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Zusammenfassung Burkart „Bibel“: Kommunikationswissenschaft Kapitel 1. Einführung Dilemma: Selbstfindungsprozess der Kommunikationswissenschaft zwischen individueller und gesellschaftlicher Kommunikation. Schwerpunktsetzung auch zwischen der Erforschung der Kommunikationsprozesse und der Medienforschung. Kapitel 2 Kommunikation : Zur Klärung eines Begriffes 2.1. Kommunikation als soziales Verhalten Verhalten: bezeichnen motorische Bewegungsabläufe sowie Aktivitäten des Zentralnervensystems beim Menschen Wenn sich Lebewesen im Hinblick aufeinander verhalten so spricht man von sozialem Verhalten. Im Rahmen solcher sozialen Verhaltensweisen wird Bedeutung vermittelt, diese besitzen kommunikativen Charakter. Wenn man jedoch jedes Verhalten mit Kommunikation gleichsetzt, würde das den Begriffsrahmen überspannen. Wenn Verhalten intentional auf ein Ziel in ausgerichtet ist, spricht man von Handeln. Menschliches Handeln ist stets Mittel zum Zweck. Ist das Handeln zudem noch an anderen Menschen orientiert, spricht man von sozialem Handeln. Es ist auf das Verhalten anderer bezogen. Mit dem Terminus Verhalten wird jede Regung eines Organismus bezeichnet. Soziales Verhalten meint dagegen bereits den Umstand, dass sich Lebewesen im Hinblick aufeinander verhalten (Reaktion auf das Verhalten anderer Lebewesen darstellt und selbst wiederum die Reaktionen anderer Lebewesen beeinflusst). Werden nun im Rahmen solcher sozialer Verhaltensweisen auch Bedeutungen vermittelt, dann besitzen diese Verhaltensweisen auch kommunikativen Charakter. man kann nicht nicht kommunizieren(Watzlawick) es soll hier davon ausgegangen werden, dass es dem Menschen sehr wohl möglich ist, Kommunikation willentlich aufzunehmen oder auch abzubrechen. Handeln ist als intentionales Verhalten, als ein Verhalten, welches bewusst oder absichtsvoll auf ein Ziel hin ausgerichtet ist. Dabei ist einerlei, ob es sich um ein äußeres (motorische Aktivitäten) oder innerliches Tun (Denken, Fühlen...) handelt; auch ein bewusstes Unterlassen einer Aktivität oder ein bewusstes Dulden ist in diesem Sinn als menschliches Handel zu begreifen. Ist unser Handeln in seinem Ablauf nun auch noch an anderen Menschen orientiert, dann spricht man von sozialem Handeln. Ein Mensch handelt dann sozial, wenn er das Vorhandensein von anderen Menschen in sein Handeln mit einbezieht. Kommunikation (nach Maletzke) = Prozess der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen - Soziale Kommunikationsprozesse stehen also im Mittelpunkt. Kommunikation als soziales Verhalten - Verhalten in Hinblick aufeinander. Soziales Verhalten als Verhalten, welches bei anderen Lebewesen Reaktionen auslöst und deren Verhalten beeinflusst. Dieses soziale Verhalten kann einem Miteinander oder einem 1

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Zusammenfassung Burkart „Bibel“: Kommunikationswissenschaft

Kapitel 1. Einführung

Dilemma: Selbstfindungsprozess der Kommunikationswissenschaft zwischen individueller und gesellschaftlicher

Kommunikation. Schwerpunktsetzung auch zwischen der Erforschung der Kommunikationsprozesse und der

Medienforschung.

Kapitel 2 Kommunikation : Zur Klärung eines Begriffes

2.1. Kommunikation als soziales Verhalten

Verhalten: bezeichnen motorische Bewegungsabläufe sowie Aktivitäten des Zentralnervensystems beim

Menschen

Wenn sich Lebewesen im Hinblick aufeinander verhalten so spricht man von sozialem Verhalten.

Im Rahmen solcher sozialen Verhaltensweisen wird Bedeutung vermittelt, diese besitzen kommunikativen

Charakter.

Wenn man jedoch jedes Verhalten mit Kommunikation gleichsetzt, würde das den Begriffsrahmen überspannen.

Wenn Verhalten intentional auf ein Ziel in ausgerichtet ist, spricht man von Handeln. Menschliches Handeln ist

stets Mittel zum Zweck. Ist das Handeln zudem noch an anderen Menschen orientiert, spricht man von sozialem

Handeln. Es ist auf das Verhalten anderer bezogen.

Mit dem Terminus Verhalten wird jede Regung eines Organismus bezeichnet.

Soziales Verhalten meint dagegen bereits den Umstand, dass sich Lebewesen im Hinblick aufeinander verhalten

(Reaktion auf das Verhalten anderer Lebewesen darstellt und selbst wiederum die Reaktionen anderer

Lebewesen beeinflusst). Werden nun im Rahmen solcher sozialer Verhaltensweisen auch Bedeutungen

vermittelt, dann besitzen diese Verhaltensweisen auch kommunikativen Charakter.

„man kann nicht nicht kommunizieren“ (Watzlawick)

es soll hier davon ausgegangen werden, dass es dem Menschen sehr wohl möglich ist, Kommunikation willentlich

aufzunehmen oder auch abzubrechen.

Handeln ist als intentionales Verhalten, als ein Verhalten, welches bewusst oder absichtsvoll auf ein Ziel hin

ausgerichtet ist. Dabei ist einerlei, ob es sich um ein äußeres (motorische Aktivitäten) oder innerliches Tun

(Denken, Fühlen...) handelt; auch ein bewusstes Unterlassen einer Aktivität oder ein bewusstes Dulden ist in

diesem Sinn als menschliches Handel zu begreifen.

Ist unser Handeln in seinem Ablauf nun auch noch an anderen Menschen orientiert, dann spricht man von

sozialem Handeln. Ein Mensch handelt dann sozial, wenn er das Vorhandensein von anderen Menschen in sein

Handeln mit einbezieht.

Kommunikation (nach Maletzke) = Prozess der Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen

- Soziale Kommunikationsprozesse stehen also im Mittelpunkt.

Kommunikation als soziales Verhalten - Verhalten in Hinblick aufeinander. Soziales Verhalten als Verhalten,

welches bei anderen Lebewesen Reaktionen auslöst und deren Verhalten beeinflusst. Dieses soziale Verhalten

kann einem Miteinander oder einem Gegeneinander zugrunde liegen (Gemeinsam gegen etwas kämpfen <->

gegeneinander kämpfen). Auf jeden Fall sind diese Verhaltensweisen aufeinander bezogen.

Kommt zu diesem Verhalten auch noch der Charakter einer Bedeutungvermittlung hinzu, so spricht man von

sozialem und kommunikativem Verhalten, was nahezu immer der Fall ist. Verhalten hat also praktisch immer

auch einen kommunikativen Charakter - ob sozial oder nicht.

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Watzlawik verwendet die beiden Begriffe Verhalten und Kommunikation gar gleichwertig. Analog zum Satz:

"Man kann sich nicht nicht verhalten", entwirft er deshalb das Axiom: "Man kann nicht nicht kommunizieren!" -

Problem einer allzu inflationären Behandlung des Begriffes "Kommunikation".

Perspektive einer willentlichen Kommunikation: Menschliches Verhalten kann zielgerichtet und bewusst, d. h.

intentional ablaufen, d. h. der Mensch kann sich nicht nur verhalten sondern kann auch handeln.

Handeln = intentionales Verhalten - bewusst und absichtsvoll zielgerichtet (dazu gehören nach Weber auch

bewusstes Unterlassen und bewusstes Erdulden).

Menschliches Handeln nicht um des Handelns willen sondern als Mittel zum Zweck - also mit einer gewissen

Zielgerichtetheit. Ist der Zweck - oder besser die Richtung - unseres Handelns auch noch ein anderer Mensch, so

spricht man von sozialem Handeln - das Handeln, welches sich an einer Verhaltensreaktion des Gegenübers

ausrichtet und sein Handeln unter Beisein anderer Menschen ausführt.

Der Unterschied zwischen bloßem intentionalen Handeln und sozialem Handeln sei an folgendem Beispiel

dargestellt:

- Aufspannen des Regenschirms als bloßes, intentionales Handeln, welches sich nicht an anderen Menschen

ausrichtet, sondern auf das Ereignis des Regens.

- Geldverkehr als soziales Handeln, welches sich auf das Gegenüber richtet, d. h. an anderen Menschen sich

orientiert.

2.2. Menschliche Kommunikation als soziales Handeln

Kommunikatives Handeln geschieht explizit und bewusst in Richtung auf andere.

Bei einer Differenzierung der Intentionen findet man:

• Allgemeine Intention: Mitteilungscharakter der kommunikativen Handlung verwirklichen.

Das konstante Ziel der kommunikativen Handlung heißt Verständigung (die gemeinten Bedeutungen

tatsächliche miteinander teilen)

• Spezielle Intention: die kommunikative Handlung folgt einem bestimmten Interesse. Das variable Ziel der

kommunikativen Handlung heißt Interessenrealisierung.

o inhaltsbezogen (=alles was mitgeteilt wird), unmittelbar

o situationsbezogen: nicht mittelbar

Die Kommunikations- Interessen sind der Anlass jeglicher Kommunikationsversuche.

Jeder kommunikativ Handelnde besitzt zunächst eine allgemeine Intention, nämlich: den Mitteilungs-

Charakter seiner kommunikativen Handlung verwirklichen zu wollen. => Verständigung

Jeder kommunikativ Handelnde besitzt darüber hinaus auch eine spezielle Intention: er setzt seine

kommunikative Handlung aus einem bestimmten Interesse heraus. Die Kommunikations-Interessen sind

der Anlass jeglicher Kommunikationsversuche

inhaltsbezogen: der Inhalt der kommunikativen Handlung erwächst unmittelbar aus dem zu

realisierenden Interessen.

Das zu realisierende Interesse an Kommunikation (= Beseitigung von Zugluft) bestimmt den Inhalt der

kommunikativen Handlung (schließ das Fenster)

Situationsbezogen: der Inhalt der kommunikativen Handlung wird nicht unmittelbar vor den

zu realisierenden Interesse bestimmt.

Small Talk auf Parties: Interesse, über irgendwelche Inhalte mit seinem gegenüber in Beziehung zu treten.

Grafik Seite 27

So wie wir nicht um des Handelns willen handeln, so kommunizieren wir auch nicht um des Kommunizieren

willen, sondern verfolgen neben dem konstanten Ziel der Verständigung mit unserem Kommunikationspartner

stets auch die Realisierung von Interessen.

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kommunikatives Handeln ist noch nicht Kommunikation. Kommunikatives Handeln ist ein

Anstoß, der Kommunikation entstehen lassen kann – aber nicht entstehen lassen muss.

Menschliche Kommunikation hat einen tief sozialen Charakter und geschieht intentional. Burkart unterscheidet

zwei Arten der Intensionalität.

1. Allgemeine Intension: Mitteilungscharakter (MIT-TEILUNG) einer kommunikativen Handlung

- Das Bedürfnis, etwas bestimmtes mitteilen zu wollen und dabei Verständigung zu schaffen

(=konstantes Ziel). Die Bedeutungsteilung spielt dabei eine relevante Rolle.

2. Spezielle Intension: Interessenscharakter einer kommunikativen Handlung - Das Bedürfnis, Interessen zur

Realisierung zu verhelfen (=variables Ziel - personen- und situationsspezifisch). Auch unterscheidet Burkart

zwischen zwei Dimensionen von Kommunikations-Interessen:

1. Inhaltsbezogenheit: Der Inhalt einer Mitteilung ist ganz spezifisch auf ein bestimmtes Interesse ausgerichtet.

2. Situationsbezogenheit: Der Inhalt des kommunikativen Handelns richtet sich nicht unmittelbar nach der

Interessenrealisation sondern ist mehr bestrebt, eine kommunikative Beziehung mit dem

Gegenüber aufzubauen. (Bsp. Smalltalk). Kommunikatives Handeln allein stellt aber noch keine Kommunikation

dar. Sie ist lediglich eine der notwendigen Bedingungen für das Entstehen und den Ablauf von wirklicher

Kommunikation.

2.3. Kommunikation als soziale Interaktion

Interaktion: Prozess der Wechselbeziehung bzw. Wechselwirkung

Soziale Interaktion: wechselseitiges Geschehen zwischen 2 oder mehr Lebewesen, welches mit einer

Kontaktaufnahme beginnt und zu Reaktionen führt (doppelseitiges Geschehen).

Kommunikation ist der wechselseitig stattfindende Prozess der Bedeutungsvermittlung.

Gemeint ist der vollzogene Prozess.

Kommunikation ist ein dynamischer Vorgang, der zwischen mindestens zwei Lebewesen abläuft. Damit

Kommunikation stattfinden kann, müssen mindestens zwei Lebewesen interagieren.

Soziale Interaktion: ein wechselseitiges Geschehen zwischen zwei oder mehreren Lebewesen, welches mit

einer Kontaktaufnahme beginnt und zu (Re-)Aktionen der in Kontakt stehenden Lebewesen führt.

Kommunikation kann erst dann stattfinden, wenn sich (mindestens zwei) Lebewesen im Hinblick aufeinander

kommunikativ verhalten.

Menschliche Kommunikation liegt er dann vor, wenn Individuen ihre kommunikativen Handlungen nicht nur

wechselseitig aufeinander richten, sonder darüber hinaus auch die allgemeine Intention ihrer Handlungen

(=Bedeutungsinhalten miteinander teilen wollen) verwirklichen können und damit die Verständigung jeder

kommunikativen Aktivität erreichen.

In der Tat ist Kommunikation somit als ein Begriff anzusehen, den man genauso genommen nur ex post, nach

Vollzug des Kommunikationsaktes verwenden kann. Ex ante lässt sich allenfalls ein Kommunikationsvorsatz oder

–versuch feststellen.

Kommunikation als etwas nicht-statisches, als etwas, was nicht grundsätzlich vorhanden ist.

Kommunikation als Geschehen, als Ereignis, als Vorgang, der sich dynamisch zwischen mindestens zwei

Lebewesen abspielt. Das kommunikative Verhalten kann so einen dynamischen Prozess auslösen, ihn aber

keinesfalls darstellen.

Kommunikation als spezifische Form sozialer Interaktion. Soziale Interaktion als wechselseitiges

Geschehen, dem eine Kontaktaufnahme zugrunde liegt und das zu Reaktionen zwischen den

Interaktionspartnern führt. Aus so einem interaktiven Prozess resultieren sowohl Einwirkungen vom Gegenüber

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auf das Selbst, wie auch Einwirkungen vom Selbst auf das Gegenüber. Alles, was sich also in Aktion bzw.

Reaktion zwischen zwei kommunizierenden Lebewesen manifestiert, gilt als Interaktion.

So lässt sich am Beispiel einer Menschenmenge der Unterschied zwischen bloßer sozialen Interaktion und einer

Kommunikation festmachen. Währenddem in einer Menschenmenge sozial interagiert wird - man rempelt sich an,

man stößt einander weg, man versucht sich zu distanzieren, man sucht in der Öffentlichkeit die Privatsphäre -

wird keineswegs kommuniziert. In einer Menschenmenge wird nicht das Ziel verfolgt Bewusstseinsinhalte zu

teilen oder bestimmte allgemeine Interessen der Verständigung zu verwirklichen. In einer wirklichen

Kommunikation sind aber sowohl Mittelungswunsch und Interessenverwirklichung ausschlaggebend.

Kommunikation kann erst entstehen, wenn sich zwei Lebewesen in Bezug aufeinander kommunikativ verhalten.

Aber dies ist nicht Garantie dafür, dass Kommunikation wirklich zustande kommt.

Kommunikation liegt erst vor, wenn auch der Mitteilungswunsch, nämlich die Teilung und der Austausch von

Bedeutungsinhalten verwirklicht werden konnte. Fazit: Als Kommunikation wird der wechselseitig (!)

stattfindende und erfolgreich abgeschlossene Prozess der Bedeutungsvermittlung bezeichnet.

Wechselseitigkeit und Erfolg einer Verständigungsintension gelten als sehr wichtige Kriterien in der Definition

von "Kommunikation". So lässt sich auch erst ex post nachweisen, ob eine Kommunikation stattgefunden hat.

2.4. Kommunikation als vermittelter Prozess

Das Medium ist das Ausdrucksmittel der kommunikativen Aktivität. Die Bedeutung als Transportmittel wird heute

kritisch betrachtet, im Gegenteil: Kommunikation wird nach Luhmann als Aktualisierung von Sinn begriffen.

Kommunikation bedarf stets einer Instanz, über die das zwischen den Kommunikationspartner Geschehene

abläuft => das Medium ist ein unbedingter Bestandteil; das Medium ist das Ausdrucksmittel

Medien sind als Transportmittel zu begreifen. Bienen benutzen mit ihrem Schwänzeltanz über in Medium.

Es gibt keine unvermittelte Kommunikation: alle Kommunikation bedarf des Mittels oder Mediums, durch das

hindurch eine Nachricht übertragen bzw. aufgenommen wird.

Pross unterscheidet 3 Medien:

primäre Medien: Medien des menschlichen Elementarkontaktes; Sprache und nonverbale

Vermittlungsinstanzen. Gemeinsam ist diesen Medien, dass kein Gerät zwischen Sender und

Empfänger geschaltet ist.

sekundäre Medien: all jene Medien, die auf der Produktionsseite ein Gerät erfordern; Flaggensignal bis

zum Brief, Flugblatt, Plakat, Buch, Zeitung

tertiäre Medien: jene Kommunikationsmittel, zu denen technische Sender und technische Empfänger

gehören. Telefon, Fernschreiber, Rundfunk, Schallplatte, Film, Fernsehen…

die jeweiligen Medien stellen immer einen bestimmten Rahmen bereit, innerhalb dessen dann jeweils ganz

bestimmte Ausdrucksformen als Zeichen fungieren können.

Die zwischen zwei kommunizierenden Medien vorhandene Instanz nennt sich Medium. Es ist das

Ausdrucksmittel kommunikativer Aktivität. Sie stellt die materielle Hülse, das Transportmittel für immaterielle

Bedeutungsinhalte dar. So gilt beispielsweise die Sprache als ein Medium. Pross unterscheidet drei Arten von

Medien:

Primäre Medien: Medien des menschlichen Elementarkontaktes. Neben der Sprache zählen Mimiken und

andere nonverbale Kommunikationsformen auch dazu.

Sekundäre Medien: So nennen sich Medien, die an der Stelle des Senders ein Gerät/Hilfsmittel erfordern, aber

nicht auf der Empfängerseite (Rauchzeichen, Mikrophon, Printmedien)

Tertiäre Medien: Es bedarf bei diesen Medien technischer Hilfsmittel - sowohl auf der Senderseite als auch auf

der Empfängerseite (z. B. Radio, TV)

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Das Medium bestimmt des Weiteren die Form, in der sich Bedeutungsgehalte weitertragen lassen. Auch ist diese

mediale Form bestimmt von der Variationsbreite der Zeichen(kombinationen), welche wir bei einem spezifischen

Medium einsetzen. Medien stellen also gewissermaßen einen Rahmen dar, innerhalb dessen sich die

Möglichkeiten zur Zeichenanwendung ergeben.

2.4.1. Der Begriff „Medium“

Rein technologische Bewertungen reichen für einen publizistikwissenschaftlichen Medienbegriff nicht aus.

SAXER spricht von der Doppelnatur des Systems Medium (Kommunikationstechnik und Verweis auf

Sozialsysteme).

• Medien sind Kommunikationskanäle

• Medien sind Organisationen (Funktionen für die Gesellschaft erbringen)

• Medien bilden komplexe soziale Systeme (Strukturen)

• Medien als Institutionen (unterschiedliche Indienstnahme von Medien je nach Gesellschaft)

Medien erster Ordnung: Infrastruktur. Eröffnen technische Möglichkeiten der Vermittlung. Bsp.: Fax, Telefon

Medien zweiter Ordnung: Wenn institutionalisierte Kommunikatoren am Werk sind. Strukturierung, Selektion,

Präsentation

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass mit dem Begriff "Medium" eine gewisse Vermittlungsinstanz gemeint ist.

Nach Faulstisch: Ein Wort neueren Datums, welches fast inflationär eingesetzt wird (man spricht von "den

Medien", wenn eigentlich exklusiv die Massenmedien gemeint sind). Leider wird der Begriff selbst in der

Wissenschaftssprache nicht als explizit definierter Begriff verwendet.

Dies beklagt auch Saxer, nämlich dass die Verbindlichkeit des Medien-Begriffs in der Wissenschaft noch nicht

eingesetzt habe. Allgemein reichen definitorische Versuche bisher nicht über den technischen Medien-Begriff

hinaus. Auf jeden Fall sieht er allerdings eine Doppelnatur in den Medien: Zwar haben zum Beispiel die

verschiedenen Erscheinungsmerkmale des Mediums "Buch" (Materialität, Papier, Schrift, Lesefähigkeit) ein

kommunikationstechnisches Potenzial. Allerdings entscheiden erst der Einsatz und die Gebrauchsart des

Mediums durch die Gesellschaft den eigentlichen Charakter der übermittelten Inhalte. Einfluss des Mediums

selbst ist also weniger relevant, als die Art und Weise, wie eine Gesellschaft ein Medium in ihre Dienste stellt.

W. Schulz hat die Geschichte der Medien als eine inständige Vervollkommnung medialer Techniken begriffen. So

gilt die Erfindung der Schrift als Sieg über die Flüchtigkeit von mündlichen Verständigungsversuchen bezüglich

Bedeutungsinhalten. Man könne dabei auch von der neuerworbenen Fähigkeit zur Tradierbarkeit und

Speicherbarkeit sprechen. Noch viel früher als die Schrift allerdings muss die Malerei erwähnt werden als

grundlegendes "Konservierungsmittel" von Bewusstseinsinhalten.

Nach Hiebel sind die wesentlichen Züge des Begriffes "Medium" in den geschichtlichen Hilfsmitteln zur

Speicherung von Daten- und Informationseinheiten enthalten. Aber eben - das ist nur der technische Aspekt

unserer Definition.

Natur des Mediums nach Burkart

Medien sind Kommunikationskanäle, die entweder gegeben sind (primäre) oder gewisse menschliche Hilfsmittel

darstellen. Hierbei ist zu beachten, dass die technische Realisierbarkeit eines Mediums nicht automatisch Garant

dafür ist, dass sich das Medium in der Gesellschaft etablieren kann. Dies unterstreicht Saxers

Betrachtungsweise, dass der Einfluss eines Mediums weniger wichtig ist wie die Art, wie die Gesellschaft sie

nutzt.

Eine andere Betrachtung sieht vor, dass Medien durchaus auch arbeitsteilige Organisationen sein können,

welche Bedeutungsinhalte weiterverbreiten. Auftrag der Medien im diesen Sinne ist die Unterhaltung, die

gesellschaftliche Integration und die politische Sozialisation.

Eine dritte Sichtweise betrachtet Medien als Institutionen. Saxer schreibt den Medien in diesem Sinne vor,

unentbehrliche Leistungen im gesellschaftlichen Regelungssystem zu erbringen. Dabei spielen Markteinflüsse

und politische Faktoren eine große Rolle. Bei dem politischen Einfluss ist vor allem zwischen einer

demokratischen und einer totalitären, zwischen einer liberalen und einer autoritären Institutionalisierung zu

unterscheiden.

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2.5. Menschliche Kommunikation als symbolisch vermittelte Interaktion

Zeichen: materielle Erscheinung. Träger der Bedeutung

Natürliche Zeichen: naturhafte Verbindung zwischen dem Anzeichen und dem Objekt. Bsp. Erröten ! Zeichen

von Scham

Künstliche Zeichen: zum Zweck der Kommunikation entstanden. Resultat einer sozialen Übereinkunft. Bsp.

Tisch

Signal: Zeichen zu etwas Bsp. Handzeichen.

Symbol: repräsentiert etwas, Vertreterfunktion. Bsp. Fahne

Erst im Rahmen der (zwischen-)menschlichen Kommunikation eröffnet sich dagegen die Möglichkeit, Zeichen

nicht mehr nur als Signale, sondern auch als Symbole einzusetzen. Menschen können eine Haltung gegenüber

Gegenständen in absentia einnehmen. Im Prozess der Symbolisierung konstituieren sich Bedeutungen

entsprechend der Situation und Lebensläufe. Die Bedeutung eines Symbols hängt vom jeweiligen raum-

zeitlichen Kontext ab.

Symbolischer Interaktionismus: G.H. MEAD. Menschen leben in einer symbolischen Umwelt. Gegenstände

entstehen im Hinblick auf ihre Bedeutung erst dann, wenn sie von Menschen in deren Handlungen mit

einbezogen werden (subjektiv erfahrene Wirklichkeit). Kommunikation kommt nur zustande, wenn im

Bewusstsein beider Kommunikationspartner dieselben Bedeutungen aktualisiert werden.

Signifikantes Symbol: Zeichen mit dahinter stehender Idee.

Erlebnisdimension: Qualität der persönlichen Erfahrung

Bedeutung: Summe aller Erfahrungsqualitäten in Form mental gespeicherter Erlebnisdimensionen

Kommunikation verläuft immer medial, d. h. die Kommunikationspartner benötigen stets eine Vermittlungsinstanz,

mit deren Hilfe sie erst in der Lage sind, Bedeutungen miteinander zu teilen.

Ein Zeichen ist eine materielle Erscheinung, der eine Bedeutung zugeordnet ist. Indem es etwas bedeutet,

verweist es auf etwas.

natürliche Zeichen: sie werden von dem Objekt, welches sie anzeigen, kausal verursacht. In diesem Sinne sind

natürliche Zeichen daher auch „Anzeichen“, Kennzeichen oder Symptome der Objekte, auf die sie hindeuten.

Rauch ist ein (Kenn-)Zeichen für brennendes Feuer, das Erröten ein Symptom von Scham oder Verwirrung…

Künstliche Zeichen: all jene materiellen Erscheinungen, die zum Zweck der Kommunikation entstanden bzw.

geschaffen worden sind. Ihre Bedeutung ist das Resultat einer sozialen Übereinkunft, einer Vereinbarung

zwischen Menschen.

Als Signal tritt ein Zeichen auf, wenn seine Funktion in der unmittelbaren Einwirkung auf das Verhalten anderer

Lebewesen besteht; Zeichen, die zu einer Aktivität drängen; die eine bestimmte Reaktion auslösen. Diese

Reaktion kann durch eine Vereinbarung zwischen Menschen vorherbestimmt worden sein; sie kann aber auch –

vor allem bei Tieren – instinktiv angelegt oder durch Lernprozesse bedingt sein.

Handzeichen des Polizisten erfüllen eine typische Signalfunktion.

Ein Symbol vertritt den Gegenstand, auf den es verweist.

Fahne

Als was ein Zeichen jeweils fungiert – als Signal oder als Symbol – hängt in erster Linie von seinem Gebrauch ab,

d. h. von dem Umstand, wie es verwendet wird.

Erst im Rahmen der menschlichen Kommunikation eröffnet sich dagegen die Möglichkeit, Zeichen nicht mehr nur

als Symbole, sondern auch – und vor allem – als Symbole einzusetzen.

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Dem Menschen ist es im Gegensatz zu den Tieren möglich, eine Haltung gegenüber den Gegenständen in

absentia einzunehmen, welche als „denken an“ oder „sich beziehen auf“ bezeichnet wird. Die signalhafte

Kommunikation im Tierreich ist nämlich immer sowohl zeit- aus auch situationsgebunden. Der Mensch kann via

Symbolbilder natürlich auch abstrakte Vorstellungen in sein Bewusstsein rufen; also Bereich der Wirklichkeit, die

als konkret wahrnehmbare Gegenstände ja überhaupt nicht existieren. Das sprachliche Symbol „Freiheit“,

olympische Fahne.

Die Bedeutung eines Zeichens, das als Symbol fungiert, darf weder als etwas ein für allemal Feststehendes

betrachtet werden, noch als etwas, das bei verschiedenen Menschen in genau gleicher Weise vorhanden ist.

M.a.W., die Bedeutung eines Symbols ist immer vom jeweiligen raum-zeitlichen Kontext bestimmt.

Der Symbolische Interaktionismus ist ein Konzept menschlichen Handelns, welches das In-Beziehung-Treten

des Menschen mit seiner Umwelt thematisiert. Das handlungstheoretische Verständnis des Symbolischen

Interaktionismus basiert im Wesentlichen auf folgenden drei Prämissen:

Menschen handeln Dingen gegenüber auf der Grundlage von Bedeutungen, die diese Dinge für sie

besitzen

Die Bedeutung dieser Dinge entsteht in/wird abgeleitet aus den sozialen Interaktionen, die man mit

seinen Mitmenschen eingeht.

Diese Bedeutung werden im Rahmen der Auseinandersetzung mit ebendiesen dingen in einem

interpretativen Prozess benützt und auch abgeändert.

Im symbolisch interaktionistischen Sinn existieren Dinge nicht als isolierte Entitäten, sie besitzen keine

geschichtslose Wesenhaftigkeit u. ä., sondern sie existieren ausschließlich raum- und zeitgebunden.

Die Bedeutung eines Gegenstandes ist dann jeweils das Ergebnis mannigfaltiger Definitions- und

Interpretationsprozesse, die zwischen Menschen ablaufen, wenn diese im Hinblick auf den jeweiligen

Gegenstand handeln.

Ein signifikantes Symbol ist ein Zeichen, das eine dahinter stehende Idee (d. h. einen bestimmten

Vorstellungsinhalt) ausdrückt und diese Idee auch beim Kommunikationspartner auslöst.

Kommunikation lässt sich daher als „gemeinsame Aktualisierung von Sinn“ begreifen und nicht als ein Vorgang

der Übertragung von Sinn oder Information.

Es wäre zweifellos eine Überinterpretation des theoretischen Ansatzes, wollte man aus diesem ableiten, ein

Symbol- bzw. Bedeutungsvorrat eines bestimmten Menschen sei ausschließlich subjektgebunden und besitze mit

ebendem eines anderen Menschen so gut wie überhaupt keine Ähnlichkeiten.

Diverse Sozialisationsmechanismen und –Instanzen (von der Familie über Schule, Arbeitsplatz bis zu den

Massenmedien usw.) sorgen ja für weitreichende Ähnlichkeiten in der Erfahrungs- und Denkwelt einer mehr oder

weniger großen Sozietät.

Mit "symbolisch" ist hier auch immer stückweit "zeichenhaft" gemeint. So zählen die Symbole zu der Gruppe der

Zeichen. Bei einer Kommunikation werden Zeichen via Medium transportiert.

So lässt sich der Zeichenbegriff folgendermaßen einordnen: Ein Zeichen ist eine materielle Erscheinung und

drückt seine eigene Bedeutung aus. Es bedeutet oder deutet etwas und verweist auf etwas hin . Ein

Zeichen ist also definitorisch formuliert ein Bedeutungsträger. So sind sowohl manifest materielle Dinge (z. B.

Wegweiser) oder andere materielle Ereignisse (z. B. Winken) Zeichen.

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Man unterscheidet grundsätzlich von zwei Arten von Zeichen:

Natürliche Zeichen, die auf natürliche Weise auf etwas hindeuten und von Natur aus kausal mit der

ausgedrückten Erscheinung verknüpft ist. So sind z. B. spezielle Wettererscheinungen Anzeichen für gewisse

Wetterereignisse in den nächsten Tagen, oder Errötung, welches als Anzeichen für Schamgefühl ist. Es sind also

Zeichen die nicht anthropogen sind sondern kausalnatürlich.

Künstliche Zeichen haben ihren Bedeutungsgehalt in der Menschheitsgeschichte erhalten. Sie sind das

Resultat gesellschaftlicher Konventionen - Traditionen, Gesetze u.a. Das Wort "Tisch" (wie auch sämtliche

andere Wörter) gilt als künstliches Zeichen, als Erschaffnis gesellschaftlicher Übereinkünfte.

Eine weitere von Burkart verwendete Differenzierung, die sich auf das Attribut "Funktion" bezieht, sei hier auch

noch aufgeführt:

Ein Signal zeichnet sich dadurch aus, dass es direkt auf das Verhalten anderer Lebewesen einwirkt. Signale sind

Zeichen, die zu einer Aktivität drängen und zum Ziel haben, Reaktionen auszulösen. Ein Signal kann durch

menschliche Übereinkunft zustande kommen, aber auch einer tierischen Instinkthandlung oder einer erlernten

(=konditionierten) Verhaltensweise zugrunde liegen.

Ein Symbol hingegen fungiert als Repräsentation für einen Zustand, einen Gegenstand oder ein Ereignis. Es

"bekleidet" eine Vertreterfunktion. Wichtige Voraussetzung für das allgemeine Verständnis eines Symbols ist eine

zuvor verabschiedete Konvention, damit alle Teilnehmer des Kommunikationsprozesses dieselbe Begrifflichkeit

kennen.

Grundsätzlich gilt es, bei jedem Zeichen sowohl seine Beschaffenheit (natürlich/künstlich) als auch seine

Funktion (Signal/Symbol) festzumachen. Innerhalb dieser beiden festgelegten Dimensionen sind alle

Kombinationen möglich. Grundsätzlich ist hier feststellbar, dass Tiere bloß zur Signalvermittlung fähig sind. Der

Gebrauch von Symbolen bleibt der menschlichen Kommunikation vorbehalten.

Im Unterschied zu den Signalen bieten Symbole nicht nur die Gelegenheit, auf Übermitteltes zu reagieren (was

auch noch den Tieren möglich ist), sondern die Zeichen vor allem verstehen und ihnen bestimmte Gedanken

und Vorstellungen zuordnen zu können. Dies gilt als menschliche Fähigkeit, nämlich in einen Bezug mit einem

Gegenstand in absentia zu treten - sich bewusst mit einer Sache auseinandersetzen, die hier und jetzt nicht

präsent ist oder de facto gar nie existiert (Abstraktion).

Nicht zu vergessen ist aber die Herkunft eines Symbols. So gründet der Gehalt eines Symbols auf zuvor

gemachten Erfahrungen. Diese Erfahrungen gelten als Grundlage dafür, wie Gedanken, Vorstellungen, Gefühle

usw. in unserem Bewusstsein aktualisiert werden. So durchläuft zeitlebens jeder Mensch einen Prozess der

Symbolisierung, in welchem Bedeutungsinhalte im Bewusstsein inständig aktualisiert und konstituiert werden.

Zeichen, insbesondere Symbole sind stark individualspezifisch und bei jedem Individuum auch noch alters- oder

lebensaltersspezifisch. Die Bedeutung der Symbole und der ihr zugrunde liegenden Dinge ist insbesondere sehr

stark von der Art des Umganges mit ihnen abhängig. So bedeutet ein "Baum" für einen Botaniker, einen Holzfäller

oder einen Poeten jeweils etwas anderes.

Die oben erwähnten Phänomene liegen der Denkrichtung von G.H. Mead - dem Symbolischen

Interaktionismus zugrunde. Dieses Konzept stellt den Menschen dar, wie er mit seiner Umwelt in Beziehung tritt

und dabei eine Sozialisation erfährt. So lebt der Mensch sowohl in einer natürlichen ("manifesten") Umwelt, aber

auch in einer symbolischen Umwelt. Die Dinge und deren Bezeichnungen stellen dabei das Verhältnis "Mensch -

Umwelt" dar - eine subjektive Wirklichkeit.

Herbert Blumer gliedert das gedankliche Konstrukt des Symbolischen Interaktionismus in drei Prämissen:

1. Menschen handeln Dingen gegenüber, so wie es deren Bedeutung entspricht.

2. Die Bedeutung der Dinge leitet sich ab aus den sozialen Interaktionen, die man zum Mitmenschen

eingeht.

3. Die Dingbedeutungen werden im Rahmen mit der Auseinandersetzung mit den Dingen in einem

interpretativen Prozess benützt und auch abgeändert.

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Dinge existieren nach dieser Ansicht nach nicht als Wesen sondern sie sind raum- und zeitgebunden und

anthropogen festgelegt. Das heißt, ein Ding existiert nicht "an sich" sondern nur "für mich". Die Bedeutung

eines Gegenstandes ergibt sich also durch Interpretations- und Definitionsversuche (also Interaktion) innerhalb

der Gesellschaft zwischen einzelnen Menschen. Man nennt diese "Dingkreation" auch "soziale Schöpfung".

Ausgehend von der Tatsache, dass der Symb. Interaktionismus eine rein subjektiv erfahrene

Wirklichkeitsdarstellung vorsieht, besitzt jeder Mensch einen rein subjektiven Schatz an Definitions- und

Interpretationsleistungen - einen Vorrat an Symbolen - im Bewusstsein aktualisierbare

Bedeutungskonglomerate.

Der entscheidende Schritt vom Symb. Interaktionismus zur Kommunikationswissenschaft ist Kommunikation als

die zwischenmenschlich stattfindende Teilung von Bedeutungen. Für diese Bedeutungsteilung sind

schließlich Symbole als Zeichen von Nöten, damit die gespeicherten Bedeutungsinhalte stetig aktualisiert werden

können, und damit "man von der selben Sache spricht". Man nennt dies dann symbolisch vermittelt

miteinander in Beziehung treten.

Signifikante Symbole (nach G.H. Mead): So nennen sich Symbole, die zwischen zwei Personen ausgetauscht

werden und die bei beiden dieselben Bedeutungsinhalte aktualisieren, d. h. Verständigung verschaffen.

Signifikante Symbole sind Zeichen, die Ideen ausdrücken, welche auch beim Kommunikationspartner ausgelöst

werden. Und erst wenn die Verständigung - also das "Synchronisieren" von Bedeutungsinhalten - erreicht

ist, kann man von einem erfolgreich symbolisch vermittelten "Mit-einander-in Beziehung-treten" sprechen.

Auch Luhmann würde der Definition, Kommunikation als gemeinsame Sinn-Aktualisierung, ihre Berechtigung

geben. Denn Kommunikation ist nicht einfach die "Übertragung von Sinn oder Informationen". Diese Definition

würde nämlich nicht voraussetzen, dass der transferierte Sinn wirklich verstanden wird, was wir ja bei der

Kommunikation voraussetzen.

Unsere oben aufgeführten Perspektiven dürfen uns allerdings nicht suggerieren, dass aufgrund der subjektiv

erfahrenen Wirklichkeit und der Dissonanzen in Bezug auf Bedeutungsinhalte eine extreme Subjektivität und

somit "Unterschiedlichkeit" zwischen allen Menschen vorherrsche. Es gibt sehr wohl viele Ähnlichkeiten, in

diesem Sinne stark synchronisierte Bedeutungsinhalte, die durch Sozialisationsinstanzen wie Schule, Militär,

Arbeitsplatz, Familie, Massenmedien) zustande kommen und die als grundsätzliche, weitgehend gleiche

Bedeutungen allen Mitgliedern einer Gesellschaft zugrunde liegen.

Grundsätzlich können aber durch verschiedene Betrachtungsweisen einer Sache im gleichen raumzeitlichen

Kontinuum unterschiedliche Erlebnisdimensionen entstehen. So erlebt ein Autoindustrieller das Ding "Auto"

anders als ein Polizist, dieser vielleicht anders als ein Umweltaktivist oder als ein ABC-Schütze.

Eine Erlebnisdimension stellt also die Qualität einer persönlichen Erfahrung dar. Die Bedeutung ist also in

diesem Sinne die Summe aller Erfahrungsqualitäten (=Erlebnisdimensionen). Eine Kommunikation kann also

scheitern, wenn bezüglich eines Themas die Bedeutungsvorräte sich nicht teilweise abdecken. In diesem Falle

fehlen gleiche Vorstellungen/Erfahrungen als Grundlage.

Was der Symb. Interaktionismus nahe legen will, ist die Klarstellung, dass selbst identische Symbol- und

Zeichenvorräte verschiedener Menschen kaum je einen 100% identischen weil aktualisierten

Bedeutungsvorrat zur Folge haben.

2.6. Symbolisch vermittelte Interaktion als humanspezifische Kommunikationsmodalität

Kommunikator der etwas mitteilen will. Stellt die Quelle ausgesendeter Botschaften dar.

Rezipient: der etwas verstehen will. Stellt den Adressat der Botschaft dar.

Reziprozität: Prinzip des Gebens und Nehmens. Eine Mitteilungs-Handlung verlangt stets

nach einer Verstehens- Handlung und umgekehrt.

- Kommunikation als soziales Phänomen

- soziale Verhaltensweisen = Verhaltensweisen im Hinblick aufeinander

- menschliche Kommunikation als soziale Handlung ist intentional

- Handeln als ein bewusstes Verfolgen von Zielen

- auch kommunikatives Handeln als ein Mittel zum Zweck (intentional)

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- allgemeine Intension = Mitteilungs- und Verständigungsintension = konstantes Ziel

- spezielle Intension = Interessenabsichten, -realisierung = variables Ziel = Kommunikationsinteressen

- Prozesscharakter der Kommunikation

- Kommunikation als gegenseitig stattfindendes Geschehen (soziale Interaktion)

- Kommunikation als ein Prozess, der erst nach seinem Erfolg als solches bezeichnet werden kann (im

Gegensatz zu kommunikativem Handeln, welches schon bei Kontaktaufnahme als solches bezeichnet werden

kann

- Erfolg ist bei Verständigung erreicht

- kommunikatives Handeln benötigt ein Ausdrucksmittel, ein Medium

- Medium als zwischenmenschliche Instanz

- Unterscheide: Primäre, sekundäre, tertiäre Medien

- Zeichen als Ausdrucksformen für Bedeutungsinhalte

- Kommunikationsprozess als Zeichenprozess

- Zeichen stellvertretend für etwas

- Unterscheide: Signale / Symbole

- menschl. Kommunikation als symbolisch übermittelte Interaktion

- In-Beziehung-treten zur Aktualisierung von Bedeutungsinhalten auf das Objekt bezogen

- "Akteure" des Kommunikationsprozesses

--- jemand, der etwas mitteilen will (Kommunikator, Quelle, Sender, Adressant)

--- die Botschaft/Aussage/Mitteilung selbst

--- ein Medium (Transportinstanz)

--- jemand, an den die Botschaft gerichtet ist (Rezipient, Empfänger, Konsument, Adressat)

- Der Prozess selbst

--- kommunikatives Handeln: K(ommunikator) und R(ezipient) treten miteinander in Beziehung

--- Mitteilungshandlung: K packt seine A(ussage) in ein M(edium) und schickt sie zu R

--- Verstehenshandlung: R empfängt und versteht die von K in ein M gepackte A

--- Reziprozität (Gegenseitigkeit): Kommunikation hat erst stattgefunden wenn

1. der R wirklich empfangen und verstehen will (also sind sowohl K als auch R aktiv)

2. Verständnis (=Aussagenteilung) aufgebaut worden ist

2.7. Feedback: Eine Erfolgskontrolle kommunikativen Handelns

System: In ihm werden Dinge/ Sachverhalte als miteinander verbunden gesehen. Dinge besitzen bestimmte

Funktionen.

