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Die Arbeit von Clowns im Kinderkranken-haus ist ein relativ junges, gerade einmal15 Jahre altes Phänomen. Demgegenübererstaunt ein Überblick über die Vielzahl
der gegenwärtigen Initiativen, Vereineund Angebote: Hätte vor zwanzig Jahrennoch kaum jemand gewusst, was einClown in der Kinderklinik ausrichten soll,
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Clownpädagogik – eine ernst zu nehmende Entwicklung in der pädagogischen Arbeit mit Kindern in stationärer KrankenhausbehandlungAlexander Wertgen
Düsseldorf
Kinder und Jugendliche in stationärer Krankenhausbehandlung befinden sich in einer physi-schen, psychischen und sozialen Ausnahmesituation. Als ein besonderes pädagogisches An-gebot außerklinischer Krankenpädagogik hat sich in jüngerer Zeit die Arbeit von Klinik-clowns in vielen Krankenhäusern etabliert. Klinikclowns gehen auf die besondere pädagogi-sche Bedürfnislage ihrer jungen Klienten ein und können deren Befinden durch ihre Arbeiterfahrungsgemäß nachhaltig positiv beeinflussen. Ausgehend von der Darstellung einesClownbesuchs, einer Beschreibung der professionellen Rolle und der Figur des Clowns, ins-besondere des Klinikclowns, werden die Wirkungen der Clownsarbeit und deren Erfolge er-läutert. Ob und inwiefern „Clownpädagogik“ als eine neue Disziplin außerschulischer Päda-gogik mit kranken Kindern gelten kann, wird abschließend diskutiert.
Schlüsselwörter: Clownpädagogik, stationäre Krankenhausbehandlung, kranke Kinder, Hei-lungsprozess
Educational clowning – a serious development in the educational work with children receiving inpatient hospital treatment
Children and youth, receiving inpatient hospital treatment, are living under exceptional phy-sical, psychological, and social circumstances. The engagement of clinic clowns has recent-ly been established as an educational outreach program in many hospitals. Clinic clowns areresponsive to the special educational needs of young patients and, according to experience,are able to lastingly influence their state of health in a positive way. Based on an anecdoteof a visit from a clinic clown, a description of the professional role of a clown, respectivelya clinic clown, the effects and the beneficial results of clowns’ work are explained. The arti-cle ends with a discussion on how and to what extent educational clowning can be consi-dered as a new discipline in the extracurricular educational work with sick children.
Key words: Educational clowning, inpatient hospital treatment, sick children, healing process
hätten nicht wenige die Arbeit an diesemOrt sogar für unpassend gehalten, zählenderen Auftritte inzwischen zum festenwöchentlichen Programm in vielen Kin-derkliniken. Die Arbeit von Klinikclownshat sich schnell weiterentwickelt und pro-fessionalisiert. Mehrere Ausbildungsinsti-tute bieten umfassende Aus- und Fortbil-dungen an, Dachverbände legen Stan-dards für die Arbeit von Klinikclowns fest,begleiten deren Arbeit, vertreten deren In-teressen und neben zahlreichen Berichtenund Reportagen über die Idee und diePraxis dieses pädagogischen Angebots(vgl. Goerke, 2006; Bububü; s.a. weiter-führende Links) erscheinen auch erste Be-mühungen um eine theoretische Begrün-dung und Reflexion dieser Arbeit, ihrerVoraussetzungen, Formen und Effekte.
Die vorliegende Arbeit sucht den Zu-gang zur Tätigkeit von Klinikclowns übereine kurze Beschreibung der Situationvon Kindern im Krankenhaus und überdie Darstellung einiger Szenen einesClownsbesuchs in einer Kinderklinik.Weshalb pädagogisches Handeln aus derRolle des Clowns gerade in der Arbeit mitkranken Kindern und Jugendlichen beson-dere Möglichkeiten eröffnen kann, wirddurch einen Blick auf die Figur und dieRolle des Clowns, insbesondere auf dieRolle der Klinikclowns und ihre professio-nelle Ausgestaltung, deutlich. Das spezifi-sche Potential dieser Arbeit zeigt sich beieiner auf Erfahrungen basierenden Analy-se ihrer Wirkungen. Die Frage, wie der Er-folg der Klinikclowns zu erklären sei, leitetschließlich über zu der Diskussion, obund inwiefern Clownpädagogik als eineneue pädagogische Disziplin außerschuli-scher Pädagogik bei Krankheit geltenkann.
Wenig zu lachen ... – Kinder in der Klinik
Obwohl Kinderkliniken in der jüngerenVergangenheit zunehmend kinderfreund-lich geworden sind – man denke bsw. andie Ausweitung der Besuchszeiten, dieMitaufnahme von Eltern, die Verkürzungder Liegezeiten, die Ambulantisierungmedizinischer Behandlungen, die Einrich-tung von Spielzimmern und die Beschäfti-gung pädagogischen Personals – habenKinder hier naturgemäß wenig zu lachen.Kinderkliniken wirken auf die jungen Pa-tienten nach wie vor fremd und bedroh-lich. Nahezu alle Kinder leiden bei einemstationären Klinikaufenthalt an der Tren-nung von ihrem sozialen Umfeld, sie ha-ben Angst vor Untersuchungen, Operatio-nen und vor Schmerzen und sie langwei-len sich – trotz der inzwischen in fast je-dem Behandlungszimmer installiertenFernseher und der vielerorts zum Stan-dard zählenden Ausstattung der Kranken-zimmer mit internetfähigen Computern.Die Langeweile intensiviert negative Emo-tionen oftmals noch, weil Kinder und Ju-gendliche sich in dieser Zeit verstärkt mitdem auseinandersetzen, was sie belastet.Den wenigsten kranken Kindern gelingt es– wie übrigens auch nur wenigen Erwach-senen – aus eigener Kraft, belastendenEmotionen, die sich zu einer durchgängi-gen Stimmung verdichten, etwas entge-genzusetzen und ihre Wahrnehmungnachhaltig positiv zu verändern. Vor allemlangfristig erkrankte und chronisch krankeKinder, die über lange Zeiträume undwiederholt stationär behandelt werden,sind von diesen Befindlichkeitsstörungenbetroffen.
Krankenpädagogen wissen aus Erfah-rung, wie es gelingen kann, einem kran-ken Kind oder Jugendlichen über solcheStimmungslagen hinwegzuhelfen: durch
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Empathie, Akzeptanz, Kongruenz und ak-tives Zuhören (die von Carl Rogers be-schriebene Haltung kann hier sehr hilf-reich sein, vgl. Rogers & Wood, 1996, S.149ff) und darüber hinaus durch Ablen-kung, motivierende Aufgaben, Spieleoder andere gemeinsame Aktivitäten, ambesten unter Beteiligung anderer Kinder.Alle diese Mittel können letztendlich na-türlich keine Erfolge garantieren; dass esnicht immer gelingt, kranke Kinder, vor al-lem kranke Jugendliche zu erreichen,zählt zu den alltäglichen Erfahrungen vonPädagogen in der Klinik.
Manchmal geben die Kinder selbstHinweise auf weitere möglicherweise er-folgreiche Mittel dieser Art. Die Szene ausdem Alltag eines Lehrers einer Schule fürKranke zeigt dies: Ich sitze am Bett eines
Zweitklässlers, den ich heute zum zweiten
Mal sehe, diesmal nicht im Beisein seiner
Eltern. Der Junge liegt nach einer erneuten
Operation an der Hüfte seit einigen Tagen
auf dem Rücken. Draußen ist es heiß, er
schwitzt, unter dem Gips juckt es; er kann
sich nicht kratzen und kaum abkühlen. Of-
fenbar hat er Schmerzen trotz der Medika-
mente, die über die Infusion verabreicht
werden. Wenn er alleine ist, und das ist er
häufig, weil seine Eltern tagsüber berufstä-
tig sind, sieht er fast ununterbrochen fern –
tatsächlich kann er in dieser Situation
auch kaum etwas anderes tun. Umso
wichtiger ist eine Unterbrechung durch
den Unterricht. Heute ist es schwer, Kon-
takt zu ihm aufzunehmen; er wirkt ver-
schlossen, abweisend. Auf Fragen antwor-
tet er einsilbig und auch auf ein Denk- und
Geschicklichkeitsspiel, das ich mitge-
bracht habe, lässt er sich nur ungern ein.
Ich animiere und motiviere einige Zeit; all-
mählich beginnt er, eher lustlos und mit
vielen Unterbrechungen an der Aufgabe
zu arbeiten – eine der mühsamen Einzel-
unterrichtsstunden, die unter solchen Rah-
menbedingungen hin und wieder vorkom-
men. Dann ändert sich die Situation plötz-
lich: Ich bücke mich, um ein Spielteil auf-
zuheben, das auf den Boden gefallen ist,
stehe auf und stoße mir den Kopf an ei-
nem Fernseher, der an einem Schwenkarm
über dem Bett montiert ist. Der Schüler
stutzt kurz, sieht, dass nichts Schlimmes
passiert ist, und bricht unvermittelt in ein
lautes Lachen aus. Auch ich muss lachen,
weniger über mein Missgeschick als ange-
steckt durch das Lachen meines Schülers.
Der Junge sagt, ich hätte ja ziemlich dumm
geguckt und den Kopf nach dem Stoß so
komisch eingezogen, genau dasselbe sei
vor Kurzem auch seinem Vater geschehen,
aber das habe nicht so witzig ausgesehen.
Wir lachen beide, die Situation ist ent-
krampft, das Lachen zeigt hier deutlich ei-
ne entspannende Wirkung, die die Atmo-
sphäre nachhaltig verbessert. Mit ein paar
Hilfestellungen löst er schließlich die Kno-
belaufgabe und nach der Stunde fragt er,
ob ich etwas Ähnliches morgen wieder
mitbringen könne, es habe ihm Spaß ge-
macht.
