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2016/ Nr. 2 CLASS :aktuell Association of Classical Independents in Germany George Enescu – Die rumänische Seele Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara Ein Leben für die Neue Musik Steffen Schleiermacher Constantin Trinks Hans Rott – Begründer der „Neuen Symphonie“ Masaaki Suzuki – Bach Collegium Japan Bachs Kantaten auf SACD

CLASS :aktuell - cybele.de · Der Violinist Carl Flesch bezeichnete sie als „eines der bedeutendsten Werke der gesamten zeitgenössischen Sonatenliteratur, das ganz zu

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CLASS: aktuellA s s o c i a t i o n o f C l a s s i c a l I n d e p e n d e n t s i n G e r m a n y

George Enescu – Die rumänische SeeleStefan Tarara und Lora Vakova-Tarara

Ein Leben für die Neue Musik

Steffen Schleiermacher

Constantin TrinksHans Rott – Begründer der „Neuen Symphonie“

Masaaki Suzuki – Bach Collegium Japan Bachs Kantaten auf SACD

W.A. MozArt Klavierkonzert in C-Dur KV 467Felix MenDelssohnKlavierkonzert d-Moll op. 40 Danae DörkenRoyal Northern Sinfonia, Lars VogtARS Produktion ARS 38 210 (Hybrid-SACD)

robert sChuMAnnJörg WiDMAnnzirkustänzeLuisa Imorde, KlavierARS Produktion ARS 38 213 (Hybrid-SACD)

CArl FrieDriCh Abel –leDenburg Viola da gamba sonatas & trios Thomas Fritzsch, Viola da Gambe Michael Schönheit, Pianoforte Eva Salonen, Violine Katharina Holzhey, VioloncelloCoviello CLASSICS COV91608

rADu PAlADi streichquartett nr. 1 in c-Moll zDeneK FibiCh streichquartett nr. 2, op. 8Martfeld QuartettCoviello CLASSICS COV91607(Hybrid-SACD)

riChArD strAuss eine Alpensinfonie, op. 64Göteborgs Symfoniker, Kent NaganoFARAO CLASSICS CD – B 108091 (ab 1.6. im Handel)LP – V 107302 (ab 1.7. im Handel)

tiMe in MotionArrangements für saxophonquartettA. DVoráK, F. léVy, g. lAgo, r. hoFFMAnn, M. De FAllA, g. APerghis Fukio EnsembleARS Produktion ARS 38 211 (Hybrid-SACD)

CArl nielsenKonzert für Violine und orchester op. 33Kolja BlacherDuisbuger PhilharmonikerGiordano BellincampiACOuSenCe CLASSICS ACO-CD 22115

george enesCuimpressions d’enfance op. 28Antonín DVoráKromantische stücke op. 75, nr. 1-4robert sChuMAnnsonate für Violine und Klavier nr. 2Caroline Goulding, ViolineDanae Dörken, KlavierARS Produktion ARS 38 536

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yoJo, 19, PiAnoluDWig VAn beethoVenKlaviersonate op. 57 „Appassionata“FreDeriC ChoPinKlaviersonate nr. 2yoJo Christenirini & ralleyYojo ChristenTYXart TXA16074

igor loboDAKonzert für Violine und Kammerorchester op. 126JiMsher AsKAnelierinnerung, sentiments,Concertino für Klavier und Kammerorchester, Mkhedruli FrAnz huMMel24 tanzetüden über einem stolperbassEnsemble del ArteThe Bavarian GeorgiansTYXart TXA16080

liszt unD seine zeit geistliche Werke der romantikg. rossini, g. VerDi, P. Cornelius, h. berlioz Renner Ensemble RegensburgHans PritschetARS Produktion ARS 38 202 (Hybrid-SACD)

FrAnz sChubertstreichquartett D112 & D353DAniel sChnyDerstreichquartett nr. 4 Belenus QuartettACOuSenCe CLASSICS ACO-CD 12 716

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Class: aktuell 2 / 2016 Inhalt

4 Ein Blick in George Enescus rumänische Seele stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara

6 Russische Oboenkonzerte von Maria sournatcheva und dem göttinger symphonie Orchesters

7 Daheim in Mozarts Clavierland Wien Pianist Haiou Zhang

8 Freischützromantischer Zauber von Paul Meyer und dem OCL

9 Starke Frauen – Cornelia Lanz mit Lied- werken von schubert, Rossini und Verdi

10 Die Klassik-Hochburg Schottland präsentiert von Linn

11 Goldbergvariationen nach Rheinberger vom Aulos Quartett

12 Musik von der Insel Dogma Chamber Orchestra

13 Unbekannte Opern von Debussy vorgestellt vom göttinger symphonie Orchester

14 Debut mit Strawinsky Joshua Weilerstein und das Orchestre de Chambre de Lausanne

16 Bach, Händel und Vivaldi Dorothea seel und die barocksolisten München

17 Mendelssohn Bartholdys Walpurgisnacht Musikkollegium Winterthur

18 Haydn, Mozart, C.P.E. Bach von stephan Frucht und Valentin Radutiu

19 Hindemiths Bratschensonaten Christian euler und Paul Rivinius

20 An ihm kommt man nicht vorbei! steffen schleiermacher

26 Fréderic Kummer und François Schubert Friedemann eichhorn und Alexander Hülshoff

27 Hans Rott Constantin Trinks stellt vor

28 Bach Kantaten in höchster Klangqualität Masaaki suzuki & bach Collegium Japan

29 Im Blickpunkt Neuheiten vorgestellt von CLAss

31 Zum 80. Geburtstag Dieter Klöcker Volume 2

ImpressumHerausgeber/Verlag:CLASS e.V.Association of Classical Independents in GermanyBachstraße 35, 32756 DetmoldTel. [email protected]

Redakteur (v.i.S.d.P): Dr. Rainer KahleyssAnzeigen: Gabriele NiederreiterGrafische Gestaltung: Ottilie Gaigl Druck: Westermann Druck, Braunschweig

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Druckauflage: 130.5001. Quartal 2016ISSN: 2195-0172

Titel-Foto: Nikolaj Lund

Alle Tonträger dieser Ausgabe finden Sie auch unter www.bielekat.de

geprüfte Auflage

CLASS : aktuell

Eines meiner Lieblingsinstrumente ist – Sie werden lachen – die Maultrommel. Das ist dieses kleine Teil aus Metall oder Bambus, das man sich zwischen die Zähne steckt und das dann so seltsam schwirrende Töne macht, zum Beispiel das „Boing, boing!“ in Zeichentrickfilmen. Im Grunde kann man auf so einem „Brummeisen“ aber immer nur ein und denselben Ton hervorbringen – deshalb haben manche Menschen gelernt, verschieden gestimmte Maultrommeln in schnellem Wechsel zu spielen. Dieses Dreiklangs-Maultrommeln zählt in Österreich seit 2012 zum „immateriellen Kulturerbe“.

ZauberklängeWussten Sie, dass schon Beethovens Lehrer Johann Georg Albrechtsberger richtige Konzerte für die Maultrommel komponiert hat? Ums Jahr 1800 fertigte man allein in dem Ort Riva am Gardasee 2500 dieser Instrumente an – täglich! 1816 entwickelte ein Krefelder Fabrikant sogar eine Halterung, um mit 20 Maultrommeln gleichzeitig chromatisch spielen zu können. Ein paar Jahre später machte der Maultrommel-Virtuose Karl Eulenstein von sich reden, der vor der schwedischen Königin und dem britischen König auftrat und auch von Rossini bewundert wurde. Allerdings währte seine Karriere nicht lange: Schon mit 30 Jahren hatte sich Eulenstein durch stetiges Maulgetrommel die Zähne ruiniert. Er stieg auf Gitarre um.

Das Beste an der Maultrommel ist natürlich ihr Ton – die Romantiker, etwa Schubart und Jean Paul, liebten ihn innig. Sogar das „Morgenblatt für gebildete Stände“ schwärmte 1809 von „Ausströmungen eines reinen Gefühls in Tönen besserer Welten“, denen man am besten „bey Nacht, bey ausgelöschten Lichtern“ lauschen sollte. Weil dieser Ton so traumhaft tönt und ins Transzendentale schwingt, schadet es auch gar nicht, dass er nur im Obertonbereich ein wenig variiert werden kann. Gerade seine ständige Wiederholung erzeugt nämlich den eigentlichen Effekt des Maultrommelspiels – eine Art Bordun-Magie, eine Trance-Wirkung. In Zentralasien, wo die Maultrommel herstammt, gilt sie seit Jahrtausenden als Schamanen- Instrument. Ihr Zauber ruft die Geister herbei und vermag Kranke zu heilen.

Auch der schwäbische Arzt und Dichter Justinus Kerner (1786 -1862) setzte die spirituelle Wirkung der Maultrommel therapeutisch ein, nachdem er sie erst an einer Reihe von Haustieren erprobt hatte. Kerner gelang es, Insassen eines Irrenhauses in Ludwigsburg mit dem Maultrommelspiel zu fesseln und zu beruhigen. Seine bekannteste Privatpatientin, Friederike Hauffe, konnte der „Geisterdoktor“ damit sogar in Trance versetzen. Mark Twains Romanfigur Huckleberry Finn kannte ebenfalls den übernatürlichen Effekt der Maultrommel: „Wenn du zwei Minuten lang gespielt hast, siehst du, wie all die Ratten und Schlangen und Spinnen und so anfangen, sich um dich Sorgen zu machen, und herauskommen. Und sie krabbeln ziemlich auf dir herum und haben eine prächtig schöne Zeit.“

Sehen Sie mal nach bei YouTube: Die Schamanen-Magie der Maultrommel war nie aktueller als heute! Sie finden da Tausende von Maultrommel-Filmchen – mit Obertongesang, mit Didgeridoo, mit Trance-Flow, mit menschlicher Beatbox, mit Alphorn, mit Techno-Beat oder im psychedelischen Maultrommel-Chor. Das kleine Teil mit dem elastischen Bügel zapft ganz ohne Umwege die spirituelle Kraft der Klänge an. Es ist die wahre Essenz der Musik.

Boing, boing!IhrHans-Jürgen Schaal

Der Gewinner des „George Enescu Wettbewerbs 2014“ Stefan Tarara und seine Klavierpartnerin Lora Vakova-Tarara begeistern mit Virtuosität und außergewöhnlichen Klangbildern. Mit ihrer zweiten CD hat das junge, vielversprechende Duo sämtliche bedeutende Werke George Enescus für die Kammerbesetzung Violine und Klavier beim Label Ars Produktion eingespielt.

Kindheitserinnerungen

Stefan Tarara gehört zweifelsfrei zu einer der vielversprechendsten jungen Geigerhoff-nungen der Gegenwart. Mit dem Gewinn des Ersten Preises beim renommierten

„George Enescu“-Wettbewerb 2014 in Bukarest gewann der aus Heidelberg gebürtige Violinist die Aufmerksamkeit der internationalen Musik-öffentlichkeit. Nur wenige Monate später errang er in Bern auch den Ersten Preis des Internationalen „Boris Goldstein“ Violinwettbewerbs 2015.

Tararas virtuoses Geigenspiel zieht einen schnell in seinen Bann. Es ist nur zu verständlich,

warum sich seit seiner früheren Kindheit erste Preise aneinanderreihen, von unzähligen Gewin-nen bei „Jugend musiziert“ bis zum Gewinn des Internationalen „Rodolpho Lipizer“ Violinwettbe-werbs 2011 in Italien. Die Neue Musikzeitung kür-te den talentierten Violinisten gleich zweimal zum „Musiker des Jahres“, der frenetisch auf Konzerten bejubelt und mit Presselob überschüttet wird: Die Kritik feiert besonders seine Artikulationsvielfalt und rasende Fingerfertigkeit, seine spieltechnische Brillanz, die blitzsaubere Technik, gepaart mit in-terpretatorischer Reife und sicherem Stilgefühl.

Mit dem Oeuvre des rumänischen Universal-musikers George Enescu, der sich als Europäer und Weltbürger verstand, beschäftigt sich Stefan Tarara seit seiner Kindheit. Enescu prägte Geiger-persönlichkeiten wie Ida Haendel und Yehudi Menuhin, war inspirierender Dirigent (er hätte Arturo Toscaninis Nachfolger werden können) und hochgeschätzter Pianist. Als Komponist hat George Enescu jedoch außerhalb Rumäniens kaum Aufsehen erregt. Unter den rund dreißig Werken ragt die Oper Oedipe, die ihn fast ein Vierteljahrhundert beschäftigte, in einsamer Größe hervor. Das Duo Tarara möchte an der geringen Bekanntheit von Enescus Kammermusik etwas ändern und hat nun mit ihrer zweiten, heraus-ragend eingespielten CD die Gesamtaufnahme aller kammermusikalischen Werke für Violine und Klavier beendet.

Enescu wurde 1881 in einem kleinen Dorf der damals noch habsburgischen Bukowina geboren und begann wie Tarara und viele Geiger vor ihm schon früh mit dem Violinspiel. Mit sieben Jahren studierte er bereits in Wien Violine, mit zwölf Jahren am Pariser Conservatoire Kompo-sition bei Jules Massenet und Gabriel Fauré.

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George Enescus Beschäftigung mit der kammer-musikalischen Besetzung von Geige und Klavier erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Die frühen Werke des Komponisten vereinen eine große stilistische Spannbreite und enthalten impressionistische, neoklassizistische, sowie vor allem nationalfolkloristische Nuancen. Mit seiner zweiten Sonate D-Dur op. 6 gelang George Enescu dann im Alter von 18 Jahren sein erster Genie-streich. Der Violinist Carl Flesch bezeichnete sie als „eines der bedeutendsten Werke der gesamten zeitgenössischen Sonatenliteratur, das ganz zu Unrecht gänzlich vernachlässigt wurde.“

Bereits auf der im letzten Jahr erschienenen Debüt-CD haben Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara die dritte Violinsonate eingespielt. Sie gilt wegen folkloristischer Anleihen als besonders cha-rakteristisches Meisterwerk: „Enescus dritte Sona-te trägt den Untertitel dans le caractè re roumain, was man allerdings mit Vorsicht genießen muss: Vielleicht denkt man hierbei an ‚Zigeunermusik’, an das Geigenspiel in der Kultur der Roma und Sinti. Was Enescu hier aber sehr deutlich schrieb, ist eine Sonate im ‚rumänischen’, nicht im ‚zi geu-ne ri schen’ Charakter (à la zingara!). Selbst ver-

ständ lich bezieht die rumänische Volksmusik ihre Wurzeln aus der ‚Zigeunermusik’. Eleganz und Grazie waren in Rumänien ebenso hervorzuheben wie am Wienerischen oder am Preußischen Hofe. Und eben diese Feinheiten zu verstehen, ist von größter Bedeutung, bevor man anfängt, Enescus Musik zu spielen und zu hören. Man kann in ihr sehr vieles falsch interpretieren und es mit schlechtem Geschmack geradezu überschütten, obwohl nichts davon in den Noten zu lesen ist“, führt Stefan Tarara aus. „Das Ergebnis ist eine faszinierende Reise durch alle Arten von Ge-

fühlserlebnissen, die von permanenter Wehmut bis hin zu den ekstatischsten Tänzen reichen. Man kann wahrlich sagen, dass zum Schluss eine ‚Symphonie in Sonatenform’ erreicht wurde.“

Und eben dies gelingt den Gewinnern des „Swedish International Duo Competition“ 2014 und den Preisträgern des besten Duos der „Académie de Musique de Lausanne“ meister-haft. Mit warmem, erfülltem Ton und gleichzei-tig hochvirtuos stellen Stefan Tarara und seine kongeniale Partnerin Lora Vakova-Tarara die melodischen Schönheiten der drei Sonaten für Klavier und Violine sehr feinsinnig heraus.

