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54 | © 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chem. Unserer Zeit, 2006, 40, 54 – 62 Papierkonservierung Chemie kontra Papierzerfall K LAUS R OTH I m Jahr 105 n.Chr. berichtete der chinesische Hofbeam- te Tsái Lun seinem Kaiser Ho Ti über eine neue Erfin- dung. Er hatte aus Baumrinden, Bastfasern des Maulbeer- baumes, Hanf, Lumpen und alten Fischernetzen eine neue, preiswerte Schreibunterlage erfunden, das Papier. Das Her- stellungsverfahren war denkbar einfach: die Abfallproduk- te wurden gesäubert, zerkleinert, zerstampft, gekocht und gewässert. Mit einem Sieb wurde aus dem wässrigen Faser- brei eine Schicht abgeschöpft, die anschließend gepresst und getrocknet wurde [1]. Der Kaiser war begeistert: ein Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen (sustainable de- velopment) und Altmaterialien (recycling) hergestellt und biologisch vollständig abbaubar. Die erste deutsche Papiermühle wurde 1390 bei Nürn- berg errichtet, und in ihr wurde das Papier weitgehend nach dem chinesischen Originalverfahren hergestellt, mit einer Ausnahme: in Europa wurde Papier ausschließlich aus Lum- pen (Hadern) hergestellt. Wäschefetzen, Seilreste und Net- ze wurden in einer alkalischen Soda- oder Pottaschelösung für Tage aufgeschlossen und dann in von Wasserrädern an- getriebenen Stampfwerken mechanisch in einzelne Fasern zerlegt. Anschließend wurde das Papier mit Sieben ge- schöpft. Das getrocknete Papier war sehr saugfähig und als Schreibpapier völlig unbrauchbar, da die Tinte beim Schrei- ben sofort zerlief [2]. Zur Herabsetzung der Saugfähigkeit wurde Papier seit dem 13. Jahrhundert geleimt. Den Leim stellten die Papiermacher selbst her: Knochen, Hufe, Hör- ner und Sehnen von Schlachttieren wurden in einem Kes- sel über längere Zeit gekocht und der Sud abfiltriert. Das Papier wurde in den Knochenleim getaucht oder damit bestrichen. Durch Zugabe von Alaun [3] wurde der Kno- chenleim verfestigt (denaturiert) und so die Saugfähigkeit und Quellbarkeit des Papiers herabgesetzt [4]. Nach der Erfindung des Buchdrucks (Infokasten S. 55) boomte das Papiergeschäft, und Lumpen wurden knapp. Heute kaum vorstellbar, aber vom Ende des 15. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, also fast 400 Jahre lang, herrschte per- manent Lumpenmangel. Lumpensammler durften nur mit behördlicher Lizenz arbeiten und zum Schutz der hei- mischen Papiermühlen Lumpen nicht exportieren (Abbil- dung 1). Die Folgen der Restriktionen waren absehbar: Lumpen wurden gestohlen, geschmuggelt und auf Schwarzmärkten verschoben. Die Jagd auf Lumpen nahm kuriose Formen an: 1666 wurden in England Totenhemden aus Leinen verbo- ten, denn man versprach sich davon zusätzliche 200 000 Pfund Leinenlumpen. Auch noch 1800 berichtete der West- fälische Anzeiger über ein Rechenexempel der Papier- müller: „Sie rechnen, dass bloß in einer einzigen Stadt, dar- in jährlich 3000 Menschen sterben, in 10 Jahren 90.000 Pfund feiner Leinwand, daraus uns herrliches Papier ge- macht werden könnte, unverantwortlich den Würmern zur Speise in die Erde vergraben wird.“ Am makabersten war Mr. Standwoods Geschäftsidee, der als Papiermühlenbesitzer während des amerikanischen Papier ist geduldig, aber vergänglich. In den wissenschaft- lichen Bibliotheken Deutschlands zerfallen vor unseren Augen viele der 200 Millionen Bücher, nahezu alle der zwischen 1850 bis 1970 hergestellten Druckwerke sind gefährdet, und ein Teil ist bereits heute kaum benutzbar. Auch um das Archivgut, d.h. unsere ganze amtliche Geschich- te, jedes Blatt ein unwiederbringliches Unikat, steht es schlecht: allein im Bundesarchiv in Berlin und Koblenz warten 300 laufende Kilometer (!) Dokumente auf eine Konservierung. Was wird aus den Akten der Reichskanzlei, des Politbüros der SED, des Bundeskanzleramts oder des Konzentrationslagers Buchenwald? Verfahren zur Konservierung alten Schriftguts wurden in den letzten Jahren entwickelt und sind einsatzbereit. Aus Kosten- gründen werden wir nur wenige Bestände konservieren kön- nen. Ein Blick in die Chemie des Zerfalls und der Rettung von altem Papier. DOI: 10.1002/ciuz.200600376

Chemie kontra Papierzerfall. Papierkonservierung

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Papierkonservierung

Chemie kontraPapierzerfall KKLLAAUUSS RROOTTHH

Im Jahr 105 n.Chr. berichtete der chinesische Hofbeam-te Tsái Lun seinem Kaiser Ho Ti über eine neue Erfin-

dung. Er hatte aus Baumrinden, Bastfasern des Maulbeer-baumes, Hanf, Lumpen und alten Fischernetzen eine neue,preiswerte Schreibunterlage erfunden, das Papier. Das Her-stellungsverfahren war denkbar einfach: die Abfallproduk-te wurden gesäubert, zerkleinert, zerstampft, gekocht undgewässert. Mit einem Sieb wurde aus dem wässrigen Faser-brei eine Schicht abgeschöpft, die anschließend gepresstund getrocknet wurde [1]. Der Kaiser war begeistert: einProdukt aus nachwachsenden Rohstoffen (sustainable de-velopment) und Altmaterialien (recycling) hergestellt undbiologisch vollständig abbaubar.

Die erste deutsche Papiermühle wurde 1390 bei Nürn-berg errichtet, und in ihr wurde das Papier weitgehend nachdem chinesischen Originalverfahren hergestellt, mit einerAusnahme: in Europa wurde Papier ausschließlich aus Lum-pen (Hadern) hergestellt. Wäschefetzen, Seilreste und Net-ze wurden in einer alkalischen Soda- oder Pottaschelösungfür Tage aufgeschlossen und dann in von Wasserrädern an-getriebenen Stampfwerken mechanisch in einzelne Fasernzerlegt. Anschließend wurde das Papier mit Sieben ge-schöpft. Das getrocknete Papier war sehr saugfähig und alsSchreibpapier völlig unbrauchbar, da die Tinte beim Schrei-ben sofort zerlief [2]. Zur Herabsetzung der Saugfähigkeitwurde Papier seit dem 13. Jahrhundert geleimt. Den Leimstellten die Papiermacher selbst her: Knochen, Hufe, Hör-ner und Sehnen von Schlachttieren wurden in einem Kes-sel über längere Zeit gekocht und der Sud abfiltriert. Das Papier wurde in den Knochenleim getaucht oder damit bestrichen. Durch Zugabe von Alaun [3] wurde der Kno-chenleim verfestigt (denaturiert) und so die Saugfähigkeitund Quellbarkeit des Papiers herabgesetzt [4].

