derSchrift anerkennen. Wo an-deres geistlich zugrunde

geht, schafft Gott doch immer wieder ei-nen neuen Anfang.

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Friedrich von Bodelschwingh

Wo anderes geistlichzugrunde geht,

schafft Gott dochimmer wieder einen

neuen Anfang

___________________________17 Siehe den Aufsatz von Helge Stadelmann: „Eine bibeltreue Hochschule wird Wirklichkeit“ in

„Bibel und Gemeinde“ 1/2009 S. 21ff.

Maier, Gerhard. Biblische Hermeneutik.Witten: SCM R.Brockhaus 2009 (6. Aufl.)403 S. Paperback: 32,90 €. ISBN 978-3-417-29355-5.

Gerhard Meier ist durch seine wis-senschaftlich fundierte und gleich-zeitig bibeltreue Auslegung be-

kannt. In diesem Buch, welches nun be-reits in der 6. Auflage erschienen ist, be-fasst er sich intensiv mit den Grundlagenund Voraussetzungen für eine richtigeAuslegung der Heiligen Schrift – der „Bi-blischen Hermeneutik“.

Die Hermeneutik definiert er als dasrichtige Auffassen dessen, was man ausle-gen möchte. Für ihn ist die Bibel kein Buchwie jedes andere von Mensch zu Menschgeschriebene. Da durch die Bibel GottesGeist zu den Menschen spricht, könnenwir nicht einfach die hermeneutischenGrundlagen nutzen, welche wir zum Bei-spiel verwenden um Plato richtig zu ver-stehen. So benötigt die Bibel in ihrer Ein-zigartigkeit auch eine ganz spezielle Her-meneutik. Je spezieller diese Hermeneutikist, desto ertragreicher wird die Ausle-gung. Das Spezielle sieht er u.a. darin,dass ein prinzipieller Zweifel bei der Bibel

fehl am Platz ist undgleichzeitig durch denHeiligen Geist eine Be-ziehung zwischen Gottund dem Exegeten ent-steht. Jeder Menschbringt Voraussetzun-gen mit, durch die erversucht die Bibel zuverstehen. „Doch gera-de unsere Vorausset-zungen will die Bibel in Frage stellen, kor-rigieren und teilweise zerstören“ (:15). Sokommt Maier zu dem Grundsatz eines in-duktiven Verfahrens der Hermeneutik, dasalle seine Erkenntnisse aus der Schriftselbst gewinnt. Diese Theologische Her-meneutik ist aus seiner Sicht eine Wissen-schaft mit den Besonderheiten: der Offen-barungsgebundenheit und des Glaubens-bezuges. Trotzdem sieht er nicht jedes Le-sen und Verstehen der Bibel vom Glaubenabhängig, genauso wie trotz gläubiger undgeistgeleiteter Auslegung Irrtümer nichtausgeschlossen sind. Eine gute Auslegunglebt vom Austausch und der brüderlichenKorrektur.

Nachdem er die heutige Exegesedurch das historische Verständnis seit der

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Aufklärung als Verengung be-zeichnet, stellt er diesem den

mehrfachen Schriftsinn der Christenheitvor der Aufklärung entgegen. Insgesamtmacht er das kognitive, dynamische undethische Verstehen als Verständnismög-lichkeiten aus.

Ein weiterer wesentlicher Teil ist dieBeschäftigung mit der Inspiration derSchrift. Dabei geht er auf verschiedeneModelle ein, wobei er besonders die Kritikan der Verbalinspiration untersucht. DieSchrift betrachtet er als „vollkommen ver-läßlich und fehlerlos“. Schwierigkeitenkönnen hingegen auftreten, wenn sich derAusleger „mit der Offenbarung auf diesel-be Stufe stellen will“ (:125). Im achten Ka-pitel geht er auf den Kanon in seiner Ent-stehung, Geschichte und Abgrenzung ein.Die 200-jährige Suche nach einem Kanonim Kanon bezeichnet er als vergeblich. Fürdie Autorität und Einheit der Schrift zeigter primär Begründungen aus der Offenba-rung selbst auf (den sogenannten Schrift-beweis). Die Einheit der Schrift sieht erauch durch die heilsgeschichtliche Ausle-gung bestätigt. Diese Art der Exegese bie-tet einen dreifachen Vorteil: (1) wird sieam ehesten der geschichtlichen Strukturder Offenbarung gerecht, (2) nimmt siedie Fülle der Offenbarung in die Geschich-te hinein und (3) wird dadurch die Einheitder Offenbarung am besten zum Ausdruckgebracht.