Im Kontrast zu den im Jugendalter kompo-nierten zwei ersten Sonaten steht George Enescus im Alter von 59 Jahren komponierte Suite Im-pression d’enfance. Dabei handelt es sich um eine Suite von zehn Bildern. Sie erinnert an dessen früheste Kindheitserinnerungen im heute rumänischen Dörfchen Liveni Virnav, das dem Komponisten zu Ehren in George Enescu umbe-nannt wurde. Diese Rhythmen und Melodien begleiteten den Komponisten ein Leben lang: „Wenn ich heute ein überempfindlicher Mensch bin, ist die Erklärung, glaube ich, in meiner Kindheit zu suchen (...) ich bin der Erde ver-wurzelt, auf einem Boden voller Legenden und Sagen aufgewachsen.“ Zutiefst berührend gelingt es dem Duo Tarara, die magische, verschwundene Welt mit längst vergangenen Klängen der Buko-wina, die Volksweisen der Zigeunergeiger, die nahezu unberührten Naturlandschaften mit murmelnden Bächen und zirpenden Grillen tonmalerisch vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen. Eine höchst originelle, inspirierte und brillante Aufnahme – ein liebevoller Blick in George Enescus rumänische Seele.

Luise Ilgenstein www.stefan-tarara.eu

The Sound of the 20s ARS Produktion ARS 38 212 (Hybrid-sACD)

Childhood Impressions ARS Produktion ARS 38 179 (Hybrid-sACD)

6 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell

Der Anfang erinnert nicht von ungefähr an den Beginn von Strawinskys „Sacre“: Wie improvisiert verliert sich die Solo-Oboe in der verträumten Melodie einer

Hirtenweise… Und passender könnte der Auf-takt zur Debüt-SACD von Maria Sournatcheva nicht ausfallen: Folkloristische Elemente durch-ziehen das Programm, das Werke Moskauer Komponisten aus drei Generationen umfasst.

Die Oboe als Soloinstrument muss es Valery Kikta angetan haben: Vier Konzerte entstammen seiner produktiven Feder. Der gebürtige Ukrainer hatte das einsätzige „Belgoroder Konzert“ ur-sprünglich für ein in Russland und der Sowjet-union äußerst populäres Orchester mit volkstüm-lichen Instrumenten geschrieben. Dass Glocken, Schellen und andere Schlaginstrumente, darun-ter Ratschen und sogar Löffel dabei eine ge-wichtige Rolle spielen, ist auch in der Version für Orchester, die Kikta wegen der schmerzlich vermissten Blechbläser später einrichtete, un-überhörbar. Wie schmelzende Eiszapfen glitzert und glänzt es, und immer wieder tritt die Oboe in einen Dialog mit solistischen Perkussionisten.

Eher kammermusikalisch gibt sich Kiktas drittes Konzert, das sich in der Begleitung auf ein Streichorchester beschränkt – ebenso wie das Werk des 1982 geborenen Andrey Rubtsov, der als weltweit gefragter Oboist die Möglich-keiten seines Instruments virtuos einzusetzen

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Andrey Eshpai (1925-2015)Valery Kikta (*1941)Andrey Rubtsov (*1982)Russische OboenkonzerteMaria Sournatcheva, OboeGöttinger Symphonie OrchesterChristoph-Mathias Mueller, Ltg.MDG 901 1947-6 (Hybrid-sACD)

Brillante Transparenz und urgewaltige KraftRussische Oboenkonzerte im jubelnden Glanz des Göttinger Symphonie Orchesters

versteht. Rubtsov besinnt sich auf die beachtli-che klassizistische Tradition seiner Heimat; ein stimmungsvolles Larghetto trennt die beiden rhythmisch attraktiven Außensätze, die in einer frech-ausgelassenen, auch für das Orchester überaus anspruchsvollen Burleske kulminieren.

Krönender Abschluss der in brillanter Trans-parenz im MDG typischen 2+2+2 Recording produzierten SACD ist das ambitionierte Konzert Andrey Eshpais. Der Altmeister der Nachkriegs-avantgarde ist 2015 im Alter von 90 Jahren ver-storben. Auch im Oboenkonzert bezieht Eshpai sich auf seine ethnischen Wurzeln im finnisch-ugrischen Volk der Mari – bereits sein Vater hat Mari-Melodien gesammelt und aufgeschrieben. In zeitgemäßer Kompositionsweise zaubert er eine ganz eigene Tonsprache, die die urgewaltige Kraft der Volkskunst im russischen Vielvölkerreich auf faszinierende Weise neu zum Klingen bringt.

Mit dem Göttinger Symphonie Orchester un-ter der Leitung von Christoph-Mathias Mueller steht der sympathischen jun-gen Preisträgerin des ARD-Wettbewerbs ein überaus kompetentes Ensemble zur Seite, dessen opulente wie geschmei-dige Hingabe zur slawischen Musik unlängst mit einem ECHO Klassik aus-gezeichnet wurde. Klaus Friedrich

Christoph-Mathias Mueller Göttinger Symphonie Orchester | www.gso-online.de

www.sournatcheva.com

AusgAbe 2016/2 7

CLASS : aktuell

forscher Alfred Einstein fest, „Mozarts Klavier-konzerte seien die Krönung und der Gipfel seines instrumentalen Schaffens, zum mindesten auf dem Gebiet des Orchestralen.“

Haiou Zhangs außergewöhnliche Begabung wurde äußerst spät erkannt, sein erstes Klavier erhielt er mit neun Jahren, doch wurde er schon im Alter von elf Jahren Klavierstudent am Central Conservatory of Music in Peking, wo er 2002 als 18-jähriger sein Studium mit be-sonderer Auszeichnung abschloss. Als chine-sisches Wunderkind möchte er aber nicht be-zeichnet werden. Sein Debüt auf CD gab der Pianist 2011 mit Werken von Franz Liszt.

Kerstin Hänßler

„Hier ist doch gewiss das Clavierland!“

Der chinesische Pianist Haiou Zhang legt bei hänssler Classic seine zweite CD vor. Zusammen mit den Heidelberger Sinfonikern unter der Leitung von Thomas Fey präsentiert der Chinese, der sich nicht als Wunderkind versteht, die Klavierkonzerte 20 und 21 vom Wunderkind Mozart. Sein Credo: „Intellektuelle Strenge und musikalische Ausdrucksstärke“.

Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert 20 und 21 / KV 466 und 467

Haiou Zhang, KlavierHeidelberger Sinfoniker, Thomas Fey

hänssler CLASSIC HC16037

‚‚Hier ist doch gewiss das Clavierland!“, schrieb der junge Mozart 1791 begeis-tert an seinen Vater und meinte Wien.

Zuvor wurde er von seinem Arbeitgeber, dem Erzbischof Colloredo, entlassen – fortan verdiente er mit Klavierkonzerten, Klavierunterricht und Kompositionen seinen Lebensunterhalt. Mit Er-folg. Zumindest eine Zeit lang, denn ab 1786 sank Mozarts Stern, nämlich als die Konzert-akademien aufhörten und Mozarts Beschäftigung mit Klavierkonzerten, die er ja für diese Akade-mien geschrieben und dort gespielt hatte, ein-gestellt wurden. Damit brachen für die Familie Mozart die Jahre finanzieller Not an, die bis zum Ende seines Lebens andauern sollten. Hinter-lassen hat der Komponist aus dieser Zeit einzig-artige Werke.

Mozarts Konzerte für Klavier und Orchester sind musikgeschichtlich gesehen der eigent-liche Beginn dieser Gattung und zugleich ihr Höhepunkt. Mit seinen großen Konzerten hat Mozart Werke geschaffen, die gewissermaßen die Quintessenz dessen darstellen, was in dieser Gattung möglich ist. Zu Recht stellt der Musik-

Jetzt neu bei WERGO

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Anthony CheungDystemporalSynchroniCities | Windswept Cypresses | Running the (Full) Gamut | Centripedalocity |Enjamb, Infuse, Implode | Dystemporal

Talea Ensemble / Ensemble Intercontemporain /Anthony Cheung: Klavier / James Baker, SusannaMälkki: Leitung

Ersteinspielungen

John CageCage after CageComposed Improvisation | Variations I | Child of Tree | Inlets | 27’10.554’’

Matthias Kaul: Percussion

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Morton FeldmanBeckett MaterialOrchestra | Elemental Procedures | Routine Investigations

Claudia Barainsky: Sopran / WDR RundfunkchorKöln / WDR Sinfonieorchester Köln / Peter Rundel: Leitung

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Fordern Sie bitte unseren Katalog an!WERGO, Weihergarten 5, 55116 Mainz, Deutschland, [email protected] | www.wergo.de

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8 AusgAbe 2016/2

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Carl Maria von Weber Klarinettenkonzerte Nr. 1 & 2Concertino op. 26Paul Meyer, Klarinette & LeitungOrchestre de Chambre de LausanneMDG 940 1922-6 (Hybrid-sACD)

Die äußerst fruchtbare Künstlerfreund-schaft zwischen Carl Maria von Weber und Heinrich Baermann ist legendär. Das Concertino, das Weber dem Ersten

Klarinettisten der Münchner Hofkapelle auf den Leib schrieb, war ein sensationeller Erfolg. Mit den beiden Klarinettenkonzerten gingen Weber und Baermann gemeinsam auf ausgedehnte Konzertreise. Dass der finger- und zungenfertige Baermann das virtuose Es-Dur-Konzert der ge-heimnisvolleren Schwester in f-Moll oft vorzog, mag der „romantische“ Weber verschmerzt haben – es tat der innigen Beziehung jedenfalls keinen Abbruch. Der französische Virtuose Paul Meyer spürt dieser Freundschaft nach – als Solist und Dirigent des Orchestre de Chambre de Lausanne, das einmal mehr unter Beweis stellt, dass die deutsche Romantik auch international in besten Händen sein kann.

Nur wenige Tage benötigte Weber für die Komposition des Concertinos. Die Möglichkeiten der Münchner Hofkapelle, die auch nach ihrem Umzug aus Mannheim wohl zum besten gehörte, was an Orchestern in Europa zu finden war, nutzte der Komponist voll aus. Das ein-sätzige Werk hat die Form einer bravourösen Opernszene, die dem Klarinettisten allerhand Raum zum brillieren lässt. Schwer zu sagen, ob die Begeisterung beim Solisten, dem Publikum oder den Orches-termusikern größer war – etliche Aufträge für Konzerte waren jeden-falls die Folge, die den finanziell bedrängten Weber in eine deut-lich komfortablere Lage brachten.

In enger Abstimmung mit Baermann machte sich Weber an die Komposition zweier Klari-nettenkonzerte. Diese hatte der

Zaubers, das jäh von einem Fortissimoschlag des gesamten Orchesters unterbrochen wird. Das anschließende Tutti bereitet dem Solisten ein großartiges Entrée für die ganze Palette an feinsten Klangfarben, Artikulationen und indivi-duellen Ausdrucksmöglichkeiten.

Paul Meyer weiß diese Möglichkeiten zu nutzen. Wie er über das Virtuose hinaus in engster künstlerischer Gemeinsamkeit mit den Lausannern eine märchenhafte Erzählung zu ge-stalten weiß, lässt aufhorchen. In hochauflösen-der SACD-Technik eingefangen, überzeugt diese Neuaufnahme im allen Belangen, und besonders in der dreidimensionalen 2+2+2-Wiedergabe entfaltet sich ein bezaubernder emotionaler Sog, der niemanden unberührt lässt.

Lisa Eranos

Die Klarinette als ZauberstabC.M. v. Weber mit Paul Meyer und dem Orchestre de Chambre de Lausanne

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bayerische König höchstselbst in Auftrag ge-geben – ein weiterer Beleg für die ganz außer-ordentliche Wertschätzung, die Weber in München zuteil wurde. Und schon der Beginn des f-Moll-Konzerts lässt die Begeisterung verstehen: in geheimnisvollem Pianissimo präsentieren Celli und Bässe ein Thema voll freischützromantischen

Carl Maria von Weber, Stich von C. A. Schwerdgeburth, 1823

www.paulmeyer.fr

AusgAbe 2016/2 9

CLASS : aktuell

Sie ist eine international gefragte Gesangs-solistin, die sich aber ebenso sicher im Repertoire der Oper bewegt und alle großen Oratorien singt.

Alles exzellente Voraussetzungen um den ho-hen Anforderungen dieses anspruchsvollen Solo-programms unangestrengt und spielend gerecht zu werden. Großartige Unterstützung erfährt Cornelia Lanz durch die sensible und erfahrene Klavierbegleitung von Stefan Laux, Partner vieler international-renommierter Liedsänger(innen).

Und so bereitet diese Aufnahme schon jetzt Vorfreude auf das zweite Album der beiden mit Liedern „Von ewiger Liebe“ der „Seelen-verwandten“ Robert und Clara Schumann und Johannes Brahms.

Die profilierte Mezzosopranistin Cornelia Lanz legt mit dieser Einspielung ihre erste Solo-CD vor:

Frauenrollen und Frauengestalten im (Lied-)Werk von Schubert, Rossini und Verdi

Schubert, Rossini & Verdi Cornelia Lanz, MezzosopranStefan Laux, Klavierhänssler CLASSIC HC16019

www.cornelia-lanz.com

L ieder über Frauenrollen, die im realen Leben existieren, wie die Mutter, das Kind, das Mädchen, die junge Frau, die Schwester,

die Freundin, die Geliebte, die (Ehe-) Frau, die Großmutter, die Königin und die Heilige.

Und Lieder über fiktionale Frauengestalten wie „Mignon“ aus dessen Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, „Suleika“ aus Marianne von Willemers Gedichten oder „Ellen“ aus Walter Scotts Versepos „Das Fräulein vom See“, um nur einige zu nennen.

Im Mittelpunkt des CD-Programmes steht die hochvirtuose 18-minütige „Eine-Frau-Liedkan-tate“ von Rossini über die kämpferische Jungfrau von Orléans, die laut Mythos den 100-jährigen Kriege beendet habe. Diese Gestalt fas zi nierte Cornelia Lanz, setzt sie sich doch in dem von ihr initiierten und geleiteten Verein Zuflucht Kultur e. V. und dessen vielbeachteten und weg-weisenden Mozartopernproduktionen mit vie-len Visionen und Idealismus für Friedensarbeit, Völkerverständigung und Antirassismus durch Musik ein u.a. beim Bundespräsident Gauck und bei der UNO in Genf.

Dass Cornelia Lanz ein derart gut durch-dachtes Programm auswählt, überrascht bei ihrer Biografie nicht. Ihre Gesangsausbildung absol-vierte sie an der Musikhochschule Stuttgart und der Manhattan School of Music New York, schloss beide Staatsexamina mit den Schwerpunkten Violine und Dirigieren ab, studierte Amerika-nistik und Anglistik an der Universität Stuttgart und der Columbia Universität in NY. Sie insze-nierte Händels Alcina in New York und Imeneo in Dubai und Janaceks Makropulos in München.

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10 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell

Sie hat mit dem Scottish Chamber Orchestra das erste Klavierkonzert Felix Mendelssohns und das hoch virtuose Schumann-Konzert aufgenom-men. Ingrid Fliter gilt schon lange als eine der besten Pianistinnen der jüngeren Generation. Und dieses fantastische Album beweist das aufs Neue. Und das im kompromisslos genialen Linn-Sound. Schottland, schönes Klassik-Paradies!

René Brinkmann

Schottland, die heimliche Klassik-Hochburg

Wer an Klassik denkt, der denkt an Wien, an Berlin, an Italien, vielleicht auch gern an Böhmen. Dabei sollte man aber eine Region

Europas nicht übersehen: Schottland!

Wer an Schottland denkt, hat ein klares Bild im Kopf: Männer mit Röcken, Dudelsack, der Atem riecht nach Single

Malt, alle leben entweder in Burgen oder Cottages und sprechen (während sie Baumstämme durch die Gegend werfen) ein Englisch, das man selbst mit bestem Willen nicht verstehen kann. Doch wer sich ernsthaft für klassische Musik interes-siert, der hat von Schottland ein anderes Bild.