Nach der Erfindung des Buchdrucks (Infokasten S. 55)boomte das Papiergeschäft, und Lumpen wurden knapp.Heute kaum vorstellbar, aber vom Ende des 15. bis Mitte des19. Jahrhunderts, also fast 400 Jahre lang, herrschte per-manent Lumpenmangel. Lumpensammler durften nur mit behördlicher Lizenz arbeiten und zum Schutz der hei-mischen Papiermühlen Lumpen nicht exportieren (Abbil-dung 1).

Die Folgen der Restriktionen waren absehbar: Lumpenwurden gestohlen, geschmuggelt und auf Schwarzmärktenverschoben. Die Jagd auf Lumpen nahm kuriose Formen an:1666 wurden in England Totenhemden aus Leinen verbo-ten, denn man versprach sich davon zusätzliche 200 000Pfund Leinenlumpen. Auch noch 1800 berichtete der West-fälische Anzeiger über ein Rechenexempel der Papier-müller:

„Sie rechnen, dass bloß in einer einzigen Stadt, dar-in jährlich 3000 Menschen sterben, in 10 Jahren 90.000Pfund feiner Leinwand, daraus uns herrliches Papier ge-macht werden könnte, unverantwortlich den Würmernzur Speise in die Erde vergraben wird.“

Am makabersten war Mr. Standwoods Geschäftsidee,der als Papiermühlenbesitzer während des amerikanischen

Papier ist geduldig, aber vergänglich. In den wissenschaft-lichen Bibliotheken Deutschlands zerfallen vor unseren Augenviele der 200 Millionen Bücher, nahezu alle der zwischen 1850 bis 1970 hergestellten Druckwerke sind gefährdet, undein Teil ist bereits heute kaum benutzbar. Auch um das Archivgut, d.h. unsere ganze amtliche Geschich-te, jedes Blatt ein unwiederbringliches Unikat, steht es schlecht:allein im Bundesarchiv in Berlin und Koblenz warten 300 laufende Kilometer (!) Dokumente auf eine Konservierung. Was wird aus den Akten der Reichskanzlei, des Politbüros derSED, des Bundeskanzleramts oder des KonzentrationslagersBuchenwald? Verfahren zur Konservierung alten Schriftguts wurden in denletzten Jahren entwickelt und sind einsatzbereit. Aus Kosten-gründen werden wir nur wenige Bestände konservieren kön-nen. Ein Blick in die Chemie des Zerfalls und der Rettung vonaltem Papier.

DOI: 10.1002/ciuz.200600376

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P A P I E R K O N S E R V I E R U N G | K U R I OS , S PA N N E N D, A L LT Ä G L I C H …

Bürgerkrieges mehrere Schiffsladungen Mumien aus Ägyp-ten importierte und deren Leinenumhüllungen zu Papierverarbeitete [5].

Der Beginn der industriellen PapierproduktionViele findige Köpfe suchten über Jahrhunderte nach einemErsatz für Lumpen. Ruhm und Geld winkten dem erfolg-reichen Finder. Der heute völlig vergessene Gelehrte JacobChristian Schäffer publizierte im 18. Jahrhundert alleinsechs Bände mit „Versuche und Muster ohne alle Lumpenoder doch mit einem geringen Zusatz derselben Papier zumachen“. In jahrelanger mühseliger Arbeit hatte er allemöglichen Pflanzen auf ihre Eignung zur Papierherstellunguntersucht, von Hopfenranken bis Brennnesseln, von Wein-reben bis Sägespänen, von Torf bis Rotkohlstrunken, vonTannenzapfen bis Beifuß. Letztlich war alle Mühe verge-bens, es fand sich kein Ersatz für Lumpen [6].

Trotz des hohen Preises stieg der Papierbedarf ständigan. 1800 erfand Nicolas-Louis Robert die maschinelle End-losfertigung von Papier mit einem umlaufenden Sieb an-stelle des Handschöpfens. Zur Leimung der dabei anfallen-den Endlosbahnen hatte der Uhrmacher Friedrich Moritz Illing 1807 einen genialen Einfall: entsprechend seiner „An-leitung auf eine sichere einfache wohlfeile Art Papier inder Masse zu leimen“ wurde das Papier nicht nach, son-dern gleich mit dem Siebschöpfen auf neuartige Weise ge-leimt [7]. Anstelle mit Gelatine wurde mit Alkalisalzen vonBaumharzsäuren (Baumharzseifen) geleimt, die sich nachZugabe von Alaun auf die Cellulosefasern niederschlug. Je-weils bis zu 3% Harzseifen wurden dem Faserbrei zuge-mischt und mit einem Überschuss Alaun ausgefällt. Dahin-ter verbirgt sich aus heutiger Sicht ein schönes Stück an-gewandter Koordinationschemie (Infokasten S. 59).

Die maschinelle Papierproduktion und das Leimungs-verfahren von Illig vereinfachten zwar die Papierproduk-tion, aber der Rohstoffmangel blieb. Die vier Jahrhundertedauernde Suche nach einem Ersatz für Lumpen endete erst1840, als der sächsische Webermeister Friedrich GottlobKeller erstmals feinsten Holzschliff als Papierrohstoff ein-setzte. Da Holz billig und in großen Mengen vor der eige-nen Haustür produziert werden konnte, erlebte die Pa-pierindustrie einen bis heute andauernden, atemberauben-den Aufschwung. Leider hatte diese positive Entwicklungeinen Preis: die Leimung auf Harzseifen/Alaun-Basis und dieNutzung von Holz zur Papierproduktion führte zu dem heu-te beklagenswerten Zustand alten Schrift- und Druckguts.Diese Entwicklung ist tragisch, denn aus Sicht des 19. Jahr-hunderts waren es wirklich revolutionäre und segensreicheErfindungen. Erst sie machten Papier zu einem Massenpro-dukt und ermöglichten die Herstellung von für jedermannerschwinglichem Zeitungen, Büchern, auch Schulbüchernund Schreibpapier. Vergessen wir daher nicht, dass vieleBücher und Dokumente, deren langsamen Zerfall wir heu-te so bitter beklagen, ohne die Erfindungen von Nicolas-Louis Robert, Moritz Illig und Friedrich Keller nie geschrie-ben oder gedruckt worden wären.

G U T E N B E RG U N D D I E D R U C K FA R B E |Nicht ein einziger Geniestreich, sondern mehrere Erfindungenmachten den Buchdruck möglich. Durch mehrfaches Einschlageneines Buchstaben-Stempels aus Hartmetall in eine weiche Kupfer-platte konnte Johannes Gutenberg (um 1397 – 1468) gleichzeitigviele identische Lettern gießen. In seiner Druckpresse sorgte eineschwere Metallplatte für den gleichmäßigen Andruck des Satzesgegen das Papier, eine Voraussetzung für hochwertigen Druck.Dann tüftelte er lange an einer schnell trocknenden und viskosenDruckfarbe auf Leinölbasis, die nicht – wie die üblichen wässrigen

Tinten – durch das Papier schlug. Das erlaubte den beidseitigen Druck. Die Rezeptur bliebsein Geheimnis, aber aus Rechnungen von 1480 einer Florentiner Druckerei können wirdie Zusammensetzung in etwa rekonstruieren: durch Erhitzen von Leinöl wird zunächstein Firniss hergestellt, dem Ruß, Pech, Schwefelkies, Zinnober, Harz, Terpentin, Galläpfel,Eisensalze und Schellack zugemischt wurden.