Die Suche nach der „Mitte der Schrift“lehnt Maier nicht ab, jedoch darf sie nichtzur Trennung der Einheit der Bibel führen.Das Verhältnis von Schrift und Geschichteist für ihn wichtig, weil Gott selbst sich in„seine Geschichte hinein offenbart“(:180). Eine Grundfrage, die sich immerwieder durch das Buch zieht, ist die, „wiesich die (historische) Kritik zur Offenba-rung überhaupt verhält.“ (:221). An der

historischen Bibelexegese übter sehr starke Kritik und be-zeichnet sie als eine Bewegung, welche„die Geschichte am meisten entwertet“(:236) hat und die Offenbarung verfehlt.Auf dieses Thema geht er sehr intensiv ein.

Auf der Suche nach einer möglichenMethode, die Offenbarung zu verstehen,kommt er als erstes zur sogenannten pneu-matischen Exegese, die er intensiv in ihrerWirkungsgeschichte betrachtet. Als „drin-gendste hermeneutische Aufgabe“ sieht erdie Notwendigkeit der „Entwicklung einerbiblisch-historischen Auslegung“ (:332).Früher schrieb er noch von der historisch-biblischen Auslegung, doch hat er jetzt diebeiden Begriffe umgedreht, um eine besse-re Abgrenzung zurhistorisch-kritischenAuslegung und dieVorrangstellung derbiblischen zu errei-chen. Dieser Ausle-gung schreibt er„grundsätzlich kei-ne höhere Qualität“zu als der Ausle-gung, die „geistge-leitet und im Wort gegründet“ (:334) ist.Für ihn verbinden „Gebet, Austausch, Ge-spräch, Korrektur und Praxis“ (:334f) denwissenschaftlichen Ausleger mit der Ge-meindewirklichkeit. So kommt er zumSchluss von der „biblisch-historischenAuslegung“ zur „Hermeneutik der Begeg-nung“, denn „Begegnung ist der Grund-charakter der Offenbarung“ (:358). Diefür ihn entscheidende Begegnung dabei istdie Begegnung mit dem Herrn Jesusselbst.

Im Anschluss bietet das Buch nach ei-nem kurzen Leitfaden zur Handhabungder biblisch-historischen Auslegung einumfangreiches Literaturverzeichnis sowie

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Gebet, Austausch,Gespräch,

Korrektur undPraxis verbinden

den wissenschaft-lichen Ausleger

mit der Gemeinde-wirklichkeit

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Adolf Graul. Rock-, Pop und Technomusikund ihre Wirkungen. Eine wissenschaftli-che und biblische Untersuchung. 320 S. Pa-perback: 8,90 €. CLV 2010. 2. Aufl. ISBN978-3-86699227-6

Seit Jahrzehnten haben sich viele Bü-cher, Artikel und Vorträge mit denunterschiedlichsten Aspekten zur

Verwendung verschiedener Musikstile unddem Gebrauch von Instrumenten in soge-nannter christlicher Musik beschäftigt.

Nicht nur Fragen zu privaten Hörge-wohnheiten, sondern insbesondere dieEignung für Evangelisation und Gemein-dezusammenkünfte haben dabei immerwieder Diskussionen entstehen lassen, die auf allen Seiten zeitweise sehr emotio-nal und leider zum Teil auch verurteilendwaren.

In diesem Buch von Adolf Graul wirdaufgrund von Grauls Ausbildung, seinerlangjährigen Erfahrung und besonders

durch den Untertiteldes Buches die Erwar-tung geweckt, dass denLeser eine fundierteund sachliche Ausar-beitung zu einem The-ma erwartet, welchessich unter Christen lei-der zu einem Dauer-brenner mit viel Kon-fliktpotential entwickelt hat.

Gelingt Graul mit seinem Buch, denAnspruch des Titels und die Erwartungender Leser zu erfüllen? Der Eindruck, dernach dem Lesen des Buches bleibt, istzwiespältig.