Dort residiert etwa das Scottish Chamber Orchestra, das spätestens seit der Taktstockübernahme durch Sir Charles Mackerras über 30 Jahre lang immer wieder von der Kritik ge-feierte Alben aufnahm und fraglos zur globalen Elite der Kammerorchester gehört. Heute hat die Leitung dieses Orchesters der Brite Robin Ticciati inne, der das Scottish Chamber Or-chestra seit 2009 von Welterfolg zu Welterfolg führt.

Und noch ein Ensemble hat in den letzten Jahren für viel Aufsehen gesorgt: Das Dunedin Ensemble aus Edinburgh. Unter der Leitung seines Chefdiri-genten John Butt ist es inzwischen für viele die ultimative Referenz für Musik des (das ist eindeutig!) Nicht-Schotten Johann Sebastian Bach.

Beide Orchester haben eins ge-meinsam: Ihre Plattenfirma! Denn Schottland ist auch die Heimat des CD-Labels Linn. Fans von Hifi-Elek-tronik wissen, dass Linn einer der renommiertesten Hersteller von Hifi-Equipment ist. Während die Geräte von Linn aber in einem Preisbereich rangieren, der für Normalsterb liche kaum zu stemmen ist, kann sich jeder Inte ressierte die Alben des Labels, z.B. im hoch auflösenden SACD-Format, ins Haus holen.

Neuestes Label-Highlight ist das aktuelle Album der hoch gelobten ar-gentinischen Pianistin Ingrid Fliter.

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CLASS : aktuell

Schon die allerersten Druckausgaben von Bachs unvergleichlichen „Goldberg­va riationen“ enthielten Bearbeitungen für Ensembles von Melodieinstrumenten.

Der Grund ist naheliegend: Bachs komplexer Stimmensatz, für ein zweimanualiges Tastenins­trument konzipiert, ist auf dem Klavier nicht so ohne weiteres zu realisieren und für den Hörer nur schwer nachvollziehbar. Das Aulos Quartett hat eine Neufassung der Rheinberger­Fassung eingespielt, die gleich in mehrfacher Hinsicht aufhorchen lässt: Die gemischte Besetzung mit Streichern und Bläsern sorgt für die ideale Transparenz, und mit der Oboe profonda kommt ein selten gehörtes Instrument zum Einsatz, das die klanglichen Möglichkeiten der Oboenfami­lie enorm erweitert.

Als Grundlage ihres Arrangements verwenden die Musiker des Aulos Quartetts die Bearbeitung, die Josef Rheinberger vor über hundert Jahren für zwei Klaviere angefertigt hat. Rheinberger gelang es, verborgene polyphone Strukturen durch äußerst geschickte Verteilung der Stim­men auf die zwei Klaviere an die Oberfläche zu holen – eine perfekte Ausgangslage: Oboe und Violine spielen den Diskant, die Oboe profonda übernimmt die Tenorpartie, während das Vio­loncello den Bass versieht. So kommen sich ähnliche Klangfarben nie in die Quere – ein gewaltiger Gewinn für die Durchhörbarkeit.

Und was es alles zu hören gibt: Schon in der Aria überlagern sich Menuett, Sarabande und Polonaise; überaus kunstvolle Kanons fordern, mit fortschreitenden Intervallabständen in den

Oberstimmen, Spieler wie Zuhörer. Im Quodlibet schließlich treten zwei volkstümliche Lieder zum Bassthema hinzu, und erst rückblickend wird man gewahr, dass eines der Lieder bereits vorher immer wieder in kleinen Partikeln Ver­wendung fand – nicht umsonst gilt das Werk als ein Gipfelpunkt der Kompositionskunst.

Die verdienstvolle Bearbeitung des Schweizer Ensembles lässt auch erfahrene Hörer noch manches bisher unbeachtetes Detail entdecken. Der Legende nach soll Reichsgraf Keyserlingk

Mehrwert mit Spaßfaktor Bachs berühmter Variationszyklus in Rheinbergers Perspektive

wohl seinen im Gefolge reisenden Cembalisten Johann Gottlieb Goldberg angewiesen haben, aus diesen Variationen vorzutragen, wenn der Graf an nächtlicher Schlaflosigkeit litt. Kaum anzunehmen, dass dem Kunstsinnigen bei der­art geistreicher Unterhaltung die Augen zuge­fallen sind. Auch diesseits aller historischen Perspektiven macht das Zuhören dieser auch technisch hochkarätig im 2+2+2 Recording aufgenommenen SACD einfach Spaß.

Klaus Friedrich

Aulos Quartett | www.oboe.ch

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Johann Sebastian Bach Goldbergvariationen BWV 988 „Aria mit verschiedenen Veraenderungen“ (nach der Fassung von Josef Rheinberger, 1883)Aulos QuartettMDG 903 1950-6 (Hybrid-sACD)

12 AusgAbe 2016/2

British.Now! ist die vierte Produktion des dogma chamber orchestra, und für die­ses Projekt gönnten sich die 18 Musi­ker etwas ganz Besonderes: Michael

Nyman, der für zahlreiche Filme von Peter Greenaway die Musik komponierte, widmete dem Ensemble ein neues Werk: „When Ingrid met Capa“ thematisiert die Liaison zwischen Ingrid Bergman und dem Fotografen Robert Capa, dessen Bild eines Gefallenen zur Ikone des spanischen Bürgerkrieges wurde. Minima­listische, oft motorische Motive bestimmen das Werk, dessen zwingenden Groove das dogma chamber orchestra wunderbar einfängt – natür­lich in Respekt vor Nymans Credo, ausschließlich „schöne Musik“ zu schreiben…

Eine gänzlich andere Welt erschließt „In Nomine (nach Purcell)“ von Gavin Bryars. Ur­sprünglich für Gambenconsort geschrieben, entfaltet auch die Version für Streichorchester den archaischen Reiz einer geradezu medita­tiven Stimmung, der sich aus der Beziehung zu Purcells Fantasie entwickelt. Auch „Antiphon“ von Lennox Berkeley verweist schon im Titel auf alte Vorbilder. Der gregorianische Choral aus dem Antiphonale Romanum erscheint vollständig erst im zweiten Satz und wird dann variiert; bereits im ersten ist er aber unterschwellig präsent. Berkeley hat das Kompositionshandwerk noch bei Nadia Boulanger gelernt und war mit Ravel, Poulenc und später mit Benjamin Britten befreundet.

Da darf Brittens „Klassiker“ für Streichor­chester dann natürlich nicht fehlen: Anders als der Titel nahelegt, ist die „Simple Symphony“ alles andere als einfach. Dem Dogma Kammer­

Aufregende PerformanceDogma Kammerorchester mit Stücken für die Insel

orchester gelingt eine aufregende Performance dieses Bestsellers, schon von Beginn an begeistert der frische Zugriff auf die „Boisterous Bourrée“. Erstaunlich, welche dynamischen Möglichkeiten im „Playful Pizzicato“ stecken! Und die „Senti­mental Sarabande“ lässt vor schmerzerfüllter Schönheit die Tränen in die Augen treten… Wie gut, dass mit dem „Frolicsome Finale“ ein echter Rausschmeißer folgt!

Die hochauflösende Super Audio CD sorgt für allerfeinsten Hörgenuss – natürlich echt in dreidimensionalem Mehrkanalklang des 2+2+2­ Recording, der nicht nur audiophile Herzen höher schlagen lässt, sondern auch die Platzierung aller Musiker punktgenau definiert, die mit Aus­nahme der Cellisten traditionell alle im Stehen musizieren. Lisa Eranos

www.dogmaorchestra.com

DO.GMA#4 British Now! Benjamin Britten: Simple SymphonyLennox Berkeley: AntiphonGavin Bryars: In Nomine (after Purcell)Michael Nyman: When Ingrid Met Capa (Auftragswerk für do.gma chamber orchestra)dogma chamber orchestraMikhail Gurewitsch AUD 912 1944-6 (Hybrid-sACD)

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Weitere Einspielung:

DO.GMA#1Peter Tschaikowsky: Serenade op. 48; Souvenir de Florence op. 70Audiomax 912 1654-6 (Hybrid-sACD)

DO.GMA#2„American Stringbook“David Diamond: Rounds for String Orchestra (1944); Arthur Foote: Suite in E op. 63; Samuel Barber: Serenade op. 1, Adagio op. 11William Schuman: Sinfonie Nr. 5Audiomax 912 1717-6 (Hybrid-sACD)

DO.GMA#3Dmitri Schostakowitsch: 24 Präludien op. 34 – Fassung für Streich orchester von G. Korchmar (1990); Streichquartett Nr. 8 op. 110Audiomax 912 1830-6 (Hybrid-sACD)

„BRITISH.NOW! ist eine Momentaufnahme, inspiriert von der Vielfalt britischer Musik des 20. und 21. Jahr hunderts, eine Kombination aus Traditionsbewusstsein, Moderne, Romantik, Minimalismus und unterschwelligem Humor…“ Mikhail Gurewitsch

AusgAbe 2016/2 13

CLASS : aktuell

Sie haben Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allen Poe als literarische Vorlage: „Le Diable dans le Beffroi“, mit der sich Debussy von 1902 bis 1911 beschäftigt, entstand nach der Erzählung „The Devil in the Belfry“ (Der Teufel im Glockenturm). „La Chute de la Maison Usher“ nach „The Fall of the House of Usher“ (Der Untergang des Hauses Usher) ist der Opernplan von 1908, an dem Debussy etwa neun Jahre lang mit Unterbrechungen arbeitete. Die Krebserkrankung, der Debussy schließlich 1918 erliegen sollte, verhinderte allerdings die Fertigstellung der beiden Partituren, die größ­tenteils als Skizzen hinterlassen wurden. Der englische Musikforscher und Komponist Robert Orledge hat als ausgewiesener Spezialist für die französische Musik zu Beginn des 20. Jahrhun­derts nach den Skizzen eine aufführbare Fassung der beiden Opern erstellt, die 2006 (La Chute de la Maison Usher) bzw. 2012 (Le Diable dans le Beffroi) uraufgeführt wurden. Als 1908 „Pelléas et Mélisande“ am Manhattan Opera House in New York mit großem Erfolg ihre amerikanische Erstaufführung erlebte, beeilte sich die Metro­politan Opera, den französischen Komponisten für ein weiteres neues Werk zu verpflichten. Debussy sicherte dem Haus damals die Erst­aufführung der beiden Poe­Opern zu. Dabei ließ er sich vertraglich bestätigen, dass beide Werke nur im Verbund am selben Abend aufge­führt werden dürften. In dieser vom Komponisten intendierten Form sind die von Robert Orledge komplettierten Werke noch nie erklungen. Inso­fern handelt es sich bei der Pan Classics­Einspie­lung mit dem Göttinger Symphonie Orchester unter seinem Chefdirigenten Christoph­Mathias Mueller sogar um die eigentliche posthume Premiere. Bernhard Blattmann

Posthume Premiere Zwei unbekannte Opern von Claude Debussy

Claude Debussy (1862 - 1918) The Edgar Allan Poe Operas – vervollständigt und orchestriert von Robert Orledge (*1948) Göttinger Symphonie Orchester Christoph-Mathias Mueller, Ltg. PAN CLASSICS PC 10342 (2 CDs)

F ür viele Musikliebhaber steht fest: Claude Debussy hat nur eine Oper geschrieben, nämlich „Pelléas et Mélisande“ , die 1902

uraufgeführt wurde, also erst gegen Ende seines Lebens. Debussys Verhältnis zum Musiktheater war dabei keineswegs so indifferent, wie die Beschränkung auf ein einziges Werk vielleicht vermuten lassen könnte. In Wirklichkeit ist die Oper nämlich kein Einzelfall in seinem Schaffen. Hätte er all seine musikdramatischen Pläne ver­wirklicht, von denen mehrere sogar deutlich über das bloße Planungsstadium hinaus ge­diehen waren, würden wir ihn heute als Opern­kom ponisten völlig anders wahrnehmen. Noch lange vor „Pelléas et Mélisande“ arbeitet Debussy von 1890 bis 1893 an der dreiaktigen Oper „Rodrigue et Chimène“, deren rekonstruierte Fassung erst 1993 uraufgeführt wurde. Zwei weitere Opernpläne verfolgt er 1902 und 1908.

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Profil Medien GmbH Edition Günter Hänssler . www.haensslerprofil.de

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E r h ä l t l i c h i m F a c h h a n d e l

JOSEPH HAYDNCellokonzert Hob. VII b:1WOLFGANG AMADEUS MOZART / GASPAR CASSADOCellokonzert D Dur (nach dem Hornkonzert KV 447)CARL PHILIPP EMANUEL BACHCellokonzert Wq 171Valentin Radutiu, VioloncelloMünchener KammerorchesterStephan FruchtCD HC16038

PAUL HINDEMITHDer Dämon op. 28Kammermusik Nr. 2 - Klavierkonzert op. 36/1 HérodiadeKammermusik Nr. 1 op. 21/1Ensemble VARIANTIFlorian Henschel, KlavierGisela Zoch-Westphal, RezitationDietrich Fischer-Dieskau, Dirigent2 CD HC16014

MÉLANCOLIEWerke von: Poulenc, Satie, Milhaud, Honegger & Album des Six (Auric, Durey, Honegger, Milhaud, Poulenc, Tailleferre)Miki Aoiki, KlavierCD PH15023

Frauenrollen und Frauengestalten beiSCHUBERT, VERDI & ROSSINICornelia Lanz, MezzospranStefan Laux, KlavierCD HC16019

HANS ROTTSymphonie No. 1Mozarteumorchester SalzburgConstantin TrinksCD PH15051

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Robert Orledge Christoph-Mathias Mueller

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Mit einem Sensationserfolg eröffnet Igor Strawinsky den musikalischen Neoklassizismus: „Pulcinella“ ist bis heute vor allem als Suite aus dem

gleichnamigen Ballet ungemein populär. Grund genug für Joshua Weilerstein, frisch ernannter Chefdirigent des Orchestre de Chambre de Lau-sanne, dieses virtuose Orchesterstück in sein attraktives Debütprogramm für MDG aufzuneh-men, bietet es doch den Solisten des Orchesters hervorragende Gelegenheit Klangsinn, Virtuosität und ungebremste Spielfreude zu präsentieren.

Igor StrawinskyPulcinella-Suite, Apollon musagète, Concerto in D Orchestre de Chambre de LausanneJoshua Weilerstein, Ltg.MDG 940 1955-6 (Hybrid-SACD)

CLASS : aktuell

14 AuSgAbe 2016/2

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Mitkomponiertes AugenzwinkernJoshua Weilerstein debütiert beim OCL mit Strawinsky

Aktuelle Konzerte: Orchestre de Chambre de LausanneJoshua Weilerstein

12. | 13. | 18. 09. 2016 Salle Métropole, Lausanne

09. 11. 2016 Tonhalle, Zürich

13. 11. 2016 Auditorium Parco della Musica, Rome

15. 11. 2016 grand Théâtre de Provence, Aix-en-Provence

16. 11. 2016 MC2, grenoble

19. 11. 2016 Auditorium, Oviedo

21. | 22. | 18. 09. 2016 Salle Métropole, Lausanne

www.ocl.ch

Apollinische Klarheit war Strawinskys Anlie-gen für die Ballettmusik zu „Apollon musagète“. Einfache tonale Motive, in harmonischen Terzen schwelgende Violinen, dazu die kluge Beschrän-kung auf ein reines Streichorchester: Apoll, der Musenführer, wird seiner Bestimmung bis zum Besteigen des Parnass vollauf gerecht. Mitunter scheint allerdings auch hier ein mitkomponiertes Augenzwinkern die antik-klassische Mythen-welt zu brechen…

Für das Basler Kammerorchester, das unter seinem legendären Leiter und Förderer der musikalischen Avantgarde Paul Sacher zu den herausragenden Klangkörpern des 20. Jahrhun-derts zählte, schrieb Strawinsky das „Concerto in Ré“. Das dreisätzige Werk ist eine Heraus-forderung für jedes Streichorchester, dessen Musiker immer wieder die Gelegenheit zu solis-tischem Spiel erhalten. Rhythmisch komplex

und tonal anspruchsvoll weist das Concerto bereits auf das Ende von Strawinskys neoklas-sizistischer Zeit hin.