Abb. 1 Ausdruck des über 400 Jahre dauernden Rohstoffmangels für die Herstellungvon Papier ist dieses Edikt. Friedrich II. (Alter Fritz) verbot darin die Ausfuhr vonLumpen und allen Rohstoffen zur Leimherstellung (Pergament und Häute, Schafs-füße). Danach wurden die staatlich lizensierten und vereidigten Lumpensammler„welche sich gelüsten lassen, die gesammelten Lumpen an jemanden anders als dieinländischen Papiermacher oder deren bestellte Factors wider ihren Eid abzuliefernund außer Landes zu praktizieren, außer der auf Meineid gesetzten Strafe noch mitdreimonatiger Festungsarbeit (!!) ohne alle Nachsicht bestraft“. Solche drakoni-schen Strafen waren notwendig, denn der Mangel an Lumpen war so groß, dass inPreußen den Bauern sogar die Vogelscheuchen von den Bäumen geholt wurden.

„Geschärftes Edictzum Besten derereinländischenPappier-Mühlen“.

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D I E S T R U K T U R VO N C E L LU LOS E , H E M I C E L LU LOS E U N D L I G N I N |

D E R C H E M I S C H E Z E R FA L L VO N C E L LU LOS E |

links oben: Cellulose ist mit ca. 1011 t/a der mengenmäßig am meisten biosyn-thetisierte Naturstoff und besteht aus einigen Tausend kettenförmig verknüpf-ten Glucosebausteinen (C6H12O6). Cellulose ist ein Poly-(β-1,4-Glucopyranosyl-glucopyranosid), d.h. die Glucosebausteine liegen als Pyranosen (Sechsringmit einem Sauerstoffatom) vor, und benachbarte Ringe sind über eine Sauer-stoffbrücke zwischen dem C-1- und dem C-4’-Atom miteinander verknüpft. Mitdem Deskriptor β wird die äquatoriale Stellung der Hydroxylgruppe in 1-Positi-on symbolisiert. Diese Konfigurationsangabe ist notwendig, da die Polygluco-se mit α-Konfiguration (axiale Hydroxylgruppen) die Stärke (Amylose) ist undvöllig andere chemische Eigenschaften besitzt.

links unten: Hemicellulose ist ein heterogen aufgebautes Polysaccharid, in

dem neben Glucose auch andere Hexosen (C6H12O6) wie Galaktose und Man-nose sowie Pentosen (C5H10O5) wie Xylose und Arabinose miteinander ver-knüpft sind. Zusätzlich ist das Polysaccharid über 1,2’-Sauerstoffbrücken ver-zweigt und die Hydroxylgruppen teilweise acetyliert und methyliert. Da ein Teil der primären –CH2OH-Gruppen der Hexosen zu Carboxylgruppen (-COOH)oxidiert ist, lösen sich Hemicellulosen in alkalischer Lösung.

rechts: Lignin ist ein polymeres Phenylpropanderivat. Je nach Holzart befindensich am aromatischen Ring neben der phenolischen OH-Gruppe eine oder zweiMethoxygruppen. Da die phenolischen Hydroxylgruppen deprotoniert werdenkönnen, löst sich Lignin im Alkalischen und kann so von Cellulose abgetrenntwerden.

Die C1-C4’-Sauerstoffbrücken zwischen den Glucose-Bausteinen in Cellulosesind jeweils Teil einer Acetalgruppe R2C(OR1)(OR2). In Gegenwart von Säurensteht die neutrale (Acetal-OH) mit der protonierten Form (Acetal-OH+) im

Gleichgewicht (links, von oben nach unten). Im langsamsten Reaktionsschrittwird die C1-O-Bindung des Kations gebrochen [30]. Die folgenden Reaktionen,nämlich die Anlagerung von Wasser und die Abspaltung eines Protons, sind

sehr schnell, und es entsteht schließlich ein Kettenendemit einer Halbacetal-Gruppe R2C(OR1)(OH) und einKettenende mit einer OH-Gruppe. Da die Spaltung desKations (Acetal-OH+) geschwindigkeitsbestimmend ist,hängt die Reaktionsgeschwindigkeit allein von dessenKonzentration ab [31]. Da die Konzentrationen des Ka-tions [Acetal-OH+] und der Protonen (pH-Wert) überdie Gleichgewichtskonstante verknüpft sind, ist dieZerfallgeschwindigkeit v der Cellulose zur Protonen-konzentration proportional. Die Folgen sind klar: eineAbnahme des pH-Wertes von 7 auf 5 verhundertfachtdie Geschwindigkeit der Kettenspaltung. Tatsächlichreichen schon wenige Brüche pro Cellulosekette, umdie Reißfestigkeit des Papieres merklich zu verringern.

Bei der oxidativen Alterung von Papier wird zunächstdie primäre Alkoholgruppe (-CH2OH) durch Sauerstoffzur Carbonsäuregruppe (-COOH) oxidiert. Dadurchsteigt die Protonenkonzentration, und der Zerfall wirdbeschleunigt. Weiterhin wird das protonierte Acetal-Kation (Acetal-OH+) durch eine Wasserstoffbrücke zurCOOH-Gruppe energetisch stabilisiert und liegt imGleichgewicht in höherer Konzentration vor als in dernicht-oxidierten Cellulose. Dadurch wir Ks größer. Auchdies beschleunigt den Zerfall der Cellulose.

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Die Ursachen des Papierzerfalls Wie jede organische Materie kann auch Papier seinem ther-modynamischen Schicksal nicht entkommen, nämlich inGegenwart von Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser oxi-diert zu werden. Die Frage ist also nicht ob, sondern nurwie schnell Papier altert. Viele Faktoren beschleunigen denOxidationsprozess: schlechte Lagerbedingungen wie hoheTemperaturen und Luftfeuchtigkeit, Licht, Luftverschmut-zung, Schimmel, Käfer und die menschliche Dummheit [8].

Aber selbst bei sachgerechter Aufbewahrung wird Pa-pier mit der Zeit brüchig. Das erkennt auch ein Laie: Brichtdie Ecke einer Papierseite nach zweimaligem Falzen ab,dann bezeichnet man das Papier als „gefährdet“, bricht esschon bei leichtem Biegen, ist es „unbrauchbar“. DieserKnicktest ist einfach durchzuführen, simuliert allerdingsnur bedingt die Belastungen einer normalen Nutzung. Zu-mindest aber erlaubt er eine qualitative Bewertung der me-chanischen Belastbarkeit des untersuchten Papiers.

Schriftgut und Drucke aus dem Spätmittelalter und derRenaissance haben bei sachgerechter Lagerung bis heutefast nichts von ihrer ursprünglichen Schönheit verloren.Anders sieht es mit Papier aus, das nach 1850 hergestelltwurde, dieses Papier altert dramatisch schnell und wirdbrüchig. Vergleichen wir die Papierherstellung vor undnach 1850 aus chemischer Sicht [9].

Vor 1850 waren ausschließlich Stoffreste aus Leinenoder Baumwolle die stoffliche Basis für Papier. Beim alkali-schen Aufschließen und mechanischen Zerstampfen in derPapiermühle entstanden lange Fasern aus fast reiner Cellu-lose und verfilzten beim Schöpfen und Trocknen. In den Ele-mentarfibrillen lagerten sich die einzelnen Cellulose-Kettenüber Wasserstoffbrückenbindungen parallel zusammen undbildeten streckenweise hochgeordnete, kristalline Bereiche.Dies erhöhte die Festigkeit und die chemische Wider-standsfähigkeit, da die inneren Cellulosestränge aggressi-ven Agenzien nicht direkt zugänglich waren.