Input-Output-Modell: Systeme stehen mit ihrer Umwelt in Verbindung. Leistungsaufnahme in Form von Inputs

beeinflussen die Leistungsabgabe an die Umwelt in Form von Outputs usw. Ein Teil des Outputs des Systems

wirkt wieder als Input in dieses System zurück! Feedback (Regelkreis). Für die persönliche Kommunikation (face-

to- face-communication) ist es charakteristisch, dass die Partner ständig ihre Rollen als Kommunikator und

Rezipient wechseln! gegenseitige Kommunikation.

EURICH unterscheidet zwei Formen von Feedback:

• Direkte Rückmeldung: Leserbriefe, E- Mails, Telefon

• Indirekte Rückmeldung: Kündigung eines Abonnements.

Ein Feedback im Massenkommunikationsprozess wird erschwert und verlangsamt. Zudem erreichen die

Rückmeldungen in den seltensten Fällen den Kommunikator. Das wechselseitig aufeinander gerichtete

kommunikative Handeln (Reziprozität) von (mindestens zwei) Menschen gilt als fundamentale Voraussetzung für

die Entstehung und den Ablauf von Kommunikation. Ein Mitteilens-wollen und ein Versehen-wollen setzten

einander voraus, was die Kommunikation zu einem implizit reziproken Prozess macht.

Um den Erfolg von Kommunikation zu kontrollieren bedarf es zunächst einer systemtheortischen Sichtweise.

Dabei ist mit der Betrachtung einer Sache als System gemeint, bestimmte Dinge oder Sachverhalte als

1

Page 11: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

untereinander verknüpft zu betrachten. Diese Systemelemente bekleiden verschiedene, auf das ganze System

gerichtete Funktionen.

Input-Output-Modell: Dieses systemtheoretische Konzept stellt ein System im Kontakt mit seiner Umwelt dar.

Dabei nimmt es eben von seiner Umwelt Inputs auf und gibt Outputs an seine Umwelt ab. Man spricht dabei

auch von einem Blackbox-Modell. Das Wichtige: Ein Teil des Outputs fließt wieder als Input zum System zurück.

Dieser Teil wird als Feedback (Rückkoppelung, Rückmeldung, Rücksteuerung) bezeichnet und macht aus dem

Input-Output-Prozess ein zirkulärer Prozess, ein Regelkreis. Die wiederkehrende Eingangsleistung (Input in Form

von Feedback) ist dabei ein Erfolgsmaßstab für den zuvor ausgestoßenen Output und steuert somit wieder die

Ausgangsleistung (Output).

Man kann dieses Modell auch auf unser zentrales Thema der menschlichen Kommunikation anwenden. Das

Verhalten wird dann auf sein Ergebnis hin untersucht und der Erfolg bzw. Misserfolg dieses Ergebnisses

beeinflusst das zukünftige Handeln. Nicht nur zwischen einem Einzelmenschen (System) und der Gesellschaft

(Umwelt) spielen solche zirkulären Prozesse ab sondern auch zwischen den einzelnen Menschen (System -

System). So ist es wichtiger Bestandteil in der Wechselwirkung von Mitteilen und Verstehen, dass von der Seite

des Rezipienten her auch ein Feedback an den Kommunikator zurückgelangt (Kontrolle der

"Verstehungsleistung" des Rezipienten zur Anpassung der eigenen "Mitteilungsleistung") um den

Verständniserfolg bestätigen zu können. Das Feedback gilt also als Gradmesser für die erbrachten "Mitteilungs-

und Verständnisleistungen".

In diesem Sinne hat der Kommunikator sowohl eine Mitteilungsfunktion als auch eine Funktion der

Feedbackentgegennahme. Auch der Rezipient hat seinerseits zwei Funktionen: die des Verstehens und die der

"Feedbackproduktion".

Das Feedback kann sich äußern in Form von Gestik und Mimik (oder generell nonverbaler Kommunikation),

aber - v. a. in Zweiergesprächen - wird der Rezipient zum Kommunikator und sein Feedback zeigt sich in

Form einer eigenen Mitteilungshandlung. So ist es generell üblich in face-to-face-communications, dass

Kommunikator und Rezipient stetig die Rollen tauschen. Bei häufigem Rollentausch spricht man (also eigentlich

Maletzke) von gegenseitiger Kommunikation im Gegensatz zur einseitigen Kommunikation, wie z. B. bei einem

Vortrag, wo Kommunikator und Rezipient konstant sind. Man spricht bei einer face-to-face-communication, die mit

Rollentausch verbunden ist, auch eine prototypische kommunikative Interaktion.

2.7.1. Massenkommunikation UND FEEDBACK

Nach Eurich lassen sich in diesem Bereich zwei Arten von Feedbacks entdecken:

Direkte, gewollte und meist spontane Rückmeldung: Dazu zählen Leserbriefe, telefonische Reaktionen,

direkte Präsenz bei den Medienproduktionen, aber auch (in)formelle Kollegenkritik oder professionelle, öffentliche

Kritik.

Indirekte Rückmeldungen: Dazu zählen Abonnementskündigung, erhobene Daten aus Medienforschungen

über das Rezeptionsverhalten des Publikums.

Man kann feststellen, dass hier die Feedbackmöglichkeiten im Vergleich zu der Situation bei interpersonellen

Interaktionen ziemlich eingeschränkt sind. Problematisch ist auch, dass die Rückmeldung selten den Adressanten

(also zumeist Journalisten) erreicht. Eine Wechselseitigkeit zwischen Kommunikator (als Individuum betrachtet)

und Rezipient bleibt wohl größtenteils illusionär.

Ein Phänomen, welches sich vor allem seit den 50er Jahren aus der Entwicklung der Massenmedien

herauskristallisierte ist die Einwirkung eines fernsehübertragenen Ereignisses auf das Ereignis selbst. So

kann ein Anlass, der weltweit übertragen wird, allein durch die Medienpräsenz Ausmaße erreichen, die den

Anlass grundlegend umkrempeln. Auch diesen Phänomenen, so genannten "mediatisierten" Ereignissen, liegt

wohl der Feedbackprozess zugrunde. Hierbei stellt sich die Qualitätsfrage eines Ereignisses gar nicht mehr als so

relevant heraus. Was kann uns das Feedback-Beispiel weiteres zeigen: Dass grundsätzliche,

kommunikationswissenschaftliche Konzepte sich nicht unbedingt als universell herausstellen, in diesem Sinne:

als für die Massenkommunikation tauglich.

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Page 12: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Kapitel 3. Das Kommunikationsmedium „Sprache“

Im Mittelpunkt der Betrachtungen dieses Kapitels steht die verbale (sprachliche) Kommunikation. Wobei die

Sprache vor allem in ihrer Eigenschaft als Medium untersucht wird, die dazu dient, Inhalte unseres Bewusstseins

anderen Menschen zugänglich zu machen.

Die Möglichkeiten menschlicher Kommunikation erstrecken sich über zwei Felder:

Sprachliche Kommunikation, die auf den Gebrauch von Wörtern aufbaut

Nonverbale, Extralinguistische Kommunikation, die sich u.a. an leibgebundenen Ausdrucksmöglichkeiten

(Mimik, Gestik, Körperhaltung, Kleidung) ausrichtet Es braucht kaum lange erklärt zu werden, wie die beiden

Felder eng zusammenhängen, und dass das eine ohne das andere nicht geht. Es ist lediglich die Exklusivität,

dass nur dem Menschen die Sprache als Kommunikationsinstrument voll und ganz zur Verfügung steht. In ihrer

Eigenschaft als Medium soll die Sprache dazu dienen, als Bedeutungsträger einer Mitteilung vom Kommunikator

an den Rezipienten zu fungieren. Sprache stellt sich somit als Instrument zwischenmenschlicher

Verständigung heraus.

3.1. Das Problem sprachlicher Verständigung

Verständigung (= konstantes Ziel der Kommunikation; Kapitel 2) liegt vor, wenn der Rezipient eine ihm mitgeteilte

Aussage so versteht, wie sie vom Kommunikator gemeint ist.

Dabei sind drei Dimensionen von zentraler Bedeutung:

1. die semantische Dimension

2. die syntaktische Dimension

3. die pragmatische Dimension

Die semantische Dimension meint die Beziehung zwischen den sprachlichen Zeichen und den

außersprachlichen Gegenständen (= die Bezeichnung, z. B.: ich ordne einem Brett mit vier Beinen die

Wortkombination „Tisch“ zu).

Die syntaktische Dimension meint die Beziehung der Zeichen untereinander (= grammatikalische Regeln, nach

denen Wörter zu kombinieren sind).

Die pragmatische Dimension meint die Beziehung zwischen den Zeichen und ihren Benützern. Die Pragmatik

(= Lehre der Zeichenverwendung) untersucht, wie die semantisch und syntaktisch richtig verwendeten Begriffe

und Wörter von Kommunikator und Rezipient verstanden werden.

Beispiel für pragmatische Dimension:

Franz sagt zu Fritz: „Morgen komme ich.“

Bei der pragmatischen Dimension geht es darum zu erkennen, was der Kommunikator mit seiner Äußerung zu

verstehen geben will. Mit dem Satz, den Franz an Fritz richtet, kann er ihm entweder versprechen, dass er

morgen kommt, er kann ihm drohen oder er kann ihn warnen. D. h. heißt, auch wenn in Bezug auf die

semantische Dimension zwischen Franz und Fritz Verständigung über den Inhalt vorliegt (Fritz weiß, was Franz

mit „Morgen“ und „ich“,… meint) muss dies bei der pragmatischen Dimension nicht gleichermaßen klar sein.

Fazit:

Verständigung zwischen zwei Gesprächspartnern setzt nicht nur eine Übereinstimmung von Sprecher und Hörer

in Bezug auf den semantischen Gehalt sowie die syntaktischen Kombinationsmöglichkeiten sprachlicher Zeichen

voraus; Verständigung erfordert auch eine Einigung über den pragmatischen Verwendungssinn der jeweils

geäußerten Zeichen bzw. Zeichenkombinationen.

Es wird auch von den zwei „Ebenen“ der Kommunikation gesprochen:

- Ebene der Gegenstände, über die man sich verständigt

- Ebene der Intersubjektivität, auf der die Sprecher/Hörer miteinander kommunizieren. Nur wenn beide

Kommunikationspartner im Moment der Kommunikation in gleicher Weise beide Ebenen betreten, kommt

Verständigung zustande.

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Page 13: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Beispiel:

„Ich verspreche Dir, dass ich morgen komme.“

Mit „Ich verspreche Dir, dass…“ wird die intersubjektive Ebene betreten. Man versucht Verständigung in Bezug

auf den Typus des gesetzten Sprechaktes und somit über den pragmatischen Verwendungssinn zu erreichen

(hier = Versprechen).

Mit „…ich morgen komme“ wird die gegenständliche Ebene betreten. Sprecher und Hörer stellen wechselseitig

Klarheit über den mitzuteilenden Sachverhalt (hier = das Eintreffend des Sprechers am darauf folgenden Tag)

her.

Oft wird die intersubjektive Ebene nicht explizit verbalisiert, sondern es wird nur implizit auf die den

pragmatischen Verwendungssinn hingewiesen.

Beispiel:

Im Satz: „Ich komme morgen“ ist nur die gegenständliche Ebene der Kommunikation explizit erkennbar. Die

intersubjektive Ebene ist nicht manifest. Aber sie ist implizit vorhanden.

HaberMaß spricht von der sog. Doppeststruktur solcher Sätze.

Die Schwierigkeit in Bezug auf Verständigung besteht darin, dass der vom Sprecher intendierte pragmatische

Verwendungssinn einer Botschaft vom Hörer erkannt werden muss, wenn er nicht in expliziter Form geäußert

wird. Um Missverständnissen entgegenzuwirken wird das Problem meist über den Einbezug des Kontextes

gelöst, in den eine sprachliche Äußerung eingebettet ist.

Watzlawick (et al. 1969) führte die Unterscheidung eines Inhalts- und Beziehungsaspektes von

Kommunikation ein. Man kann in dieser Trennung eine Parallele zu den oben genannten kommunikativen

Ebenen sehen. In analoger Weise unterscheidet Watzlawick das, was eine Mitteilung enthält, von dem Hinweis,

darauf, wie ihr Sender sie vom Empfänger verstanden haben will: Der Inhaltsaspekt vermittelt die „Daten“, der

Beziehungsaspekt weist an, wie diese „Daten“ aufgefasst werden.

Beispiel nach Watzlawick zum Satz: „Ich komme morgen“:

Franz und Fritz könnten Freunde sein, die sich für den nächsten Tag verabredet haben:

Satz wird als Versprechen aufgefasst.

Franz könnte Steuerprüfer des Finanzamtes sein, der bei Fritz eine Betriebsprüfung durchführen muss: Satz =

Warnung, um allfällige Dinge noch ins rechte Lot zu bringen.

Franz könnte Nachhilfelehrer von Fritz sein: Satz = Aufforderung bis morgen, die gestellten Aufgaben noch zu

erledigen.

D. h. die Art der Beziehung stellt also in gewissem Sinn einen Rahmen für mögliche Sprechakte bereit. Es

treten nicht „bloße“ Personen zueinander in Beziehung, sondern die Person „A“ als Lehrer mit Person „B“ als

Schüler, die Person „X“ als Steuerprüfer mit der Person „Y“ als Firmeninhaber. Deshalb hat jede Kommunikation

einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, wobei der letztere den ersteren bestimmt, im Sinne, dass z. B. ein

Nachhilfelehrer eher über Schulprobleme spricht als über letzte Tennisstunde.

Zusammenfassung:

Sprache

Symbolische Dimension Handlungsdimension

Sätze Äußerungen

(Semantik, Syntax) (Pragmatik)

Ebene der Gegenstände Ebene der Intersubjektivität

(nach HaberMaß) (nach HaberMaß)

Es wird etwas ausgesagt Es wird etwas getan

(= Inhalt) (= ein Sprechakt gesetzt)

Inhaltsaspekt Beziehungsaspekt

(nach Watzlawick) (nach Watzlawick)

Verständigung herrscht, wie wir im vorigen Kapitel zur Genüge gesehen haben, dann vor, wenn die

Bedeutungsinhalten zwischen Interaktionspartnern wirklich geteilt wurden, d. h. wenn R verstanden hat, was K

sagen wollte. Der sprachliche Aspekt stellt sich also nun in den Vordergrund. Dabei gilt es als grundlegend,

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Page 14: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

einige wichtige Grundzüge aus der Semiotik (der Lehre sprachlicher Zeichen) zu betrachten. So gibt es drei

Dimensionen sprachlicher Zeichen:

Die semantische Dimension nimmt Bezug auf die Bedeutung sprachlicher Zeichen und Zeichenfolgen. Sie

untersucht die Beziehung zwischen den Worten/Wörtern und den dazugehörigen "außersprachlichen"

Gegenständen, Ereignissen, Personen.

Die syntaktische Dimension untersucht die Beziehung zwischen den Zeichen und Zeichenfolgen.

Untersuchungsgegenstand der Syntaktik stellt dabei die Grammatik dar.

Die pragmatische Dimension erfasst die Beziehung zwischen den Zeichen und deren Benutzer. So gilt denn die

Pragmatik auch als Lehre von der Zeichenverwendung. Sie hinterfragt die Art und Weise, wie Zeichen

verwendet werden.

Sprache ist ohne jemanden, der sie benutzt, völlig unbrauchbar. Sätze haben keinerlei Relevanz ohne dass sie

von einem Sprecher benützt werden. Diese Tatsache verdeutlicht die Wichtigkeit der Pragmatik in der Sprache -

Funktionalität, die der Sprache ihre Existenzberechtigung gibt.

John L. Austin, ein Sprachforscher, beschäftigte sich intensiv mit der Frage, was wir mit Worten eigentlich tun. Er

gelangte zur Erkenntnis, dass die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung viel mehr ist als die reine

Aufsummierung ihrer einzelnen Wortbedeutungen - so fehlt beispielsweise die Kontextbedeutung in dieser

Aufsummierung. Auch muss man, um die volle Bedeutung einer sprachlichen Äußerung zu erfassen, den Sinn

und Zweck hinter der Äußerung erkennen können.

Auch hat Austin eine Sprechakttheorie entwickelt, die davon ausgeht, dass "eine Sprache sprechen"

gleichbedeutend ist mit "Sprechakte ausführen" und dass diese Sprechakte Kleinsteinheiten sprachlicher

Kommunikation darstellen.

So müssen sich denn Kommunikator und Rezipient nicht nur im semantischen (Wortbedeutungen) und

syntaktischen (Grammatik) Sinne Verständnis verschaffen, sondern besonders im Bereich der Pragmatik. Der

Sinn der Mitteilungshandlung muss ebenfalls (sogar besonders) verstanden werden, sonst hat die

Kommunikation (oder die Ansätze zum Kommunikationsversuch) keine Existenzberechtigung.

Nach Habermas ist dementsprechend Verständigung auf zwei Ebenen relevant:

Auf der Ebene der Gegenstände, wo eine Verständigung über den Sachverhalt angestrebt wird.

Auf der Ebene der Intersubjektivität, wo ein bestimmtes Kommunikator/Rezipienten-Verhältnis ausgedrückt,

verdeutlicht, geklärt wird.

So bietet uns der Satz "Ich verspreche Dir, dass ich kommen werde." zwei Satzteile: Einen intersubjektiven - "Ich

verspreche Dir,..." und einen gegenständlichen "...dass ich kommen werde."

Das Versprechen drückt eine Klärung des Gesprächstypus und der Gesprächsbeziehung auf, währenddem

die Aussage des Kommens reinen Sach-/Informationscharakter besitzt. So bietet die Intersubjektivität auch

eine Bewusstwerdung über die Pragmatik einer Aussage.

Allerdings sind Sprechakte, in denen ausdrücklich die pragmatische Funktion ihrer selbst angesprochen wird,

eher die Ausnahme. Die Pragmatik der Aussage ist implizit im Satz erhalten ohne explizit erwähnt zu werden

("Doppelstruktur umgangssprachlicher Kommunikation" – nach Habermas). Aber des Weiteren müssen nach

Habermas die pragmatischen Motive der Mitteilungshandlung - wenn auch implizit - in jedem Fall in jedem Satz

enthalten sein. Nur ist die Schwierigkeit vorhanden, dass der pragmatische (ungesprochene) Satzanteil vom

Rezipienten als solches erkannt wird (im obigen Beispiel: die Aussage als Versprechen auffassen und nicht als

Drohung - auch wenn nur "ich werde kommen" gesagt wird).

Ausgehend von der Tatsache, dass jeder kommunikativen Handlung auch eine Kontextbezogenheit zugrunde

liegt, die in soziale Zuständen verankert ist, hat Watczlawick eine Unterscheidung eingeführt: Der Inhaltsaspekt

vermittelt die Daten, der Beziehungsaspekt zeigt an, wie diese Daten aufzufassen/zu interpretieren sind. So gibt

in einem Beispiel wie "Morgen komme ich." Der Beziehungsaspekt an, ob es sich beim Sprecher um einen

drohenden Steuerprüfer, einen guten Kollegen oder einen hinweisenden Lehrer handelt. Außerdem zeigt das

Beispiel, dass in jeder Interaktion auch automatisch soziale Positionen interferieren.

In jeder Kommunikation sind die beiden konzipierten Aspekte gemeinsam enthalten, wobei der Beziehungsaspekt

den Inhaltsaspekt bestimmt.

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Page 15: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Sehr relevant sind diese Voraussetzungen bei der Erforschung von Verständnisproblemen. Es ist deshalb auch

Gegenstand und praxisorientiertes Ziel der Kommunikationswissenschaften, sich Einsicht zu verschaffen über die

Ursache von Verständnisschwierigkeiten.

3.2. Sprachbarrieren

Sprachliche Gründe dafür, dass die Verständigung bei Kommunikationsprozessen nicht hergestellt werden kann,

sind sog. „Sprachbarrieren“ (Bandura, 1971). Aufgrund solcher Sprachbarrieren kommt es zu Nicht- oder

Missverstehen zwischen den Kommunikationspartner.

Dieses Nicht- oder Missverstehen kann sowohl auf der gegenständlichen wie auch auf der intersubjektiven Ebene

entstehen.

Gegenständliche Ebene:

Nichtverstehen, wenn Sprecher und Hörer über unterschiedliche sprachliche Zeichenvorräte verfügen (Sprecher

verwendet Wörter, die Hörer nicht kennt, weil sie aus fremden Sprachen oder Fachsprache stammen).

Missverstehen, wenn beide Kommunikationspartner wohl mehr oder weniger gleiche Zeichenvorräte besitzen,

wenn beide Kommunikationspartner aber dennoch unterschiedliche Bedeutungen mit den betreffenden Wörtern

verbinden.

Intersubjektive Ebene:

Nichtverstehen, wenn sprachliche Äußerungen gar nicht als solche erkannt werden. Die Gründe dafür liegen im

Unvermögen des Empfängers die sprachlichen Manifestationen überhaupt zu identifizieren (Bsp.: Blindheit,

Taubheit, oder: für einen Europäer ist es nicht selbstverständlich, fernöstliche Schriftzeichen als solche überhaupt

wahrzunehmen) Missverstehen, wenn die beiden Kommunikationspartner die gesetzten Sprechakte

unterschiedlich interpretieren. Das bedeutet, dass der Hörer den vom Sprecher intendierten pragmatischen

Verwendungssinn der Aussage nicht erkennt (Bsp.: Ich verstehe „Ich komme morgen“ als Drohung anstatt als

Versprechen).

Sprechakte erheblich erschwerende Barrieren sind sprachliche Barrieren. Sie sind die Ursache für die

Unverständnisse und Missverständnisse, welche eine kommunikative Handlung stören.

Gegenständliche Ebene

Intersubjektive Ebene

Liegen auf der gegenständlichen Ebene Unverständnis (Nichtverstehen) vor, so ist dies auf einen

unterschiedlichen sprachlichen Zeichenvorrat und Zeichenfolgenvorrat zu schließen. Sprecher und Hörer

sprechen unterschiedliche Sprachen (Landes- oder berufsspezifische Fachsprachen), Dialekte, Slangs. Allgemein

werden Sprachen, die sich nicht auf eine Nationalität sondern auf eine Interessengruppierung oder eine

Berufsgruppe beziehen, Sondersprachen, genannt. Auf der intersubjektiven Ebene spricht man dann von

Nichtverstehen, wenn sprachliche Zeichen gar nicht als solches erkannt werden, d. h. wenn auch gar nicht die

Absicht der Kommunikation erkannt wird. Dieses Nichtverstehen kann kulturelle oder gesellschaftliche Gründe

haben.

Von einem Missverstehen auf gegenständlicher Ebene spricht man, wenn zwar beide Kommunikationspartner

über einen mehr oder weniger identischen sprachlichen Zeichenvorrat verfügen, aber dennoch mit den Worten

unterschiedliche Bedeutungsinhalte verbunden werden. Diese Diskrepanz kann nur unter Rekurs auf die

unterschiedlichen Lebenserfahrungen der einzelnen Kommunikationsmitglieder erklärt werden. Ein

Missverstehen auf der intersubjektiven Ebene liegt vor, wenn der Rezipient den vom Kommunikator intendierten

pragmatischen Verwendungssinn der Aussage (des Sprechaktes) nicht aufnehmen kann oder ihn falsch

interpretiert. Es sind hier also Differenzen im pragmatischen Zeichenvorrat der Kommunikations-Partner, die eine

Störung darstellen.

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Page 16: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Allgemeines dazu:

Fehlen eines MindestMaßes an Deckungsgleichheit in den Zeichenvorräten

(Gegenstandsebene/Nichtverständnis) Kongruenzmangel nicht nur interkulturell (Fremdsprache) sondern

auch intrakulturell (Fach- oder Sondersprache).

Fehlende Fähigkeit, eine sprachliche Manifestation als solches zu erkennen

(Intersubjektivebene/Nichtverständnis), sei es kulturell (Hieroglyphen, die als lustige Bildchen und nichts Weiteres

betrachtet werden) oder sei es pathologisch (Sinnesbehinderungen, die die Rezeption einschränken) - In diesem

Falle wird sprachliche Verständigung hinfällig und sinnlos.

Mit der Frage der Missverständnisse greifen wir ein kompliziertes Terrain auf. Hier gilt es zu ergründen:

Weshalb gibt es trotz weitgehend identischen Zeichenvorräten Diskrepanzen in der semantischen Auffassung?

Weshalb wird der pragmatische Verwendungssinn der Aussage nicht klar, obwohl beide Kommunikationspartner

über fast denselben Zeichenvorrat verfügen?

3.3. Verständnisrelevante Besonderheiten der menschlichen Sprache

3.3.1. Die verallgemeinernde Kraft der Sprache

Unsere Sprache erlaubt es uns Gegenstände in unserem Bewusstsein zu aktualisieren, von denen wir momentan

gar nicht umgeben sind (Bsp.: Ich sitze hier vor dem Compi und kann mir einen schönen Sandstrand vorstellen,

obwohl weit und breit keiner in Sicht ist). Wir können dies, weil wir in unserem Gedächtnisse Begriffe

abgespeichert haben.

Begriffe sind Klassen von Umwelterfahrungen (Göppner, 1978). Es sind Vorstellungen von der Realität, die aus

der Summe individueller Erfahrungen mit dieser Realität verallgemeinert worden sind. Begriffe sind

grundsätzliche dynamisch, d. h. es ist möglich und wahrscheinlich, dass neue Erfahrungen in das Begriffssystem

der bisherigen Erfahrungen eingeordnet werden, bzw. Dieses Begriffssystem erweitern können. Dieser Prozess

kann ein lebensbegleitender Vorgang sein, d. h. die Begriffsbildung ist bei einer einzelnen Person eigentlich nie

endgültig abgeschlossen.

Prozess der Begriffsbildung:

Die Darstellung zeigt, dass der Mensch aufgrund von Erfahrungen, die er im Zuge der Auseinandersetzung mit

seiner Umwelt macht, Begriffe ausbildet. Diese Begriffe stellen verallgemeinerte Vorstellungen über die Realität

(= Klassen von Umwelterfahrungen), Momente seines Bewusstseins dar, die er mit Hilfe von sprachlichen

Symbolen (=Worten) bezeichnen kann.

Merke: Bei „Erfahrung“ kann das Konzept des symbolischen Interaktionismus integriert werden. (Grundannahme:

die Bedeutungen von Umweltobjekten (Personen, Gegenständen, Zuständen, etc.) sind „soziale Produkte“, d. h.

werden aus den sozialen Interaktionen abgeleitet, die man mit seinen Mitmenschen eingeht).

Zum einen haben Wörter die Funktion, die ihnen zugrunde liegenden außersprachlichen

Gegenstände, Ereignisse, Personen zu repräsentieren. Die Objekte werden so aus ihrer materiellen Existenz

herausgelöst und situations- und zeitunabhängig gemacht, wodurch sie zum Gegenstand geistiger Tätigkeit

werden. So können auch abstrakte Dinge, die als solches gar nicht existieren (wie Wertvorstellungen) in unserem

Bewusstsein aktualisiert werden.

Zum anderen haben Wörter auch die Funktion, Gegenstände zu verallgemeinern und auch

Klassen/Kategorien von Gegenständen festzulegen, die mit demselben Wort bezeichnet werden. So enthält jedes

Wort sowohl das konkrete Exemplar als auch die abstrahierte Kategorie der hier zusammengefassten Dinge. Und

sobald es zur Abstraktion einer ganzen "Dingklasse" wird, kann es auch Gegenstand geistiger Tätigkeit werden.

Eine solche Dingklasse nennt sich auch Begriff, also die Summe der Bedeutungen, die einem Wort zufallen.

Begriffe sind Klassen von Umwelterfahrungen (Göppner). Sie sind also Vorstellungen der Realität, die sich

aus der Summe der Erfahrungen über den sich bildenden Begriff ergeben. So haben Begriffe eine dynamische

Größe - also eine gewisse Dehnbarkeit. Begriffe werden in unserem Bewusstsein stets durch neue Erfahrungen

aktualisiert - zeitlebens.

Ganz speziell zeigt sich die Form von "Begriffsreifung" in der Kindheitsentwicklung, wo primär ja nicht

Sprache kennzeichnend wirkt. Hier kommt auch wieder der Symb. Interaktionismus zum Zug.

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Page 17: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Nach Blumer werden die Bedeutungen von Umweltobjekten (Personen, Gegenständen, Zuständen) "soziale

Produkte" genannt und werden aus sozialen Interaktionen abgeleitet. So wird man also "in einen bestimmten

existenten Satz von sozialen Beziehungen" hineingeboren (Stryker). Aber speziell diese Begriffsbildung des

Kleinkindes im Rahmen seiner ersten Umwelterfahrungen gilt als enorm wichtig, auch wenn die sprachliche

Symbolisierung erst später an Bedeutung gewinnt.

Sprachliche Zeichen dürfen nie losgelöst von ihrer Bedeutung betrachtet werden. Die Sprache muss ihre

verallgemeinernde Kraft auf alle Einzelfälle einer "Dingklasse" ausüben. Die Wurzel der daraus entstehenden

Begriffe ist bei jedem Menschen unterschiedlich.

So lässt sich grundlegend folgendes festhalten. Der Mensch macht eine Erfahrung, bildet sich aufgrund der

Erfahrung einen Begriff über die Sache - im weiteren Sinne klassifiziert er damit seine Umwelterfahrungen.

Schließlich tritt ein den Begriff bezeichnendes Wort an dessen Stelle.

Bisher steht also folgendes fest. Nebst der Funktion der Sprache - Objekte der Realität situations- und

zeitungebunden machen, beziehen wir uns bei der Bezeichnung von Objekten auf Begriffe, auf verallgemeinerte

Klassifizierungen dieser Objekte. Begriffe sind mehr oder weniger individuell gemachte Umwelterfahrungen, die in

unserem Bewusstsein ihren Platz haben. Und die Bedeutung sprachlicher Symbole ist weitgehend von der

Qualität der gemachten Erfahrung abhängig.

3.3.2. Sprache und Realität

Annahme:

Mensch steht im Gegensatz zum Tier mit seiner Umwelt nicht direkt und unmittelbar, sondern durch das Medium

eines künstlichen symbolischen Systems in Berührung (symbolischer Interaktionismus).

Tier Umgebung

Mensch Symbole Umgebung

Mensch U

Erfahrung M

Begriff W

(klassifizierte Umwelterfahrungen)

E

sprachliches Symbol

(Wort) L

T

D. h. Im Hinblick auf Sprache und Realität ergeben sich daraus zwei „semantische Grundpostulate“ (Alfred

Korzybski):

1. Das Postulat der Nicht-Identität (Das Wort ist nicht die Sache, die es bezeichnet)

2. Das Postulat der Unvollständigkeit (Das Wort repräsentiert die Sache nicht zur Gänze) Das Postulat der

Unvollständigkeit meint, dass egal wie gut eine Landkarte ist, das Gelände nie ganz dargestellt werden kann. Es

soll damit ausgedrückt werden, dass wir die Realität nie ganz exakt in Worte fassen können. Das Postulat der

Nicht-Identität hingegen besagt, dass wenn man mit Hilfe von Worten nicht einmal alles über die Wirklichkeit

aussagen kann, dann können die Worte ja auch wohl niemals die „Gegenstände“ sein, die sie bezeichnen.

Fazit:

Sprache kann Realität nicht einem Spiegel gleich reflektieren, sonder immer nur rekonstruieren.

Diese Rekonstruktion ist nicht zufällig sondern entsteht in sozialer Interaktion.

Für diesen Punkt wollen wir uns noch einmal auf den Symbolischen Interaktionismus beziehen: Nach Rose lebt

der Mensch nicht nur in einer natürlichen sondern auch in einer symbolischen Umwelt, was es ihm ermöglichte

sich im Gegensatz zum Tier ein beachtliches Set an bedeutungsvollen Zeichen zu schaffen (animal symbolicum -

Mühlmann).

Währenddem Tiere mit ihrer Umwelt unvermittelt in Wechselwirkung stehen, stellt sich beim Menschen im

Verhältnis zur Umwelt die Symbolwelt dazwischen (Lindmann/Strauss). Die symbolische Umwelt als Ersatz-

Umgebung, als Filter zur natürlichen Umwelt. So wird aus der Projektion der natürlichen Umwelt auf uns selbst

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Page 18: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

nicht bloß eine Reproduktion dieser selbst, sondern stellt eine Rekonstruktion der Welt im Sinne der

Erfordernisse menschlicher Lebensführung dar.

Zwei semantische Grundpostulate:

- Postulat der Nicht-Identität: das Wort ist nicht die Sache, die es bezeichnet

- Postulat der Unvollständigkeit: das Wort repräsentiert die Sache nicht in ihrer Ganzheit. Das zweite Postulat will

uns andeuten, dass gleichgültig, wie viel man über irgendeine Sache, einen Vorgang, eine Eigenschaft oder

irgendetwas anderes aussagt, man nicht alles darüber aussagen kann. Das Postulat der Unvollständigkeit sagt

auch aus, dass das Wort, welches eine Sache ja eben nicht in ihrer Ganzheit erfassen kann, genau aus diesem

Grund auch nicht die Sache selbst sein kann.

Daraus wird der grundlegende Unterschied zwischen Sprache und Realität ersichtlich. Sprache reflektiert die

Wirklichkeit also nicht einfach nur wie ein Spiegel. Sprache rekonstruiert die Realität auf eine dem

menschlichen Sinn entsprechende Weise. Daraus lässt sich erkennen, das sprachliche Zeichen und ihre

Bedeutung auch nicht einfach zufällig entstehen. Und je nach Kultur, Region, Nation wird die Wirklichkeit in der

Sprache unterschiedlich rekonstruiert.

3.3.2.1. Sprachliche Relativität

These der sprachabhängigen Weltsicht:

Menschen in unterschiedlichen (geographischen) Regionen bilden nicht nur unterschiedliche Sprachen aus,

sondern rekonstruieren auch die Wirklichkeit anders (Edward Sapir und Benjamin Lee Whorf).

Sprache determiniert nach Sapir das Wahrnehmen der (Um-)Welt. Indem der Mensch gezwungen ist, die Realität

durch das (symbolische) Filter seiner Sprache zu sehen, kann er nur in jenen Kategorien wahrnehmen und auch

denken, die ihm seine Sprachgemeinschaft anbietet; er kann „nur die Erfahrungen machen, für die seine Sprache

die Begriffe bereithält“ (Pelz, 1975, S.34). = Sprache mit gegenstandskonstituierender Funktion.

Benjamin Whorf formuliert in diesem Zusammenhang das linguistische Relativitätsprinzip, das besagt, „dass

nicht alle Beobachter durch die gleichen physikalischen Sachverhalte zu einem gleichen Weltbild geführt werden,

es sei denn, ihre linguistischen Hintergründe sind ähnlich oder können in irgend einer Weise auf einen

gemeinsamen Nenner gebracht werden“ (ebd.).

Das meist auch als „Sapir-Whorf-Hypothese“ bezeichnete Prinzip der sprachlichen Relativität besagt also, dass

verschiedene Sprachgemeinschaften die außersprachliche Realität auf unterschiedliche Weise erfassen. Die

Lexikalische Inkongruität (= Nichtdeckungsgleichheit im Wortschatz von verschiedenen Sprachen) spricht für die

Sapir-Whorf-Hypothese (Bsp.: für lexikalische Inkongruität: die Japaner haben 8 Wörter für Reis, während wir ein

Wort haben.) Grund: unterschiedliche Zentralität von Reis in unserem und dem japanischen Leben.

Kurz: sprachliche Relativität meint, dass es nicht eine Sprache gibt oder nur ein Wort für jedes Phänomen gibt,

sondern, dass die jeweiligen Kulturen und Subkulturen ihre Sprache entwickeln, die für sie zentral und wichtig ist.

Wichtig: Abb. S.100: Der Zusammenhang zwischen Sprache und Realität ist nach Kenntnis der sprachlichen

Relativität ein wechselseitiger. Einerseits prägt die Umwelt und Erfahrung die Sprache. Andererseits prägt die

auch die Sprache die menschliche Erfahrung und damit das Erkennen der Umwelt.

Sprache = Führerin in die gesellschaftliche Wirklichkeit (Sapir)

Sprache = das Medium des Ausdrucks (Sapir)

Die Anpassung an die Wirklichkeit erfolgt unter großem Einfluss der Sprache. Die "reale Welt" wird somit auf

dem Hintergrund sprachlicher Bedeutungsvielfalt erbaut. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ergibt sich demzufolge

auch aus der Sprache, was für verschiedene Sprachregionen verschiedene gesellschaftliche Wirklichkeiten

bedeutet. So kann ein Mensch auch nur Erfahrungen machen, für die seine Gesellschaft, seine Kultur, die

entsprechenden Begriffe bereithält. Die Sprache konstituiert also die Art und Weise, wie Erfahrungen

gemacht werden.

So stellt nach Whorf die Sprache ein riesiges Struktursystem dar, in welchem Formen und Kategorien kulturell

vorbestimmt sind und aufgrund derer ein Mensch Erfahrungen macht und gemäß derer ein Mensch das Gehäuse

seines Bewusstseins baut. So hat seiner Ansicht nach auch kein Mensch die absolute Freiheit, die Natur mit

völliger Unparteilichkeit zu beschreiben, sondern muss sich auf verschiedene Interpretationsweisen

beschränken, die ihm von der Sprache her gegeben sind.

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Page 19: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

So hat Whorf auch ein linguistisches Relativitätsprinzip formuliert: Es besagt, "dass nicht alle Beobachter

durch die gleichen physikalischen Sachverhalte zu einem gleichen Weltbild geführt werden, es sei denn, ihre

linguistischen Hintergründe sind ähnlich oder können in irgendeiner Weise auf einen gemeinsamen Nenner

gebracht werden."

Verschiedene Sprachgemeinschaften haben also hiernach eine unterschiedliche Auffassung der

außersprachlichen Realität. Sprache - als ein Netz über die Wirklichkeit, wobei die Maschen bei verschiedenen

Sprachgemeinschaften unterschiedlich groß und geformt sind. Als ein Paradebeispiel hierfür gilt die so genannte

lexikalische Inkongruität, die Nicht-Deckungsgleichheit zweier Wortschätze. Eskimos haben beispielsweise viel

mehr Wörter für Schnee und Eis, Chinesen mindestens sieben Bezeichnungen für Reis (und Reisarten). So

erscheint es für die Erfordernisse der Lebensführung der Chinesen dienlich, zwischen geschältem und

ungeschältem, zwischen gekochtem und ungekochten Reis zu unterscheiden und deshalb auch verschiedene

Wörter dafür zu verwenden.

Aber auch intralinguistisch ist die Differenzierung abhängig von den jeweiligen Erfordernissen der Fach- oder

Sondersprache (Bernstein).

So lässt sich also grundsätzlich sagen, dass sich die Sprache der natürlichen Umwelt anpasst. Im Zuge neuer

Erfahrungen, neuer Errungenschaften, neuer Entdeckungen entstehen neue Begriffe und schließlich neue

Wortschöpfungen, die gemäss den neuen Erfordernissen entsprechend differenziert sind.

Zirkulärer Prozess: Umwelt und Erfahrung prägen die Sprache. Aber dieser Prozess ist nicht einseitig. Die

Sprache bestimmt ihrerseits nämlich, wie Erfahrungen über die Umwelt in Zukunft gemacht werden. Zwar bilden

die auf die menschliche Lebensweise abgestimmten Erfordernisse (die aufgrund von Erfahrungen entdeckt

werden) das sprachliche Symbolsystem. Andererseits aber hat die Sprache ihrerseits großen Einfluss auf die Art,

wie die Wirklichkeit erfasst wird.

3.3.2.2. Sprache und soziale Umwelt

Der Soziolinguist Basil Bernstein transponierte die interlinguistische Sapir-Whorf-Hypothese in einen

intralinguistischen Rahmen hinein, d. h. er übertrug die „allgemeine These auf die innerhalb einer Kultur und einer

„National“sprache herrschenden Ungleichheiten. Er geht davon aus, dass der Spracherwerb sowie der

Sprachgebrauch innerhalb einer Gesellschaft bzw. Sprachgemeinschaft von der sozialen Schicht abhängig sind.

Bernstein unterscheidet zwei Sprachvarianten innerhalb einer Gesellschaft die seiner Meinung nach

verschiedenen Schichten zugeordnet werden können:

1. der elaborierter Code (Mittelschicht)

2. der restringierte Code (Unterschicht)

Der elaborierte Code erlaubt individualisierte, nuancierte und abstrakte Mitteilungen, die sprachliche

Repräsentation komplizierter Bedeutungsstrukturen und die jeweilige besondere Ausrichtung der Mitteilung auf

den Empfänger.

Der restringierte Code verfügt über einen nur geringen Wortschatz, enthält häufig feststehende Floskeln und ist

weniger geeignet für differenzierte Mitteilungen. Nach Bernstein ist der restringierte Code defizitär, da ein Mangel

an Verfügungsmöglichkeiten über Symbolmitte besteht. Angenommene Konsequenz: schlechte Schulerfolge,

schlechtere soziale und wirtschaftliche Chancen…

Soziolinguistik: Sprachwissenschaftlicher Richtung die in den 50er Jahren unter der Federführung von Bernstein

entstand. Die Soziolinguistik untersucht Zusammenhänge und Wechselwirkung zwischen der Sprache und der

sozialen Umwelt.

