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Sachverhalt Art des Ereignisses: Schwere Störung Datum: 14. Dezember 1998 Ort: 15 km westlich Cottbus Luftfahrzeug: Flugzeug Hersteller / Muster: Aerospatiale-Alenia/ATR 42-300 Personenschaden: keiner Sachschaden: Flugzeug nicht beschädigt Drittschaden: keiner Flugverlauf Das Flugzeug war um 11:09 UTC mit Flugziel Posen (Polen) in Dresden gestartet. Die Temperatur am Startflughafen lag bei +5°C (ATIS L von 10:50 UTC). Der zweite Flugzeugführer war der steuernde Pi- lot (PF). Im Steigflug ist das Flugzeug in ca. 2000 ft in die Wolken eingeflogen. In einer Höhe von 3400 ft wurde der Autopilot (AP) aufgeschaltet. Die Steigflug- geschwindigkeit (Climb-out Speed) war durch die Be- satzung auf 160 kt gesetzt worden. Ab ca. Flugflä- che (FL) 80 stellte die Besatzung leichte und ab FL 120 mäßige Flugzeugvereisung (Moderate Aircraft Icing) fest. Sowohl die Vereisungsschutz- (“Anti-Icing- Equipment“) als auch die Enteisungsanlage (“Airframe De-Icing-Equipment“) in der Stufe III waren einge- schaltet. Eine visuelle Kontrolle zeigte der Besatzung, dass die Boots an den Tragflügeln normal arbeiteten und ohne Eisansatz waren. An den vorderen Seiten- scheiben des Führerraumes war im nicht beheizten Teil (unheated portion of forward side windows) Raueis (rime ice) sichtbar. Im Steigflug betätigte der PF mehrmals den TCS-Knopf (Touch Control Steering), um die Ruderfreiheit zu prüfen. Die Steigrate ging auf ca. 500 ft/min zurück. Die Besatzung reduzierte dar- aufhin die Steigfluggeschwindigkeit um 5 kt, auf 155 kt, um die Steigrate zu halten, ebenso auch in der Hoff- nung, die Wolken nach oben verlassen zu können. In ca. FL 135 betrug das Steigen jedoch nur noch 200- 300 ft/min (Anlage 1 stellt die Entwicklung der Steigrate über der Zeit dar). Aufgrund dieser Tatsache entschied sich die Besatzung, das Steigen auf die vorgesehene Reiseflughöhe von FL 190 zu unterbrechen, um die Geschwindigkeit wieder ansteigen zu lassen. Sie akti- vierte dazu die Betriebsart “ALT HOLD“ (Altitude Hold Mode). Nach einem leichten Anstieg der Geschwindig- keit auf ca. 160 kt fiel sie anschließend wieder auf den Ausgangswert. Kurz darauf sprach bei einer Ge- schwindigkeit von 155 kt plötzlich und für die Besat- zung „vollkommen überraschend“ die Überziehwarn- anlage (Stall Warning) an und der AP schaltete sich automatisch ab. Das Flugzeug nahm sofort eine starke linke Schräglage und anschließend eine rechte Schräglage ein. Mehrmals wechselte jetzt die Rollbewegung von links nach rechts. Der PF steuerte der jeweiligen Rollbewegung mit vollen Querruderaus- schlägen entgegen. Das Flugzeug geriet in eine un- kontrollierte Fluglage. Nach Wiederherstellung der Kontrolle über das Flugzeug durch die Besatzung er- klärte der verantwortliche Flugzeugführer (PIC) bei der zuständigen Flugverkehrskontrolle (ATC) eine Luftnot- lage und führte eine Sicherheitslandung auf dem Flug- hafen Berlin-Schönefeld um 11:49 UTC ohne Proble- me durch. Untersuchung Besatzung Die Aussagen der Besatzung zum Störungsablauf un- terschieden sich bei der Anhörung am 23. Dezem- ber 1998 durch die BFU im Beisein von Vertretern des Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Untersuchungsbericht 5X011-0/98 April 2001

Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung

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Page 1: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung

Sachverhalt

Art des Ereignisses: Schwere Störung

Datum: 14. Dezember 1998

Ort: 15 km westlich Cottbus

Luftfahrzeug: Flugzeug

Hersteller / Muster: Aerospatiale-Alenia/ATR 42-300

Personenschaden: keiner

Sachschaden: Flugzeug nicht beschädigt

Drittschaden: keiner

Flugverlauf

Das Flugzeug war um 11:09 UTC mit Flugziel Posen(Polen) in Dresden gestartet. Die Temperatur amStartflughafen lag bei +5°C (ATIS L von 10:50 UTC).Der zweite Flugzeugführer war der steuernde Pi-lot (PF). Im Steigflug ist das Flugzeug in ca. 2000 ft indie Wolken eingeflogen. In einer Höhe von 3400 ftwurde der Autopilot (AP) aufgeschaltet. Die Steigflug-geschwindigkeit (Climb-out Speed) war durch die Be-satzung auf 160 kt gesetzt worden. Ab ca. Flugflä-che (FL) 80 stellte die Besatzung leichte und ab FL 120mäßige Flugzeugvereisung (Moderate Aircraft Icing)fest. Sowohl die Vereisungsschutz- (“Anti-Icing-Equipment“) als auch die Enteisungsanlage (“AirframeDe-Icing-Equipment“) in der Stufe III waren einge-schaltet. Eine visuelle Kontrolle zeigte der Besatzung,dass die Boots an den Tragflügeln normal arbeitetenund ohne Eisansatz waren. An den vorderen Seiten-scheiben des Führerraumes war im nicht beheiztenTeil (unheated portion of forward side windows) Raueis(rime ice) sichtbar. Im Steigflug betätigte der PF

