Chinas Kommunistische Partei vor Xi Jinpings zweiter ... · PDF fileInsofern sind drama- ... Wie Alice Miller von der Hoover Institution gezeigt hat, wurde Xi nach März deutlich seltener

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  • Paul Joscha Kohlenberg ist Wissenschaftler im DFG-Projekt Which region? der Forschungsgruppe Asien SWP-Aktuell 3 Januar 2017

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    Stiftung Wissenschaft und

    Politik

    Deutsches Institut fr Internationale

    Politik und Sicherheit

    Einleitung

    Chinas Kommunistische Partei vor Xi Jinpings zweiter Amtsperiode als Vorsitzender Im Spannungsfeld individueller Machtkonsolidierung und kollektiver Parteitraditionen Paul Joscha Kohlenberg

    Im Herbst 2017 wird die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ihren 19. Parteitag abhalten und einen Groteil der mter in der Parteifhrung neu besetzen. Die vorausgehende ber-gangsphase wurde durch offizielle Parteidokumente eingeleitet, die eine Rckbesinnung auf das Ethos des epochemachenden Parteifhrers betonen, der als Kern des Zentral-komitees (ZK) bezeichnet wird. Xi Jinping chinesischer Staatsprsident, Generalsekretr der KPCh, Vorsitzender der Zentralen Militrkommission und einer gewachsenen Zahl anderer Parteigremien erscheint somit vor Ende seines ersten Fnfjahresturnus deut-lich mchtiger, als es seinem Vorgnger an der Parteispitze, Hu Jintao, jemals mglich war.

    Auf den ersten Blick besttigen sich damit Spekulationen einiger Beobachter, die eine stetige Zentralisierung politischer Kompetenzen im Portfolio des Parteichefs so-wie medial inszenierten Gehorsam der KP-Mitglieder als Indizien fr Xis Absicht inter-pretieren, sich von etablierten Parteikonventionen, wie kollektiver Entscheidungs-findung innerhalb der Parteispitze, abzuwenden und die Macht langfristig zu perso-nalisieren. Weil das Prinzip der kollektiven Fhrung seit Ende der Mao-ra politische Stabilitt gewhrleistet hat, ist es wichtig, dieses Szenario ernst zu nehmen. Allerdings sollte die Widerstandskraft der kollektiven Parteiprozesse nicht unterschtzt werden. Ein offener Bruch mit Parteitraditionen drfte nicht in Xis Interesse sein.

    Mitte November 2016 haben die Vorberei-tungen fr den 19. Parteitag der KPCh offi-ziell begonnen. Sollten Enthllungen aus-bleiben, werden externe Beobachter vor Herbst 2017 allerdings kaum erfahren, wel-che inhaltlichen und personellen Entschei-dungen vorgesehen sind. Xi Jinping kann die Zukunft der Partei dabei jedenfalls nicht nach Gusto gestalten auch wenn die Berichterstattung in China und im Ausland

    teilweise diesen Eindruck vermitteln. Der medial inszenierte Gehorsam der Kader sollte nicht darber hinwegtuschen, dass sich ein groer Teil der aktuellen Partei-elite weitestgehend unabhngig von Xi ber Jahrzehnte hochgedient hat und wei-terhin eigene Interessen vertritt. Das leni-nistische System der KPCh gibt Xi Jinping zwar scharfe politische Waffen an die Hand, mit denen er Kontrahenten (etwa durch

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    Korruptionsermittlungen) ausschalten kann. Ungeachtet dessen aber ist die groe, diffuse Gruppe amtierender und ehemali-ger Parteifhrer in der Lage, ber inner-parteiliche Netzwerke Diskurs und Abstim-mungsverhalten im ZK zu beeinflussen und somit auch Einfluss auf die wichtigen Entscheidungen ber das Personal des nchsten Politbros zu nehmen.

