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Vortrag beim 94.Aachener Hospizgespräch Hans Russmann, Pfarrer und Hospizseelsorger

Vortrag beim 94.Aachener Hospizgespräch · Zwei Traditionslinien des Spiritualitätsbegriffs (Traugott Roser) Spiritualité (roman.) bezeichnete seit dem 17.Jh. die persönliche

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Vortrag beim 94.Aachener Hospizgespräch Hans Russmann, Pfarrer und Hospizseelsorger

Spiritualitätsbegriff in der Palliativversorgung

Spiritueller Schmerz

Was „leistet“ spirituelle Begleitung

Anforderungen an spirituelle Begleiter/Seelsorger

Traueraufgaben und spirituelle Begleitung

Spiritual care oder Seelsorge

Nach der WHO-Definition von Palliative Care (2002) besitzt die Begleitung von Patientinnen und Patienten bei sozialen Problemen und spirituellen Bedürfnissen hohe Priorität – neben der Linderung von physischen und psychischen Schmerzen und Symptomen.

Spiritualität ist damit eine der vier tragenden Säulen des gesamten Ansatzes hospizlich- palliativer Versorgung.

Zwei Traditionslinien des Spiritualitätsbegriffs (Traugott

Roser) Spiritualité (roman.) bezeichnete seit dem 17.Jh. die

persönliche Beziehung des Menschen zu Gott. Diese Spiritualität vollzieht sich in geprägten Praxisformen und –Übungen, in enger Anlehnung an die Tradition kirchlicher Lehre und kirchlicher Gemeinschaftspraxis. (Frömmigkeit/Leben aus dem Geist Gottes)

„spirituality“(angelsächsisch) Spiritualität in einem weiteren Sinn = Religiosität, die auf direkter, unmittelbarer, persönlicher Erfahrung von Transzendenz beruht .Weniger traditions-und kirchengebunden.

• Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2006 )

Spiritualität ist die innere Einstellung, der innere Geist wie auch das persönliche Suchen nach Sinngebung eines Menschen, mit dem er Erfahrungen des Lebens und insbesondere auch existenziellen Bedrohungen zu begegnen versucht.

• Erhard Weiher

Spiritualität ist der deutende Umgang mit existentiellen Erfahrungen, geschieht lebenslang und gehört zur Grundausstattung des Menschen –“kein Mensch ist unspirituell“

Alltagsspiritualität = Beziehungsgeschichte eines Menschen mit Personen, Dingen und Ereignissen des Lebens. Lebens- und Beziehungsgestaltung symbolisiert etwas von dem , was der Person heilig ist und sie zutiefst bewegt.

Glaubensspiritualität= Alltagsspiritualität wird

zur Glaubensspiritualität, wenn Menschen diese Verbundenheit ausdrücklich dem höchsten Geheimnis, dem alles umfassenden Sinngrund, Gott dem Absoluten zuschreiben und sich damit in Verbindung wissen. (christliche , konfessionelle Sp.)

Unterscheidung zwischen einer religionsungebundenen Spiritualität (individuelles Konzept, Patchworkreligion, Religionsbastler,believing without belonging) und einer religionsverbundenen Spiritualität (von Gemeinschaft vermitteltes Sinnsystem mit Ideen , Symbolen, Ritualen).

Religion ist ein Gefäß für Spiritualität, bietet einen Deutehorizont und Ausdrucksrahmen

Glaube bedeutet nicht nur Glaube an etwas Höheres(Gott), sondern auch sich ihm anvertrauen und von ihm tragen lassen

Bertelmann Religionsmonitor 2008

64% der Deutschen glauben an ein göttliches Wesen ( bei Westdeutschen sind es 89%)