mehrmals den TCS-Knopf (Touch Control Steering),um die Ruderfreiheit zu prüfen. Die Steigrate ging aufca. 500 ft/min zurück. Die Besatzung reduzierte dar-aufhin die Steigfluggeschwindigkeit um 5 kt, auf 155 kt,um die Steigrate zu halten, ebenso auch in der Hoff-nung, die Wolken nach oben verlassen zu können. Inca. FL 135 betrug das Steigen jedoch nur noch 200-300 ft/min (Anlage 1 stellt die Entwicklung der Steigrateüber der Zeit dar). Aufgrund dieser Tatsache entschiedsich die Besatzung, das Steigen auf die vorgeseheneReiseflughöhe von FL 190 zu unterbrechen, um dieGeschwindigkeit wieder ansteigen zu lassen. Sie akti-vierte dazu die Betriebsart “ALT HOLD“ (Altitude HoldMode). Nach einem leichten Anstieg der Geschwindig-keit auf ca. 160 kt fiel sie anschließend wieder auf denAusgangswert. Kurz darauf sprach bei einer Ge-schwindigkeit von 155 kt plötzlich und für die Besat-zung „vollkommen überraschend“ die Überziehwarn-anlage (Stall Warning) an und der AP schaltete sichautomatisch ab. Das Flugzeug nahm sofort eine starkelinke Schräglage und anschließend eine rechteSchräglage ein. Mehrmals wechselte jetzt dieRollbewegung von links nach rechts. Der PF steuerteder jeweiligen Rollbewegung mit vollen Querruderaus-schlägen entgegen. Das Flugzeug geriet in eine un-kontrollierte Fluglage. Nach Wiederherstellung derKontrolle über das Flugzeug durch die Besatzung er-klärte der verantwortliche Flugzeugführer (PIC) bei derzuständigen Flugverkehrskontrolle (ATC) eine Luftnot-lage und führte eine Sicherheitslandung auf dem Flug-hafen Berlin-Schönefeld um 11:49 UTC ohne Proble-me durch.

Untersuchung

Besatzung

Die Aussagen der Besatzung zum Störungsablauf un-terschieden sich bei der Anhörung am 23. Dezem-ber 1998 durch die BFU im Beisein von Vertretern des

Bundesstelle fürFlugunfalluntersuchung

Untersuchungsbericht 5X011-0/98April 2001

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Luftfahrtunternehmens (LU) nicht von dem nach derStörung abgegebenen schriftlichen Bericht des PIC.

Nach Feststellung von Vereisung und der dadurch be-dingten Reduzierung der Steigleistung des Flugzeugesentschied sich die Besatzung, den Steigflug zu unter-brechen. Das Flugzeug sollte wieder Geschwindigkeitaufholen.

Die Besatzung brachte zum Ausdruck, dass es ihrmöglich war, die Art der Vereisung - Raueis - festzu-stellen. Bezüglich der Stärke ging die Besatzung vonmäßiger Vereisung aus. Die Vereisung der vorderenSeitenscheiben im Führerraum wurde nicht als starkeVereisung definiert.

Der Übergang in die unkontrollierte Fluglage kam fürdie Besatzung völlig unerwartet. Die Anzeigen auf denInstrumenten deuteten zu keinem Zeitpunkt auf einenbevorstehenden Strömungsabriss hin. Kein fehlerhaf-tes Trimmen (mistrim) konnte festgestellt werden.

Erwähnenswert sind noch folgende Bemerkungen desPIC:

• Nach Eintritt der Störung versuchte der PF mitQuerrudervollausschlägen die Querlage (wing level)zu halten. Er versuchte das Flugzeug nachzudrü-cken und hatte dabei das Gefühl, als ob das Flug-zeug auf das Höhenruder nicht reagierte.

• Es wurden keine ungewöhnlichen Steuerkräftewahrgenommen.

• Im Anflug auf Berlin-Schönefeld löste sich das Eisfast vollständig vom Flugzeug ab. Die Tragflügelwaren eisfrei. Nur noch geringer Eisansatz an derBugnase (ca. 0,5 cm) wurde nach der Landungfestgestellt. Die Temperatur betrug zz. der Landung+6°C.

Aus einem Schreiben des LU an den Hersteller vom18.12.1998 ging hervor, dass der zweite Flugzeugfüh-rer während des Steigfluges zwei Fotos von der Verei-sung an den vorderen Seitenscheiben im Führerraummachte. Der vom LU entwickelte Film brachte aberkeine Ergebnisse (Fotos stark verwackelt/unscharf).

Der PIC verfügte über eine Gesamtflugerfahrung von4 570 Flugstunden (ca. 1 Jahr Flugerfahrung auf derATR 42-300) und der zweite Flugzeugführer flog bisher2 250 Flugstunden.