Graul führt viele belegte Fakten auf,wie Musik auf Zuhörer wirken kann. Be-sonders hohe Lautstärken und monotonhämmernde Rhythmen und Bässe, wie siein der Hard-Rock- oder Techno-Szene üb-lich sind, bewirken die beabsichtigten abernegativ zu beurteilenden Auswirkungen

ein Namensregister. In Aus-wahl wurde ein Sach- und Bi-

belstellenregister beigefügt. Durch dieseAnhänge kann eine weitergehende wissen-schaftliche Arbeit deutlich erleichtert wer-den.

Obwohl Maier in seinem Buch immerwieder die Gemeinde und deren Ausle-gung hervorhebt, ist dieses Buch kaum fürdie Allgemeinheit in der Gemeinde geeig-net, sondern setzt eine gewisse wissen-schaftliche Vorbildung voraus. Das wirdan vielen Zitaten (englisch, griechisch, la-teinisch, holländisch) deutlich, die nichtübersetzt werden; oder bei theologischenThemen, deren Wissen in diesem Buchvorausgesetzt wird. Insgesamt ist es sehrinhaltsreich und wie viele andere Bücher

von ihm reich an Zi-taten, wobei sogarC.H. Spurgeon zu Wort kommt. Obwohler zum Ende etlicher Abschnitte eine kurzeZusammenfassung gibt, wird diese nichtextra hervorgehoben.

Dieses Buch ist allen zu empfehlen, de-nen eine wissenschaftliche und gleichzei-tig bibeltreue Auslegung wichtig ist. Esbietet insgesamt eine hilfreiche Grundlagezur eigenen Auslegung und gleichzeitigein Verständnis und eine Erkenntnis ande-rer hermeneutischen Zugänge zur Bibel.Durch die intensive Auseinandersetzungmit vielen anderen Ansichten bietet esaußerdem eine gute Grundlage für dieApologetik der Bibel.

Matthias Mack, 01796 Pirna

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bei den Hörern. Graul bringtBeispiele und lässt Betroffene

zu Wort kommen. Er weist berechtigter-weise auf viele Gefahren hin, die „unsach-gemäßer Gebrauch“ von Musik in sichbirgt. Als Maßstab für den rechten Ge-brauch nennt er die Bibel. Dasalles hört sich gut an und findetauch meine Zustimmung wiewohl auch die der meisten Le-ser.

Leider wird das Buch trotz-dem dem Anspruch nicht ge-recht, da das Vorgehen Graulsund auch viele seiner Aussagennichts mehr mit Fakten und Se-riosität zu tun haben, das sich„wissenschaftliches Arbeiten“nennen dürfte.

Letztlich bestätigt Graul sogar selbst,dass er den Boden der Wissenschaft be-wusst verlässt, weil es ihm auf etwas ande-res ankommt.

„Sicherlich ist unser Wissen nur Stück-werk betreffs der letzten Geheimnissedes Zusammenwirkens der dreimenschlichen Wesensschichten vonLeib, Seele und Geist und in welcherunterschiedlichen Art und Weise diesemittels Musik bewegt werden können.Offenbar spielen dabei die bisher wenigerforschten quantenphysikalischenVorgänge eine Rolle, und wir haben esdarüber hinaus dann auch letztlich mitmetaphysischen Auswirkungen zu tun,die nicht mehr mit physikalischen Mess-methoden fassbar sind.“ S. 14 (Hervorhebungen durch den Re-

zensenten). Und weiter„Hierbei begrenzen sich die Ausfüh-rungen auf die in Frage gestellten zeit-aktuellen Popularmusikstilarten, wobeivornehmlich die grundsätzlich ver-schiedenen Auswirkungen von einsei-

tig taktrhythmischer Musik-ausübung gegenüber atem-rhythmisch ausgerichteter Musikpra-xis im Mittelpunkt stehen. Insofern istdiese Darstellung bewusst nicht in derüblichen Form einer wissenschaftlichen

Darstellungsweise verfasst,sondern mehr unter seelsorger-lichen Aspekten.“

Für den überwiegenden Teildes Buches muss leider gesagtwerden, dass Graul tatsäch-lich nicht sachlich, nicht wis-senschaftlich und nicht ein-mal biblisch/geistlich vor-geht. Er mischt unzweifelhaf-te, aber unpassende Erkennt-

nisse mit seinen Theorien zu einem gefähr-lichen Halbwissen, das er den Lesern aberals Tatsache präsentiert, und sie damit ineine Richtung manipuliert.