Dieses Erlebnis gibt zu denken: Wasist geschehen? Nicht nur die Situation,auch die Beziehung zwischen Lehrer undSchüler hat sich – im wahrsten Sinne desWortes – mit einem Schlag verändert. DieSituationskomik entsteht hier aus der Dis-krepanz zwischen Erwartung und tatsäch-lichem Geschehen. Wenn ein Lehrer andas Krankenbett kommt, erwartet dasKind, dass es in seiner Rolle als Schülerangesprochen wird. Diese Rolle ist ihmwohl vertraut, sie ist eindeutig und mit kla-ren beidseitigen Verhaltenserwartungenverbunden. Ein Lehrer macht Unterricht,er stellt eine Aufgabe, fordert die Ausei-nandersetzung mit ihr, im Krankenhausletztlich auch nicht anders als in der Schu-le. In Anspielung auf die Beziehung zwi-
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schen dem Weißclown und dem „dum-men August“ sind die Rollen klar verteilt:hier der ältere, wissende, vitalere, „kom-petentere“ Weißclown und dort der jün-gere, weniger erfahrene und wissende,behandlungsbedürftige und gesundheit-lich eingeschränkte „dumme August“, ge-trennt von Freunden und seinem Umfeld,oftmals ohne Mitschüler, im Übrigen um-geben von weiteren Weißclowns: Pflege-personal und Ärzten, Physiotherapeutenund einigen anderen – und dies in einerUmgebung, die selbst in Kinderklinikennaturgemäß kaum kindgemäß sein kann.Plötzlich zeigt sich solch ein Weißclown,und das auch noch ungewollt, von eineranderen Seite: Er wirkt tollpatschig, stößtan, guckt dumm, verliert für einen Mo-ment die Kontrolle und lacht mit demKind über sich selbst. Beide begegnensich auf einer anderen Ebene, auf gleicherAugenhöhe, obgleich sie Schüler und Leh-rer bleiben und mit ihrer Arbeit fortfahren.Was den Schüler in der Folge zur Arbeitmotiviert und darüber hinaus auch seineallgemeine Stimmungslage grundlegendverändert hat, ist nicht nur die Aufgabe,sondern auch die veränderte Qualität derLehrer-Schüler-Beziehung.
Dem englischen Arzt Thomas Syden-ham (1624-1689) wird der Ausspruch zu-geschrieben, die Ankunft eines Clowns ineiner Stadt sei mehr wert als 40 Esel bela-den mit Medikamenten. – Übertragen aufdie beschriebene Szene ließe sich Ähnli-ches sagen: Ein Witz und Lachen zurrechten Zeit können auch in der Lehrer-Schüler-Beziehung mehr bewirken alsnoch so durchdachte pädagogisch-didak-tische Materialien – was diese freilichnicht entbehrlich macht. Vielleicht warenes ähnliche Beobachtungen und Erfahrun-gen, die Kiphard und andere Pädagogendazu veranlasst haben, clowneske päda-gogische Interventionen gezielt einzuset-
zen mit dem Ziel, Kinder mit Behinderun-gen oder gesundheitlichen Einschränkun-gen zu aktivieren, zu motivieren, ihrSelbstbewusstsein zu stärken oder ihnenallgemein ein Gefühl von Selbstwirksam-keit und Kompetenz zu vermitteln – et-was, das in der Patientenrolle schnell ver-lorengehen kann (vgl. Kiphard, 1998).
Szenen eines Clownbesuchsin einer KinderklinikHeute ist es wieder soweit! Der Clown
kommt! Der Klinikclown ist eine feste Grö-
ße auf der Kinderstation und auch darüber
hinaus ist er in der Klinik bekannt. An zwei
Nachmittagen in der Woche besucht er
die Station. Meistens wird er bereits von
einigen Kindern erwartet. Manche Kinder
möchten den Clown eine Zeitlang ganz für
sich haben und hoffen, dass sie als eine
der Ersten von ihm besucht werden. Nach
einer Weile ist der Clown so hergerichtet,
wie viele ihn bereits kennen: mit dicker ro-
ter Clownsnase und in einem bunten
Clownskostüm mit großen ausgebeulten
Taschen und einer viel zu großen Fliege
und geschminkt mit weißen Bögen über
den Augen und kleinen roten Kreisen aufden Wangen – das ist das Ergebnis vielerBeobachtungen, Versuche und Rückmel-dungen, denn die ästhetischen Vorstellun-gen von Kindern können von denen Er-wachsener deutlich abweichen. So wirkteein breit umrandeter, rot geschminkterMund, im Allgemeinen alles Maskenhafte,die natürlichen Gesichtszüge Verfremden-des, auf viele Kinder eher bedrohlich alsbelustigend (vgl. Kiphard, 1998).
Die erste Station des Klinikclowns ist
das Schwesternzimmer. Hier erhält er um-
fassende Informationen über den Gesund-
heitszustand der Kinder und ihre psy-
113Clownpädagogik
chische Verfassung, außerdem erfährt er,
welche Kinder sich einen Besuch dringend
wünschen und welche Einzelheiten bei
welchem Kind zu beachten sind. Noch be-
vor der Clown die Zimmertür öffnet,
kommt ihm ein neunjähriges Mädchen
entgegen. Seine Frage, ob er eintreten
darf, wird freudig bejaht. Die Mutter sitzt
am Bett des Kindes, ein weiteres Bett mit
einem Säugling steht in der Zimmerecke,
die Mutter sitzt daneben. Der Clown setzt
seinen Gitarrenkasten ab und beginnt mit
einer Aufgabe: Er sucht einen geeigneten
Ort für seinen Stoffaffen, der bisher über
seiner Schulter hing, und fragt das Kind
nach Rat. Nach einigem Überlegen hängt
er ihn an das Bett der kleinen Patientin.
Dann fährt er fort: „Meine Taschen sind
wieder viel zu voll – hilfst du mir sie auszu-
packen?“ Das Kind hilft mit und zieht ei-
nen weißen Hasen hervor; weiter kommt
es nicht, weil der Clown dazu eine Ge-
schichte zu erzählen weiß. Piratenhasi sei
ein sehr mutiger Hase, denn er habe sich
zwischen einen offenen Filzstift und den
Stoff der Tasche am Clownsgewand ge-
worfen, um zu verhindern, dass die Tasche
verschmutzt werde. Leider habe er dabei
einen schwarzen Filzstiftflecken am Kopf
davongetragen. Der Hase sei daraufhin ge-
waschen worden und nun sei er ganz weiß
– bis auf den blassen Flecken, den man im-
mer noch sehe. Piratenhasi sei seit diesem
Unfall recht hässlich, aber wichtig seien
doch die inneren Werte. Ob das Kind das
nicht auch denke? Es weiß nicht so recht,
schließlich stimmt es zögernd zu.
„Meine Taschen sind immer noch ver-
flixt voll. – Findest du nicht auch?“ Das
Kind schaut mit Neugier auf die übergro-
ßen ausgebeulten Taschen der Clownsho-
se und schafft Platz auf seinem Nachttisch.
Der Clown packt mit großer Geste eine
Seifenblasenflasche aus. Mit dem immer-
gleichen Kommentar und überraschter Mi-
ne holt er eine Flasche nach der nächsten
hervor und baut sie vor dem Kind auf. Auf
der Bettdecke breitet er den Inhalt seiner
zweiten Tasche aus: kleine Fingermonster
aus Plastik, gehäkelte Fingerlibellen und
weitere Tierchen. Eine Libelle zieht er auf
seinen Finger: „Schau mal, diese Libelle ist
so hungrig, dass ihre Augen schon hervor-
quellen. – Möchtest du sie füttern und die
anderen auch? Sie fressen Seifenblasen!“ –
Natürlich möchte das Kind sie füttern!
Doch zuerst stellt der Clown dem Mäd-
chen seinen „Kollegen“ vor, der natürlich
zuvor laut gerufen werden muss und sich
erst nach einigem Klopfen auf den Gitar-
renkasten und gutem Zureden zeigt: eine
als Clown verkleidete Wärmflasche, die an
der schmalsten Stelle, ihrer Öffnung, eine
rote Clownsnase trägt. „Mein Kollege hat
die unheimliche und seltene Wanderna-
sen-Krankheit. Deshalb muss immer je-
mand auf ihn aufpassen, damit seine Nase
nicht wandert – würdest du das machen?“
Das Kind übernimmt die Verantwortung
für den kranken „Kollegen“ und nimmt
ihn in seine Obhut.
Bald darauf fliegen Seifenblasen über
dem Krankenbett, mal viele kleine, schnel-
le, mal große, die langsam und behäbig
sinken. Das Mädchen hat sich längst eine
Libelle auf den einen, ein Monster auf ei-
nen anderen Finger gesteckt und „füttert“
nun die beiden. Trotz seiner Schmerzen
bewegt es sich viel, möchte möglichst jede
Seifenblase erwischen, lacht, wenn sie
platzen, und traut sich schließlich sogar,
die dicken Seifenblasen bereits zerplatzen
zu lassen, während sie noch geblasen wer-
den. Clown und Kind kommunizieren mit-
einander; das Kind wirkt nach wenigen Mi-
nuten gelöst, erleichtert, im Ganzen leben-
diger. Nach einiger Zeit sind die Tierchen
satt und das Mädchen hat kaum noch
Kraft in den Armen. Da kommt „Bett-
Man“, die Hand des Clowns in einem Fle-
114 A. Wertgen
dermauswaschlappen, und entfernt fach-
männisch und begleitet von den Geräu-
schen einer Maschine die Seifenlaugereste
auf Bett, Nachttisch und Boden.
