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FOKUS CHINA 3/2008 M AX P LANCK F ORSCHUNG 21 A ls junge und aufstrebende Nati- on hat sich China bei den Olympischen Sommerspielen präsen- tiert. Der seit Jahren anhaltende Wirtschaftsboom und wachsende Er- folge in Wissenschaft und Technolo- gie tragen zum dynamischen Image bei. Doch Chinas Zukunft sieht auch anders aus: Mitten in der Aufholjagd zu den westlichen Industrienationen durchläuft das Land einen rasanten Alterungsprozess. „Die Zahl der Älteren wird drama- tisch zunehmen“, sagt der Demograf Zeng Yi. Im Jahr 2020 wird es mehr als eine Milliarde Menschen über 60 Jahre auf der Erde geben. Fast jeder Vierte wird ein Chinese sein, und jeder fünfte Erdenbürger über 80 Jahre wird in China leben. Bis 2050 werden vor- aussichtlich 26 Prozent der Hochbe- tagten weltweit Chinesen sein – und in China versorgt werden müssen. Zeng Yi, geboren in der chine- sischen Provinz Jiangxi, ist der Pro- totyp eines globalisierten Wissen- schaftlers. Er sieht China von draußen und drinnen altern. Als erster Chinese promovierte er 1986 in einem westli- chen Land in der Disziplin der Demo- grafie. Anschließend zog er von Brüs- sel für einen Postdoc-Aufenthalt nach Chinas Zukunft sieht alt aus China altert. In keinem anderen Land steigt die Zahl der Alten so schnell wie im Reich der Mitte. Die vielen Babyboomer kommen in die Jahre und die nachfolgenden Gene- rationen sind ausgedünnt, verschärft durch die staatliche Geburtenpolitik. ZENG YI, Distinguished Research Scholar am MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR DEMOGRAFISCHE FORSCHUNG in Rostock, untersucht, welche Verän- derungen auf das Milliar- denvolk zukommen und was ein langes, gesundes Leben in China befördert. Princeton. Heute teilt Zeng seine Zeit zwischen drei Forschungsstätten auf: Wenn er nicht gerade seinen Studien am Max-Planck-Institut für demogra- fische Forschung in Rostock nach- geht, lehrt und forscht der Professor an der Duke University in North Ca- rolina oder an der Universität Peking. „Es ist das Tempo, das den Unter- schied macht“, betont der Demograf. Was in Europa Jahrhunderte in An- spruch nahm, passiert in China gera- de mal in ein paar Jahrzehnten. 1970 hatte China noch eine Bevölkerungs- struktur, wie man sie in den westli- chen Industrieländern vor mehr als 100 Jahren fand. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wird das Reich der Mitte jedoch ein Ausmaß an Bevöl- kerungsalterung erreichen, wie es auch für die meisten entwickelten Länder zu erwarten ist. Der Anteil der Menschen über 65 Jahre kann nach Zengs Berechnungen von knapp sieben Prozent im Jahr 2000 auf knapp 17 Prozent bis 2030 und auf etwa 24 Prozent bis 2050 hoch- schnellen. Älter als die Vereinigten Staaten ist China bis 2050 allemal. DIE BABYBOOMER KOMMEN IN DIE JAHRE Zum Vergleich: In Deutschland sind heute 19,7 Prozent der Menschen 65 Jahre und älter. Angeführt wird die aktuelle UN-Liste der Länder mit dem höchsten Anteil an Älteren von Ja- pan, Italien und Deutschland – ne- ben Japan sind die Top 20 der Liste allesamt europäische Länder. China kommt unter den 192 Ländern erst auf Platz 64. Doch das Altern der chinesischen Bevölkerung hat begonnen und ist unvermeidlich. „Die Alten von mor- gen sind ja schon da“, sagt Zeng Yi und meint damit insbesondere die Babyboomer, die in den 1950er- und 1960er-Jahren geboren wurden. Sie steuern ihre 50. und 60. Geburtstage an, sodass schon bald viele Ältere wesentlich weniger Jüngeren gegen- überstehen: Das ist der programmier- te Alterungsprozess, der sich inner- halb gewisser Grenzen recht sicher vorausberechnen lässt. In der Geburtenentwicklung der Ba- byboomjahre spiegelt sich ein Stück Geschichte des Landes. 1950 lag die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau noch bei etwa sechs. Ende der 1950er-Jahre bis 1961 sank diese Zahl auf 3,3 – ausgelöst durch die wohl größte Hungersnot der Geschichte Chinas im Rahmen von Maos Politik des „Großen Sprungs nach vorn“. Zwi- BILD: SPL - AGENTUR FOCUS (VORNE) / MPI FÜR INFORMATIK - CHRISTOPH BOCK Trübe Aussichten herrschen für alte Menschen in China vor allem auf dem Land: Sie bleiben zurück, während es die ohnehin wenigen Kinder und Enkel in die Städte zieht. FOTO: CORBIS