Selbst ein Drittel der Konfessionslosen bezeichnet sich als religiös

Junge sind nicht weniger gottgläubig als die Älteren

„Es gibt keinen Grund, die zunehmende gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der Kirche mit einem schwindenden Interesse an Spiritualität zu begründen. In der Tat haben nämlich diejenigen Recht , die von der Verdunstung des Glaubens sprechen. Der Glaube hat in der Spätmoderne seinen Aggregatszustand verändert. Er ist von einem festen, in kirchlichen Formeln und Formen fassbaren Zustand in einen fluiden oder gar gasförmigen übergegangen. Der verdunstete Glaube liegt buchstäblich in der Luft“

(Bernhard Spielberg, „Noch drin, weil nicht ausgetreten“ , Herderkorrespondenz 67/ 3 2013, S121)

Cicley Saunders Total pain (Gesamtschmerz)

Alle Disziplinen und so auch Seelsorge sind Teil eines integrierten Konzeptes.

Vieldimensionalität des Schmerzes wahrnehmen und so auch die spirituelle Dimension des Schmerzes

• Spirituelle Schmerzen entstehen überall da , wo der Mensch sich in seiner Verbindung zum Geheimnis des Lebens/ Sinn seines Lebens bedroht oder abgeschnitten sieht .

• Der Tod trennt alle Beziehungen – zuletzt auch die Beziehung des Menschen zu sich selbst und fordert daher die spirituelle und existentielle Dimension des Menschen und seiner Begleiter heraus.

Seine Familie nicht mehr versorgen, seiner Lebensaufgabe nicht mehr nachgehen können

Seine Wohnung aufgeben müssen Dem Partner, den Kindern die Trennung und die Trauer

zumuten zu müssen Ungerecht empfundene Brüche in der Lebenslinie Offen gebliebene Wünsche und Grundsehnsüchte Unaufgelöste schwere Differenzen mit Nahestehenden Empfinden von Schuld und Versagen gegenüber

Mitmenschen, dem Leben , Gott Das Empfinden sein Leben nicht gelebt zu haben Verlust der Selbstkontrolle, sein Leben immer mehr aus

der Hand geben zu müssen, Enteignung des Selbst ………..

Warum passiert das mir , wieso soll ich jetzt schon sterben ?

Soll das alles gewesen sein ? Das Leben war so kurz?

Werde ich im Gedächtnis bleiben ? Wird die Welt mich vermissen?

Will Gott, dass ich so leide? Wieso hilft mir mein Glaube jetzt so wenig ?

Warum lässt Gott mich im Stich? Was geschieht nach dem Tod mit mir ? Gibt es

überhaupt ein Leben nach dem Tod? Ob das alles auch jetzt noch wahr ist- auch im

sterben- was ich immer geglaubt habe

• Bietet einen Verstehensraum an: Das Erzählen der Leidensgeschichte lindert Not und Ohnmacht des Betroffenen. Der Schmerz gehört dem Patienten und nicht der Patient dem Schmerz

• Gibt nicht die Lösung, sondern gibt Halt Erlaubnis zum Klagen geben, Halte- und Auffanggefäß sein für die Not des Patienten

• Gibt Unterstützung im Versuch Sinn zu finden im vergangenen , gegenwärtigen und künftigen Leben (sei es auch noch so kurz).Aufarbeitung ungelöster Konflikte; Erinnerung an Gutes im Leben

Gibt Trost nicht billige Vertröstung Setzt bei den spirituellen Ressourcen des Menschen an. Ermöglicht evtl. die Erfahrung des „Getragenwerdens“ in einem tranzendenten Sinnzusammenhang

Gestaltet Rituale als Hilfe zur Bewältigung von Situationen des Abschiedsnehmens. Rituale geben einer chaotischen Situation Struktur und einen Deutehorizont.