Nach einem kurzen Gespräch über die
Frage, ob Clowns fliegen können, ist Zeit
für eine Demonstration: Der Clown macht
sich durch Gehüpfe, übertriebene Atem-
übungen, das Wackeln mit seiner Clowns-
nase und das Zählen bis 10 – er kann es
natürlich nicht, macht immer wieder Feh-
ler und das Kind muss ihm schließlich hel-
fen – warm, läuft mit ausgebreiteten Ar-
men und lauten Fluggeräuschen durch
den Raum, landet am Ende mit dem
Bauch auf einem Stuhl und macht dort
weitere Verrenkungen und „Schwebe-
übungen“. Bei dieser skurrilen, auch gro-
tesken, Vorführung lacht die anwesende
Mutter fast noch mehr als ihr Kind.
„Jetzt habe ich noch eine super peinli-
che Frage an dich“, leitet der Clown da-
nach ein. – „Piratenhasi kann nur ein Lied
singen und er würde das gerne auch für
dich tun. Er singt aber nicht besonders gut.
– Darf er das trotzdem?“ – Natürlich darf
er und bald darauf tritt Piratenhasi ein
zweites Mal auf und beginnt:
„Ich mag die Hasen,
die Seifenblasen,
ich mag es manchmal
nur rumzuspaßen; ...“ die Melodie führt er
durch ein „Lalala“ fort. Dabei wird die
Musik lauter und schriller, der Hase be-
wegt sich immer heftiger und schließlich
wirft er den Kopf wild hin und her und
rockt zur Freude des Kindes zu dem Lied,
das mit einem lauten Finale endet und be-
geistert beklatscht wird.
Piratenhasi besingt den Clown und die
Szene; er greift in seinem Lied Elemente
des Clownauftritts auf und nach dem Ap-
plaus dürfen alle Zuschauer und -hörer ihn
streicheln. Dann erkundigt der Clown sich
nach dem Befinden seines „Kollegen“.
Dem geht es augenscheinlich gut, denn er
hat seine Nase noch mitten im Gesicht.
Wie die kleinen Fingertierchen kehrt auch
er wieder an seinen ursprünglichen Platz
zurück. Der Clown dankt dem Mädchen,
schenkt ihm zum Abschied einen Luftbal-
lon und geht nicht ohne sich zu einem
weiteren Treffen in einigen Tagen zu verab-
reden.
An diesem Nachmittag besucht der
Clown noch einige andere Kinder, unter
anderem einen pubertierenden, sichtlich
um Coolness bemühten Jungen und ein
kaum dreijähriges Kind. Sein Programm
wandelt er in Orientierung an den Interes-
sen und Bedürfnissen seiner Klienten ab.
Bei dieser Arbeit sind Improvisationen not-
wendig. So möchte der Dreijährige in ei-
ner Puppenküche mit Tomaten aus Plastik
zeigen, dass er Tomatensuppe kochen
kann, und der Clown kocht mit. Dann si-
muliert der Junge mit einem Holztelefon
ein Telefonat und der Clown hält sich
schnell ein halbwegs passendes Requisit
ans Ohr und telefoniert ebenfalls. Er führt
die Idee des Kleinen weiter, ahmt das Klin-
gelzeichen eines Telefons nach, macht da-
raus nach und nach eine Melodie, beginnt
dazu zu tanzen und animiert das Kind zum
Mittanzen ... – Und so geht es an diesem
Nachmittag bis zum frühen Abend in ei-
nem fort. Der Clown besucht ein Kind, ei-
nen Jugendlichen nach dem anderen, trifft
auf Kleinkinder und fast Volljährige in allen
Stimmungslagen, mit oder ohne Behinde-
rungen, oft mit Besuch, manchmal auch al-
leine, ist meistens willkommen, selten
auch nicht – und fast immer hat sich durch
die Besuche etwas verändert: Die jungen
Patienten wirken gelöster, sie sind auf an-
dere Gedanken gekommen, sind aufgehei-
tert, haben ein Lächeln auf den Lippen,
singen die Lieder des Clowns – einige so-
gar noch nach der Entlassung aus dem
Krankenhaus –, imitieren seine Stimme
115Clownpädagogik
und seine Späße oder erinnern sich durch
den Luftballon an den vergangenen Be-
such und freuen sich auf den nächsten.
Die beschriebenen Szenen aus der Ar-beit eines Clowns hätten sich auch ganzanders abspielen können. Klinikclownsbauen abhängig von ihrer Persönlichkeit,von individuellen Vorlieben und Erfahrun-gen und von ihrer Ausbildung ein indivi-duelles, selbst entwickeltes und in der Ar-beit mit Kindern fortlaufend erprobtes,verändertes und erweitertes Repertoireauf. Auch die Clownfigur mit ihren eige-nen Charakteristika kann je nach Persön-lichkeit, Ausbildung und Erfahrungshinter-grund beträchtlich variieren. EinigeClowns orientieren sich an der Figur desZirkusclowns, andere treten als„Clownsärzte“ in einem Arztkittel auf. Siemachen eine „Visite“, prüfen die Reflexemit einem viel zu großen, quietschendenHammer oder verabreichen eine Kakaoin-fusion und greifen so Elemente des Kran-kenhausalltags humorvoll auf (vgl. auchdie Berichte in Görke, 2006 und in Titze& Eschenröder, 2000, 154ff). Auch derEinsatz clownesker Mittel kann stark vari-ieren: Einige Klinikclowns setzen verstärktpantomimische, andere eher musikalischeoder akrobatische Elemente ein.
Gute Erfahrungen liegen inzwischenauch mit dem Einsatz von Clownspaarenaus Frau und Mann vor. Sowohl Jungenals auch Mädchen können dann eineIdentifikationsfigur finden; außerdemkann das gemeinsame Planen und Reflek-tieren der Darsteller über ihre Arbeit hilf-reich für die eigene professionelle Weiter-entwicklung sein und zur Qualitätssiche-rung und -entwicklung der Arbeit beitra-gen.
Die Figur und die Rolle desClowns
Die Figur des Clowns hat eine komplexekulturhistorische Entwicklung durchge-macht. Komische Figuren traten nachweis-lich zum ersten Mal in den alten grie-chischen Komödiendichtungen auf. DieAufführung einer Komödie wurde erst-mals im Rahmen eines Komödienwett-streits anlässlich eines Dionysos-Festes,den Lenaien, im Jahre 486 v. Chr. erwähnt(vgl. Dihle, 1967, S. 185). Im Gegensatzzu der einige Jahrzehnte älteren Tragö-diendichtung hat sich die Komödie langenicht zu einer geschlossenen Kunstformentwickeln können. Ihre künstlerischenMittel standen unter dem starken Einflussder Tragödie, die Komödie gewann je-doch zunehmend an Eigenständigkeit,weil sie, anders als die Tragödiendichtung,ihre Anregungen nicht dem Mythos ent-nahm, sondern ihren Stoff unmittelbar ausdem sozialen und politischen LebenAthens gewann. Allerdings waren derkünstlerischen Verarbeitung dieses Stoffesenge gesellschaftliche Grenzen gesetzt(vgl. Dihle, 1967, S. 186). Die Einflüsseder antiken Komödiendichtung sind vorallem in den pantomimischen Stegreif-spielen der Commedia dell’ Arte nach-weisbar, die gegen Ende des 16. Jahrhun-derts in Italien entstanden war und die ih-rerseits durch ihre Figuren, vor allemdurch den von Berufskomödianten ver-körperten Arlecchino, die Entwicklungund Ausgestaltung der Clownsrolle maß-geblich beeinflusste (vgl. Schlenker, o. J.).Als weitere hier nicht näher zu verfolgen-de Einflüsse auf die Entwicklung derClownsrolle gelten die Stellung der Hof-narren im Mittelalter, ideen- und motivge-schichtliche Einflüsse aus Märchen undaus der Renaissance, verarbeitet z. B. im„Narrenschiff“ Sebastian Brants von 1494
116 A. Wertgen
und in dem vermutlich von Hermann Bo-te 1510/1511 verfassten Volksbuch „ThylUlenspiegel“ (vgl. Frenzel, 1988, S. 95ff;Grimm, 1988, S. 330ff), die Würdigungdes Narren in Erasmus von Rotterdams„ Lob der Torheit“ (1511), nicht zuletzt diewirkmächtige Verarbeitung dieser Einflüs-se durch William Shakespeare in den Stü-cken „König Lear“, „Der Kaufmann vonVenedig“ und „Was ihr wollt“ sowie inden Werken Molières und Goldonis.Auch einzelne Figuren, die sich in den fol-genden Jahrhunderten entwickelt haben,wie Pulcinella und Pierrot sowie der Har-lekin, aus dem später die Figur des Hans-wurst entstanden ist, sind wiederum litera-risch verarbeitet worden, etwa durchGotthold Ephraim Lessing (vgl. Schlenker,o. J.).
Der Clown in seiner heutigen Formhat sich im Zirkus entwickelt, als dessenVorläufer die fahrenden Menagerien gel-ten, die zunächst den Charakter von Ku-riosenkabinetten hatten, in denen aberauch bereits akrobatische Kunststückevorgeführt worden sind. Hier traten dieersten bekannten Clowns auf, so u. a. ab1816 Jean Babtiste Debureau mit einerPantomime oder Joe Grimaldi, der seinPublikum vor allem durch seine Schau-spielkunst beeindruckte, sowie Auriol,der, noch nicht als Clown geschminkt, ineinem Narrengewand auftrat und als Ko-miker zahlreiche akrobatische Nummernin seine Auftritte integrierte. Mit der Ent-wicklung eigenständiger Clownnummernals fester Bestandteil einer Zirkusauffüh-rung verbindet Schlenker den Clown TomBelling (1843-1900), der die Figur des„dummen August“ entwickelt hat, wel-cher bald als Gegenpart dem elegant ge-kleideten Weißclown zur Seite gestelltwurde (vgl. Schlenker, o. J.).