Das geschieht durch: Aus dem Zusammenhang gerissene ne-

gative Zitate gezielt ausgewählter Per-sonen der Musikszene, während positi-ve Aussagen unerwähnt bleiben.

Gezielte Auswahl von aus dem Zu-sammenhang gerissenen Bibelzitaten (z.B. S. 56 Ps. 37,7 als Beweis gegenlaute Musik), während anderslautendeBibelstellen nicht erwähnt werden.

Aufstellen von Behauptungen, die nichtbelegt oder bewiesen werden, aber imweiteren Verlauf als gegeben festste-hen, um darauf aufzubauen (z.B. S.79f. Warum Offbeat und Synkopen ab-zulehnen sind; S. 124 Was die „norma-le“ Empfindung beim Rhythmus ist).

Polemisierende Aussagen über Musikerund Musikstile, die bewusst Emotionenbeim Leser erwecken und ihn in eineRichtung drängen sollen (S. 137 Ver-wendung der Gitarre).

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Graul mischt unzweifelhafte, aber

unpassende Erkenntnisse mit

seinen Theorien zueinem gefährlichenHalbwissen, das erden Lesern aber alsTatsache präsentiert

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Rob Bell. Love Wins: A Book About Hea-ven, Hell, and the Fate of Every Person WhoEver Lived, HarperOne; Auflage, 224 S.

Rob Bell wird der Hauptreferentdes Jugendplus-Kogresses 2011(Willow Creek Deutschland) sein.

Sein Buch Love Wins schlägt hohe Wel-len, bevor es überhaupt erschienen ist. Dasliegt vor allem an dem provokativen Video-

clip (so erzielt man heute hohe Auflagen).Wer schon mehr von Rob Bell gelesen odergehört hat, wird von dem Video allerdingskaum überrascht sein können. Tim Chal-lies, Buchautor und Blogger aus Kanada,hat das Buch bereits gelesen und eineBuchbesprechung verfasst, die ich1 hiermit freundlicher Genehmigung wiederge-be. Übersetzt wurde die Rezension von IvoCarrobio, dem ich dafür herzlich danke!

Ignorieren von Basiswissenaus Musikgeschichte und Mu-

siktheorie durch manipulierende Aus-wahl von Beispielen, die der AbsichtGrauls dienen (S. 137 Verwendung vonbestimmten Akkorden). ExistierendeBeispiele, die Grauls Aussagen entkräf-ten oder gar widerlegen würden, wer-den nicht genannt.

Auf diese Weise kommt Graul zu einerSchlussfolgerung, die jegliche Differenzie-rung vermissen lässt. Es wird stark polari-siert, wobei der von Graul als „erlaubt“ ge-kennzeichnete Bereich sehr schmal aus-fällt.

Letztlich laufen Grauls Ausführungendarauf hinaus, dass er jede Musik mit Takt-rhythmus als gefährlich und ungeistlichablehnt. Das beginnt bereits mit demSchlagen der Gitarre statt des von ihm be-vorzugten Zupfens (S. 136/137). Damitbleibt für ihn auf der positiven Seite nurnoch freier Gesang, wobei allein die At-mung des Sängers Tondauer, Tonfolge,Tempo und Lautstärke bestimmt. Er nenntdiese Art der „erlaubten“ Musik „atem-rhythmisch“. Wendet man Grauls strengeMaßstäbe wirklich an, entspricht seit derMensuralmusik des Mittelalters bis ca.1600 keine Musik der letzten vierhundertJahre seiner Vorstellung, bis auf wenige

sehr kurze Teile vonWerken, z.B. Solo-kadenzen.

Hätte Graul sich an den Aussagen in1Kor 6,12 orientiert:

„Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles istnützlich. Alles ist mir erlaubt, aber ichwill mich von nichts beherrschen las-sen.“ und wäre ausgewogen und sachlich

korrekt geblieben, hätte ein gutes Buchentstehen können.