Mit Joshua Weilerstein hat das Orchestre de Chambre de Lausanne einen echten Gene-rationswechsel vollzogen. Der junge Dirigent tritt in große Fußstapfen: Dass nach Christian Zacharias mit dem Geiger Weilerstein wieder ein hervorragender Instrumentalist die Stabfüh-rung des renommierten Schweizer Orchesters übernimmt, zeigt aber auch Kontinuität auf höchstem Niveau. Man kann dem Orchester und seinem hochmotivierten Chef für dieses Debüt nur danken, das dank hochaufgelöster Klang-technik im MDG-typischen 2+2+2 Re cording einen faszinierenden Blick auf diese wichtige Schaffensperiode des großen russischen Kom-ponisten wirft. Lisa Eranos

CLASS : aktuell

AuSgAbe 2016/2 15

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Igor Strawinsky

16 AusgAbe 2016/2

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merphilharmonie Bremen, Hofkapelle München, Musica Antiqua Köln, Concerto Köln, Concentus Musicus Wien unter dem Dirigat von Rattle, Norrington, Hengelbrock, Harnoncourt, Pinnock, Goebel, u.v.a. Mit diesen Ensembles gastierte sie auf den bekanntesten Konzertpodien der Welt und erhielt als Solistin höchste Anerkennung.

Als Solistin ist sie bekannt durch ihre Virtuo-sität und ihren eleganten, farben- und nuancen-reichen Ton.

Bei Hänssler Classic wurden 2014 mit dem Ensemble Barocksolisten München unter ihrer Leitung sämtliche Vivaldi-Konzerte veröffentlicht. 2015 veröffentlicht Hänssler Classic alle Flöten-sonaten von CPE Bach mit Christoph Hammer am Hammerklavier, sowie die Flötensonaten von Georg Friedrich Händel mit Luca Guglielmi am Cembalo. Kerstin Hänßler

Unterhaltsam und geistreich

Johann Sebastian Bach Concerto No. 9 BWV 1060; Tripelkonzert BWV 1044Orchestersuite BWV 1067; Concerto BWV 1055aBarocksolisten München, Dorothea Seelhänssler CLASSIC HC16006

Georg Friedrich Händel Flötensonaten HWV 359b, HWV 363b, HWV 367b, HWV 378, HWV 379Dorothea Seel, Traversflöte, Luca Guglielmi, Cembalohänssler CLASSIC HC 16005

Carl Philipp Emanuel Bach Flötensonaten Wq. 83-87, 123-134Dorothea Seel, TraversflöteChristoph Hammer, Hammerflügel hänssler CLASSIC CD 98.057 (2 CDs)

Antonio Vivaldi Solokonzerte Dorothea Seel, Traversflöte; Barocksolisten München hänssler CLASSIC CD 98.034

Dorothea Seel legte bereits 2015 die Flöten-sonaten von Carl Philipp Emanuel Bach unter Hänssler Classic vor. Die auf Alte

Musik spezialisierte Flötistin lässt es dabei aber nicht auf sich beruhen: Anfang 2016 erschie-nen Händels Flötensonaten und ganz aktuell wurde das Album mit Johann Sebastian Bachs „Concertos“ veröffentlicht.

Die jüngste CD wurde eingespielt zu-sammen mit den Barocksolisten München, ein Ensemble, das Dorothea Seel 2010 gründete. Die Mitglieder sind allesamt international erfahrene und renommierte Musiker. Die Concertos von Johann Sebas-tian Bach sind diesem Ensemble wie auf den Leib geschneidert: einst wurden sie für die Köthener Hofkapelle geschrieben, dessen Hofkapellmeister Bach war. Viele seiner weltlichen Werke wurden in die-ser Periode verfasst. Die Hofkapelle war, wie die Barocksolisten München auch, ein leistungsstarkes junges Ensemble, das Herzog Leopold tatkräftig förderte.

Dorothea Seel studierte Konzertfach Flöte an der Universität Mozarteum Salzburg und absol-vierte mit Auszeichnung. Im Anschluss erwarb sie ein Diplom für Alte Musik in Trossingen.

Ihre Laufbahn begann sie in renommierten Orchestern wie The English Concert, Orchestra of the Age of Enlightenment, London Classical Players, Kings Consort, Orchestre des Champs Elysées, London Baroque. Sie spielt mit Orches-tern wie dem Münchner Kammerorchester, Kam-

Dorothea Seel

SWR19011CDVOLKSLIEDER 2.0SWR Vokalensemble Stuttgart, SWR Big Band Morten Schuldt-Jensen

Bekannte deutsche Volkslieder und unsterbliche Melodien des Norwegers Edvard Grieg erklingen in einer spannenden Besetzung für Chor und Bigband.

Bereits erschienen:

93.342Chormusik aus

Großbritannien

93.329Chormusik aus Italien

„Das von Marcus Creed geleitete SWR Vokalensemble Stuttgart kann auf dieser grandiosen CD wieder einmal unter Beweis stellen,

dass es unbestreitbar zu den besten Chören, vermutlich nicht nur in Deutschland, gehört.“

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AusgAbe 2016/2 17

Welch ein Gepolter! „Kommt mit Za-cken und mit Gabeln“ werden die heidnischen Brockenanrainer auf-gefordert, um den missionierenden

Christen im „Rundgeheule“ einen gehörigen Schrecken einzujagen. Goethes anspielungsreiche Ballade vertont der junge Felix Mendelssohn Bartholdy zu einem furiosen Tongemälde zwi-schen Sinfonie und Chorballade, das den feinen Humor des Dichterfürsten auf grandiose Weise umsetzt. Zusammen mit drei Konzertouvertüren beschließt „Die erste Walpurgisnacht“ den viel-gelobten MDG-Mendelssohn-Zyklus des Musik-kollegium Winterthur unter der Stabführung von Chefdirigent Douglas Boyd.

Jenseits des äußerlichen Spektakels ist „Die erste Walpurgisnacht“ ein topaktuelles Plädoyer für religiöse Toleranz. Der wilde Spuk, sehr irdischen Ursprungs, kommt dennoch zu seinem Recht: Das jault und knallt, dass es eine Freude ist – offensichtlich erfolgreich, denn am Ende siegt das Licht, dessen rauchfreies Er-scheinen mit gar nicht genug Pathos besungen werden kann… Die Solisten und die Zürcher Sing-Akademie haben offensichtlich einen Hei-denspaß am opulenten Klangzauber.

Während Mendelssohn Goethes Dichtkunst über alles schätzte, ließ er an Victor Hugos Tra-gödie „Ruy Blas“ kein gutes Haar. Einem wohl-tätigen Zweck zugute komponierte er dennoch auf drängende Nachfrage eine Ouvertüre – der er für eine Wiederholungsaufführung vielleicht nur halb im Scherz statt des originalen Titels den Namen „Ouvertüre zum Theater-Pensionsfonds“ gab… Bis heute gehören die Ouvertüren, insbe-sondere „Die Hebriden“, zu Mendelssohns belieb-testen Kompositionen. „Die schöne Melusine“ hat

Weitere Einspielungen:

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Sinfonie Nr. 3 „Die Schottische“Sinfonie Nr. 4 „Die Italienische“ (Version 1833/34)

Musikkollegium Winterthur; Heinz Holliger, Ltg.MDG 901 1663-6 (Hybrid-sACD)

Felix Mendelssohn BartholdySinfonie Nr. 1 und 5 „Reformations-Sinfonie“ Musikkollegium Winterthur; Thomas Zehetmair, Ltg.MDG 901 1814-6 (Hybrid-sACD)

Felix Mendelssohn Bartholdy Sinfonie Nr. 2 „Lobgesang“ Lisa Larsson, Sopran; Malin Hartelius, SopranJörg Dürmüller, Tenor; Ensemble Corund Musikkollegium Winterthur; Douglas Boyd, Ltg.MDG 901 1857-6 (Hybrid-sACD)

www.musikkollegium.ch

CLASS : aktuell

Heidenspaß am opulenten Klanggetöse Musikkollegium mit Mendelssohn bei MDG

auch schon Richard Wagner fasziniert: Der „fisch-artige“ Beginn des Nixenmärchens findet sich spä-ter in der Ouvertüre zum „Rheingold“ wieder!

Mendelssohn hat verbale Ausdeutungen seiner programmatischen Werke stets abgelehnt; musikalische Gedanken seien zu bestimmt, um sie in Worte zu fassen. Umso unbefangener kann die Musik pur genossen werden – besonders gut im hochauflösenden und detailreichen drei-dimensionalen 2+2+2-Klangbild, das die SACDs von MDG auszeichnet. Doch Vorsicht: Empfind-liche Gemüter könnten in der spannend plas-tischen Wiedergabe der „Walpurgisnacht“ das Grausen bekommen. Herrlich!

Klaus Friedrich

Felix Mendelssohn Bartholdy„Die erste Walpurgisnacht“ op. 60Ouvertüren „Die Hebriden“ op. 26, „Das Märchen von der schönen Melusine“ op. 32 & „Ruy Blas“Birgit Remmert, Alt; Jörg Dürmüller, Tenor; Ruben Drole, Bariton; Reinhard Mayr, BassZürcher Sing-Akademie (Tim Brown)Musikkollegium Winterthur Douglas Boyd, Ltg.MDG 901 1949-6 (Hybrid-sACD)

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18 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell

Ihm zur Seite steht Valentin Radutiu. Er ist einer der besten Cellisten seiner Generation. Liest man Rezensionen über sein Spiel in der Tagespresse, fallen auffällig häufig Begriffe wie „leidenschaftlich“, „emotional“, „vollblütig“, all das gepaart mit einer Technik und einer Präzi-sion, die ihresgleichen suchen. Das Münchener Kammerorchester ist mit seiner bekannt her-vorragenden Qualität das „Tüpfelchen auf dem i“ und lässt diese herausragende Einspielung mit einiger Sicherheit auf etlichen Referenz listen am Jahresende aufblitzen. René Brinkmann

„Mozarts Cellokonzert“ und andere

Überraschungen Stephan Frucht und Valentin

Radutiu präsentieren bekannte

Werke in neuem Gewand

Joseph Haydn: Cello Concerto C Major Mozart / Cassadó: Cello Concerto D Major C.P.E. Bach: Cello Concerto B flat Major Valentin Radutiu, CelloMüncher Kammerorchester, Stephan Fruchthänssler CLASSIC HC16037

E in Cellokonzert von Mozart? Davon konn-ten Cellisten bislang nur träumen. Doch eine Transkription des Komponisten Gaspar

Cassadó macht‘s nun möglich. Mozarts Hornkonzert in Es-Dur gehört zu

den beliebtesten Instrumentalkonzerten der klas-sischen Musik. Das Horn spielt etwa in derselben Tonlage wie bei den Streichinstrumenten das Violoncello. Was liegt also näher, als aus diesem Umstand eine Bearbeitung abzuleiten? Das Ergeb-nis: Mozart auf dem Cello! Eine Weltpremiere!

Dazu gesellen sich das hoch virtuose Cello-konzert Wq171 von Carl Philipp Emanuel Bach und Joseph Haydns berühmter Gattungsbeitrag in D-Dur. Bachs Cellokonzert wird hierbei mit extra für diese Aufnahme neu komponierten Kadenzen aufgeführt.

Die Interpreten dieser Einspielung sprechen für sich: Dirigent Dr. Stephan Frucht bekleidet einflussreiche Positionen im deutschen Musik-leben. Er erweist sich als gleichermaßen stil- wie verantwortungsvoller Interpret der drei großen Werke und hatte sich schon durch frühere CD-Produktionen als vorzüglicher Interpret der „Wiener Klassiker“ empfohlen.

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AusgAbe 2016/2 19

CLASS : aktuell

Ernst Rudorff (1840-1916) Kammermusik

Sextett für 3 Violinen, Viola und 2 Violoncelli op. 5; Drei Romanzen op. 48

Capriccio appassionato op. 49Sechs Klavierstücke op. 52

Concertetüden No. 1 und 2 op. 29Romanze für Violine + Klavier op. 41

Berolina EnsembleMDG 948 1889-6 (Hybrid-sACD)

P aul Hindemith wollte „…nur noch in Fällen dringender Not“ zu seinem eigent-lichen Instrument, der Geige, zurück-kehren – so sehr hat es ihm die Bratsche

angetan. Und da ist es nicht verwunderlich, dass der begabte Musiker das bis dahin schmale Repertoire für sein favorisiertes Instrument durch etliche anspruchsvolle Werke erweiterte. Christian Euler hat jetzt zwei Solo- und, gemein-sam mit Pianist Paul Rivinius, zwei Duosonaten neu eingespielt, die damit erstmals in 3D- Qualität auf Super Audio CD zu erleben sind.

Hindemith muss ein ziemlich versierter Brat-scher gewesen sein. Die technischen Höchst-schwierigkeiten seiner Sonaten meistert Christian Euler natürlich mit Bravour – und was der er-fahrene Virtuose und Pädagoge aus den sehr unterschiedlichen Werken herausholt, ist absolut hörenswert! Da gibt es impressionistische Anklän-ge in op. 11 Nr. 4, das 1919 unter dem Eindruck des Todes von Claude Debussy entstanden ist und mit raffinierten thematischen Verschränkungen zwischen den drei Sätzen aufwartet; andererseits verzichtet Hindemith auch nicht auf schroffe Grobheiten und wird damit seinem frühen Ruf als „Bürgerschreck“ durchaus gerecht.

Berühmt geworden ist die Spielanweisung

in der Solosonate op. 25 Nr. 1: „Rasendes Zeit-maß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache“. Dass das aufwühlende Stück deswegen keineswegs hässlich sein muss, ist bei Christian Euler ein-drucksvoll zu erleben, und auch, dass die eigen-tümliche Melancholie der anderen Sätze völlig zu Unrecht meist im Schatten dieses kurzen, aber desto wilderen Ausbruchs stehen.

Für die Duosonaten steht Christian Euler mit Paul Rivinius der perfekte Kammermusikpart-ner zur Seite, der dem Steinway-Konzertflügel „Manfred Bürki“ ebenso opulente wie klang sin ni-ge Töne entlocken kann. Schon für das Britische Recital mit Werken von Bax, Bliss und Vaughan Williams ernteten beide Solisten viel Applaus – und liefern mit ihrer Hindemith-Lesung eine eben-so willkommene wie hörenswerte Fortsetzung.

Lisa Eranos

Paul Rivinius und Christian Euler

Paul Hindemith (1895-1963) Sonaten für Viola und Klavier op. 11,4 & op. 25,4Solosonaten op. 11,5 & 25,1Christian Euler, ViolaPaul Rivinius, KlavierMDG 903 1952-6 (Hybrid-sACD)

Weitere Einspielung:Englische Musik für Viola und Klavier Arnold Bax: Sonata, Arthur Bliss: Sonata,Ralph Vaughan Williams: SuiteChristian Euler, Viola Paul Rivinius, KlavierMDG 903 1796-6 (Hybrid-SACD)

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Wild. Tonschönheit ist NebensacheHindemiths Bratschensonaten in audiophiler Neuaufnahme

Paul Hindemith

20 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell

Seine Diskografie liest sich wie ein Kom­pendium der zeitgenössischen Musik. Meilensteine der Kompositionsgeschichte sind ebenso darunter wie manches auf

den ersten Blick abseitig erscheinende Programm. Und immer wieder zeigen seine klugen Werk­zusammenstellungen Querverbindungen auf, die überraschende Erkenntnisse zu Tage fördern.