    Theoretisch ist denkbar, dass Xis Lager versuchen knnte, abweichende Stimmen zu ignorieren. Allerdings begrnden (neben substantiellen Faktoren wie Stabilitt und Wirtschaftswachstum) auch Kontinuitt und verantwortungsvoller Umgang mit dem historischen Erbe der Partei die Legitimitt des Generalsekretrs. Insofern sind drama-tische nderungen etablierter Prozeduren weniger wahrscheinlich als gradueller Wandel. Xis Antikorruptionskampagne hat ber die letzten Jahre in weiten Teilen der Partei existenzielle ngste hervorgerufen. Darum ist schwer vorstellbar, dass er einen offenen Bruch mit der Parteiorthodoxie (die er bislang vom Rest der Partei eingefordert hat) riskieren knnte. Denn ungeachtet aller harten Druckmittel ist Xi von lokaler Poli-tikimplementierung abhngig, um seine ehrgeizigen innenpolitischen Plne zu ver-wirklichen. Missachtung parteiinterner Interessengruppen knnte dazu fhren, dass seine Initiativen in einer demotivier-ten Brokratie ausgebremst werden.

    Der Parteitag als Kristallisations-punkt informeller Institutionen Im Kontext des seit Ende der Mao-ra regel-mig (etwa alle fnf Jahre) einberufenen Parteitags manifestieren sich verschiedene informelle Prozesse und Vereinbarungen beispielsweise hinsichtlich des alters-bedingten Abgangs von Fhrungskadern. Im Herbst sind wohl mit Ausnahme von Xi Jinping und Premier Li Keqiang alle weiteren Sitze im Stndigen Ausschuss des Politbros neu zu besetzen. Diese Vernde-rungen sind langfristig kalkulierbar und werden zum Bestandteil eines groen infor-mellen Verhandlungspakets, auf das sich

    die Parteieliten vor dem kommenden Par-teitag einigen mssen. Zwar gibt es Anhalts-punkte dafr, dass Xi versuchen knnte, die Vereinbarung ber das Pensionsalter so abzundern, dass er engste Vertraute (ins-besondere den Anti-Korruptionszar Wang Qishan) im Politbro zu halten vermag. Dies verlangt aber wohl Zugestndnisse an anderer Stelle.

    Im Vorfeld des Parteitags geht es wesent-lich auch um inhaltliche Fragen der Politik-ausrichtung. Im Parteitagsreport sind fr die nchsten fnf Jahre die autoritativen Leitlinien fr alle Politikbereiche festzu-legen. Der Report wird bis zum Herbst in Hunderten vorbereitenden Sitzungen von verschiedensten Akteuren vorformuliert; er ist insofern ein hochgradig institutionali-siertes Konsensprodukt. Die Vertretung von Partikularinteressen ist Teil der Verhand-lungen. Die ausfhrliche Vorbereitung des Reports in spezialisierten Themengruppen ermglicht jedoch Politikanstze, die eine effiziente Umsetzung (teilweise bereits beste-hender Reformplne) vereinfachen. Beispiels-weise mssen parteiinterne Differenzen ber die Priorisierung mittelfristiger Wachs-tumsziele gegenber langfristigen Reformen der Staatsunternehmen beigelegt werden.

    Wie der Volkswirt Barry Naughton auf-gezeigt hat, wurde die wirtschaftspolitische Entscheidungskompetenz Premier Li Keqiangs in letzter Zeit graduell von Fh-rungskleingruppen der Partei (in Xis direk-tem Einflussbereich) berlagert; daraus resultierten widersprchliche Anweisungen und Ineffizienzen. Dabei ist wohl ein wich-tiger Faktor, dass Xi im Jahr 2021 (zum 100. Geburtstag der KPCh) die Erfllung des Jahrhundert-Ziels einer Verdopplung des Bruttoinlandsprodukts gegenber dem Wert von 2010 verknden mchte. Fr Pre-mier Li ein Schtzling Hu Jintaos ist Xis Ernennung zum Kern des ZK daher wohl besonders nachteilig. Sein Mentor wurde, als nunmehr einziger lnger amtierender Parteichef ohne Kern-Status, implizit ab-gewertet.