Bernstein seinerseits hat das linguistische Relativitätsprinzip Whorfs auf den intralinguistischen Bereich

ausgedehnt. Er zeigt damit, dass sogar innerhalb einer Sprachgemeinschaft fachsprachenspezifische Gebiete

unterschiedliche Wirklichkeitsauffassungen bewirken.

Arbeiter, die sich untereinander mit einer gewissen Sondersprache (Slang) unterhalten, zeigen auch große

Kongruenzen auf im Denken und Wahrnehmen der Umwelt. Jeder Schicht, jeder Gruppierung, jeder

Berufsgruppe liegen also weitgehend identische Denk- und Gefühlsbahnen zugrunde. Bernstein unterscheidet

zwischen zwei Sprachvarianten:

1

Page 20: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Elaborierter Code, welcher allgemein der Mittelschicht zugesprochen wird und der eine differenzierte

Kommunikation auf der Basis individueller, nuancierter oder abstrakter Themen oder komplexen

Gedankengebilden zulässt.

Restringenter Code, welcher der Unterschicht zugesprochen wird und der das Postulat der Notwendigkeit

vertritt. Er zeichnet sich auch durch eine Syntax und Semantik aus, was allerdings nicht förderlich bedeutsame

Bewusstseinsinhalte auf Beziehungsebene oder Logikebene auszutauschen.

Eine "Begleiterscheinung" der Tendenz zu elaborierter Sprache ist ein zusätzliches Wahrnehmungs- und

Differenzierungsvermögen der Wirklichkeit. So ist laut Bernstein ein restringenter Code mehr nachteilig als

dienlich (Konsequenz: keine schulischen Erfolge, schlechtere Aussichten im Berufs- und Sozialumfeld).

3.3.3. Sprachliche Reflexivität

Man unterscheidet weiterhin 2 Formen sprachlicher Aussagen bezüglich der Selbstreflexibilität der Sprache:

Objektsprache: inhaltliche Aussagen über einen Gegenstand oder Verhältnisse z. B. „Fritz ist ein Vollidiot“

Metasprache: Aussagen über objektsprachliche Sätze

z. B. „Der Satz: , Fritz ist ein Vollidiot’ ,ist falsch.

Die sprachliche Reflexibilität wird teilweise zu den Grundfunktionen der Sprache gezählt.

Das Kleinkind lernt beim Spracherwerb, dass seine Sätze in der Bedeutung und im Gebrauch von Erwachsenen

unterschiedlich sind. In metasprachlichen Äußerungen wird das implizite Wissen um die Reflexibilität der Sprache

zum Ausdruck gebracht.

Metakommunikation ist Kommunikation über bereits stattgefundene oder stattfindende K.. Mittels MK können

wir z. B. Missverständnisse (Ausbleiben von Verständigung) klären. Diese Missverständnisse können sich auf

den Sachverhalt (Gegenständliche Ebene) oder auf den Sprechakt (intersubjektive Ebene) beziehen.

Objektsprache: Sprache, bei der inhaltliche Aussagen über einen Gegenstand gemacht werden, der außerhalb

der Sprache selbst liegt.

Metasprache: Sprache, bei der inhaltliche Aussagen über objektsprachliche Sätze selbst gemacht werden.

Die Existenz der Metasprache verdeutlich das menschliche Bewusstsein, hinter jeder sprachlich geäußerten

Aussage auch den sprachlichen Aspekt selbst zu erkennen und zu entdecken, dass Sprache, in der Aussagen

über Gegenstände gemacht werden, selbst zum Gegenstand einer Diskussion werden kann. Insbesondere

Kleinkinder verfügen über ein außergewöhnliches Bewusstsein zur metasprachlichen Wahrnehmung.

Nach Bock ist Metakommunikation die Form menschlicher Kommunikation, die sich selber thematisiert

und zwar auf der Inhalts- und Beziehungsebene. Sie ermöglicht, durch Kommunikation entstandene Irrtümer

und Missverständisse durch Metakommunikation über diese Kommunikation aus der Welt zu schaffen.

3.4. Zur Diagnose sprachlicher Kommunikationsstörungen

Im Folgenden sollen die Sprachlichen Gründe für das Zustandekommen von Missverständnissen dargelegt

werden.

Nach Göppner ist die Existenz gleicher Kodesysteme zwischen Kommunikator und Rezipient, welche sich eines

sprachlichen Kodes bedienen, Voraussetzung für eine störungsfrei ablaufende Kommunikation. Ist diese

Voraussetzung nicht gegeben, so liegt ein Nichtverstehen vor, in dem Sinne, wie wir es schon weiter oben

fokussiert haben.

Als Missverstehen werden jene Fälle bezeichnet, bei denen trotz gleicher Kodesysteme bei Kommunikator und

Rezipient unterschiedliche Bedeutungen zugewiesen werden oder in denen Diskrepanzen bezüglich des

pragmatischen Verwendungssinn auftreten.

3.4.1. Zum Missverstehen sprachlicher Symbole

Betrachten wir zuerst die gegenständliche Ebene:

Wieso ordnen zwei der gleichen Sprachgemeinschaft angehörige Kommunikationspartner den gleichen

sprachlichen Symbolen unterschiedliche Bedeutung zu?

2

Page 21: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Prozess der Bedeutungszuordnung

1. Im Gespräch werden jedem Interaktionspartner subjektiv klassifizierte Umwelterfahrungen im Bewusstsein

aktualisiert, die durch Begriffe versprachlicht werden (=Symbole). Diese Erfahrungen sind bis zu einem

bestimmten Grad mit dem Symbolgehalt des Gegenübers identisch. Man spricht von sog. Signifikanten

Symbolen. Sprachliche Verständigung kann also nur dann zustande kommen, wenn im Bewusstsein beider

Kommunikationspartner die gleichen Begrifflichkeiten wachgerufen werden.

2. Die Sprache eines Menschen wird aus unterschiedlichen Umwelten einer Gesellschaft geprägt. Einerseits

bildet die nähere Umwelt das Insgesamt der eigene Erfahrungen einer Person. Daraus wir also die spezifische

Persönlichkeitsstruktur entwickelt, die die Wahrnehmung der Wirklichkeit bestimmt. Erfahrungen in der gleichen

Situation, können daher individuell sein. Andererseits bildet die weitere Umwelt, den Einfluss der jeweiligen

Gesellschaft oder soziokulturellen Gruppe. Diese stellt uns die sprachlichen Symbole bereit, mit der wir unsere

Erfahrungen kommunizieren, was eine gewisse Entpersönlichung darstellt (Sprache ist immer

Verallgemeinerung).Nach Luckmann „typisierte Erfahrung“.

3. Infolge der Wechselbeziehung zwischen Sprache und Umwelt werden Missverständnisse aufgrund der

Verwendung unterschiedlicher Codes (elaboriet versus restringiert) verständlich. Aber trotz der Verwendung

gleicher Codes und gleicher Sprache können Differenzen im persönlichen Erfahrungsbereich (Wertesystem,

Lebensstil, Weltanschauung, Lebensalter, Gruppenzugehörigkeit) verantwortlich sein, dass die jeweiligen

Wortrepräsentanten unterschiedlich erlebt werden. z. B. Die Worte Pflichterfüllung, Ordnung und Moral haben für

deinen Großpapi wahrscheinlich andere Bedeutung als für dich.

Für eine Veranschaulichung des Gesagten vgl. Graphik S.114 und Text S.115f.

Missverständnisse auf gegenständlicher Ebene: Hierzu muss man den Grund herausfinden, weshalb

Kommunikationspartner derselben Sprachgemeinschaft sprachlichen Symbolen unterschiedliche Bedeutungen

zuordnen. Dabei steht der Moment der Bedeutungszuordnung in einer Kommunikation im Mittelpunkt. Dieser

Moment stellt den Zeitpunkt dar, an dem die subjektiv klassifizierten Umwelterfahrungen - d. h. die aufgrund

persönlicher Erfahrung gemachten Begriffe - im Bewusstsein aktualisiert werden. Die Begrifflichkeiten müssen

also in einer Sprachgemeinschaft bis zu einem gewissen Grad identisch sein, damit "man vom gleichen spricht".

Deshalb kommt Verständigung auch nur zustande, wenn mit den aktualisierten Begriffen ähnliche/gleiche

Erfahrungen verknüpft sind. Nach G.H. Mead ist ein solches auf gleicher Begrifflichkeit basierendes Zeichen ein

signifikantes Symbol. Sprache als ein "soziales Erbe", welches eben mit der Gesellschaft in Wechselwirkung

steht stützt die Existenz solcher signifikanten Symbole. Signifikante Symbole nimmt ein Kind auf, indem es die

Sprache, das Verhalten, die Gebräuchlichkeiten seiner Gesellschaft kennenlernt.

Als ein engerer gesellschaftlicher Kreis bildet sich hier die nähere Umwelt heraus, der Teil des Umfelds, auf den

das Individuum in seinem Denken und Handeln unmittelbar Einfluss haben kann.

All diese Sozialisationsprozesse, welche ihren Auslöser in der Wahrnehmung haben, haben ihrerseits wiederum

großen Einfluss auf die Wahrnehmungsqualität, so dass es quasi unmöglich (da unnötig) ist, dass zwei

Kommunikationspartner aufgrund ihrer Erfahrungswerte von gleichen Begrifflichkeiten ausgehen.

Unter einem soziokulturellen Aspekt ist aber auch nicht die weitere Umwelt zu vernachlässigen. Sie ist

schließlich Träger des sozialen Erbes und kein weniger relevanter Einflussfaktor auf unsere Erfahrungswerte -

wenn auch auf weitgehend indirekter Weise. So entsteht durch Gebrauch der Sprache eine weitgehend

allgemeine, nicht mehr subjektive Erfahrungsweise.

Berger und Luckmann sprechen dabei von einer typisierten Erfahrung, einem kleinsten gemeinsamen Nenner

innerhalb einer Sprachgemeinschaft (im strengen Sinne natürlich altersabhängig). Und niemand kann dem

Gebrauch solcher typisierter Erfahrungen entgehen. Vielmehr werden beim Mitteilen von Bedeutungsinhalten

subjektiver (also untypisierte) Natur typisierte Symbole kombiniert. So ist es relativ schwer, diese Symbole

und Symbolkombinationen zu dekodieren, besonders wenn der Rezipient nur über einen restringierten,

undifferenzierten Code verfügt und die ihm zugeführten Bedeutungsinhalte elaboriert codiert sind.

Ganz speziell sind die Probleme, wenn zwar sowohl eine Gleichheit in Bezug auf das Codesystem als auch eine

Ähnlichkeit im Hinblick auf die Sprachvarianten vorherrscht, aber dennoch unterschiedliche Bedeutungen mit

einem Symbol verbunden sind. So bestehen dort Differenzen im persönlichen Erfahrungsbereich der beiden

Kommunikationspartner - man redete aneinander vorbei - der Erfahrungsschatz, auf den sich die

2

Page 22: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Symbolzuordnung zu Bedeutungen gründet, wird beeinflusst durch soziokulturelle Faktoren wie

Lebensstil, Weltanschauung, gesellschaftliche Wertsysteme.

So werden beispielsweise zu drei Stichzeitpunkten vor dem 1. Weltkrieg, während des 2. Weltkriegs und der Zeit

nach dem Krieg mit Ordnung, Pflichtbewusstsein, Moral jeweils andere Bedeutungsinhalte angesprochen. So

wurden die Begriffe im NS-Deutschland ganz bestimmt zweckentfremdet, weswegen sie auch als Symbole für die

Kriegsgeschädigten in ein Vokabular der Unmenschlichkeit einzustufen sind.

Zusammenfassend lässt sich nun folgendes aussagen: Jeder Mensch lebt zunächst in seiner näheren Umwelt, d.

h. er aktualisiert Bedeutungsinhalte aufgrund subjektiver Erfahrungen. Nur bedient er sich dazu eines

Symbolvorrats der typisiert, d. h. der Sprachgemeinschaft als ganzes zugänglich ist.

Schließlich werden diese Symbole mit den aus den Erfahrungsschätzen produzierten Bedeutungsinhalten

beladen. Sprache ermöglicht es also, andere Leute an den eigenen subjektiven Erfahrungen teilhaben zu lassen.

Das Problem: Da wie schon erwähnt, eben subjektive Bedeutungsinhalte geteilt werden, aber bei Verständigung

signifikante Symbole von nöten sind (d. h. gleiche oder ähnliche Begrifflichkeiten zwischen Rezipient und

Kommunikator). kann der Anspruch von einer 100% korrekten Verständigung nicht erfüllt werden. Auf inhaltlicher

Ebene gibt es auf jeden Fall ein Missverständnis - ein großes oder ein unscheinbares.

3.4.2. Zum Missverstehen sprachlicher Handlungen

Im Folgenden werden nun Missverständnisse der intersubjektiven Ebene aufgezeigt. Es gilt hier zu klären, welche

Faktoren die Bedeutung einer sprachlichen Handlung bestimmen.

Sprachliche Handlungen dürfen niemals isoliert betrachtet werden. Sie sind immer in konkrete soziale Prozesse

integriert und daher niemals kontextunabhängig. Dieser Kontext in den eine sprachliche Handlung eingebettet ist,

besitzt eine individuelle und eine gesellschaftliche Perspektive.

Individuelle Perspektive: hier ist die Art des Verhältnisses der beiden Kommunikationspartner entscheidend.

Der Beziehungsaspekt (Watzlawick) beeinflusst das gegenseitige Bild, den Inhalt und somit die möglichen

Sprechakte

Gesellschaftliche Perspektive: der Sprechakt-Kontext definiert sich durch die wechselseitigen Erwartungen und

dem jeweiligen Wert- und Normgefüge. Durch die wahrgenommene soziale Position des Gegenübers wird

wechselseitig die Kommunikationssituation definiert. Im Laufe unserer Sozialisierung haben wir gelernt,

bestimmte Kommuniaktionssituationen zu unterscheiden, was unsere Sprechakte und deren Interpretation

beeinflusst.

Siehe Graphik S.119 Abb.14: Die Kommunikationssituation

Nur wenn diese Kommunikationssituation von beiden Kommunikationspartnern in gleicher Weise definiert wird,

kann Verständigung über den pragmatischen Verwendungssinn der gemachten Aussage zustande kommen.

Bei Missverständnissen auf intersubjektiver Ebene liegt eine Diskrepanz der beiden Kommunikationspartner vor,

die den pragmatischen Verwendungssinn unterschiedlich interpretieren. Es gilt also festzulegen, nach welchen

Faktoren sich ein Sprechakt aufbaut Damit der pragmatische Verwendungssinn einer Aussage richtig verstanden

wird, muss die Aussage im Kontext der Umwelt geäußert werden, in der die kommunikative Handlung stattfindet.

So sind sprachliche Handlungen auch erst aus dem Kontext heraus verstehbar. Hier unterscheidet man zwei

verschiedene Perspektiven:

Individuelle Perspektive: Sie betrachtet die Pragmatik dermaßen, dass das persönliche Verhältnis der beiden

Kommunikationspartner im Mittelpunkt steht. So ist hier nicht nur der Inhalt kommunikativer Interaktion sondern

auch die Palette möglicher Sprechakte gegeben. Diese wird eingeschränkt durch die soziale Position der

Kommunizierenden. Die soziale Position setzt auch die Qualität der Kommunikation, die Art, wie man mit dem

Gegenüber kommunizieren muss und die Erwartungen, welche man vom Gegenüber hat, fest.

Gesellschaftliche Perspektive: Mit den Erwartungen ist aber auch schon die gesellschaftliche Perspektive

angesprochen. So stehen hier wechselseitige Erwartungen und die sie bildenden Norm- und Wertgefüge im

Mittelpunkt.

Auch die in einer Sozietät bestehenden Handlungsmaximen (Werte) und Verhaltensregeln (Normen) gelten

als elementares Rüstzeug eines jeden, welches auch via Sprache weitergegeben wird. So stützen sich auch

unsere pragmatischen Kommunikationserwartungen auf dieses Rüstzeug.

2

Page 23: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Auch wird nicht einfach nur die Bedeutung von Worten gelernt, sondern auch der Umgang mit denselben. Und

dieser Umgang bezieht sich auch auf den Kommunikationspartner. Treten nun zwei Personen kommunikativ in

Verbindung, so beeinflusst dieses normativ vorgeprägte Verhältnis die Wahl und Interpretation der Sprechakte.

Person A setzt einen Sprechakt, Person B interpretiert ihn - dann kehrt sich die Situation um. Dieser

wechselseitige Prozess verursacht bei A ein Bild von B und bei B ein Bild von A. Durch diese Projektionen

werden die sozialen Positionen wahrgenommen. Insgesamt wird also die ganze Kommunikationssituation in

seiner Pragmatik definiert. Schließlich werden die vom soziogenen Wert- und Normgefüge geprägten

Erwartungen aktiviert. Man kennt die Art, auf welche die Kommunikation ablaufen wird z. T. schon im Voraus.

BEISPIEL: So werden sich Lehrer (A) und Schüler (B) durch die Definition der Kommunikationssituation - z. B.

Nachhilfeunterricht - darüber klar, worin die Pragmatik der ganzen Kommunikation liegen wird; und dies dank

ihrer Kenntnisse über die Norm- und Wertgefüge ihrer Gesellschaft. Schon wenn gerade die

Kommunikationssituation nicht richtig interpretiert wird, kann sich schnell ein Missverstehen bilden. Auch sehr

wichtig ist, dass der Schüler den Lehrer in seiner sozialen Position erkennt und umgekehrt.

Die Definition der Kommunikationssituation setzt also zweierlei Dinge voraus: Zum einen die Realisation der

jeweiligen sozialen Position und der Bezug zum Norm- und Wertgefüge.

Verständnis über den pragmatischen Verwendungssinn setzt wiederum eine gleiche Definition und

Interpretation der Kommunikationssituation voraus. Missverstehen tritt also dann auf, wenn die

Kommunikationssituation unterschiedlich gedeutet wird.

3.4.3. Sprachliche Kommunikation: Ein Modell ihrer Implikationen und deren Konsequenzen

Das Model S.122 hat den Anspruch die Sprachbarrieren auf beiden Ebenen (gegenständlich und intersubjektiv)

zu erfassen. Zugleich sollen Möglichkeiten zu Reduktion von Missverständnissen ablesbar sein.

Ausgegangen wird von einer Gesprächsituation zwischen „Alter“ und „Ego“. Es wird der gesellschaftliche Einfluss,

ihre persönliche Erfahrung und ihr von der Umwelt geprägtes Verhalten in die Kommunikationssituation

eingebracht. Die linke Hälfte der Graphik gilt als gegenständliche Ebene (Verständigung über den Sachverhalt).

Rechts ist die intersubjektive Ebene zu erkennen (Kommunikationssituation wird definiert).

Fazit:

Verständigung als das Ergebnis einer erfolgreich ablaufenden kommunikativen Interaktion glückt nur in

dem Maße, in welchem beide Kommunikationspartner über geteilte Erfahrungen und damit über eine

gemeinsame Sprache sowie ein übereinstimmendes Wert- und Normgefüge und damit über einander

entsprechende Verhaltenserwartungen verfügen.

Ego und Alter treten durch sprachlich vermittelte Aussage als Kommunikator und Rezipient (wechselnd) in eine

kommunikative Beziehung - sowohl auf inhaltlicher als auch auf intersubjektiver Ebene.

Inhaltliches Ziel ist die Verständigung über den Sachverhalt, über das Objekt, wichtigste Voraussetzung dafür

ist ein auf Erfahrungsschatz begründeter, signifikanter Symbolvorrat. Als inhaltliche Folge kommunikativen

Handelns erfolgt eine Aktualisierung der Symbolbedeutungen und somit der Erfahrungen (quasi rückkoppelnd

auf den Verursacher) Intersubjektives Ziel ist die Verständigung über den pragmatischen Verwendungssinn,

die wichtigste Voraussetzung dafür ist eine übereinstimmende Situationsdefinition., welche ihrerseits abhängt

von einem Maß an gleiche Werten und Normen und einem Maß an gegenseitigen Erwartungen im Hinblick auf

die soziale Position. Als intersubjektive Folge kommunikativen Handelns erfolgt eine Aktualisierung der

Erwartungen an das gegenseitige Verhalten.

Fazit: Verständigung als das Ergebnis einer erfolgreich ablaufenden kommunikativen Interaktion glückt

nur in jenem Maße, in welchem beide Kommunikationspartner über geteilte Erfahrungen und damit über

eine gemeinsame Sprache sowie ein übereinstimmendes Wert- und Normgefüge und damit über einander

entsprechende Verhaltenserwartungen verfügen.

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Page 24: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Reduktion von Missverstehen lässt sich somit mit dem Begriff der "Verständnisoptimierung" gleichsetzten und ist

durch die vier folgenden Maßnahmen zu erreichen:

- MindestMaß an Wissen um die individuellen Erfahrungen des alter

- Sensibiliät für den Symbolvorrat des alter

- Kenntnis des Wert- und Normgefüges des alter

- Kenntnis der Verhaltenserwartungen des alter

3.4.4. Das Nachrichtenquadrat

Schultz von Thun verknüpft zwei theoretische Traditionen in seinem Modell. Bühlers Organon-Modell, indem die

Darstellungs- und Symbolfunktion, die Ausdrucks und Appellfunktion betont wird, und dem Beziehungsaspekt

menschlicher Kommunikation, vom Watzlawick und Co. Die Konsequenz daraus bildet das Nachrichtenquadrat.

Eine Nachricht enthält vier Seiten bzw. vier Botschaften:

1. den Sachinhalt: Gegenständliche Ebene

2. den Beziehungsaspekt: Tonfall und Art der Formulierung sagen aus was man vom Gegenüber hält

3. Selbstoffenbarung: Jede Mitteilung ist eine „Kostprobe der eigenen Persönlichkeit“

4. Appell: Jede Mitteilung hat beim Empfänger eine Appelfunktion, d. h. mit der Mitteilung will etwas bewirkt

werden. Der Sender will Denken oder Handeln beeinflussen.

Das Bild vom Quadrat zeigt also dreierlei:

a. Eine Nachricht ist in ihrer Klarheit vierdimensional

b. In ein und derselben Nachricht sind viel Botschaften gleichzeitig

c. Alle 4 Aspekte sind gleichrangig (4 gleichlange Seiten)

Das Vierohren Modell (Schultz von Thun 1994, S45) verdeutlicht das Nachrichtenquadrat auf der Empfängerseite.

Durchdenke folgende Situation als Beispiel: Hans sitzt neben Martina im Auto. Sie lenkt das Auto. Wartend vor

einer Ampel sagt Hans: „ Es ist grün!“

3.5. Exkurs: Wissenschaftssprache

Missverständnisse zwischen Kommunikationspartner treffen wir auch in den Wissenschaftssprachen an.

Verschieden Wissenschaften haben eine unterschiedliche Terminologie.

Durch die eindeutigen Termini, die mittels Definition eindeutig festgelegt werden, versucht man jene

Sprachbarrieren der gegenständlichen Ebene zu vermeiden. Die Termini können aus der eigenen oder einer

Fremdsprache stammen, können der Alltagssprache entnommen oder künstlich geschaffen sein. Die

Verwendung eines Begriffes kann also in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedlich sein (vgl. „Arbeit“ in

der Physik oder der „Soziologie“). Ziel einer Definition ist einerseits die klare Begriffsverwendung sowie Aussagen

zu kürzen. Üblicherweise beansprucht das Definiendum (Symbol) eine geringere Zeichenanzahl als Definiens

(Vorstellungsinhalt).

Bei der Frage nach der Gültigkeit einer Definition unterscheidet man:

Realdefinition: Die Definition ist dann gültig wenn das „Wesen“, die „Natur“ des Definiens vollständig erfasst

wird. Dies ist entweder wahr oder falsch, d. h. Realdefinitionen haben einen Wahrheitswert.

Nominaldefinitionen: Haben keinen Vollständigkeitsanspruch, sonder sind lediglich zweckmäßige Konventionen

(Festsetzung über die Verwendung Sie haben keinen Wahrheitswert, können aber zweck- oder unzweckmäßig

sein.

<!-- Alle in diesem Buch versuchten Begriffbestimmungen sind Nominaldefinitonen -->

Vor allem in verschiedensten Wissenschaftssprachen wird dem Missverständnis durch spezielle Methoden

vorgebeugt. Eine Wissenschaftssprache verfügt deshalb im Gegensatz zur Alltagssprache über eine

Terminologie, über ein Set von Symbolen (=Termini), deren Bedeutung feststeht. Durch Festsetzungsdefinitionen

innerhalb einer Wissenschaft - gilt als allgemeingültig innerhalb der Profession - wird einer missbräuchlichen

Verwendung eines Begriffes vorgebeugt.

So besitzt der Begriff "Arbeit" in der Physik eine andere Bedeutung als in der Soziologie. Genauso, wie der Begriff

"Medium" in der Chemie anders definiert wird als in der Kommunikationswissenschaft. So gilt die Definition als

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Page 25: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

das Werkzeug zur Entscheidung, dass ein bestimmtes sprachliches Zeichen nur noch in einer bestimmten Weise

verwendet werden darf.

Man unterscheidet hierbei zwischen der Realdefinition, welche darauf aus ist, das Wesen, die Natur einer

Sache, eines Tatbestandes voll zu erfassen - und zwar in ihrer Ganzheit, währenddem die Nominaldefinition

lediglich festsetzt, wie ein sprachlicher Begriff verwendet wird. Die Richtigkeit von Realdefinitionen ist ganz klar

feststellbar - die Nominaldefinition kann lediglich für zweck- bzw. unzweckmäßig befunden werden.

Realdefinitionen haben ihre Gültigkeit also über die einzelnen Wissenschaften hinaus, währenddem

Nominaldefinitionen wissenschaftsspezifisch sind.

Kapitel 4: Kommunikation und menschliche Existenz

Die Fähigkeit zur Kommunikation ist sowohl aus phylogenetischer (=evolutionäre Entwicklung bis zur heutigen

Gattung Mensch) als auch als ontogenetischer (=individuelle Entwicklung jedes Menschen innerhalb seinen

Lebens) Sicht ein fundamentaler Bestandteil des Mensch-Seins.

Hierbei ist vor allem von der symbolisch vermittelten Interaktion die Rede, insbesondere der Sprache, welche den

Menschen ja auch durch die Fähigkeit zur Metakommunikation von der restlichen Tierwelt abhebt.

Ausgangslage: Kommunikation als menscheigene conditio sine qua non, sowohl im phylogenetischen Sinne (in

der Menschwerdung vom Tier), als auch im ontogenetischen Sinne (Reifungsprozess der individuellen

Persönlichkeit -> Sozialisation). Zweiteres richtet sich nach der Frage, wie Kommunikation den Prozess der

Persönlichkeitsgenese begünstigt. So steht hier vor allem die humanspezifische Kommunikationsfähigkeit im

Mittelpunkt.

4.1. KOMMUNIKATION ALS ANTHROPOLOGISCHE GRUNDKONSTANTE

Phylogenetische Betrachtung der Kommunikation

Evolution wird hier als ein langsam fortschreitender Entwicklungsprozess begriffen, dessen Ziel die optimale

Anpassung eines Lebewesen (resp. seiner Population) an die gegebenen Umweltbedingungen.

Die ersten Hominiden bevölkerten, im Gegensatz zu den Affen, von denen sie sich in der Entwicklung

abgespalten hatten, die großen Ebenen und ernährten sich nun von tierischer Nahrung. Dieser Wandel zum

Jäger und die damit nötigen Jagdstrategien regte die geistige Aktivität und die Vergrößerung des Gehirns an, was

ihnen auch gestattete, echte Werkzeuglichkeit auszubilden. Die Fähigkeit, Werkzeuge zu fertigen, anzuwenden

und mit diesen auch wieder neue Werkzeuge herzustellen setzt schon ein großes Maß an Abstraktionsfähigkeit

voraus. Unter anderem auch das Bedürfnis zur Tradition der Herstellungs- und Funktionsweise dieser Werkzeuge

trug wahrscheinlich zur Entwicklung von Sprache bei. Mit dem Auftauchen der Sprache kam in der Entwicklung

des Menschen eine weitere Dimension hinzu: zu der genetischen Konstitution des Menschen, welche bisher

alleine dessen Bedürfnisse gegenüber der Umwelt definierte, kam von nun an die

kulturelle Evolution. Sprache, zuerst noch Resultat der biologischen Evolution, wurde zur Voraussetzung der

kulturellen Evolution und damit Voraussetzung zum Mensch-Sein.

Mit der Entwicklung einer Sprache wurde auch die Organisation sozialer Netze ermöglicht: Auf der Jagd konnten

sich die Männer differenziert verständigen und (im Gegensatz zur kooperativen Jagd im Tierreich) auch den

Status der Mitglieder je nachdem flexibel anpassen. Es entstanden erste soziale Normen.

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dahingehend, dass er keine festgelegte artspezifische Umwelt hat. Eine

solche fehlende Spezialisierung ist eigentlich ein Mangel, und der Mensch als eigentliches „Mängelwesen“ kann

nur dann überleben, wenn er diese Schwächen durch Schaffung von Kultur, Veränderung seiner Umwelt und

soziales Handeln kompensiert. Der Mensch schafft sich seine Natur selbst und macht sich selbst zu dem, was er

ist.

Ontogenetische Betrachtung der Kommunikation und Sozialisation

Im zoologischen Vergleich zu den restlichen Wirbeltieren kommt der Mensch ein Jahr zu früh und äusserst

unfertig auf die Welt. Deshalb wird das erste Lebensjahr eines Menschen von manchen auch als „extrauterines

Frühjahr“ bezeichnet. Nicht fähig zu Kommunikation oder Fortbewegung, ohne nennenswerte genetische

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Page 26: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Verhaltensdeterminanten und völlig von seiner Aussenwelt abhängig, (insbesondere von seinen Eltern) ist der

Säugling auf andere Menschen angewiesen um jene Fähigkeiten und Verhaltensmuster zu lernen, welche ihn

menschlich machen. Dadurch, dass ein Säugling für sein Überleben unbedingt die Zuwendung seiner

Mitmenschen braucht, wird der Beginn der Sozialisation sichergestellt. Außerdem entwickelt sich die Soziabilität

(=Abhängigkeit von und Ausgerichtetsein auf andere Menschen und die Fähigkeit, sich sozialen Gegebenheiten

anzupassen), welche für das Leben in einer Gesellschaft unerlässlich ist.

Der biologischen Geburt folgt eine zweite, soziokulturelle Geburt:

Die Sozialisierung (=Persönlichkeitsentwicklung im Hinblick auf das menschliche Umfeld) umschreibt einen

Lernprozess, der mit der biologischen Geburt beginnt, zeitlebens andauert und erst durch den Tod abgebrochen

wird.

Ramstedt: Evolution = allmählich fortschreitende Veränderungen in Struktur und Verhalten der Lebewesen, so

dass die Nachfahren andersartig als die Vorfahren werden.

Wir kennen parallel dazu die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Deshalb steht für uns die Frage im

Mittelpunkt: Inwiefern hat sich humanspezifische Kommunikation im Rahmen der Evolution als Vorteil

herausgestellt und welche Selektionsfaktoren waren an ihrer Bildung beteiligt? Klar ist, dass die Evolution

nur den Menschen mit Fähigkeiten wie begrifflichem Denken, verbaler Kommunikation und sprachlicher

Wissensakkumulation ausgestattet hat.

Vor 20 Mio. Jahren: Die Hominiden (Menschenartigen) treten auf. Wälder verlassen, bevölkerten sie nun die

offene Landschaft. Nahrungswechsel (nun auch tierische Nahrung); Bipede Fortbewegung; Jagdtechniken;

gesteigerte geistige Aktivität; Entwicklung von Werkzeuglichkeit (an Abstraktionsfähigkeit gebunden);

Notwendigkeit zur Tradition (Weitergabe) des technologischen Wissens; dazu wird Kommunikation, Sprache

nötig; Sprache entsteht...

Sobald die Sprache nun also entsteht (quasi als evolutionäre Konsequenz), entwickelt sie nun eine gewisse

Eigendynamik und wird zur Voraussetzung für weiteres... sie wird zum Zündkolben für das, was allgemein als

kulturelle oder gesellschaftliche Evolution verstanden wird, als Triebfeder für die Kultivierung des Menschens,

für seine Optimierung nicht mehr nur im biologischen Sinne, sondern auch im geistigen Sinne. So tritt an die

Stelle des Gens das Symbol. Sprache gilt hierbei als evolutionäres Universalium.

Als wichtigster Auslöser für die Entwicklung der Sprache und der Werkzeuglichkeit werden die ersten Formen

der Arbeit betrachtet. So gilt die kooperative Jagd als eine spezifische Art gesellschaftlicher Produktion, für die

Sprache und Werkzeuglichkeit von nöten waren. Schließlich mussten die Jäger - um einen Mammut mit

bestmöglicher Strategie zu fangen – untereinander interpersonal kommunizieren können. Unterließen sie es ,

untereinander zu kommunizieren, so ergaben sich als logische Folge evolutionsspezifische Nachteile für die

Jagdgruppe.

Ein weiteres Merkmal aus dieser frühen Menschheitsgeschichte ist die Bildung mehrerer sozialen

Schichtungen. Währenddem Tiere eindimensionale Hierarchisierungsprinzipien haben (Leittier,...), beginnen

sich in der menschlichen Gesellschaft mehrere Dimensionen der Hierarchisierung zu bilden (Frauen/Männer -

Jagdleiter/... - Häuptling/...). Soziale Normen entstehen.

Nach Habermas müssen sich drei Bedingungen - welche ihrerseits Sprache voraussetzen - erfüllen, bevor soziale

Normen entstehen können. Erstens müssen die Interaktionspartner die Teilnehmerrolle durch die

Beobachterrolle tauschen können. Zweitens müssen sie über einen Zeithorizont verfügen.

Drittens müssen sie die Notwendigkeit von Sanktionsmechanismen (auf Grundlage von Norminterpretation)

akzeptieren.

Habermas nimmt an, dass Arbeit und Sprache älter sind als Mensch und Gesellschaft. Er sieht deshalb als

Grundvoraussetzung für die Entstehung von Gesellschaft die Sprache. So wird also die symbolisch vermittelte

Interaktion auch im phylogenetischen (anthropogenen) Sinne äusserst wichtig.

Sprache brachte also die Möglichkeit mit sich, soziale Normen, Kultur, Denk- und Handelsweisen entstehen zu

lassen und zu erhalten (d. h. tradieren). So ist nach HaberMaß der Weg vom Tier zum Menschen sowohl durch

biologische, wie auch kulturelle Entwicklungsmechanismen bestimmt.

Menschwerdung gilt also nicht als Ursache sondern als Folge kultureller Leistungen, als Konsequenz

jahrmillionenlanger Bewusstseinsleistungen.

2

Page 27: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Hier stellt sich die Frage, weshalb sich beim Menschen Sprache herausgebildet hat und beim Tier nicht. Im

Gegensatz zum Tier ist der Mensch nicht zwangsläufig an eine ökologische Nische gebunden, an ein ihm von der

Natur zugewiesenes Terrain, an das er sich instinkitv hält. Der Mensch ist als erster Freigelassener der Natur ein

Mängelwesen, der in Bezug auf körperliche Leistungsmerkmale ziemlich undifferenziert in der Welt steht. Als

Antwort auf diese Mängel bildeten sich beim Menschen andere Qualitäten: Sprache, begriffliches Denken,

Erfahrungstradition, Kulturbildung. Der Mensch verändert arbeitend seine Umwelt - er handelt sozial. Der

Mensch kultiviert seine Umwelt und schafft sich so seine zweite Natur - die Kultur. Der Mensch wird erst zu dem

sich selbst behauptenden Wesen erst, wenn es eigene Bemühungen dazu in Gang setzt und seine

Undifferenziertheit durch Kultur kompensiert.

Nun kommen wir zur ontogenetischen Perspektive der Menschwerdung. Der Zoologe Portmann erkannte, dass

der Mensch aufgrund seines geringen Zerebralisationsgrades bei der Geburt zu diesem Zeitpunkt noch eng

physisch und emotional von den Eltern abhängig ist. Er bezeichnet den Menschenfall deshalb als

physiologische Frühgeburt (im zoologischen Sinne) und sieht das erste menschliche Lebensjahr als

extrauterines Frühjahr. Der Mensch wird als Lernwesen geboren, welches weitgehend ohne angeborene

Verhaltensweisen oder Instinkte verfügt. Menschliche Verhaltensweisen werden weitgehend im Laufe

ontogenetischer Entwicklung erworben. Aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit, ist der Mensch im extrauterinen

Frühjahr (und später natürlich auch) darauf angewiesen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

In dieser Phase bildet sich auch die Soziabilität, die Anlage zur Geselligkeit, die Möglichkeit, Fähigkeit und

Notwendigkeit des Angewiesenseins auf andere, die Formbarkeit durch soziale Einflüsse, der Fähigkeit zur

Anpassungen an andere soziale Gegebenheiten. Die Soziabilität ist also Grundlage der menschlichen

Erhaltung und Entfaltung und Grundvoraussetzung für die Sozialisation eines Menschen.

4.2. SOZIALISATION UND KOMMUNIKATION

Sozialisation = Prozess der ontologischen Menschwerdung; Prozess der Individualisierung und

Vergesellschaftung zugleich. So entwickelt sich nach modernen soziologischen Konzepten das Individuum

auch nicht gesellschaftfrei. Sozialisation als Persönlichkeitsgenese in Abhängigkeit der Umwelt. Individuelles und

soziales Lernen (also eigentlich Sozialisation) halten ein Leben lang an. Der Mensch als Produkt von zu

reifenden Anlagen und Umwelteinflüssen. Der Mensch wird nicht nur duch die biologische Geburt zum

Menschen, es bedarf auch einer soziokulturellen Geburt.

4.2.1. SOZIALISATIONSTHEORETISCHE POSITIONEN

Geulens fünf Dimensionen

Anthropologisch-funktionalistisches Modell: Betrachtet unter dem Aspekt der Erfüllung vitaler Bedürfnisse

des Menschen. Soziale Ader als Ergänzung zum lebenserhaltenden, biologischen Rüstzeug. Natur des

Mängelwesens "Mensch". Sozialisation als Notwendigkeit zur biologischen Lebenserhaltung. Soziabilität als

Kompensation für fehlende körperliche Anlagen, sich in der Natur zu behaupten.

Wissensmodell: Mensch handelt auf der Grundlage von Bedeutungen der Dinge, die generalisiert als "Wissen"

betrachtet werden können. Der Mensch ist imstande, dieses Wissen sprachlich zu vermitteln. Sozialisation als

Prozess, Wissen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit über Sprache (und deren Symbole) aufzunehmen.

Integrationsmodell: Mensch als Rollenbündel, als Sammelsurium vieler gesellschaftlicher Erwartungen, als

Fleischwerdung gesellschaftlicher Einflüsse, Mensch wird in die Gesellschaft integriert.

Repressionsmodell: Entpersönlichung der Menschen - Individualität und Freiheit gehen in der Allgemeinheit

sozialer Rollen verloren. [1. Variante] - Ein unterdrücktes Ich liegt dieser Entpersönlichung zugrunde. [2. Variante]

- Die zu verdrängende Variable ist das Ensemble menschlicher Triebe. Sozialisation als Verinnerichung

gesellschaftlicher Instanzen, welche dem eigentlichen Ich im kognitiv-psychologischen oder im trieblich-

biologischen Sinne entgegenstehen.

Individuationsmodell: Gesellschaft als Voraussetzung für die Menschwerdung des Menschen. Sozialisation

fördert die Individualitäts- und Selbst-Bewusstseinsbildung (nach Mead die Bildung des "self").. Nur durch

Interaktion wird der Mensch zu einem selbstbewussten Individuum. Gesellschaft (auch im Sinne des Autors) nicht

als notwendiges Übel sondern als elementare Grundvoraussetzung für ontogenetische Menschwerdung.

Menschliche Subjektivität ist ohne soziale Umwelt faktisch nicht möglich.

2

Page 28: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Anthropologisch-funktionalistisches Modell

Konzeptionen dieser Gruppe sehen Sozialisation als eine notwendige Ergänzung der unzureichenden

biologischen Fähigkeiten des Menschen an. Die Sozialisation sichert das Überleben und kompensiert die

Schwächen des „Mängelwesens“ Mensch. (Vertreter: Gehlen, Durkheim, Malinowski)

Wissensmodell

Das gesellschaftliche Miteinander wird in diesem Modell als Voraussetzung für die menschliche, intentionierte

Handlungsorientierung gesehen. Im Rahmen der Sozialisation wird Wissen (vor allem sprachlich) über die

gesellschaftliche Wirklichkeit bzw. die Welt vermittelt, welche das Verhalten entsprechend prägen.

(Vertreter: Schütz, Berger/Luckmann, Mead)

Integrationsmodell

Bei diesen Modellen ist das Hauptaugenmerk auf eine Persönlichkeitsentwicklung gerichtet, welche das

Individuum zu einem Abbild seines Umfelds macht und es so in die Gesellschaft integriert. Das Individuum ist ein

Persönlichkeitssystem, welches durch die Verinnerlichung der äusseren Normen im übergeordneten System

völlig aufgeht. (Vertreter: Parson, Geissler)

Repressionsmodell

Diese Sichtweise geht davon aus, dass Sozialisation Teil eines Prozesses der Verinnerlichung gesellschaftlicher

Instanzen ist, welche teilweise der „ursprünglichen“ Individualität des Menschen widersprechen. In der ersten

Unterart dieser Konzeptionen wird hierbei das ursprünglich autonome Ich unterdrückt, beim zweiten Typ

bestimmte organisch fundierten Triebe. (Vertreter: Darendorf, FREUD)

Individuationsmodell

In diesem Modell wird die Sozialisation als der Prozess der gesellschaftlichen Vermittlung von Individualität

betrachtet, in Zuge dessen sich Selbst-Bewusstsein und Identität erst bilden können. Sozialisation ist also eine

Voraussetzung zur Individualisation.