Rückblende: Leipzig im Wendejahr 1989. In der allgemeinen Aufbruchstimmung finden sich junge Musiker, darunter viele Mitglieder des weltberühmten Gewandhausorchesters, zusammen, um Musik der Gegenwart aufs Kon­zert podium zu bringen. Von Anfang an mit da­bei, wird Steffen Schleiermacher schnell zum spi ritus rector des neu gegründeten Ensemble Avantgarde. Der Gruppe geht es nicht so sehr um Neuheit als Selbstzweck, vielmehr sollen die durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts abge­rissenen Traditionsstränge wieder aufgenommen werden; Klassiker der Moderne und Werke ver­gessener oder verfemter Komponisten stehen deshalb bis heute auf dem Programmzettel.

Eine eigene Konzertreihe im traditionsrei­chen Gewandhaus wird ins Leben gerufen, und das Ensemble wird schnell über die Grenzen der Messestadt hinaus bekannt. Bereits 1991 erhält das Ensemble Avantgarde den Förder­

preis der Ernst von Siemens­Stiftung, 1992 den speziell für Verdienste um die zeitgenössische Musik ausgeschriebenen Schneider­Schott­Preis der Stadt Mainz.

Das Preisgeld investieren die jungen Künst­ler in ein ambitioniertes Projekt: Arnold Schön­bergs „Pierrot lunaire“ steht für das Anliegen des Ensemble Avantgarde wie kaum ein anderes Werk. Am Scheitelpunkt zwischen der Aufgabe der Tonalität und der Hinwendung zur Zwölfton­musik gehört es zu den wichtigen Wegmarken in

der Musik des 20. Jahrhunderts. Mit dem Komponisten und Dirigenten Hans Zender konnte ein ausgewiesener Ex per­te für die Neue Musik als Dirigent gewon­nen werden, und nicht zuletzt Salome Kammers eindrucksvoll gestaltete Rolle zwischen Sprechen und Singen sorgte dafür, dass die dabei entstandene CD bis heute als Referenz aufnahme dieses Klassikers gehandelt wird. Eingebettet ist der „Pierrot“ in eine kluge Auswahl von Stücken aus allen Lebensphasen Schönbergs, einschließlich der „Phan­tasie“ für Violine und Klavier, der letzten Komposition des nach Amerika emigrierten Schönberg.

Die „Pierrot“­Einspielung ist der Auftakt zu einer langjährigen Zusammenarbeit, die Steffen Schleiermacher und das Ensemble Avantgarde mit dem Detmolder Edellabel MDG verbindet.

Es entsteht ein verwegener Plan: Eine Ge­samteinspielung aller Klavierwerke von John Cage soll in Angriff genommen werden. Dabei ist der Umfang des Vorhabens zunächst gar nicht abzusehen: Ein exaktes Werkverzeichnis des gerade eben erst verstorbenen Komponisten existiert natürlich nicht, und überhaupt ist die

Pianist, Komponist, Konzertveranstalter, Festivalorganisator, Lehrer, Herausgeber von Notenausgaben, Ensembleleiter, Autor, Moderator, Weltreisender und vieles mehr.

An ihm kommt niemand vorbei, wenn es um Neue und neueste Musik geht:

Steffen Schleiermacher

MDG 613 0579-2

www.schleiermacher-leipzig.de

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AusgAbe 2016/2 21

widmet. Statt der unvermeidlichen und allgegen­wärtigen „Gymnopädien“ wählt sich Schleier­macher allerdings ein sehr seltsames Werk als Einstieg: „Le fils des étoiles“ ist die Bühnenmusik zu einem schwer verständlichen esoterischen Drama von Sar Peladan, der sich eigentlich eine „wagnerianische“ Musik für sein Theaterstück vorstellte. Saties Baukastentechnik ist nun das genaue Gegenteil, absolut undramatisch, ohne jede Entwicklung und im besten Sinne absichts­los – Musik als Dekoration. Es ist nicht überliefert, wie Peladan auf Saties Komposition reagierte…

Auf insgesamt 5 CDs hat Schleiermacher aus­gewählte Klavierwerke Saties eingespielt, darunter etliches aus der Rosenkreuzerzeit, aber auch viele Stücke mit merkwürdigen Titeln wie „Unappetitli­cher Choral“ oder „Kalte Stücke“ und den berühm­ten rätselhaften Zwischentexten, die keinesfalls laut zu lesen sind – und deshalb allenfalls die Gedanken des Pianisten abschweifen lassen. Viel­leicht auch ein Mittel, „absichtsloses“ Musizieren zu erzwingen? In Zusammenarbeit mit der Buch­künstlerin Sabine Golde entstand eine luxuriös ausgestattete Notenausgabe mit CD und Original­lithografien von Saties „Sports et Divertissements“ und „La Piège de Méduse“. „Satiesfictions – Pro­menades with Erik Satie“ ist ein absolut sehens­werter Film betitelt, der nicht nur Wissenswertes aus dem Leben des kauzigen Sonderlings be­richtet, sondern mit filmischen Mitteln Saties ästhetische Prinzipien zu befolgen versucht.

Filmausschnitt hierzu:

www.youtube.com/watch?v=hr4hyGwtu8a

Während Saties Einfluss auf nachfolgende Generationen und insbesondere auf die Minimal Music lange Zeit nicht erkannt wurde, bestand an der Bedeutung der sogenannten Zweiten Wiener Schule spätestens seit den 1950er Jahren kein Zweifel. Es ist Steffen Schleiermachers großes Verdienst, dass er sich in seiner Reihe „The

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Der Grad der Freiheit und Verantwortung, den Cage seinen Interpreten überlässt, wird mit der Zeit immer größer. „Music for Piano 1 ­ 85“ und „Electronic Music for Piano“ überlassen dem Pianisten zahlreiche Entscheidungen, angefangen von Tondauern und Dynamik bis zu der Frage, ob die Stücke einzeln oder simultan gespielt werden… Durchaus virtuos geht es in den groß­formatigen „Etudes Australes“ und der „Music of Changes“ zu – Werke, denen Zufallsopera­tionen zu Grunde liegen wie das chinesische Orakel I Ging oder die Verwendung von Karten des südlichen Sternenhimmels. Cage wollte „ab­sichtsloses“ Komponieren und damit eine radikale Abkehr von der europäischen Musiktradition, für die zunächst die Entwicklung zu einem Ziel oder Höhepunkt von entscheidender Bedeutung ist. Vordergründig hohen Unterhaltungswert haben etliche Stücke aus der mittleren Schaffenszeit wie „Water Music“, „Winter Music“ oder „Music Walk“, die als weitere Auflösung traditionellen Konzer­tierens zu verstehen sind, bevor im Spätwerk die sogenannten „Number Pieces“ die Oberhand ge­winnen, Stücke, deren Titel aus Nummern be­stehen, die die Anzahl der Spieler angeben. Aus Schleiermachers langjähriger Beschäftigung mit John Cage ist ein Dokumentarfilm entstanden, der mit viel Originalmaterial, Interviews u. a. mit Yoko Ono, David Tudor, Toshio Hosokawa und Steffen Schleiermacher Leben und Werk des amerikanischen Pilzkenners näher bringt.

Filmausschnitt hierzu:

www.youtube.com/watch?v=k8gmr0rKad4

Insgesamt 18 CDs in 10 Folgen umfasst die vielfach preisgekrönte – allein dreimal gab´s dafür den ECHO Klassik – Gesamtaufnahme der Klaviermusik von John Cage. Eine davon ist einem großen Vorbild gewidmet: „Hommage à Erik Satie“. Das revolutionär Neue in Saties Musik erkannte Cage schon früh. Und so ist es kein Wunder, dass Steffen Schleiermacher sich auch diesem lange völlig unterschätzten Komponisten

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Frage, was denn in Cages Schaffen als „Werk“ zu bezeichnen ist, nicht ganz einfach zu beantworten: Da gibt es Vieles, das einer Aufbereitung durch den Interpreten bedarf; manche Stücke können wenige Minuten, aber auch mehrere Stunden dauern; was ist von der Anweisung „As Slow As Possible“ zu halten? Und so weiter. Den Auftakt bilden die vergleichsweise eindeutigen Stücke für präpariertes Klavier. Das präparierte Klavier gilt als eine Erfindung Cages. Weil für die Auf­führung einer Ballettkomposition nicht genug Platz auf der Bühne für das Ensemble von Bambus trommeln vorhanden war, setzte sich Cage an das beiseite stehende notleidende Kla­vier und experimentierte mit Radiergummis, Holzstäben, Schrauben und was sonst gerade greifbar war, die er zwischen die Saiten steckte. Heraus kamen verblüffende Obertoneffekte, fremdartige Farben und überhaupt eine oft per­kussive Klangvielfalt, die die Bambustrommeln entbehrlich machten. Für den Pianisten erwächst daraus eine neue Herausforderung: Zwar no­tiert Cage seine Präpa ra tionsanweisungen sehr penibel, zenti me ter ge nau beschreibt er, wo der „iron bolt“ zu platzieren ist, unterscheidet zwischen den verschie de ns ten Materialien und Schraubenformen; in der Praxis erweist sich die Anweisung allerdings als enorm interpretations­bedürftig, weichen die Verhältnisse doch von Klavier zu Klavier, in Abhängigkeit von Saiten­längen und Bauformen, stark voneinander ab. Bereits hier zeigt sich Steffen Schleiermachers Ausnahmetalent, wenn es um das Ausloten des Unbekannten geht. Mit einem feinen Gespür für die Nuancen des Möglichen findet er Klangfarben, die Publikum wie Kritik gleichermaßen begeistern. Schon diese erste Folge, die auf drei CDs alle Werke für präpariertes Klavier enthält, darunter den großen Zyklus „Sonatas and Interludes“, wird ein sensationeller Erfolg.

Filmausschnitt:

“and the earth shall Bear again”

unter: https://vimeo.com/165301765

CLASS : aktuell

22 AusgAbe 2016/2

Viennese School – Teachers and Followers“ nicht auf die Trias Arnold Schönberg – Anton Webern – Alban Berg beschränkt. Denn auch Webern und Berg haben Unterricht erteilt, und was deren Schüler komponiert haben, ist weit­gehend unbekannt. Auf je einer CD werden Werke des Lehrers mit denjenigen seiner Schüler kon­frontiert, und man wundert sich gelegentlich, wie selbständig sich die Nachfolger entwickelten. Echte Entdeckungen sind dabei, wie die 20 Minia­turen des „Tombeau de Vincent van Gogh“ des Webern­Schülers Fré Focke, oder „Die Maschine“ von Berg­Schüler Fritz Heinrich Klein – das, sehr zu Schönbergs Ärger, erste gedruckte Zwölfton­stück überhaupt! Arnold Schönberg, der zunächst in Wien, dann in Berlin und schließlich im ame­rikanischen Exil in Los Angeles unterrichtete, sind sogar 2 CDs gewidmet – und interessanter­weise findet man auch John Cage, der hier mit „Variations I“ vertreten ist, unter seinen Schülern. Allerdings hatten die beiden, wie man sich leicht denken kann, wohl nicht viel Freude aneinander.

Dass Arnold Schönberg beim Anspruch auf die Urheberschaft der Zwölftonmusik keinen Spaß verstand, musste nicht nur Fritz Heinrich Klein erfahren. Auch Josef Matthias Hauer konnte ein Lied davon singen – zumal singen, oder ganz allgemein das „Melos“ bei Hauer im Zentrum musikalischen Schaffens stand. Einen gänzlich anderen Weg als Schönberg verfolgend, beharrte er bis zu seinem Lebensende darauf, der eigentliche Schöpfer der Musik mit den zwölf Tönen zu sein – ja eigentlich sei die ge­samte Musik in seinem System bereits enthalten. Im Gegensatz zu Schönbergs expressionistischer, auf Bach, Beethoven und Brahms aufbauenden Tonsprache schafft Hauer tatsächlich etwas radikal Neues. Er ordnet das Tonmaterial in so­genannten „Tropen“, aus denen er das „Melos“ entwickelt. Motivverarbeitung spielt eher keine Rolle, und so entsteht eine spannungsfreie Musik von ganz eigentümlicher Wirkung. Im

Regelfall enden die oft kurzen Stücke, viele mit dem Titel „Zwölftonspiel“, auf einem harmoni­schen Dur­Akkord – bei Schönberg allerstrengs­tens verboten! Vieles spricht dafür, dass es Hauer ist, der sich hinter dem „Joculator Basiliensis“ in Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ verbirgt.

Für seine „Präludien und Melodien“ fordert Hauer stets ein „wohltemperiertes“ Instrument; gelegentlich schreibt er konkret Harmonium oder Celesta vor. Besonders die Stücke mit Celesta gewinnen etwas Überirdisch­Sphärisches, das im Wechsel mit Harmonium und Klavier her­vorragend zur Entfaltung kommt. Gemeinsam mit Bariton Holger Falk erweist sich die CD „Musik mit Hölderlin“, die Klavierstücke Hauers mit Überschriften nach Hölderlin und Lieder auf Texte des großen Dichters umfasst, als über­raschende Entdeckung.

Mit Holger Falk verbindet Steffen Schleier­macher eine besondere künstlerische Freund­schaft. „Sind noch Lieder zu singen?“ war ein Konzertprogramm im vergangenen Jahr über­schrieben – um die Antwort gleich hinterher­zuschicken: Selbstverständlich! Wolfgang Rihm, der ein Gespür für ganz besondere Texte hat, ver­tonte mit dem „Wölffli­Liederbuch“, den „Lenz­Fragmenten“ und den „Sechs Gedichten von Friedrich Nietzsche“ Vorlagen von Menschen in zerbrechlicher oder gar zerrütteter psychischer Verfassung. Im Falle des „Wölffli­Liederbuchs“ war der namengebende Autor gar in geschlos­sener psychiatrischer Verwahrung, was der er­schütternden poetischen Qualität der Texte kei­nen Abbruch tut. Genie und Wahnsinn – nicht nur bei Nietzsche ist das nahe beieinander.

Und wieder Erik Satie: Die jüngste Einspie­lung mit Holger Falk und Steffen Schleiermacher umfasst sämtliche „Mélodies et Chansons“, in denen der wandlungsfähige Bariton sein enormes schauspielerisches Talent einbringen kann. Die literarischen Vorlagen sind von eher zweifelhafter Qualität – dafür macht der sehr spezielle Humor

des eigenbrötlerischen Komponisten Einiges wett. Bei einigen Cabaret­Liedern sind die Texte verloren gegangen, und was Holger Falk damit anstellt, ist absolut hörenswert. Liebhabern der französischen Sprache sei auch „Les Oiseaux“ sehr an Herz gelegt…

Für die Musik des 20. Jahrhunderts sind die „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt“ von ganz besonderer Bedeutung. Seit 1946 treffen sich regelmäßig, anfangs auf Schloss Kranichstein, später an anderen Orten in der Stadt Musikenthusiasten aus aller Welt zu einem Festival der zeitgenössischen Musik. Be­sonders in den 1950er Jahren war der Einfluss, der von Darmstadt ausging, enorm; die Serielle Musik, eine Kompositionsmethode, die Schön­bergs Reihentechnik auch auf andere Parameter als nur die Tonhöhe bezieht, wurde hier intensiv betrieben. Steffen Schleiermacher, der 1986 selbst den Kranichsteiner Musikpreis erhielt, hat die „Darmstädter Schule“ mit zwei CD­Einspielungen gewürdigt. Neben den Matadoren der Seriellen Musik Karlheinz Stockhausen, Pièrre Boulez und Olivier Messiaen auf Volume 1 kommen auf der zweiten Folge auch jüngere Komponisten mit ande­ren Interessen wie Maurizio Kagel, Helmut Lachen­mann und Steffen Schleiermacher selbst zu Gehör.