Fazit: Leider muss gesagt werden,dass dies Buch dem Anspruch, unter demes vermarktet wird, nicht gerecht wird.Grauls Ausführungen sind trotz guter An-sätze letztlich pseudowissenschaftlich undbedienen sich geschickt Halbwahrheitenund suggestiver Formulierungen. Er ope-riert mit den Ängsten der Leser undschreckt auch vor der falscher Anwendungvon Bibelstellen nicht zurück. Alles in al-lem kann ich dieses Buch nicht empfehlen.

Thomas Hammer79798 Jestetten

(Die vollständige Rezension mit ausführ-lichen Beispielen und Begründungen kön-nen von der Homepage des Bibelbundeswww.bibelbund.de unter der Rubrik „An-fragen“ heruntergeladen werden.)

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Fragen zu stellen ist wichtig.Durch die richtigen Fragen ge-

langt man zu einem tieferen Verständnisder Wahrheit und wächst in seiner Liebezu Gott – besonders dort, wo es um dieschwierigeren Lehren des christlichenGlaubens geht. Fragen können aber auchdazu missbraucht werden, die Wahrheit zuverschleiern. Sie können genauso leichtdazu verwendet werden, vom rechten Wegwegzuführen, als auf ihn hinzuweisen. Evaweiß ein Lied davon zu singen …

Werfen wir einen Blick auf Rob Bell. Erhat in den vergangenen sieben Jahre vielZeit damit verbracht, in seiner manchmalnachdenklichen und oft entmutigendenArt Fragen zu stellen. Ist er mit seinen Fra-gen und deren Antworten – egal wie dieseausfallen mögen – zu Ende, bleiben mehrFragen offen als davor. Diese Tendenzzeigt auch sein neuestes Buch, in dem Bellseine wohl brisanteste Frage stellt: Schicktein liebender Gott wirklich Menschen füralle Ewigkeit zur Hölle?

Die Art seiner Fragestellung ist genau-so bedeutsam wie die Fragen selbst: „HatGott über tausende von Jahren hinweg tat-sächlich Milliarden von Menschen ge-schaffen, um nur einige wenige für denHimmel zu erwählen, während alle ande-ren ewige Höllenqualen leiden müssen?Wäre das eines Gottes würdig? Wo sollman da von einer ‚guten Nachricht‘ spre-chen?“ Es heißt: Wer die Fragen stellt, ge-winnt schließlich auch die Debatte. Dastrifft insbesondere dort zu, wo ein Ge-spräch schon zu Anfang durch solche Fra-gestellungen präformiert wird. Egal, aufwelche Seite man sich schlägt – man kannnur verlieren. Das ist nicht böse gemeint;dahinter verbirgt sich auch kein Wortspiel.

Bell beginnt sein Buch mitüberraschender Offenheit: DieBotschaft Jesu sei zugunsten verschieden-ster Erzählungen verdeckt worden, an de-ren Verkündung Jesus gar nicht interes-siert gewesen sei. „Man hat das Eigentli-che vergessen. Nun ist es an der Zeit, eswieder zu verkünden“ (Vorwort, vi).

„Einer erschre-ckenden Mehrheitvon Menschen isterzählt worden,dass es nur einerkleinen Anzahl aus-gesuchter Christenvergönnt sei, an je-nen friedlich-ruhi-gen und freudevol-len Ort zu gelangen, den man ‚Himmel‘nennt, während der Rest der Mensch-heit seine Ewigkeit an einem Ort ewigerQual und Strafe zubringen muss, ohnejemals auf eine Veränderung dieses Zu-stands hoffen zu dürfen … Diese Aussa-ge ist jedoch fehlgeleitet und schädlich;sie zersetzt letztlich die ansteckendeBotschaft Jesu von Liebe, Frieden, Ver-gebung und Freude, die unsere Welt sodringend hören muss“ (vi).

Lesen Sie dieses Zitat ruhig noch ein-mal. Sie haben sich nicht verlesen! RobBell meint es völlig ernst. Auch, wenn eserst gegen Ende deutlich wird.