4.2.2. EXKURS: DIE "SOZIALE ROLLE"

Soziale Rolle = Summe von Verhaltenserwartungen, die dem Inhaber einer sozialen Position von anderen

Menschen entgegengebracht werden.

Hier ist der Begriff "Position" als Ort im differentierten sozialen Gefüge zu begreifen, an dem sich ein Mensch

befindet und diesen als Funktionsträger innerhalb der Gesellschaft qualifiziert. Rollen beziehen sich also immer

auf Positionen und nicht auf die dahinterstehenden Menschen. So besitzt jeder Mensch mehrere Rollen, in die er

täglich, je nach sozialem Environment schlüpft um die spezifischen Erwartungen desselben zu erfüllen.

Erwartungen im Rahmen sozialer Interaktion stehen also im Mittelpunkt der Betrachtung des Begriffes der

sozialen Rolle. Soziale Rolle als stetig wiederkehrende Verhaltens"forderung".

Ob diese Verhaltenserwartungen erfüllt werden können, hängt ganz davon ab, ob im Rahmen des

Sozialisationsprozesses der entsprechenden Person ein intensives Kennenlernen von Verhaltensmustern in

Bezug auf eine soziale Rolle stattgefunden hat. Man spricht dabei – und allgemein beim Verinnerlichen von

Verhaltensmustern - von Internalisierung. Man ist sich schließlich nicht mehr bewusst, dass man in einem

komplexen Gefüge sozialer Rollen steht. Man ist sich auch nicht bewusst, dass man sich den

Verhaltenserwartungen seiner Umwelt anpasst.

Neben der inneren Kontrolle der Einhaltung sozialer Rollen gibt es auch eine äussere Kontrolle. Die der

Sanktionen aufgrund vorgefallener Erwartungsverletzungen. Als Sanktionen werden die Mittel einer

Gesellschaft zur Einhaltung ihrer Vorschriften bezeichnet. Es gibt aber nebst den negativen Sanktionen (z. B.

Gefängnisstrafen) auch positive Sanktionen (z. B. Orden).

Das Komplex der sozialen Rollen eines Menschen in der Gesellschaft ist vergleichbar mit der eines

Schauspielers in einem Theaterstück. Beide geben etwas wieder, was außerhalb ihres natürlichen Selbst

liegt. Und das was sie wiedergeben ist ein Komplex an Verhaltensweisen. Weiter geben sie als Teil des

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Page 29: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Ganzen ihren Beitrag. Zudem sind ihre Verhaltensweisen erlernt und beschränken sich nicht nur auf die

Möglichkeit einer einzigen Rolle.

Ein wesentlicher Unterschied besteht lediglich darin, dass der Schauspieler nach dem Stück seine Maske

niederlegt und wieder sich selbst ist, währenddem der Rollenträger in der Gesellschaft stetig soziale Rollen

bekleidet. Soziale Rollen bilden nämlich ein fundamentaler Bestandteil seiner Realität. So befindet sich das

"Self" (Meadf) des Menschen nicht erst hinter all diesen sozialen Rollen.

Das Ensemble der sozialen Rollen stellt vielmehr das "Self" gerade dar - auch im Sinne des Symbolischen

Interaktionismus.

Exkurs: Zum Begriff der „sozialen Rolle“

Unter dem Begriff der sozialen Rolle ist eine bestimmte Position im sozialen Beziehungsgefüge gemeint, die

unabhängig von der Person, die diese Position besetzt, bestimmte Verhaltensforderungen und –Erwartungen für

jene mit sich bringt. In diesem Sinne bedeutet Sozialisation eigentlich nichts anderes als die Übernahme und

Internalisierung von Rollen und deren Verhaltensmustern. Durch diese Verinnerlichung wird das automatische

Erfüllen der gesellschaftlichen Erwartungen vereinfacht. Neben dieser „inneren Kontrolle“ der Gesellschaft über

menschliches Verhalten gibt es auch eine zweite Instanz in Form von Sanktionen. Darunter sind die Reaktionen

der Gemeinschaft auf rollenkonformes, bzw. rollendeviantes Verhalten zu verstehen (es gibt positive und negative

Sanktionen, z. B.: Anerkennung und Verachtung). Je wichtiger die Rolle, so stärker und mächtiger werden auch

die Sanktionen ausfallen.

Im Gegensatz zu einer Rolle, die ein Schauspieler spielt, legt ein Mensch in der realen Welt seine soziale Rolle

nicht einfach ab und zeigt dann sein wahres Gesicht. Die sozialen Rollen sind ein integraler Bestandteil seiner

Persönlichkeit.

4.2.3. SOZIALISATION ALS SYMBOLISCH-INTERAKTIONISTISCHES GESCHEHEN

George Herbert Mead: Amerikanischer Philosoph und Soziologe; geistiger Vater des symbolischen

Interaktionismus.

Der Symbolischer Interaktionismus sieht den Menschen als ein in gegenseitigen Interaktionen befindliches

Wesen, welches nicht einfach nur in physikalischen Gesichtspunkten auf Umwelteinflüsse reagiert, sondern dies

auf der Basis subjektiver Interpretationsleistungen tut und sich so seine symbolische Umwelt schafft. Des

weiteren geht die Perspektive davon aus, dass das Kind kein geborener Mensch ist, aber dennoch die

besten Anlagen hat, es zu werden. Sozialisation ist also im Rahmen des Symbolischen Interaktionismus also

der Prozess, in welchem sich Menschen im Verlaufe sozialer Interaktionen Symbolsysteme aneignen, ihre

Umwelt dann damit interpretieren aber auch nach einer Zeit ein "Selbst-Bewusstsein" erhalten. Die

Beziehung Individiuum - Umwelt stellt sich also über das Medium "Symbol" her und kommt nicht unvermittelt

zustande. Die Bedeutung eines Gegenstandes der Umwelt auf das Individuum richtet sich danach, wie andere

Individuen in Bezug auf diesen Gegenstand handeln. Und dazu sind nun einmal Interaktionen nötig um diese

Abklärungen zustandekommen zu lassen.

Symbolisation - Mead geht davon aus, dass Objekte - im bezug auf ihren Sinn - vor der Definition oder

Bedeutungszuteilung gar nicht existent sind. Erst durch unser Handeln, welches sich an der Umwelt

ausrichtet, werden die Umwelt und all ihre Objekte kategorisiert.

Die sich daraus ergebende symbolische Umwelt ist stark kulturspezifisch. Je nach Kultur (=Set der Denk- und

Handlungsweisen einer Sozietät) wird die Auswahl an "symbolisierten" Objekten determinert und werden die

einzelnen Objekte in ihrer Bedeutungsqualität vorbestimmt.

Was aber in Bezug auf die uns umgebenden Objekte stimmt, trifft auch auf uns selbst zu. So wie Objekte für

mich persönlich dadurch ihre Bedeutung erhalten, wie andere mit ihnen umgehen, so stellt sich mein Ego

mir selbst so dar, wie andere sich in Bezug auf mein Ego verhalten, wie sie mich be-handeln . Dazu muss

ich allerdings imstande sein, in die Haut des anderen zu schlüpfen um seine Perspektive von mir zu erfassen.

Das Schlüpfen in andere, nicht-eigene Rollen ist eine grundsätzliche Fähigkeit, welche man von früh auf hat (vgl.

Rollenspiele der Kinder) und dient nicht primär dazu, eben diese anderen Rollen kennenzulernen sondern um das

"self" zu erfassen. Später dehnt sich diese Fähigkeit noch aus: das Kind vermag dann, gleichzeitig in die Rollen

vieler anderer zu schlüpfen, d. h. beispielsweise Spielregeln zu beachten, die allen anderen auch zugeschrieben

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Page 30: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

sind. Mead nennt diese erweiterte Fähigkeit auch, die Rolle des verallgemeinerten anderen einnehmen zu

können, d. h. Einsicht zu gewinnen über die Haltung einer ganzen Gruppe. So erweist sich denn das Schlüpfen in

die Rolle anderer als grundlegend bei der Entwicklung des Selbst. Als das Selbst wird nämlich die Weise

bezeichnet, auf die sich ein Mensch in seinen Beziehungen mit anderen sieht.

So werden denn Haltungen anderer auf das eigene Verhalten interpretiert und ettikettiert. Es bildet sich ein so

genanntes Spiegel-Ich, wo die Haltung anderer eben das eigene Verhalten widerspiegelt.

Jedes Selbst setzt sich des weiteren aus verschiedenen Identitäten zusammen, wobei sich nicht zwischen

eigenen und fremden Identiäten unterscheiden lässt. So gelangt ein Mensch durch soziale Erfahrungen, welche

er sich durch Interaktion angeeignet hat und welche er dazu verwendet, Identitäten zu entwickeln um zu seiner

Selbstdefinition gelangen zu können.

Das I und das Me (nach Mead)

Das Me repräsentiert den virtuellen Perspektivenwechsel ins Alter um das Ego zu betrachten. Das I hingegen

stellt die Rückkehr ins Ego dar, verbunden mit den Konsequenzen des Verhaltens, bedingt durch neue

Erkenntnisse, welche in der Alter-Perspektive gemacht wurden. Das I gilt als spontane Instanz des Handelns.

Nach Mead ist der Erwerb des Selfs ein lebenslang andauernder und nie endender Prozess.

Der Symbolische Interaktionismus (nach Mead)

Dieses Konzept ist vorrangig dem Individuationsmodell zuzurechnen (und teilweise dem Wissensmodell). Der

Hauptgedanke des SI ist, dass der Mensch mit seiner Umwelt in einer echten Interaktion steht. Er reagiert nicht

bloß auf die ihm vorgegebene (physikalische) Umwelt, sondern erschafft sich im Gegenzug eine zweite,

„symbolische“ Umwelt, indem er bestimmte „Dinge“ (Personen, Gegenstände, Zustände, Verhaltensweisen, etc.)

mit Bedeutungen und Sinn belegt. Indem der Mensch selbst Teil dieser symbolischen Umwelt wird, kann er sich

selbst und sein eigenes Verhalten interpretieren und damit seine „eigentliche“ Geburt vorantreiben.

Sozialisation wird als die Aneignung solcher Symbolsysteme im Zuge sozialer Interaktion verstanden, mit deren

Hilfe die Umwelt interpretiert und Selbst-Bewusstsein erlangt werden kann. Durch unser Handeln im Hinblick auf

unserer Umwelt kategorisieren wir sie und gliedern sie in bedeutungsvolle Abschnitte (=Symbolisation).

Hierdurch werden bedeutungsvolle Objekte geschaffen, welche außerhalb des Kontexts der gesellschaftlichen

Beziehungen, nie hätten existieren können. Auch hat jeder Kulturkreis seine eigene, spezifische Kategorisierung,

welche die natürliche Umwelt bereits vorgliedert und in hohem Maße die Menge der Objekte und die Qualität der

ihnen zugeordneten Bedeutungen vordeterminiert. Genauso wie wir die Bedeutung von Objekten durch die

Handlungen und Interaktionen von und mit anderer ableiten, so interpretieren wir das Verhalten der uns

umgebenden Menschen im Bezug auf uns selbst und schließen daraus, was wir selbst für unsere

Interaktionspartner darstellen, „bedeuten“. Zu diesem Zweck übernehmen wir (mental) die Position unseres

Gegenübers und betrachten uns so von aussen, als Objekt. Dies ist die Voraussetzung zur Entwicklung des hier

so genannten „Selbst-Bewusstseins“(was wörtlich zu verstehen ist). Ein weiterer wichtiger Schritt in der

Entwicklung eines Selbst ist die Fähigkeit zur Verallgemeinerung der Positionen der anderen. Kann man sich

nämlich in die generalisierten anderen hineinversetzen, so nimmt man Bezug auf die ganze Gruppe/Gesellschaft.

Es wird klar, was „man“ zu tun hat und was „man“ von einem erwartet.

Sogar das Selbst an sich kann sich laut diesem Konzept nur in der Interaktion mit anderen entwickeln. Dadurch,

dass man mit vielen verschiedenen Erwartungen konfrontiert wird ergibt sich die Gelegenheit sich durch

Perspektivenübernahme aus vielen verschiedenen Blickwinkeln zu sehen, entsprechend zu handeln und zu

urteilen (Cooley spricht hierbei vom „Spiegel-Ich“, bei dem die Haltungen und Reaktionen unserer

Interaktionspartner uns gegenüber unsere Selbstdefinition beeinflussen).

Mead selbst benutzte die Terminologie „Me“ (für das objektivierte Selbst, die Gesamtzahl aller sozialer Rollen des

Individuums) und „I“ (als die direkte Antwort des Organismus auf die Umwelt, Quelle neuer Handlungsweise und

nicht eigentlich objektivierbare Instanz der Persönlichkeit) Unter dem Begriff der Geste versteht Mead jede

Regung eines Organismus (motorisch, mimisch oder Vokal), welche als Reiz auf ein anderes, dem selben

Verhaltenskontext zugehörigen Lebewesen wirkt. Eine solche Interaktion ist noch als unbewusst anzusehen,

weshalb sie auch bei der Begegnung von Eltern und Kind zu finden ist. In dieser Interaktion durch Gesten

zwischen Eltern und Kind sieht Mead nun aber den Beginn der Kommunikation, denn für das Kind erhalten seine

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Page 31: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Gesten durch die Reaktion seiner Eltern eine Bedeutung, es sieht was sein Verhalten auslöst, interpretiert so die

Bedeutung seines eigenen Verhaltens und ist am Ende fähig, diese Gesten gezielt einzusetzen.

Löst eine solche Geste nun bei beiden interagierenden Individuen das gleiche aus, so spricht man von einem

signifikanten Symbol, welches somit durch die beidseitig übereinstimmende Interpretation symbolische

Kommunikation ermöglicht. Diese Übereinstimmung zeichnet sich nach Mead auch dadurch aus, dass die

Verwendung des Symbols auch im Subjekt selbst die Haltung hervorruft, die er in seinem Gegenüber hervorrufen

möchte. So ist Sprache eigentlich eine vokale Geste, die dazu neigt, sowohl im Sprechenden wie im Zuhörer

dieselbe Haltung hervorzurufen. Das Subjekt nimmt damit automatisch auch die Position des Gegenübers ein und

sieht sich selbst dadurch wieder als Objekt! Somit ist der Gebrauch solcher signifikanter Symbole (mit ihrer

innerhalb der Gruppe geteilter Bedeutung) im Rahmen interpersonaler Kommunikationsprozesse eine elementare

Bedingung zur Entwicklung seines Selbst. Denn nur durch solche Kommunikation ist es möglich, sich selbst nicht

nur als „I“, sonder auch gleichzeitig aus der Perspektive des Partners als „Me“ wahrzunehmen.

Somit ist der Mensch gewisserMaßen dazu Gezwungen zu Kommunizieren! Er ist im Gegensatz zu anderen

Lebewesen „unfertig“ geboren und muss durch kontinuilerichen Erwerb seines Selbst seine „eigentliche

(menschliche) Geburt vorantreiben und bedarf dazu der kommunikativen Begegnung mit anderen Menschen.

Der Mensch, so wie er sich heute darstellt, wäre also (sowohl aus phylogenetischer als auch aus ontogenetischer

Sicht) ohne die Fähigkeit zur symbolischen Kommunikation undenkbar.

4.2.3.1. SELBST-GENESE UND KOMMUNIKATION

Welcher Stellenwert besitzen jene sozialen Verhaltensweisen, die auf das Mitteilen von

Bedeutungsinhalten ausgerichtet sind?

Als Schlüssel zur Erklärung der Entstehung von Geist, Bewusstsein und Identität aus einfachen Prozessen der

Kommunikation sieht Mead die so genannte Geste. Dabei ist dieser Begriff klar definiert als jede Regung des

Organismus die als Reiz auf andere in den selben Handlungskontext einbezogene Personen wirkt. So sind diese

Gesten zunächst unbewusst geäußert (beim Kleinkind) - Aber durch ihre Äußerung entsteht die erste Form von

Kommunikation - eine unbewusste Geste. Die Geste als einzige Möglichkeit sich seinen Eltern mitzuteilen, ohne

sich irgendwie über deren Reaktion im Klaren zu sein, erhält schließlich durch die Reaktion der Eltern eine

Bedeutung für das Kind. Ein schreiendes Kind, das Hunger hat, und das diesen Eindruck des Hungers auch bei

den Eltern wachruft, bedient sich also nun eines signifikanten Symbols, welches von beiden Seiten begriffen wird

- Kommunikation in seiner frühesten Form. Schließlich entsteht die Form der Vokalen Geste, der Sprache. Das

Verfügen über bzw. das Verwenden von signifikanten Symbolen bringt eine Verhaltensweise hervor, in der das

Individuum für sich selbst ein Objekt wird, weil die Rolle das anderen im Augenblick des Gebrauchs derartiger

signifikanter Symbole auch in ihm selbst gegenwärtig ist. Eben weil signifikante Symbole mit anderen geteilte

Bedeutungen aktualisieren, machen sie zugleich auch die Perspektive dieser anderen dem kommunikativ

Handelnden selbst gegenüber deutlich. Diese Ausführungen verdeutlichen den "Zwang zur Kommunikation".

Kapitel 5

ZIEL: Bedeutung der modernen Massenkommunikation näherbringen

Der Begriff "Massenkommunikation" scheint veraltet zu sein. Die Kommunikation mit den Maßen ist längst

nicht mehr der Fall... Vielmehr entwickelt sich die Tendenz zur "Zielgruppenkommunikation" - zu einem

Spartendenken. Burkart hält die Abschaffung des Begriffes "Massenkommunikation dennoch für überflüssig:

Erstens aus praktischen Gründen. Ein in die WIssenschaftssprache schon jahrelang eingebetteter Begriff lässt

sich nur schwer aus der Terminologie entfernen.

Zweitens aus inhaltlichen Gründen. Bei näherer Betrachtung nämlich tut man dem Begriff Unrecht an, indem

man ihn als nicht zeitgemäß, als anachronistisch bezeichnet. Die beiden Wortbestandteile umreißen nämlich

einen Prozess in seiner Struktur...

5.1. ZUR KLÄRUNG EINES BEGRIFFES:

Die Bezeichnung „Maße“ im Terminus „Massenkommunikation“ soll weder Massenpsychologische noch

kulturhistorische Assoziationen wecken. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass sich die hier zu

vermittelnden Aussagen an eine Vielzahl von Menschen richten. Diese Vielzahl von Menschen stellen sich für

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Page 32: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

den Kommunikator als unüberschaubar (keine direkte Interaktion möglich), heterogen (bekleiden eine Vielzahl

sozialer Positionen) und anonym dar.

Anstatt von "Maße“, kann man von einem dispersen Publikum sprechen.

Darunter versteht man einzelne Individuen oder kleine Gruppen, deren verbindendes Charakteristikum darin

besteht, dass sie sich einem gemeinsamen Gegenstand –den Aussagen der Massenmedien- zuwenden.

Disperse Publika sind keine überdauernde soziale Gebilde, zudem existieren in der Regel keine

zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen ihren Gliedern. Sie sind vielschichtig inhomogen, unstrukturiert

und unorganisiert.

Unter Massenkommunikation soll jeder Prozess verstanden werden, bei dem Aussagen öffentlich (ohne

begrenzte oder definierte Empfängerschaft), indirekt (bei räumlicher, zeitlicher od. raum-zeitlicher Distanz zw. den

Kommunikationspartnern) und einseitig (ohne Rollenwechsel), durch technische Verbreitungsmittel

(Massenmedien) an ein disperses Publikum vermittelt werden.

Massenmedien oder Massenkommunikationsmittel sind all jene Medien, über die durch Techniken der

Verbreitung und Vervielfältigung mittels Schrift, Bild und/oder Ton optisch bzw. akustisch Aussagen an eine

unbestimmte Vielzahl von Menschen vermittelt werden (Flugblatt, Plakat; Presse, Buch, Radio, CD/DVD, Film,

TV, Internet).

Es existieren unterschiedliche Auffassungen über das Verhältnis von Massenkommunikation zu Kommunikation.

Beim Massenkommunikationsprozess wenden soziale Gruppen technische Vorrichtungen an, um einer Gruppe

von Menschen symbolische Gehalte zu vermitteln. Sie stellen darauf ab, anderen Menschen etwas mitzuteilen

und wollen ihnen zu diesem Zweck bestimmte Botschaften verständlich machen. Damit verfolgen sie das, der

allgemeinen Intention entsprechende, konstante Ziel kommunikativen Handelns, d. h. sie versuchen

Verständigung – und damit: Kommunikation (!) – zwischen sich und den potentiellen Rezipienten herzustellen. Es

erscheint somit angemessen, diese sozialen Gruppen als „Kommunikatoren“ und deren Aktivitäten als

„kommunikatives Handeln“ zu bereifen. Von Massenmedial vermittelter Kommunikation soll aber nur dann

gesprochen werden, wenn das, was ein Kommunikator mitteilen will von den jeweiligen Rezipienten seiner

Aussage auch so verstanden wird wie es gemeint war (Prinzip der impliziten Reziprozität).

Das jeweilige Interesse des kommunikativ Handelnden bzw. das variable Ziel (die Realisierung dieses Interesses)

ist eine weitere Besonderheit Massenmedial verbreiteten kommunikativen Handelns. Sie ist in einer

Übergewichtung des situationsbezogenen Interesses zu vermuten. Bei öffentlichen (allgemein zugänglichen)

Aussagen wird es vom inhaltsbezogenen Interesse dominiert. Diejenigen, deren kommunikatives Handeln infolge

seiner Massenmedialen Verbreitung öffentlichen Charakter gewinnt, schöpfen bereits aus diesem Umstand eine

zentrale Motivation zur Produktion von Aussagen. Kob spricht von einer „Attraktion der Publizität“, die

Kommunikator wie Rezipient vorrangig zum Handeln bringt. Verschiedene Interessen sind im Spiel: das Interesse

an eigener Publizität, das Interesse zu publizieren, das Interesse des „Publikums“ am publik Gemachten.

Maß communication (engl) ® Massenkommunikation (dt.)

Wer ist die Maße? - Ein soziales Aggregat? Die Summe der aus der modernen Industrialisierung resultierenden

"Massenmenschen" im "Massenzeitalter"? "Massenmenschen" im Sinne charakterlicher, kognitiver, ästhetischer

und ethischer Verarmung?

Mit diesen Assoziationen geht man aber - so Burkart - schon viel zu weit. Massenkommunikation soll im Sinne

verstanden werden, dass die zu vermittelnden Aussagen sich an eine Vielzahl von Menschen richten - eine

Vielzahl, die folgende drei Merkmale aufweist:

Heterogenität

die Rezipienten bekleiden eine Vielzahl sozialer Positionen

Anonymität

die einzelnen Rezipienten sind dem Kommunikator unbekannt

Unüberschaubarkeit

zahlenmäßig so groß, dass eine face-to-face-communication unmöglich ist. Besser als den Begriff "Maße" für die

Gesamtheit der Rezipienten zu verwenden ist es, den Terminus "Publikum" - im Sinne Maletzkes den Terminus

"disperses Publikum" zu verwenden, ein Publikum, dass sich demselben Gegenstand - den Aussagen der

Massenmedien - zuwendet.

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Page 33: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Disperse Publika entstehen und vergehen von Fall zu Fall - sie sind keine fixen sozialen Gebilde. Die

räumliche Distanz zwischen den einzelnen Rezipienten sorgt des weiteren dafür, dass diese keine

zwischenmenschlichen Beziehungen zu den anderen Rezipienten pflegen (außer jene kennen sich zufällig).

Disperse Publika sind zudem weitgehend inhomogen, d. h. nicht an eine bestimmte soziale Schicht oder an eine

Lebenseinstellung gebunden und weisen keine Rollenspezialisierung und -differenzierung auf.

Wie lässt sich der bisher verwendete Begriff der "Kommunikation" auf dem Hintergrund des Terminus

"Massenkommunikation" wirklich als das definieren, wie wir es bisher getan haben? Die Unterschiede liegen klar

auf der Hand. Bei der Massenkommunikation gibt es im Gegensatz zum klassischen Bedeutungsset der

Kommunikation keine face-to-face-communication, des weiteren herrscht eine räumliche Distanz (weswegen

auch nur sekundäre und tertiäre Medien zum Einsatz kommen) und drittens besteht die Möglichkeit einer raum-

zeitlichen Trennung. Schließlich fehlt auch noch der kommunikationsspezifische Rollentausch zwischen

Rezipient und Kommunikator. Maletzke spricht bei der Massenkommunikation deshalb von "indirekter

Kommunikation" - im Hinblick auf den fehlenden Rollentausch ist auch der Begriff der "einseitigen

Kommunikation" üblich. Attribute, die der Massenkommunikation zukommen, sind also Öffentlichkeit,

Indirektheit und Einseitigkeit - nicht zu vergessen ist der notwendige Zugriff auf technische Hilfsmittel.

Massenmedien = all jene Medien, über die durch Techniken der Verbreitung und Vervielfältigung mittels

Schrift, Bild und/oder Ton optisch bzw. akustisch Aussagen an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen

vermittelt werden.

Flugblatt, Plakat, Presse, Buch, Hörfunk, Schallplatte, Film, Fernsehen, Kassette, Bildplatte, Satellit, Computer.

Aber nicht jede Technologie, sei sie auch noch so wegweisend als potentielles neues Massenmedium, muss in

einen sozialen Prozess integriert werden und gesellschaftlich nutzbar sein.

Wie kann nun der Begriff der "Massenkommunikation" definitiv der Kategorie "Kommunikation" zugeordnet

werden? Wir finden Kommunikatoren vor, die die allgemeine Intension (konstantes Ziel), nämlich

Verständigung in der Mitteilung verfolgen. Das Verstehenwollen als kommunikatives Handeln seitens der

Rezipienten ist eine weitere Voraussetzung, damit Massenkommunikation als Kommunikation gelten darf (die

implizite Reziprozität als Merkmal beidseitigen kommunikativen Handelns). Das Verständigungsziel muss also

von beiden Seiten verfolgt werden. Verständigung gilt auch hier als Hauptkriterium für geglückte,

Massenmediale Kommunikation - der Erfolg kann jedoch erst a posteriori festgestellt werden.

Was die spezielle Intension kommunikativen Handelns angeht ist ein starkes Gewicht seitens

"Situationsbezogenheit" und nicht "Inhaltsbezogenheit" festzustellen. Allein durch die Tatsache der

Massenmedialer Verbreitung der Mitteilung gewinnt das Motiv der Situationsbezogenheit an Bedeutung. So

gewinnt denn auch das Motiv der Selbstdarstellung (im Rahmen der Situationsbezogenheit) oftmals eine grössere

Rolle.

Kob unterscheidet hier folgendermaßen:

Interesse an der eigene Publizität « Interesse zu publizieren (Informationsmotiv) und sieht auch ein, dass die

beiden Motive (der Selbstdarstellung und der Information) durchaus kombiniert sein können. So können informell

auch eigene Interessen vertreten.

Massenkommunikation kristallisiert sich als ein kommunikatives Geschehen aus, das aber nicht zwangsläufig

zur Kommunikation werden muss (nur wenn es im Sinne unserer Kommunikations-Definition glückt).

Es bleibt in diesem Sinne die Frage, ob mit der zunehmenden Etablierung neuer Medien (vorwiegend WWW)

immer noch von einem Publikum (im Rahmen der Massenkommunikation) sprechen kann. Die Tendenz in

diesem Bereich ist nämlich die Individualisierung der Informationsbereitung. Das Internet ist so vielschichtig,

dass es fraglich erscheint, bei den wenigen Besuchern einer der Millionen Websites von einem dispersen

Publikum zu sprechen.

Anderer Fakten sprechen wiederum dagegen, dass das Publikum als solches untergehen wird.

Beispielsweise erwiesen sich verschiedenste Thesen zur schwindenen Beliebtheit des Fernsehens als nichtig.

Und man darf davon ausgehen, dass trotz unterschiedliche Medieninhalte das Publikum noch lange

existieren wird.

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Page 34: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

5.2. ZUR BEDEUTUNG DER Massenkommunikation FÜR MENSCH UND GESELLSCHAFT

Die Frage was der Massenkommunikationsprozess bzw. was die Existenz der modernen Print- und

elektronischen Medien für den Menschen und die Gesellschaft bedeuten ist bis heute nicht eindeutig

beantwortbar. Eine Diagnose auf der Basis des aktuellen Wissensstand hat daher aus verschiedenen

Blickwinkeln zu erfolgen.

5.2.1 Kommunikation und Gesellschaft

Bereits der notwendigerweise soziale Charakter menschlicher Kommunikation verweist darauf, dass man es hier

nicht nur mit einem individuellen, sondern auch mit einem gesellschaftlichen Phänomen zu tun hat. Es existiert

eine Wechselbeziehung zwischen Kommunikation und Gesellschaft, soziale bzw. gesellschaftliche Evolution kann

nicht unabhängig von Veränderungen in der Kommunikationsweisen der Menschen gesehen werden. Jede

Gesellschaft impliziert immer auch die Existenz spezifischer Kommunikationsweisen, ohne die sie vermutlich

nicht bestehen könnte. Es scheint sich dabei um eine interdependente Beziehung zwischen Kommunikations-

und Gesellschaftsformen zu handeln: Einerseits stellt das jeweilige gesellschaftliche System den strukturellen

Rahmen für (potentielle) kommunikative Interaktionsformen bereit, andrerseits besitzen aber ebendiese

Kommunikationsformen zugleich auch wesentlichen Anteil an der Qualität des gesellschaftlichen Umraums, in

dem sie ablaufen. Die in einer Gesellschaft existierenden Kommunikationsweisen – die sich im Vorhandensein

bzw. im Gebrauch der jeweils eingesetzten Medien konkretisieren und dadurch Gestalt annehmen - erbringen

bestimmte Leistungen für das Bestehen dieser Gesellschaft.

♦Die Weltgesellschaft

Man unterscheidet drei globale Phasen der bisher stattgefundenen gesellschaftlichen Evolution:

1. primitive oder archaische Gesellschaftsordnungen:

Das Entstehen der Sprache verhalf hochentwickelten Primaten zu effektiveren Formen der Kommunikation und

zur archaischen

Gesellschaft.

2. städtisch zentrierte Hochkulturen

Mit der Entwicklung der Schrift wurde die Bedingung der Anwesenheit hinfällig, weiter zeitliche und räumliche

Distanzen wurden überbrückbar und so unbekannte Personen erreichbar. Hier geschah der Übergang zur

Hochkultur.

3. das heutige technisch-industriell fundierte Gesellschaftssystem

Die Existenz und der Gebrauch von multidimensionalen (Schrift, Bild, Ton) Verbreitungstechniken kaum mehr

abschätzbarer Reichweite führe zu einem sprunghaften Anstieg der Grösse des Kommunikationsnetzes: Es war

eine ganz neue Mitteilungsform entstanden, die es ermöglicht einer unüberschaubaren Vielzahl von Menschen

zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten die gleiche Botschaft zu vermitteln. „Die Beteiligung an einer

gemeinsamen Realität“ rückt in greifbare Nähe, was als zentrales Kennzeichen einer sog. „Weltgesellschaft“

angesehen wird.

Bis heute arbeitet die Soziologie mit der Vorstellung einer Mehrheit menschlicher Gesellschaften, hat aber das

daraus resultierende Problem der Definition von Grenzen, die verschiedene Gesellschaftssysteme voneinander

trennen, nicht überzeugend lösen können.

♦Die Informationsgesellschaft

Auch die Informationsgesellschaft lässt sich evolutionsgeschichtlich begründen. Dazu der Entwurf „einer

nachindustriellen Gesellschaft“ des amerikanischen Soziologen Daniel Bell (Bell 1975):

Es ist möglich die Menschheitsgeschichte anhand von drei Stufen gesellschaftlicher Evolution nachzuzeichnen, in

der jeweils ein zentrales Problem und eine entsprechende Problemlösung die Entwicklung dominierte.

Problem Problemlösung Gesellschaftstyp

Diese Diagnose schien bereits knapp vor der Jahrtausendwende sowohl für die USA als auch für Europa vollends

zuzutreffen. Die USA machte den Auf – und Ausbau der Informationsinfrastruktur zu einer nationalen

Hauptaufgabe: An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sollen alle Schulen, Universitäten, viele Firmen und

3

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Privathaushalte über eine elektronische Schnellstrasse miteinander verknüpft sein („National Information

Infrastructure“) (Rede des Vizepräsidenten Al Gore). Dazu beseitigte die Regierung viele rechtliche und

regulatorische Einschränkungen, welche die Unternehmen der Kommunikationsbranche in ihrem Handeln

behinderten.

Seitens der zuständigen EU-Kommission wurde unter dem Titel „Europa und die globale

Informationsgesellschaft“ eine Empfehlung zur gesamteuropäischen Koordination bislang bloß einzelstaatlich

unternommener Anstrengungen zur Förderung des Ausbaus von Informationsstrukturen formuliert (Bangemann-

Report). Die Zahl jener Menschen die in so genannten „Informationsberufen“ arbeiten steigt ständig.

Kommunikation hat neben dem individuellen Charakter stets auch einen gesellschaftlichen Aspekt. So erkennt

Luhmann, dass jede Gesellschaft ihre spezifischen Kommunikationsweisen besitzt, ohne die sie nicht existieren

kann. Eine Gesellschaft und ihre Kommunikationsformen sind in diesem Sinne interdependent. Sichtbar werden

die Kommunikationsformen erst recht, wenn man die ihnen zugrundeliegenden Medienformen fokussiert.

Die Weltgesellschaft

Luhmann unterscheidet drei Phasen der gesellschaftlichen Evolution:

1. Primitive / archaische Gesellschaftsordnungen: Hochentwickelte Spezies der Primaten entwickelt

effektivere Formen der Kommunikation durch den Einsatz von Sprache

2. Städtisch zentrierte Hochkulturen: Durch die Entstehung der Schrift werden

Bewusstseinsinhalte räumlich und zeitlich tradierbar - und die Anwesenheit sowohl von Kommunikator und

Rezipient an einem Ort ist nicht mehr zwangsläufige Voraussetzung.

3. Heutiges technisch-industriell fundiertes Gesellschaftssystem: Neben der Schrift treten unter der

Zepterführung der Massenkommunikation andere (multimediale) Formen der Kommunikation auf. Eine

unüberschaubare Menge an Personen kann nun zur gleichen Zeit überall auf der Welt die gleiche Information

rezipieren. Das illusionäre "Zusammen-an-einer-Realiät-teilhaben" rückt in eine realistische Position und drückt

Luhmanns Begriff der Weltgesellschaft aus.

Ob Luhmanns hypothetische Weltgesellschaft wirklich existiert, bleibe dahingestellt. Die Existenz einer so

genannten "Informationsgesellschaft" ist hingegen sicher.

Die Informationsgesellschaft

Bell unterscheidet in seinem Entwurf drei Phasen der gesellschaftlichen Evolution:

Gesellschaftstyp Problem Problemlösung

vorindustriell Transport von Materie Verkehrsnetze

industriell Transport von Energie Verbundnetze

postindustriell Transport von Informationen Informationsnetze

Bells Hypothese scheint im Hinblick auf die gegenwärtige Lage (neues Millenium) ein durchaus standhafter

Entwurf zu sein und sich zu bestätigen. So werden denn auf internationaler Ebene Bestrebungen gemacht, um

den Ausbau von Informationsstrukturen zu fördern.

Als Indikator für das Anschwellen der so genannten Informationsgesellschaft gilt die Anzahl der in der

Informationsbranche tätigen Personen. Und diese steigt täglich an. Und im Hinblick auf den Zusammenhang

zwischen Gesellschaft und Kommunikation bergen die beschriebenen Tendenzen auch für die Gesellschaft

gewisse Konsequenzen - Vor- und Nachteile.

5.3.3. Soziologisch orientierte Wirkungsforschung

Hier stellt Burkart das two-step-flow-Konzept von Lazersfeld vor. Neben hinlänglich Bekanntem wird das Wesen

des so genannten „opinion leaders“ genauer konkretisiert - Diese verfügen nämlich über:

1. besonders viele soziale Kontakte

2. besonders kommunikatives Verhalten

3. relative Expertenrolle

4. hohes subjektives Interesse am spez. Thema

Kritisch zu sehen an dieser Theorie ist nach Brukart das Fehlen eines Beleges – so konnte zwar vermeintlich

gezeigt werden, dass Informationsfluss kein einstufiger Prozess ist; der Beweis für die Zweistufigkeit des

3

Page 36: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Prozesses ist damit natürlich nicht gegeben. Weiter bemängelt wurde die Gleichsetzung von

Informationsübermittlung und Persuasion. Demnach ist diese Theorie für den Bereich der Diffusion zu verwerfen

und für das Phänomen der Persuasion nur begrenzt haltbar.

Zum aktuellen Stand der Forschung:

Trennung zwischen opinion leader und nonleader ist nicht haltbar.

Stattdessen sollte von „opinion scharing“ (Trodal / van Dam 1965) mit wechselseitiger Beeinflussung gesprochen

werden. Weiter scheinen sich zwar die opinion leaders über Informationen auszutauschen, es ist aber eher

unwahrscheinlich, dass sie dabei regelmäßig die opinion avoiders beeinflussen.

Für den Aspekt der Informationsverbreitung scheint es sich heutzutage eher um einen „one-step-flow“ – Prozess

zu handeln, bei welchem Wissensvermittlung direkt und ohne Mittelsmann geschieht, dass aber im Gegensatz

dazu Einstellungs- und Verhaltensänderungen eher im Zuge interpersonaler Kommunikation entstehen. (Rogers

1973) Dennoch schein Meinungsführerschaft zu existieren, was etwa an Politikern oder Moderatoren ersichtlich

wird, welche von Eisenstein 1994 als virtuelle Meinungsführer bezeichnet werden.

Sind die Massenmedien wirkungslos?

Klapper fasste 1960 die Befunde der empirischen Medienwirkungsforschung zusammen: Massenmedial

verbreitete Aussagen werden erst durch den Einfluss intervenierender Variablen wirksam.

Demnach schienen Massenmedien mehr zu verstärken als zu verändern.

Die intervenierenden Variablen sind demzufolge:

- Prädispositionen des Rezipienten

- Gruppeneinbindung

- Kommunikation mit Gleichgesinnten

- Verstärkung durch opinion leaders

- Vermeidung abweichender Standpunkte seitens der Medien

Wenn dennoch Veränderung stattfindet seien die intervenierenden Variablen unwirksam oder sie unterstützten

die Veränderung. Klapper begründet damit die „Verstärkerhypothese“, welche besagt, dass in der Regel bereits

vorhandene Einstellungen, Meinungen und Verhaltensdispositionen bestärkt werden, Änderungen nur sehr selten

erfolgen und neue Meinungen zu jenen Themen induziert werden können, zu welchen der Rezipient noch keine

hat. Kritiker wie etwa Schenk (1987) bemängelten, dass Klapper sich nur auf kurzfristige Ergebnisse und

Wirkungen beziehe oder dass an verschiedener Stelle die Wirkung medialer Inhalte nicht zu übersehen

sei.

Die Handlungstheoretischen Implikationen des symbolischen Interaktionismus:

1. „Bedeutungen [...] unterliegen ständigen Redefinitionen“ (Wilson 1973)

2. jeder Mensch schafft durch individuelle Bedeutungszuweisung eine Welt „für sich“ .

3. Demnach sieht der Nutzenansatz Massenmedial vermittelte Aussagen nicht als in ihrer Bedeutung

vorfabrizierte Stimuli, sondern als interpretationsbedürftige Objekte.

Der Rezipient ist also relativ Unabhängig von dem, was die Botschaft an sich sein mag und letztlich kann er

entscheiden, wie er auf diese reagiert (Renckstorf 1973).

Roland Burkart Kommunikationswissenschaft

3

Page 37: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

5.3.5.2. Publikumsforschung als Gratifikationsforschung

Der Nutzenansatz in der Massenkommunikationsforschung

Der Nutzenansatz basiert auf dem theoretischen Konzept des symbolischen Interaktionismus und knüpft an dem

Uses and Gratifikations Approach an.

Der Uses and Gratifikations Approach wird an von Burkart beschieben und als „publikums- oder

rezipientenorientierte Perspektive“ bezeichnet.

Die Vorstellung vom aktiven Publikum besagt, dass:

- Mediennutung aktives und zielgerichtetes Handeln ist

- die Zielgerichtetheit aus [...] dem Zustand der individuellen Bedürfnislage resultiert

- Massenmedien in Konkurrenz zu anderen Gratifikationsinstanzen stehen

Frage nach den Gratifikationen, die Menschen aus Massenmedien davontragen.

Wozu und warum nutzen die Menschen Medien? Folgende Gratifikationen werden von Burkart aufgeführt:

- Ablenkung und Zeitvertreib (“escape“, Abbau psychischer Spannungen)

- Persönliche Beziehungen [parasozialer (mein Freund der Moderator) oder sozialer Natur (.

Gesprächsstoff)]

- Persönliche Identität („Der hat das gleiche Problem wie ich“; „So möchte ich sein“, „Den anderen geht es auch

nicht besser als mir“)

- Kontrolle der Umwelt (Wunsch, mehr über die „weite Welt“ zu erfahren) Problem Nutzungsansatz:

„mentalistisch, individualistisch, empiristisch“ (Elliot, 1974), „undifferenzierte Motivforschung“ (Schenk, 1978).

Schwierige Operationalisierung, da Menschen nicht in der Lage sind, die Gratifikationsinstanzen zu benennen

(Berghaus, 1994). Ein möglicher methodischer Ausweg wäre, von allgemein-gültigen Konzepten menschlicher

Bedürfnissen auszugehen und diese auf kulturellgesellschaftliche, bzw. konkret-individuelle Lebensumstände zu

übertragen.

Publikumsforschung wozu?