Flugzeug ATR 42-300

Das Flugzeug ist als Transportflugzeug nach FAR 25und JAR 25 für Flüge am Tage und in der Nacht zu-gelassen. Es ist ein von zwei Propellerturbinentrieb-werken angetriebenes Flugzeug.

Das Flugzeug ist mit einer entsprechenden Ausrüstungund Instrumentierung für Flüge unter Vereisungsbe-dingungen ausgestattet.

Eine pneumatische Enteisungsanlage an den beson-ders kritischen Teilen (Vorderkanten der Tragflügel

und der Höhenflosse, Triebwerkslufteinläufe), komplet-tiert durch eine elektrische Vereisungsschutzanlage fürTeile, auf denen keine pneumatische Anlage installiertwerden kann, wie z. B. auf rotierenden Teilen (Propel-ler), Windschutzscheiben, Sonden und Ruderhörner,sind an dem Flugzeug angebracht.

An der ATR, die von der Störung betroffen war, warbereits eine Vergrößerung der Enteisungsanlage(extended de-icing boots on the outer wing) am äuße-ren Tragflügel, vor den Querrudern gelegen, vorge-nommen worden.

Flugschreiberanlage (DFDR)

Die Auswertung des Flugdatenaufzeichnungsgerätesergab wesentliche Erkenntnisse über den Ablauf derStörung und die dazu führenden Einflussparameter.Die Auswertung der BFU basierte auf den im DFDRaufgezeichneten Rohdaten, die durch das betroffeneLU gesichert worden waren.

Die Auswertung umfasste den für die Störung rele-vanten Zeitraum, von der Aktivierung der Betriebsart“ALT HOLD“ in FL 135 (11:26:20 UTC) bis zur Wieder-herstellung der Kontrolle über das Flugzeug(11:29:44 UTC) durch die Besatzung (Anlage 2).

Nach der Aktivierung der Betriebsart “ALT HOLD“ hattedas Flugzeug eine Geschwindigkeit (IndicatedAirspeed) von 155 kt, eine TAT (Total Air Temperatu-re) von -5°C und eine Flughöhe von 13 479 ft. Der APwar aufgeschaltet. Weitere wichtige Parameter waren:Fluglagewinkel (Pitch) +5° und Anstellwinkel am Flügel(vane Angle of Attack) von +9,5°. Bis auf den Anstell-winkel am Flügel (AOA) wurden alle hier aufgeführtenParameter im Führerraum für die Besatzung angezeigt.

Um 11:27:30 UTC, nach 70 s im Horizontalflug, war dieGeschwindigkeit auf den maximalen Wert von 159 ktangestiegen. Diese Geschwindigkeit (159/158 kt) bliebüber einen Zeitraum von 42 s erhalten. Anschließendfiel sie aber wieder auf den Ausgangswert von 155 ktzurück. Nahezu unverändert blieb über die gesamteZeit im Horizontalflug der Pitch mit ca. +5°.

Auch der AOA veränderte sich in der ersten Phase derBetriebsart “ALT HOLD“ kaum. Er variierte zwischen+9° und +10°. Erst 12 s vor dem Ereignis stieg derWinkel kontinuierlich von +10,0° auf +11,9° an.

Um 11:28:25 UTC wurde eine leichte linke Schräglage(1°) verbunden mit einer geringen Vergrößerung desPitch (+0,35°) und des AOA registriert. Um11:28:52 UTC wurde eine Drehung nach rechts mit ei-nem Maximum von ca. 4° festgestellt. Beide Drehun-gen wurden jeweils durch eine entsprechende Querru-derbewegung automatisch kompensiert. Der AP warimmer noch aufgeschaltet.

Unmittelbar danach erfolgte eine Drehung nach links.In dieser Phase erreichte der AOA den Wert vonca. +12°.

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Kurz vor dem Ereignis wurden folgende Parameter ge-schrieben: Flughöhe 13 479 ft, Geschwindigkeit 155 kt,linke Schräglage 10° zunehmend, Querruder 5° nachrechts, Seitenruder 0,5° nach links, Pitch +5°, AOAca. +12°, TAT -5°C.

Nach den Angaben des Flugzeugherstellers wird dieÜberziehwarnanlage (Stall Warning) aktiviert und derAP automatisch abgeschaltet, wenn der Mittelwert desrechten und des linken AOA-Sensors 11° oder mehrerreicht.

Um 11:28:54 UTC, nach 154 s in der Betriebsart “ALTHOLD“, wurde aufgrund des Überschreitens des AOA -Grenzwertes die Stall Warning aktiviert und der AP ab-geschaltet. Der Gierdämpfer (Yaw Damper) blieb zu-geschaltet. Das Flugzeug vergrößerte sofort die linkeSchräglage, verringerte den Pitch und geriet in eineunkontrollierte Fluglage.