Holz musste für die Papierherstellung extrem zerkleinertwerden (Holzschliff), wodurch die Faserlänge von vorn-herein stark verkürzt war. Zusätzlich haben die Cellulose-fasern aus Holz einen deutlich geringeren Anteil an kristal-linen Bereichen im Vergleich zu Leinen oder Baumwolle.Vor allem aber hat Holz eine andere chemische Zusam-mensetzung: Buchenholz z.B. enthält neben 40% Cellulosezusätzlich 40% Hemicellulose und 20% Lignin (InfokastenS. 56, oben). Es ist vor allem das Lignin, das die mechani-sche Qualität von Papier auf Holzbasis vermindert, da dieElementar-Fibrillen von relativ unpolarem Lignin umhülltsind und deswegen keine Wasserstoffbrückenbindungenuntereinander ausbilden können. Später konnte zwar Lig-nin durch chemische Verfahren [10] aus dem Holz entferntwerden, jedoch erreichte auch dieses „holzfreie“ [11] Papiernie die Qualität eines aus Lumpen hergestellten.

Vor allem die Leimung begünstigte den Papierzerfall.Vor 1850 wurden die Lumpen durch alkalischen Aufschlussmit Soda oder Pottasche zum Faserstoff verarbeitet, das Pa-pier war alkalisch. Die geringen Mengen bei der Leimung

zugegebenen Alauns erniedrigten den pH-Wert kaum, daauch der Knochenleim ein großes Pufferreservoir bildete.Nach 1850 wurden dem Faserbrei zur Leimung alkalischeHarzseifen und ein großer Überschuss an Aluminiumsulfatzugemischt. Der Faserbrei war mit pH-Werten zwischen 4,5und 5,5 sauer, denn überschüssiges Aluminiumsulfat senk-te als Salz der schwachen Base Aluminiumhydroxid undstarken Schwefelsäure den pH-Wert.

Warum zerfällt saures Papier mit der Zeit? Selbst trocke-nes Papier enthält etwa 5% Restwasser, so dass die Cellu-losefäden des Papiers von der Herstellung an im Kontakt mitsaurem Wasser standen. Das konnte nicht lange gut gehen,denn die Glucose-Bausteine der Cellulose-Kette sind überAcetalbindungen miteinander verbunden. Acetalgruppenhydrolisieren in Gegenwart von wässriger Säure zu einemHalbacetal und einem Alkohol (Infokasten S. 56, unten). ImFalle der Cellulose führt diese Reaktion zu einem Ketten-bruch. Da die mechanische Stabilität von Papier auf der Ver-filzung langer Fasern beruht, nimmt bereits bei Spaltungnur jeder tausendsten Bindung zwischen den Glucosebau-steinen die Reißfestigkeit deutlich ab. Die Erfahrung vonRestauratoren hat gezeigt, dass Papier bereits bei einem pH-Wert von 6 zu zerfallen beginnt [12 ].

Das nach 1850 hergestellte Papier hatte aus chemischerSicht von vornherein keine Chancen gegen den Zahn derZeit. Es kam aber noch schlimmer, denn das zwischen 1850und 1970 industriell produzierte Papier war nicht nur be-reits bei der Herstellung sauer, sondern wurde mit der Zeit

H Y D RO LYS E VO N A LU M I N I U M S U L FAT I N PA PI E R |In wässriger Lösung dissoziiert das überschüssige Aluminiumsulfat Al2(SO4)3 vollständigin seine Ionen (Gl.1). Als Salz einer schwachen Base (Gl.2) und einer starken Säure senktAluminiumsulfat den pH-Wert des Papiers auf 4,5-5,5.

Die Hydrolyseprozesse von Al 3+-Ionen sind allerdings noch komplizierter:

Zunächst sind Al3+-Ionen in Wasser je nach pH-Wert mit einer wechselnden Anzahl von Hydroxylionen oder Wassermolekülen koordiniert: Al(H2O)6

3+(pH < 3), Al(OH)(H2O)52+

(pH < 3-7), Al(OH)2(H2O)42+ (pH <4-8), Al(OH)3(H2O)3 (pH <5-9) und Al(OH)4(H2O)2

(pH >6) [32].

In Abhängigkeit vom pH-Wert kondensieren diese Ionen unter Wasserabspaltung zu di- und oligomeren Hydroxiden.

Schließlich bilden sich amorphe Aluminiumoxihydrate mit wechselnder Bruttozusammen-setzung, die in Säuren unlöslich sind [32] und sich auf die Fasern und in die Zwischen-räume ablagern (Gl.3). Summa summarum führt die Polykondensation und die Bildungunlöslicher Aluminiumoxihydrate zur zunehmenden Versauerung des Papiers (Gl.4).

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immer saurer. Mehrere Ursachen sind dafür verantwortlich.Einmal sind die Oxidationsprodukte von Cellulose sauer,z.B. werden die primären Alkoholgruppen in 6-Position derCellulose zu Carbonsäuren oxidiert [7]. Die Geschwindig-keit dieser Oxidationsprozesse hängt von den Lagerbedin-gungen (Luftfeuchtigkeit, Lagertemperatur, Luftqualität) ab.So tut Büchern das Klima in Manhattan in New York offen-sichtlich nicht gut, wie ein Vergleich identischer Bände inBibliotheken in Californien oder Chicago [13] ergab. Aucheinige Bände in der Bayrischen Staatsbibliothek, die nachdem 2. Weltkrieg aus einer New Yorker Bibliothek ange-kauft wurden, sind in einem wesentlich schlechteren Zu-stand als entsprechende Exemplare anderer deutscher Bi-bliotheken [14]. Die unterschiedlichen Lagertemperaturenund/oder die erhöhte Belastung der New Yorker Luft mitSchwefeldioxid können dafür verantwortlich sein.

Zum anderen zeigt Aluminiumsulfat ein äußerst kom-plexes Hydrolyseverhalten, da das zunächst entstehende Aluminiumhydroxid langsam unter Dehydratisierung zu un-löslichen Produkten polymerisiert und die zurückbleiben-de Schwefelsäure den pH-Wert im Laufe der Zeit weiter er-niedrigt. (Infokasten S. 57).

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass derZerfall des Papiers chemisch durch die säurekatalysierte

Spaltung von Cellulose verursacht wird. Das zwischen 1850und 1970 hergestellte Papier war durch den Überschussvon Aluminiumsulfat beim Leimen von vornherein sauer.Mit der Zeit führen die Alterung der unlöslichen Aluminium-oxihydrate und der oxidative Abbau der Glucose zum wei-teren Absinken des pH-Wertes. Mit anderen Worten: der Papierzerfall ist ein mit der Zeit immer schneller ablaufen-der, autokatalytischer Prozess [15].

Verfahren zur Papierentsäuerung Die Rettung sauren Papiers scheint aus chemischer Sicht aufden ersten Blick einfach: sofortige Erhöhung des pH-Wer-tes auf 7-9. Die Erfahrungen zeigen allerdings, dass einenachhaltige Entsäuerungsmethode mehr leisten muss: – die pH-Wert-Erhöhung darf nicht nur kurzfristig, son-

dern muss dauerhaft sein, – eine alkalische Reserve muss gegen zukünftige Säure-

einflüsse im Papier angelegt werden und– das bereits geschädigte Papier sollte mechanisch ver-

stärkt werden. Im Folgenden betrachten wir nicht wertvolle Original-

manuskripte, Partituren oder Briefe berühmter Persönlich-keiten, sondern – im wahrsten Sinne des Wortes – kilome-terhohe Bücher- bzw. Aktenberge aus den Jahren 1850-1970. Darum wird an ein Massenentsäuerungsverfahren ei-ne weitere Forderung gestellt [16]:– es muss einfach durchführbar und preiswert sein.

