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CARSTEN COLPE

ÜBERD S

H iliG

VERSUCH

S IN RVERKENNUNG

KRITISCH

VORZUBEUGEN

NTON H IN

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CIP-Titelaufnahme derDeutschen Bibliothek

Colpe,

Carsten

Über das Heilige Carsten Colpe. - Frankfurt am Main : Hain,

19 )0.

Anton Hain ; Nr. 3)

ISBN 3-440-o6oo3-7

NE:GT

© 1990

VerlagAllton Hain Meisenheim GmbH, Frankfurt

am

Main

Alle Rechte vorbehalten.

Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht

gestattet, das Buch oderTeile daraus auffotomechanischem

Weg Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen.

Gesamtgestaltung: Bayerl, Ost Rebmann, Frankfurt am Main

Satz:Typo Forum, Büdingen

Herstellung: Druckerei

Hermann

Duncker, Leipzig- IIIII8II38

ISBN 3-440-o6oo3-7

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EINLEITUNG ABSICHT)

7

A. ZU STÄNDIGENVORAUSSETZUNGEN

9

I. Fragen und Besinnung

Alltag, Dichtung, Wissenschaft, Politik)

II. Axiomatik

und

Chronologie

symbolische Formen, zeitliche Erfahrungen)

III. Sprachliche und nichtsprachliche Grundlagen

kultisches Reden, rituelles Handeln)

B.

AUS FRÜHEREN FORSCHUNGEN

19

rv Vorbereitungen empirie- und symbolbildenden

Erlassens J.Kant, J.F.Fries, E.Cassirer)

V Auseinandertreten von Begriffsübersetzung und

Namengebung

N.D.Fustel de Coulanges,

R.H. Codrington, E.Durkheim)

Vl. Anwendungen der beiden wissenschaftlichen

Aussageweisen VY.Wundt, W.Windelband, N.Söderblom)

VII. Hinwendungen zum Grundsätzlichen:

Das

Apriori-

Problem

E. Troeltsch,

R.

Otto,

P

Tillich)

C. UM KÜNFTIGE FORTSCHRITTE

50

VIII. Aufsuchen neuerVordergründe das Erhabene,

das Numinose, das Interessante, der Ernstfall)

IX. Sich entscheiden für die richtige Methode

Psychologie und Linguistik, Selbst- und Fremddefinition)

X. Belassen der Phänomene in der Geschichte

Urprofanität, Pansakralität, Transzendierung,

Säkularisation)

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XL

Sich bewegen in endlichen Gegebenheiten

Ekstase, Sexus, Lebensalter, Charisma)

D. INWEITEREN SCHWIERIGKEITEN

72

XII. Der ontologische Ausweg als Suche

nach Hintergründen Mircea Eliade)

XIII.

Der

soziologische Ausweg

zur

Vermeidung

von Aporien Jürgen Habermas)

XIY Verbreiterung der Phänomenenbasis in empirischer

Unbefangenheit Evidenzen und Vorbehalte)

XV Unvollständigkeit der begrifflichen Erfassung des

Heiligen aus ethischem

Defizit

Einheit der Forderungen nach Synthese und Moral)

ANMERKUNGEN

86

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EINLEITUNG ABSICHT)