Eine ganz persönliche Zusammenstellung hat Steffen Schleiermacher mit „Teachers – Friends – Colleagues“ vorgelegt. Die mit einem „ECHO Klassik“ ausgezeichnete CD enthält Werke von Schleiermachers Lehrern Friedrich Goldmann,

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Siegfried Thiele und Friedrich Schenker, außer­dem Stücke von Weggefährten, Freunden und Kollegen. Etliches davon ist in der DDR entstanden, und es mag den einen oder anderen überraschen, was trotz geschlossener Grenzen in der Musik alles möglich war. Die Avantgarde war auch in der DDR stets auf der Höhe der Zeit, was politische Anspielung keineswegs ausschließt. So heißt es in der Spielanweisung zu Reiner Bredemeyers „Klavierstück 3“: „Der Spieler ergänzt, kontert, kommentiert und synchronisiert mit geschlosse­nem Mund summend“ – wer dachte da nicht an die eingeschränkte Meinungsfreiheit?

Steffen Schleiermacher, der in Halle an der Saale aufgewachsen ist, hat die Reisemöglich­keiten, die ihm die DDR ermöglichte, reichlich genutzt. Im Ausland hat er sich, sobald irgend möglich, vom offiziellen Programm mit der Be­sichtigung der industriellen Errungenschaften der sozialistischen Bruderstaaten verabschiedet, um die Eigenarten des Gastlandes kennen zu lernen – sicher nicht immer zur Freude der Reiseleitung. Auf diese Weise hat er sich profunde Kenntnisse über Musik und Kultur etlicher Weltregionen an­eignen können, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Grundlage für weitere ge zielte Exkur­sionen bildeten. Immer wieder wird Schleier­macher zu Meisterkursen auch in entfernte Gegen­den eingeladen – sei es als Komponist oder als profunder Kenner zeitgenössischer Klaviermusik.

Die dabei gewonnenen Eindrücke schlagen sich in einer ganzen Reihe von CD­Produktionen

nieder, wie „Asia Piano Avangarde“ mit Musik aus Japan und Indonesien, „British!“, „Tschechische Avantgarde“ oder „American Ultramodernists“. Überhaupt spielt die Musik Amerikas auch jen­seits von Cage eine große Rolle. Morton Feldman mit seinen ausladenden Werken ist eine Reihe mit den späten Klavierstücken gewidmet. Wie „for John Cage“, das Schleiermacher gemeinsam mit Gewandhauskonzertmeister Andreas Seidel musi­ziert, sind auch Feldmans „Patterns in a Chromatic Field“, bei denen Christian Giger den Cellopart übernimmt, mit an die 80 Minuten Spielzeit an der Grenze des technisch machbaren. Immer wiederkehrende Muster werden so eingearbeitet, wie anatolische Teppichknüpfer ihre überlie­ferten Formen herstellen: Aus dem Gedächtnis, Abweichungen vom Grundmuster nicht suchend und nicht vermeidend, sondern absichtslos akzep­tierend. Mit den Minimalisten Philip Glass und Terry Riley begibt Schleiermacher sich auf das Gebiet der synthetischen Klangerzeugung. Bei Earl Brown hatte Schleiermacher Kompositions­unterricht – sofern man da von Unterricht reden kann. Auf jeden Fall hat die Auseinandersetzung mit der amerikanischen und auch der asiati­schen Musik Spuren in seinem kompositorischen Schaffen hinterlassen. Oft verwendet er ver­trackte Rhythmen, die durchgehende, manch­mal minimalistisch wirkende Motorik wird von einzelnen Sechzehnteln „gestört“, wie man es in der Gamelan­Musik Indonesiens immer wieder findet. Das ist für die Ausführenden durchaus

schwierig, fürs Publikum aber sehr attraktiv. Kompositionsaufträge namhafter Institutionen bleiben deshalb nicht aus: Für das Gewandhaus­orchester schrieb er mehrere Werke, ebenso für das Konzerthausorchester Berlin und die Dresdner Philharmonie.

Das Schöne an der Neuen Musik ist ja: Es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Damit das so bleibt, hat Steffen Schleiermacher weitere CD­Projekte in Planung. Nach einer Ensemble­einspielung und einer CD mit Klavierwerken ist eine dritte Veröffentlichung eigener Werke in Vor­bereitung. Eine Auswahl der Lieder von Hanns Eisler ist, wieder gemeinsam mit Holger Falk, geplant, und auch die Aufnahme von Federico Mompous „Musica Callada“ findet eine Fort set­zung mit kleineren Zyklen des katalanischen Sonderlings. Drei gute Gründe, sich auf die Zukunft zu freuen! Klaus Friedrich

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„Eine gelehrte und zugleich stü� rmische Musik!“ Julien Green 1987

Max Reger (1873 – 1916)

Gesamteinspielung der Werke für Violine allein

Renate Eggebrecht, Violine

Ihre technische Souveränität,die nie zum Selbstzweck gerät,wird dabei zum Mittel einerDarstellung, die stets Klarheitder Linienfü� hrung mit Intensitätdes Ausdrucks verbindet.

Pizzicato 2003

„Hab jetzt 6 Solosonaten fü� r die Geigeallein geschrieben. Mir geht’s gut, wie’sden Geigen geht dabei, weiß ich nicht!“

Reger, 1905

Pionierarbeit? Zweifellos! Hut ab vor so viel Mut, denn dies ist ein hartesStück Arbeit! Das Spiel der Interpretin ist kultiviert und versiert. Alles iststraff strukturiert und konzentriert. Eine beachtenswerte Gesamtleis-tung! Mit Engagement und Können leistet die Violinistin Pionierarbeit!

TRO-CD 01422Vier Sonaten op. 42

TRO-CD 01416 (2-CDs)Sieben Sonaten op. 91

TRO-CD 01425Sieben Präludien und Fugen,Chaconne op. 117

TRO-CD 01427Sechs Präludien und Fugen op. 131a Präludium und Fuge a-Moll Präludium e-MollChaconnen opp. 42, 91, 117

Vertrieb: Klassik CenterTel. 0561 935 14 0 • Fax 0561 935 14 [email protected] • www.classicdisc.de

TROUBADISCTel. +49 (0) 89 7142357 • Fax +49 (0) 89 71000850E-Mail: [email protected] • www.troubadisc.de

„… Nun sollen die Werke für den Heimgegangenen reden. Möchten sie noch Vielen Freude bringen und uns derVerlust dieses großen, guten Menschen und genialen Musikers mit der Zeit vergessen machen. Es wäre derschönste Lohn seines kurzen Lebens, das köstlich war, weil es Mühe und Arbeit gewesen ist!“ Fritz Busch, 1916

Anzeige Reger, Class, 2016_Klassik 01.05.16 13:14 Seite 1

TRO-CD 01437Klavierkonzert f-Moll op. 114Wolfram Lorenzen, Klavier

„Triumph fü� r Reger und Lorenzen – der Pianistinterpretiert kongenial! Eine atemberaubende Technik und dies ganz besonders, eine ü� berlegeneGestaltung …“ Basler Zeitung 2011

TRO-CD 01438Klavierwerke, Sonatinen op. 89Humoresken op. 20, Bachvariationen op. 81 Wolfram Lorenzen, Klavier

„Eine perfekt gefü� hrte Klangregie – Ich verneigemich vor Lorenzens kraftvoller, aber auch umsichti-ger, maßvoller Virtuosität – geglü� ckt, ü� berzeugend!“

Peter Cossé 2011

TRO-CD 01413Klavierkammermusik Vol. 1Sonaten fü� r Violine und Klavier opp. 72 und 139Renate Eggebrecht, ViolineWolfram Lorenzen, KlavierSiegfried Mauser, Klavier

„The performers deliver a passionate account ofthe Sonatas, an important side of Reger’s output!“

Gramophone 1999

TRO-CD 01413Klavierkammermusik Vol. 3Klavierquartette opp. 113 und 133Fanny Mendelssohn QuartettWolfram Lorenzen, Klavier

„Plenty to enjoy, and the sound is excellent!“Gramophone 1999

TRO-CD 01414Klavierkammermusik Vol. 2Klavierquintett op. 64, Klaviertrio op. 102Wolfram Lorenzen, KlavierFanny Mendelssohn Quartett

„Die Musiker spielen mit kraftvollem Ton und leidenschaftlich erregt, aber dennoch stets kultiviertund klangschön – eine sehr spannende Inter -pretation.“ Fono Forum 1998

„Dann gehe ich jetzt an ein Klavierquar-tett op. 133 in a moll. Heute bin ich noch

Hofbeamter – morgen bin ich ‚Freiherr‘!“Reger, 30. Juni 1914

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Peter Albrecht sprach mit Friedemann Eichhorn und Alexander Hülshoff über ihre neue CD mit Duos für Violine und Cello von François Schubert und Frédéric Kummer, ein kongeniales Komponisten-Duo der Romantik.

Was kann sich der Hörer unter den Duos von Schubert und Kummer vorstellen?

F. Eichhorn: „Das Spielen dieser Virtuosenstücke als Duo ist ein sehr kommunikatives Erlebnis: Die virtuosen Passagen wechseln sich ständig ab und versuchen sich zu übertreffen an Brillanz und Leiden-schaft – während einer brilliert, begleitet der andere und breitet gleichsam den Teppich aus, auf dem der Partner Saltos schlagen darf. Schubert und Kummer haben sich dann immer wieder witzige, hyper-virtuose Gesten als kurze Kommentare einfallen lassen. Das ist einfach ein pures Vergnügen und man muss das ironisch und mit Augenzwinkern spielen. Schwefelgelb und lässig würde ich sagen.“

A. hüLShoFF: „Gleichzeitig war Virtuosität nie Selbstzweck für die Künstler sondern vielmehr ein offenherziger impuls an das Publikum, der für die Leidenschaft der Musik steht. Friedemann und ich haben viele Stücke für Violine und cello aus der Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt. Zum ersten Mal in der Musikgeschichte beherrschte „der Solist“ die musikalische Welt und die herzen der Musikliebhaber. Die Duos dieser Zeit erzählen uns diese Geschichte, eine Geschichte der romantisch-instrumentalen Stürme.“

Wie ging die Einstudierung vonstatten?F. E.:„Wir haben uns vorgestellt, wie sich Kummer und Schubert beim

gemeinsamen Komponieren wohl gefühlt haben – das müssen Feste des Musizierens gewesen sein, höchst inspiriert. An die Stücke sind wir sehr improvisatorisch herangegangen und haben versucht, hin-sichtlich Virtuosität und melodischem Ausdruckswille die Vorlage noch zu steigern.“

A. h.: „Also ein Allegro spielen wir schon im obersten Tempobereich und einige hübsche Stricharten haben wir hinzugefügt. Die Duos sind aberwitzig virtuos und bilden –neben den Duos von Francois Servais

– das instrumentale high-end dieser Gattung. Make it sound easy – das ist unser Konzept.“

Make it sound easy

Fréderic Kummer und François Schubert: Duos für Violine und Cello Friedemann Eichhorn, Violine Alexander Hülshoff, CelloNAXOS 8.573000

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CLASS : aktuell

Schaffen nieder: So hören wir in Rotts Symphonie vieles, was uns an Mahler erinnert – oder rich-tiger: was auf ihn voraus weist, ihn antizipiert. Denn man muss sich vor Augen führen: Im Jahr 1880, in welchem Rott seine Symphonie been-dete, war Mahler noch acht Jahre von der Kom-position seiner ersten Symphonie entfernt.

„Nicht ohne Stolz zähle ich mich zu den ersten ‚Jüngern’ nach der sensationellen Neu-entdeckung dieses Kunstwerks im Jahr 1989. So fiel mir die CD der Ersteinspielung bereits kurze Zeit nach Veröffentlichung in die Hände. Diese entfachte sofort meine jugendliche Be-geisterung, kam doch in dieser Musik hörbar Rotts Verehrung für Wagner und Bruckner – den Leitsternen meiner Jugend – zum Aus-druck. Ich freue mich sehr, mit diesem Livemit-schnitt nun einen ganz persönlichen Beitrag zur Würdigung des Genies Hans Rott und zur weiteren Verbreitung seines Hauptwerkes leis-ten zu dürfen.“ sagt der Dirigent Constantin Trinks, der für Profil Edition Günter Hänssler diese Rarität 2015 zusammen mit dem Mozar-teumorchester Salzburg einspielte.

Contantin Trinks / Kerstin Hänßler

„Der Begründer der Neuen Symphonie, wie ich sie verstehe“

Gustav Mahler

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Hans Rott: Symphonie Nr. 1 Mozarteumorchester SalzburgConstantin Trinks Profil Edition Günter Hänssler

CD PH15051

bereits erschienen: Jaromír Weinberger Schwanda, der Dudelsackpfeifer Oper in zwei Akten; Libretto von Milos KaresChristoph Pohl, Marjorie Owens, Ladislav Elgr, Tichina Vaughn, Tilmann Rönnebeck, Michael Eder, Simeon Esper u.a.Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden; Staatskapelle Dresden, Constantin TrinksProfil Edition Günter Hänssler

PH13039 ( 2 CDs )

Hans Rott war ein genialisch-begabter Kom-ponist des 19. Jahrhunderts, Bruckner-Schüler und Mahler-Kommilitone in Wien,

der im Alter von nur 21 Jahren eine hoch ambitio-nierte Symphonie von Brucknerschen Dimensio-nen schrieb, und welche Gustav Mahler als wich-tige Inspirationsquelle dienen sollte; der dann aber in geistige Verwirrung und Depressionen verfiel und die letzten fünf Jahre seines kurzen Lebens – Rott starb nicht ganz sechsundzwanzigjährig – in der geschlossenen Anstalt verbringen musste.

Gustav Mahler fand für seinen Wiener Studien-kollegen und Freund Hans Rott bewundernde Worte: „Was die Musik an ihm verloren hat, ist gar nicht zu ermessen. Er ist meinem Eigensten so verwandt, dass er und ich mir wie zwei Früchte von demselben Baum erscheinen, die derselbe Boden erzeugt, die gleiche Luft genährt hat. An ihm hätte ich unendlich viel haben können und vielleicht hätten wir zwei zusammen den Inhalt dieser neuen Zeit, die für die Musik anbrach, einigermaßen erschöpft.“

Die Bewunderung für den zwei Jahre älteren, jedoch allzu früh verstorbenen Freund schlug sich auch in Mahlers eigenem kompositorischen

Die erste und einzige Symphonie von Hans Rott wurde erst 1989 entdeckt, uraufgeführt und auf Tonträger eingespielt. Die aktuelle Live-Aufnahme des Mozarteumorchester Salzburg

unter der Leitung von Constantin Trinks ist die insgesamt elfte Veröffentlichung dieser bemerkenswerten

Symphonie, die der Komponist 21jährig vollendete.

Aktuelle Konzerte: Mai Opéra du strasbourg

Juni busan (Korea), Duisburg, München

Juli München, Münchener Philharmoniker

www.constantintrinks.com

28 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell

Über fast die gesamte Zeit seiner Kar­riere hat Johann Sebastian Bach Kan­taten für den Gebrauch im Gottesdienst komponiert; man nimmt an, dass er

wahrscheinlich rund 300 Werke dieser Art schuf. Etwa 200 davon sind überliefert; die ersten stammen aus J.S. Bachs Zeit als Organist in Arnstadt (1703 ­1707) und die letzten entstan­den nur ein oder zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 1750. Als Masaaki Suzuki und sein Bach Collegium Japan 1995 ihr monumentales Abenteuer begannen, all diese Werke aufzu­nehmen, entschlossen sie sich, chronologisch Bachs Fußspuren zu folgen. Deshalb enthält Vol. 1 ihrer Serie (Disc 1 dieser Box) drei der ersten Kantaten (BWV 4, 150 und 196), und die Serie endet mit der letzten: „Lobe den Herrn, meine Seele“ (BWV 69).