1) Kommunikatoren können sich auf „ihr“ Publikum einstellen

2) Rezipienten bekommen eher das geboten, was sie erwarten

3) Aus gesellschaftlicher Perspektive kann ein Urteil über Qualität des Massenkommunikationsprozesses gefällt

werden und es wird ersichtlich, wie mit den Medien umgegangen wird.

Fortschritte in der Gratifikationsforschung

Hier bei steht die Frage, wie Rezipientenmotive, Erwartungen und Medienverhalten miteinander verbunden sind,

im Zentrum. Mehrere Untersuchungen konnten belegen, dass die Mediennutzung meist die gewünschten

Gratifikationen nach sich zieht (d. h. die gesuchten Gratifikationen hängen in sehr hohem Maß mit den erhaltenen

Gratifikationen zusammen „Gesuchte und erhaltene Gratifikationen sind eindeutig in einem Feedback-Modell

verbunden“ (Palmgreen, 1984)).

Palmgreen und Rayburn (198) haben in ihre Gratifikationsforschungen den Erwartungs-Bewertungs-Ansatz

einbezogen und deutlich gemacht, dass das Produkt von Vorstellungen (Erwartungen) und Bewertungen die

Suche nach Gratifikationen beeinflusst, welche dann ihrerseits auf die Mediennutzung einwirkt.

Kritik am Nutzungsansatz

- Der funktionalistische Gehalt des Gratifikationsansatzes wurde gerade im Hinblick auf gesellschaftliche

Kensequenzen nicht ausgeschöpft“ (Schenk, 1987).

- Theorielosigkeit „Es reicht nicht aus, Medienrezeption durch einen einzigen vom Rezipienten gesteuerten

selektiven Prozess zu begreifen (Merten, 1984).

- Behauptung des motivgesteuerten, entscheidungsfreudigen Massenmediennutzers (Ronge, 1984)

- Die Suche nach Bedürfnisbefriedigung ist hängt nicht nur vom Rezipienten ab, sondern auch von den

Kommunikatoren und den Medien selbst (Schönbach, 1984) Forderung eines integrativen Modells der

Mediennutzung.

3

Page 38: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

5.3.5.3. Publikumsforschung (Mediaforschung) als Kontaktmessung

Werbeträgerforschung. Entscheidung, welche Werbeblöcke welcher Sendungen man wie häufig belegt.

Eruierung der Struktur der Leserschaft und der Reichweite eines Mediums (wie viele Pers. werden von einer

Zeitung innerhalb des jeweiligen Erscheinungsintervalles erreicht?).

5.3.6. Der dynamisch-transaktionale Ansatz

Versuch der Verbindung von Wirkungs- und Nutzungsansatz. Kernthese:

Massenmediale Wirkung als Folge von Wechselbeziehungen zw. Medienbotschaften und

Rezipientenerwartungen (Schönbach, 1989).

Kommunikatoren und Rezipienten müssen innerhalb Kommunikationsprozess als passive wie als aktive

Teilnehmer gesehen werden.

Kommunikator: aktiv in der Gestaltung einer Sendung, passiv in dem Sinne, dass sein Handeln von

bestimmten Bedingungen beeinflusst wird (keine Ausstrahlung eines Minderheitenprogramms zur

Hauptsendezeit). Rezipient: passiv, weil er nur aus den jeweils angebotenen Informationen auswählen kann, aktiv

in der Selektion

und der Verarbeitung der angebotenen Inhalte.

Kernthese des dynamisch-transaktionalen Ansatzes:

Nehmen Zeitungsleser Einseitigkeiten bei der Berichterstattung wahr (Vergleich gemessene (mittels

Inhaltsanalyse) und wahrgenommene Tendenz? Größere Übereinstimmung, wenn Personen im Mittelpunkt

sowie bei Artikeln mit geringem Umfang und großer Schlagzeile. Ingesamt v. a. bei Sachthemen sehr geringer

Zusammenhang. Wirkungsursache ist sowohl bei Medienbotschaft, als auch bei Rezipienten zu suchen.

Welche Merkmale auf der Rezipientenseite beeinflussen die Wahrnehmung der Medienbotschaften?

Zerfallshypothese: Rezipienten kopieren die medial vorkonstruierte Wirklichkeit kognitiv, um sie dann nach

und nach wieder zu vergessen. Die durch den Vergessensprozess entstandenen Wissenslücken zerstören den

ursprünglichen Sinnzusammenhang. Erkenntnisse zur Zerfallshypothese: Die Medien bieten Infos homogener

strukturiert an, als sie vom Publikum wahrgenommen werden, die Rezipienten kopieren also keineswegs das

mediale Angebot in ihren Köpfen.

Integrationshypothese: Die Rezipienten konstruieren aus dem vorliegenden Angebot eine Welt mit höchst

subjektiven Zügen, in die sie ihre eigenen Vorkenntnisse, bzw. Vorurteile einbauen. Erkenntnisse zur

Integrationshypothese:

Rezipienten konstruieren keine ganz subjektive Wirklichkeit, es scheint vielmehr so zu sein, dass sich dass

Publikum an wenigen Kernaussagen orientiert, die erhalten bleiben, während der große Rest ganz vergessen

wird.

Schema-Theorie: „Verarbeitungsrichtlinien“ (Schemata) ermöglichen schnelle Informationsselektion (keine

1:1-Abbildung der Realität)

5.3.7 Die Agenda- Setting- Hypothese

Die Agenda- Setting- Hypothese meint, das die Massenmedien nicht so sehr beeinflussen, was wir denken,

sonder worüber wir nachzudenken haben. Die Medien übernehmen so eine „Tagesordnungs-„ oder

„Thematisierungsfunktion“. Dieses Konzept liefert eine sehr kommunikatorzentrierte Sichtweise.

Erste empirische Überprüfung musste das Konzept 1968 im Rahmen einer Präsidentschaftswahl in den USA über

sich ergehen lassen. Mc Combs und Shaw befragten unentschlossene Wähler nach den für sie wichtigen

politischen Themen und verglichen diese mit den in den Medien behandelten Themen zu dieser Zeit. Die Autoren

stellten eine hohe Korrelation fest und nahmen daher einen kausalen Zusammenhang an:

die Medienagenda ist die Ursache für die Publikumsagenda. (... Doch ist im Falle einer Korrelation auch immer

Kausalität an zu nehmen?)

Zur Erklärung dieses Effektes kristallisierten sich 3 Modellvarianten heraus:

1. Das Awareness- Model besagt schlicht, dass das was in den Medien kommt mehr Aufmerksamkeit auf sich

zieht, und sich so das Publikumsintresse nach den Medien richtet. -> Thematisierung

3

Page 39: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

2. Das Salience- Modell sieht in der unterschiedlich starken Repräsentation gewisser Themen in den Medien die

Ursache. So empfindet der Rezipient ein Thema, dem 3 Seiten in der Tageszeitung gewidmet wird, viel wichtiger

als ein kleiner Abschnitt auf der drittletzten Seite. -> Themenstrukturierung

3. das Prioritätenmodell ist eine radikalisierte Form des Salience- Modells. Es geht davon aus, das die

Publikumsagenda sich spiegelbildlich zur Medienagenda verhält. -> Themenstrukturierung

So stellte man fest, dass Tageszeitungen eher themenstrukturierend und längerfristig wirken (im Sinne von

Salience- und Prioritätenmodell), und Fernsehen eher thematisierend und kurzfristiger („Scheinwerfereffekt“; Im

Sinne von Awareness-Modell).

Im Laufe der Zeit konnte sich diese sehr stark kommunikatorzentrierte Sichtweise nicht halten und es kamen

Einwände und Anpassungen ins Spiel:

Agenda Setting Effekte ließen sich mit Merkmalen der Themen (z. B. die sog. „Obtrusiveness“1) aber auch mit

Merkmalen der Person erklären (Interesse, Orientierungsbedürfnis, Grad an Mediennutzung, usw.). Zudem

formulierte Brosius vier Kritikpunkte auf die die Agenda-Setting Hypothese keine Antworten zu liefern vermag:

1. Themenkonkurrenz und Nachrichtenangebot spielen ein wichtige Rolle wenn es darum geht Themen

auszuwählen, die in den Medien erscheinen.

2. Die Aufmachung der Nachricht (z. B. sehr emotionalisierende Bilder) hat einen starken Einfluss auf die

Publikumsagenda.

3. Subjektive Konstruktion des Themas: Hier kommt die Kognitionspsychologische Sichtweise ins Spiel, die den

Rezipienten als subjektiv wahrnehmenden, denkenden und fühlenden Menschen versteht.

4. Konsequenzen einer Veränderung der wahrgenommenen Wichtigkeit: Ein starker Agenda Setting Effekt hat

seinerseits Auswirkungen auf die interpersonale

1 Obtrusiveness: Aufdringlichkeit. Wie stark ist der Rezipient selbst betroffen von der Thematik? Sogenannt

obtrusive Themen wären demnach Inflation, Arbeitslosigkeit oder etwa Lokalpolitik. Strukturierungseffekte ließen

sich vor allem für nicht obtrusive Themen nachweisen (Aussenpolitik, Konflikte in fernen Ländern usw.)

5.3.8 Die These von der Wachsenden Wissenskluft

Die Kernaussage dieses Konzeptes lautet: „Wenn der Informationszufluss von den Massenmedien in ein

Sozialsystem wächst, tendieren die Bevölkerungssegmente mit höherem sozioökonomischem Status und/oder

höherer formaler Bildung zu einer rascheren Aneignung dieser Information als die status- und bildungsniedrigeren

Segmente, so dass die Wissenskluft zwischen diesen Segmenten tendenziell zu- statt abnimmt.“

(Tichenor/Donohoue/Olien 1979)

Diese These war (und ist..) von höchster gesellschaftlicher Brisanz. Wenn die These stimmt haben die Medien

nicht die aufklärerische und demokratisierende Funktion, die man ihnen zuspricht; vielmehr wäre das Gegenteil

der Fall: die Medien schaffen eine Zweiklassengesellschaft der Informationsarmen und der Informationsreichen.

Keine Angst: die Forschungslage spricht sich eher gegen als für die These aus. Es wurden auch einige

Anpassungen an der ursprünglichen Formulierung vorgenommen. So wurde der sozioökonomischer Status als

einzig wirkende Variable um die Variable des Interesses und der Motivation zum Wissenserwerb des Rezipienten

erweitert. Zudem musste der Begriff „Wissen“ aussdifferenziert werden. So sprach man nun einerseits von

Fakten- und Themenwissen („knowledge about“) und Struktur- und Hintergrundwissen („knowledge of“). Das mit

der Annahme im Hinterkopf das sozioökonomisch niedrigere Segmente beim Faktenwissen nicht so sehr

hintenanstehen würden wie beim Struktur und Hintergrundwissen. Diese Unterscheidung brachte jedoch nicht

sonderlich viel. Vielmehr erwies sich zusätzlich zum Interesse auch das Alter als entscheidende Variable

(... jungere lernen schneller 2).

Auch bei dieser Hypothese zeigt sich das die anfänglich einfachen Formulierungen der komplexen Wirklichkeit

nicht standhalten und kognitionspsychologische und interaktionistische Betrachtungen mit einbezogen werden

müssen um den Tatsachen auch nur annähernd gerecht zu werden.

5.3.9 Die Schweigespirale

Das Konzept der Schweigespirale geht davon aus, das Menschen ihre eigene Meinung eher dann verschweigen,

wenn sie die Mehrheitsmeinung gegen sich glauben. „Wer sieht, dass seine Meinung zunimmt, ist gestärkt, redet

öffentlich, lässt die Vorsicht fallen. Wer sieht, dass seine Meinung an Boden verliert, verfällt in Schweigen.“

3

Page 40: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

(Noelle- Neumann). Diese von einer Dame namens Noelle-Neumann formulierte These fusst auf

sozialpsychologischen Experimenten zur Konformitätsforschung, wie so Kollega Asch bekanntlich schon in den

Vierziger Jahren durch zu führen pflegte. Noelle-Neumann dachte in ihrer Hypothese der Schweigespirale den

Medien die Funktion der Bildung der öffentlichen Meinung zu. Die öffentliche Meinung definiert sie in diesem

Zusammenhang als „wertgeladene, insbesondere moralisch aufgeladene Meinungen und Verhaltensweisen, die

man - wo es sich um fest gewordene Uebereinstimmung handelt, z. B. Sitte, Dogma - öffentlich zeigen muss,

wenn man sich nicht isolieren will; oder bei im Wandel begriffenen ‚flüssigen’ Zustand öffentlich zeigen kann,

ohne sich zu isolieren.“

(Noelle- Neumann 1982).

2 ... was klein Hänschen nicht lernt...

Noelle Neumann sagt jedoch selbst, dass ihre Theorie unfertig ist und nur unter gewissen Umständen zum

Tragen kommt. Diese Rahmenbedingungen fasste Donsbach 1987 in 3 Punkten zusammen:

1. Es muss sich um Meinungs- oder Einstellungsbereiche handeln die im Fluss sind, bei denen der Wandel

stattfindet (... funktioniert also nicht bei Dogmen und Sitten – vgl. obiges Zitat).

2. Es muss sich um Auseinandersetzungen über Meinungen handeln die eindeutig moralisch belegt sind und

nicht um die rational richtige oder falsche, sondern um die moralisch gute oder schlechte Position geführt werden.

3. Es muss sich um Prozesse handeln, in denen die Massenmedien eine identifizierbare Position einnehmen. Die

Empirische Prüfung der Theorie der Schweigespirale fiel nun aber auch nicht gerade sonderlich eindeutig aus.

Vielmehr zeigte sich auch hier der Einfluss anderer Variablen wie Interesse am Thema, empfundene Wichtigkeit

des Themas und den Glauben den Kommunikationspartner auch beeinflussen zu können. So kann die Dissonanz

zur öffentlichen Meinung nicht die einzige Ursache dafür sein, dass sich jemand zu einem Thema nicht äußert.

5.4. Strukturen der modernen Massenkommunikationsgesellschaft

In der Folge geht es darum ein Bild der modernen Massenkommunikationsgesellschaft zu entwerfen. Die zentrale

Frage hierbei ist es das Zustandekommen von Wirklichkeit dieser Mediengesellschaft zu erklären. Denn unser

Bild der Wirklichkeit wird stark von den Massenmedien geprägt.

Das dieses Bild der Wirklichkeit verzerrt ist, ist zigmal empirisch bewiesen worden. Wie dies zustande kommt

versuchen zwei Ansätze zur medialen Realitätsdeformation zu erklären (Schulz 1989):

1. Es existiert ein Gegensatz zwischen Medien und Gesellschaft: Die so genannte ptolemäische (von Ptolemäus)

Perspektive; Medien als Spiegel der Wirklichkeit.

2. Es existiert kein prinzipieller Gegensatz von Medien und Gesellschaft: Die so genannte kopernikanische (von

Kopernikus) Perspektive. Medien gelten als integraler Bestandteil der Gesellschaft, als aktives Element in einem

sozialen Prozess, aus dem eine Vorstellung von Wirklichkeit erst hervor geht!

5.4.1. Realität als mediale Konstruktion

Nicht Abbildung, sondern Auswahl und Interpretation sind die elementaren Kennzeichen jedweder medialen

Berichterstattung.

Dazu existiert eine beachtliche Forschungstradition:

- Gatekeeper-Forschung

White (1950) übertrug das von Lewin (1947) entwickelte Konzept des Gatekeepers auf den Prozess der

Nachrichtenauswahl. Dabei kam heraus, dass subjektive Dispositionen und Einstellungen des Gatekeepers (z. B.

Journalist) einen Einfluss auf die Selektionsentscheide haben. Nach der Weiterentwicklung des Gatekeeper-

Ansatzes fand man als Einflussfaktoren neben den individuellen Prädispositionen auch „institutionelle“ Faktoren.

D. h. ein Journi ist nicht als ein isoliertes Individuum zu betrachten, sondern auch als Mitglied einer

Nachrichtenbürokratie!

- New Bias

Hinter dieser Tradition steckt der Gedanke Unausgewogenheiten, Einseitigkeiten und politische Tendenzen in der

Medienberichterstattung zu messen und Aufschluss über deren Ursachen zu erlangen. Hier zeigte sich ebenfalls

der Einfluss von subjektiven Einstellungen auf die Berichterstattung und der Einfluss der politischen Tendenz der

Journis und Verleger auf die Nachrichtengebung.

4

Page 41: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

- Nachrichtenwert-Theorie

Diese Forschungstradition zielt auf die Wahrnehmung der Ereignisse selbst ab.

Östgaard (1965) unterscheidet drei Nachrichtenfaktoren, die für die Attraktivität eines Ereignisses entscheidend

sind und schlussendlich dem Journi als Kriterien zur Nachrichtenselektion und -bearbeitung dienen:

1. Einfachheit: Vorzug einfacher Sachverhalte, Vereinfachung komplexer Sachverhalte

2. Identifikation: Es wird über bekannte Themen, Promis und „nahe“ Ereignisse berichtet

3. Sensationalismus: Dramatische, emotional erregende Sachverhalte im Vordergrund Nachrichtenfaktoren

scheinen Merkmale zu sein, die ein Ereignis aufweist und die über seinen Nachrichtenwert (seine

Publikationswürdigkeit) bestimmen.

Schulz (1976) geht von einer etwas anderen Annahme aus. Nachrichtenfaktoren seien nicht wirklich Merkmale

von Ereignissen, sondern „journalistische Hypothesen“ über die Realität. D. h. je mehr eine Meldung dem

entspricht, was Journis für wichtige und mithin berichtenswerte Eigenschaften der Realität halten, desto größer ist

ihr Nachrichtenwert.

In einer Studie fasste er dann 18 gefundene Nachrichtenfaktoren zu sechs Faktorendimensionen zusammen:

Faktordimension Nachrichtenfaktoren

1. Zeit Dauer, Thematisierung

2. Nähe Räumliche Nähe, politische Nähe, kulturelle Nähe, Relevanz

3. Status Regionale Zentralität, nationale Zentralität, persönlicher Einfluss, Prominenz

4. Dynamik Überraschung, Struktur

5. Valenz Konflikt, Kriminalität, Schaden, Erfolg

6. Identifikation Personalisierung, Ethnozentrismus

Fazit

Auch die Nachrichtenwert-Theorie „beweist“, dass die Medien die Realität nicht passiv abbilden, sondern vielmehr

aktiv eine Vorstellung von Wirklichkeit entwerfen. Wirklichkeit als News-Making, als mediale Konstruktion also

(wie es der Titel 5.4.1 sagt).

Die Nachrichtenwert-Theorie kann in der kausalen und finalen Betrachtungsweise angeschaut werden.

Die kausale Betrachtungsweise geht davon aus, dass Nachrichtenfaktoren Merkmale von Ereignissen sind (siehe

Östgaard). Demzufolge wählen die Journis die Nachrichten „kausal“ anhand der Merkmale der Ereignisse aus

(damit sie fürs Publikum attraktiv sind). Kann aber der Journi bei der Nachrichtenauswahl nicht auch ein

(politisches) Ziel verfolgen, etwas bewirken wollen? Ja doch, und hier wären wir bei der finalen

Betrachtungsweise. Diese betrachtet Nachrichten als Mittel zum Zweck zur Unterstützung bestimmter Ziele

(schon Schulz sieht in seiner Theorie die Nachrichtenfaktoren nicht als Merkmale von Ereignissen, sondern als

journalistische Hypothesen. Er unterstellt den Journis also schon ein gewisses Kalkül).

Ein Repräsentant der finalen Betrachtungsweise, ist Keppler. Nach ihm werden Selektionsentscheide von Journis

nicht als eine direkte Reaktion auf Realitätsreize angesehen, sondern als zielgerichtete Handlung. Dieser

Vorgang wird Instrumentelle Aktualisierung genannt.

Nach Keppler berichten Massenmedien nicht nur aufgrund einer „natürlichen Relevanz“ über bestimmte Themen,

sondern auch deshalb, weil die Kommunikatoren (Journis, Herausgeber, Verleger) damit bestimmte Ziele

verfolgen (z. B. „Verkürzung der Wochenarbeitszeit“ bei Berichten über Erhöhung der Herzinfarktquote durch

Stress am Arbeitsplatz).

5.4.2. Realitätsinszenierung in der Massenkommunikationsgesellschaft

Die These der konstruierten Medienrealität soll im Folgenden mit einer Behauptung noch überhöht werden: Sehr

viele Ereignisse, über welche die Medien berichten, würden unabhängig von der Berichterstattung, überhaupt

nicht existieren!

Das was uns Medien berichten ist nicht nur konstruiert und selektiert, sondern auch von außermedialen Instanzen

inszeniert – eine inszenierte Realität. Es wird ein Ereignismanagement betrieben in dem die Ereignisse nur

Mittel zum Zweck der Berichterstattung sind. Es geht um die Wahl eines Mittels, das die Publikation stimulieren

soll (z. B. Pseudo-Ereignis, Pressekonferenz, Tagung, Demo, etc.). Unter Pseudo-Ereignis wird ein Geschehen

verstanden, welches geplant, angeregt oder arrangiert worden ist.

4

Page 42: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Der Ausdruck der Entwicklung von Inszenierungen ist z. B. im Engagement von Großunternehmen als Sponsoren

bei Sportveranstaltungen, Musikkonzerten, etc. zu finden. Kepplinger (1992) meint, dass es neben den

inszenierten (Pseudo-) Ereignissen auch so genannte Mediatisierte Ereignisse gibt: Vorfälle die wahrscheinlich

auch ohne Medien stattgefunden hätten, die aber infolge der zu erwarteten Berichterstattung einen spezifischen,

mediengerechten Charakter erhalten (z. B. Parteitage, Produktpräsentationen, Olympiaden, etc.).

Solche Ereignisse werden heutzutage meist von PR-Fachleuten (Öffentlichkeitsarbeitern) professionell

organisiert. Dies gilt vor allem für den Bereich der Politik (z. B. Wahlkämpfe).

Eine herausragende Rolle in diesem Zusammenhang nimmt das Fernsehen ein, welches die Möglichkeit bietet

Millionen von Menschen zu erreichen.

Neben der Politik findet vor allem auch in der Wirtschaft, Non-Profit-Unternehmen (z. B. IKRK, Cinfo),

Umweltschutz- (z. B. Greenpeace) und Tierschutzorganisationen (z. B. Amnesty International) eine Inszenierung

von Ereignissen zum Zweck der Berichterstattung statt.

5.4.3. Öffentlichkeitsarbeit und Medien

Öffentlichkeitsarbeit bzw. Public Relations (PR) ist in der Regel zu verstehen als „Selbstdarstellung partikulärer

Interessen durch Information“. Genau gemeint ist dabei die Summe aller Aktivitäten, die darauf abzielen, die

Öffentlichkeit bzw. relevante Gruppen (Teilöffentlichkeiten) durch die Darstellung der eigenen Interessen zu

beeinflussen, um diese letztlich irgendwann auch durchsetzen zu können.

Aus dieser Perspektive der Entstehung von Medieninhalten bedeutet dieser Umstand schlicht und einfach, „dass

Ereignisse, Themen, Sachverhalte nicht erst durch die Wahrnehmung von Journalisten zu Nachrichten werden,

sondern in der Regel eine `Vorgeschichte` haben“.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von empirischen Befunden, die der Öffentlichkeitsarbeit einen großen Einfluss auf

den Journalismus attestieren, wobei die Beziehungen zwischen PR und Journalismus komplex sind.

Dominiert PR den Journalismus?

Eine der ersten zu diesem Thema durchgeführten Studien ergab, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil von

Zeitungsbeiträgen sich tatsächlich aus PR-Texten zusammenstellten, die entweder wörtlich oder inhaltlich

vollständig oder einfach nur gekürzt wiedergegeben waren. Daraus entstand die Determinationsthese: Die

Vermutung, dass die Vorstellung vom eigenständig recherchierenden Journalisten, der selbstständig Nachrichten

und Informationen produziert, mit einigem Recht als Mythos zu entlarven sei, da die Festlegung der Themen und

größtenteils auch ihre publizistische Aufbereitung „nicht autonom von den Journalisten, sondern von den

Primärkommunikatoren determiniert werden. Es gibt geringe Transformationsleistungen von Journalisten

(Veränderung von des Pressematerials durch Umformulierung oder Kommentierung), die große Mehrheit des

Pressematerials (drei Viertel bis neun Zehntel) fand umkommentiert und lediglich leicht bearbeitet seinen

Niederschlag.

Weitere Studien qualifizierten die journalistische Eigenleistung als gering ein: PR-Texte wurden bereits von den

Nachrichtenagenturen in einem hohen Ausmaß aufgenommen (59%), die Nachrichtenagenturen verbreiteten

74% der eingelagerten Presseaussendungen am gleichen Tag, der Hörfunk 63%, das Fernsehen 76%, und die

Tagespresse verwendete 65% sofort.

Erstes Fazit: Öffentlichkeitsarbeit hat sowohl die Themen als auch das Timing der Medienberichterstattung unter

Kontrolle. Es sind überwiegend PR-Leute, die „Primärkommunikatoren“ und nicht die Journalisten, die Themen

forcieren und die publizierte Wahrheit konturieren. Außerdem ist festzuhalten, dass es überwiegend

Pressemitteilungen und Pressekonferenzen sind, die die Medienberichterstattung auslösen, und nicht etwaige

„Eigenwerte“ von Themen bzw. Ereignissen oder irgendwelche Kriterien.

Zweifel an der Determinationsthese

Neueste Untersuchungen zeigen jedoch folgende empirische Feststellung:

Öffentlichkeitsarbeit determiniert vor allem die journalistische Berichterstattung in thematischer und zeitlicher

Hinsicht, wenn Journalisten nicht selbständig recherchieren, wenn die PR-Quelle nicht mit anderen konkurrieren

muss, wenn man nur denjenigen Teil der Berichterstattung betrachtet und das umfangreiche journalistische

Gegengewicht einer zusätzlichen Berichterstattung ausklammert.

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Page 43: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Obwohl PR auf den Journalismus zweifellos Einfluss ausübt, sollte man dabei keineswegs von einem einseitigen

Beeinflussungsverhältnis ausgehen. Auch die Annahme, die Journalisten würden dadurch in ihrer beruflichen

Autonomie bedroht, scheint überzogen.

Zum einen seitens des Journalismus, wo wachsender Konkurrenzdruck schon aus rein ökonomischen Gründen

einer Produktdifferenzierung den Anstoß zu mehr journalistischer Eigenleistung gibt. Zum anderen seitens der

Öffentlichkeitsarbeit, wo Journalisten längst nicht mehr die einzige Zielgruppe darstellen, wenn es darum geht, mit

jenen Anspruchsgruppen (stakeholders) zu kommunizieren, die die Organisation bedrohen (kritische

Bürgerinitiativen oder Umweltorganisationen).

Das Intereffikationsmodell

Ausgangspunkt der Überlegung bei diesem Modell ist, dass es sich bei Journalismus und Public Relations um

zwei ausdifferenzierte Teilsysteme der öffentlichen Kommunikation handelt, die einander wechselseitig

beeinflussen. Die Kommunikationsleistungen jeder Seite ist nur dadurch möglich, dass die Leistungen der

anderen Seite vorhanden sind:

Journalismus ermöglicht PR-Leistungen, genauso ermöglichen aber PR-Leistungen auch Journalismus.

Induktionen werden als beabsichtigte Kommunikationsanregungen oder -einflüsse definiert, die beobachtbare

Wirkungen im jeweils anderen System haben. Adaptionen werden, demgegenüber als Anpassungen an Regeln

beschrieben, an denen sich die jeweils andere Seite ganz bewusst orientiert, um die Bedingungen für den

eigenen Kommunikationserfolg zu optimieren. Induktionen und Adaptionen können in verschiedenen Bereichen

bzw. Dimensionen durchaus unterschiedlich stark und unterschiedlich intensiv ausgeprägt sein, es ist also kein

Gleichgewichtszustand vorgegeben (siehe Abbildung S. 301).

5.4.4 Resümee – oder: Zuflucht beim Konstruktivismus?

Auf die Frage, ob die Massenmedien die Realität angemessen wiedergeben, lässt sich folgende

Zusammenfassung wiedergeben:

1. Wir haben es durchgängig mit einer „verzerrten“ Medienrealität zu tun, die der „objektiven Wirklichkeit“

bestenfalls in Ansätzen entspricht.

2. Medien können allerdings die Realität gar nicht abbilden, sie sind als „Weltbildapparate“ zu begreifen, mit

denen Journalisten Wirklichkeit konstruieren.

3. Die Wirklichkeitskonstruktionen erfolgen nicht zufällig, sondern regelgeleitet: Sie entsprechen sog.

„Nachrichtenfaktoren“.

4. Nachrichtenfaktoren sind jedoch nicht so sehr als objektive Eigenschaften der Wirklichkeit, sondern eher als

Interpretationen seitens der Journalisten zu begreifen.

5. Diese Interpretationen erfolgen nicht zufällig, sondern zielgerichtet: Nachrichten sind in der Regel Mittel zum

Zweck.

6. Den Zweck bestimmen oft nicht die Journalisten selbst, sondern außermediale Instanzen, die die Regeln der

Nachrichtengebung für ihre Zwecke instrumentalisieren.

7. Öffentlichkeitsarbeiter haben bis zu einem gewissen Grad die journalistische Berichterstattung unter Kontrolle.

Fazit: Die Realität hat mit dem, was uns die Medien vor Augen führen, nur sehr entfernt etwas zu tun.

Die Wirklichkeit als Konstruktion

Zum Konstruktivismus zählen alle jene erkenntnistheoretischen Strömungen, die sich mit dem Beitrag des

Subjekts im Prozess des Erkennens von Wirklichkeit auseinandersetzen.

Es wird angenommen, dass wir Menschen durch bestimmte Leistungen unseres Bewusstseins

Wirklichkeitsvorstellungen konstruieren. Dabei wird sinnvollerweise unterstellt, dass es außerhalb unserer

kognitiven Wirklichkeit eine Realität gibt, die den Anlass für unsere Wirklichkeitskonstruktionen bietet. Wie diese

Realität „an sich“ ist, entzieht sich unserer Erkenntnismöglichkeit, da wir nur die Wirklichkeit kennen, die wir

wahrnehmen und in der wir handelnd und kommunizierend leben. Nicht die zu erkennende Wirklichkeit steht also

im Mittelpunkt konstruktivistischer Überlegungen, sondern der Erkenntnisprozess selbst:

Der Vorgang der Konstruktion. Wirklichkeit ist in einer von Massenmedien geprägten Gesellschaft also

zunehmend das, was wir über Mediengebrauch als Wirklichkeit konstruieren, dann daran glauben und

entsprechend handeln und kommunizieren. Der Konstruktivismus und die Massenmedien Für die

professionellen Kommunikatoren, etwa in Gestalt eines recherchierenden Nachrichtenjournalisten, bedeutet diese

4

Page 44: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Perspektive zum Beispiel, dass sich die ihm zugetragenen Mitteilungen nicht nach dem Muster wahr / unwahr

bewerten lassen. Vielmehr soll jede Aussage für eine Version gehalten werden, die eine Geschichte erzählt.

Welche Version nun mehr Gültigkeit erhalten soll, ist durch das Nachprüfkriterium intersubjektiver Konsens

gegeben. Dies gilt allerdings nur für Informationen, die Sachverhalte beschreiben, interpretierende Kontext-

Informationen können unter konstruktivistischem Blickwinkel überhaupt nicht verifiziert werden.

Im Hinblick auf die Rezeption Massenmedialer Inhalte bedeutet die konstruktivistische Perspektive, dass wir

keinesfalls davon ausgehen dürfen, Medien würden Realität abbilden. Dies gilt auch für Fotos und Fernsehbilder.

Gerade weil Fotos und Bilder zu jenen „Fetischen der Realität“ gehören, die Wirklichkeit sichtbar machen und

denen man daher unhinterfragt Authentizität unterstellt, dürfe deren inszenierter Charakter nicht übersehen

werden:

Mitteilungen sind also keine Wahrheiten, sondern Versionen, die untrennbar mit den agierenden Personen

verbunden bleiben.

Wie verhält es sich nun mit dem Aspekt der Realität? Nach Tuchman ist Objektivität als routinemäßiges

strategisches Ritual aufzufassen, das den Journalisten Sicherheit und Arbeitsfähigkeit verschaffe. Dies führe zur

Einladung für selektive Wahrnehmung, zum Irrglauben an die Aussagekraft von Fakten, zum Einschleusen der

Journalistenmeinung durch die Hintertür, zur Anbindung der redaktionellen Verfahrensweisen an die

Zeitungspolitik und zur Irreführung der Rezipienten/innen hinsichtlich der Validität von Nachrichtenanalysen, die

nur formal-willkürlich von reinen Nachrichten getrennt würden.

Objektivität in konstruktivistischer Sichtweise bedeutet: Objektivität gerinnt zu einer regulativen Idee, die die Art

der Wirklichkeitskonstruktion durch die Journalisten steuert.

Darin verdichten sich Vereinbarungen über Ereigniswahrnehmung und Nachrichtenverarbeitung, die für das

jeweilige gesellschaftliche Umfeld der medialen Aussageproduktion funktional sind.

In Anlehnung an den Schemabegriff (Piaget) ist es nun interessant, auf den sozialisierenden Effekt von

Medienrezeption hinzuweisen. Medienschemata ermöglichen es uns, die einzelnen Medienangebote nicht als rein

zufällige, unzusammenhängende Teile wahrzunehmen, sondern mit bestimmten Vorerwartungen zu verbinden.

Gemäß der konstruktivistischen Argumentation liegen die Eigenschaften und Bedeutungen der Medieninhalte

nicht ihnen selbst, sondern werden ihnen von denkenden und handelnden Menschen in sozialen Kontexten

zugeschrieben. Medienschemata und ihre Bezeichnungen widerspiegeln nicht einfach gesellschaftliche

Verhältnisse, sondern sind wichtige Instrumente im gesellschaftlichen Prozess der Wirklichkeitskonstruktion. Dies

wird uns erst dann bewusst, wenn wir medialen Inhalten ein „falsches“ Schema zuordnen, wenn wir

beispielsweise ein Hörspiel mit einer Nachrichtensendung verwechseln und daraus falsche Schlüsse ziehen.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Kritisiert wird v. a., dass diese konstruktivistische Sichtweise nicht neu ist, sondern alte Konzepte

wiederverwertet. Es wird v. a. auf Zeichen und ihre Symbolfunktion (S. 46)

den Nutzenansatz (S. 220)

die Diskussion zur verzerrten Realitätswiedergabe durch die Massenmedien

(S. 270 und 279)

verwiesen; alle drei Konzepte weisen Ähnlichkeiten auf (genaue Beschreibung auf Seite 312-

313).

Kritik

Kritisiert wird v. a. die individualistische Perspektive des Konstruktivismus, der nicht bis zu den sich wandelnden

generationenhaften Medienerfahrungen vorstößt, die in die Massenmediale Produktion und Rezeption

hineinspielen, weil sie bloß die Realitätskonstruktion von Individuen im Auge hat. Zudem besitzt der

Konstruktivismus Probleme mit der Anerkennung von objektiver Realität, andererseits aber anerkennt es selbst

eine Medienrealität an, die sich z. B. in Produktionen oder Medieninstitutionen verfestigt. Auch dass diese

Perspektive journalistische Manipulation als Normalität sieht, wird verworfen. Die Kritisierten verweisen hingegen

darauf, dass jede Art der Berichterstattung viel mehr das Ergebnis von Interaktion ist als von Abbildung und dass

damit eher relative Begriffe (wie: Glaubwürdigkeit, Nützlichkeit und Verantwortlichkeit) an die Stelle von absoluten

Maßstäben (wie etwa: Wahrheit) treten.

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Page 45: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Abschließend ist festzuhalten, dass der Konstruktivismus gar keine so neue, aber in den letzten Jahren vermehrt

beachtete Position eingenommen hat. Dies lässt sich damit erklären, dass seit den 70er Jahren die

Zerbrechlichkeit der modernen Sozialsysteme immer offenkundiger wurde. Und diesem Zustand zunehmender

Unsicherheit über das Makrogeschehen entkommt der Konstruktivismus mit seiner Ausrichtung auf das

Individuum und dessen Kognitionen.

5.5. Das Fernsehen – ein Jahrhundertmedium

Das Massenmedium Fernsehen ist aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Entsprechend groß ist die

Anzahl von Veröffentlichungen über dieses Medium, von euphorischen Hoffnungen bis zu kulturpessimistischen

Angstparolen.

Bereits in den fünfziger Jahren, in den Anfängen des Fernsehens, verstand der Philosoph Günther Anders (1956)

etwas "Epochales" unter diesem Medium. Er erkannte früh schon Entwicklungslinien, die erst viel später von der

Forschung wieder aufgegriffen wurden. Z. B. sprach er vom "Besetztsein" von Augen und Ohren und des daraus

folgenden pausenlosen Konsums, erkennbar an den heute empirisch nachgewiesenen Vielsehern. Auch formte

er den Begriff des "Massen-Eremiten", der durch die Zunahme der Einpersonenhaushalte bereits Realität wurde

und des "negativen Familientisches", der nicht mehr Mittelpunkt, sondern Fluchtpunkt der Familie repräsentiert.

5.5.1. Fernsehen als gesamtgesellschaftliches Phänomen

Günther Anders war der Ansicht, dass nicht nur die Fernsehinhalte eine Wirkung auf unsere Gesellschaft und das

Individuum ausüben, sondern die bloße Existenz des Fernsehens Veränderungen in unserem Alltagsleben

verursacht. Weitere wichtige Exponenten der Fernsehforschung folgen:

Marshall McLuhan

Seine zentrale Idee war, dass alle Medien im Wesentlichen dazu dienen, den menschlichen Körper zu erweitern:

das Rad als Erweiterung des Fußes, die Kleidung als Erweiterung der Haut, die Elektrizität als Erweiterung des

Zentralnervensystems usw. Sein Leitsatz war: Das Medium ist die Botschaft – unabhängig vom transportierten

Inhalt verändert das Medium bereits selbst die menschliche Erfahrung. Im Fall der elektronischen Medien trete

eine Verschmelzung zum 'globalen Dorf' auf. Privatleben und Gesellschaftsleben verschmelzen zu einem

Informationsprozess. Das Erleben von fernen Ereignissen im trauten Heim verändert das Bewusstsein des

Zuschauers. Als Kritikpunkt an seiner Theorie gilt, dass er ein zu positives Bild von den Auswirkungen der

Massenkommunikation predige und die elektrischen sowie elektronischen Medien überbewerte. Positiv zu

erwähnen ist, dass er nicht bei den Medieninhalten halt machte und die Massenmedien als

gesellschaftsgestaltendes Element charakterisierte.

Neil Postman

Postman hat eine etwas pessimistischere Sichtweise. Mit der Erfindung des Telegraphen sei die "Idee der

kontextlosen Information" geboren worden. Nutzlose Information musste nun wegen der Fernübertragung von

Informationen in neuem Kontextscheinbar nützlich gemacht werden. Daraus folge ein "Pseudokontext", der einzig

darauf abziele, uns zu amüsieren. Das Fernsehen gilt für Postman als Inkarnation dieses Pseudokontextes und

sei "dabei, unsere Kultur in eine riesige Arena für das Showbusiness zu verwandeln".

Seine Diagnose lautet: Wir amüsieren uns zu Tode.

Das Fernsehen habe jedoch auch die symbolische Umwelt des Menschen fundamental verändert. Das

Verständnis von 'Kindheit' kam erst mit Gutenbergs Erfindung der Druckerpresse auf, da so zwischen gebildeten

Erwachsenen und Kindern ohne exklusives Wissen unterschieden werden konnte. Vorher galten Kinder als kleine

Erwachsene. Im Zeitalter des Fernsehens verschwindet dieses Mittel wieder, da es für die symbolischen

Fernsehbilder, die kein kognitives Rätsel mehr aufgeben, "kein ABC" gibt.

Joshua Meyrowitz

Wie der Soziologe Erving Goffman (1969) gilt für ihn die "Definition der Situation", d. h. das persönliche Verhalten

einer Person hängt vom Ort des Geschehens ab. Wie ein Schauspieler wechsle man je nach Situation seine

Rolle und realisiere so seine Identität gegenüber anderen.

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Page 46: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Nach Meyrowitz verändert das Fernsehen nun unseren "Ortssinn" und hebt die Trennung zwischen 'Hier', 'Dort',

'Live' und 'Aufgezeichnet', 'Öffentlich' und 'Persönlich' auf. Dies ist für ihn eine zentrale Ursache für

gesellschaftliche Veränderungen der letzten Jahrzehnte, besonders in drei Bereichen: die Vermischung von

Männlichkeit und Weiblichkeit, von Kindheit und Erwachsensein und der Prestigeverlust politischer Autoritäten.

Das Fernsehen entmystifiziert dem Publikum sonst unzugängliche Orte.

Fernsehen im Alltag

Fernsehen ist als Haupttätigkeit in der Freizeit bei Amerikanern an erster Stelle. Die Nutzungsdauer blieb

anhaltend konstant oder stieg sogar, unbeachtet von Programmänderung und Rezeptionssituation: DE 1964: 1

Std. 58 Min., DE 1990: 2 Std.

13 Min.

Die Vielseher, eine "Negativfigur der Medienforschung" (Darschin, 1987), machen 25-30% der Bevölkerung aus

und finden sich vor allem unter Frauen, Volksschülern, Nichtberufstätigen, älteren Menschen etc. Sie bringen es

auf über 4 Stunden TV-Konsum pro Tag, in Amerika sogar auf 8 Stunden.

Fernsehen als Zeitfaktor

Das Fernsehen gilt nach Neverla (1990) als "sozialer Zeitgeber" und vereinigt verschiedene Zeitkonstrukte wie

"Endloszeit" (da rund um die Uhr gesendet wird), "Nullzeit" (durch Eliminierung der Differenz zwischen Ereignis

und Berichterstattung) und "Laborzeit" (Montagetechnik, Zeitlupe etc.). Einerseits spart das Fernsehen den

Eiligen Zeit, indem sie z. B. in kurzer Form die Nachrichten des Tages aufnehmen können, andererseits gilt es

vor allem für ältere Menschen als Zeitfüller. Das Fernsehen gibt dem Alltag Struktur und stützt Gewohnheiten.