Staunen wir an einigen Beispielen, mit welch unglaub-licher chemischen Fantasie sich Archivare, Restauratorenund Chemiker auf die Suche nach geeigneten Verfahren ge-macht haben.

Entsäuerung mit Gasen Der große Vorteil einer Begasung liegt auf der Hand: das Pa-pier kommt nicht mit einem Lösungsmittel in Kontakt, kannnicht aufquellen und die Tinte, Stempelfarben oder Schreib-maschinenfarbe können nicht auslaufen [17].

Bereits in den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhundertswurde Papier mit Ammoniak, und später mit anderen leicht-flüchtigen Aminen (z.B. Diethylamin, Butylamin, Cyclo-hexylamin, Morpholin und Piperidin) behandelt. In allenFällen stieg der pH-Wert sofort an, allerdings war die Freu-de nur von kurzer Dauer, denn bereits nach wenigen Wo-chen war das Papier wieder sauer.

Des Rätsels Lösung war einfach. Die bei der Neutralisa-tion gebildeten Ammonium-Ionen standen mit gasförmigenAmmoniak weiterhin im Gleichgewicht, ständig wurde gas-förmiger Ammoniak an die Umluft abgegeben, bis schließ-lich das Papier wieder sauer war.

Eine aus chemischer Sicht besonders originelle Metho-de der Massenentsäuerung entwickelten George Kelly undJohn Williams von der Library of Congress 1977 auf me-tallorganischer Basis. Unter reduziertem Druck wurdenBücher mit gasförmigem Diethylzink (DEZ, Siedepunkt118°C bei Raumdruck) begast. Das in das Papier hineindif-fundierende Diethylzink reagiert mit der vorhandenen

N AC H S Ä U E R U N G N AC H D E R B E H A N D LU N G M I T A M M O N I A K |Beim Behandeln von saurem Papier z.B. mit gasförmigen Ammoniak in einer Reaktions-kammer löst sich ein Teil davon in der Feuchtigkeit des Papiers und neutralisiert sofortvorhandene Säure. Der pH-Wert des Papiers steigt an. Die gebildeten Ammonium-Ionen stehen jedoch auch weiterhin mit dem gasförmigen Ammoniak im Gleichgewicht.Außerhalb der Reaktionskammer, d.h. im Bücher- oder Archivregal, gibt das Papier ständig gasförmiges Ammoniak ab, bis schließlich das Papier genauso sauer ist wie vorder Begasung.

DA S E N T S Ä U E R U N G S V E R FA H R E N M I T D I E T H Y L Z I N K |Diethylzink reagiert als metallorganische Verbindung heftig mit den im Papier enthal-tenen Säuren und Wasser unter Bildung von gasförmigen Ethan.

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Feuchtigkeit, mit saurem Aluminiumsulfat, mit Schwefel-säure und anderen vorhandenen Säuren. Das dabei gebil-dete unlösliche Zinkhydroxid bzw. Zinkoxid lagert sich imPapier ab und bildet eine gute alkalische Reserve [18].

Das Verfahren hatte leider einen ganz großen Nachteil:Diethylzink ist pyrophor, d.h. ist an Luft selbstentzündlich.Trotz hoher Sicherheitsmaßnahmen kam es in einer Ver-suchsanlage im NASA Goddard Space Flight Center bei derBedienung durch Mitarbeiter der Library of Congress am 5. Dezember 1983 zu einem Zwischenfall. In der Reakti-onskammer verblieb etwas flüssiges Diethylzink, das sichbeim Öffnen selbst entzündete und die Sprinkleranlage aus-löste. Das Löschwasser unterbrach die automatische Steue-rung zum Leerpumpen der Zuleitungen. Da nicht klar war,ob dort weiteres flüssiges Diethylzink vorhanden war, mus-ste eine Spezialeinheit der Armee anrücken und aus derFerne in die Leitungen schießen. In den Leitungen wartatsächlich noch Diethylzink, das sich sofort entzündete.Das Feuer konnte zwar unter Kontrolle gehalten werden,aber die Anlage war irreparabel zerstört.

Nach diesem Zwischenfall und umfangreichen Unter-suchungen beauftragte die Library of Congress die Weiter-entwicklung an Akzo, der Herstellerfirma von Diethylzink.1994 gab Akzo das Projekt mit der offiziellen Begründungauf, dass die Investitionskosten so groß wären, dass An-lagen dieser Art nicht wirtschaftlich betrieben werden kön-nen.

Entsäuerung in flüssiger Phase Da gasförmige Entsäuerungsmittel nicht die Erwartungen er-füllen konnten, wurden alternative Methoden in flüssigerPhase erprobt. Erste Entsäuerungsversuche basierten aufLösungen von Erdalkalibicarbonaten in Wasser [19]. Dannwurden feinste Magnesiumoxid-Partikel suspendiert unddas Papier damit durchtränkt (Bookkeeper-Prozess).

In nicht-wässrigen Lösungsmitteln wurden verschie-denste Alkoholate erprobt: Magnesiummethylat Mg(OCH3)2

in Methanol oder Methanol/Freon-Gemisch (Wei T’o-Pro-zess), Magnesiumtriethylenglykolat Mg[O(CH2CH2O)3-(CH2)3CH3]2 in Freon (Lithco Prozess) und gemischte Al-koholate von Magnesium und Titan in Hexamethyldisiloxan(Batelle-Verfahren).

Stabilisierung des geschädigten Papiers Die Entsäuerung und das Einbringen einer alkalischen Re-serve schützt das Papier zwar gegen weiteren Zerfall, aberdas Papier bleibt weiterhin brüchig. Deswegen wurden Me-thoden entwickelt, die neben der Entsäuerung gleichzeitigdas Papier mechanisch stabilisieren. Eine originelle Idee be-stand darin, ein polymeres Netzwerk in den Zwischenräu-me der Cellulosefibrillen aufzubauen. Dazu wurde das Pa-pier mit monomerem Methacrylsäuremethyl- oder -ethyl-ester getränkt, der anschließend mit niedrig dosierter γ-Strahlung polymerisiert. Durch Zusatz von Alkylmethacry-laten mit basischen Aminogruppen in der Seitenkette gelanggleichzeitig eine Entsäuerung. Auf diese Weise bekommt

selbst sehr brüchiges Papier wieder gute Materialeigen-schaften (British Library Process) [20].

Auch andere Polymere können das geschädigte Cellu-losenetzwerk verstärken. Nach einem Verfahren der Öster-reichischen National-Bibliothek erreicht man eine gute Ent-säuerung mit einer wässrigen Lösung von Calciumhydro-xid und gleichzeitiger Zugabe von Methylcellulose. Me-thylcellulose ist eine chemisch modifizierte Cellulose, inder ein Teil der Hydroxylgruppen z.B. mit Methylchlorid inMethoxygruppen umgewandelt wurde. Wegen der teilwei-se fehlenden Hydroxylgruppen ist die polymere Methyl-cellulose unpolarer, kann aber noch genügend Wassestoff-brücken zu den nativen Celluloseketten ausbilden und da-durch die mechanische Stabilität des Papiers verbessern.