Die nun folgende, ca. 50 s dauernde, unkontrollierteFlugphase war dadurch gekennzeichnet, dass

• es zu starken wechselnden Schräglagen in Verbin-dung mit entgegengesetzten Querruderausschlä-gen, fast identischer Frequenz, durch die Besat-zung kam, wobei die Schräglage-Extremwerte 103°nach rechts und 48° nach links erreichten; es stelltesich das so genannte “Wing Rocking“ ein,

• koordinierte Ausschläge des Seitenruders zu denQuerruderausschlägen erfolgten,

• sich der AOA in den ersten 43 s kaum entschei-dend verringerte, er stieg zwischenzeitlich aufWerte von bis zu 15° an; erst um 11:29:37 UTCwurden AOA-Werte unterhalb von 10° aufgezeich-net,

• die Höhenruderstellung (Elevator Position) nahezuunverändert blieb,

• das Trimmruder (Trim Tab) nicht betätigt wurde,

• sich der Pitch bis auf max. -17° verringerte,

• die Geschwindigkeit auf den maximalen Wert von221 kt anstieg,

• die Vertikalbeschleunigung den maximalen Wertvon +2,16 g erreichte,

• die Drehzahl der Luftschrauben konstant bei 86%blieb,

• die Leistung der Triebwerke (Torque) nach 10 s inder unkontrollierten Fluglage durch die Besatzungauf ca. 107% erhöht wurde,

• das Flugzeug ca. 3 800 ft an Höhe verlor,

• das Flugzeug ab ca. FL 110 in eine wärmere Luft-schicht kam (TAT bis +1°C),

• die Geschwindigkeit auf einen Wert anstieg, die denAOA unter den kritischen Wert reduzierte unddas“Wing Rocking” beendete,

• es keinen Konfliktverkehr mit anderen Luftfahrzeu-gen gab.

Um 11:29:44 UTC, als die normale Fluglage wiederhergestellt war und die Besatzung das Flugzeug in denSteigflug überführte, zeichnete der DFDR folgende Pa-rameter auf: Flughöhe 9 800 ft, Geschwindigkeit209 kt, Pitch +10,5°, AOA +4°, TAT +1°C.

Flugzeug-Flughandbuch (AFM)

Das AFM der ATR 42 enthält im AbschnittLIMITATIONS SECTION - part ICING CONDITIONS(Chapter 2-06, pages 1 and 2, Dec 97) unter„Warnung“ die Aussage, dass das Flugzeug nicht fürFlüge unter starken Vereisungsbedingungen zugelas-sen ist. Es enthält die Information, wie die Besatzungvisuell starke Vereisung am Flugzeug (visual cue) er-kennen kann sowie das Verbot der Nutzung des AP,wenn Hinweise auf starke Vereisung existieren(Anlage 3).

Als visueller Hinweis einer starken Vereisung im Flugewird der Eisansatz an den beiden vorderen Seiten-scheiben des Führerraumes (ganz oder teilweise) imnicht beheizten Teil, möglicherweise in Verbindung mitWassertropfen, die sichtbar auf der Frontscheibe zer-platzen und darüber hinwegfließen, angesehen.

Wenn der visuelle Hinweis besteht, müssen die Verei-sungsbedingungen durch eine Strecken- oder Höhen-änderung sofort verlassen werden.

Auf die Nutzung des AP muss ganz verzichtet werden,wenn der Hinweis existiert oder ungewöhnliche Quer-trimmungen (unusual lateral trim requirements) oderAP-Trimm Warnungen auftreten, während das Flug-zeug in Vereisung fliegt.

Der Abschnitt EMERGENCY PROCEDURESMISCELLANEOUS (Chapter 4-05, pages 5 and 6,Jan 97) stellt dar, wie die Feststellung der starken Ver-eisung am Flugzeug noch erfolgen kann (secondaryindications of severe icing conditions). Außerdem istdas Verfahren zum Verlassen der starken Vereisungs-bedingungen vorgegeben (Anlage 4).

Im Flugbesatzungs-Betriebshandbuch (FCOM) ist un-ter PROCEDURES AND TECHNIQUES ADVERSEWEATHER (Chapter 2.02.08, page 13, Mar 97) einVerfahren vorgegeben, wie bei einem unerwartetenRollen (unexpected roll) und/oder bei einer plötzlichenÄnderung der Querruderkräfte (abrupt aileron forcechange) des Flugzeuges zu handeln ist:

Im Handbuch wird ausgeführt, dass

• die Steuerorgane fest in der gewünschten Position(at the desired position) zu halten sind und es darfnicht zugelassen werden, dass sie selbst ausschla-gen,

• in der normalen Konfiguration (clean configuration)des Flugzeuges die Landeklappen auf 15° auszu-fahren sind, um den AOA zu verringern,

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• die Leistung der Triebwerke erhöht werden soll.

Luftfahrtunternehmen

In Vorbereitung auf die Winterperiode 1998/99 gab derFlugbetriebsleiter des LU die Flotteninformation 09/98vom 16. September 1998 heraus. Unter Abschnitt 1 -Winter Operation - wurde an die Verfahren erinnert, diebeim Auftreten von starken Vereisungsbedingungenanzuwenden sind. Detailliert sind die Handlungen derBesatzung sowohl vor Antritt des Fluges als auch wäh-rend des Fluges festgelegt.

Im Betriebshandbuch (FOM) des Unternehmens(Chapter 05, page 88, December 16th, 1997) unter5.2.1.4.2 werden die Auswirkungen einer Vereisung imSteigflug auf die Leistung des Flugzeuges dargestellt.Wenn Vereisungsbedingungen auftreten, sollte einehohe Geschwindigkeit gehalten werden, um den AOAzu verringern. Gleichfalls soll die Zeit des Aufenthaltesgering gehalten werden.