Bell spricht in seinem Buch viel von Zeitund Raum bzw. von der eigentlichen Be-deutung der biblischen Aussagen über Zeitund Ort von Himmel und Hölle. Er bringtOffenbarung 21 ins Spiel und betont, dassdie himmlische Stadt, das Neue Jerusalem

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Rezensionen

___________________________1 Ron Kubsch, dem wir für das Einholen der Abdruckerlaubnis beim kanadischen Rezensenten

und die Erlaubnis zum Abdruck des deutschen von uns leicht gekürzten Textes danken.

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schließlich auf die neue Erdeherabkommt. Er bekräftigt:

Der Himmel ist ein realer Ort, an welchemallein Gottes Wille geschieht; die Vereini-gung von Himmel und Erde steht abernoch aus (S. 42f). Das sind Aussagen, dieman als Christ wohl kaum in Frage stellendürfte.

Bell führt seine Argumentation zu fol-gendem Schluss: Der Himmel wird einstauf die Erde herabkommen; nehmen wirden Himmel wirklich ernst, dann müssenwir auch das gegenwärtige Leiden auf derWelt jetzt ernst nehmen. Wir sind daheraufgerufen, „schon jetzt am künftigen Le-ben teilzunehmen. Genau das geschiehtauch, wenn wir die Zukunft in die Gegen-wart ziehen“ (S. 45). Die Rolle derMenschheit wird mit diesen Worten neudefiniert: Wir sind nicht so sehr GottesVerwalter, sondern seine Partner, denn wir„nehmen am noch andauernden Schöp-fungsprozess und an der Freude der Weltteil“ (S. 180); wir setzen uns für die Schaf-fung einer neuen Gesellschaftsordnungmit Jesus ein (S. 77). Wenn er von sozialerGerechtigkeit spricht, bedient sich Bellgerne der Sprache von Partnerschaft undTeilnahme.

Was ist nun mit der Hölle? Ist dieHölle eine zukünftige Wirklichkeit – oderist sie nicht vielmehr im Hier und Jetzt? Istdie Hölle ein Ort auf Erden oder doch wo-anders? Es scheint, als habe die Hölle we-niger mit dem zu tun, was wir Gott ange-tan haben, sondern mehr mit dem, was wireinander antun. Bell liest die WarnungenJesu vor der göttlichen Strafe so, als richte-ten sie sich nur an das Zeitliche, nicht andas Zeitliche und an das Ewige. Die War-nungen seien an die Adresse der religiösenFührer von damals gerichtet gewesen undhätten nur sehr wenig mit der Wirklichkeitanderer Zeitalter zu tun, behauptet er

(S. 82f). Die Höllesei „ein Begriff, derdas große, weitreichende und schrecklicheÜbel meint, das aus den geheimen, verbor-genen Tiefen unserer Herzlosigkeit kommtund welches sich bis zum überwältigen-den, gesellschaftsweiten Zusammenbruchund zum Chaos entwickelt, wenn wir nichtso in Gottes Welt leben, wie er sich das vor-stellt“ (S. 95). Nicht mehr von Feuer undvom Zorn ist die Rede; es gibt nichts mehr,was uns nicht innerlich wäre. Leugnet RobBell etwa die Existenz der Hölle? Er selbstwürde dies verneinen. Die Hölle gibt es,würde er sagen. Allerdings muss er sie vor-her umdeuten. Das aber ist nichts weiterals eine schlaue Form der Leugnung.

Was Bell wirklich glaubt und lehrt, istnur äußerst schwer ausfindig zu machen.Der Leser sieht sich auf der Spur vielerFährten, die in verschiedene Sackgassenführen. Jedesmal, wenn Bells Argumenteeinen kritischen Punkt erreichen, wechselter das Thema, statt seine Argumente stich-haltig und logisch zu begründen. EinemKreuzverhör jedenfalls hielte dieses Buchnicht stand. Es zeigt nur wenig Geschlos-senheit und innere Stärke.