Clowns verkörpern – vor allem in derRolle des „dummen August“ – das Schei-
tern des Menschen, seine Lebensuntüch-tigkeit, andererseits jedoch auch seinenTriumph über die Verhältnisse durchSelbsteinsicht, Witz und Humor. DerClown ist kein Erfolgsmensch, im Gegen-teil: „Er ist das Scheitern gewohnt, die Kri-se ist sein täglich Brot und er meidet sienicht“ (Karnath, 2006, S. 2). Er weiß da-rum, dass er nicht perfekt ist, aber er gibtnicht auf und nimmt Aufgaben in Angriff.Der Krise und dem Scheitern kann er et-was abgewinnen, „denn die Krise ist derMoment, wo alles zu spüren und alles zusehen ist. Alles löst sich auf, das ganzeschöne Konzept der Selbstdarstellung, dieFassade bröckelt und sie ist nicht aufrecht-zuerhalten. Die Krise ist der ideale Platzzur Transformation in etwas Anderes unddas Lachen über sich selbst oder mit sichselber ist das Transportmittel“ (Karnath,2006, S. 2).
Karnath charakterisiert den Clown alseine Figur, die eine Zwischen- und dahereine Mittlerposition einnimmt: „DerClown oder Narr ist der, der dazwischenist. Zwischen König und Volk, Klerus undUngläubigen, Mächtigen und Ohnmächti-gen, zwischen den Welten, der realenund der irrealen [...]. Er sitzt auf dem Zaunund feixt sich eins“ (Karnath, 2006, S. 1).Weil er an nichts gebunden sei, in nie-mandes Namen auftrete und weder in derVergangenheit noch in der Zukunft ver-haftet sei, ist er frei zum Handeln in derGegenwart, zur Improvisation.
Seine Freiheit ermöglicht ihm einenunverstellten Blick auf die Verhältnisse inseiner Umgebung. Der Clown deckt –häufig durch entwaffnende, scheinbareNaivität und Unschuld – prekäre gesell-schaftliche Zustände auf, er legt mit Witzund unter Späßen den Finger in die Wun-de, ohne dass es schmerzt. Er lacht undsteckt andere mit seinem Lachen an undrealisiert damit einen Wesenszug mensch-
117Clownpädagogik
licher Freiheit: sich von bestehenden Ver-hältnissen nicht dauerhaft vereinnahmenzu lassen, sondern sie zu erkennen, zu be-nennen und humorvoll zu verarbeiten –und sich auf diese Weise von ihnen zudistanzieren. Der Clown ist – meistensaus der Perspektive der kleinen Leute –ein Kritiker gesellschaftlicher Einschrän-kungen und Konventionen; er zeigt durchkalkulierte Regel- und Normverstöße Al-ternativen zu gängigen Wahrnehmungs-und Handlungsweisen auf und bringt dasGefühl ins Wanken, alles müsse immerfortso sein und bleiben, wie es ist. Dadurchkann er bei seinen Zuschauern ein Nach-denken über die scheinbare Unerschütter-lichkeit der Wirklichkeit provozieren (vgl.Kiphard, 1998), obgleich es freilich illuso-risch wäre, Clowns per se eine solch tiefgreifende aufklärende Wirkung zuzu-schreiben; ihre Auftritte werden demge-genüber vermutlich eher situative, partiel-le Wirkungen haben und wohl auch desÖfteren weitgehend folgenlos konsumiertwerden.
Die Rolle des Clowns in derKlinikDer Clown bekleidet in der Klinik eineRolle, die sich so sehr von der andererdort Tätiger unterscheidet, dass es Ange-hörigen anderer Berufe aufgrund ihrerFunktion, ihres Selbstverständnisses undder an sie gerichteten Verhaltenserwar-tungen nicht möglich wäre, diese Rolle inihrem eigenen Wirkungsbereich auszufül-len. In der Klinik verkörpert der Clown oft-mals den durchweg inkompetenten, hilflo-sen, naiv fragenden, unselbstständigen Er-wachsenen, den „dummen August“, derdurch seine Ungeschicklichkeit und Ori-entierungslosigkeit den Helferinstinkt derKinder herausfordert und sie eine Rolle
einnehmen lässt, die das Leben im Kran-kenhaus ansonsten nicht für sie hergibt. Inder Klinik ist der Clown mehr noch als imZirkus der ‚ganz andere’, der sich nichtso verhält, nicht so funktioniert wie dieanderen. Er ist hier auf eine sympathischeWeise fremd und wirkt ähnlich deplaziertwie auch viele Kinder in dieser Institution,die sich in der Klinik normalerweise alsklein, schwach, fremdbestimmt und nichtselten als Behandlungsobjekte empfin-den. Der Klinikclown bewegt sich auf Au-genhöhe mit den Kindern, weil er in einerähnlichen Situation ist: „Gerade weil derClown immer wieder Probleme mit seinerUmwelt hat [...], fühlt sich ihm das Kindverbündet. Der Clown ist in Wahrheitnichts anderes als ein etwas zu groß gera-tenes Kind. Deswegen lachen die Erwach-senen über ihn; und die Kinder lieben ihnaus dem gleichen Grund. Das Handelndes Clowns wird vom Gefühl und nichtvom Verstand diktiert. Er setzt der logi-schen, vernünftigen und sachlichen Er-wachsenenwelt eine unbekümmerte Un-logik und Wundergläubigkeit entgegen. Erist der harten Lebensrealität einfach nichtgewachsen. Zu viele Fallgruben lauernseinem kühnen Unternehmergeist auf, zuviele Widerstände bremsen seine Tatkraft.Überall stößt er auf Grenzen, auf eine har-te und unnachgiebige Materie, die ihm,dem tapsig gutgläubigen dummen Au-gust, als böswillig und bösartig erscheinenmuss – genau wie dem behinderten, inseiner Aktionsfähigkeit beeinträchtigtenKind“ (Kiphard, o. J., S. 2). Aufgrund die-ser Wesensverwandtschaft zu seinen klei-nen Klienten scheinen ihm einige Kinderzuzutrauen, dass er ihre Situation im Kran-kenhaus mehr als manch ein anderer Er-wachsener intuitiv erfassen und nachemp-finden kann.
Die Figur des „dummen August“ ist ei-ne Variante der Clownfiguren, die dem
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Kind aufgrund seines entwicklungspsy-chologischen Status und seiner gesell-schaftlichen Position sehr nahe steht –ganz im Gegensatz zum Weißclown, des-sen Gegenpart. Dieses Clownspaar istschon lange im Zirkus erfolgreich (vgl.Schlenker, o. J.), weil die komplementä-ren Charaktere sich gut ergänzen unddurch ihren Kontrast verstärken. Klinik-clowns belassen es jedoch nicht bloß da-bei, die Situation und den Gemütszustandder Kinder zu spiegeln, sondern der„dumme August“ macht Späße, in die ersie unmittelbar einbezieht – sei es durchdirekte Ansprache, oder indem er sie bit-tet, ihm etwas zu erklären oder auchdurch inszenierte Hilflosigkeit, durch dieviele Kinder sich zu Hilfeleistungen aufge-fordert fühlen. „So werden Clown undKind zu Verbündeten, ja das behinderteKind hat sogar die Chance, einiges besserzu können als der dumme August. In demBemühen, dem hilflos in die Tücke desObjekts verstrickten Clown aus der Pat-sche zu helfen, stellt sich ein Gefühl derÜberlegenheit ein, welches sogar geistigbehinderte Kinder über sich selbst hinaus-wachsen lässt. In diesem übermütigenSpiel können sie oftmals erleben, dass siein mancherlei Hinsicht besser dran sindals der dumme August, der immer allesfalsch anfängt. Dabei kommt es zu einergenerellen Aktivierung ihrer Handlungs-und Kooperationsfähigkeit, und zwar aufgleicher sozialer Ebene mit dem Erwach-senen in der Clownrolle. Ja, es ist häufigsogar so, dass das Kind in die Lehrerrolleschlüpft, dem Clown Mut zuspricht, ihntröstet oder ihm zeigt, wie er eine Aufga-be besser und erfolgreicher lösen kann. Inder Rolle des Helfenden, Führenden undLehrenden wird dem behinderten Kind ei-ne ungeahnte Selbsterhöhung zuteil“ (Ki-phard o. J., S. 2).
Mit Bezug auf seinen 1970 ausge-strahlten Film „Die Clowns“ bietet der Re-gisseur Federico Fellini eine gute Analysedes Verhältnisses zwischen dem „dum-men August“ und dem Weißclown (zitiertnach Schlenker, o. J., S. 5, Kursivsetzungi. Orig.): „Wenn ich Clowns sage, denkeich an den August; freilich sind da die bei-den Figuren: der weiße Clown und derAugust. Der erste ist Eleganz, Grazie undIntelligenz, Klarheit – alles, was sich mora-lisch als ideale, einzig gültige Lage, als in-diskutierbare Gottheit anbietet. Und daerscheint der negative Aspekt dieser An-gelegenheit. Denn so wird der weißeClown zur Mama, zum Papa, dem Meis-ter, dem Künstler, dem Schönen, kurz, zudem, was man tun sollte. Der August, dervon dieser Perfektion fasziniert wäre,wenn sie nicht so deutlich zur Schau ge-tragen würde, der revoltiert. Er sieht, dassder Flitter leuchtet, doch macht die Aufge-blasenheit, mit der er sich darstellt, denweißen Clown unerreichbar. August istdas Kind, das unter sich kackt, er rebelliertgegen diese Perfektion, besäuft sich,wälzt sich auf dem Boden und belebt da-her den ständigen Widerspruch. Es ist derKampf zwischen dem stolzen Kult derVernunft, der zum anmaßenden Kult desÄsthetizismus wird, und dem Instinkt, derFreiheit des Triebes“.