Chinas A Zukunft sieht alt aus - mpg.deWie werden die Alten von morgen sozial abgesichert, medizinisch ver-sorgt, gepfl egt und untergebracht sein? Respekt gegenüber den Eltern,

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FOKUS CHINA

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Als junge und aufstrebende Nati-on hat sich China bei den

Olympischen Sommerspielen präsen-tiert. Der seit Jahren anhaltende Wirtschaftsboom und wachsende Er-folge in Wissenschaft und Technolo-gie tragen zum dynamischen Image bei. Doch Chinas Zukunft sieht auch anders aus: Mitten in der Aufholjagd zu den westlichen Industrienationen durchläuft das Land einen rasanten Alterungsprozess.

„Die Zahl der Älteren wird drama-tisch zunehmen“, sagt der Demograf Zeng Yi. Im Jahr 2020 wird es mehr als eine Milliarde Menschen über 60

Jahre auf der Erde geben. Fast jeder Vierte wird ein Chinese sein, und jeder fünfte Erdenbürger über 80 Jahre wird in China leben. Bis 2050 werden vor-aussichtlich 26 Prozent der Hochbe-tagten weltweit Chinesen sein – und in China versorgt werden müssen.

Zeng Yi, geboren in der chine-sischen Provinz Jiangxi, ist der Pro-totyp eines globalisierten Wissen-schaftlers. Er sieht China von draußen und drinnen altern. Als erster Chinese promovierte er 1986 in einem westli-chen Land in der Disziplin der Demo-grafi e. Anschließend zog er von Brüs-sel für einen Postdoc-Aufenthalt nach

Chinas Zukunft sieht alt aus

China altert. In keinem

an deren Land steigt die

Zahl der Alten so schnell

wie im Reich der Mitte.

Die vielen Babyboomer

kommen in die Jahre und

die nachfolgenden Gene-

rationen sind ausgedünnt,

verschärft durch die

staatliche Geburtenpolitik.

ZENG YI, Distinguished

Research Scholar am

MAX-PLANCK-INSTITUT

FÜR DEMO GRAFISCHE

FORSCHUNG in Rostock,

untersucht, welche Verän-

derungen auf das Milliar-

denvolk zukommen und

was ein langes, gesundes

Leben in China befördert.

Princeton. Heute teilt Zeng seine Zeit zwischen drei Forschungsstätten auf: Wenn er nicht gerade seinen Studien am Max-Planck-Institut für demogra-fi sche Forschung in Rostock nach-geht, lehrt und forscht der Professor an der Duke University in North Ca-rolina oder an der Universität Peking.

„Es ist das Tempo, das den Unter-schied macht“, betont der Demograf. Was in Europa Jahrhunderte in An-spruch nahm, passiert in China gera-de mal in ein paar Jahrzehnten. 1970 hatte China noch eine Bevölkerungs-struktur, wie man sie in den westli-chen Industrieländern vor mehr als

100 Jahren fand. Bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts wird das Reich der Mitte jedoch ein Ausmaß an Bevöl-kerungsalterung erreichen, wie es auch für die meisten entwickelten Länder zu erwarten ist. Der Anteil der Menschen über 65 Jahre kann nach Zengs Berechnungen von knapp sieben Prozent im Jahr 2000 auf knapp 17 Prozent bis 2030 und auf etwa 24 Prozent bis 2050 hoch-schnellen. Älter als die Vereinigten Staaten ist China bis 2050 allemal.

DIE BABYBOOMER

KOMMEN IN DIE JAHRE

Zum Vergleich: In Deutschland sind heute 19,7 Prozent der Menschen 65 Jahre und älter. Angeführt wird die aktuelle UN-Liste der Länder mit dem höchsten Anteil an Älteren von Ja-pan, Italien und Deutschland – ne-ben Japan sind die Top 20 der Liste allesamt europäische Länder. China kommt unter den 192 Ländern erst auf Platz 64.