Dem Leser werden oft langatmige Er-klärungen als Fakten verkauft: „Die christ-lichen Tradition hat seit dem ersten Jahr-hundert der Gemeinde mit Nachdruck inden Mittelpunkt gestellt, dass die Ge-schichte keine Geschichte der Tragik istund die Hölle nicht für ewig dauert, son-dern dass am Ende die Liebe siegt.“Stimmt das? Das sagt sich leicht. Nur wobleiben die Beweise? Wieder und wiederverweist Bell auf die Ursprachen, vermei-det es aber, Ausleger zu zitieren oder Quel-len anzugeben. Das ganze Buch hindurchunternimmt Bell, was man im besten Fall„Auslegungsakrobatik“ bezeichnen kann,

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besonders dort, wo er um denEwigkeitsbegriff (das griechi-

sche „aion“) kreist, jenes kleine Wörtchen,das in seiner Argumentation eine zentraleStelle einnimmt.

„Aion“ wird meist mit „ewig“ oder„immerwährend“ wiedergegeben. Bell be-hauptet, der Begriff könne auch „Zeital-ter“, „Zeitdauer“ oder sogar „die Inten-sität einer Erfahrung“ bedeuten. Für die-sen Ansatz verweist er flüchtig auf dasGleichnis von den Schafen und den Bö-cken (Mt 25,31-46) und bemüht sich zuzeigen, dass die ewige Strafe gar nichtewig andauere, sondern nur eine intensiveZeit der Sichtung bezeichne.

Doch hier ist der Knackpunkt: In derTat können die Begriffe „aion“ und „aio-nos“ für „Zeitalter“ oder „Zeitdauer“ ste-hen; sie stehen eben aber auch für den Be-griff des Ewigen. Erst der Zusammenhangdes Textes erlaubt die richtige Deutung.

An einigen Stellen des Buches ist Belldurchaus recht zu geben, besonders da, woer einige unsinnige Theorien zur Sprachebringt, die sich einige Leute zusammenge-dacht haben, um Gottes absolute Souverä-nität infrage zu stellen. Doch auch hiersind seine Antworten nicht zufriedenstel-lend: Selbst seine guten Kritikpunkte füh-ren zu schlechten Schlussfolgerungen.

Bell scheint sich bei seiner Sache sei-ner Undurchsichtigkeit zu erfreuen. Ermag es, Karikaturen gegensätzlicherSichtweisen zu erschaffen, die jeglicherLogik und allem Mitgefühl entbehren.Sich selbst stellt er dabei als Opfer hasser-füllter, gefährlicher, ja, giftiger Mitbewoh-ner des Internets dar, die glauben, es sei„die höchste Form von Treue gegenüberGott, andere anzugreifen, zu verleumdenund zu verlästern, die die Glaubensfragenauf andere Art und Weise formulieren alssie selbst“ (S. 185).

Rob Bell macht sich so zumMärtyrer seiner eigenen Sache.Wer ihm widerspricht, wird schon vonvornherein mundtot gemacht – einehöchst nützliche Technik, wenngleich mansie kaum als fair bezeichnen kann.Zwischenzeitlich tut er so, als ob jene, dieglauben, „wir bekommen dieses Lebenund nur dieses Leben, um an Jesus zu glau-ben“ nur Rauchwolken erzeugen, stattsich aufrichtig mit der Schrift ausein-anderzusetzen. Geschickt definiert er dieFragen und Antworten neu und verrücktdabei die Kampflinien.

Mit dem Versetzen dieser Linien geräter näher und näher in die Gefahr der Got-teslästerung, etwa wenn er auf 1 Timo-theus 2 verweist (wo Paulus sagt, dassGott will, dass alle Menschen gerettet wer-den und zur Erkenntnis der Wahrheit ge-langen). Er reflektiert über die traditionel-le (orthodoxe) Sichtweise über die Hölleund fragt:

Wie groß ist Gott? Ist er groß genug,zu erreichen, was er sich vorgenommenhat? Oder ist er nur ein wenig groß, nurmeistens groß? Wenn es um das Schicksalvon Milliarden Menschen geht, dann er-reicht er diese Größe nicht ganz; dann er-reicht er nur eine recht bescheidene Größe.

Ein Gott, der es zulässt, dass Men-schen wirklich in die Hölle kommen, kannBell zufolge kein großer Gott sein. Die tra-ditionelle Sichtweise, die besagt, dass er eszulassen wird, ist „verheerend … psy-chisch erdrückend … erschreckend, trau-matisierend und unerträglich“ (S. 136f).

