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FM_1159 Berufsgenossenschaſtliches Universitätsklinikum Bergmannsheil gGmbH Prof. Dr. Christoph Maier Abt. für Schmerzmedizin Priv.-Doz. Dr. Oliver Höffken Neurologische Klinik und Poliklinik Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum E-Mail: [email protected] Web: www.bergmannsheil.de Cannabis das neue Wundermittel? Ärztliche Information für Patienten und Interessierte Im Falle einer ärztlichen Verschreibung, wie geht es weiter? Kann ich mit dem Rezept in die nächste Apothe- ke gehen? Voraussetzung für die Kostenerstattung ist die Zusage Ihrer Krankenkasse. Hierfür muss ein Antrag geschrieben werden. Dieser Antrag wird von uns gemeinsam mit Ihnen zusammen geschrieben, wenn wir auch überzeugt sind, dass die Therapie mit Cannabisarzneimitteln notwendig ist. Dieses ist mit erheblicher Arbeit für alle verbunden, auch Sie müssen erst einmal ein mehrwöchiges Tagebuch ausfüllen, damit wir im positiven Fall den Erfolg später nachweisen können. Bei einer Verschreibung ohne vor- herigen Antrag bei der zuständigen Krankenkasse ist die Erstattung der Kosten ausgeschlossen. Welche Cannabisarzneimittel sind aus ärztlicher Sicht vorzuziehen? Grundsätzlich kann jedes Cannabisarzneimittel ver- schrieben werden. Es gibt jedoch gute Gründe, sich auf die Fertigarzneimittel oder klar definierte Rezepturen zu beschränken. Hauptgrund ist, dass nur für diese Arzneimittel (Sativex ® , Canemes ® und Dronabinol) der Wirkstoffgehalt feststeht. Nur dadurch kann der Arzt eine Vorstellung bekommen, welche Dosierung für Sie bei Ih- ren individuellen Risiken richtig ist. Deshalb verschreiben wir keine Pflanzenextrakte, so lange dieser Punkt nicht von Anbietern eindeutig geregelt wird. Wir bevorzugen die Kombination aus zwei Cannabis-Stoffen (THC und CBD), weil diese Kombination das Risiko gravierender psychi- scher Nebenwirkungen, insbesondere auch von Abhän- gigkeit und Missbrauch, laut der wissenschaſtlichen Literatur deutlich vermindert. Pflanzenextrakte enthalten diese Kombination nicht. Einzelheiten können Ihnen Ihre behandelnden Ärzte erklären. Wer kann sich in unserer Schmerzambulanz vorstellen? Die Schmerzambulanz ist eine Belegambulanz, eine Anmel- dung ist unbedingt Voraussetzung. In der Schmerzambulanz werden alle Patienten unabhän- gig von dem Kostenträger behandelt. Für Kassenpatienten ist eine Überweisung erforderlich. Diese kann jeder Arzt ausstellen. Wie können Sie sich in der Schmerzambulanz anmelden? Es stehen Ihnen zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Wenn möglich, laden Sie sich den Deutschen Schmerz- fragebogen von unserer Website herunter, oder fordern Sie telefonisch in unserer Schmerzambulanz (Tel.: 0234-302-6632) den Fragebogen an. Bitte senden Sie dann den vollständig ausgefüllten Frage- bogen an uns zurück. Nach Dringlichkeit der Schmerzer- krankung wird dann schriſtlich ein Termin vergeben. ?

Cannabis - bergmannsheil.bg-kliniken.de · Cannabis-haltige Medikamente Die neuen Wundermittel? Am 10.03.2017 ist eine Gesetzänderung in Kraft getreten (Anlage III BtMG, §31 SGB

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Berufsgenossenschaft liches UniversitätsklinikumBergmannsheil gGmbH

Prof. Dr. Christoph Maier Abt. für Schmerzmedizin

Priv.-Doz. Dr. Oliver Höff kenNeurologische Klinik und Poliklinik

Bürkle-de-la-Camp-Platz 144789 Bochum

E-Mail: [email protected]: www.bergmannsheil.de

Cannabisdas neue Wundermittel?

Ärztliche Information fürPatienten und Interessierte

Im Falle einer ärztlichen Verschreibung, wie geht es weiter? Kann ich mit dem Rezept in die nächste Apothe-ke gehen?Voraussetzung für die Kostenerstattung ist die Zusage Ihrer Krankenkasse. Hierfür muss ein Antrag geschrieben werden. Dieser Antrag wird von uns gemeinsam mit Ihnen zusammen geschrieben, wenn wir auch überzeugt sind, dass die Therapie mit Cannabisarzneimitteln notwendig ist. Dieses ist mit erheblicher Arbeit für alle verbunden, auch Sie müssen erst einmal ein mehrwöchiges Tagebuch ausfüllen, damit wir im positiven Fall den Erfolg später nachweisen können. Bei einer Verschreibung ohne vor-herigen Antrag bei der zuständigen Krankenkasse ist die Erstattung der Kosten ausgeschlossen.