Freue dich, erlöste Schar! Bachs sämtliche geistlichen Kantaten auf SACD

sionen stets mehr als nur freundlich aufgenom­men; als er 2011 im Penguin Guide unter den 1000 Finest Classical Recordings genannt wurde, war er noch nicht einmal vollendet!

Die bemerkenswert gleichbleibende Qualität der Einspielungen über die gesamte Dauer die­ses Langzeitprojekts ist insbesondere Masaaki Suzuki zu verdanken, der schon bei der Ein füh­rung in die Serie 1995 seiner Überzeugung Aus­druck gab: „Bachs Musik enthält eine Botschaft, die das menschliche Herz anrührt, unabhängig von Nationalität oder kultureller Tradition.“ Viele seiner Musiker – Solisten, Chorsänger und Ins­trumentalisten – sind dem Projekt über die Jahre bemerkenswert treu geblieben, wie auch die Shoin Women’s University in Kobe, die ihre Kapelle die ganze Zeit über als Aufnahmeort zur Verfügung stellte. A. Rainer

Der über einen Zeitraum von 19 Jahren ein­gespielte und veröffentlichte Zyklus erwarb sich internationale Anerkennung sowie Respekt der Kritiker und Experten für Masaaki Suzuki und sein Team dank der exzellenten Qualität der In­terpretationen, aber auch für die vorsichtige, re­spektvolle Annäherung an die Musik. Ein Kritiker schrieb, es gehe hier wohl eher um „verehrungs­volle Tiefe als um brillante Selbstdarstellung.“

Gleich die erste CD der Serie wurde im BBC Music Magazine 2012 unter den „besten CDs der letzten 20 Jahre“ gelistet, und die letzte Folge wur­de 2013 zur Editor’s Choice in Gramophone und Recording of the Month des BBC Music Magazine. 2014 wurde die Serie mit einem ECHO Klassik als „editorische Leistung des Jahres“ ausgezeichnet.

Kritiker haben Masaaki Suzukis Kantaten­zyklus über die 18 Jahre in zahllosen Rezen­

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NeBeN 55 Super Audio-CdS eNthält die Box:

• ein 208seitiges Booklet mit Tracklistings, einem Essay über die geistlichen Kantaten von Dr. Klaus Hofmann (in englisch, deutsch und französisch) und Indices

• ein 376seitiges Booklet mit sämtlichen Gesangstexten auf deutsch mit englischer Übersetzung

Neben den vollständigen Kantaten enthalten die Aufnahmen auch zahlreiche Fragmente und Alternativsätze

Johann Sebastian BachSämtliche geistliche Kantaten Bach Collegium Japan unter der Leitung von Masaaki Suzuki; Unter den Vokalsolisten:Hana Blažiková, Yukari Nonoshita und Carolyn Sampson, SopranRobin Blaze und Yoshikazu Mera, AltusGerd Türk und Makoto Sakurada, TenorPeter Kooij, BassBiS 9055 (Box mit 55 SACDs)

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CLASS : aktuell Im Blickpunkt

Orchester

George Butterworth (1885-1916)OrchesterwerkeIdyll: ‘The Banks of Green Willow’Six Songs from ‘A Shropshire Lad’*(orchestriert von Kriss Russman)**Rhapsody ‘A Shropshire Lad’; Two English Idylls; Suite for String Quar tette (für Streichorchester arrangiert)**Love Blows as the Wind Blows (vervollständigt von Kriss Russman)* **BBC National Orchestra of Wales, Kriss Russman*James Rutherford, Bariton ** ErsteinspielungBIS-SACD-2195

Als der mit Ralph Vaughan Williams befreundete Butterworth (beide hatten am Trinity College in Oxford studiert) 1914 in die Armee eintrat, hatte er gerade den Liedzyklus „Six Songs from ‚A Shropshire Lad‘“ wie auch die „Rhapsody ‚A Shropshire Lad‘“ vollendet, die er ei­nen „orchestralen Epilog“ zu seinen Ver­tonungen der Lieder von A. E. Housman bezeichnete. Viele englische Komponis­ten seiner Zeit vertonten Gedichte von Housman, aber keine dieser Kompo­sitionen erreichte die Popularität der beiden Liedzyklen (für Singstimme und Klavier) von Butterworth. Diese Rhapso­die ist seither als eines der „großartigsten englischen Orchesterwerke“ benannt worden, und ihr Komponist galt als eine der ganz großen Hoffnungen englischer Musik, eine Hoffnung, die im August 1916 an der Somme ihr Ende fand.

Begrabene Hoffnung

Einige Manuskripte hatte Butterworth vor seinem Einrücken noch vernichtet, weil er sie ungenügend fand. „Überlebt“ hat dies eine „Orchestral Fantasia“, de­ren Komposition er erst kurz vor dem Krieg begonnen hatte. Ein 3 ½ Minuten langes Fragment hatte er bereits fertig­gestellt. Kriss Russman hat dieses Frag­ment vollendet, wie er auch die Streich­orchesterversion der „Suite for String Quartette“ (sic!) schuf. Insgesamt bie­tet diese SACD die Wiederentdeckung eines Großen der englischen Musik.

Ottorino Respighi – Sinfonia drammaticaSinfonia drammatica (1913 -1914)Belfagor, ouverture per orchestra (1924)Orchestre Philharmonique Royal de Liège, John NeschlingBIS-SACD-2210

Respighi wird vor allem mit seiner „römischen Trilogie” verbunden, die zwischen 1916 und 1928 entstand und die „ewige Stadt“ mit ihren Brunnen, Kiefern und Festivals feiert. Dabei war Respighi ein in vielen Genres profilierter Komponist, und alle seine Orchester­werke, auch die vor und nach der „römi­schen Trilogie“, bieten hohe Qualität. Seine Orchesterwerke lassen Einflüsse des französischen Impressionismus er­kennen; die Klangsprache von Maurice Ravel war ihm sehr nahe. Doch Respighi war auch ein Vertreter des Klassizismus in Italien. Und so setzen John Neschling und das Orchestre Philharmonique Ro­yal de Liège ihre Erforschung Respighi­scher Orchesterkompositionen fort mit dieser dritten Folge und der „Sinfonia drammatica“, einem großformatigen Werk von epischen Dimensionen (Spiel­dauer über 58 Minuten).

Episch sinfonischDas mag der Hauptgrund sein, war­

um es nur selten gespielt wird. Das Stück hat einen dunklen, intensiven, dramati­schen Charakter, der alle überraschen wird, die Respighi nur von seiner extro­vertierten Seite her kennen. Besser be­kannt ist die „Belfagor“ Ouvertüre, ein 1924 entstandenes Werk, in dem Respighi Material einer Oper gleichen Titels auf­greift, die 1923 mit großem Erfolg Pre­miere hatte. Diese „lyrische Ko mödie“ erzählt die Geschichte eines Teufels – Belfagor –, der auf die Erde kommt, um mehr über die Liebe zwischen Men­schen zu lernen. Die Orchesterouver­türe beschreibt die beiden Hauptfiguren, Belfagor und Candida, „das Mädchen, rein, liebend und treu.“

Igor StrawinskyPulcinella Suite (1924)Apollon musagète (1928)Konzert in D für Streichorchester (1946)Tapiola Sinfonietta, Masaaki SuzukiBIS-SACD-2211

Masaaki Suzuki hat sich weltweit als eine der führenden Persönlichkeiten der Bach­Interpretation profiliert, sowohl als Leiter des Bach Collegium Japan wie auch als Organist und Cembalist. Seit einigen Jahren schon steht er aber auch immer wieder am Pult bedeutender Orchester und dirigiert dann keines­wegs Barockmusik, sondern Britten, Fauré oder Mahler. Und folgt damit den Spuren vieler Künstler, die ihr beson­deres Profil zunächst im Bereich der Alten Musik hatten. Interpretatorisch ist es oft besonders spannend, wenn sie ihre Erfahrungen aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis in die Musik späterer Zeiten einbringen.

Mal ganz was anderes

Für seine erste Aufnahme mit Werken des 20. Jahrhunderts hat Suzuki sich zusammen mit der gefeierten Tapiola Sinfonietta für ein reines Strawinsky­Programm entschieden. Und dies gleich mit zwei Hauptwerken, der Pulcinella Suite und Apollon musagète. Von der Pulcinella Suite, entstanden 1919 für die Ballets Russes in Paris, sagte ihr Schöpfer selbst, sie sei der Türöffner gewesen, durch die sein ganzes späte­res Werk erst möglich geworden sei. Apollon musagète ist deshalb so be­deutsam, weil sich Strawinsky hier mit der französischen Musik des 17. und 18. Jahrhunderts auseinandersetzt. Historie verarbeitet er auch in dem Konzert in D, das eine Hommage an das barocke Concerto grosso im Sinne Vivaldis und Bachs ist.

barockmusik

Towards Heaven – Dem Himmel entgegenWerke von Georg Muffat, Carl Rosier, Georg Philipp Telemann, Élisabeth-Claude Jacquet de la GuerreCölner BarockorchesterCoviello ClASSICS COV 91603

Himmlisches hat das Cölner Barock­orchester auf seiner neuen CD einge­spielt. Himmlisches gibt es aber auch in der Musik nur als Kontrast zu den Beschwernissen des irdischen Lebens, und diesen zeichnet das Ensemble in der ausdrucksstarken Sprache der um 1700 entstandenen Musik nach: In Georg Muffats eröffnender Sonate herrscht noch das Grave und die düstere Stimmung vor; die Oper „Céphale et Procris“ von Élisabeth­Claude Jacquet de la Guerre handelt von einer dramatischen Liebe, die schließlich in Mord und Totschlag endet – was nicht ohne Wirkung auf die Ausdruckswelt ihrer hier eingespielten instrumentalen Zwischenspiele bleibt.

HimmlischTelemann bringt mit seiner Viel­

seitigkeit und der Ouvertürensuite „La Changeante“ („Die Wechselhafte“) den Wechsel zu lichteren Welten, an die sich eine Sonate des Kölner Domkapellmeis­ter Carl Rosier mit rheinischem Frohsinn anschließt. Mit Muffats Concerto „Propitia Sydera“ („günstiges Gestirn“) ist schließ­lich die himmlische Sphäre erreicht. Auf höchstem musikalischem Niveau ent­steht ein faszinierendes Bild des Span­nungsfelds barocker Affekte zwischen Erdenschwere und Jenseitsbezug.

30 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell Im Blickpunkt

Vocalises-Etudes für Saxophon und Klavier vonDukas, Auric, Poulenc, Jongen, Messiaen, Honegger, Roussel, Canteloube, Milhaud, de Bréville, Schmitt, Ravel, Vierne, Huré, Ibert, Lajtha, Labinsky, Gretchaninow, Tscherepnin, Martinu, Malipiero, Nielsen und Villa-LobosHarry White, SaxophonEdward Rushton, KlavierBIS-CD-9056

Eine Melodie auf nur einer Silbe zu singen, bringt technische Schwierigkeiten mit sich: ein sauberes Legato, weiche Registerübergänge und auch die Intona­tion können Probleme bereiten. Daher sind Vokalisen (und ihre Erarbeitung) immer schon ein probates Übungsele­ment der Gesangslehrer. Sie beginnen meist damit, bestehende Lieder ohne Text singen zu lassen. Im 19. Jahrhundert erschienen zu diesem Zweck spezielle Studien, die aber in ihrer Monotonie oft ermüdeten. 1906 machte Amédée­Landély Hettich, Gesangslehrer am Pariser Konservatorium, die Vokalise schließlich zu einer eigenen Kunstform.

Geadelte UnterrichtswerkeÜber 30 Jahre lang animierte er Kom­

ponisten, Vokalisen zu schreiben, und 150 davon wurden vom Verlag Alphonse Leduc publiziert. Einige davon wurden in verschiedenen Instrumentalversionen populär – man denke nur an Ravels „en forme de Habanerá“, vom Komponisten selbst für Violoncello transkribiert. Harry White stellt aus dieser Kollektion hier eine Auswahl von 23 besonders eindrucksvollen Vokalisen vor. Der ame­rikanische Saxophonist war von 1990 bis 2001 Mitglied des Raschèr Saxo­phon Quartetts; seit 2001 ist er tätig als Solist, freischaffender Musiker und Pädagoge mit Wohnsitz in Zürich, wo er am Konservatorium unterrichtet. Er hat ein besonderes Faible für die lyrischen Qualitäten seines Instruments, die er mit sanfter Tongebung auf seinem his­torischen Saxophon umsetzt.

Kammermusik

Ludwig van Beethoven (1770-1827)Serenade op. 25Streichtrio op. 3Ardinghello EnsembleMDG 903 1953-6 (Hybrid-sACD)

Nur wenig Kammermusik für die Flöte sind aus Beethovens Feder überliefert. Dabei gelang ihm mit der Serenade op. 25 ein apartes, leichtfüßiges Werk, das das Ardinghello Ensemble gemeinsam mit dem gewichtigen Streichtrio op. 3 jetzt neu eingespielt hat.

Den serenadenhaften Tonfall im Flötentrio findet Beethoven bereits mit den ersten Takten: Eine marschmäßige „Entrata“ zum Einzug der Musikanten eröffnet das Werk ganz in der Tradition, auch wenn die Serenade inzwischen aus dem höfischen Garten in den bürgerli­chen Salon umgezogen ist.

Auch das Trio op. 3 erinnert in seiner äußeren Anlage mit ebenfalls sechs Sätzen an die beliebte Serenade. Dahinter aller­dings offenbart sich Beethoven, wie wir ihn kennen: Akzentverschiebungen stellen die metrische Sicherheit unmittelbar in Frage, die Einzelstimmen entwickeln sich betont gleichwertig, und schon der Umfang des Werks rechtfertigt den Titel „Grand Trio“ allemal.

Zart und gewichtigFür das Ardinghello­Ensemble steht

Beethoven am Anfang einer Epoche be­sonderen Interesses. Die vier Musike­rinnen um den Flötisten Karl Kaiser, die ganz undogmatisch mit den Erkenntnis­sen der historischen Aufführungspraxis spielen, geben sich der Suche nach dem „Fernen Klang“ der Romantik hin – und entdecken dabei Unerhörtes und nie Er­wartetes. Überraschungen garantiert!

Sweet Melancholy Werke für Gamben-Consort von Byrd bis Purcell Cellini ConsortCoviello ClASSICS COV 91604

„Süße Melancholie“ – im England des 16. und frühen 17. Jahrhunderts war das kein Widerspruch. „Melancholy“ galt als edle Geisteshaltung: in milder Abgeklärtheit genoss man den Welt­schmerz geradezu. Das blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die Musik; wobei die Melancholie natürlich auch hier nicht mit Freudlosigkeit oder gar Langeweile verwechselt werden darf, sondern einen einzigartigen und durch­aus faszinierenden Tonfall erzeugt.

Faszinierender Tonfall

Im subtilen Klangbild eines Consorts von zwei oder drei Gamben wird dieser ideal umgesetzt. Diese Consorts waren um 1600 eine weit verbreitete Beset­zung, die Gambe auch in England ein beliebtes Instrument. Es gibt also reich­lich Literatur, das Cellini Consort konn­te bei seiner Neueinspielung aus dem Vollen schöpfen. Neben Tanzsätzen, von denen hier einige eingespielt sind, war die Fantasie damals eine geläufige Form und galt gemeinhin als „die edelste Kunst der Erfindung“. In Werken von William Byrd bis Henry Purcell entsteht ein Stimmungsbild aus dem England jener Zeit, und da ist am Ende dann doch nicht nur Melancholisches dabei.