Doch das Altern der chinesischen Bevölkerung hat begonnen und ist unvermeidlich. „Die Alten von mor-gen sind ja schon da“, sagt Zeng Yi und meint damit insbesondere die Babyboomer, die in den 1950er- und 1960er-Jahren geboren wurden. Sie steuern ihre 50. und 60. Geburtstage an, sodass schon bald viele Ältere wesentlich weniger Jüngeren gegen-überstehen: Das ist der programmier-te Alterungsprozess, der sich inner-halb gewisser Grenzen recht sicher vorausberechnen lässt.

In der Geburtenentwicklung der Ba-byboomjahre spiegelt sich ein Stück Geschichte des Landes. 1950 lag die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau noch bei etwa sechs. Ende der 1950er-Jahre bis 1961 sank diese Zahl auf 3,3 – ausgelöst durch die wohl größte Hungersnot der Geschichte Chinas im Rahmen von Maos Politik des „Großen Sprungs nach vorn“. Zwi-

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schen 1961 und 1963 schoss die Ge-burtenrate dann wieder auf einen Höchststand von 7,5 und hielt sich bis in die zweite Hälfte der 1960er-Jahre auf hohem Niveau von etwa sechs.

Es sind insbesondere diese starken Jahrgänge, die bald die vielen Alten stellen werden. Der Babyboom Chi-nas fällt etwa in dieselbe Zeit des Ba-bybooms in Deutschland – mit dem Unterschied, dass der Höhepunkt des Geburtenhochs in Deutschland bei nur 2,5 Kindern pro Frau lag.

MEHR ALTE ALS IN JEDEM ANDEREN LAND

Auf die Babyboomjahre folgte in Chi-na das, was den nahenden Alterungs-schub antreibt: Die Geburtenrate brach dramatisch ein. Und das auch staatlich geplant. Denn die Geburtenpolitik be-schleunigte das kontinuierliche Absin-ken der Geburtenrate zwischen 1968 und 1980. Seit 1980 ist den meisten Paaren nur ein Kind erlaubt – verein-

zukünftig nur noch langsam von heute 71,4 auf 78,1 Jahre im Jahr 2050 zu, so wie es die konservative Prognose der UN annimmt, ist mit 114 Millionen hochbetagten Chine-sen zu rechnen. Zeng hält es jedoch für wahrscheinlich, dass die Lebens-erwartung deutlich schneller an-steigt; der wirtschaftliche Auf-schwung Chinas, der mit besserer medizinischer Versorgung, mehr Bil-dung und verbesserten Wohnbedin-gungen einhergeht, sowie die Wir-kung des ostasiatischen Lebensstils und Essens könnten sich auf das lan-ge, aktive Leben positiv auswirken.

Und so geht das optimistischste Szenario für 2050 von 84,5 Jahren Lebenserwartung aus, was knapp über den aktuellen Werten des Spitzenrei-ters Japan läge. Dieser in Zengs Au-gen realistischere Anstieg der Lebens-erwartung um 13 Jahre würde die Zahl der Hochbetagten auf 148 Milli-onen klettern lassen. Das sind so viel

facht ist dies als „Ein-Kind-Politik“ bekannt. Die weiterhin niedrigen Ge-burtenraten in den 1980er- und 1990er-Jahren werden so auch mit dieser Politik in Verbindung gebracht. Heute liegt die durchschnittliche Zahl der Kinder pro Frau bei 1,7.

Das Geburtenhoch der 1960er-Jah-re, der anschließende Absturz der Ge-burtenrate und verbesserte Überlebens-chancen im hohen Alter: All das wird den Anteil der Hochbetagten über 80 Jahre in die Höhe treiben – besonders von 2040 an, wenn die Babyboomer in diese Altersgruppe vorrücken. Die absoluten Zahlen lassen aufhorchen: Zeng schätzt, dass es im Jahr 2050 – je nachdem, wie sich die Lebenserwar-tung entwickelt – bis zu 148 Millionen alte Menschen geben wird.