Vergleich der Entsäuerungsverfahren Kritische Vergleiche der verschiedenen Massenentsäue-rungsverfahren wurden von mehreren Institutionen vorge-nommen und ergaben, dass alle Methoden Stärken und

PA PI E R L E I M U N G N AC H M O R I T Z I L L I G ( 1 7 7 7 - 1 8 4 5 ) |Das seit Beginn des 19. Jahrhunderts maschinell hergestellte Endlospapier wurde nichtmehr mit Knochenleim, sondern mit Baumharzen geleimt. Hauptbestandteile von Baum-harz sind Abietin- und Lävopimarsäure (C20H30O2) und deren Ester (links). Die Papierma-cher kochten das Harz mit Soda (Na2CO3), wobei die Ester teilweise verseift wurden undsich die Natriumsalze der Harzsäuren (Harzseifen oder Resinate) bildeten. Nach Zugabeeines Überschusses von Alaun [KAl (SO4)2 ·12 H2O] flockten die Aluminiumresinate aus[24]. Da Aluminiumkationen Al3+ gleichzeitig an Harzsäure-Anionen und an die Hydroxyl-gruppen der Cellulosemoleküle koordinativ binden können, wird die Faseroberflächenach außen mit den unpolaren Resten der Harzsäuren umgeben. Diese hydrophobe Hülleverhinderte ein Auseinanderlaufen von wässrigen Schreibtinten (schematische Darstel-lung unten).

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Schwächen haben, je nach Art und Zustand des zu behan-delnden Materials. Alle Fachleute waren sich aber einig,dass Untätigkeit die schlechteste Lösung sei “In any way,it is better to deacidify than to do nothing at all“.

Bückeburger Konservierungsverfahren Im folgenden soll das als Bückeburger Verfahren bezeich-nete Entsäuerungsverfahren näher vorgestellt werden. Diewissenschaftlichen Grundlagen gehen auf Arbeiten im

Niedersächsischen Staatsarchiv in Bückeburg zurück. Ur-sprünglich wurde das Archivgut durch drei verschiedene Bäder geführt. Inzwischen hat die Firma Neschen AG dasVerfahren übernommen, kommerzialisiert und zu einemEinbadverfahren weiterentwickelt.

Mit der neuesten Großanlage, die im Bundesarchiv inBerlin-Hoppegarten installiert wurde, können bei voller Aus-lastung über 3 Millionen Blatt DIN A4 im Jahr konserviertwerden.

A B B . 2 | DA S B Ü C K E B U RG E R PA PI E R E N T S Ä U E R U N G S V E R FA H R E N

Diese Anlage der Neschen AG steht im Bundesarchiv in Berlin-Hoppegarten, in der früher dieStasi-Dechiffrierabteilung untergebracht war. Nach Durchlauf des Archivguts wird ein pH-Wert des Papiers zwischen 7-9 garantiert. Gleichzeitig wird eine alkalische Reserve erzeugt,die der von alkalischen Neupapieren entspricht (äquivalent zu 1-2% CaCO3). Die integrierteNachverleimung mit Methylcellulose verstärkt das Papier mechanisch um ca. 30%.

Schriftgut ist sehr heterogen und jede Seite muss einzeln begutachtet werden, ob sie ohne Schadendas Konservierungsbad durchlaufen kann. Zur Vermeidung von Rostbildung werden metallische Bestandteile wie Büro- und Heftklammern entfernt. Aufgeklebte Materialien wie Briefmarken, Te-legrammstreifen und Papierausschnitte werden mit Schutzfolie gesichert.

Mit einem Tintenstrahldrucker wird jede Seite berührungslos (!) mit einer Akten- oder Bestands-nummer und Seitenzahl beschriftet. Anschließend werden Fotografien und Dokumente mit Wachs-oder Papiersiegeln, sowie sehr brüchige und eingerissene Papiere für eine Handkonservierung se-pariert. Besonders bedeutendes und häufiger benutztes Schriftgut wird vor der Konservierung aufMikrofilm gesichert.

In vier Bahnen werden die Dokumentenseiten einzeln auf ein Siebband aufgelegt. Nach Auflegender Dokumente auf das erste Sieb läuft ein zweites Sieb von oben zu und hält die Dokumente wäh-rend des gesamten Maschinendurchlaufes sicher und unverrückbar fest.

Die im Doppelsiebband fixierten Dokumente werden für etwa 7 Minuten durch das auf 13 °Cgekühlte Entsäuerungsbad geführt. Die grobmaschigen Transportsiebe und zusätzliche Düsen sor-gen für eine lückenlose und intensive Tränkung. In dem Bad wird die Tinte auf dem Papier fixiert,das Papier entsäuert, eine ausreichende alkalische Reserve hinzugefügt und das Papier durch Lei-mung mit Methylcellulose verstärkt - alles in einem Arbeitsgang!

Anschließend werden die Dokumente über fünf verschieden temperierte Trockenzylinder geführtund durch Luft bei Temperaturen bis maximal 60°C getrocknet. Ein Ab- und Umluftsystem sorgt füroptimale Verteilung der Warmluft und Entsorgung der feuchten Luftmenge. An der Ausgabestationwerden die Dokumente von Hand abgenommen. Die gesamte Durchlaufzeit eines Dokuments be-trägt ca. 18 Minuten.

Nach dem Maschinendurchlauf sind die Seiten etwas aufgequollen und leicht gewellt und können inheizbaren Pressen geglättet werden. Insgesamt nimmt das Papiervolumen durch die Behandlungum 3-5% zu.

Zum Abschluss werden die maschinell entsäuerten Dokumente mit den Einzelblättern aus derHandkonservierung vereinigt und Blatt für Blatt auf Vollständigkeit überprüft.

P A P I E R K O N S E R V I E R U N G | K U R I OS , S PA N N E N D, A L LT Ä G L I C H …

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Beim Bückeburger Verfahren werden die Einzelblätterin einem einzigen Bad für einige Minuten getränkt. DiesesBad erfüllt mehrere Funktionen:

Fixierung der Tinten und Stempelfarben: Die wasser-löslichen kationischen, meist blauen, violetten undschwarzen Tinten und Stempelfarben haften wegen derWechselwirkung mit den sauren, negativ geladenen Grup-pen recht gut auf Papier, die anionische roten und grünenTinten dagegen nur schlecht. Durch Zugabe entsprechendgeladener Fixiermittel können kationische und anionischeTinten für das Säurebad fixiert werden.

Neutralisierung der Säure und Schaffung einer alka-lischen Reserve: Die Neutralisation der Säure im gealter-ten Papier erfolgt durch MagnesiumhydrogencarbonatMg(HCO3)2. Da bei der Neutralisationsreaktion neben Koh-lendioxid unlösliches Magnesiumhydroxid bzw. -oxid ent-steht, wird eine alkalische Reserve im Papier angelegt.

Mechanische Verstärkung des Papier: Im Entsäuerungs-bad wird das Papier gleichzeitig mit Methylcellulose nach-geleimt. Bei der Trocknung bindet die Methylcellulose überWasserstoffbrücken an die Cellulosefibrillen und verbessertdadurch die mechanische Stabilität des Papier um ca. 30%.

Im Bundesarchiv wurden nach der Installation der An-lage zwischen 2001 bis zum Jahre 2003 vor allem die Ak-ten des Ministerrats der DDR behandelt, d.h. entsäuert undverstärkt. Dies waren 550 laufende Meter Schriftgut mit ins-gesamt 3,2 Millionen Blatt, wobei die Kosten bei etwas über1000 Euro je Meter Schriftgut liegen. Die Entsäuerung warbesonders dringlich, da das für den Ministerrat verwende-te Papier stark holzhaltig und von schlechter Qualität war.