»Rendez-vous Russe« Werke von Schostakowitsch, Scriabin, Prokofiev, Rachmaninoff und GubaidulinaEva van Grinsven, SaxophonHelena Basilova, KlavierMaria Milstein, ViolineLars Niederstraßer, SaxophonMDG 903 1951-6 (Hybrid-sACD)

Mit „Saxofolk“ und dem Berlage Saxofon Quartet hat Eva van Grinsven ein fulminantes Debütalbum veröffent­licht. Jetzt legt die junge Niederlän­derin nach: „Rendez­vous russe“ spürt der „russischen Seele“ nach. In über­aus wandlungsfähigem Klang verschmilzt ihr Saxofon mit den Instrumenten ihrer Kammermusikpartner, und die feine Artikulation mit ihrer unglaublichen Nähe zur menschlichen Stimme berührt auf besondere Weise.

Mit EmpfindungDas trifft natürlich ganz besonders

auf die Lieder von Sergej Rachmaninoff zu. Faszinierend auch das: In Dmitrij Schostakowitschs meisterhaft­jugend­lichem Klaviertrio übernimmt das Sa­xophon den Cellopart – und verhilft mit seinen enormen dynamischen Möglich­keiten dem Werk zu einer nie dage­wesenen Transparenz. Im Duett mit der Violine zeigt sich, wie anpassungsfähig das Instrument ist, wenn es von einer wirklichen Könnerin geblasen wird.

Reminiszenzen an den russisch­or­thodoxen Kirchengesang entfalten bei Sofia Gubaidulinas Duo Sonata eine frap­pante Wirkung. Dass mit Lars Nieder­straßer ein weiterer „Berlage“­Spieler mit von der Partie ist, sorgt für eine besonders harmonische Verbindung der beiden Instrumente, die in der dreidimensionalen Wiedergabe dieser fein ausbalancierten Super Audio CD die sakrale Illusion perfekt macht.

AusgAbe 2016/2 31

CLASS : aktuell Im blickpunkt

Gehörig den Staub von den Partituren geblasen…

Serenade für Dieter Klöcker – Vol. 2 Albrechtsberger, Asioli, Bruch, Erzherzog Rudolf, Farrenc, Grund, Meyerbeer, Myslivecek, Röntgen, Schubert, von Herzogenberg, WagenseilDieter Klöcker, KlarinetteConsortium ClassicumMDG 301 1967-2

(4 CDs)

In diesem Jahr hätte der unvergessene Dieter Klöcker seinen 80. Geburts­tag gefeiert. Grund genug, den Jubilar mit einer ganz besonderen Edition zu würdigen: Nach der Veröffentlichung von Vol. 1 mit MDG­eigenen

Aufnahmen sind hier vier CDs mit sorgfältig ausgesuchten Kostbarkeiten aus dem Schallarchiv des Westdeutschen Rundfunks zusammengestellt. Sie entstanden zwischen 1969 und 1993 und repräsentieren die unvergleichliche Vielfalt in Klöckers kammermusikalischem Schaffen. Dass darunter etliche CD­Premieren zu finden sind, macht die beim Label liebevoll zusammenge­stellte Auflage zu einem wertvollen historischen Kleinod, das nicht nur eingefleischte Fans des legendären Consortium Classicum begeistern wird.

Kaum ein Werk haben die Consorten so häufig auf der Bühne gegeben wie Franz Schuberts Militärmarsch, natürlich in der großen Paradebesetzung für Bläseroktett und Kontrabass. Fast in jedem Konzert war das Stück als Zugabe dabei; umso erstaunlicher, dass bisher keine Version auf Ton träger vorliegt! Da kommt diese Radioproduktion aus dem Dezember 1977 gerade recht.

Klöckers unermüdlicher Forscherdrang führte ihn in öffentliche und private Archive und Bibliotheken auf der ganzen Welt. Seine Entdeckun­gen haben das Repertoire für Bläserkammermusik enorm erweitert, und etliche der in archäologischer Fleißarbeit gehobenen Preziosen kommen auch hier zu Gehör. Da gibt es ein Klarinettenquintett von Giacomo Meyer­beer, Weber­Freund und Großmeister der Pariser Grand Opéra; ein Septett von Max Bruch, der durch sein Violinkonzert in g­Moll unsterblich wurde; eine großbesetzte Serenade aus der Feder Julius Röntgens, ein Quintett mit Klavier von Heinrich von Herzogenberg, und, und und…

Namen wie Christian Cannabich oder Georg Christoph Wagenseil haben heute ihre feste Bedeutung in der Musikgeschichtsschreibung. Als Dieter Klöcker deren Werke erstmals aufs Podium brachte, waren sie bestenfalls ausgesuchten Spe­zia listen ein Begriff. Wagenseils Suite, die als älteste Komposition mit einer Aufnahme aus dem Jahre 1974 das Programm eröffnet, zeigt uns, wie gekonnt das Consortium Classicum musikantisches Spiel mit wissenschaftlichem Hintergrund zu verbinden wusste – ein rundum gelungenes, pralles Musikfest mit hohem Repertoirewert! MDG 301 1775-2 (5 CDs)

Klavier

Felix Mendelssohn BartholdyLieder ohne Worte, Hefte 5-8:Sechs Lieder ohne Worte, Opp. 62, 67, 85 und 102Fünf individuelle ‘Lieder ohne Worte’Sechs Kinderstücke, Op. 72Zwei Stücke aus dem Notenalbum für Eduard Benecke (1842)Ronald Brautigam, FortepianoBIS-SACD-1983

Im 19. Jahrhundert kam es unter Komponisten in Mode, sich von der Literatur inspirieren zu lassen. Felix Mendelssohn schuf in diesem Kontext ein ganz eigenes Genre, als er seiner Schwester Fanny „sechs Lieder ohne Worte“ zum Geburtstag schenkte. In der Folge schrieb er solche Lieder in großer Zahl, die unter Pianisten (Amateuren wie Profis gleichermaßen) ungeheuer populär wurden. Für Mendelssohn war Musik genauer als Sprache: „Die Musik, die ich liebe, drückt Ideen aus, die nicht in Worte zu fassen sind“.

Nicht in Worte zu fassen

Zur musikalischen Charakteristik der „Lieder ohne Worte“ gehören Erzählton, Sprachlichkeit, leicht fassliche und ly­rische Melodik, klare Form“ (Reinhard Amon). In den meisten Fällen erklingen sangliche Melodien über durchgän­gigen Begleitformeln – die ausgefeilten Figurationen rücken zahlreiche Kompo­sitionen in die Nähe virtuoser Konzert­etüden. Weniger häufig sind chorische Sätze. Der Aufbau folgt in der Regel der dreiteiligen Liedform. In manchen Stücken zieht sich die Melodie von An­fang bis Ende durch; andere „Lieder“ beginnen und enden mit der beglei­tenden Satzschicht; ein dritter Typus besitzt kurze, kadenzierende Vor­ und Nachspiele. Die poetische Idee steht gegenüber der thematischen Arbeit im Vordergrund. Wie schon bei seiner vor­hergehenden Interpretation der Hefte 1­4 spielt Brautigam auch diesmal auf der Kopie eines Pleyel­Flügels von 1830 aus der Werkstatt von Paul McNulty.

Domenico Scarlatti18 Sonaten Yevgeny Sudbin, KlavierBIS-SACD-2138

2005 ließ ein junger Pianist die internationale Fachpresse im Wortsinn aufhorchen: Yevgeny Sudbin, der sich für sein Debüt­Album auf BIS ausge­rechnet Musik eines Barockmeisters ausgesucht hatte: Domenico Scarlatti. Die Kritik hob ihn damals schon auf eine Stufe mit Horowitz und Pletnev. Zahlreiche höchst erfolgreiche Aufnah­men und elf Jahre später kehrt Sudbin zu diesen Wurzeln zurück.

Erneuerte Wurzeln

Mit Marion Schwebel, der Tonmeiste­rin, die ihn seit seinen Anfängen betreut, hat er in der wundervollen Akustik der Kirche St George‘s in Bristol 18 weitere Sonaten Scarlattis aufgenommen. Man darf gespannt sein, wie die Kritik, die schon 2005 zu Superlativen neigte, die nun noch toppen will. Denn Sudbin ist nun noch ausdrucksstärker, noch vir­tuoser als damals. The Telegraph hat ihn immerhin schon mal als „wahr­scheinlich einen der größten Pianisten des 21. Jahrhunderts“ geadelt. 1980 wurde er in St. Petersburg geboren und begann seine Studien am dortigen Konserva torium. 1990 emigrierte er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er an der Hanns Eisler Musikhochschule studierte. Ab 1997 setzte er seine Ausbil­dung in London an der Royal Academy of Music fort, wo er jetzt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern auch lebt.

32 AusgAbe 2016/2

CLASS : aktuell Im Blickpunkt

Lied

Johann Sebastian Bach (1685-1750)Markus Passion, BWV 247Lars Eidinger, Sprecher und EvangelistUlrike Eidinger, Sopran Ulirch Weller, Alt Samir Bouadjadja, Tenor Ensemble & Chor WunderkammerPeter Uehlung, Ltg.Coviello ClASSICS COV 91605

Zum großen Bedauern vieler Mu­sik freunde ist sie nur fragmentarisch erhalten – Bachs Markuspassion spielt deswegen neben ihren berühmten Schwestern nach den Evangelien von Matthäus und Johannes bisher nur eine Nebenrolle im öffentlichen Musikleben. Peter Uehling und das von ihm mit­begründete Ensemble Wunderkammer wollen das ändern. Anstelle einer Re­konstruktion von Bachs verloren ge­gangenen Evangelisten­Rezitativen, wie von anderen schon mehrfach versucht, geht das Ensemble einen anderen Weg: Das Markus­Evangelium wird in seiner Neueinspielung vom bekannten Schau­spieler Lars Eidinger eindringlich ge­sprochen, begleitet von Klängen, die in der Harmonik Bachs Rezitativen nach­empfunden, aber neu komponiert sind.

Eindringliche Sprache

So wird der Fragment­Charakter des Werks nicht verdeckt, dennoch aber der musikalische Fluss zwischen ge­sprochenem Text und Choreinsätzen gewahrt. Gemeinsam mit den Solisten Ulrike Eidinger (Sopran), Ulrich Weller (Alt) und Samir Bouadjadja (Tenor) gelingt dem Ensemble und seinem Chor eine schlüssige Neufassung des (ehe­maligen) Bachschen Problemfalls.

A Crush on you – Songs by George GershwinMary Carewe, SängerinThe Swonderful OrchestraPhilip Mayers, Arrangements, Klavier & Ltg.Coviello ClASSICS COV 91606

Es ist eine Jugendliebe, der er immer wieder neu verfallen ist: Schon lange verehrt der australische Pianist und Komponist Philip Mayers den großen Amerikaner George Gershwin, der mit zuweilen nur scheinbar leichten, aber immer eingängigen Melodien den Geist seines Landes und seiner Zeit perfekt in Töne zu setzen wusste. Viele Gershwin­Songs sind weltbekanntes Allgemeingut geworden und werden in zahllosen Va­rianten immer wieder gespielt, andere dagegen versprechen auch heute noch weitgehend unbekannte Entdeckungen. Mayers trifft in seinen größtenteils neuen, äußerst filigran und sensibel ausgear­beiteten Arrangements für Singstimme, Streicher und Klavier eine persönlich­biografisch inspirierte Auswahl, die gleichwohl das Ausdrucksspektrum des Komponisten in vielen Facetten auslotet.

Detailverliebte Perfektion

Sängerin Mary Carewe und ein hoch­karätig besetztes Berliner Streicher­ensemble interpretieren die so ent­standenen Preziosen mit viel Verve und gleichzeitig so detailverliebter Perfek­tion, dass man am Ende der Leidenschaft des Arrangeurs nur folgen kann.

geistliche Musik

Luigi Cherubini (1760-1842) Messen: Nr. 1 F-Dur „Cäcilienmesse“Nr. 4 C-DurIngrid Kremling, Ursula Ott, SopranOlga Sandu, Monika Keggenhoff, AltChristoph Prégardien, Werner Seyfried, Jürgen Heene, Tenor; Eduard Wollitz, Eberhard Storz, Günther Schlosser, BassChor und Orchester der Dreifaltigkeitskirche Wiesbaden, Gabriele Klippert

Cantate C57628

Im Oktober 1982 und im September 1983 wurden die vorliegenden beiden Messe­Kompositionen in Wiesbaden auf­geführt und von der Konzertkritik als wert­volle Neuentdeckungen gewürdigt. Dass diese bedeutenden Werke der katholi­schen Kirchenmusik nach langer Zeit wie­der aufgeführt werden konnten, ist das Verdienst der Kantorin Gabriele Klippert, die eine alte, von Cherubini signierte Par­titur entdeckte, die der nach 1816 in Paris im Selbstverlag herausgegeben hatte.

Die vorliegende ,,Cäcilienmesse“ ist nicht nur als Erstlingswerk einer stilis­tischen und inhaltlichen Neubesinnung Cherubinis von historischer Bedeutung, sondern auch durch die meisterhaften symphonischen Dimensionen, die den Grund legten für eine Entwicklung, auf der Beethoven aufbauen konnte, als er mit seiner ,,Missa Solemnis“ endgültig die Messe­Komposition aus dem Bereich der liturgischen Praxis zur metaphy­sisch­geistlichen Konzertmusik führte.

Meisterhafte symphonische

DimensionenBereits in Cherubinis erster Messe in

F­Dur, die der Schutzheiligen der ka­tholischen Kirchenmusik, der Heiligen Cécilie gewidmet ist, ist die Umsetzung des geistigen Inhalts des Messe­Textes auf die symphonische Ebene verwirk­licht. Die einzelnen Messe­Teile gliedert er in groß angelegte, symphonischen Sätzen vergleichbare Abschnitte. Seine vierte Messe­Komposition in C­Dur hat Cherubini als ,,Missa solenelle“ bezeichnet und im Selbstverlag herausgegeben.

Geistliche Barockmusik Giovanni Battista Pergolesi: Stabat MaterAntonio Vivaldi: Sinfonia „Al Santo Sepolcro“; Nisi DominusSilvia Frigato, Sopran; Sara Mingardo, AltAccademia degli Astrusi, Federico FerriConcerto CD2097

Marienverehrung ist der rote Faden dieser CD. Das Klagen der Mutter Jesu ließ beide Komponisten, Pergolesi wie Vivaldi, ergreifende Werke schaffen, die heute zu ihren bekanntesten zählen. Pergolesi starb an dem Tag, an dem er das „Stabat Mater“ vollendet hatte. In Windes­eile verbreitete sich dieses Werk über ganz Europa; es setzte die stilistischen Standards für moderne geistliche Musik im Spätbarock. Die 2010 entstandene Liveaufnahme bringt die hoch emotio­nale Atmosphäre sehr gut zum Ausdruck. In den fünf Jahren, die Pergolesi nach Verlassen des Konservatoriums als Schaf­fenszeit vergönnt waren (er starb mit nur 26 Jahren an Tuberkulose), schuf er ein Gesamtwerk, das die Nachwelt be­schäftigt hat wie das kaum eines anderen italienischen Komponisten des 18. Jhts. (ausgenommen vielleicht Antonio Vivaldi, von dem ja folgerichtig auch zwei Wer­ke auf dieser CD zu hören sind).

Schwärmerisch verehrt

Der frühe Tod gab ähnlich wie im Falle Mozarts Anlass zu schwärmeri­scher Verehrung und sentimentaler Verklärung (Vincenzo Bellini nannte ihn den „angelico maestro“), hinter der die reale historische Persönlichkeit nahezu verschwand. Zudem veranlasste der unmittelbar nach dem Ableben ein­setzende Nachruhm manchen Verleger, die Zugkraft des nunmehr berühmten Namens zur Vermarktung von Werken weniger bekannter Komponisten zu nut­zen. Die Liste der Pergolesi irrtümlich zugeschriebenen oder vorsätzlich unter­geschobenen Werke ist daher mindestens so lang wie die seiner authentischen Kompositionen.