Kulturoptimistisch lässt sich dies (im Kern empirisch abgesichert) deuten: Die Zuschauer sind auf dem Weg, ihre

individuellen Eigenzeiten gegen die Eigenzeit des Fernsehens zu schützen. Eine solche zweckbestimmte

Instrumentalisierung scheint sich insgesamt herauszubilden, z. B. in den Homogenisierungstendenzen der

rezipierten Inhalte: Spielfilme werden im Fernsehen angesehen, Rock- und Popmusik im Radio gehört.

5.5.2. Fernsehen und Realität

Entgegen den früheren Vermutungen, dass Fernsehen Wirklichkeit nahe zubringen scheint, ist man mittlerweile

der Meinung, Fernsehen vermittle eine Scheinwelt. Die Illusion ziehe dabei Zuschauer oft so in den Bann, dass

sie das Gezeigte für pure Realität halten. Es soll nun auf die Frage eingegangen werden, ob und wie sich die

individuell erlebte mit der gezeigten Realität vermischt.

Das Vermischen von Tatsache und Fiktion

Kinder müssen lernen, zwischen der realen und der fiktiven Welt zu unterscheiden. Es gibt aber auch für

Erwachsene Abgrenzungsschwierigkeiten. Wenn Information durch Werbung und diese durch Unterhaltung

abgelöst wird, kommen die verschiedenen Wirklichkeiten – dokumentarische, fiktionale, intentionale – für den

Zuschauer ins Gleiten.

Insbesondere jüngere und jüngste Rezipienten ziehen so auch falsche Rückschlüsse auf die Wirklichkeit. Das

wohl bekannteste Beispiel einer Vermischung von Fiktion und Information ist das mit scheinbar echten

Reportageelementen durchsetzte Hörspiel "Krieg der Welten" von Orson Welles, das im Jahre 1938 Tausende

Amerikaner in Panik versetzte. In Deutschland wurde 1970 die Sendung "Millionenspiel" gesendet, in der eine

dreiköpfige Killergruppe während 7 Tagen einen freiwilligen Kandidaten jagte, wobei der Sieger eine hohe

Geldprämie erhalten sollte. Von vielen Zuschauern wurde der Film als echte Live-Sendung empfunden, denn

einige Personen boten sich danach als Kandidaten für weitere Folgen an.

Erfahrung aus zweiter Hand

Das Fernsehen vermittelt dem Rezipienten Sekundärerfahrungen. Das, was man früher 'vom Hörensagen'

erfuhr, wird heute durch Presse, Radio und Fernsehen vermittelt. Damit vollziehe sich auch der Prozess

gesellschaftlicher Entwicklung schneller, weil die geographische Mobilität durch psychische Mobilität mehr und

mehr ersetzt wird. Nach Merkert (1968) findet damit eine Art "Ausweitung des menschlichen Sensoriums statt".

Primärerfahrungen negativer Art könnten vorweggenommen werden, z. B. durch TV-Produktionen im Bereich der

Unfallverhütung. Doch da es sich dabei nur um Bilder von der Wirklichkeit handle, könne auch die optimale

Gestaltung einer solchen Sendung die eigene Erfahrung nicht ersetzen (Mundzeck, 1973). Das Fernsehen liefert

jedoch alle Voraussetzungen eines "Hyperrealismus" (Baudrillard, 1978), der in eine Vermischung zwischen

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Page 47: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Realem und Medialem mündet und den Stellenwert der eigenen, persönlichen Erfahrung zumindest fragwürdig

erscheinen lässt, wovor auch Erwachsene nicht immun seien.

Empirisch lassen sich hier nur Tendenzen über Generationen andeuten. Kritisiert wird vor allem die oft

kausalanalytisch angelegte Argumentation: "Das Fernsehen ist schuld an...", was für komplexe Probleme der

Medienwirkung unangemessen sei. Eine aktive Verdrängung von Primärerfahrung lässt sich jedenfalls nicht

nachweisen. Die Bedeutung des persönlichen Erlebnisbereiches ist trotz der Zunahme des Fernsehens innerhalb

der Vergleichsjahre sogar gestiegen. Dennoch etablierte sich seit den siebziger Jahren von den USA aus eine

Forschungsrichtung, die sich mit den Auswirkungen der im Fernsehen dargestellten Realität auf die

Alltagswirklichkeit der Zuschauer befasst. Es komme zu einer "Kultivierung" eines Weltbildes, das mit den realen

Gegebenheiten nur sehr wenig zu tun habe.

5.5.3. Die Kultivierungsthese

Die Wirkung des Fernsehens besteht nach dieser These weniger in der Vermittlung spezifischer Einstellungen

und Meinungen, als vielmehr in der Kultivierung grundlegender Einstellungen über die soziale Realität.

Diesbezüglich wurden vor allem Untersuchungen über Gewalt in TV-Programmen und einem Einfluss der

Rezeption auf die Einstellung der Zuschauer gemacht. Nach der Kultivierungsthese trage das Fernsehen dazu

bei, die Welt angsterregender und bedrohlicher zu empfinden, als sie ist und die Zuschauer sich stärker bedroht

fühlten, als dies nötig wäre. In Untersuchungen teilte man Fernsehzuschauer nach der Häufigkeit ihres TV-

Konsums ein und erfasste ihre Ängstlichkeit. Es stellte sich heraus, dass die Zuschauer desto ängstlicher waren,

je öfter sie fern sahen. In den achtziger Jahren wurde die These im Lichte heftiger Kritik auf Themen außerhalb

des Gewaltbereiches ausgedehnt: Unter "Main-streaming" versteht man die vereinheitlichende Wirkung des

Fernsehens bezüglich der Meinungen der Zuschauer – Vielseher haben durch extensiven TV-Konsum ähnlichere

Einstellungen zu bestimmten Problemen als die Wenigseher dieser Gruppen.

Kritik an der Kultivierungsthese

Die Definitionen der Sehergruppen waren so unterschiedlich, dass Befragte in einer Untersuchung als Vielseher

galten, in einer anderen jedoch als Wenigseher. Außerdem führte eine separate Berücksichtigung von

Nichtsehern zum umgekehrten Ergebnis:

Nichtseher gaben durchgehend mehr Fernsehantworten als Wenigseher. Weiter zeigt sich auch der doch hohe

Einfluss des Bildungsgrades auf die unterstellten Effekte.

Außerdem handelt es sich hierbei um Korrelationen, welche keinen kausalen Zusammenhang erklären können.

Am Beispiel Alter: Alte Leute sehen mehr fern als Junge, sind aber – unabhängig vom TV-Konsum – vielleicht von

Natur aus ängstlicher und misstrauischer. Nach Bonfadelli (1938) gilt es auch, ein viel komplexeres

Wirkungsgeschehen darzustellen. Wenn z. B. Modellernen oder Informationsmotive hinter dem TV-Konsum

stehen, zeigen sich schon bei geringem Fernsehkonsum starke Kultivierungseffekte.

Auch eine Untersuchung von Barth (1985) zeigt, dass die Korrelationen zwischen Fernsehnutzung und

Realitätswahrnehmung schwach waren und ebenso wahrscheinlich andere Faktoren aus der Lebensgeschichte

der befragten Personen dies beeinflussten. Deshalb dürften diese Ergebnisse keinesfalls als kausale

Zusammenhänge im Sinne einer Wirkung des Fernsehens interpretiert werden.

Vitouch brachte 1993 die psychologischen Konzepte der "Kontrollüberzeugung" und "gelernten Hilflosigkeit" in

diesen Kontext. Ängstliche Rezipienten sehen demnach eher Unterhaltungssendungen, um den Gefahren- und

Angstreizen von Informationssendungen zu entfliehen.

5.5.4. Fernsehen und Gewalt

Die hohe Gewaltrate in TV-Programmen (in 70% aller US-Sendungen der Prime-Time Gewaltdarstellungen mit im

Schnitt 5.7 Gewaltakten pro Stunde) ist immer wieder der Anlass für Untersuchungen über kausale

Zusammenhänge von TV und Gewalt. Auch in deutschsprachigen Sendungen wurden pro Sendung im Schnitt

11.1 Gewaltakte von 5.6 Minuten Dauer gezählt. Dies kann mit dem Buhlen der TV-Anstalten nach höheren

Einschaltquoten erklärt werden. Fernsehgewalt ist v. a. mit der maskulinen Rollen verbunden und wird zwischen

Fremden ausgeübt, kann für den Empfänger tödlich sein, ist aber sehr selten schmerzhaft. Insgesamt wird Gewalt

als normale, alltägliche Verhaltensstrategie gezeigt, auf die auch moralisch integre Personen ohne Skrupel

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Page 48: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

zurückgreifen. Deshalb entstand eine Vielzahl von Thesen über die Wirkung solcher Gewaltdarstellungen auf die

Gesellschaft, insbesondere auf Kinder und Jugendliche:

TV-Gewalt These

Verhindert reale Gewalt Katharsisthese Inhibitionsthese Stimulationsthese Fördert Gewaltbereitschaft

Erregungsthese Imitationsthese Suggestionsthese Führt zur Abstumpfung gegen Gewalt

Habitualisierungsthese

Bewirkt unmittelbar gar nichts These von der Wirkungslosigkeit

Die Katharsisthese

besagt, dass die Betrachtung medialer Gewaltdarstellungen die Aggression bzw. die Aggressionsbereitschaft der

Rezipienten senkt. Durch das dynamische Mitvollziehen von Gewaltakten kann die nach Freudscher Triebtheorie

angesammelte aggressive Energie entladen werden. Alle Formen der Katharsistheorie (s. S. 338) können als

widerlegt angesehen werden.

Die Inhibitionsthese

besagt, dass insbesondere realistische Gewaltdarstellungen, in denen die Konsequenzen von Gewalt deutlich

gezeigt werden, eher Angst denn Aggression bewirken und sich die Bereitschaft der Zuschauer mindert, selbst

aggressiv zu werden. Die vorliegenden Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass durch den Konsum violenter

Medieninhalte keine Aggressionsreduktion erfolgt.

Die Stimulationsthese

Behauptet im Gegensatz zu den vorhergehenden Thesen, dass mediale Gewaltdarstellungen die

Aggressionsbereitschaft sowie tatsächlich geübtes aggressives Verhalten beim Betrachter steigern. Von dieser

These gibt es mehrere Varianten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die allgemeinste ist

Die Erregungsthese

Medieninhalte können die Rezipienten generell in Erregung versetzen. Da gerade Gewalt und Sex emotional

bewegende Inhalte sind, erklärt sich, warum dies immer mehr in Filmen gezeigt wird: um Zuschauer anzuziehen.

Die verursachte emotionale Erregung ist um so größer, je mehr die Handlung in einem dem Rezipienten

entsprechenden Milieu stattfindet. Diese allgemeine (nicht bloß auf Gewaltinhalte) bezogene Erregungsthese ist

empirisch abgesichert.

Die Imitationsthese

ist besonders mit der Theorie des Modelllernens von Bandura (1979) verknüpft. Violente

Unterhaltungssendungen versorgen demnach die Zuschauer (insbesondere Kinder) mit Handlungsmustern, die in

ähnlichen Situationen nachgeahmt werden. Die Aussagekraft von Experimenten, in denen Kindern Filme gezeigt

werden, wo an Plastikpuppen aggressives Verhalten vorgeführt wurde und die Kinder dies in ähnlichen

Situationen reproduzierten, wird eher bezweifelt. Eine modifizierte Form der Imitationsthese ist

Die Suggestionsthese

Eine medial gezeigte Gewalttag besitzt nach dieser These eine derart suggestive Wirkungskraft, dass es mehr

oder weniger direkt im Anschluss daran zu Nachahmungstaten kommt. Als Beispiel werden Studien mit Berichten

von Selbstmorden (z. B. Marylin Monroe) genannt, nach denen die Selbstmordziffer anstieg.

Die Schwäche dieser Statistiken liegt allerdings darin, dass es sich hiermit um Aggregatsdaten handelt, die noch

der Ergänzung durch Einzelfallstudien bedürfen. Es könnten ja vielleicht nur ganz bestimmte Persönlichkeiten in

ebensolchen psychischen Situationen sein, die diese Taten nachahmen.

Habitualisierungsthese

Die Sensibilität gegenüber Gewalt nimmt durch den ständigen Konsum von Fernsehgewalt ab. Die Zuschauer

gewöhnen sich an die Gewalt. Es gibt zwei ältere Experimente, die diese These nachgewiesen haben, spätere

Studien konnten sie aber nicht bestätigen. Überraschenderweise liegen für diese These jedoch insgesamt kaum

empirische Untersuchungen vor.

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Page 49: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Die These von der Wirkungslosigkeit

Die Vertreter dieser These behaupten nicht, dass Fernsehen keine Wirkung hätte, sondern dass noch keine

einzige langfristige Studie den Nachweis erbrachte, dass Gewaltdarstellungen zu einem Ansteigen tatsächlicher

Gewalt führen. Außerdem können die Laborexperimente nicht auf natürliche Umgebungen übertragen werden.

Eine sozialschädliche Wirkung von Gewalt sei deshalb nicht zu erwarten, weil die gesellschaftlichen Normen

gewalttätiges Verhalten verurteilen. Komme es in Einzelfällen zu Nachahmungstaten, so sei dies ein höchst

seltenes Ereignis, das "individuell bedauerlich, aber gesamtgesellschaftlich ein Randproblem" sei (Haase 1981).

Diese Position steht in Einklang mit dem aktuellen Erkenntnisstand Massenmedialer Wirkungsforschung, wonach

der direkte Schluss vom Inhalt auf die Wirkung schlicht falsch sei.

Resümee

Die möglichen negativen Wirkungen von Gewaltdarstellungen sollten nicht herabgespielt werden.

Erwiesenermaßen bewirkt Fernsehgewalt ja kurzfristige emotionale Erregung (Erregungsthese) und es wird

niemand dadurch friedlicher (Widerlegung der Katharsisthese). Es ist wichtig, die Randbedingungen der Wirkung

gewalttätiger Inhalte zu kennen: als primäre Sozialisationsinstanz gilt die familiäre Umwelt, dann die Subkultur, in

der wir uns bewegen und erst an dritter Stelle die Massenmedial angebotenen symbolischen aggressiven

Modelle. Kunczik weist auch darauf hin, dass aggressive Individuen vielleicht eben eher aggressive Inhalte

bevorzugen und man es deshalb mit einem sich selbst verstärkenden Prozess zu tun haben könnte. Deshalb

scheinen Modelle zur pädagogischen Auseinandersetzung mit Gewalt im Fernsehen eminentes

gesellschaftspolitisches Gewicht zu erhalten. Von besonderer Bedeutung sei letztlich aber das persönliche

Umfeld, besonders bei Kindern und Jugendlichen. Kinder und Jugendliche, die in einem "intakten" sozialen

Umfeld leben, scheinen durch Gewaltdarstellungen im Fernsehen nicht gefährdet zu sein.

5.5.5. Fernsehen und Bildung

Der bekannteste Versuch, Lernen via Fernsehen anzubieten, war die Fernsehserie „Sesame Street“ im Jahre

1969 in den USA. Ziel war Vorschulkinder auf die Schule vorzubereiten und schichtspezifisch bedingte

Unterschiede auszugleichen. Das zweite Ziel konnte nicht befriedigend erfüllt werden; man erkannte, dass die

Mitwirkung der Eltern eine wesentliche Verstärkerbedingung darstellte und dass diese Bedingung gerade in

tieferen sozialen Schichten oftmals nicht genügend vorhanden war. Fernsehen kann also bestenfalls

Nachhilfelehrer sein, den wirklichen Erzieher und die Eltern kann es nicht ersetzen.

Winterhoff-Spurk (1986) kam in einer Sekundäranalyse zum Schluss, dass weniger als ½ Prozent der

Schulleistungen durch den Fernsehkonsum bestimmt ist. Auch beim Zusammenhang zwischen Fernsehen und

Sprachentwicklung & Kreativität/Phantasie wird die Einflussgröße „Eltern“ als wichtiger Faktor gesehen.

5.5.6. Fernsehen und Lesen

Fernsehen und Zeitung: Diagnose einer erfolgreichen Koexistenz; eine Langzeitstudie ergab, dass der tägliche

Zeitaufwand für die Zeitungslektüre mit ½ Std. konstant blieb. Lediglich das Gesamtzeitbudget für Mediennutzung

ist seit den 60er Jahren von knapp über 3 auf 5.5 Std. täglich gestiegen.

Fernsehen und Bücher: Studien aus Österreich ergaben eine kontinuierliche Steigerung der (fast) täglichen

Buchleser seit 1972. Allerdings muss zwischen Viel- und Wenigleser unterschieden werden: Wenigleser sehen

mehr fern als die Vielleser und umgekehrt. Auch heute noch zeigen sich Trends, die an die berühmte „more and

more-Regel“ (Lazarsfeld et al., 1948) erinnern, nach der Menschen, die ein Medium nutzen, auch andere Medien

mehr nutzen. Printmedien dürfen daher nicht als Gegensatz zu den AV-Medien gesehen werden, sie existieren

neben- und miteinander.

5.5.7. Fernsehen und Familie

Wie bei allen Medien, dürfen auch die fernsehbezogenen Nutzungsmuster nicht isoliert betrachtet werden,

sondern immer im Zusammenhang mit den realen und praktizierten Interaktions- und Kommunikationsqualitäten

in Familien. Je nach Familientyp erfüllt das Fernsehen unterschiedliche soziale Funktionen wie z. B.:

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Page 50: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Konfliktregulierung, Bereitstellung von Gesprächsmustern oder Vermittlung von Werten. Interpretiert man das

Fernsehverhalten als Teil familialer Gruppenprozesse, so erkennt man, dass es nur an der Oberfläche ein

gemeinsames Handeln darstellt, was lediglich als Verhaltensroutine eingestuft werden kann. Außerdem führt es

kaum zu interpersonaler Kommunikation und auch das Sozialverhalten der Familie wird kaum angeregt.

Weitere Befunde zeigen, dass mit steigender sozialer Schicht nicht nur weniger ferngesehen wird, es zeigen sich

auch unterschiedliche Publikumszusammensetzungen. Während in Unterschichtfamilien die ganze Familie häufig

gemeinsam fernsieht (wobei in der Beteiligung der Vater dominiert), bilden sich in Mittel- und Oberschichtfamilien

sog. „Generationen-Publika“ (Hunziker, 1977), die sich häufig durch eine stärkere Beteiligung der Mütter am

kindlichen Fernsehen auszeichnen.

Wie schon erwähnt, lässt sich der Fernsehkonsum nur im Kontext mit interpersonalen Kommunikationsstrukturen

in der Familie betrachten. Neben der sozialen Schicht stellen v. a. das Familienklima, das Erziehungs- und das

Gesprächsverhalten eigenständige Faktoren in der Erklärung des Medienverhaltens dar (Hurrelmann, 1989). Es

ist also schlicht zu eindimensional, wenn man nach „dem“ Einfluss des Fernsehens auf „die“ Gesellschaft –

zuletzt eben auf „die Familie“ fragt. Man wird die Realität der Fernsehgesellschaft nur dann angemessen

wahrhaben können, wenn man sich stets auch auf das soziale Umfeld besinnt, in dem die konkrete

Fernsehrezeption jeweils stattfindet.

5.5.8. Die Zerstückelung des Fernsehens

Im Folgenden ist die Rede von „Switchen“, „Zappen“, „Grazen“, „Flippen“ und „Zippen“, alles Bezeichnungen für

„Channel-Hopping“, ein Zuschauerverhalten, das mit dem Ansteigen der Zahl der Fernsehkanäle und mit der

Verbreitung von Fernbedienungen aufzutreten begann.

„Switching“ ist die Angewohnheit eines wachsenden Teils der Zuschauer, mit der Fernbedienung zwischen den

Kanälen hin und her zu wechseln und nicht mehr eine Sendung von Anfang bis Ende, sondern im Extremfall alle

parallellaufenden Sendungen, jede eine kurze Zeit lang, zu verfolgen.

„Zapping“ (gleiches Verhaltensmuster wie beim „Switching“) bedeutet häufiges Umschalten und Kanalwechsel

während laufender Sendungen. Oft wird dabei gezielt Werbung ausgeblendet.

„Grazing“ heisst soviel wie „abgrasen“ aller zur Verfügung stehenden Fernsehkanäle. Es erfolgt weniger rasch als

Switching oder Zapping.

Doelker (1989) differenziert noch weiter und führte 3 weitere Begriffe ein. Das „Flipping“ wird gebraucht für ein

Wechseln des Kanals zur Umgehung eines Werbeblocks. Für das Überspringen der Werbung bei auf

Videorecorder aufgezeichneten Programmen durch den schnellen Vorlauf wird der Ausdruck „zipping“ verwendet

und der Begriff „zapping“ wird gebraucht, wenn man bei der Aufzeichnung von Programmen die Werbung (durch

Drücken der Pausetaste) überspringt.

Ernsthafte empirische Untersuchungen zu den Begriffsfunktionen liegen noch nicht vor.

5.5.9. Vielkanalfernsehen, Politik und Videomalaise

Das Switchen, Zappen, ... wäre nicht möglich ohne das Vorhandensein vieler Programme.

Aus der Perspektive der politischen Funktionen der Massenmedien erscheint es nicht unerheblich wie Fernsehen

unter solchen Vielkanalbedingungen genutzt wird und welche Konsequenzen daraus erwachsen. Dies bezieht

sich nicht nur auf die Dauer, sondern vor allem auch auf die Art der Selektion. Befunde aus Deutschland zeigen,

dass die meisten Rezipienten nur ein begrenztes „Channel-Repertoire“ haben. Dieses lag bei ca. 2-5 Kanälen.

32 Prozent erwiesen sich jedoch als „Vielkanalseher“, die 6 oder mehr Sender regelmäßig sehen. Diese

verbringen pro Tag jedoch auch nahezu doppelt soviel Zeit (201 Minuten) vor dem Bildschirm wie

Wenigkanalseher (106 Minuten), verwenden diese Zeit jedoch auch für Informationssendungen, und zwar

häufiger als Personen mit geringem Channel-Repertoire.

Offensichtlich profitieren also die Vielkanalseher vom vermehrten politischen Angebot im Fernsehen. Es zeigt sich

jedoch, dass sie, zusammen mit extensiven Nutzer, ein besonders negatives Bild von Politik haben. Dies entsteht

wahrscheinlich durch den eher oberflächlichen Mediennutzungsstil; die durch Zapping, Grazing etc. erhaschten

Bruchstücke an Informationen verhindern womöglich deren angemessene Verarbeitung. Außerdem begünstigt

dieser Nutzungsstil wahrscheinlich den Kontakt zu Nachrichten mit hoher Auffälligkeit, mit hohem

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Nachrichtenwert, und dies sind bekanntlich wiederum jene, die besonders spektakuläre, sensationelle und damit

meist auch negative Aspekte von Politik in den Vordergrund heben.

Diese Beobachtung erinnert an die These von der sog. „Videomalaise“, die von Michael J. Robinson (1976)

populär gemacht wurde. Sie ging von einem zu vereinfachten Ursache-Wirkung-Zusammenhang aus und gab

dem Fernsehen die Schuld an der wachsenden Politikverdrossenheit der amerikanischen Bevölkerung. Robinson

zeigte in Untersuchungen, dass derartige Einstellungskomplexe v. a. bei jenen Personen zu finden waren, die das

Fernsehen als wichtigste Quelle für ihre politische Information angeben. Seinen Erklärungen zufolge würde das

Fernsehen durch negative Politikberichterstattung, die Konflikt und Gewalt überbetont, die Menschen von der

Politik entfremden.

Die These wurde inzwischen mehrfach überprüft und ist in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr haltbar. Man

erkannte die Problematik von (mono)kausalen Erklärungsversuchen und dadurch die Relevanz von weiteren

Faktoren wie Bildung und politisches Interesse.

Außerdem ist auch der umgekehrte Zusammenhang denkbar: politisch bereits entfremdete Personen wenden

sich eher den unterhaltenden (und somit meist spektakulären und sensationsträchtigen) Medienangeboten zu und

werden dadurch in ihrer negativen Einstellung zu Politik wiederum bestätigt. Auch wenn das Fernsehen eindeutig

eine beeinflussende Wirkung hat, müssen ebenso der gesamte Sozialisationsprozess sowie andere

kommunikative Aktivitäten in Untersuchungen miteinbezogen werden.

5.5.10. Multimedia, Internet und die Zukunft des Fernsehens

Das Wort Multimedia bezeichnet ein Entwicklung, die Fernsehgerät, Personalcomputer und Telefon zu einer

kommunikativen Universalmaschine vereinigt, in der viele kommunikative Tätigkeiten (wie z. B. Tele-Banking)

zusammenlaufen. Diese Kombination unterschiedlicher medialer Techniken läuft auf einer einzigen

Bildschirmoberfläche ab, dem Personalcomputer.

Multimedia besitzt im wesentlichen 3 Merkmale: Möglichkeit der interaktiven Nutzung, integrative Verwendung

verschiedener Medientypen sowie die digitale Technik. Durch die Entstehung des Internet (Zusammenschluss

von regionalen, nationalen und übernationalen Computernetzen, die über Standleitungen weltweit miteinander

verbunden sind) ist der Begriff der Interaktion mit den Medien ins Zentrum gerückt und die

Rollenfestschreibungen zwischen „Sender“ und „Empfänger“ sind ins Wanken geraten.

Abgesehen von der Interaktion mit anderen Menschen über den Daten-Highway ist auch der Zugriff auf

Datenmengen ungeahnten Ausmaßes möglich. Wichtig sind dabei die Orientierungshilfen, um eine

Informationsüberflutung zu vermeiden und eine angemessene Auswahl der gesuchten Infos zu ermöglichen.

Durch das Zusammenwachsen von Telekommunikations- und Computertechniken (Konvergenz) befürchtet man

eine Verdrängung älterer Medien. Allerdings hat noch niemals in der Mediengeschichte eine neue mediale

Vermittlungstechnik eine ältere gänzlich verdrängt. Vielmehr gilt, „dass die verschiedenen Medien

unterschiedliche Konsumentenbedürfnisse unterschiedlich gut befriedigen und dass die meisten Menschen auch

Bedürfnisse haben, die das Fernsehen, Bücher und Zeitungen oder auch das Radio besser befriedigen können

als der Computer“ (Stipp, 1998).

Ein Blick in die Online-Zukunft:

Was die seit dem Ende des 20. Jh.s. wachsende Verbreitung der Online-Kommunikation für die Zukunft unserer

Gesellschaft bedeutet, ist derzeit noch nicht seriös diagnostizierbar, um so heftiger wird auch spekuliert. Faktum

ist aber: mit dem ständig wachsenden Zugang zum Internet vermehrt sich das Angebot an medialen Produkten.

Welche Auswirkungen daraus resultieren (z. B. Informations-/Angebotsüberflutung) ist aber noch unbekannt.

Selektivität:

Unter Selektion kann man denjenigen Aspekt des Nutzungs- und Rezeptionsprozesses begreifen, bei dem vor

dem Hintergrund begrenzter Ressourcen die eingehende bzw. aufgenommene Informationsmenge auf ein

erträgliches, nützliches oder angenehmes Maß für die Weiterverwendung reduziert wird. Das selektive Verhalten

der Nutzer wird immer stärker als jene Variable in den Mittelpunkt rücken, die das Rezeptionsverhalten steuert,

und zwar insbesondere mit Blick auf die wachsende Zahl der Online-Angebote. Im Gegensatz zur „Push-Struktur“

der traditionellen Massenmedien liegt hier eine Pull-Struktur“ vor: Online-Inhalte kommen nicht wie „von selbst“

auf ihr Publikum zu, sondern sie müssen aus dem Angebot gezielt herausgeholt („angeklickt“) werden.

Interaktivität:

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Durch die Verbindung von Telekommunikation und Computertechnik entstand eine technische Infrastruktur, die

neue Möglichkeiten der sozialen Interaktion hervorbrachte (sog. Virtuelle Gemeinschaften). Auch Online-

Nachrichten werden – abgesehen von der schnellen Verfügbarkeit – daher häufig aufgesucht, weil man individuell

Interessantes gezielt auswählen kann und nicht mehr auf Programmabläufe angewiesen ist.

Konkurrenz oder Komplementarität:

Bisherige Daten zeigen, dass sich die Effekte der Online-Nutzung auf die Nutzung herkömmlicher Massenmedien

in Grenzen halten. Substitutionseffekte lassen sich allerdings eher beim Fernsehen und bei der Tageszeitung

erkennen und Komplementaritätseffekte beim Radio und bei bestimmten Typen von Publikumszeitschriften.

Eines scheint sicher: der Bedarf nach Unterhaltung und Information wird in Zukunft weiterhin bestehen und

befriedigt werden müssen, und die Online-Medien werden dabei einen unbestreitbaren Stellenwert einnehmen.

5.6 Funktionen der Massenmedien

Dieser Abschnitt befasst sich mit den Leistungen, die die das Massenkommunikationssystem in Hinblick auf den

(Fort-)Bestand eines Gesellschaftssystems erbringen, erbringen müssen oder sollten.

Der Begriff Funktion wird systemtheoretisch Hergeleitet (Stichworte: überwinden „Zwei - Variabeln - Probleme;

Analyse komplexer Zusammenhänge). Funktionen sind demnach eine gewisse Art von Wirkungen im System.

Ein soziales System besteht „aus faktischen Handlungen, die sinngemäß zusammenhängen“ (Luhmann, 1970)

und aus Personen. Personen sind Aktionssysteme eigener Art. Soziale Systeme haben Bedürfnisse. Um

fortzubestehen müssen sie Probleme lösen, z. B. sich an die verändernde Umwelt / Rahmenbedingungen

anpassen (moderner Funktionalismus).

Es wird zwischen funktionalen (für die Passung System-Umwelt förderliche) und dysfunktionalen (die Passung

System-Umwelt beeinträchtigende/mindernde) Leistungen eines Systems unterschieden.

Medien haben für verschiedene Gesellschaftssysteme (Bezugsrahmen), in unserem Falle eine westlich-

kapitalistische Industriegesellschaft, verschiedene Bedeutungen.

Die Massenkommunikation selber findet in verschiedenen gesellschaftlichen Sub-Systemen statt, nämlich im

sozialen, politischen und ökonomischen. Jedes dieser Umfelder hat andere Erwartungen an die Leistungen

der Massenmedien. Auch erfüllen die Massenmedien für jedes dieser „Sub-Systeme“ andere Aufgaben. ..and so

on… Die eigentliche Leistung ist dabei die Vermittlung von Information.

5.6.1 Soziale Funktionen

Es werden 4 soziale Hauptfunktionen, also Leistungen der Massenmedien in Hinblick auf das soziale System,

genannt: Sozialisationsfunktion, soziale Orientierungsfunktion, Rekreationsfunktion (Unterhaltung,

Eskapismus) und die Integrationsfunktion.

Sozialisationsfunktion

In komplex organisierten Industriegesellschaften werden Rollenmuster nicht mehr vor allem in Primärgruppen

(Eltern, Verwandtschaft) gelernt. Rollen werden durch Aussagen in den Massenmedien transportiert. Der Mensch

wird durch Massenmedien „kulturalisiert“. Bildung und Erziehung werden zu einem (wesentlichen?) Teil durch die

Massenmedien übernommen. Ronneberger unterscheidet zwischen 4 typischen Sozialisatoren in den Medien:

Redaktion eines Mediums, natürliche Personen, literarische Symbolfiguren und Helden. (S.374) Sozialisation

durch Massenkommunikation findet nach ihm vor allem in zwei Hinsichten statt:

1. Vermittlung von Leitbildern, Werten und Normen des Denkens und des Handelns (wird aber eigentlich mehr

durch familiäres Umfeld übernommen)

2. Vermittlung von Denkformen und Verhaltensweisen, die das Leben in komplex organisierten

Gesellschaftssystemen überhaupt erst ermöglichen und die zugleich auch der Erhaltung und Weiterentwicklung

dieser Gesellschaft dienen.

Soziale Orientierung

Unsere westliche Industriegesellschaft - oder besser Informationsgesellschaft – ist hoch komplex. Die Vielfalt an

Möglichkeiten, Erlebenswelten, etc. ist unüberschaubar. Die Medien versorgen uns mit Details, die uns das

Zurechtfinden ermöglichen.

Rekreationsfunktion (Gratifikationsfunktion n. Saxer)

5

Page 53: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Eigentlich wird die Unterhaltungsfunktion angesprochen. Die Sorgen des Alltags durch Medienkonsum

vergessen, sich vor der eigenen Realität verstecken (Eskapismus).

Integrationsfunktion

Unsere Gesellschaft ist durch vielfältige Interessen differenziert. Um ein Auseinanderklaffen der verschiedenen

Interessengruppen, Verbände, Minoritäten etc. zu verhindern, müssen Integrationsleistungen erbracht werden.

Die Medien – vor allem öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten – versuchen durch Darstellung verschiedener

Interessengruppen auf Ansichten aufmerksam zu machen. Auch werden Denk- und Verhaltensmuster etc.

angeboten. Als dysfunktionale Leistung nennt Maletzke Desintegration, nämlich das Auseinanderklaffen der

orientierten und nicht-orientierten Bevölkerungsgruppen.

5.6.2 Politische Funktionen

Es werden 4 politische Hauptfunktionen, also Leistungen der Massenmedien in Hinblick auf das politische

System, welches nach demokratischen Regeln organisiert ist, genannt: Herstellen von Öffentlichkeit,

Artikulationsfunktion, politische Sozialisations- bzw. Bildungsfunktion und die Kritik- und

Kontrollfunktion.

Herstellen von Öffentlichkeit:

Medien stellen „Raum“ zur Verfügung, in dem Öffentlichkeit erzeugt wird. Öffentlichkeit entsteht und besteht im

Wesentlichen dadurch, dass Informationen via Massenmedien zugänglich gemacht werden. Im demokratischen

System ist dies besonders für die Willensbildung, Meinungsbildung sowie die Diskussion von Standpunkten

wichtig (Medien als Podium für alle Interessengruppen). Dysfunktional ist das Herstellen von Öffentlichkeit, wenn

Inszenierung zum eigentlichen Erfolgskriterium der Politik wird (Worte statt Taten).

Artikulationsfunktion

Medien verhelfen der Vielfalt der vorhandenen Interessen und Meinungen zum Ausdruck. Funktion als

Sprachrohr für alle. Saxer erwähnt Korrelationsleistungen, die Abstimmung unterschiedlicher Standpunkte

aufeinander, also eine Verringerung der vorhandenen Standpunkte. (Journalist ist Übersetzer, der Bezüge

herzustellen versucht.)

Politische Sozialisationsfunktion

Ähnlich der Sozialisationsfunktion werden politischen Rollen (Wähler, Parteigänger, Opponent, Demonstrant etc.)

transportiert und transparent gemacht. Dem Individuum werden Möglichkeiten und Chancen der aktiven

Teilnahme am politischen Leben angeboten. Teil der politischen Sozialisation ist die politische Bildungsfunktion.

Damit ist gemeint, dass „die Medien für die Heranbildung von sich am politischen Prozess beteiligenden

Staatsbürgern einen Beitrag leisten“(Ronneberger).

Kritik- und Kontrollfunktion

Zentrales Kennzeichen der Demokratie ist die Fähigkeit und Möglichkeit von Mitgliedern der Gesellschaft zur

Kritik an (politischen) Machtträgern. Die Veröffentlichung der Standpunkte der Regierung, Opposition,

Gewerkschaft und anderen Interessengruppen macht die Medien zu einer Plattform der gegenseitigen Kritik.

Medien werden zum Kontrollorgan der kritisierten Zustände. Die Kritikfunktion kann nur durch Unabhängigkeit (z.

B. Zensurfreiheit)garantiert werden. Aus dysfunktionaler Perspektive bring diese Kontrollfunktion „öffentliche

Halbdenker“ hervor, die den Meinungsbildungsprozess durch das Äussern von halben Wahrheiten zu ihren

Gunsten beeinflussen.

5.6.3 Ökonomische Funktionen

Es werden 3 ökonomische Hauptfunktionen, also Leistungen der Massenmedien in Hinblick auf das

kapitalistische ökonomische System (mittelbare und unmittelbare Kapitalverwertung p.387), genannt:

Zirkulationsfunktion, regenerative Funktion

und die herrschaftliche Funktion. (Für alle Wirtschaftstheorie Interessierten: bitte selber nachlesen. Meiner

Ansicht nach ist dieses Kapitel nicht so wichtig.)

Zirkulationsfunktion

Danach unterstützen die Medien die Aktivierung der Ware-Geld-Beziehungen. In dem sie den Warenumschlag

beschleunigen, fungieren sie als Motor des kapitalistischen Wirtschaftskreislaufes. Zu dieser

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Page 54: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

„absatzökonomischen Funktion“ der Medien gehört, dass die Medienkonsumenten durch Werbung animiert

werden, um das kapitalistische Wirtschaftssystem zu stabilisieren.

Die Medien erbringen dazu folgende notwendige Leistungen:

- Wissensvermittlung: entscheidungskompetent und handlungsrelevant informiert sein (Möglichkeiten der

Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens kennen; aber auch bewusst werden des Unterschiedes zwischen

eigenen Möglichkeiten und dem anzustrebenden Ideal)

- Sozialtherapie: Notwendigkeit, für die Defizite, Zwänge und Anforderungen, die die eigene soziale Lage

kennzeichnen, Entlastungs- und Kompensationsmöglichkeiten zu haben

- Legitimationshilfe: Notwendigkeit, die eigene Situation zu deuten und zu bewerten sowie die einem

begegnenden Zustände, Ereignisse und Verhaltensweisen rechtfertigen zu können. Gesellschaftliche Probleme

werden anhand einer Person mit Gesicht oberflächlich dargestellt (Personalisierung). Geht man nun davon aus,

dass durch die Wissensvermittlung und subjektive Unzufriedenheit kognitiv-emotive Dissonanzen entstehen,

lassen sich diese durch Sozialtherapie und Legitimationshilfe wieder abbauen. Also durch sozialen Vergleich mit

der vom Problem betroffenen Person geht es einem selber ja eigentlich recht gut und man möchte nicht

tauschen. Dadurch erhöht sich die Zufriedenheit. Alles klar? (nachzulesen Seiten 389-391)

Regenerative Funktion

Durch die Befriedigung der Informations- und Unterhaltungsansprüche des Publikums (Brot und Spiele) erhält die

Maße der Werktätigen Gratifikation. Diese wird benötigt um sich psychisch und physisch einigerMaßen zu

erholen, um motiviert wieder an die Arbeit zu gehen. (siehe Rekreationsfunktion)

Herrschaftliche Funktion

Nach Holzer erfüllen die Medien eine herrschaftliche Funktion indem alle Massenmedialen Informations- und

Unterhaltungsangebote letztlich zur Legitimierung und Propagierung des gesellschaftlichen

Organisationsprinzips, der kapitalistisch geprägten Marktwirtschaft beitrage.

5.6.4 Information

Oft wird die Informationsfunktion als „ursprünglichste Funktion der Massenmedien“ betrachtet. Massenmedien

verhelfen zur Kenntnis von Geschehnissen außerhalb des direkt zugänglichen persönlichen Erlebnisfeldes und

bringen damit Ereignisse und Tatbestände näher, von deren Existenz man in der Regel nichts weiß.

Auch hat der Massenkommunikationsprozess im Hinblick auf das soziale, politische und ökonomische System

einen großen Einfluss, bzw. hängen diese von der Qualität des Informationsflusses ab.

Information wird als ein „Korrelat von Unkenntnis“ (Pross 1977) begriffen. Eine informative Mitteilung erweitert das

subjektive Wissen des Empfängers. Der Informationsgehalt ist eine veränderliche Grösse. Der Informative Wert

einer Nachricht hängt also vom (Vor)Wissen des Rezipienten ab.

Verarbeitung von Information aus der Umwelt (einschließlich der Massenkommunikation) ist ein grundsätzlich

lebensbegleitender Vorgang, Teil der Alltagserfahrung.

Informationen können im Rahmen einer Primärerfahrung (Reduktion des Nichtwissens im direkten Umgang mit

Dingen) oder einer Sekundärerfahrung (Reduktion des Nichtwissens durch Kommunikation, durch

Verständigung über Dinge) gewonnen werden.

Informationsvermittlung via Massenkommunikation vollzieht sich im Rahmen von Sekundärerfahrungen. Durch

den Verlust an Primärerfahrungen findet eine Verschiebung statt: den medialen „Wirklichkeiten“ wird ein

wesentlich höherer Grad an Authentizität zugesprochen als den Primärerfahrungen.

In der demokratischen Gesellschaft werden 3 Grundansprüche an die Qualität der vermittelten Information (vor

allem Nachrichten und was von politischer Relevanz ist) gestellt:

Vollständigkeit: möglichst genaues Bild der komplexen Wirklichkeit wieder geben

Objektivität: Fehlen jeglicher Subjektivität bzw. Wertfreiheit; Verpflichtung möglichst unverzerrtes Bild der

Wirklichkeit wieder zu geben; Realität aus vielen Blickwinkeln beleuchten (pp. 398/399).

Verständlichkeit: „Ereignisse und Probleme auch für nicht Sachverständige verständlich darstellen.

(Meinungsbildungsprozesse)

Als Funktionen der Massenmedien sind bestimmte Wirkungen auf die Rezipienten angesprochen, die aufgrund

Massenmedialer Leistungen zustandekommen. Im modernen Funktionalismus (funktional-strukturelle

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Page 55: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Systemtheorie) gilt ein soziales System als aus faktischen, sinngemäß zusammenhängenden Handlungen

bestehend (also ist es ein System von Handlungen), deren Akteure (oder Aktionssysteme) Personen sind. Nach

funktionalistischer Theorie wird dieses System in der Konfrontation mit seiner Umwelt gesehen – Aufgabe dieser

Wissenschaft ist es nun, Aussagen über Probleme zu machen, denen sich dieses soziale System widmen muss.