Im Bundesarchiv warten nun die Bestände „Politbüroder SED“, „Reichskanzlei“ und „Bundeskanzleramt“ auf dieEntsäuerung. Es bleibt zu hoffen, dass diese Aufgaben in dennächsten 10-12 Jahren abgeschlossen werden können. Dannwären allerdings erst 1% des Gesamtbestandes des Bun-desarchivs für zukünftige Generationen gesichert.

Modernes Papier Bibliotheken haben mit den Verlagen schon vor Jahren ver-einbart, dass Bücher nur noch auf alterungsbeständigem Pa-pier gedruckt werden, das bereits bei der Herstellung miteiner ausreichenden alkalischen Reserve versehen wird.Dieses Papier muss bei sachgerechter Lagerung in den nächsten Jahrhunderten aller Voraussicht nach nicht mehrentsäuert werden.

Die Entsäuerung ist somit eine zeitlich begrenzte Auf-gabe. Besondere Probleme bereiten das Schriftgut aus denSiebziger Jahren, als die Verwendung von nicht alterungs-beständigem Recycling-Papier sehr gefördert und in Behör-den oftmals angeordnet wurde. Die Industrienorm „Papierfür Schriftgut und Druckerzeugnisse“ (DIN EN ISO 9706)ist streng und Recycling-Papiere können sie nur selten er-füllen. Kein Wunder, denn Recyclingpapier ist ein bunterCocktail von unbekannten sauren und holzhaltigen Papier-sorten, mit unbekannten Leimungen, Resten von Druck-farben etc.

Die Erhaltung wertvoller Schriftstücke gerade aus die-ser Zeit wird die Archivare noch in den nächsten Jahr-zehnten beschäftigen [21].

Packen wir es an Alle zwischen 1850 und 1970 geschriebenen und gedruck-ten amtlichen Schriftstücke und Bücher sind durch die sau-re Leimung und die Verwendung von ligninhaltigem Papiervom Zerfall bedroht. Nun zerkrümelt gealtertes saures Pa-pier zwar nicht gleich zu Staub, wie in manchen Publika-tionen übertrieben dargestellt wird, jedoch ist die Situati-on schon schlimm genug. Das Papier ist teilweise sobrüchig, dass eine normale Nutzung durch Archiv- und Bi-bliotheksnutzer nicht mehr gestattet werden kann. Es istschon bittere Ironie, dass wir heute mit unseren nahezuunbegrenzten Informationsmöglichkeiten hilflos zusehenmüssen, wie der Zahn der Zeit uns wertvolle Kulturgüterzerstört. Aber Jammern hilft nicht, denn schon im 4. Jahr-hundert nach Christus standen wir vor einer ähnlichen Si-tuation. Die gesamte klassische Literatur der Römer undGriechen zerfiel auf zerkrümelnden Papyrusrollen. Kon-stantin der Große und sein Sohn Konstantin II. ließen in ei-nem gewaltigen Kraftakt 100 000 Werke auf Tierhäute (Per-gament) abschreiben [22]. So schlimm sieht es heute nichtaus, denn viele Werke können durchaus noch für kom-mende Generationen erhalten werden. Moderne Techniken

AU F B E WA H R E N , KO PI E R E N O D E R AU F D E N M Ü L L ? |Amtliche Akten sind zwar keine Kunstwerke, trotzdem geht auch von einem Schriftstückmit Unterschrift, Siegel oder handschriftlichen Randbemerkungen der Zauber eines Ori-ginals aus. Aber Zauber hin, Zauber her, man kann nicht alles aufheben. Wenn wir aberdie Akten der Reichskanzlei, der Volkskammer und des Deutschen Bundestages als Teil un-seres kulturellen Erbes ansehen, müssen dann unbedingt die zerbrechlichen Originale mitgroßen Aufwand erhalten bleiben, reichen nicht Kopien auf Film oder in digitaler Form?

Leider löst Kopieren das Konservierungsproblem nicht, sondern verlagert es nur von Papierauf einen anderen Informationsträger (Film, Magnetband) [25]. Manchmal treiben wirdabei den Teufel mit dem Beelzebub aus, denn so waren die früher üblichen Gelatinefilmeweniger alterungsbeständig als Papier.

Viele Menschen setzen auf die digitale Speicherung von Schriftgut. Trotz der beein-druckenden Vorteile mahnen Erfahrungen zur Vorsicht. Ältere Magnetbänder aus Nitro-cellulose oder Celluloseacetat wurden durch Hydrolyse brüchig und jedes magnetischeMaterial verliert mit der Zeit seine Magnetisierung, wobei auch externe Störfelder (Moto-re, Fahrstühle etc.) die Daten unwiderruflich löschen können [26].

Das Hauptproblem der Speicherung digitaler Information liegt jedoch in der kurzen Lebens-dauer der Hard- und Software [27]. Ein Beispiel: 1975 wollte das amerikanische National-archiv die Daten der Volkszählung von 1960 archivieren. Für die Magnetbänder gab esnur noch zwei Lesegeräte auf der Welt (!)[28], eines davon stand bereits im SmithsonianMuseum. Tatsächlich konnten die Daten nicht vollständig gerettet werden, ganz im Ge-gensatz zur Volkszählung von 1860. Diese Daten waren auf Papier festgehalten wordenund können auch heute noch problemlos gelesen werden [29].

Auch die Software zur Kodierung der Information hat eine begrenzte Lebenszeit. PopuläreSoftware erlebt in zehn Jahren Dutzende von Upgrades, und häufig kann die aktuelle Ver-sion Daten der vorvorletzten schon nicht mehr fehlerfrei lesen. In Konsequenz müssten Archive ihren gesamten Bestand an digitalen Daten mindestens alle zehn Jahre mit alterHard- und Software auslesen und mit neuer wieder speichern. Wer soll das bezahlen? Viel-leicht wäre ein Ausdruck auf hochwertigem Papier langfristig doch sicherer und billigerer?

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bieten sich hier an, jedoch darf dies nicht dazu führen, dassdie Originale nach der Mikroverfilmung oder Digitalisierungeinfach weggeworfen werden, um drückende Platzproble-me zu lösen [23]. Originale sind unwiederbringlich undmüssen – wenn sie uns wertvoll erscheinen – erhalten wer-den. Viele Verfahren zur Entsäuerung sind ausgetüftelt wor-den, einige davon haben sich schon bewährt und garantie-ren das Überleben des Papierguts für die nächsten Jahr-hunderte. Dann werden andere über dessen Schicksal ent-scheiden.

ZusammenfassungPapier ist geduldig, aber vergänglich. In den wissenschaft-lichen Bibliotheken Deutschlands sind 200 Millionen Büchergefährdet. Ein großer Teil davon kann heute schon nicht mehrnormal benutzt werden. Um das Archivgut, d.h. unsere ganzeamtliche Geschichte, steht es genauso schlecht: allein im Bun-desarchiv warten 300 laufende Kilometer (!) Unterlagen aufeine Konservierung. Verfahren zur Konservierung sind in denletzten Jahren entwickelt worden, kommen aber für viele Ak-ten bereits zu spät. Ein Blick in die Chemie des Zerfalls undder Konservierung von altem Papier.