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    Gradueller Machtausbau Vor dem Parteikongress ist die Semiotik des neuen Kern-Status fr Xi Jinping aus min-destens zwei Grnden dienlich. Erstens wird eine ffentliche Erwartungshaltung erzeugt, die es Xi ermglicht, seine Ziele und Wunschkandidaten fr die Nachfolge jener Genossen in Politbro und ZK offensiv zu prsentieren, die in den Ruhestand gehen. Kompromisse kann er als Geste der ausgestreckten Hand prsentieren und gleichwohl den Anspruch geltend machen, dass befrderte Spitzenkader ihren Karriere-sprung ihm persnlich zu verdanken haben. Zweitens kann Xi auf diese Weise insbeson-dere den unteren Verwaltungsebenen sig-nalisieren, dass seine Anweisungen von der Partei als Ganzer getragen werden mssen und kein Raum zum Lavieren vorhanden ist.

    Dabei ist seine Aufwertung zum Kern keine Zsur, denn Xi wurde seit Amtsantritt wiederum in direktem Kontrast zu Hu Jintao als starker, umfassend agierender Fhrer in Szene gesetzt. Die Parteieliten hatten dies von Anfang an so gewollt. Xis robustes Fhrungsmandat war mit dem Wunsch verknpft, verloren geglaubte Effi-zienz und Durchschlagskraft der KP zurck-zuerlangen. Ein Fhrerkult war allerdings nicht vorgesehen. Xi konnte seine starke Ausgangsposition umgehend nutzen, um seine treuesten Gefolgsleute an den Schalt-stellen der Partei zu platzieren, zum Bei-spiel der Personalverwaltung. Fr aufstre-bende Karrieristen in der Partei wurde es insofern immer plausibler, in ffentlich wirksamen Handlungen ihren Gehorsam gegenber Xi zur Schau zu stellen.

    Das Selbstverstndnis der modernen KPCh beruht zu einem wesentlichen Teil auf einer Abgrenzung von der persnlichen Macht, wie sie Mao ausgebt hatte ins-besondere in der Kulturrevolution. Bislang war unter anderem eine im Jahr 1980 ver-fasste Vorschrift ber Prinzipien des Partei-lebens beispielhaft fr die Besinnung auf hervorragende Traditionen wie den demo-kratischen Zentralismus oder die kollektive Fhrung durch die oberste Parteispitze. Fr die mehr als 80 Millionen Parteimitglieder

    drckt sich der demokratische Zentralis-mus allerdings weniger darin aus, dass sie aus ihrer Mitte in den kommenden Mona-ten etwas mehr als 2000 Abgeordnete wh-len werden im Herbst haben diese per Ab-stimmung auch einen gewissen Einfluss auf die Auswahl der Kandidaten fr das 19. ZK, die von der Parteispitze vornominiert wer-den. Stattdessen geht es nach ihrem Ver-stndnis bei diesem Prinzip vorrangig dar-um, dass die Beschlsse von oben ohne Ab-striche umgesetzt werden. Als Faktor, der die Parteistruktur legitimieren soll, hat der demokratische Zentralismus zudem eine ideelle Bedeutung. Denn innerhalb der Par-tei soll phasenweise das Recht auf breite Mitsprache und Kritik gelten. (Mit wenigen Ausnahmen ist dieses Ideal in der Praxis nur in geringem Mae wirksam.)

    Fr die Partei wird eine gewisse Form der Koexistenz von Hierarchie (offizieller Rang) und Gleichheit (als Parteigenosse) postuliert, die das parteiinterne Demokratieverstnd-nis entscheidend prgt. Aus diesem Grunde wird jedwede rhetorische Abkehr vom Prin-zip der Gleichheit zwischen Genossen der Partei sehr sensibel wahrgenommen.

    Im Rahmen des letzten ZK-Plenums wurde die Vorschrift ber Prinzipien des Parteilebens von 1980 berarbeitet und