Hersteller AEROSPATIALE (ATR)

Der Flugzeughersteller nahm die Störung zum Anlass,eine Severe Icing Operations Conference in Paris am09. März 1999 mit allen Haltern der ATR (Flight Opera-tions Managers) durchzuführen. Die Präsentation derStörung vom 14. Dezember 1998 erfolgte in aller Aus-führlichkeit.

Der Hersteller stellte auf dieser Konferenz auch ge-plante Veränderungen am Muster ATR 42/72 (DesignImprovements) sowie in der Ausbildung und in denBetriebsverfahren (Training & Operational Procedures)vor. So soll die gesamte ATR 42/72-Flotte mit demVereisungsanzeiger (Ice Evidence Probe) ausgerüstetwerden und eine Veränderung der Schaltung für dieVereisungsanzeige im Führerraum (Icing Light Flas-hing Logic) sowie eine Vergrößerung der mittlerenTragflügel-Boots (Extension of the Median Wing Boots)durchgeführt werden.

Die geplanten Veränderungen sind bereits Bestandteilder Standardbeschreibung der Flugzeuge und in dieneue Flugzeugproduktion eingeführt.

Die Störung vom 14. Dezember 1998 war für den Her-steller der Ausgangspunkt zwei Entscheidungen zutreffen. Einmal wurde die Nachrüstung dieser Modifi-kationen an der im Einsatz befindlichen ATR 42/72-Flotte mit einer entsprechenden Lufttüchtigkeitsanwei-sung (AD) zur Pflicht gemacht und zum anderen wurdeentschieden, dass die Geschwindigkeit bei unbeab-sichtigtem Einflug in starke Vereisungsbedingungenum 10 kt zu erhöhen ist.

Die französische Zulassungsbehörde (DGAC) gab da-zu am 21. April 1999 eine entsprechende AD unterRef.: 1999-165-077(B) für alle Flugzeuge der SerieATR 42 und 1999-166-041(B) für alle Flugzeuge derSerie ATR 72 heraus.

Des Weiteren führte der Hersteller auf der Basis derzur Verfügung gestellten Daten des DFDR Leistungs-berechnungen und Simulationen zu dieser Störungdurch.

Die Ergebnisse wurden der BFU mit Schreiben vom25. März 1999 (Note DAR/T/EG N°57 5008/99) mitge-teilt. Bemerkenswert waren die Aussagen über dieVeränderung des Widerstandes und des Auftriebes imZusammenhang mit der Störung. Unter Abschnitt 3„PERFORMANCES“ wurde ausgeführt (Originaltext):

3.1) Drag

• a continuous increase in drag for 20 minutes

• that the aircraft was flown in severe icing conditionfor at least 13 minutes (from airframe de-icing ONto AP disconnection)

• more than 100% drag increase at the AP discon-nection

3.2) Lift

• five minutes after entering the clouds the loss of liftcoefficient is -0,15

• this loss remains constant throughout climb whe-reas drag increases

• switching the airframe de-icing ON has no effect onlift

Bei der Untersuchung der durch Vereisung ausgelös-ten Störungen und Unfälle mit der ATR 42/72 sowiedurch Testflüge des Herstellers wurde nachgewiesen,dass beim Auftreten von starker Vereisung nicht nurdie Vorderkanten der Tragflügel (leading edges) be-troffen waren, sondern sich die Vereisung auch bishinter den Ansatz der Boots (aft of the protected surfa-ces) ausbreitete. Die Vereisung kann sowohl oberhalbals auch unterhalb der Flügelflächen auftreten undkann mit technischen Mitteln im Fluge nicht abgewor-fen werden. Dies führt sehr oft zu einem hohen Wider-stand, einem aerodynamischen Schütteln(aerodynamic buffet) und einem frühzeitigen und plötz-lichen Strömungsabriss (Stall) ohne jede Warnung.

Im September 1998 hatte der Hersteller unter dem Ti-tel: “All Weather Operations“ eine 32-seitige Broschüreherausgegeben, die sich ausschließlich mit Fragen derVereisung am Flugzeug der ATR 42/72 befasst. In ihrwird u.a. auch auf das Erkennen von Bedingungeneingegangen, die außerhalb der Zulassungsbedingun-gen liegen.

Französische Zulassungsbehörde (DGAC)

Mit Schreiben vom 13. Januar 1999 gab die DGACunter CN 1999-014-076(B) für alle Flugzeuge der SerieATR 42 und unter CN 1999-015-040(B) für die SerieATR 72 eine AD heraus. Sie betraf das Fliegen unterVereisungsbedingungen. Als durchzuführende Maß-nahmen waren unverzügliche Änderungen des Flug-handbuches (AFM) im Kapitel EMERGENCY

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PROCEDURE SECTION und LIMITATION SECTIONgefordert.

In dieser AD wurden die Hinweise des Erkennens derstarken Vereisung durch die Besatzung, die Bedingun-gen für das Entstehen sowie die Handlungen der Be-satzung nach Einflug in starke Vereisung weiter präzi-siert und detaillierter dargestellt.

Eine weitere Lufttüchtigkeitsanweisung im Zusammen-hang mit Flügen unter Vereisungsbedingungen wurdeam 21. April 1999 unter CN 1999-014-076(B) R1 he-rausgegeben. Als Maßnahmen waren Änderungen desFlughandbuches im Kapitel LIMITATION-, NORMALPROCEDURE- und EMERGENCY PROCEDURESECTION sowie die Einrüstung der Modifikation 4222vorzunehmen.