1950 wurden die Chinesinnen und Chinesen im Schnitt 41 Jahre alt. Seither ist die Lebenserwartung aber um bemerkenswerte 30 Jahre ange-stiegen. Nimmt die Lebenserwartung

ist auch deshalb der perfekte Ort für die Studie, weil sich mehr Alte in keinem anderen Land fi nden lassen. Zehn Jahre Forschung haben Ergeb-nisse hervorgebracht, die einerseits besondere Einblicke über das Leben im Alter in China geben, andererseits aber auch viele allgemeine Erkennt-

dizinischer Versorgung und Bildung hatten und denen, die darauf verzich-ten mussten. Schon ein einziges Jahr der Schulbildung, was als Indikator für die sozioökonomischen Bedin-gungen eines Kindes im alten China gewertet werden kann, erhöht dra-matisch die Chancen auf ein hohes Alter – und das in Gesundheit.

Zum anderen zeigen sich Unter-schiede zwischen Frauen und Män-nern. Frauen leben – wie fast überall – auch in China länger als Männer. Doch diese bleiben dabei länger ge-sund. Das Phänomen ist nicht auf China beschränkt und in der Fachwelt als Male-Female-Paradox bekannt.

FRAUEN GEHT ES SCHLECHTER ALS MÄNNERN

Im spezifi schen Fall China tritt aller-dings deutlich zutage, wie die lebens-lange Benachteiligung von Frauen dieses Phänomen verschärft. Denn Frauen sind wesentlich häufi ger An-alphabeten. Sie sind wesentlich häu-fi ger Zeit ihres Lebens ökonomisch abhängig. Sie können sich sehr viel weniger auf eine Altersversorgung stützen, leben häufi ger bei ihren Kin-dern und müssen, da auch häufi ger verwitwet, von ihnen fi nanziell un-terstützt und gepfl egt werden. Über-haupt sind sie häufi ger in den letzten Lebensjahren auf Pfl ege angewiesen.

Alte Frauen schneiden bei der Be-wältigung der Aktivitäten des täg-lichen Lebens sowie bei allgemeinen körperlichen und kognitiven Leistun-

wie Frankreich und Deutschland heu-te zusammen an Einwohnern haben.

Dass es so viele Steinalte in China gibt und geben wird, motiviert Zeng genauer hinzuschauen. Der Demograf fragt sich: „Wie werden Menschen heute in China alt und wie werden sie gesund alt?“ Je besser man versteht, was ein gesundes, langes Leben be-stimmt, desto besser ist das Funda-ment, auf dem man Strategien ent-wickeln kann, um den negativen Wirkungen des beschleunigten Alte-rungsprozesses entgegenzuwirken.

Vor zehn Jahren rief Zeng mit Kol-legen eine einzigartige, groß angelegte Langzeitstudie zur gesunden Langle-bigkeit in China als Kooperationspro-jekt der Universität Peking und der Duke University unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für demogra-fi sche Forschung ins Leben. Das Au-genmerk der Studie liegt darauf, die Determinanten eines langen, gesun-den Lebens aufzuspüren. Die Wissen-

Jung, aufstrebend, dynamisch und weltoffen: So präsentierte sich China bei den Olympischen Sommerspielen in Peking mit perfekter Choreografi e bei der Eröffnungsfeier der ganzen Welt.

Doch der Alltag sieht anders aus: Senioren in einer Wohn -gemeinschaft der Provinz Jiangsu essen gemeinsam zu Mittag.

schaftler um Zeng wollen erkunden, wie stark Verhalten, Familienleben, Gesellschaft, Umwelt und Biologie ein langes Leben beeinfl ussen.

Derartige Studien scheiterten bis-her an den geringen Zahlen der Hochbetagten – aussagekräftige Ana-lysen waren so nicht möglich. China

nisse über Langlebigkeit offenlegen.„Die Langlebigkeit ist nicht allein

der Punkt“, erklärt Zeng, „noch wich-tiger ist es, etwas über die Gesundheit der alten Menschen herauszufi nden“. Denn hier zeigen sich Unterschiede. Zum einen zwischen den Menschen, die in ihrer Kindheit Zugang zu me-

Stark gesunken ist die Geburtenrate in China seit 1970. Zehn Jahre zuvor war sie eingebrochen, weil eine forcierte Industriepolitik die Landwirtschaft ruinierte und eine Hungersnot auslöste.