In der Klinik ist der „dumme August“nicht auf den Weißclown als Kontrastfigurund Widersacher angewiesen. Hier be-wegt er sich in einem Milieu, das mit sei-ner Rolle vortrefflich kontrastiert, weil esvieles von dem verkörpert, was den Weiß-clown ausmacht: Rationalität, Technizis-mus, Hierarchie, emotionale Kälte – alsAusstrahlung der Institution, nicht derdort arbeitenden Menschen – und einHandeln nach Kalkulation des Kosten-Nutzen-Aufwands, das seit den Reformenim Gesundheitswesen mehr denn je fest-
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zustellen ist. Die Klinik ist, so gesehen,gleichsam eine Hochburg der Weiß-clowns. Vielleicht haben deswegen dieersten Klinikclowns in ihrer Verkleidungals Ärzte vor allem die Regeln, Abläufeund Rituale der Klinik aufs Korn genom-men. Auch heute ist die Verkleidung derClowns als Ärzte nicht nur in den USA,sondern auch in Deutschland und ande-ren Ländern noch weit verbreitet (vgl.Görke, 2006). Inzwischen treten Clownsjedoch auch häufig im bekannten buntenClownskostüm auf – in bewusster Abgren-zung vom medizinischen Betrieb.
Bei aller notwendigen Abgrenzungvon der Klinik üben Klinikclowns jedochnicht etwa fundamentale Kritik an dieserInstitution – ganz im Gegenteil: Sie haltensich bewusst zurück. Nicht nur die Patien-ten, auch die Klinik profitiert von ihrer Ar-beit; sie geben der Klinik ein freundliche-res Gesicht und unterstützen auf ihre Artderen medizinisch-therapeutische Ziele.
Der Klinikclown als ProfessionWährend die Ursprünge der komischenFigur sich bis in die Antike zurückverfol-gen lassen und wahrscheinlich auch prä-historische Wurzeln haben, weil Humorund Lachen zur anthropologischenGrundausstattung des Menschen zählen,ist die Geschichte der Klinikclowns sehrjung und gut rekonstruierbar. Einem brei-ten Publikum ist durch die gleichnamigeHollywood-Verfilmung mit Robin Wil-liams in der Hauptrolle die Arbeit des Arz-tes Patch Adams bekannt geworden.Patch Adams gilt als einer der Entdeckerder positiven medizinischen Wirkungendes Humors (www.patchadams.org). DieInitiative zum Einsatz von Clowns in Klini-ken ist allerdings auf eine Idee Michael
Christensens, eines Mitbegründers desNew Yorker Big Apple Circus, zurückzu-führen. Christensen trat Mitte der achtzi-ger Jahre als Clown, verkleidet mit einemweißen Kittel, bei einem Fest in einer Kin-derklinik auf. Aufgrund des großen Erfolgsdieses Auftritts und der vielen Anfragenweiterer Krankenhäuser gründete Chris-tensen schließlich ein eigenes Unterneh-men. Einige Jahre später, 1994, regten dieBeispiele aus den USA erstmals den Ein-satz von Clowns in einem deutschenKrankenhaus an (vgl. Görke, 2006).
Das Wirken von Klinikclowns ist in derÖffentlichkeit weitgehend unbekannt. ImAllgemeinen treten Clowns im Zirkus auf;eine Clownnummer zählt zum Repertoireder meisten Zirkusaufführungen. Hier er-scheint der Clown als Spaßmacher, oftauch als Akrobat, als Unterhalter, der voreinem Publikum auftritt, sich an eineMenge richtet und eher selten einzelneZuschauer in eine Nummer einbezieht.Die meisten clownesken und akrobati-schen Fähigkeiten, über die ein Zirkus-clown verfügt, sind – wenn auch oftmalsnicht in dieser Perfektion – ebenfalls eineVoraussetzung für die Arbeit als Klinik-clown. Klinikclowns bedienen sich dergleichen Mittel wie Zirkusclowns, um ko-misch zu wirken. Sie weichen in Kleidungund Auftreten bewusst von Regeln undNormen ab, verwenden deutliche Kon-traste (wie Pat und Patterchon), sie über-treiben – etwa, indem sie mit einem gro-ßen Aufwand eine minimale Wirkung er-zielen usw. (vgl. Kiphard, 1999). Viele Teil-nehmer an einschlägigen Ausbildungskur-sen verfügen bereits über eine Ausbil-dung im darstellend-künstlerischen Be-reich; sie sind ausgebildete Clowns, Tän-zer, Musiker oder Schauspieler.
Ein professioneller Klinikclown gestal-tet die Clownrolle in Orientierung an derLebenssituation und den Bedürfnissen
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kranker Menschen sowie an den beson-deren Bedingungen der Klinik. Klinik-clowns sind weniger artistisch tätig als Zir-kusclowns, sie glänzen nicht, werden we-niger bestaunt und beklatscht, sie über-nehmen in der Klinik eine psychosozialeAufgabe. Ihre Wirkungen entfalten dieClownauftritte durch improvisiertes Vor-gehen. Jedes Festhalten an einem starrenProgramm verhinderte eine echte Interak-tion; es würde zur Show und wiese denKindern eine bloße Zuschauerrolle zu.Dieses Spiel spräche nicht persönlich an.Das improvisierte offene Handeln aus derRolle des Clowns heraus fordert eine guteBeobachtungs- und Auffassungsgabe,menschliche Reife und Erfahrung sowieEmpathie, Spontaneität und Phantasie,insbesondere eine Kenntnis des gesund-heitlichen Zustandes und der Erlebens-weise kranker Kinder und Jugendlicher.Natürlich sind Klinikclowns, die sensibelauf ihr Gegenüber eingehen und emotio-nal schwingungsfähig sind, nicht auf dielustig-ausgelassene oder blödelnde Rollefestgelegt. Sie gehen vielmehr von derpsycho-physischen Verfassung ihrer jun-gen Klienten aus. Das bedeutet freilichauch, dass sie ggf. den Wunsch eines Kin-des akzeptieren, nicht besucht zu wer-den. Die Freiwilligkeit der Kinder ist dieunabdingbare Voraussetzung jederClownsarbeit (vgl. Görke, 2006).
Wie allgemein in der psychosozialenund der pädagogischen Arbeit stellt sichKlinikclowns die Frage nach dem ange-messenen Verhältnis von Nähe und Dis-tanz zu ihren Klienten. Die Clowns solltenintuitiv in kurzer Zeit die Bedürfnisse ihresGegenübers einschätzen können. Dazumüssen sie eine empathische Verstehens-leistung erbringen; sie sollten in der Lagesein, ihr Gegenüber aus dessen Positionzu verstehen, indem sie sich in den ande-ren hineinversetzen, und versuchen zu
fühlen, zu denken, wie der andere fühltund denkt – freilich immer ohne Identifi-kation mit dem anderen und unter Wah-rung ihrer Rolle. Wie allerdings authenti-sches Fühlen, Denken und Handeln inden vergleichsweise engen Grenzen einerRolle – sei es auch eine Rolle, die vieleFreiheiten gewährt und Möglichkeiten er-öffnet – gelingen kann, bleibt m. E. in derClownpädagogik noch seltsam unbe-stimmt. Wie bei Görke wird dieses Pro-blem nicht selten durch eine Glorifizie-rung der Clownrolle umgangen. So er-scheint der Clown als der ‚bessere Hel-fer’ – etwa wenn Görke schreibt: „Oftversuchen Ärzte und Eltern das Kind mitHilfe des so genannten ‚aufgesetztenZweckoptimismus’ zu schonen, indem sieihm immer wieder vormachen, dass dieKrankheit bald überstanden sei, und esunbewusst mit seinen Fragen und Ängs-ten völlig allein lassen. Die Clown-Dokto-ren dagegen haben immer ein offenesOhr und sprechen über Dinge, die für diemeisten Erwachsenen ein großes Tabusind. Somit wird der Clown zum Verbün-deten des Kindes und zusammen könnensie spielen, lachen und – wenn hilfreich –auch weinen“ (Görke, 2006, S. 4). Diesesvon Görke gezeichnete Bild, vor allem diedarin enthaltenen Abwertungen, ent-spricht eindeutig nicht der Realität, dennKinder vermögen sehr wohl zu unter-scheiden zwischen den Menschen, die ih-nen Tag für Tag authentisch als sie selbst,nicht durch den Schutz einer Rolle unddurch eine Maske von ihnen abgeschirmt,auf der Station begegnen, und denClowns, die letztlich anonym bleiben undnur vergleichsweise selten und kurz in Er-scheinung treten. Eine im Alltag tragfähigeBeziehung kann zu einem Klinikclownnicht entstehen – und sie muss es auchnicht, damit der Clown seine besonderenMöglichkeiten entfalten kann. Klinik-
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clowns sollten ihre Wirkungen jedoch rea-listisch einschätzen können, weder All-machtsphantasien entwickeln noch fal-sche Erwartungen wecken und ihre pro-fessionelle Rolle als Fachkräfte im Klinik-team klar definieren.
Umfassende Bemühungen zur Profes-sionalisierung der Arbeit von Klinikclownshat deren beruflicher Dachverband unter-nommen. Auf seiner Homepage (vgl.Dachverband Clowns, o. J.) hat er einenfür die Mitglieder der ihm angehörendenVereine verbindlichen „ethischen Codex“mit neun Prinzipien veröffentlicht, die dieQualität und Professionalität derClownsarbeit sichern helfen sollen. DiesePunkte werden im Folgenden zitiert undkommentiert:1. „Um die besondere Umgebung eines
Krankenhauses besser zu verstehenund zu respektieren, bilden die Mit-gliedsvereine die Clowns [...] für die Ar-beit in der Klinik aus und helfen ihnendadurch ihre Kenntnisse entsprechendanzupassen.“ Viele Klinikclowns verfü-gen bereits über eine einschlägigekünstlerische Vorbildung, die durch ei-ne clownpädagogische Ausbildungdem klinischen Einsatzbereich entspre-chend spezifiziert wird (vgl. insbeson-dere das Curriculum des Instituts fürClownpädagogik, o. J.).