Welche Cannabisarzneimittel sind aus ärztlicher Sicht vorzuziehen?Grundsätzlich kann jedes Cannabisarzneimittel ver-schrieben werden. Es gibt jedoch gute Gründe, sich auf die Fertigarzneimittel oder klar defi nierte Rezepturen zu beschränken. Hauptgrund ist, dass nur für diese Arzneimittel (Sativex®, Canemes® und Dronabinol) der Wirkstoff gehalt feststeht. Nur dadurch kann der Arzt eine Vorstellung bekommen, welche Dosierung für Sie bei Ih-ren individuellen Risiken richtig ist. Deshalb verschreiben wir keine Pflanzenextrakte, so lange dieser Punkt nicht von Anbietern eindeutig geregelt wird. Wir bevorzugen die Kombination aus zwei Cannabis-Stoff en (THC und CBD), weil diese Kombination das Risiko gravierender psychi-scher Nebenwirkungen, insbesondere auch von Abhän-gigkeit und Missbrauch, laut der wissenschaft lichen Literatur deutlich vermindert. Pflanzenextrakte enthalten diese Kombination nicht. Einzelheiten können Ihnen Ihre behandelnden Ärzte erklären.

Wer kann sich in unserer Schmerzambulanz vorstellen?Die Schmerzambulanz ist eine Belegambulanz, eine Anmel-dung ist unbedingt Voraussetzung.In der Schmerzambulanz werden alle Patienten unabhän-gig von dem Kostenträger behandelt. Für Kassenpatienten ist eine Überweisung erforderlich. Diese kann jeder Arzt ausstellen.

Wie können Sie sich in der Schmerzambulanz anmelden?Es stehen Ihnen zwei Möglichkeiten zur Auswahl:

• Wenn möglich, laden Sie sich den Deutschen Schmerz-fragebogen von unserer Website herunter, oder

• fordern Sie telefonisch in unserer Schmerzambulanz (Tel.: 0234-302-6632) den Fragebogen an.

Bitte senden Sie dann den vollständig ausgefüllten Frage-bogen an uns zurück. Nach Dringlichkeit der Schmerzer-krankung wird dann schrift lich ein Termin vergeben.

das neue Wundermittel?

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Cannabis-haltige Medikamente Die neuen Wundermittel?Am 10.03.2017 ist eine Gesetzänderung in Kraft getreten (Anlage III BtMG, §31 SGB V), die Verordnungsmöglichkeiten von Arzneimitteln auf Cannabisbasis neu regelt. Die Kosten der Therapie werden im Einzelfall von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet. Voraussetzungen für die Erstattung sind laut Gesetz, dass eine „allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht“ oder „im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung“ des behandelnden Arztes „unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berück-sichtigung des Krankheitszustandes“ nicht zur Anwendung kommen kann. Zusätzlich soll durch die Anwendung von Cannabisarzneimitteln eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen“.

Was ist das Neue an dieser Gesetzesänderung? Die Änderung erlaubt erstmals, ohne Beschränkung auf genaue Erkrankungen, die Verschreibung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten mit standardi-sierter Qualität. Die neue Regelung ändert jedoch nichts an der Notwendigkeit, beim Kostenträger die Erstattung einer solchen Therapie vorher zu beantragen. Wenn ein Canna-bis-haltiges Fertigarzneimittel außerhalb der Indikation (Off Label Use) verschrieben wird, gelten die gleichen Regeln. Sativex®-Spray ist ausschließlich zugelassen für Patien-ten mit Spastik bei multipler Sklerose, Canemes® nur zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen während einer Chemotherapie.

Haben Cannabis-Extrakte/-Blüten wirklich einen Vorteil gegenüber Fertigarzneimitteln? Es gibt keinerlei wissenschaftliche Belege für diese von interessierter Seite ständig wiederholte Behauptung. Der Wirknachweis für Cannabis ist bei sehr vielen Schmerzur-sachen ohnehin dünn (siehe unten). Bessere Effekte durch Pflanzenextrakte sind generell schon deshalb fraglich, weil trotz Standardisierung vermutlich auch in Zukunft Schwan-kungen des THC-Gehaltes einzelner Extrakte des gleichen Herstellers vermutlich kaum ver-meidbar sind. Es ist aber ein Grundprinzip jeder Pharmakotherapie, dass der Arzt über die Dosis Bescheid weiß, weil Wirkungen und Neben-wirkungen immer in Beziehung zur Dosis stehen. Hinzu kommt, dass im Gegensatz beispielsweise zu Sativex® in einigen Pflanzenextrakten der Anteil jener Cannabinoide sehr gering ist, die unerwünschte psychische Nebenwirkun-gen verringern.