Man unterscheidet in der funktional-Massenmedialen Perspektive zwischen Funktionen und Dysfunktionen auf

das soziale System, je nachdem ob sie auf die Weiterexistenz des Systems einen positiven oder einen negativen

Einfluss haben. Die Funktionalität eines Systems nimmt also direkt Bezug auf die Konsequenzen

Maßenkommunikativer Handlungen und rückt die Fragestellung der Qualität in den Mittelpunkt.

Informationsfunktion: Hiermit wird eine Leistung der Massenmedien angesprochen, welche sich auf alle drei

untenstehenden Bereiche erstreckt. Dabei ist Information als Korrelat von Unkenntnis zu betrachten, d. h. sie

teilt uns etwas mit, was vorher nicht bekannt war oder sie macht eine Aussage, über die bisher ein gewisses Maß

an Nichtwissen geherrscht hat. So ist also Information als Reduktor von Nichtwissen zu sehen. Der

Informationsgehalt ist also eine veränderliche Grösse, da nicht bekannt ist, welcher Anteil der übermittelten

Information sich schon mit vorhandenem Wissen des Rezipienten deckt und welcher Anteil völlig neu ist. Eine

Aussage ist dieser Betrachtung zufolge erst eine Information, wenn sie etwas neues mitteilt – von der Perspektive

des Rezipienten. Dabei gilt auch bekanntes, das in einen neuen Zusammenhang gebracht wird als neu. Man

unterscheidet bei der Rezeption von Informationen auch die Qualität einer Information: So ist denn eine

Primärerfahrung allein dadurch zustandegekommen, dass man etwas durch den direkten Umgang mit der Sache

erfahren hat. Bei der Sekundärerfahrung hat man lediglich durch Kommunikation Unwissenheit verdrängt. Man

kommuniziert und weiß dann mehr über eine Sache. Bei zweiteren Erfahrungen spricht man lediglich von einer

fiktiven Welt aus Zeichen, d. h. einer Informationsaneignung, die auf Symbolübermittlung basiert.

Es ist daher klar, dass Massenmedial übermittelte Informationen allesamt Sekundärerfahrungen sind. Diese

Erfahrungen aus zweiter Hand ersetzen also die unmittelbare, ursprüngliche Welterfahrung.

Was wir im Rahmen unserer alltäglichen Welterfahrung uns aneignen, besteht – aufgrund der hohen

Massenmedialen Dominanz – zu 95 % aus Papier und publizistisch verbreitetem Ton und Bild. Dieser primärer

Erfahrungsverlust bewirkt zudem, dass wir den Massenmedialen Sekundärerfahrungen mehr Authentizität

zusprechen, als dem was wir selbst sehen, und dem womit wir selbst direkt zu tun haben. Dies verdeutlicht das

Maß, in welchem Massenmedien auf uns wirken und auch, weshalb die Schwerpunktssetzung der

Massenmedien explizit auf der Information ruhen muss. Was also außerhalb des persönlichen Erlebnisfeldes ist

(also alles was sekundär ist), ist fast ausschließlich nur durch die Medien in Erfahrung zu bringen. Die Aufgabe

der Umweltüberwachung drängt sich hier also ganz stark auf.

Vollständigkeit: Mit diesem Punkt ist auch die Frage angesprochen, welche Bereiche der Medieninhalte in einer

Gesellschaft tabuisiert werden – gleichzeitig auch stellt sich eine andere Frage: Gelingt es den Medien die

Komplexität der Wirklichkeit darzustellen? Ein einzelnes Medium scheint hier zweifellos überfordert zu sein. Die

Frage nach der Vollständigkeit ist aber auch von einem persönlichen Betrachtungsrahmen abhängig. Für jeden

einzelnen bestehen andere Vorstellungen, was in den Bestrebungen der Wirklichkeitskomplexität als relevant

bzw. irrelevant gilt. Es gilt deshalb, die Aufgabe der Vollständigkeit auf eine Weise zu erfüllen wie sie

Anforderungen gerecht wird, die allen Menschen deckungsgleich zugrundeliegen. Denn obwohl für jeden Mensch

eigene Standpunkte und WertMaßstäbe vorliegen, gibt es doch eine gewisse Grundordnung.

Objektivität: Im Zusammenhang mit der Vollständigkeit ist auch die Forderung nach Objektivität verknüpft. Der

Begriff ist aber – rein von definitorischen Standpunkt aus – sehr umstritten. Objektivität ist nicht die Abwesenheit

von Subjektivität und Wertfreiheit – sonst könnte kein Medienprodukt ernsthaft den Anspruch der Objektivität

erheben. Vielmehr ist Objektivität nach SAXER die Verpflichtung zu einer möglichst unverzerrten und daher

allgemein annehmbaren publizistischen Beschreibung der Wirklichkeit. Die Unverzerrtheit drückt sich aus durch

eine Maßstabgerechte Verkürzung der Realitätserfahrung, welche von allen Menschen aufgenommen wird. Hier

wird auch eingewendet, dass Objektivität auf der Tatsache beruht, dass eine (Massenmediale) Darstellung der

Wirklichkeit nicht bloß reproduktiv ist (d. h. wiedergebend) – sondern eigentlich selbst produktiv, also

wirklichkeitsbehandelnd und in einem gewissen Sinne manipulierend ist. Ein aus der Wirklichkeitserfahrung

eigentlich wertneutraler Sinn wird – damit er in die Welt der Aussagen kommen kann (also formuliert wird) – auf

eine gewisse Weise manipuliert. Objektivität stellt sich somit auch bloß als Näherungswert an die Vielzahl von

Betrachtungsweisen dar, welche sich auf die Wirklichkeitserfahrung beziehen. Objektivität ist deshalb auch immer

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Page 56: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

nur innerhalb des Rahmens einer Gesellschaft, Ethnie, Kultur, Nation anwendbar. Objektiv ist lediglich das

Betrachten der Wirklichkeit aus vielen verschiedenen Perspektiven.

Verständlichkeit: Hierin ist ein Grundanspruch der Medien angesprochen. Medieninhalte müssen dermaßen

beschaffen sein, dass auch nichtsachverständige Bürger verstehen , worum es geht. Dieser Anspruch geht

deshalb auch mit dem Begriff der Schaffung einer Orientierungsgrundlage einher, welche für den einfachen

Bürger Zusammenhänge erschliesst und kommplexe und komplizierte Sachlagen näherbringt. Nicht zu

vernachlässigen ist aber die dysfunktionale Seite der Verständlichkeit, die Simplifizierung und die daraus

potentiell erwachsenen Stigmatisierungen usw.

Soziale Funktionen: Gemeint sind hiermit alle Massenmedialen Leistungen auf die gesellschaftliche Umwelt als

soziales System.

Politische Funktionen: Gemeint sind hiermit alle Massenmedialen Leistungen auf die gesellschaftliche Umwelt

als politisches (demokratisches) System.

Ökonomische Funktionen: Gemeint sind hiermit alle Massenmedialen Leistungen auf die gesellschaftliche

Umwelt als ökonomisches, kapitalistisch organisiertes System.

Sozialisationsfunktion: Sozialisierung, Stärkung des Normbewusstseins / In einem lebenslangen Prozess der

Wertebildung haben die Massenmedien eine außergewöhnlich wichtige Bedeutung. Die Massenmedien

ermöglichen überdies eine Bildung durch Kultur und eine Bildung zur Kultur. Als Sozialisatoren werden

gelegentlich vier Kategorien aufgezählt (RONNEBERGER): Redaktion (mit den sozialisierenden Eigenschaften

der Gleichmäßigkeit, Regelmäßigkeit und Kontinuität), natürliche Personen (Radiosprecher, Kommentatoren,

Korrespondenten, Sprecher, Moderatoren, Kolumnisten), literarische Symbolfiguren (positive/negative

Leitbilder) und Helden (v. a. in Filmen). Die Sozialisation durch Massenmedien fungiert nach RONNEBERGER

als Vermittlung von Normen und Leitbildern, ferner aber auch von Denkformen und Verhaltensweisen. Die ersten

beiden Begriffe werden damit entweder abgelehnt oder angenommen, die beiden letzteren hingegen werden in

irgendeiner Form unbewusst aufgenommen. In einem inständigen Reflexionsprozess werden die Medieninhalte

dann individuell verarbeitet. So wird auch die Fähigkeit geschult, viele, z. T. widersprüchliche Informationen

aufzunehmen, Andersdenkende zu akzeptieren, einen Wertepluralismus zu praktizieren und Konflikte zu

ertragen.

Soziale Orientierung: Die Massenmedien sollen helfen, dass wir uns in einer sensorisch immer unüberblickbar

werdenden Umwelt dennoch einen Überblick verschaffen können. Sie treten auch als Helfer bei

Problemsstrategien in Erscheinung. Die Anzahl heute existierenden „Sinnwelten“ lassen es nicht zu, dass wir die

Gesamtheit der vorhandenen Erfahrungs-, Denk- und Handlungsweisen rezipieren können.

Rekreations- und Gratifikationsfunktion: Sie erlauben es uns, einem Bedürfnis nach Zerstreuung, nach

Ablenkung nachzukommen. Die Massenmedien werden hier als psychische Stimulation und Entlastung

betrachtet. Im Sinne einer Flucht vor der realen und „grausamen“ Welt wird.

Herstellen von Öffentlichkeit: Öffentlichkeit wird als ein Lebensraum von den Massenmedien hergestellt, indem

Informationen veröffentlicht, also öffentlich gemacht werden. Besonders in der Demokratie erfüllen die Medien

den Auftrag, politisch-gesellschaftliche Sachverhalte zu klären, um die Meinungsbildung der Rezipienten

selbständig gedeihen zu lassen. Massenmedien werden in diesem Sinn als ein Podium begriffen, auf dem

gesellschaftliche Konflikte öffentlich und damit durchschaubar gemacht werden. Problematisch (betreffend der

Funktionalität/Dysfunktionalität) der Medien auf die Politik ist die allzeit eingesetzte Inszenierung eines Politikers

in der Öffentlichkeit. Erfolgs- und KompetenzMaßstab für ihn ist lediglich die Fähigkeit, wie er sich in den Medien

präsentieren kann und welche Hilfsmittel ihm da zur Verfügung stehen. So findet nach und nach der Aufbau einer

Symbolischen Politik, die sich auf den Einsatz der Massenmedien stützt – als einziger Erfolgsgarant. Dem

Problem kann nur dadurch Abhilfe geschaffen werden, dass man allen die gleichen Chancen in den

Massenmedial vermittelten öffentlichen Debatte zugesteht.

Artikulationsfunktion: Eng verknüpft mit obigem „Auftrag“ der Massenmedien erweist sich die Aufgabe, als

Sprachrohr für alle Interessengruppen, Verbände, Parteien zu fungieren – zum Ziele der Entstehung eines

Volkswillens. Im Sinne einer Korrelationsleistung, welche die Massenmedien erbringen, helfen sie mit,

verschiedenste Standpunkte und Meinungen aufeinander abzustimmen, um die Meinungsvielfalt auszudrücken,

sie aber gleichzeitig auch einzudämmen. Hier erweist sich auch der Ausdruck „Massenmedien als Wortführer der

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Page 57: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

sprachlosen Maßen als passend. Aber auch hier ist – im Zeichen der Vermehrung elektronischer Medienvielfalt –

die Gefahr zur Technokratisierung, zur so genannten „Symbolischen Politik“ aufzuführen.

Politische Sozialisationsfunktion: Durch diese Funktion sollen politische Rollen transparent gemacht werden –

um dem Bürger und Wähler eine gewisse Übersicht zu verschaffen, denn dies hat ein politisch so komplexes

System wie unseres nötig. Sozialisation wird es genannt, weil man einer Desintegration in Unmittelbare

Kapitalverwertung wird allein durch die Existenz von Massenmedien und durch Investition in diese möglich. Die

mittelbare Kapitalverwertung bedarf aber der qualitativen Produktion von Medieninhalten.

Zirkulationsfunktion: In Anknüpfung an die oben erwähnte Differenzierung können Massenmedien dazu dienen,

Ware-Geld-Beziehungen zu aktivieren und den Geldumschlag zu beschleunigen. Die Massenkommunikation wird

dadurch zum (zu einem) Motor des kapitalistischen Wirtschaftskreislaufes. Dies manifestiert sich vor allem in der

Rolle der Medien als Werbeträger – und somit auch als Triebfeder für Warenfetischismus u.ä. (HOLZER)

Wissensvermittlung, Sozialtherapie, Legitimationshilfe: diese drei Funktionen ermöglichen eine ideologische

Festigung des kapitalistische Wirtschaftssystems. Die Wissensvermittlung dient hierbei dazu, die

Produktivkräfte (nach Marx) zu informieren und sie dadurch weiterzuentwickeln – orientiert an einer sich immer

mehr ausdifferenzierten Arbeitsteilung. Die Sozialtherapie ergibt sich aus der Notwendigkeit, Menschen, welche

das Schicksal stärker getroffen hat durch Massenmedien von ihrer Bürde, die ihnen das kapitalistische Diktat

auferlegt hat, leichter zu ertragen und zu kompensieren (eng verknüpft mit der sozialen Funktion der

Gratifikation). Die Legitimationshilfe eignet sich dazu, eine Rechtfertigung über privatwirtschaftlich erwachsene

Sachverhalte bieten zu können.

Personalisierung: Häufig dienen die Massenmedien dazu, ein wirtschaftliches (Groß)ereignis darzustellen.

Dabei wird häufig personalisiert, d. h. man driftet – zugunsten fokussierter Einzelpersonen – vom eigentlichen

Thema ab. Somit stellt es sich als eigentliche Dysfunktion heraus. Auch ist für diese einer Flucht vor der realen

und „grausamen“ Welt wird diese Funktion auch Eskapismusfunktion genannt (Problematisch

Funktion/Dysfunktion?).

Integrationsfunktion: Um dem Trend der Differenzierung und somit der Desintegration (Isolation)

entgegenzuwirken, müssen Massenmedien auch den Zweck erfüllen, einen „Beziehungmodus zwischen den den

Einheiten des gesellschaftlichen Systems zu erhalten. Je komplexer eine Gesellschaft, umso mehr bedarf sie der

Integration. Massenmedien müssen überdies anerkannte Verhaltensweisen und –normen fördern und

Maßenloyalität für diese Normen festigen. Die Massenmedien also als Spiegel der Gesellschaft, in der sich der

einzelne selbst identifizieren kann und muss. Überdies hinaus dient also die Integration der Durchsetzung

gemeinsamer Interessen. Allerdings kann auf dieser Ebene die Massenkommunikation auch eine dysfunktionale,

also desintegrierende Wirkung haben, indem sie beispielsweise den Werte- und Meinungspluralismus einer

Gesellschaft plattwalzen, also quasi ein Verwischen aller Vielfalt bewirken könnte. Die Gefahr besteht vor allem

angesichts der zunehmenden Massenmedialen Privatisierung, wo der staatliche Auftrag verloren geht – Es ist

aber nicht zwangsläufig so, dass unter dem marktwirtschaftlichen Diktat die Integrationsfunktion an Wert verliert.

der Politik vorbeugen will. Man will das Publikum am Ball behalten, damit es seine Rechte in der Demokratie

wahrnehmen kann und an politischen Entscheidungen zumindest halbdirekt partizipieren kann. Stark mit der

Sozialisierungsfunktion hängt auch die Aufgabe der Bildungsfunktion zusammen. So müssen die

Massenmedien politisches Wissen und Geschick ihrer Bürger fördern, insbesondere die Fähigkeit, Informationen

aufzunehmen und zusammenhängend zu verstehen.

Kritik- und Kontrollfunktion: Die Demokratie gestattet es uns grundrechtlich, unsere Kritik zu äussern. So sind

die Massenmedien als vielstimmigen, kritisierenden Dialog zu verstehen, der seinen Unmut über res publica

äussern darf. Zudem wird eine Wachhundfunktion durch die Medien wahrgenommen, welche das politische

System überwachen sollen und können. Aber die Kritikmöglichkeit kann auch selbst von Politikern ausgenutzt

werden, um ihre Wahlrivalen gezielt via Massenmedien zu treffen (Dysfunktion) um sein eigenes Wählerpotential

maximieren zu können. Die Unabhängigkeit von irgendwelche politischen und gesellschaftlichen Machteinflüssen

ist deshalb das A und O der Massenmedialen Kritik- und Kontrollfähigkeit. Jede Informationsbehinderung ist

deshalb auf jeden Fall schädlich für die Demokratie – denn die Fähigkeit zu Mitverantwortlichkeit wird vermindert.

RONNEBERGER sieht die folgende drei polischen Postulate für die Massenmedien:

Autonomie, Vielfalt, Ausgewogenheit. eigentliche Dysfunktion heraus. Auch ist für diese Funktion der

Massenmedien eine Ambivalenz festzustellen: Einerseits werden Leute in ihrem vollen Luxus dargestellt (virtuelle

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Teilhabe am Reichtum via „Schön und reich“, Glückspost, usw.), andererseits werden schwere Schicksale

ebenfalls in der Massenkommunikation ausführlich dargeboten, um den Rezipienten eine Identifikation mit sich

selbst bieten zu können („Menschen wie du und ich“ – „Eigentlich geht’s mir so schlecht gar nicht!“ à

Legitimationshilfe). Häufig werden die beiden Tendenzen auch vermischt (Auch in der Welt der Reichen und

Schönen gibt es Hass und Elend). Insgesamt stellt sich diese Personalisierung doch als funktional heraus für den

Mechanismus, dem die Gesellschaft zugrundeliegt. Solche Medieninhalte bieten dem Rezipienten

Regenerationsmöglichkeiten, Gratifikationen, um sich zu erholen und um sich motivieren zu lassen.

Im Sinne einer herrschaftlichen Funktion der Massenmedien (Holzer) ist aber auch einzuwenden, dass die

Massenmedien die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse (also das Diktat des Kapitalismus) über alle Maße

rechtfertigen und gutheissen.

soziales Politisches ökonomisches GESELLSCHAFTLICHES SYSTEM

Kapitel 6. Kommunikationswissenschaft als

interdisziplinäre Sozialwissenschaft

Die Kommunikationswissenschaft beklagt schon seit geraumer Zeit das „Fehlen einer allgemeinverbindlichen

Systematik der Disziplin“ (Saxer 1980, S.526). Wilbur Schramm konstatierte einst, Kommunikationsforschung sei

„a field, not a discipline“ (1959, S.8).

Maletzke (1980, S.67) schließlich diagnostizierte, dass Kommunikationswissenschaft aus einer großen Zahl von

Einzelsätzen, Hypothesen und Konzepten besteht, die unverbunden und oft untereinander unstimmig auf sehr

verschiedenen Abstraktionsebenen im Raum stehen. Burkart meint dazu, dass die Strategie nun nicht sein darf,

„die“ fehlende Theorie zu suchen (die es nicht gibt), die Strategie aber nur sein kann, vorhandene theoretische

Sichtweisen von Kommunikation auf ihre Problemlösungskapazität hin zu durchleuchten und sie auf diese Weise

für die empirische Forschungspraxis zu öffnen.

6.1 Exkurs: Zur Besonderheit wissenschaftlichen Wissens

„Wissenschaft“ wird definiert als der „Gesamtbestand des logisch nach bestimmten Sachgebieten geordneten

Wissens“ (Duden 1972, S.2457). Sie kennzeichnet sich einerseits durch das Entdecken und andererseits durch

das Erklären. Der Prozess des wissenschaftlichen Wissenserwerbs lässt sich in seinen Grundzügen anhand der

Abb. 31 aus Seite 417 verständlich verdeutlichen. Entdecken meint die Feststellung einer Beziehung zwischen

empirisch erfassbaren Phänomenen, und Erklären meint das Begründen der festgestellten Beziehung. Das

grundsätzliche Charakteristikum wissenschaftlichen Erklärens ist „der Schritt vom Besonderen zum Allgemeinen.

Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Erkenntnis (Entdeckung und Erklärung) ist das Vorhandensein eines

Problems. Das Ziel des wissenschaftlichen Wissenserwerbs kann daher als das Streben nach der Lösung von

Problemen begriffen werden. Ein wissenschaftliches Feld kann man nun mit Popper als „ein abgegrenztes und

konstruiertes Konglomerat von Problemen und Lösungsversuchen“ (1972, S.108) begreifen.

Theorien stellen den Versuch dar, Zusammenhänge in einem bestimmten Objektbereich zu rekonstruieren, um

dadurch einen Realitätsausschnitt verstehbar, interpretierbar zu machen.

Das Interesse der folgenden Ausführungen gilt nun jenen theoretischen Ansätzen, welche menschliche

Kommunikation zu ihrem Gegenstand haben.

6.2 Kommunikationstheoretische Ansätze: Eine Systematik

Kommunikationstheoretische Ansätze werden schwerpunktartig den folgenden 3 allgemeinen Dimensionen

zugeordnet:

1. einer grundlegenden („universalen“) Dimension nach der Sichtweise des Erkenntnisobjektes „Kommunikation.

Diese Ansätze rücken jeweils voneinander unterscheidbare Aspekte (Übertragung, Wechselseitigkeit,

Umweltbezogenheit) des allg. Phänomens „Kommunikation“ in den Vordergrund.

2. einer zweckorientierten („funktionalen“) Dimension nach dem Kommunikationsinteresse. Diese Ansätze rücken

jeweils voneinander unterscheidbare Ziele (Beeinflussung, Emanzipation, Therapie) des allg. Phänomens

„Kommunikation“ in den Vordergrund.

3. einer konkreten („gegenständlichen“) Dimension nach der Wahl des kommunikativen Realitätsbereiches. Diese

Ansätze rücken jeweils voneinander unterscheidbare Ausschnitte der kommunikativen Wirklichkeit (z. B.

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interpersonale Kommunikation, Gruppenkommunikation, Familienkommunikation,...) in den Vordergrund,

vornehmlich die öffentliche, Massenmedial vermittelte Kommunikation.

6.3 Allgemeine Theorieperspektiven von Kommunikation

Zunächst wird auf die eben beschriebene erste Dimension, die die unterschiedlichen Aspekte des

Kommunikationsprozesses betonen eingegangen. Sie beanspruchen relativ hohe Allgemeingültigkeit.

6.3.1 Kommunikation als Signalübertragung

Shannon und Weaver erstellten folgendes Modell:

Eine Nachrichtenquelle produziert eine Information, die von einem Empfänger aufgenommen wird und dort an ihr

Ziel gelangt. Zu diesem Zweck muss die Nachricht von einem Sender in ein dem Übertragungskanal

angemessenes Signal umgeformt (encodiert) werden. Der Empfänger rückverwandelt (decodiert) die Signale

wieder in die ursprüngliche Information und bringt sie an ihr Ziel. Dazwischen steht noch die Geräusch- oder

Störquelle.

Das Shannon-Weaver-Modell geht von einer technischen Perspektive aus und „Information“ darf nicht mit

Bedeutung gleichgesetzt werden. Badura entwickelte eine sozialwissenschaftlich adaptierte Variante des

ursprünglichen Modells:

Nach Badura hat eine sozialwissenschaftliche Analyse menschlicher Kommunikation zunächst mehrfache

Encodierungs- und Dekodierungsprozesse zu berücksichtigen, die der syntaktischen, semantischen und

pragmatischen Dimension sprachlicher Zeichen entsprechen. Weiter unterscheidet Badura (entsprechend zu den

Nebengeräuschen) vier Klassen gesellschaftlicher Randbedingungen von Kommunikation unter welchen die

kommunikativen Prozesse ablaufen. Die Kommunikationssituation, das Informationsniveau (Verständlichkeit,

Abstraktheit, Konkretheit), den emotiven Erlebnishorizont (Gefühle und Einstellungen) und die Interessen

(gegenüber Thema und/oder Person).

6.3.2 Kommunikation als Interaktion

Kommunikation ist ein Geschehen, das zwischen (mindestens) zwei Partnern stattfindet. Diese Doppelseitigkeit

oder Wechselseitigkeit wird von zwei fundamentalen theoretischen Perspektiven in den Vordergrund gerückt:

Der Symbolische Interaktionismus (SI) (George Herbert Mead)

Der SI geht davon aus, dass der Mensch nicht nur in einer natürlichen, sondern auch in einer symbolischen

Umwelt lebt und begreift ihn demgemäss als ein Wesen, das den Dingen seiner Umgebung Bedeutung

zuschreibt. „Kommunikation“ erscheint als ein Prozess, in dem Menschen mit Hilfe von Symbolen (verbaler oder

nonverbaler Natur) einander wechselseitig Bedeutungen ins Bewusstsein rufen. Erfolgreiche Kommunikation im

Sinne von „Verständigung“ bedarf eines „Abstimmens“ der zu setzenden kommunikativen Aktivitäten im Hinblick

aufeinander. Im Zuge symbolisch vermittelter Interaktion aktualisieren wir (mit Hilfe der verwendeten Symbole) in

unserem Bewusstsein und im Bewusstsein unseres Kommunikationspartners nicht bloß Bedeutungen, sondern

wir nehmen damit zugleich auch die (vermeintliche) Haltung des anderen uns selbst gegenüber ein. Diese

(wechselseitig) erwarteten Interpretationsleistungen bestimmen schließlich auch in hohem Ausmaß den Ablauf

der jeweiligen kommunikativen Interaktion. “Verständigung“ kommt nur dann zustande, wenn wechselseitig

dieselben oder wenigstens sehr ähnliche Perspektiven unterstellt, bzw. wenn dieselben oder wenigstens sehr

ähnliche Erwartungen geweckt werden. Zeichen, die eine beiden Kommunikationspartnern gemeinsame

Erfahrungsgrundlage besitzen nennt man „signifikante Symbole“. Nur über diese kann wechselseitiges Verstehen

tatsächlich realisiert werden.

Der SI-Ansatz liefert also Erklärungen für das Zustandekommen bzw. das Scheitern von Verständigung bzw.

Verständigungsversuchen zwischen Kommunikationspartnern. Dies gilt nicht nur für die direkte

zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch für den Massenkommunikationsprozess.

Die Theorie des kommunikativen Handelns (TkH) (Jürgen Habermas)

Im Mittelpunkt dieser Kommunikationstheorie steht das Bemühen, den Prozess der Verständigung von seinen

humanspezifischen Grundbedingungen her zu durchleuchten. Aufgabe der von ihm angestrebten

Universalpragmatik oder einer Theorie der kommunikativen Kompetenz ist es „universale Bedingungen möglicher

Verständigung zu identifizieren und nachzukonstruieren“. Unter kommunikativer Kompetenz versteht Habermas

5

Page 60: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

die Fähigkeit eines (verständigungsbereiten) Sprechers, einen wohlgeformten (d. h. einem grammatischen

Regelsystem entsprechenden) Satz in Realitätsbezüge einzubetten. Habermas’ zentrale These lautet nun, dass

jeder kommunikativ Handelnde, der mit seiner Sprechhandlung an einem Verständigungsprozess teilnehmen will,

implizit weiß, dass folgende universale Ansprüche Gültigkeit besitzen, die nicht nur von ihm, sondern auch von

seinem Kommunikationspartner anerkannt werden müssen und denen er daher zu entsprechen hat:

- Der Anspruch der Verständlichkeit

- Der Anspruch der Wahrheit

- Der Anspruch der Wahrhaftigkeit

- Der Anspruch der Richtigkeit

Verständigung erscheint somit als der Prozess der „Herbeiführung eines Einverständnisses, welches in der

intersubjektiven Gemeinsamkeit des wechselseitigen Verstehens, des geteilten Wissens, des gegenseitigen

Vertrauens und des miteinander Übereinstimmens terminiert“.

Da das volle Einverständnis in Bezug auf alle vier Geltungsansprüche nicht den Normalzustand kommunikativer

Interaktion darstellt, verweist Habermas auf den Diskurs als eine weitere Form umgangssprachlicher

Kommunikation: Im Diskurs versucht man, ein im kommunikativen Handeln (naiv) vorausgesetztes, nun aber

problematisch gewordenes Einverständnis durch Begründung wiederherzustellen, um kommunikatives Handeln

fortsetzten zu können. In diesem Moment unterstellen wir eine nur ansatzweise realisierbare Situation; die ideale

Sprechsituation. Dies ist eine Sprechsituation, die weder durch äussere Einwirkungen auf die

Kommunikationspartner selbst noch durch Zwänge, die sich aus der Kommunikationsstruktur selbst ergeben,

behindert wird. Diese „Nichtbeachten gesellschaftlicher Phänomene“ stellt zweifellos die entscheidende

Schwäche der TkH aus sozialwissenschaftlicher Warte dar, denn es ist unmöglich, die Bedingungen der idealen

Sprechsituation zu realisieren.

6.3.3 Kommunikation in der Gesellschaft

Die folgenden theoretischen Positionen behandeln nicht das Zustandekommen von Kommunikation, sondern

gehen viel mehr davon aus, dass der reale Kommunikationsprozess in einem sozialen bzw. gesellschaftlichen

Umfeld stattfindet. Diese umweltbezogene Perspektive wird von zwei verschiedenen Blickwinkeln angesehen.

Einerseits wird Kommunikation als unabdingbarer Bestandteil menschlicher Arbeitsprozesse gesehen

(Historischer Materialismus). Andererseits wird Kommunikation selbst durch ein soziales System repräsentiert

angesehen (Systemtheorie). Daher erstmal allgemeine Definitionen aus ‚dtv-Brockhaus’:

Materialismus, philosophische Lehre, nach der die Materie die einzige Grundlage der Wirklichkeit darstellt im

Gegensatz zum Idealismus. Im materialistischen Sinn ist alles Wirkliche letztlich materiell; die Materie ist die

grundlegende und eigentliche Wirklichkeit, auf die alles Immaterielle zurückgeführt werden kann.

Historische Materialismus, orientiert sich am geschichtlichen Wandel sozialökonomischen Verhältnissen.

Systemtheorie, Die Systemtheorie beschäftigt sich mit der Erforschung des Zusammenwirkens der durch ihre

Einzelfunktionen beschriebenen Elemente eines Systems miteinander und mit der Aussenwelt sowie der

Beziehungen zwischen gekoppelten Systemen. Das System kann dabei formaler oder praktischer Art sein, z. B.

eine technische Einrichtung, besonders eine Anlage mit verschiedenen, einander beeinflussenden

Regelungsvorgängen, ein biologischer Organismus oder sozialer Verband sowie ein Wissenschaftssystem.

Systemtheorie versucht im Gegensatz zu einzelwissenschaftlichen Theorien, Systeme unabhängig von ihrer

materiellen Realisierung aufgrund der formalen Merkmale ihrer Komponenten und der Art ihres Zusammenspiels

zu beschreiben.

6.3.3.1 Der historische Materialismus

Ein wenig vorwegnehmend, aber eben im Zusammenhang mit dem historischen Materialismus ist eine kurze

Zusammenfassung des Marxismus angebracht, welche die wichtigsten Elemente ergänzend zu den obigen

Definitionen beinhaltet:

Marxismus Die von Marx und Engels in der ‚Deutschen Ideologie’ entwickelte Geschichtsauffassung knüpft

unmittelbar an den anthropologischen Befund an. Der historische Prozess werde vom Widerspruch zwischen

Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen vorangetrieben, die die Menschen zwecks Produktion und

Reproduktion von Lebensmitteln und ihrer Gattung untereinander entwickeln. Zu diesem Widerspruch komme es,

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Page 61: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

weil die Menschen die Produktivkräfte ständig fortentwickelten, um ihre immer neu und erweitert entstehenden

Bedürfnisse befriedigen zu können. In diesem Prozess entstehe notwendig Arbeitsteilung als zusätzliche

Produktivkraft. Arbeitsteilung und die spezifische Struktur der mit bestimmten Eigentumsformen verknüpften

Produktionsverhältnisse bewerkten, dass Erzeugung und Genuss des gesellschaftlichen Reichtums den

verschiedenen Individuen qualitativ und quantitativ ungleich verteilt zufielen. So entständen unterschiedliche

soziale Interessen, die von unterschiedlichen sozialen Klassen artikuliert und durchzusetzen versucht würden.

Deshalb sei die ‚Geschichte aller bisherigen Gesellschaft’ die Geschichte von Klassenkämpfen.

Produktivkräfte, sind jene Elemente welche den Produktionsprozess konstituieren. (geistige, körperliche

Arbeitskraft; Arbeits-, Produktionsmittel (Werkzeuge, Transportmittel, Nachrichtenverbindungen) und

Arbeitsgegenstände (Rohstoffe)).

Produktionsverhältnisse, gesellschaftliche Verhältnisse, welche die Beziehungen der Menschen untereinander

betreffen, die diese im Rahmen eines Produktionsprozesses eingehen und die „einer bestimmten

Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivität entsprechen“.

Die Gesellschaft wird im historischen Materialismus wie sicherlich bereits bemerkt wurde aus rein ökonomischer

Verhältnisse heraus betrachtet. Aber wie in der Definition von Marxismus ersichtlich immer in Bezug auf die Zeit,

in der die jeweils vorherrschende Produktionsweise als Triebkraft der Menschheitsgeschichte gilt.

Im historischen Materialismus werden zwei Formen von Produktionsverhältnissen unterschieden:

1. Verhältnis der Zusammenarbeit und gegenseitiger Hilfe beruhend auf gesellschaftlichem Eigentum.

2. Verhältnis zwischen Ausbeuter und Ausgebeuteten (Kapitalismus)

Somit steht im gesellschaftlichen Produktionsprozess die produzierenden Individuen, sprich die Arbeit im

Mittelpunkt (körperliche, geistige Arbeit -> materielle, geistige Produkte. Die Kommunikation und

zwischenmenschliche Interaktion wird somit als Bestandteil menschlicher Arbeit angesehen. Weil Arbeit

gesellschaftlich ist, muss ihrer Kommunikation zugerechnet werden. Schließlich kann daraus das kommunikative

Prinzip des Marxismus abgeleitet werden, welches besagt, dass ‚keine Produktion ohne Kommunikation’ und

‚keine Kommunikation ohne Produktion’ stattfinden kann. Dieses Prinzip ist der Kern einer

Kommunikationstheorie, die sich als Klassentheorie begreift: Soziale Klassen entstehen dadurch, dass es mit der

Teilung der Arbeit möglich geworden war, geistige und materielle Tätigkeiten auf verschiedene Individuen

aufzuteilen. Ziel einer historisch-materialistischen inspirierten Massenmedienforschung ist es somit stets

aufzuzeigen, ‚welcher Form die kapitalistische Produktionsweise die Massenkommunikation beeinflusst’.

Von materialistischer Medienforschung zur Medienökonomie

Die Medienökonomie unterscheidet die privaten (voll marktfähige) Güter, die nur im Wege der Bezahlung

erworben oder konsumiert werden können (=Ausschlussprinzip) und die sich beim Konsum auch tatsächlich

verbrauchen (=Prinzip der Konsumrivalität). Andererseits werden öffentliche Güter (z. B. Massenmedial

verbreitete Informations- und Unterhaltungsangebote), weil niemand prinzipiell ausgeschlossen und wieder

brauchbar nach der Konsumierung. Darüber hinaus gelten Medieninhalte aber auch als ‚meritorische’ Güter: das

sind Güter, deren Produktion und Konsum gesellschaftlich erwünscht ist, weil sie einen öffentlichen Nutzen, einen

Nutzen für die Allgemeinheit haben. Im schlimmsten Fall können Medien auch als demeritorisch eingestuft

werden, nämlich dann wenn ihnen Schädlichkeit zugewiesen werden kann. Gerade in demokratisch organisierten

Gesellschaften gibt es ein kollektives Interesse an Informationen, weil solche Gesellschaften nur dann

funktionieren können, wenn ihre Bürger auch an politischen Vorgängen partizipieren bzw. wenigstens die Chance

haben, dies zu tun. Medienökonomie untersucht somit die publizistische Leistungsfähigkeit der Medien im Lichte

ökonomischer Zusammenhänge. Wobei anzumerken gilt, dass zu starke ökonomische Dominanz die

journalistische Qualität gefährdet.

6.3.3.2 Die Systemtheorie (Definition siehe oben)

Ein wichtiger Unterschied zum historischen Unterschied, ist dass die Systemtheorie unabhängig von ihrer

materiellen Realisierung aufgrund der formalen Merkmale ihrer Komponenten und der Art ihres Zusammenspiels

beschrieben wird. Die Definition, dass ein System eine Menge von Elementen begriffen wird, zwischen denen

Wechselbeziehungen bestehen, geht auf Bertalanffy zurück. In unserem Zusammenhang kann man somit von

einem sozialen System ausgehen mit den Elementen der menschlichen Handlungen und nicht aus Personen!

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Page 62: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Nicht ganze Persönlichkeiten sind für das System relevant sondern sie werden durch Handlungen und

Handlungszusammenhänge ins System miteinbezogen. Die Gesellschaft als soziales Handlungssystem strebt

nach relativer Stabilität (Wille zur Ordnung). Der Moderne Funktionalismus begreift sich als eine ‚Theorie der

Systembedürfnisse’, denn er macht Aussagen über Probleme, die ein System lösen muss, wenn es fortbestehen

will (funktional-strukturelle Systemtheorie nach Luhmann). Fortbestehen kann ein System dann, wenn es die

unvermeidlichen Einwirkungen aus seiner Umwelt kompensieren kann, d. h., wenn es imstande ist, jene

Probleme zu lösen, die aus der Wechselbeziehung System – Umwelt resultieren. Das ist eine System-Umwelt

Theorie, welche die Umwelt als Problemreservoir in ihre Betrachtung miteinbezieht. Ein Problem entsteht durch

die Komplexität der Gesamtheit aller möglichen Ereignisse. Somit kommt Komplexität dem Selektionszwang

gleich, d. h. soviel wie, dass soziale Systeme die Funktion der Erfassung und Reduktion von Umweltkomplexität

haben. Zum Verständnis wird ‚Reduktion von Komplexität’ mit ‚selektiver Wahrnehmung’ gleichgesetzt und

‚Systembildung’ ist entsprechend ‚Sinnesbildung’. Die Kommunikation entsteht indem zwischen Personen, deren

Handlung ein soziales System konstituieren, Verbindungen entstehen. Nach Luhmann ist Kommunikation

gemeinsame Aktualisierung von Sinn, sie macht sinnbezogenes Erleben wechselseitig zugänglich und ist

grundlegende Bedingung dafür, dass Handlungen als aufeinander verweisend erlebt werden. Nach Rühl: „Der

Journalismus als strukturiertes Sozialsystem der Weltgesellschaft reduziert die Komplexität und Veränderlichkeit

der Weltereignisse durch thematisierte Mitteilungen auf Ausmaße, die eine sinnvoll informierende Kommunikation

erlauben (…) Alle Strukturen des Journalismus sind (…) Vereinfachungsmechanismen, die zur

Kommunikationserleichterung dienen.“ Die Systemtheorie ist eine wissenschaftliche Hilfskonstruktion, welches es

gestattet, Wirklichkeit jedweder Art als ‚System’ zu begreifen, um dadurch Zusammenhänge bzw.

Wechselbeziehungen erkennbar zu machen. Empirisch ist die Systemtheorie nicht prüfbar, weil sie nicht

falsifizierbar ist.

6.4 Ziele von Kommunikation

Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht der «funktionale» Aspekt von Kommunikation, also die Frage nach den

Intentionen, den Absichten bzw. den Interessen, die dazu führen, dass der jeweilige Kommunikationsvorgang

überhaupt initiiert wird.

6 . 4 . 1 B e e i n f l u s s u n g d u r ch Kommu n i k at i o n

Unter diesem Ansatz werden die Fälle von Kommunikation untersucht, deren Aussagen nicht vorwiegend

«informieren» oder «unterhalten» wollen, sondern die bewusste Absicht des Kommunikators widerspiegeln, die

Einstellungen und/oder das Verhalten der Rezipienten zu beeinflussen = Überredungskommunikation

Ganz in diesem Sinne formulierten Hovland et al. Kommunikation als den Prozess, .by which an individual (the

communicator) transmits stimuli (usually verbal) to modify the behavior of other individuals (the audience).. Die in

Kapitel 5.3 (Wirkungen der Massenkommunikation) bereits ausführlich behandelten zentralen Faktoren des

Kommunikationsprozesses können im Grundmodell der Wirkungsforschung (Hovland/Janis, 1970)

zusammengefasst werden, wonach die Effektivität persuasiver Kommunikation von den kommunikativen Stimuli,

den Prädispositionen der Rezipienten und den internen Mediatisierungsprozessen abhängt (siehe unten oder

S.469).

Daneben sind jene Konzepte entstanden, welche die Wirkung von Überredungskommunikation von einem dem

Menschen innewohnenden Streben nach Gleichgewicht (Konsonanz, Konsistenz, Kongruenz) abhängig machen

und die Einstellungen vor dem Empfang der Aussage als zentrale Variable im Wirkungsprozess begreifen. Aber

auch Erkenntnisse, die am Horizont des Nutzenansatzes, des dynamisch-transaktionalen Ansatzes , der Agenda-

Setting-These, der Knowledge-gap-These und der Theorie von der Schweigespirale hervorgebracht wurden, sind

im Grunde stets relativierende Antworten auf die Frage, wie Beeinflussung von Menschen durch

Kommunikationsprozesse möglich ist.

6 . 4 .2 Emanzipationdurch Kommunikation

.Erziehung ist ein kommunikatives Handeln, dessen Ziel darin liegt, eine Kommunikationsstruktur zu etablieren,

die den Erwerb von Fähigkeiten zum Diskurs ermöglicht.. (Mollenhauer)

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Page 63: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Vom Standpunkt einer kommunikativen Pädagogik aus, wird darauf verwiesen, dass zur Selbstwerdung des

Menschen unter anderem auch eine Erziehung zur Kommunikationsfähigkeit gehört. (Bock).