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gen deutlich schlechter ab als Männer. Es ist schwierig zu sagen, ob dafür das Gefälle in Bildung, sozioökono-mischem Status und fi nanzieller Un-abhängigkeit ausschlaggebend ist oder die Tendenz, dass ältere Frauen im Al-ter weniger geistig und körperlich ak-tiv sind und an sozialen Aktivitäten teilnehmen als Männer.

SCHWIEGERTOCHTER IN DER PFLICHT

Es drängt sich die Frage auf, ob China auf den unausweichlichen Wandel der Bevölkerungsstruktur vorbereitet ist. Wie werden die Alten von morgen sozial abgesichert, medizinisch ver-sorgt, gepfl egt und untergebracht sein? Respekt gegenüber den Eltern, das xiao, erklärt Zeng Yi, sei seit Tau-senden von Jahren ein Eckpfeiler der chinesischen Gesellschaft und ver-pfl ichtet die Kinder, für ihre alten El-tern zu sorgen. Doch wie können die schwächer besetzten nachfolgenden Generationen diese Aufgabe bewälti-

gen, zumal die wirtschaftliche Ent-wicklung im modernen China ihnen Mobilität abverlangt?

Die Ein-Kind-Politik hat dazu ge-führt, dass sich ein junges Paar im Ex-tremfall um vier ältere Elternteile küm-mern muss, gegebenenfalls auch um die Großeltern. Das ist in China gar nicht so unüblich – und einzigartig in einem weniger entwickelten Land. Das Phänomen ist als 4-2-1-Dilemma in die Debatte eingegangen. Die Ge-

schwindigkeit des Geburteneinbruchs hat China wenig Zeit gegeben, das starke traditionelle Altersversorgungs-system durch geeignete nicht-famili-enbasierte Systeme zu ergänzen.

Immerhin ist das Problem in China grundsätzlich erkannt. Das von der chinesischen Zentralregierung vorge-legte Weißbuch The Development of China’s Undertakings for the Aged zeigt die demografi sche Entwicklung Chinas auf und beschreibt Maßnah-

men zur Alterssicherung – betont aber auch die Eigenverantwortung der Bevölkerung, vor allem auf dem Land. Doch ausgerechnet die Landbe-völkerung wäre auf staatlichen Bei-stand angewiesen.

Denn das Problem der Alterung trifft den ländlichen Raum besonders hart. „Die jungen Menschen gehen in die Städte. Und sie werden das weiter tun“, sagt Zeng. Die Alten bleiben zurück. Mag die Geburtenrate auf dem Land auch höher sein als in der Stadt, wo die Ein-Kind-Politik noch restriktiver gehandhabt wird – wenn die Kinder en masse den ländlichen Raum verlassen, hebt das dort den Altersschnitt.

Setzt sich der Trend fort, so wird der Anteil der über 65-Jährigen auf dem Land bis zur Jahrhundertmitte über 33 Prozent klettern – für die Städte wird ein Anteil von weniger als 22 Prozent prognostiziert. Doch gerade für die alternde Landbevölke-rung sieht das Regierungsweißbuch eine uneingeschränkt starke Rolle der traditionellen Altersversorgung durch

die Familie vor – der Aufbau eines Rentensystems soll sich eher an die Bewohner der Städte richten.

Diese Strategie ist für Zeng erstaun-lich: „Es ist langfristig der falsche An-satz.“ Zu viele junge Familienmit-glieder sind entweder nicht geboren oder weggezogen. Und die Urbanisie-rung schreitet voran. Zeng Yi nimmt bei seinen Vorausberechnungen an, dass der Anteil der Stadtbevölkerung ausgehend von 36 Prozent im Jahr 2000 auf 55 Prozent 2020 und 75 Prozent bis 2050 wachsen wird. Be-sonders auf dem Land entstehen mehr und mehr „leere Nester“, wie man in China die Haushalte von Alten ohne ihre Kinder bezeichnet.

Zwar wurde Anfang der 1990er-Jahre ein von der Provinz Shang-dong angeregtes Alterssicherungs-system eingerichtet, doch weil dem wirtschaftlichen Aufschwung die ganze Aufmerksamkeit gilt, ist es knapp zehn Jahre später wieder zu-rückgefahren worden. Und auch das Krankenversicherungssystem ist auf dem Land schlecht ausgebildet. So warnt Zeng Yi vor dem Phänomen der „Dörfer der Alten“ und vor Al-tersarmut auf dem Land.