2. „Innerhalb des Krankenhauses über-nimmt der Clown keine Funktion, dieaußerhalb der Grenzen seiner künstleri-schen Aktivitäten liegt.“ – In positiverFormulierung: Der Clown ist aus-schließlich künstlerisch tätig. Er soll mitseiner Kunst dazu beitragen, den Klink-alltag der Patienten, aber auch derenAngehöriger und der Klinikmitarbeiterdurch Humor, Spiel und Phantasie zubereichern und den Klinikaufenthalt zuerleichtern. Er kann durch seine Arbeit
dazu beitragen, dass Patienten und de-ren Angehörige einen anderen Blickauf die Krankheit und deren stationäreBehandlung werfen.
3. „Der Clown ist für seine Aktivitäten in-nerhalb des Krankenhauses verantwort-lich.“ Er achtet die persönliche Würdeund Integrität der Patienten und derenAngehöriger sowie die Arbeit und Rol-le der Klinikmitarbeiter. Der Clownbleibt während seiner Arbeit grundsätz-lich in seiner Rolle – möglichst unab-hängig von persönlichen Gefühlen,Überzeugungen, Interessen, Neigun-gen und seiner familiären, beruflichenund sozialen Lebenssituation. Er wertetund bewertet nicht und vermeidet alleÄußerungen und Handlungen, die an-dere Menschen irritieren oder verlet-zen könnten.
4. Der Klinikclown unterliegt der Schwei-gepflicht, arbeitet diskret und vertrau-lich. Er tauscht sich fachlich mit denMitarbeitern der Klinik aus.
5. Vor dem Beginn der Arbeit mit seinenKlienten wird der Klinikclown umfas-send über deren aktuelle gesundheitli-che, psychische und psychosoziale Si-tuation informiert, sofern dieses Wissenfür seine Tätigkeit von Belang ist.
6. Der Klinikclown bildet sich künstlerischund fachlich fort, um die Qualität sei-ner Arbeit zu sichern. Dabei erwirbtund vertieft er Kenntnisse und Fertig-keiten, die eine Grundlage für seine Ar-beit mit kranken Menschen in der Kli-nik sind.
7. „Die Sicherheit der Patienten ist obers-tes Gebot bei allen Aktivitäten desClowns.“ Der Clown hat Sorge dafür zutragen, dass von ihm selbst, seinemHandeln und seinen Utensilien keineGefahren für andere ausgehen.
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8. „Der Clown respektiert und befolgt diein den einzelnen Stationen der jeweili-gen Krankenhäuser geltenden Hygiene-vorschriften und Regeln.“
9. „Der Clown ergreift niemals Partei be-züglich Kontroversen innerhalb desKrankenhauses, Klagen über die Ver-sorgung oder Probleme, die das Perso-nal und die Verwaltung betreffen.“
Der für die Mitglieder des Dachver-bandes verbindliche ethische Kodex istein Zeichen für die inzwischen erreichtenhohen professionellen Qualitätsstandardsder Clownsarbeit in der Klinik. Mit ihm ge-ben die Klinikclowns sich eine Verfassung.Der Kodex dient als Orientierung für dieQualität praktischer Arbeit, er stellt Forde-rungen an die Clowns, aber auch an dieKliniken, die ihrerseits die Voraussetzun-gen für die Tätigkeit der Klinikclownsschaffen sollen. Wenn der ethische Kodextatsächlich eine Relevanz für die alltägli-che Arbeit der Clowns gewinnt, kann ereine wirkungsvolle Grundlage für derenTätigkeit sein.
Was können Clowns in derKlinik bewirken?Die Erfolge der Klinikclowns sind nichtvon der Wirkung ihrer Arbeit zu trennen.Die folgende Übersicht basiert auf denEindrücken aus eigenen Hospitationenbei Clownauftritten im Krankenhaus, ver-öffentlichten Erfahrungsberichten und Re-portagen über die Arbeit von Clowns undweiterer Literatur zu diesem Thema.
1. Clowns wollen komisch wirken undMenschen zum Lachen bringen. DieseAufgabe und Absicht ist wie selbstver-ständlich mit ihrer Arbeit verbunden.Auch in der Klinik verfolgen Clowns
dieses Ziel, allerdings unter völlig ande-ren Rahmenbedingungen als im Zirkus.Hier erreichen sie einerseits Menschen,die aufgrund ihrer Krankheit sehr belas-tet sind, und sie arbeiten in einem Feld,das ein besonderes Maß an Sensibilitätund Taktgefühl verlangt, andererseitssind ihre Kinder-Klienten, ebenso dieanwesenden Erwachsenen, meistensbesonders empfänglich für Begegnun-gen dieser Art – empfänglicher viel-leicht als manch ein Zirkusbesucher,der die Clownnummer als eine untervielen betrachtet und sich unterhaltenlässt.Das Lachen und seine Wirkungen sindseit einigen Jahren ein Gegenstand wis-senschaftlicher Forschung, der Geloto-logie (vgl. Titze, 1995; Titze & Eschen-röder 2000, S. 9; Fry, 2006). Die vielfäl-tigen bislang vorliegenden Ergebnissezusammenfassend können im Wesent-lichen drei Wirkungen des Lachens un-terschieden werden:Physiologische Wirkung: Lachen wirdals körperlich angenehm und entspan-nend empfunden (vgl. Titze & Eschen-röder, 2000, S. 17). Es wirkt stimulie-rend auf den Körper: Die Atemkapazi-tät erhöht sich, der Herzrhythmussteigt zunächst und sinkt anschließendfür längere Zeit ab, die Arterien weitensich und transportieren mehr Blut (vgl.Titze & Eschenröder, 2000, S. 19ff).Während des Lachens bildet der Kör-per Endorphine. Außerdem wird dasImmunsystem gestärkt (vgl. Titze &Eschenröder, 2000, S. 19ff ) und richti-ges Atmen gefördert (vgl. auch Fry,2006; Kiphard, 1999).Emotionale Wirkung: Lachen wirkt inemotionaler Weise wohltuend. Es ver-mindert negative Emotionen wieFurcht, Ärger und Depressionen (vgl.Fry, 2006). Mit dem Lachen ist meist
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auch ein hoffnungsvoller Blick in dieZukunft verbunden. „[...] der freudige,humorvolle Mensch blickt hoffnungs-voll in die Zukunft. Er ist fest entschlos-sen, das Leben zum besseren hin zuverändern“ (Kiphard, 1999, S. 2). Die-ser Aspekt hat für Kinder in stationärerKrankenhausbehandlung sicherlich ei-ne besondere Bedeutung.Interpersonale Wirkung: Lachen undHumor wirken ansteckend. Sie förderndie soziale Interaktion (vgl. Fry, 2006).Derjenige, der sich freut, möchte dieseFreude mit anderen teilen. „In derFreude neigt der Mensch dazu, stattdes Trennenden das Gemeinsame zubetonen. Dabei entsteht ein Gefühl derSolidarität“ (Kiphard, 1999, S. 2).
2. Clowns können durch ihren Humor so-zial integrierend wirken (vgl. auch Oels-ner, 2006, S. 6f). Sie können aufgrundihrer Außenseiterposition im hierar-chischen Gefüge der Klinik dazu beitra-gen, das soziale und emotionale Klimaim Krankenhaus zu verbessern und ei-ne verbindende Atmosphäre zwischenPatienten und Klinikpersonal zu schaf-fen. Für diese Arbeit kommt ihnen zu-gute, dass sie durch ihre Rolle schnell ineinen guten Kontakt zu Kindern und El-tern kommen und einen Sympathiebo-nus genießen. Das Klinikpersonal er-wartet von den Clowns, dass sie ihrepositiv exponierte Stellung nicht aus-schließlich für sich persönlich bean-spruchen, sondern eine sozial integrie-rende Funktion ausüben und auf dieseWeise sozial funktional für das Gesamt-system werden.
3. Die Sichtweisen des Klinikclowns undsein Handeln können für Kinder und Er-wachsene beispielgebende Angebotesein, bekannte Wahrnehmungs-, Denk-,Bewertungs- und Handlungsweisen in-frage zu stellen. Klinikclowns können
dazu beitragen, die Wirklichkeit anderszu sehen und zu bewerten und infolge-dessen ggf. auch mit einer Krankheitund der Behandlungssituation andersumzugehen (vgl. Titze, 1988; Kiphard,1998; Görke, 2006). Phantasie, humor-volle Brechungen und Distanzierungkönnen zu einem konstruktiveren Um-gang mit der Krankheit und zur Bewäl-tigung von Krankheit beitragen undpsychischen Stress und Angst abbauenhelfen. Diese Wirkungen werden auchpsychotherapeutisch genutzt (vgl. Ki-phard, 1999; Titze, 1995; Titze &Eschenröder, 2000).
4. Clowns lenken ab. Ihre Auftritte habeneinen hohen Unterhaltungswert. DenBesuch eines Clowns erleben viele Kin-der als einen Höhepunkt des Klinikall-tags. Einige Kinder leben auf dieses Er-eignis hin, freuen sich darauf und erin-nern sich auch Tage danach noch ger-ne daran. Manchmal sind die Eindrückeaus dem Auftritt des Klinikclowns aucheinige der wenigen Erinnerungen einesKindes an seinen Aufenthalt im Kran-kenhaus.
5. Clowns können – vor allem in der Rol-le des „dummen August“ – eine Identi-fikationsfigur für Kinder im Kranken-haus sein. Insbesondere Kinder mit Be-hinderungen erkennen eigene Wahr-nehmungsweisen und Schwierigkeitenin dem Clown wieder (vgl. Görke,2006; Kiphard, o. J.) und können überihn und damit auch über sich selbst la-chen. Identifikationsfiguren mit einerähnlichen Wirkung bieten sich ihnen inder Regel im Krankenhaus nicht.
6. Die Figur des Clowns lässt Kindernaber auch die Freiheit, sich bewusst ab-zugrenzen. Indem sie dem „dummenAugust“ Hilfe leisten und ihm mit Für-sorge begegnen, erleben sie sich alskompetenter, als über ihm stehend.
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Dieses Erlebnis kann das Selbstbe-wusstsein und das Zutrauen in die eige-nen Fähigkeiten stärken (vgl. Kiphard,1998).