Aktivitäten des Luftfahrt-Bundesamtes (LBA) als deutscheZulassungsbehörde

Auf der Grundlage der o.a. AD der französischen Be-hörde vom 13. Januar 1999 bzw. 21. April 1999 veröf-fentlichte das LBA am 22. April 1999 und am17. Juni 1999 jeweils eine Lufttüchtigkeitsanweisung(LTA-Nr.: 1999-088 und 1999-088/2) zu den geforder-ten Maßnahmen.

Meteorologische Sicherstellung

Vor dem Flug erhielt die Besatzung eine schriftlicheFlugwetterberatung, herausgegeben vom DeutschenWetterdienst (DWD), die für die Durchführung des Flu-ges erforderlich war. Sie war zum Zeitpunkt des Abflu-ges in Dresden gültig.

Die Flugwetterberatung war Bestandteil des Briefingsder Besatzung.

Sie enthielt u.a. die Aussage, dass mit den signifikan-ten Wettererscheinungen der leichten bis mäßigenVereisung sowie der mäßigen bis starken Turbulenzauf der Flugstrecke zu rechnen sei.

AIRMET (Airman Meteorological Information) Nr. 2 fürdie FIR (Flight Information Region) Berlin, gültig imunteren Luftraum bis FL 100, die SWC (SignificantWeather Charts) bis FL 100 sowie die SWC für FL 100bis 450 (Anlagen 5 und 6).

Eine für die FIR Berlin herausgegebene SIGMET(Significant meteorological conditions) Nr. 1 Meldung,gültig von 12:00 UTC bis 16:00 UTC, mit starker Verei-sung zwischen 4 000 ft und FL 180, lag zum Startzeit-punkt der ATR 42-300 noch nicht vor. Die Störung mitder ATR war der Auslöser für die Herausgabe derSIGMET.

Der DWD unterhält auf dem Flughafen Dresden eineFlugwetterwarte. Nach Aussage des PIC bestand keineVeranlassung, sich zusätzlich für die geplanteFlugstrecke beraten zu lassen.

Wettergutachten

Die BFU gab beim DWD ein Wettergutachten in Auf-trag, weil ein Zusammenhang zwischen dem Wetterund der Störungsart zu vermuten war.

Dem meteorologischen Gutachten war zu entnehmen,dass sich der Störungsort auf der Vorderseite einersich ostwärts verlagernden Warmfront befand. Dabeikam es im Frontbereich zu länger anhaltenden Nieder-schlägen.

Aus den Wettermeldungen der WettermeldestelleDresden-Klotzsche von 10:50 UTC und 11:20 UTC warersichtlich, dass zum Startzeitpunkt in Dresden leichterRegen auftrat. Die horizontale Sichtweite am Bodenbetrug 7 km und die Wolkenuntergrenze der tiefstenBewölkung lag in 800 ft über Grund (AGL). Darüberbefand sich durchbrochene Stratocumulus-Bewölkung,deren Untergrenze bei ca. 2 100 ft AGL lag. Es war ei-ne mehrschichtige Schlechtwetter-Bewölkung vorhan-den. Die Lufttemperatur betrug am Boden +5°C.

Das Radarbild der Wetterradarstation Berlin von11:30 UTC zeigte zwischen Dresden und Berlin einausgedehntes Band stratiformer Niederschlagsechos,dessen vorderer Rand zum Zeitpunkt der Störung etwaim Raum Cottbus lag. Stellenweise trat dort leichterRegen mit Sprühregen auf. Auch am Ort der Störungkann zum in Frage kommenden Zeitpunkt ebenfallsvon mehrschichtiger Schlechtwetter-Bewölkung aus-gegangen werden.

Die Wolkenobergrenze der kompakten Frontbewöl-kung lag zwischen FL 200 und FL 250. Damit dürftedas Flugzeug nahezu während des gesamten Steigflu-ges bis auf FL 135 in Wolken gewesen sein.

Die Nullgradgrenze lag zum Zeitpunkt der Störung zwi-schen 3 000 ft und 4 000 ft. Im Höhenintervall bis ca.FL 100 ging die Lufttemperatur bis auf ca. -8°C zurück.Es kann davon ausgegangen werden, dass mit Errei-chen der Nullgradgrenze leichte Vereisung einsetzte.Im weiteren Steigflug bis auf FL 135 trat mäßige bisstarke Vereisung (Raueis) auf.

Nach Darstellung des DWD bei der Beratung am05. Februar 1999 in Braunschweig wurde das Wetteram Störungstag richtig prognostiziert. Eine andereVorhersage war für das betroffene Gebiet nicht mög-lich. Es ist nicht möglich, direkt vorherzusagen, wo esstarke Vereisung geben wird. Der Wetterdienst kannnur die Bedingungen, die dazu führen, abschätzen. DieWarnungen unterscheiden sich in “forecasted“ und“observed“, letzteres nur nach Meldung einer Besat-zung (PIREP).