Ist THC (Cannabis) überhaupt ein Schmerzmittel? Im Körper existiert ein schmerzunterdrückendes System, das auf körpereigenen Opioiden (sogenannte Endorphine) oder auf Cannabinoiden (sogenannte Endocannabinoide) als natürlichen Botenstoffen basiert. Cannabinoidrezepto-ren sind außerhalb des Gehirns auch in vielen Organen wie der Leber, dem Darm, der Milz und der Haut und auch im Nervensystem außerordentlich häufig. Endocannabinoide schützen das Gehirn vor überschießenden Reaktionen, z. B. auf bestimmte Reize. Bei Zufuhr als Arzneimittel treten auch andere Effekte auf wie z. B. je nach Dosis, angeneh-me oder aber auch unangenehme Veränderungen der Stimmung, Beeinträchtigungen der geistigen Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie Verän-derungen des Schlafverhaltens. Hieraus resultiert bei der Einnahme auch eine deutliche Einschränkung beim Autofahren oder beim Bedienen von Maschinen. Cannabinoide führen aber auch dazu, dass Schmerzreize anders als sonst wahrgenommen werden, wobei insbesondere die emotionale, also die ge-fühlsmäßige Verarbeitung und Bewertung von Schmerzen, im Einzelfall positiv beeinflusst wird.

Bei welchen Schmerzen sind Cannabisarzneimittel häufiger wirksam? Am besten gesichert ist die gute Wirksamkeit bei manchen Schmerzen, die bei einer Erkrankung oder Verletzung des Rückenmarks mit und ohne Spastik auftreten, z. B. bei der Multiplen Sklerose. Nur hierfür gibt es eine offizi-elle Zulassung von Sativex® (ohne Notwendigkeit eines Erstattungsantrages). Cannabinoide führen im positiven Fall zum Rückgang der Spastik. Wenn Schmerzen durch die Spastik ausgelöst wurden, so werden auch diese in der Regel reduziert. Nach eigenen Erfahrungen werden aber auch andere Schmerzen nach Rückenmarkverletzungen günstig beeinflusst. Die Ansprechquote ist jedoch auch bei diesen Krankheitsbildern, insbesondere in Fällen ohne Spastik, nicht sehr hoch. Vermutlich hat nur jeder 5. bis 10. Patient einen wirklichen, dauerhaften Nutzen. Bei sonstigen Nervenschmerzen, z. B. durch Diabetes oder nach Nerven-verletzung, ist die Ansprechrate noch geringer.

Welche Schmerzen reagieren selten auf Cannabis-arzneimittel? Obwohl sehr häufig zur Behandlung von Muskelschmerzen verwendet (auch durch illegalen Konsum), zeigen wissen-schaftlich geleitete Studien, dass Patienten mit verschie-denen Arten von Muskelschmerzen, einschließlich der Fibromyalgie, nur selten eine Schmerzreduktion erleben.

Die Wirkung von Cannabisarzneimitteln ist der Wirkung eines Placebos (also einem Scheinmedikament) nicht überlegen. Dennoch kommt es zum Auftreten von Neben-wirkungen. Das können die oben bereits beschriebenen Gefühlsveränderungen sein, aber auch Durchfall oder Kreislaufstörungen. Keinen Effekt hat Cannabis bei der Polyneuropathie, insbesondere beim Diabetes mellitus.

Welche Nebenwirkungen sind zu befürchten? Besteht bei medizinisch begründetem Einsatz das Risiko einer Abhängigkeit oder Sucht? Ähnlich wie bei Opioiden bleibt es ein Vorteil auch dieser Substanzgruppe, dass bei Erwachsenen blei-bende Schäden an inneren Organen nach heutigem Kenntnisstand nicht zu befürchten sind. Todesfälle durch Herzrhythmusstörungen sind aber in der Fachliteratur beschrieben. Menschen mit Herzerkrankungen müssen deshalb noch vorsichtiger sein. Ein weiteres Problem sind Durchfälle, die nach Absetzen aber wieder verschwinden. Im Vordergrund stehen zumeist jedoch die psychischen Nebenwirkungen (siehe oben). Bei nicht medizinischem Gebrauch wird in westlichen Ländern von einer Abhängig-keitsrate von 8 – 12% ausgegangen. Belastbare Zahlen bei medizinischer Anwendung gibt es bis heute nicht; in unserer Klinik haben wir jedoch schon wiederholt Cannabis-süchtige Patienten behandeln müssen. Sucht und Abhängigkeit erhöhen das persönliche Leiden stark. Hinweise darauf sind ständiger Gebrauch, immer stärkere Einschränkungen des Alltags durch den Cannabis-Kon-sum und ein Rückgang sonstiger beruflicher und privater Aktivitäten sowie Störungen in den zwischenmenschli-chen Beziehungen.

Aufgrund eigener Erfahrungen habe ich den Eindruck, dass Cannabis meine Schmerzen lindert. Wie kann ich jetzt Cannabis verschrieben bekommen? Diese Frage müssen Sie mit Ihren behandelnden Ärzten offen besprechen. Eine pauschale Antwort ist nicht mög-lich. Bitte beachten Sie, dass im Einzelfall Cannabis auch gewollte positive psychische Effekte haben kann, wo-durch es zu einer Ablenkung vom Schmerz kommen kann. Dieser Vorteil muss jedoch gegen die oben genannten Nachteile abgewogen werden. Von ärztlicher Seite muss eine Cannabis-Verschreibung medizinisch begründet wer-den. Dieses ist nur möglich, wenn es keine begründeten Therapiealternativen gibt.