Problematisch wäre die Beschrän-kung der staatlichen Initiative auf die Städte auch, weil die Versorgung der Alten in der Familie traditionell be-deutet: Versorgung durch die Schwie-gertöchter. Dass Söhne bevorzugt werden, die den Eltern im Alter fi -nanziell und mit ihrer Ehefrau auch

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Anzahl der Personen in Altersgruppe in 1000

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in der Pfl ege eine bessere Stütze sind als Töchter, hat über selektive Abtrei-bungen und eine erhöhte Kinder-sterblichkeit bei Mädchen bereits zu einem verschobenen Geschlechter-verhältnis geführt – auf 100 gebore-ne Mädchen kommen seit den 1980er-Jahren 107 bis 120 Jungen. Doch so muss sich der Bauer ohne Renteneinkommen auch zukünftig fragen: „Wenn ich nicht genug Söh-ne habe, wie kann mich dann meine Familie im Alter stützen?“

MANGEL

AN EHEFRAUEN

Ferner würde sich der gefährliche Trend des Geschlechterungleichge-wichts fortsetzen. Gab es in der Ver-gangenheit üblicherweise mehrere Söhne, die mit ihren Frauen und Schwestern für die Versorgung der El-tern zur Verfügung standen, so wird die Situation in den kommenden 40 Jahren eine ganz andere sein: Es wird viel mehr zu versorgende Ältere geben – Eltern, Onkel und Tanten. Versorgen werden sie vielfach Söhne, vielleicht die einzigen Söhne, vielleicht ohne Ehefrauen, an denen Mangel herrscht.

Noch ist China demografi sch nicht sehr alt, noch ist das Heer der Er-werbsfähigen groß und die zu ver-sorgenden Alten fallen zahlenmäßig noch nicht zur Last. Dieses „goldene Alter“, wie Zeng es nennt, wird je-doch nicht mehr lange währen. Nur zwei Jahrzehnte, und es wird zu spät sein, die sozialen und ökonomischen

Probleme anzugehen, die durch die Bevölkerungsalterung hervorgerufen werden. Bis 2030 schließt sich das Fenster der Möglichkeiten.

Denn die Alten von morgen sind schon geboren. Auch ein Lockern der Ein-Kind-Politik könnte das Altern der Bevölkerung höchstens mildern. Mehr Geburten sind kein Allheilmittel, hät-ten aber doch eine gewisse Wirkung. Denn je niedriger die Geburtenrate, desto stärker altert das Land. Zeng: „Das Verhältnis zwischen den zu ver-sorgenden Älteren über 65 Jahre und den Menschen im mittleren, produk-tiven Alter könnte sich verbessern.“

Doch noch wächst die Bevölkerung der heute 1,32 Milliarden Chinesen weiter, ein Prozess, den Regierungs-verantwortliche in China bislang als vordringliches Problem angesehen haben. Erst nach dem Erreichen der prognostizierten Höchstmarke von 1,45 Milliarden im Jahr 2030 wird die Bevölkerung langsam zu schrumpfen beginnen. So wird weiter an der stren-gen Geburtenkontrolle festgehalten – zunächst. Die letzten Babyboomer kommen langsam in das Alter, in dem sie selbst keine Kinder mehr kriegen.

Viele Demografen, auch Zeng Yi, denken darum, dass es an der Zeit ist, sanft zu einer Zwei-Kind-Politik überzugehen. Viele in dichter Folge geborene Babys würden allerdings einen neuen Boom entfachen. Sanfter Übergang hieße eher: zwei Kinder, aber in großem Abstand.

KRISTÍN VON KISTOWSKI

Wie eine klassische Pyramide stellte sich noch vor rund 40 Jahren die Alterstruktur Chinas dar: Viele junge Menschen standen wenigen Alten gegenüber. Doch im Jahr 2050 wird es mindestens genauso viele alte Menschen geben wie junge; die größte Bevölkerungsgruppe ist die der 60- bis 64-Jährigen.

Während in den Städten die Ein-Kind-Politik eher streng eingehalten wird, igno -rieren Paare in ländlichen Gegenden die Anweisung oder zahlen freiwillig Strafen.

Vater, Mutter, Kind: So sah vor rund zehn Jahren die ideale Familie in China zumindest auf Plakatwänden aus. Sie fordern die Menschen auf, den Bevöl-

kerungszuwachs zu kontrollieren und die „Bevölkerungsqualität“ zu verbessern.

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