Im Rahmen der Untersuchung richtete die BFU aucheine Anfrage an ATC (Air traffic control) über das Vor-liegen von PIREP’s. Es stellte sich heraus, dass biszum Zeitpunkt der Störung (11:30 UTC) keine Meldun-gen vorlagen. Erst nach Eintritt der Störung wurdedurch ATC eine entsprechende Anfrage an eine in derNähe des Störungsortes fliegende Besatzung

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5X011-0/98 Seite 6

(Flugzeugmuster Beech 350) gerichtet. Der Flugzeug-führer meldete daraufhin: „... moderate icing from le-vel 150 and we have now at level 100 about -1 to-2 degrees“.

Beurteilung

Die Beurteilung der Störung beruht auf

• der Auswertung des DFDR

• den Aussagen der Besatzung

• der Auswertung des Sprechfunkverkehrs zwischender Besatzung und der ATC Berlin

• einem meteorologischen Wettergutachten.

Aus der schriftlichen Flugwetterberatung sowie einemvorliegenden Warnhinweis (AIRMET) war für die Be-satzung zu erkennen, dass auf der geplanten Flugstre-cke (FIR Berlin) leichte bis mäßige Vereisung auftretenkonnte. Starke Vereisungsbedingungen waren zumStartzeitpunkt durch den DWD nicht vorhergesagt.

Für die Besatzung bestand keine Veranlassung, dengeplanten Flug aus meteorologischen Gründen nichtanzutreten.

Aus der Analyse der Temperaturdaten und dem Vor-handensein von Wolken war festzustellen, dass dieatmosphärischen Bedingungen für eine Vereisung desFlugzeuges bereits 2 Minuten nach dem Start vorhan-den waren.

Aus dem Wettergutachten ging hervor, dass die Be-dingungen für mäßige bis starke Vereisung (Raueis)erfüllt waren und das Flugzeug nahezu während desgesamten Steig- und Horizontalfluges in den Wolkenflog.

Die Besatzung hatte am Flugzeug Raueis mäßigerStärke festgestellt. Die Vereisung der vorderen Seiten-scheiben im Führerraum wurde nicht in Verbindung mitstarker Vereisung gebracht.

Der Eisansatz an den beiden vorderen Seitenscheibenals visueller Hinweis einer starken Vereisung im Flugewurde bereits seit 1994 in der ATR-Dokumentation,einschließlich AFM, verbreitet. Die Anwendbarkeit die-ses Hinweises als Kriterium für die starke Vereisunghat sich nach Aussagen des Herstellers bestätigt.

Dieser Hinweis ist gegenwärtig in fast allen Dokumen-ten bei Flugzeugen mit Turbinenpropellerantrieb zurErkennung von starker Vereisung zu finden.

Allgemein gilt, dass Raueis am Flugzeug einen körni-gen Belag bildet, der als Folge eine erhebliche Reduk-tion des Auftriebskoeffizienten und eine Vergrößerungdes Widerstandskoeffizienten mit sich bringt. Dieseswurde auch durch den Hersteller durch Berechnungenund Simulationen an dieser Störung nachgewiesen.

Nach Aussagen beider Flugzeugführer kam die Flugla-geänderung völlig überraschend ohne irgendwelcheVorwarnungen (uncommanded and unexpected rollexcursion). Vor Eintritt der Störung waren Steigrateund Geschwindigkeit im zulässigen Bereich, wichenaber von den normalen Werten bedeutend ab. DieSteigrate lag in der letzten Phase bei ca. 400 ft/mingegenüber normalem Steigen bei 1 150 ft/min. Die Ge-schwindigkeit betrug im Horizontalflug 158 kt anstatt221 kt (eine Abnahme von ca. 60 kt). Diese Abwei-chungen sind nur mit dem Einflug in starke Verei-sungsbedingungen zu erklären. Die Feststellung dieserAbweichungen hätte die Besatzung alarmieren müs-sen, dass es sich hier um einen Flug in starken Verei-sungsbedingungen handelte.

Wie die Auswertung des DFDR zeigte, war der An-stellwinkel am Flügel der einzige Parameter, der sichvor dem Eintritt der Störung auffällig veränderte. Erstieg von +10° auf ca. +12° an. Da der Anstellwinkel imFührerraum nicht angezeigt wurde, blieb dies von derBesatzung unbemerkt.

Aufgrund der Arbeit des aufgeschalteten AP, er glichmehrere Rollbewegungen kurz vor Eintritt der Störungaus, war die Besatzung nicht in der Lage, dieses wahr-zunehmen.

Der Störungshergang konnte wie folgt rekonstruiertwerden: Im Steig- und Horizontalflug geriet das Flug-zeug in mäßige bis starke Vereisung. Am Flugzeugkam es zu Eisansammlungen, außerhalb des ge-schützten Bereiches. Als Folge trat ein Überschreitendes AOA verbunden mit der Auslösung der Überzieh-warnanlage und dem automatischen Abschalten desAP auf. Die danach sofort eingenommene starke Roll-bewegung des Flugzeuges mit einer Schräglage über45° wurde durch einen lokalen Strömungsabriss (localloss of lift) am linken Tragflügel mit hoher Wahrschein-lichkeit durch Eisablagerungen auf der oberen Flächedes mittleren Tragflügels ausgelöst. Das Flugzeug ge-riet in eine unkontrollierte Fluglage. Die Schräglagewechselte mehrmals als Folge einer Überreaktion desPF, den jeweils eingenommenen Schräglagen mit vol-len Querruderausschlägen entgegenzusteuern. Dieohne Schwierigkeiten getätigten Gegenausschläge desQuerruders durch den PF erzeugten das “Wing Ro-cking“.