Richtet sich an schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörigen

Muss sich auseinandersetzen mit der Begrenztheit des eigenen Lebens, mit Alter, Krankheit und Sterben

Klarheit haben über die eigenen Vorstellungen vom Leben und vom „Leben nach dem Tod“ und vom Sinn des Lebens

Klarheit über meine eigene spirituelle d.h. in der Regel religiöse Sozialisation

Wertschätzend entdecken und anerkennen :

- was im Leben des anderen gelungen ist

- welche Ressourcen er besitzt sich mit Sterben , Tod und Abschiednehmen auseinanderzusetzen

Mut haben auch den spirituellen Schmerz zu thematisieren ohne bedrängend zu sein

Gestaltung eines auf die Bedürfnisse des Begleiteten zugeschnittenen spirituellen/religiösen Angebots

Fähigkeit Ohnmacht auszuhalten/eingestehen können keine Antwort zu haben

Kenntnis religiöser Traditionen

Romanische Traditionslinie (spirtualite) wichtig:

Spiritualität eines Gesamtkonzepts

„Geist“ einer Palliativstation , eines Hospizes etc.

Arbeit an der Haltung, gemeinsames Aushalten von Leid , Sterben und Trauer

Beziehungen und Strukturen (Teamsupervision)

Spirituelle Angebote für das Team

• Die Wirklichkeit des Verlustes und des Todes begreifen

- Rituale die den Tod als Grenze erfahrbar machen,

- die Erfahrung des Verlustes ins Wort und Zeichen bringen,

- der Klage Raum geben

- Karfreitag (noch) nicht Ostern

- Die Gottesfrage, die Fraglichkeit Gottes zulassen

Die Gesamtheit der Gefühle durchleben

- Allen Gefühlen auch in der religiösen Sprache einen Raum geben

- Alle Gefühle auch gegenüber Gott zulassen bis hin zum Gotteshass(Matthias Schnegg)

- Keine biblischen Trostpflaster sondern eher Bilder der Klage und des Kampfes( Hiob, Jakobs Ringen am Jabbok)

Veränderungen des Lebensumfeldes wahrnehmen und gestalten

- ohne Vorgaben über Sinn- und Glaubenskrisen sprechen

- Veränderungen im Gottesbild begleiten/Häutung des Glauben

- bei der Sinnsuche unterstützen

Dem/Der Toten einen neuen Platz zuweisen

- In der Traueransprache den Verstorbenen würdigen in einer ehrenden und zugleich realistischen Weise

- Gedenkkultur fördern aus Auferstehungsglauben heraus, Gedächtnisgottesdienste, Grabkultur , Erinnerungsorte

• Spiritualität auch essentiell für die ganzheitliche Versorgung durch andere Berufsgruppen – jeder kann spirituell begleiten

• Spiritual care ein „Glücksfall für die Seelsorge“(Ralph Charbonnier/Isidor Baumgartner) ?!

• Genaue Verhältnisbestimmung zwischen spiritual care und Seelsorge steht noch aus- (Alltagsspiritualität/Glaubensspiritualität)

Kritik am Begriff Spiritual Care (Doris Nauer) • Sind (kirchlich beauftragte) Seelsorger als Experten für

Spiritualität geschätzt oder auf lange Sicht überflüssig? • Gegen eine Instrumentalisierung und individualistische

Verengung von Spiritualität ist an der prophetisch kritischen Funktion christlicher Seelsorge festzuhalten und am Begriff Seelsorge

• Spiritual care wird nur dann zum Glücksfall für die Seelsorge, wenn die Kirchen diese Chance durch genügend qualifizierte Seelsorger/innen auch ergreifen!!

• Seelsorger/ innen haben ihre unverzichtbare Aufgabe im Palliative care Team wenn sie:

-sich ihrer spezifischen Kompetenzen bewusst sind,

-Anwalt der spirituellen Dimension sind, -ihre Rolle als „Symbolgestalt“ annehmen

und gestalten, - sich ihre Freiheit bewahren und zugleich

zur interdisziplinären Teamarbeit fähig sind

Ein junger Mann kommt zu einem Rabbi und fragt: „Was kann ich tun , um die Welt zu retten?“ Der Rabbi antwortet: „Soviel wie du tun kannst, das morgens die Sonne aufgeht.“

Aber was sollen dann alle meine Gebete und meine guten Werke?“ fragt der junge Mann. Darauf der Rabbi:“Sie helfen dir, wach zu sein, wenn die Sonne aufgeht.“

(zitiert nach E.Weiher)