Das sind gefährliche Worte! Gott Bö-ses zuzuschreiben – da überkommt einenein Grauen.

Was ist mit der frohen Botschaft? Wobleibt sie und was macht sie aus? Bell prä-sentiert uns in seinem Buch ein Evange-lium ohne Zweck: Seinem Bibelverständ-

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nis nach ist der Mensch im We-sentlichen in Ordnung. Klar

sündigen wir, aber wir haben die freieWahl, Gott zu unseren eigenen Bedingun-gen zu lieben. Selbst hier noch scheint erzu glauben, dass sich die meisten Men-schen Gott zuwenden würden, bliebe ih-nen nur genug Zeit.

Wenn „Love Wins“ Bells Sichtweise zuHimmel und Hölle wiedergibt, dann ist erals Befürworter einer Art „christlichenUniversalismus“ entlarvt. Eine solche Eti-kettierung würde er freilich verneinen,ganz wie er dazu neigt, jede Etikettierungabzulehnen.

Sobald den Moslems, Buddhisten undBaptisten aus Cleveland die Tür geöff-net wird, wird es vielen Christen unbe-haglich. Sie sagen, Jesus spiele nun kei-ne Rolle mehr, das Kreuz sei nicht län-ger von Bedeutung und überhaupt kön-ne man glauben, was man wolle und sofort.

Das stimmt aber nicht. Nein, das istabsolut, unmissverständlich und un-veränderlich falsch.

Jesus hat gesagt, er und er allein ret-tet jedermann.

Und dann hat der die Tür weit, weitaufgemacht und alle Arten von Mög-lichkeiten geschaffen. Er ist so eng wie er selbst und so weit wie das Uni-versum.

Die Menschen kommen auf den ver-schiedensten Wegen zu Jesus. Manch-mal gebrauchen sie dabei seinen Na-men; manchmal tun sie’s nicht ...

Wir können beobachten, was Jesuswiederholt tut, und das bei ständigerErinnerung an den Ernst der Nachfolgeund eines Lebens, wie er es gelebt hatund daran, ihm zu vertrauen: Er ver-größert die Möglichkeit und die Reich-weite seines Erlösungswerks.

Das ist genaudas, was wir un-ter „Universalismus“ verstehen. Unddas gibt Anlass, traurig zu sein. AlsChristen brauchen wir nicht noch mehrVerwirrung. Was wir brauchen, istKlarheit. Wir brauchen Lehrer, die al-lein das ernst nehmen, was die Bibelsagt, egal wie hart diese Wahrheitenauch sein mögen, und lassen Sie unsehrlich sein – so manche Wahrheitensind nun mal sehr, sehr schwer zuschlucken.

Ja, die Liebe wird sie-gen, aber nicht diese Artvon Liebe, über die Bellin seinem Buch spricht.Denn diese Liebe grün-det allein in der Ansicht,der Mensch sei derHauptgegenstand derLiebe Gottes. Die ganzeGeschichte kann – so Bell – in folgendenWorten zusammengefasst werden: „Dennso sehr liebte Gott die Welt.“ Eine solcheLiebe kann jedoch der wunderbaren LiebeGottes, wie die Bibel sie uns offenbart, nichtdas Wasser reichen. Wir haben es mit ei-nem Gott zu tun, der „seine Liebe zu uns da-durch beweist, dass Christus für uns gestor-ben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm5,8), der sich nicht so sehr deshalb für unseinsetzt, weil seine Liebe zu uns so groß ist,sondern weil er so groß ist (Jes 48,9; Hes20,9.14.22.44; 36,22; Joh 17,1–5).

Das ist die Liebe, die siegt! Das ist dieLiebe, die uns bewegt, unseren Nächstengenug zu lieben, um ihn zu drängen, demkommenden Zorn zu entfliehen. UnsereLiebe für die Menschen bedeutet garnichts, wenn wir nicht zunächst und zu-meist Gott genug lieben, um die Wahrheitüber ihn zu sagen.

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Ja, die Liebewird siegen,

aber nichtdiese Art von

Liebe, über dieBell in seinem

Buch spricht

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Bibelbund Schweiz www.bibelbund.ch/Präsident: Steffen Denker, Aktuar: Albert Sigrist, Sattelbogenstr. 34

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