In der folgenden Flugphase wurde der AOA über einenlängeren Zeitraum (43 s) kaum verändert. Dasschlichte Befolgen des im FCOM vorgesehenen Ver-fahrens zur Wiederherstellung der Kontrolle über dasFlugzeug, initiiert durch Drücken des Höhenruders o-der Ausfahren der Landeklappen auf 15°, hätte die Zeitdes unkontrollierten Fluges verkürzt. Die Aussage desPIC, dass er versuchte, das Flugzeug nachzudrücken,kann anhand der Aufzeichnungen des DFDR nichtnachvollzogen werden.

Das AFM und das FCOM der ATR 42 enthalten die nö-tigen Informationen, um über Auswirkungen von Verei-sung auf das Flugzeug Kenntnis zu haben.

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Die Erkennbarkeit starker Vereisung am Flugzeug so-wie die Handlungen der Besatzung (Avoidance andRecovery Procedures) bei unbeabsichtigtem Einflug instarke Vereisung sind in den Unterlagen nach Ein-schätzung der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungausreichend dargestellt.

Aufgrund der Flugerfahrung war mit einer geübten undim Umgang mit der ATR 42-300 vertrauten Besatzungzu rechnen, die jährlich viele Stunden unter Verei-sungsbedingungen flog.

Die durch die Besatzung registrierten Anzeichen derVereisung waren ihrer Aussage nach nicht so schwer,um sofort eine Notsituation zu erkennen. Zumal die amFlugzeug installierte Vereisungsschutz- und Entei-sungsanlage ohne erkennbare Abweichungen arbeite-ten.

Schlussfolgerungen

Die Störung geschah, weil die Besatzung die Kontrolleüber das Flugzeug verlor, verursacht durch den Einflugund den Flug in starker Vereisung, für die das Flug-zeug nicht zugelassen war. Der Eisansatz an den bei-den vorderen Seitenscheiben des Führerraumes wurdevon der Besatzung nicht in Verbindung mit starker Ver-eisung gebracht.

Sicherheitsempfehlungen

Auf die Herausgabe einer Sicherheitsempfehlungkonnte verzichtet werden, da im Rahmen einer am23. Dezember 1998 in Braunschweig durchgeführtenBesprechung mit dem Flugzeughersteller und der fran-zösischen Unfalluntersuchungsbehörde (BEA) von die-ser ein Maßnahmenkatalog vorgestellt wurde, der nachAuffassung der BFU geeignet war, künftige Störungendieser Art zu verhindern.

Untersuchungsführer Krupper

Anlagen1.: Entwicklung der Steigrate aus dem DFDR2.: Flugverlauf anhand des DFDR3.: Begrenzungen bei Vereisungsbedingungen4.: Notverfahren bei starker Vereisung5.: Signifikante Wetterkarte für Höhen unter FL 1006.: Signifikante Wetterkarte für FL 100 bis FL 450

Die Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit dem Gesetz über dieUntersuchung von Unfällen und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge(Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz - FlUUG) vom 26. August 1998 durchge-führt. Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftigerUnfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung desVerschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen.

Herausgeber:

Bundesstelle fürFlugunfalluntersuchung

Hermann-Blenk-Str. 1638108 Braunschweig

mail: [email protected]:// www.bfu-web.de

Tel: 0 531 35 48 0Fax: 0 531 35 48 246

Vertrieb:

Bundesstelle fürFlugunfalluntersuchung

Hermann-Blenk-Str. 1638108 Braunschweig

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Anlage 1

Entwicklung der Steigrate (Climb Rate) aus dem DFDR

COMP. TIME

UTC

FLIGHT LEVEL

FL

TAT

°C

COMP. AIRSPEED

kt

CLIMB RATE

ft/min

REMARKS

11:08:11 350 +6 120 --- LIFT OFF

11:09:00 1 642 +3 123 ---

11:10:00 2 541 +3 156 899

11:11:00 3 425 +3 160 884

11:12:00 4 443 +2 162 1 018

11:13:00 5 553 +1 161 1 110

11:14:00 6 634 0 162 1 081

11:15:00 7 701 -1 163 1 067

11:16:00 8 557 -2 163 856

11:17:00 9 421 -3 162 864

11:18:00 10 334 -3 160 913

11:19:00 10 973 -3 162 639

11:20:00 11 471 -3 162 498

11:21:00 11 962 -3 161 491

11:22:00 12 299 -4 161 337

11:22:03 12 321 -4 161* ---

11:23:00 12 700 -5 156 401

11:24:00 12 980 -5 156 280

11:25:00 13 198 -5 156 218

11:26:00 13 437 -5 156 239

11:26:20 13 479 -5 155 --- ALT HOLD MODE

11:27:00 13 493 -5 157 ---

11:28:00 13 479 -5 158 ---

11:28:54 13 479 -5 155 --- STALL WARNING

11:29:44 9 800 +1 209 --- RECOVERY

* AT THIS TIME AIRSPEED IS REDUCED BY CREW BY 5 KT

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Anlage 2

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Anlage 3

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Anlage 4

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Anlage 5

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Anlage 6