7. Diese Wirkung können Clowns in derRolle des „dummen August“ bei Ju-gendlichen in der Regel nicht mehr er-zielen. Jugendliche haben im Unter-schied zu Kindern oftmals ein ausge-prägtes Bewusstsein für Humor. Humorvermag kranken Jugendlichen kurzfris-tig über die durch die Krankheit und ih-re Behandlung verursachte narzissti-sche Kränkung hinweghelfen. Die zu-grunde liegende psychische Dynamikdes Humors hat Freud gültig analysiert:„Der Humor hat nicht nur etwas Befrei-endes […], sondern auch etwas Großar-tiges und Erhebendes […]. Das Großar-tige liegt offenbar im Triumph des Nar-zissmus, in der siegreich behauptetenUnverletzlichkeit des Ichs. Das Ich ver-weigert es, sich durch die Veranlassun-gen aus der Realität zu kränken, zumLeiden nötigen zu lassen, es beharrt da-bei, dass ihm die Traumen der Außen-welt nicht nahe gehen können, ja eszeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lust-gewinn sind. Dieser letzte Zug ist fürden Humor durchaus wesentlich“(Freud, 1982, S. 278, zit. in Titze &Eschenröder, 2000, S. 12).
Wie ist der Erfolg der Klinikclowns zu erklären?Der Einsatz von Clowns in der Klinik ist ei-ne Erfolgsgeschichte: Etwas mehr als zehnJahre nach dem ersten Auftritt eines Kli-nikclowns ist dieses Angebot inzwischensogar in kleineren Krankenhäusern mitnur einer Kinderstation verfügbar. Wäh-rend desselben Zeitraums hat sich die Si-tuation der psychosozialen Versorgung in
Kinderkliniken dagegen eher verschlech-tert. Die Kliniken konzentrieren sich unterdem Einfluss des Kostendrucks im Ge-sundheitswesen infolge der Gesundheits-reform zunehmend auf ihr medizinischesKerngeschäft und bemühen sich um Kos-teneinsparungen in medizinferneren Be-reichen. Von dieser Entwicklung sindauch Fachkräfte der psychosozialen Ver-sorgung in Kliniken betroffen. Erzieherstel-len werden vielerorts abgebaut. Vor die-sem Hintergrund erscheint der Erfolg derKlinikclowns als geradezu paradox. Er pro-voziert die Frage nach den möglichenGründen dieser Entwicklung, die nachfol-gend ohne Anspruch auf Vollständigkeitaufgrund eigener Anschauung erläutertwerden:1. Der Wert und Nutzen der Arbeit von
Klinikclowns liegt unmittelbar auf derHand; ihre Arbeit ist naturgemäß öf-fentlich und auffallend. Wer einmal ei-ne gute Clown-Visite auf einer Kinder-station erlebt und die Wirkungen aufdie Kinder und Jugendlichen beobach-tet hat, kann grundsätzlich nicht daranzweifeln, dass die Clowns ihre Zieleweitgehend erreichen. In der unmittel-baren Rückmeldung auf ihre Arbeit undder Evidenz des Erfolgs ist mit Sicher-heit ein Grund für den Erfolg von Klinik-clowns zu finden.
2. Die Figur des Clowns ist emotional po-sitiv besetzt. Clowns sind in der Regelaus dem Zirkus bekannt; sie verkörpernin den Augen der Kinder Lebensfreudeund eine völlig andere, außerklinischeWelt. Die Rolle des Clowns ermöglichteine schnelle Kontaktaufnahme. Siesetzt außerdem einen festen Rahmen,der für Klarheit sorgt. Jeder weiß, waser von einem Clown erwarten kannund was nicht. Das hilft dabei, mögli-ches Konfliktpotential durch überstei-gerte Erwartungen, Wunschdenken
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und Kontaktwünsche von vornhereinweitgehend zu vermeiden. Aus derGruppe der übrigen im KrankenhausBeschäftigten erwächst dem Clown inder Regel keine ernst zu nehmendeRollenkonkurrenz.
3. Klinikclowns arbeiten sozial nieder-schwellig: Sie gehen zu einem Kind, oh-ne dass sie gerufen worden wären, siekommen kostenlos, stellen keine Forde-rungen, setzen kaum etwas voraus,nicht einmal sprachliche Leistungen.Klinikclowns erwarten wenig, sie ma-chen ein freies Angebot und schließendarin grundsätzlich alle Patienten derStation, aber auch die übrigen Anwe-senden ein.
4. Der Einsatz von Klinikclowns als „Ex-perten für Humor“ folgt dem Prinzipder Arbeitsorganisation und der Vertei-lung von Zuständigkeiten und Kompe-tenzen, ohne die wohl kein komplexesSystem funktional wäre. Im System derKlinik tragen die Clowns zur Reduktionvon Komplexität bei; ihre Arbeit wirktsystemstabilisierend. Sie wird darüberhinaus öffentlichkeitswirksam als be-sonderes Engagement der Klinik gewer-tet. – Wenn es allerdings Experten fürHumor gibt, wäre zu fragen, wie es mitdem Humor bei den übrigen Beschäf-tigten steht. Hier wäre zu überlegen,wie es ihnen besser gelingen könnte,Humor in ihr tägliches Handeln zu inte-grieren. Gelungene Beispiele dafür gibtes in Kliniken zuhauf; sie sind allerdingsstark personengebunden (vgl. auch Tit-ze & Eschenröder, 2000, S. 147ff).
5. Im Hierarchiegefüge der Klinik ist fürKlinikclowns grundsätzlich kein Platz.Clowns sind keine festen Angestelltender Klinik; sie arbeiten auf Honorarba-sis und werden oft durch Spenden fi-nanziert. Ihre Beschäftigung ist für dieKlinik daher weitgehend risikoarm und
unproblematisch. Klinikclowns habendie Aufgabe, die medizinisch-therapeu-tische Arbeit der Klinik mit den ihnenzur Verfügung stehenden Mitteln zuunterstützen. Ihre Arbeit entlastet dasPflegepersonal und die Ärzte, weil siefür Ablenkung und gute Stimmung sor-gen und bei der Strukturierung des Ta-gesablaufs auf der Station helfen.Clowns füllen durch ihre Arbeit über-wiegend die ereignisarme Zeit derNachmittage, an denen Visiten, Unter-suchungen und Behandlungen meis-tens bereits stattgefunden haben.
Clownpädagogik – eine neue pädagogische Disziplin außerschulischerPädagogik bei Krankheit?
Pädagogik bei Krankheit führt in der Pra-xis und in der erziehungswissenschaftli-chen Forschung eine wenig beachtete Ni-schenexistenz. Verglichen mit anderen pä-dagogischen Handlungsfeldern arbeitennur wenige Pädagogen, fast ausschließlichsind es Erzieherinnen als Angestellte derKlinik oder Lehrer der Schule für Kranke,in somatischen oder psychiatrischen Klini-ken. Angehörige beider Berufsgruppensind durch ihre Ausbildung nicht auf dieArbeit mit kranken Kindern und Jugendli-chen und auf die besonderen Bedingun-gen pädagogischer Arbeit in einer Klinikvorbereitet worden. Das berufsspezifi-sche Fort- und Weiterbildungsangebot fürPädagogen in diesem Arbeitsfeld ist äu-ßerst begrenzt; nur selten werden Veran-staltungen zu einzelnen Themenberei-chen angeboten.
Im Vergleich zu außerschulischerKrankenpädagogik ist schulische Pädago-gik bei Krankheit an der Schule für Kranke
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in einer privilegierten Situation. Die Schu-le bietet – ungeachtet der Randständig-keit der Schulen für Kranke innerhalb desSchulsystems – einen gesellschaftlich an-erkannten, institutionell und organisato-risch eigenständigen Rahmen für eine Pä-dagogik bei Krankheit (vgl. Sekretariat derStändigen Konferenz der Kultusministerder Länder in der BundesrepublikDeutschland, 1998). In der außerschuli-schen Krankenpädagogik existiert nichtsVergleichbares; hier sind überwiegend Er-zieherinnen im eigentlichen Sinne päda-gogisch tätig; die Angehörigen andererBerufe arbeiten meistens in den Psychoso-zialen Diensten, den Allgemeinen Sozial-diensten der Kliniken oder im Rahmen So-zialpädiatrischer Zentren. Diese Pädago-gen sind in der Regel nicht organisiert; esgibt keinen Dachverband, keinen Fachver-band oder Ähnliches (abgesehen vonübergreifenden Verbänden, in denen psy-chosoziale Fachkräfte organisiert sind,und von allgemeinen Initiativen wie dem„Aktionskomitee Kind im Krankenhaus“,vgl. AKIK-Bundesverband, o. J.). Oftmalsarbeiten in kleineren Kliniken auch Erzie-herinnen als einzige Pädagogen im Klinik-team und haben daher vor Ort und meis-tens auch darüber hinaus nicht die Mög-lichkeit des fachlichen Austauschs. Ent-sprechend dürftig ist auch die Literatur zudiesem Thema im Vergleich zu den Dar-stellungen schulischer Pädagogik beiKrankheit. Die bislang umfangreichste Ar-beit hat Theis mit seiner Dissertation vor-gelegt (vgl. Theis, 1991).