Nach Baacke ermöglicht die Kommunikationsfähigkeit dem Menschen in verschiedenen Situationen .potentiell

situations- und medienadäquat Kommunikationen auszugeben und zu empfangen, wobei sie an eine

Kommunikationssituation gebunden ist, in der die Kommunikationspartner die Möglichkeit haben, unabhängig,

zwanglos und selbstbestimmt kommunikative Handlungen zu setzen. Die Emanzipation verstanden

als .Selbstverfügung des Individuums. gerinnt im Horizont einer pädagogischen Kommunikationstheorie zur

Fähigkeit, rational und selbständig Informationen aufzunehmen, begründete Meinungen zu vertreten und wenn

möglich durchzusetzen.

Baacke legt die anzustrebende Ziele für eine solche emanzipative Kommunikation fest:

1) Vorhandensein eines Selbst- und Fremdverständnisses (Voraussetzung für emanzipative Kommunikation)

2) Kommunikative Ethik (Kommunikationsbeziehung in der wechselseitig sowohl Wahrheit der Aussagen als auch

Wahrhaftigkeit der Kommunikator-Intentionen unterstellt werden kann)

3) Organisation der Kommunikationsbedingungen (symmetrische Organisation der Kommunikationsbeziehungen)

Daraus abgeleitet eine spezifische Mediendidaktik für Massenkommunikationsmittel:

1) Kommunikationstechnisch: Verstehen der .Massenmedialen. Sprache, Entwicklung einer

Decodierungsfähigkeit

2) Kommunikationsethisch: die Wahrheit von Aussagen einschätzen lernen und sich wahrhaftig zu den

vermittelten Inhalten in den Massenmedien in Beziehung setzen (Medien nicht als Realitätsflucht)

3) Organisatorisch-technisch: Medienaufklärung bewirkt mündiges und kritisches Maßenpublikum (Medium ≠

Zauberkasten)

Medienpädagogik als interdisziplinärer Wissenschaftszweig zwischen Pädagogik, Publizistik- und

Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Soziologie hat das Ziel Menschen in die Lage versetzen, mit den

Angeboten der Massenmedien .vernünftig. umzugehen, Manipulationen zu durchschauen, stark selektiv

Gebrauch vom reichhaltigen Angebot zu machen, eigene Rechte kennenzulernen und notfalls gegenüber und in

den Medien durchzusetzen.

6 . 4 . 3 Therapie durch Kommunikation

Im Mittelpunkt der Kommunikationstheorie von Watzlawick et al. (1969) stehen Störungen im Bereich des

zwischenmenschlichen, sozialen Verhaltens. Da Watzlawick Kommunikation als das Medium der .beobachtbaren

Manifestationen menschlicher Beziehungen. definiert, wird es mit (sozialem) Verhalten praktisch gleichgesetzt.

Zwischenmenschliche Systeme . also Gruppen, Ehepaare, Familien, usw. . werden als Rückkoppelungskreise

angesehen, d. h. jede Kommunikation beeinflusst das Verhalten aller Teilnehmer. Kern des theoretischen

Ansatzes ist der Rekonstruktionsversuch eines angenommenen .pragmatischen Kalküls. (=System von Regeln,

die hinter den Erscheinungsformen menschlicher Kommunikation stehen). Watzlawick et al. nennen fünf derartige

Axiome (allerdings in provisorischer Formulierung):

1. Axiom: .Man kann nicht nicht kommunizieren..

2. Axiom: .Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den

ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist.

3. Axiom: .Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion1 der Kommunikationsabläufe seitens der Partner

bedingt.

4. Axiom: .Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale

Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der

Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische

Potential, ermangeln aber die für eindeutige Kommunikationen erforderliche logische Syntax..

5. Axiom: .Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär, je

nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder auf Unterschiedlichkeit beruht..

Die Verletzung einer oder mehrerer dieser Grundregeln kennzeichnet eine Kommunikations- oder

Verhaltensstörung und zeigt sich in verschiedenen, unkontrollierbaren Symptomen.

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Page 64: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

"!Interpunktion = Ordnung/Gliederung des Kommunikationsablaufes in Verhaltenssequenzen bzw. Ereignisfolgen!

Kommunikationstherapeutische Interventionen nach Watzlawick müssen genau dort ansetzen und so genannte

Symptomverschreibungen anwenden, damit es unter Kontrolle gebracht werden kann.

6.5 Modelltheoretische Ansätze zur Massenkommunikation

Die wichtigsten Funktionen eines Modells sind:

- die Organisationsfunktion (integrieren von Einzelaspekten in einen Gesamtzusammenhang)

- die heuristische Funktion (neue verallgemeinerbare Einsichten ermöglichen)

- die Prognosefunktion (Vorhersagen ermöglichen)

- die Messfunktion (nur fallweise; auf Genauigkeit zielende, womöglich quantifizierbare Angaben ermöglichen)

Neben der deskriptiven Bedeutung als Veranschaulichungsmittel von empirischen Befunden haben Modelle auch

eine normative Bedeutung, indem sie Ansatzpunkte für die weitere Forschungsarbeit nahe legen.

6.5.1 Deskriptive Modelle des Massenkommunikationsprozesses

Kommunikationsprozesse, die in einem gesellschaftlichen Umfeld stattfinden, bilden den zentralen Gesichtspunkt

der folgenden Theorieperspektiven. Die Modelle orientieren sich einerseits an systemtheoretischem Denken,

andererseits am historisch-materialistischem Denkansatz.

Der Massenkommunikationsprozess findet in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld statt.

Dieser Prozess dient einerseits der Erhaltung Massenmedialer und gesellschaftlicher Systeme

(systemtheoretischer Ansatz) und andererseits der Kapitalverwertung (historisch-materialistischer Ansatz).

6.5.1.1 Die Lasswe l l -Formel

wer Kommunikatorforschung

sagt was Inhalts- bzw. Aussagenanalyse

in welchem Kanal Medienforschung

zu wem Publikums- bzw. Rezipientenforschung

mit welcher Wirkung ? Wirkungsforschung

Von H.D. Lasswell 1948 verfasst, dokumentiert das Modell die Einheit des gesamten Kommunikationsprozesses,

systematisiert jedoch auch die Aufgliederung dessen in kommunikationswissenschaftliche Forschungsbereiche.

Zentraler Vorwurf der Kritiker liegt in der statisch, linear und damit einseitig-kausalen Darstellung der tatsächlich

dynamischen und interaktionshaft rückgekoppelten Kommunikationsprozesse.

Wer sagt was in welchem Kanal zu wem mit welcher Wirkung?

Who says what in which channel to whom with what effect?

Dieses Modell wurde von HAROLD D. LASSWELL entwickelt, richtet sich nach der Systemtheorie und analysiert

die Massenkommunikation auf strukturell-funktionalistische Weise. Es wird quasi als Universalformel

kommunikationswissenschaftlicher Tätigkeit hochstilisiert. So ist denn auch mit jedem W ein neues Themengebiet

der Wissenschaft angesprochen:

Wer? Kommunikatorforschung

Was? Inhalts- und Aussageanalyse

In welchem Kanal? Medienforschung

Zu wem? Publikumsforschung / Rezipientenforschung

Mit welcher Wirkung? Wirkungsforschung

Doch die LASSWELL-Formel darf nicht im strengen Sinne als wissenschaftliches Modell betrachtet werden.

Aufgrund dieser Betrachtungseinschränkung der Kommunikation auf fünf Themenkreise wird das Bild der

Kommunikationswissenschaft dementsprechend verzerrt.

Was LASSWELL mit seiner Entwicklung eigentlich erreichen wollte: Er beabsichtigte, durch sein Modell die

Analyse der Kommunikationswissenschaft auf strukturell-funktionaler Ebene voranzutreiben. Vor allem aber

schob er der bisher dominanten Stimulus-Response-Theorie einen Riegel (v. a. in Bezug auf das letzte W).

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Page 65: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Stimulus-Response-Theorie: Auch transmission belt theory oder hypodermic needle theory genannt. Diese

Theorie behauptet, dass sorgfältig gestaltete Stimuli jedes Individuum der Gesellschaft über die Massenmedien

auf die gleiche Weise erreichen, jedes Gesellschaftsmitglied die Stimuli in der gleichen Art wahrnimmt und als

Ergebnis eine bei allen Individuen ähnliche Reaktion hervorgerufen wird. Mit dieser Theorie – die in den

Massenmedien ein gewaltiges Manipulationsinstrumentarium sah - war auch der Glaube an die Omnipotenz der

Massenmedien geboren.

6.5.1.2 Das Westley/MacLean-Model l

In der Tradition der Gatekeeper-Forschung entwickelt, stellt dieses Modell den Prozess der

Nachrichtenvermittlung als einen mehrfach selektiven und auch dynamisch rückgekoppelten Vorgang dar. Die

Faktoren des Modells sind A(advocacy roles) = Kommunikator zuständig für interessenbezogene und

zielorientierte Nachrichtenvermittlung; B(behavorial system roles) = Rezipienten/Publikum empfängt Botschaft

zum Zweck subjektiver Bedürfnisbefriedigung oder Problemlösung; C(channel roles) = Medium od. Gatekeeper

selektiert und gibt nötige Informationen weiter; f(feedback) = Rückmeldungsprozesse geben Auskunft über den

Empfang und das Verständnis der gesendeten Botschaften.

Das Modell veranschaulicht den Transmissionsprozess, den eine Botschaft durchläuft, und potentielle

Interdependenzen im Verlauf eines derartigen Übertragungsvorganges.

Dieses Modell erwies sich als sehr wichtig in der Gatekeeper-Forschung. Es verdeutlicht, dass

Kommunikationsprozesse vor allem auch durch Feedback-Schleifen gekennzeichnet sind.

Mit Xn sind die einzelnen Sachverhalte (Ereignisse) angesprochen, die auf den Kommunikator A (advocacy

role), also den Journalisten einwirken – z. T. aus mehreren Quellen dieselben Sachverhalte (X3, X3m). Mit der

Anwaltschaftsrolle wird angedeutet, dass die Nachrichtenvermittlung interessenbezogen und zielorientiert ist, und

also die Sachverhalte zu einer oder mehreren „neuen“ Botschaften X’ synthetisiert werden. Mit C sind die channel

roles, die Kanal-Rollen angesprochen. Es sind dies quasi Agenten des Publikums, welche – ohne eigene

Interessen zu vertreten – die Nachrichten selektieren und sie als X“ an B (behavioral system roles), an das

rezipierende Publikum weitersenden. Dabei können diese Kanalrollen selbst auch direkt auf die „rohen“

Sachverhalte zurückgreifen (X3c). Wichtig ist auch die Möglichkeit des Feedbacks, welches durch gestrichelte

Linien und den Buchstaben „f“ ausgedrückt wird. In der Massenkommunikation ist jetzt also von einer Vielzahl

von A, B und v. a. C auszugehen.

[siehe Westley-McLean-Modell: Burkart 483]

Bezogen auf die Gatekeeper-Forschung würde also C als Gatekeeper im Zentrum des Interesses stehen, wobei

auch gleichzeitig ein mehrstufiger Kommunikationsprozess vorhanden wäre.

Dieses Modell stimmt ein wenig in das Stimulus-Response-Modell ein, allein dadurch, dass es die Sachverhalte

als unabhängige, Gatekeeper-Handlungen als intervenierende und die Publikumswirkung als abhängige Variable

definiert.

Man muss dieses Modell auch unter dem Gesichtspunkt einer Wunschvorstellung betrachten. Es ist wohl sehr

illusorisch, dass die Journalisten (A) die Realität wertfrei und objekt darstellen würden. Dies ist faktisch

unmöglich.

6.5.1.3 Das Riley/Riley-Modell

In diesem soziologisch orientierten Modell steht die soziale Verflochtenheit der Kommunikationspartner

(Kommunikatoren und Rezipienten) im Mittelpunkt. Kommunikator und Rezipient sind Elemente zweier sozialer

Strukturen (Primärgruppen; z. B. Familie, Nachbarschaft), die deren Kommunikationsverhalten beeinflussen.

Durch vorherrschende Normen und Regeln des Anstands ist die Vermittlung zwischen Kommunikator und

Rezipient vielfältig und verbindlich sozial vorstrukturiert. Dabei wird (im Gegensatz zum Gatekeeping) auch die

Rezipientenseite berücksichtigt (z. B.: selektive Wahrnehmung, Interpretation und Behalten einer Botschaft

sowie Reaktion des Rezipienten). Die Vermittlung steht demnach nicht allein im Belieben der Kommunikanden.

Das Modell verdeutlicht zudem, dass Massenkommunikation nicht isoliert betrachtet werden darf. Der

Massenkommunikationsprozess ist Teil des Gesamtsozialsystems, beeinflusst dieses und wird umgekehrt von

6

Page 66: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

diesem beeinflusst. Hier steht die Verflochtenheit der Kommunikationspartner im Mittelpunkt. Das Modell

betrachtet Kommunikator und Rezipient als in soziale (Teil)systeme (Primärgruppen) eingebettet. Diese

Teilsysteme oder auch sozialen Gruppen beeinflussen das Kommunikationsverhalten der Beteiligten wesentlich.

[siehe Riley-Riley-Modell: Burkart 486]

Was also im Rahmen Maßenkommunikativer Handlungen von Kommunikator zu Rezipient transferiert wird, ist

also nicht durch das Belieben der Kommunikanden auf seine spezielle Art beschaffen, wie es ist. Vielmehr ist

diese kommunikative Handlung geleitet durch gesellschaftliche Vorstrukturierungen und

Verbindlichkeiten. Somit wird also auch das ganze Mediensystem als dem gesellschaftlichen System

untergeordnet und eingebettet betrachtet – als bloßer Teilaspekt, als Element des „Over-All Social System“

(Gesamtsozialsystems).

Das RILEY/RILEY-Modell erweist sich also eine Darstellung der Kommunikanden als von Interdependenzen

gezeichnet – und dies auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene.

6.5.1.4. Das Feldschema von Maletzke

Im sozialpsychologisch orientierten Feldschema von Maletzke werden die Wechselbeziehungen im

Massenkommunikationsprozess wesentlich detaillierter herausgestellt. Das Massenkommunikationssystem

begreift er als Beziehungssystem zwischen den Grundfaktoren Kommunikator, Aussage, Medium und

Rezipient, und deren gegenseitige Beeinflussung. Kommunikator und Rezipient handeln im

Massenkommunikationsprozess stets abhängig von ihren subjektiven sozialen und psychischen

Dispositionen. Der Kommunikator produziert seine Aussagen in Abhängigkeit von seiner Persönlichkeit,

Selbstbild, institutioneller Eingebundenheit oder dem Einfluss von sonstigen sozialen Beziehungen, die er

unterhält. Auch der Rezipient darf seinerseits bei der Zuwendung zu, Auswahl und Wahrnehmung von

Massenmedialen Aussagen nicht unabhängig von seiner Persönlichkeit, Selbstsicht und Gruppenzugehörigkeit

gesehen werden. Rezipient und Kommunikator handeln nicht unabhängig voneinander, sondern sind vom

jeweiligen Fremdbild beeinflusst. Beide sind zudem von verschiedenen Zwängen beeinflusst. Der

Kommunikator ist durch den Zwang der Aussage (diese ist öffentlich; er kann daher beim Wort genommen

werden) sowie technischen und organisatorischen Zwängen des Mediums (Aussagenproduktion) beeinflusst. Das

Medium übt auch Zwang auf den Rezipienten aus. Beispielsweise über die Verbreitungstechnik auf dessen

Rezeptionsweise (optisch/akustisch). Weiterhin eröffnet das Modell die Möglichkeit eines Feedbacks (z. B.

Leserbriefe) seitens des Rezipienten und durchbricht so die Einseitigkeit des Massenkommunikationsprozesses.

Gerhard Maletzkes Vorstellung eines Massenmedialen Modells stützt sich – durch die Bezeichnung „Feld“ - auf

eine ganzheitliche Struktur des Massenmediensystems. Das Modell legt nahe, dass sowohl Kommunikator

als auch Rezipient auf der Grundlage verschiedenster sozialer, psychischer und subjektiver

Dispositionen handeln. Diese Dispositionen beeinflussen also sowohl die Art der kommunikativen Handlung, als

auch die Weise der Wahrnehmung seitens Rezipient. Das Bild, welches Kommunikator und Rezipient

voneinander haben, beeinflusst in starker Weise die Art, wie der Kommunikator mitteilt und die Art, wie der

Rezipient rezipiert. Gekennzeichnet ist das Konzept auch von verschiedenen Zwängen (der Öffentlichkeit, des

Mediums, der Aussage). Der Zwang der Öffentlichkeit legt die gesellschaftlich-publizistischen Einflussfaktoren

fest, der Zwang des Mediums ist durch die technischen Voraussetzungen gegeben und der Zwang der Aussage

selbst sichert die Haftbarkeit des Kommunikators für seine Aussage (er kann „beim Wort genommen werden“).

Kommunikator und Rezipient sind in MALETZKEs Modell durch psychische und soziale Faktoren bestimmte

Personen. Außerdem sieht das Modell ein komplexes Interdependenzverhältnis vor, welches in allen Elementen

vorhanden ist.

6.5.1.5. Das Modell elektronisch mediatisierter Gemeinschaftskommunikation

Aufgrund der kommunikationstechnischen Entwicklung hin zu einer Integration von Telekommunikation,

Computer und elektronischen Massenmedien, kam es auch in den Kommunikationswissenschaften zu einem

Überdenken des Massenkommunikationsbegriffes. Von Bedeutung ist dabei, ob diese oft als „Information-

Superhighway“ oder „Multimedia“ etikettierte Entwicklung mit ihren neuen technologischen strukturellen

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Page 67: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Innovationen auch funktionale Differenzierungen im Massenkommunikationsprozess mit sich bringt. Geht man

von einer wachsenden Interaktivität durch die neuen Dienste (z. B. „elektronische Gemeinschaften“; many-to-

many Kommunikation) aus, so scheint der Begriff des dispersen Publikums, als ein wichtiger Aspekt des

traditionellen Massenkommunikationsprozesses, unangemessen.

Da dieser unter anderem davon ausgeht, dass die jeweiligen Rezipienten, die sich „gemeinsam“ einer Aussage

zuwenden (disperses Publikum), gegenseitig anonym sind. Auch mit der bereits im oben erwähnten Feldschema

von Maletzke aufgezeigten Möglichkeit einer Feedback-Beziehung, wird ein weiterer wichtiger Aspekt des

Massenkommunikationsprozesses – nämlich dessen Einseitigkeit – aufgeweicht. Eine strukturelle

Unterscheidung zwischen den Begriffen „Kommunikator“ und „Rezipient“ erscheint nicht mehr zweckmäßig. Lutz

Goertz schlägt vor beide theoretisch auf dieselbe Stufe zu stellen. Den Rezipienten als „Beteiligten“, der nicht

nur aufnimmt, sondern auch eingreift. Den Kommunikator als „Organisierenden Beteiligten“, der im Extremfall

keine Aussagen mehr produziert, sondern nur noch den technischen Ablauf der Kommunikation ermöglicht und

überwacht. Das Medium begreift er aufgrund der verschiedenen Funktionen eines Gerätes (Textverarbeitung,

Datenübertragung) als rein technische „Kommunikationsstruktur“ („Medienanwendung“).

Rupert Schmutzer geht in seinem Kommunikationsmodell der „doppelten Mittelbarkeit“ davon aus, dass ein

Kommunikationsangebot stets in einem ersten Sinn „mittelbar“ ist, da es gezwungenerMaßen medial gestaltet

wird. Er nennt diesen Vermittlungsaspekt die „Inanspruchnahme“ von Material durch den Kommunikator (z. B.:

Schreiben auf Papier). Damit rückt er den Kommunikationsgegenstand in den Mittelpunkt. Die Mittelbarkeit in

einem zweiten Sinn besteht dann in der „Indienstnahme“ von Material durch den Kommunikator (z. B.: Druck von

Schrift; Buch, Zeitung).

Der Begriff der Indienstnahme rückt seinerseits die Kommunikationsbeziehung in den Mittelpunkt, weil sich damit

der „interaktive“ Aspekt der neuen elektronischen Kommunikationstechniken angemessen erfassen lässt.

Schmutzer gesellt nämlich zu den Momenten der Inanspruchnahme und Indienstnahme des Kommunikations-

Anbieters, die Momente der Teilhabe und Teilnahme des Benutzers von solchen Angeboten.

Wobei die „Teilhabe“ des Benutzers durch die Indienstnahme des Kommunikators garantiert wird (z. B.: etwas

ins Netz stellen), was die „Teilnahme“ am Kommunikationsangebot erst ermöglicht.

Abermals enthüllen sich hier zwei differenzierbare Rollenbilder: Produzent (Inanspruchnahme, Indienstnahme)

und Konsument (Teilhabe, Teilnahme). Ob ein Rollentausch durch die neuen interaktiven Medien tatsächlich

möglich ist, beantwortet Schmutzer nüchtern mit nein. Er sieht in diesen Entwicklungen lediglich neue Qualitäten

(technisch veränderte Möglichkeiten) der Teilhabe und Teilnahme des Rezipienten. Mit Hilfe der oben

angeführten analytischen Kategorien und unter Rückgriff auf das Feldschema von Maletzke lässt sich nun ein

neues „Modell elektronisch mediatisierter Gemeinschaftskommunikation“ entwerfen.

Dass verschiedenste moderne elektronische Medien nach und nach einer Zielrichtung zustreben, ist

unübersehbar. Aufgrund dieser Entwicklung drängt sich eine Neuformulierung des

Massenkommunikationsbegriffes auf.

Ausgehend von MALETZKEs Feldschema wollen wir uns zunächst genauer mit Feedback-Beziehungen zwischen

Kommunikator und Rezipient auseinandersetzen. Dabei gelten v. a. spontane Antworten des Publikums

(Leserbriefe, Telefonanrufe) als solche Feedbacks. Diese Rezipienten werden von MALETZKE auch als

disperses Publikum bezeichnet.

[siehe Burkart/Hömberg-Modell: Burkart 496]

Allerdings zeigt sich hier ein allmählicher Wandel: Aus einer One-to-Many-Communication wird eine Many-To-

Many-Communication. Viele können vieles für viele anbieten (z. B. Internet) – Informationsforen, Homepages

usw. In diesem Kontext wären dann aber die Begriffe wie „Kommunikator“ und „Rezipient“ nicht mehr

angemessen. Vielmehr wären die Terminologien unter dem Oberbegriff der Beteiligten gleichwertig

zusammengefasst. Es würden sich dann aber als Zweitrollen die so genannten organisierenden Beteiligten

ergeben, welche die Kommunikation verwalten, finanzieren, kontrollieren. Die beiden Rollen könnten sich dann

auch problemlos überschneiden. Das Medium ist als solches auch kein klarer Begriff mehr, da das

Zugangsterminal zum Informations-Highway (also der Personalcomputer) gleichzeitig zu anderen Funktionen

befähigt ist.

??? Inanspruchnahme / Indienstnahme

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Page 68: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

??? Teilhabe / Teilnahme

Die neue Form elektronischer Kommunikation ermöglicht sowohl Individual-, Gruppen- als auch

Massenkommunikation. Die Trennschärfe zwischen den Bereichen nimmt dabei ab, was deren

Kommunikationswissenschaftliche Analyse erschwert. Auch die klare Unterscheidung zwischen Dienstanbieter

und Nachfrager verschwimmt. Auch in dem eigens für „elektronische Gemeinschaften“ erstellten Schema findet

sich eine Anzahl an Zwängen die auf einen Beteiligten 1 (B1) und einen Beteiligten 2 (B2) einwirken. So vor allem

der Zwang der medialen Anwendungpotentiale, die von den OBs (organisierenden Beteiligten) bereitgestellt

werden, welche in Bezug auf die auszusagende Aussage kooperieren müssen.

6.5.1.6. Das materialistische Modell von Hund

Dieses Modell ist formal ähnlich aufgebaut wie jenes von Maletzke (Feldschema). Allerdings wird hier nicht die

sozialpsychologische, sondern die ökonomische Perspektive der Massenmedialen Aussagenproduktion in den

Vordergrund gestellt. In seinem „Modell Maßenhaft kommunizierter Nachrichten unter den Bedingungen

kapitalistischer Warenproduktion“ begreift Hund den Kommunikator als Nachrichtenproduktionsbetrieb,

der den allgemeinen Bedingungen der Kapitalverwertung unterliegt und dessen Ziel die Profitmaximierung ist.

Durch ihn wird die Ware Nachricht zwecks Kapitalverwertung manipuliert. Auch der Rezipient muss in seiner

sozialökonomischen Situation begriffen werden wie Klassenlage und deren Sozialisationsbedingungen. Um die

Verwertungschancen des investierten Kapitals zu erhöhen, versucht sich der Kommunikator mit der Demoskopie

ein Bild vom Rezipienten, dessen Situation und Gewohnheiten zu machen. Zudem nutzt der Kommunikator die

PR, um das Bild von ihm beim Rezipienten zu beeinflussen. Die wechselseitigen Bilder zwischen Rezipient und

Kommunikator sind daher für Hund „... herrschaftlich gewichtet.“

WULF D. HUND hat die ganze Massenmediale Kommunikationsforschung unter einem materialistischen

Gesichtspunkt betrachtet. Er erstellte ein „Modell Maßenhaft kommunizierter Nachrichten unter den

Bedingungen kapitalistischer Warenproduktion“. Er analysiert die Massenmedialen Prozesse also in einer

ökonomischen Perspektive. Nachrichten gelten – unter den Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft –

dabei als Waren. Der Kommunikator entfernt sich also davon, eine Person zu sein. Er wird zu einer

Produktionsstätte für Nachrichten. [siehe Hund-Modell: Burkart 500]

Kommunikatives Handeln erhält durch das erstellte Modell den Hauptauftrag der Verwertung von Kapital. Der

Rezipient wird im gleichen Zuge als Abhängiger seiner sozioökonomischen Bedingungen gesehen, d. h. als

Resultat schichtspezifischer und gruppendynamischer Eigenschaften. Der Kommunikator verwendet überdies für

mehr Erkenntnisse über den Rezipienten die Demoskopie und versucht auch, ihn mittels PR zu angeln. Der

Kommunikator verwendet also – als dem kapitalistischen Diktat unterworfener – die Massenmedien als Mittel

zur Kapitalverwertung.

6.5.2. Zielorientierte Ansätze zum Massenkommunikationsprozess

Die im folgenden vorgestellten zielorientierten Ansätze haben ihren Ursprung in der Jahrzehnte langen

Perspektive der Massenkommunikationsforschung als Geschichte der Medienwirkungsforschung. Die

Beeinflussung durch Massenmedien – also deren Wirkung- wurde stets mit großem Interesse von der Forschung

verfolgt. Die dabei entstandenen wichtigsten Theorien und Modelle wurden bereits ausführlich besprochen und

seien daher in diesem Zusammenhang nur noch kurz erwähnt.

6.5.2.1. Ansätze zu einer Theorie Maßenkommunikativer Beeinflussung

Die Frage, wie Denken, Fühlen und Handeln der Rezipienten durch Massenmedial verbreitete Aussagen

beeinflusst wird, kann aus verschiedenen Perspektiven beantwortet werden, die ihrerseits auch unterschiedliche

Forschungstraditionen haben.

1. „Einstellungsforschung“: Ausgangspunkt dieser ältesten Forschungstradition war die Persuasionstheorie

mit ihrem S-R Modell, was später zum S-O-R Modell erweitert wurde (das O-Objekt=Rezipient der

Beeinflussungsversuche rückt stärker in den Mittelpunkt). Die Konsistenztheorien stellen demnach die

„Prädispositionen“ (Einstellungen, Meinungen) vor dem Empfang der Aussage als zentralen Beeinflussungsfaktor

in den Vordergrund.

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2. „Diffusionsforschung“: Sie beschäftigt sich mit der Ver- und Ausbreitung von Nachrichten in der Gesellschaft.

Sie entdeckte mit dem „opinion-leading“ eine wesentliche Schaltstelle der Beeinflussung im interpersonalen

Kommunikationsprozess. Heute: „opinion-sharing“.

3. “Gratifikationsforschung”: Die Motivation zur Medienzuwendung ist der zentrale Faktor, der letztlich über das

Beeinflussungspotential eines Medieninhaltes entscheidet. Hieraus entstand der „Nutzenansatz“ bzw. „Uses and

Gratifikations-Approach“. Die neuere “dynamisch-transaktionale Persepektive” bezieht neben den Motiven bzw.

dem Nutzen der Rezipienten das Aussagenangebot mit ein.

4. „Agenda-Setting-Forschung“: Sie schwört dem Glauben einer direkten Beeinflussung von Einstellungen,

Meinungen und Verhaltensweisen ab. Beeinflussung durch Medien und deren Inhalte beim Rezipienten liegt nur

noch durch (themenbezogenes) Herstellen von Aufmerksamkeit, in der Veränderung von Wissen oder der

Erzeugung eines Problembewusstseins vor.

5. „Knowledge-gap-Forschung“: Nimmt sich der Veränderung des themenspezifischen Informationsstandes

durch Massenmediale Aussagen an. Ob die verbreiteten Inhalte überhaupt kognitiv erfasst und weiterverarbeitet

werden, hängt von den bereits vorhandenen themenspezifischen Interessen bzw. Informationen der Rezipienten

ab.

6. „Schweigespirale“: In diesem Ansatz wird die Beeinflussungskapazität vom „Meinungsklima“ abhängig

gemacht. Eine unterstellte Isolationsflucht führt dazu, dass sich Menschen eher der Mehrheits- als der

Minderheitsmeinung anschließen. Zu beachten bleibt, dass gerade die Massenmedien an der Entwicklung dieser

Vorstellungen (Meinungsklima) über das Ausmaß der medialen Präsenz einen erheblichen Einfluss haben.

6.5.2.2. Emanzipatorische Ansätze zur Massenkommunikation

Die folgenden Ansätze zielen, in Abgrenzung zu den oben erwähnten, auf eine Veränderung der

Mediensysteme oder gar der Gesellschaft ab. Die Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Wandel sehen

sie in der Umgestaltung Massenmedialer Kommunikation. Die Menschen sollen so näher an die Wahrnehmung

und Durchsetzung ihrer eigenen Bedürfnisse und Interessen gebracht werden. Daher kann man diese Ansätze

als emanzipatorisch begreifen.

6.5.2.2.1. Der medienkritische Ansatz von Enzensberger

Enzensberger begreift die modernen Massenmedien und die mit diesen verbundene Bewusstseinsindustrie im

Monopolkapitalismus als Schrittmacher der sozioökonomischen Entwicklung in spätindustriellen Gesellschaften.

Grundgedanke seines Ansatzes ist es, die Maßenkommunikativen Strukturen in (westlichen)

Industriegesellschaften derart umzuformen, dass sie zur Überwindung des Monopolkapitalismus und damit zur

elementaren Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse beitragen. Enzensberger kritisiert, dass es bis heute

nicht gelungen sei, aus den Massenkommunikationsmedien echte Kommunikationsmittel zu machen, die eine

Wechselwirkung zwischen Sender und Empfänger zulassen, obwohl dies technisch möglich wäre. Vielmehr

würde eine solche Entwicklung vom bloßen Distributions- zum Kommunikationsmedium bewusst verhindert,

um den Unterschied zwischen herrschender (Sender, Produzent) und beherrschter (Empfänger, Konsument)

Klasse aufrecht zu erhalten. Enzensberger knüpft mit diesen Gedanken an Bertold Brecht an, der schon in den

30ern vom Rundfunk forderte, sich vom bloßen Lieferantentum zu verabschieden und auch den Hörer als

Lieferant zu organisieren. Der Hörer wäre so nicht mehr isoliert, sondern in Beziehung gesetzt, und so Brecht:

„Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens...“. Enzensberger

argumentiert, dass in einer kapitalistisch organisierten Gesellschaft die Medien zwar den Maßen zur Verfügung

gestellt werden (z. B.: Kameras, Videogeräte), aber solange der einzelne isoliert bleibt, ist er bestenfalls ein auf

Freizeitgestaltung reduzierter Amateur und nicht Produzent. Dieser für kapitalistische Gesellschaften typischen

Entpolitisierungstendenz ist so Enzensberger das Initiieren politischer Lernprozesse entgegenzusetzen, der

Immobilität der voneinander isolierten Individuen ist durch eine Mobilisierung der Maßen entgegenzuwirken. In

dieser mobilisierenden Kraft liegt das entscheidende politische Moment. Die Medien könnten erstmals eine

Maßenhafte Teilnahme an einem gesellschaftlichen und vergesellschafteten produktiven Prozess ermöglichen,

dessen praktische Mittel sich in der Hand der Maßen selbst befinden. Alle sollen sich an einem Programm für alle

beteiligen. Weg vom kapitalistisch organisierten „repressiven Mediengebrauch“ mit passiver

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Page 70: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

Konsumentenhaltung, hin zu einem „emanzipatorischen Mediengebrauch“ einem aktiven und kritischen

Umgehen mit den Medien und deren Inhalten.

6.5.2.2.2. Der demokratische Ansatz von Geissler

Der moderatere Denkansatz von Geissler fusst auf den Vorstellungen einer partizipatorisch-pluralistischen

Demokratie, in der eine möglichst einsichtige Teilnahme möglichst vieler Staatsbürger an der Analyse und

Entscheidung politischer Fragen und damit an der Ausübung von Macht und Herrschaft gewährleistet ist. Der hier

gemeinte Partizipationsbegriff ist sehr weit gefasst, und schliesst neben der Wahlbeteiligung auch eine ständige

Bereitschaft zum Mitdenken und –reden sowie die Teilnahme an politischen Aktionen mit ein. Die

Fremdbestimmung des einzelnen durch Interessen, die nicht die seinen sind – also Macht und Herrschaft – soll

abgebaut werden. Der Pluralismusbegriff impliziert die Chancengleichheit der Interessen aller Gruppen in einer

Gesellschaft, sich im politischen Prozess durchzusetzen. Angestrebt werden politische Entscheidungen, die zu

einem möglichst ausgewogenen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessen(gruppen) führen.

Geissler sieht die Grundbedingung für das Funktionieren eines derartigen demokratischen Prozesses in der

politischen Basiskommunikation zwischen Staatsbürger (Basis) und politischen Handlungsträgern und

Institutionen. Nur so kann pluralistische Öffentlichkeit entstehen, in der die verschiedenen Interessen zur

Artikulation gelangen und miteinander verglichen werden können. Ob und wie die Menschen diese ihnen

formalrechtlich zustehenden Partizipationschancen realisieren können, hängt in hohem Maße vom Zustand der

Massenmedien bzw. von deren erbrachten Leistungen ab. Hier entdeckt Geissler Hindernisse, die einer

Realisierung echter demokratischer Basiskommunikation im Wege stehen. Die Kluft zwischen politischer Spitze

und Basis wird hauptsächlich durch die Massenmedien überbrückt, die in der politischen Kommunikation

praktisch eine Monopolstellung besitzen. Die von den Medien vermittelten Inhalte sind jedoch – so Geissler – auf

mehrfache Weise manipulativer Natur. Sie sind zum einen durch politischen wie sozialen Konformismus

geprägt: Stellungnahmen zu politischen Fragen sind unverbindlich und neutral oder Partikularinteressen werden

als Gemeininteressen ausgegeben. Soziale Zubzw. Missstände werden so nur unhinterfragt widergespiegelt.

Zum anderen sind die medialen Inhalte durch quantitative und qualitative Entpolitisierung gekennzeichnet:

Unterhaltung, Sensation und Werbung treten in den Vordergrund und die Grenzen zu politischer Information

(Politshow) verwischt, so dass eigentliche strukturelle Ursachen und Bedingungen vieler Probleme von der Basis

nicht mehr erkannt werden. Die Auswirkung dieser manipulativen Inhalte ist – so Geissler – politisches

Desinteresse und Apathie, welche die bestehenden Gesellschafts- und Herrschaftsverhältnisse letztlich noch

stabilisieren.

Geissler hat daher drei Leistungen (Funktionen) von den Massenmedien gefordert, um echte demokratische

Basiskommunikation herzustellen.

1. Ideologiekritische Herstellung von Transparenz

Der einzelne kann sich nur politisch vernunftgemäss verhalten, wenn er Klarheit über politische Probleme und

dem politischen Denken und Handeln der verschiedenen Interessengruppen besitzt. Die Massenmedien haben

daher durch Information und Kritik zur Herstellung dieser Transparenz beizutragen. „Ideologiekritisch“ ist eine

derartige Herstellung von Transparenz dann, wenn Interessenkonflikte und Machtstrukturen sowie tatsächlich

verfolgte Ziele aufgedeckt werden.

2. Artikulation von Interessen

Um dem Bürger ein echtes Verständnis des Wesentlichen zu ermöglichen, ist es in hochspezialisierten

Gesellschaften notwendig komplexe Fragen und Probleme zu vereinfachen. Diesen Vereinfachungsprozess

lokalisiert Geissler in der Artikulationsfunktion der Massenmedien. Jene besteht darin, „während der

Problemvereinfachung und der Formulierung der politischen Alternativen durch die Politiker und Experten

Interessen der Basis zur Sprache zu bringen“.

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Page 71: Burkart_Kommunikationswissenschaft_gesamte Sehr Gute Zusammenfassung

3. Pluralistische Kompensation

Es entspricht den Grundsätzen einer pluralistischen Demokratie, dass alle in der Gesellschaft vorfindbaren

kommunikativ relevanten Positionen (Gruppeninteressen) ungefähr die gleiche Chance haben (sollen), an die

Öffentlichkeit zu gelangen.

Das Relevanzkriterium der Veröffentlichung in den Massenmedien kann in den tatsächlichen Machtverhältnissen

der Interessengruppen oder in der Artikulationsbereitschaft verschiedener Interessengruppen gesehen werden.

Je nachdem wären andere Interessengruppen im Prozess der politischen Kommunikation privilegiert.

Geissler verweist daher in diesem Zusammenhang auf die moderne Pluralismustheorie, welche davon ausgeht,

dass Chancengleichheit im politischen Prozess eine ideologische Fiktion ist. Gleichzeitig stellt er an die

Massenmedien die normative Forderung, ihren Beitrag zur Realisierung der pluralistischen Demokratie zu leisten,

indem sie vor allem denjenigen Interessen publizistische Macht verleihen, die in der bestehenden

gesellschaftlichen Kräftekonstellation benachteiligt sind. „Die Massenmedien haben die Aufgabe, Ungleichheiten

in den Einflusschancen auszugleichen.“

Zu erwähnen bleibt, dass selbst wenn die Massenmedien imstande sind, diesen Forderungen nachzukommen,

ein Qualitätswandel in der Basiskommunikation auch von anderen Veränderungen auf Seiten des Publikums

abhängt. Die Massenmedien und ihre erbrachten Leistungen stellen schließlich nur einen Sozialisationsfaktor

unter vielen anderen dar (Familie, Schule, Beruf etc.).

6.5.2.2.3. Der verständigungsorientierte Ansatz nach Habermas

Ein Diskurs kann nur dann wirklich stattfinden, wenn zwei wesentliche Elemente erfüllt sind. Zum einen die

Chancengleichheit bei der Wahrung der jeweils zur Diskussion stehenden Interessen. D. h. in einem wirklichen

Diskurs geht jeder davon aus, dass er die gleichen Chancen und Möglichkeiten hat, Standpunkte in das

Gespräch einzubringen und auch durchzusetzen. Zum anderen die rational motivierte Auseinandersetzung

zwischen vernünftig agierenden Kommunikationspartnern. D. h. ein allfälliger Konsens zwischen ihnen beruht auf

nichts anderem als auf dem eigentümlich zwanglosen Zwang des besseren, weil einleuchtenderen Arguments.

Diese beiden Voraussetzungen eines Diskurs sind für Habermas die Fundamente einer kommunikativen

Theorie demokratisch organisierter Öffentlichkeit. Für ihn ist die politische Öffentlichkeit nichts anderes als

der Raum, in dem konfliktträchtige gesellschaftliche Streitfragen einer rationalen Auseinandersetzung und

Regelung zugeführt werden sollen. Dies setzt – nach Habermas – jedoch zwei kommunikative Bedingungen

voraus, die eine demokratische Öffentlichkeit erst konstituieren: allgemeine Zugänglichkeit und rationale

Diskussion.

Allgemeine Zugänglichkeit: Bedeutet, dass niemand von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen ist. Der

Zustand, dass alle Bürger an allen Entscheidungen teilnehmen und über alle politischen Vorgänge unterrichtet

sind, ist in einer hochkomplexen Gesellschaft jedoch nicht realisierbar. Einerseits, da den meisten Menschen der

Sachverstand zur Beurteilung der Mehrzahl der Probleme fehlt. Andererseits, weil der Beschaffungsaufwand

totaler Information für den einzelnen zu hoch ist. Trotzdem ist dieses idealistische Konzept demokratischer

Öffentlichkeit umsetzbar, wenn professionelle Kommunikatoren (Journalisten) installiert werden. Diese können

durch Berichterstattung die Verhandlungs- bzw. Entscheidungsvorgänge öffentlich machen. So wird den

interessierten Bürgern das Mitdenken und Mitreden erst ermöglicht.

Rationale Diskussion: Bedeutet, dass bei der durch den Journalismus veröffentlichten (allgemein zugänglichen)

Diskussion einer vernünftigen, argumentativ begründeten Auseinandersetzung der Vorrang eingeräumt und

Medienmacht nicht primär manipulativ eingesetzt wird.

Beide Momente zusammen, die allgemeine Zugänglichkeit und rationale Diskussion, bringen schließlich eine

„kritische Publizität“ hervor. Diese soll die vorherrschende (Habermas) „manipulative Publizität“ verdrängen,

die nur die Aufgabe erfüllt „die Aufmerksamkeit durch Themenbereiche zu strukturieren, d. h. andere Themen,

Probleme und Argumente unter die Aufmerksamkeitsschwelle herunterzuspielen“. Die kritische Publizität soll

demgegenüber öffentliche Diskurse ermöglichen, die dann im Zusammenspiel mit der institutionell verfassten

politischen Willensbildung eine kommunikative Macht eigener Art darstellen. „Diskurse herrschen nicht. Sie

erzeugen eine kommunikative Macht, die die administrative nicht ersetzen, sondern nur beeinflussen kann.

Dieser Einfluss beschränkt sich auf die Beschaffung und den Entzug von Legitimation.“

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