SummaryAfter a short introduction and review of the history of paper,the basic chemistry involved in industrial paper production isexplained with special emphasis on the role played by sizing.The chemical basis and consequences of using alum are dis-cussed. Existing deacidification methods are compared, andthe Bückeburg technique for deacidifying large amounts ofsingle-sheet documents is shown in greater detail.

DanksagungMein Dank gilt einigen Kollegen, die mir bei der Durchdringung der kom-plexen Hintergründe dieses spannenden Gebietes der Chemie mit Geduld,Rat und Tat halfen: Dr. H. Bansa, Herausgeber der Zeitschrift Restaurator undehemaliger Leiter des Instituts für Handschriften- und Buchrestaurierung inMünchen, Dr. A.-C. Brandt von der Bibliothèque National in Paris, Dr. R. Hofmann vom Bundesarchiv in Berlin und Koblenz, Dr. H. Kleifeld und Dr. W. Markiewicz von der Firma Neschen AG in Bückeburg. Der Neschen AGdanke ich für die Überlassung von Bildmaterial.

Literatur[1] A. Pingel Keuth, Chem. unserer Zeit, 22000055, 39, 402.[2] Papiertaschentücher und Küchenrollen sind ungeleimtes Papier.[3] Alaun ist das Doppelsalz aus Kalium- und Aluminiumsulfat,

KAl(SO4)2 ·12 H2O. In der Papiermacherei wurde es später durchAluminiumsulfat Al2(SO4)3 ·18 H2O ersetzt, allerdings wurdeweiterhin der traditionelle Name Alaun verwendet (Papiermacher-alaun). Siehe K. Garlickhttp://aic.stanford.edu/sg/bpg/annual/v05/bp05-11.html

[4] Knochenleim besteht hauptsächlich aus Gelatine, einem anGlutaminsäure (Seitenkette: -(CH2)2-COOH) und Lysin (Seitenkette:-(CH2)4-NH2) reichen Protein. Die Al3+- Ionen binden an derenSeitenketten und brechen dabei das dreidimensionale Netzwerk aus Wasserstoffbrücken der nativen Gelatine teilweise auf (Denatu-rierung). Dadurch verfestigt sich das Gelatine-Gel.

[5] Diese Geschäftsidee ging allerdings nach hinten los, mit denMumien wurde Cholera eingeschleppt. Rache der Pharaonen?

[6] Papier, W. Sandermann, 11999922, Springer Verlag, Heidelberg.

[7] G. Dessauer, Forum Bestandserhaltung, www.uni-muenster.de/Fo-rum-Bestandserhaltung/grundlagen/herst-dessauer2.shtml

[8] Die menschliche Dummheit war und ist der größte Feind allerKulturgüter. Die große Bibliothek von Alexandria, in der das Wissender Antike für künftige Generationen aufbewahrt wurde, wurdedurch Caesar und dann 640 n.Chr. endgültig durch Kalif Omar I.zerstört. Gelernt wurde daraus Nichts: als heidnisches Teufelswerkverbrannte Ludwig der Fromme die von seinem Vater, Karl demGroßen, gesammelten germanischen Heldensagen und die Spanierfast alle Codices der mittelamerikanischen Hochkulturen, dieDeutsche Armee zerstörte im 1. Weltkrieg die alte Bibliothek vonLeuwen in Belgien, Hitler verbrannte Bücher jüdischer und missliebi-ger Schriftsteller, die bosnisch-serbische Armee zerstörte 1993 dieBibliothek in Sarajewo usw. usw. usw.

[9] S.T. Putnan et al., Kirk-Othmer’s Encyclopedia of Chemical Techno-logy, 3rd ed., Vol. 16, S. 768

[10] Im einfachsten Fall wurde das Holz mit starker Lauge behandelt. Diephenolischen Gruppen (Ar-OH) des Lignins und die Carboxylgrup-pen (COOH) der Hemicellulose werden dabei deprotoniert (Formel-schema 1) und beide Polymere lösen sich und können von derCellulose abgetrennt werden (Natron- oder Soda-Zellstoff). WeitereVerfahren (Sulfit- , Sulfat- und das Organocell-Verfahren) zurGewinnung möglichst reiner Cellulose wurden später entwickelt.Siehe [9].

[11] „Holzfreies“ Papier enthält kein Lignin, wird aber trotzdem aus Holzhergestellt.

[12] H. Cheradame, S. Ipert und E. Rousset, Restaurator, 22000033, 24, 227.[13] R.D. Smith, Restaurator, 11998877, 8, 69.[14] H. Bansa, Bibliotheksforum Bayern 11997766, 4, 40. [15] W. Dalrymole, Libr. Congr. Inform. Bull. 11999977, 56, 148.[16] Viele der im folgenden vorgestellten Methoden sind für die

Konservierung von Büchern entwickelt worden. Im Gegensatz zuBüchern sind amtliche Schriftstücke immer ein Unikat, d.h. es gibtnur ein Exemplar auf der Welt.

[17] H. Cheradame et al, Restaurator, 22000033, 24, 227.[18] A.N. Maconnes et al. J.Mater.Chem. 11999922, 2, 1049.[19] A.D. Baynes-Cope, Restaurator, 11996699, 1, 2.[20] D.W.G. Clements, Paper Preservation Symposium 11998888, Tappi

Press, Atlanta.[21] Darstellung de Entsäuerungsproblematik aus Sicht des Deutschen

Literaturarchivs siehe einen Aufsatz von R.S. Kamzelak in www.bibliophilie.de/kamzelak.html

[22] K. Kleve, www.clir.org/pubs/reports/bellagio/bellag1.html [23] Einen spannenden Bericht über die unglaubliche Verantwortungs-

losigkeit einiger US-amerikanische Bibliotheken gegenüber ihrenwertvollsten Zeitungsbeständen gibt Der Eckenknick, N. Baker,22000055, Rowohlt Verlag, Hamburg.

[24] A.-C. Brandt, Mass Deacidification of Paper, 11999911, BibliothèqueNational, Paris.

[25] Es gibt auch eine nicht-materielle Speicherung, das Auswendig-lernen. Der Film „Fahrenheit 451“ von François Truffaut zeigt einegleichgeschaltete Gesellschaft, in der alle Bücher von der Feuerwehrverbrannt werden. Nur eine kleine Gruppe von „Büchermenschen“versteckt sich in Wäldern und versucht die Inhalte der Bücher durchAuswendiglernen zu bewahren.

[26] Aus Sicherheitsgründen werden Magnetbänder gegenwärtig allezehn Jahre umkopiert, und selbstverständlich darf nicht diemagnetische „Originalkopie“, sondern nur Kopien der „Original-kopie“ tatsächlich benutzt werden.

[27] H. Bansa, Restaurator, 11999911, 12, 226.[28] F.H. Westheimer in Durability and Change, (ed. W.E. Krumbein et

al.), Dahlem Workshop Report, 11997744, Wiley, Chichester.[29] H. Cerutti, unimagazin zürich, 11999955, 3.[30] D.P.N. Satchell et al. Chem.Rev. 11999900, 19, 55.[31] Die Acetalgruppe ist eine schwache Base, d.h. die Konzentration der

nicht-protonierten Acetalgruppen in Cellulose ist sehr groß undbleibt während der Reaktion praktisch konstant.

[32] Gmelins Handbuch der Anorganischen Chemie, 11995533, 35 b, 98 ff,Verlag Chemie, Weinheim.

Autor dieser Rubrikist Prof. Klaus Rothvon der FreienUniversität Berlin.E-Mail: [email protected]

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