„Clownpädagogik“ als eine Entwick-lung außerschulischer Pädagogik beiKrankheit wird m. W. ausschließlich au-ßerhalb der Schule praktiziert und siewird wohl auch keinen Eingang in dieSchule finden, weil sie mit dem institutio-nellen Charakter und dem Auftrag derSchule nicht vereinbar ist und ihre Adres-
saten überwiegend in der Gruppe kran-ker, in der Regel stationär behandelterKinder und Jugendlicher findet. Davon un-abhängig scheint Kiphard sich einiges voneiner Verbindung der Lehrer- und derClownsrolle zu versprechen. Er berichtetvon Versuchen mit „Clownstagen“ in derSchule und schlägt vor, an solch einemTag einmal pro Woche das Klassenzim-mer zur Zirkusmanege umzufunktionie-ren. Die Lehrer sollen „die ‚Oberclowns’spielen oder sich, noch besser, nach demSchminken zur Freude der Kinder in denAugust verwandeln“ (Kiphard, 1998, S. 3).Die Verbindung der Clownsrolle mit derdes Lehrers dürfte in der schulischen Pra-xis zu vielerlei Problemen führen, weil un-weigerlich Rollenkonflikte entstehen, daAnteile der Lehrerrolle (erziehen, diszipli-nieren, sanktionieren, bewerten, usw.)sehr weit von dem Charakter des Clownsabweichen. – Diese Einschränkungen soll-ten freilich nicht den grundsätzlichen Stel-lenwert des Humors in der Schule infragestellen.
Der Begriff „Clownpädagogik“ sugge-riert die Existenz einer Praxis und einervergleichsweise einheitlichen zugrundeliegenden Theorie. Clownpädagogik ist ineinem künstlerischen, häufig schauspiele-rischen, pädagogisch semiprofessionellenBereich entstanden. Sie hat sich durch ex-terne Einflüsse in den Kliniken entwickelt.Die in der Klinik tätigen Pädagogen habenin der Regel keinen Anteil an dieser Ent-wicklung. „Clownpädagogik“ ist eine Pra-xeologie, sie bezeichnet ein Sammelsuri-um von Handlungswissen, das sich auspraktischen Erfahrungen und ihrer fortlau-fenden praxisorientierten Reflexion he-rausgebildet hat. Eine umgreifende, kon-sistente und grundlegende Theorie istnach so kurzer Zeit noch nicht formuliertworden, obgleich bereits einige Vorarbei-ten dazu vorliegen (Studien zur Rolle und
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Figur des Clowns – vgl. v. Barloewen,1984; Koch & Vaßen, 1991; v.d. Borne,1993; Fried & Keller, 1996; zu Bedingun-gen, Wirkungen und Möglichkeiten vonHumor in der pädagogischen Arbeit – vgl.Kassner, 2002; Oelsner, 2006; auch kon-kret zur Arbeit von Klinikclowns – vgl. Tit-ze & Eschenröder, 2000, 154ff; Meincke,2000; Doehring & Renz, 2003; Schins,2007). Mit zunehmender Professionalisie-rung dieses inzwischen weit verbreitetenpädagogischen Angebots an Kliniken wirdwahrscheinlich auch das Bedürfnis nacheiner weiter reichenden konzeptionellenVerankerung und theoriegeleiteten Refle-xion dieser Praxis wachsen.
Mit der Begriffsprägung „Clownpäda-gogik“ scheinen sich nach Karnath (vgl.Karnath, 2006) weder Pädagogen nochClowns anfreunden zu können, weil erzwei Begriffe miteinander verbindet, dieanscheinend nach gängiger Meinungnicht zueinander passen: „Die Clownsverbitten sich, mit dem Feindbild allerschulgeschädigten Kinder in einem Atem-zug genannt zu werden, und die Pädago-gen verwehren sich dagegen, dass der ed-le Wilde [der Clown, A. W.] in die Niede-rungen der Lehrerzimmer herabgezogenwird“ (Karnath, 2006, S. 2). Der Klinik-clown hat – und da ist Karnaths Plädoyerfür den Begriff zutreffend – tatsächlich ei-nen pädagogischen Blick, wenn er vonder Lebenssituation kranker Kinder undJugendlicher ausgeht und sie durch direk-te Ansprache zu bessern sucht. Durch sei-ne klar definierte Rolle verfügt er, abgese-hen von den rollenspezifischen Einschrän-kungen, über besondere Möglichkeiten.Karnath schreibt: „Der Blick [...] desClowns ermöglicht, Dinge und Situatio-nen in ihrem ‚So Sein’ zu sehen, zu füh-len, zu hören und letztendlich zu verste-hen. [...] Er ist kein Erzieher mit Machtbe-fugnissen, kein Besserwisser und Pro-
blembewältiger [sic!]. Er hat die Freiheit,dumm und konzeptlos zu sein und aufdiese Weise seinen unverstellten Blick be-nutzen zu können“ (Karnath, 2006, S. 3).
Die Freiheit, die der Clown in seinerRolle, hinter einer Maske genießt und dieer professionell nutzen kann, und der Vor-teil, als ein ganz anderer mit Sympathie-und Vertrauensvorschuss vergleichsweiseleicht einen Zugang zu Kindern und Ju-gendlichen im Krankenhaus zu finden, er-öffnet ihm spezifische Möglichkeiten inder Arbeit mit seinen kranken Klienten. Inden Grenzen rollengebundenen Han-delns kann er seine pädagogische Arbeittun. Klinikclowns sind ohne Zweifel päda-gogisch tätig, insofern sie durch ihr Han-deln dazu beitragen können, kranke Kin-der und Jugendliche zu befähigen, sichkonstruktiv mit ihrer Lebenssituation aus-einanderzusetzen. Sie orientieren sich ander Lebenswelt ihrer kranken Klientenund finden eine kindgerechte Form desUmgangs und der Ansprache. Durch ihrHandeln tragen sie zu einer Normalisie-rung der Lebensverhältnisse von Kindernund Jugendlichen in stationärer Kranken-hausbehandlung bei.
Die Clownsrolle ist jedoch auch mitoffensichtlichen Einschränkungen verbun-den, die einerseits mit der spezifischen Fi-gur des Clowns an sich zusammenhängen(zeitlich punktuelle Auftritte, mangelndeAlltagsnähe, kaum überdauernde Bezie-hungen, ein vergleichsweise einge-schränktes Spektrum gemeinsamen Erle-bens u. a.), andererseits jedoch mit derTatsache, dass bei einem Clown eine ho-he Divergenz zwischen der Person hinterder Maske und ihrer individuellen Ausge-staltung der Clownsfigur vorauszusetzenist. Das ist auch den Kindern und Jugend-lichen bewusst: Sie wissen, dass derMensch hinter der Maske ‚eigentlich’ je-mand anderes als ein Clown ist, wenn-
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gleich sie das vielleicht hin und wieder imEifer des Gefechts zu vergessen scheinen.Auch bei einem Lehrer, einem Sozialpäda-gogen oder Erzieher werden sie zwischeneiner beruflichen Rolle und dem Privat-menschen unterscheiden – allerdings sinddiese Unterschiede in der Regel nichtnennenswert groß. Andernfalls nähmensie wohl weder den Lehrer, noch den So-zialpädagogen oder den Erzieher als au-thentisch wahr – und das hätte negativeKonsequenzen für deren Handlungsmög-lichkeiten und für die Qualität der päda-gogischen Arbeit.
Beim Clown liegen die Dinge anders:Er sollte möglichst nicht ‚aus der Rolle fal-len’ – durch persönliche Authentizitätschadete er aller Voraussicht nach seinerArbeit. Der einzelne Clowndarsteller be-gegnet dem Kind also lediglich in denGrenzen der von ihm ausgestaltetenClownsrolle. Er begegnet dem Kind inso-fern nur sehr bedingt als ein ‚signifikanterAnderer’. Die Grenzen der Beziehungzwischen dem Clown und dem krankenKind bezeichnen direkt auch die Grenzenpädagogischen Handelns für den Clown.Diese Grenzen und ihre Konsequenzenfür die pädagogische Praxis des Klinik-clowns zu bedenken ist eine zukünftigeAufgabe der „Clownpädagogik“. ErsteAnfänge sind bereits unternommen wor-den (vgl. den ,ethischen Kodex’).
Unabhängig von den beschriebenenEntwicklungen einer „Clownpädagogik“ist das Wissen um den pädagogischenWert des Humors auch in der schulischenPädagogik bei Krankheit präsent. Auf derTagung der Arbeitsgemeinschaft „Schuleund Psychiatrie“ (SchuPs) hat der Leiterder Kölner Schule für Kranke und Psycho-therapeut Wolfgang Oelsner die Bedeu-tung von Humor in der Pädagogik undseine möglichen Wirkungen besonders
hervorgehoben. Oelsner zeigt in seinemlesenswerten Beitrag,– dass der humorvolle Blick auf Kinder
und Jugendliche die Qualität der päda-gogischen Beziehung entscheidend po-sitiv beeinflussen kann (vgl. Oelsner,2006, S. 6)
– dass und wie die humorvolle Bewer-tung einer Situation konfliktentschär-fend und deeskalierend wirken kann(vgl. Oelsner, 2006, S. 7)
– dass Humor in der Pädagogik eineSchulkultur fordert, die weitgehend freiist von Leistungsdruck und von Gewalt(vgl. Oelsner, 2006, S. 8)
– wie Humor als eine Grundhaltung impädagogischen Alltag wirksam werdenkann (vgl. Oelsner, 2006, S. 10f).
Die Bedeutung von Humor in derSchule – insbesondere in der Arbeit mitkranken Kindern und Jugendlichen – wirdwohl von keinem Praktiker ernsthaft inZweifel gezogen. So wichtig Humor inder Pädagogik auch sein mag, so fraglichist doch andererseits, ob diese Einsicht be-reits die Etablierung eines neuen ‚Päda-gogik-Kompositums’ mitsamt einem eige-nen Begründungszusammenhang und ei-ner eigenen Ausbildung und Praxis be-gründen muss und sollte. Hier wäre zubedenken, ob eine solche Hervorhebungnicht zugleich einschränkend wirkte: Hu-mor führte dann gleichsam eine Nischen-existenz. Dagegen sollte Humor vielmehrTeil einer allgemeinen pädagogischenGrundhaltung sein. Er kommt dann ganzohne Rolle, Verkleidung und feste„Clownstage“ aus und wäre nicht bloßauf den Auftritt eines Clowns begrenzt.
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Anschrift des Autors:
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40489 Düsseldorf
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