»Das Heilige« ist ein Zauberwort, und auch die Sache, von

der es spricht, können wir uns heutzutage, wenn über-

haupt, am ehesten als etwas vorstellen, das unsere Welt,

vielleicht sogar: ie Welt, verzaubert. Schon immer aber

gab es

den echten und den faulen

Zauber,

den manche

auch den wahren und

den falschen, ja den guten und den

bösen nennen. Welcher Zauber es ist, der da uns oder die

Welt, vielleicht, verwandelt, verwandelt hat oder verwan-

deln könnte, das sagt uns die Erfahrung nicht eindeutig

und unmittelbar. Damit sie wenigstens eindeutig wird,

müssen wir leider auf Unmittelbarkeit verzichten, indem

wir uns vorbereiten, ähnlich wie wir es für die Erfahrung

von etwas Schönem oder sonstigem Außergewöhnlichen

tun, indem wir Tage, Stimmungen und Gelegenheiten of-

fenhalten, die seinem Eintreten günstig sind, oder indem

wir an

Orte gehen,

an denen

es

zu erwarten

ist das Ge-

genteil kann dann immer noch geschehen). Für »das Hei-

lige« besteht die Vorbereitung darin, daß wir uns verge-

genwärtigen, wie und von wem es früher und anderswo

bekundet wurde urid wird, und untersuchen ob es sich

wirklich als das Bekundete

erweisen

läßt. Solche Bemü-

hungen sind Wissenschaft.

Die Wissenschaft kann und will weder die Erfahrung »des

Heiligen« noch einen Existenzbeweis für dieses selbst

herbeiführen. Das einzige, was sie beisteuern kann, sind,

gegebenen Falles, einige Möglichkeiten, es richtig zu er-

kennen. »Richtig erkennen« bedeutet hier: Erfahrungen

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die solche >>des Heiligen sein könnten, so zu verifizieren

daß nicht widerlegt werden kann, sie seien Erfahrungen

von etwas Wirklichem,

und

Aussagen die

daraus eine

Er-

kenntnis machen sollen so zu treffen daß sie

nicht von

vornherein falsch sind. Wahrheitsbeweise lassen sich

hingegen beide Male nicht führen.)

Mag es auch unbefriedigend sein daß »das Heilige damit

nicht evident wird so ist es doch ein Gewinn daß seine

Unwirklichkeit nicht von vornherein feststeht wenn mit

der Möglichkeit zu rechnen ist daß man es nur verkannt

hat.

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A. ZU STÄNDIGENVORAUSSETZUNGEN

»Das Heilige<< so sei es vorausgesetzt, ist von derselben

Art wie andere nichtdingliche Grundgegebenheiten. Des

halb kommen für sie alle auch dieselben Erkenntnismög

lichkeiten in Frage. Ob diese aber zeitlos-transzendental,

oder

ob sie

Ergebnisse

unserer

stammesgeschichtlichen

Entwicklung sind, die an die Stelle von früheren traten,

das ist heute heiß umstritten. Wir stellen uns auf die Seite

derer, die das erstere behaupten, weil nicht ersichtlich ist

daß wir jemals Ordnung entbehren können- und werde

ihr

Geltungsbereich auch

noch so

klein-, und

daß die

Mit-

tel mit denen sich Ordnung schaffen läßt, anders konsti

tuiert seien als die Regeln richtigen Rechnens und logi

schen Denkens. Genauso, wie diese gültig sind einerlei,

ob und wann die Menschheit oder der Mensch sie ent

deckt oder erlernt, aber nicht wachsen wie ein physiologi

sches Organ gleich der Hypophyse oder dem Blinddarm

und irgendwann wie diese außer Gebrauch geraten, so

sind auch die Voraussetzungen für die Erkenntnis >>des

Heiligen« und die Möglichkeiten, es zu erfahren, unab

hängig von der physischen, emotionalen und mentalen

Befähigung des Menschen, sich

darauf

vorzubereiten.

Er

kenntnistheoretisch gelten diese Voraussetzungen be

ständig, so sehr auch der faktischeVollzug der Erkenntnis

heute und der Erfahrung einstmals geschichtlich ist.>

9

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I Fragen und Besinnung

Alltag, Dichtung, Wissenschaft, Politik)

Wenn wir etwas »heilig<< nennen, also etwa von »heiligen

Gütern<< >>heiligem Zorn<< »Heiligem Geist<< oder »einem

wunderlichen Heiligen<< reden, und wenn wir uns gar zu

einerVerallgemeinerung »das Heilige<< erheben, dann ent

steht sogleich eine schwierige Frage. Sie lautet: Reden wir

mit der Bezeichnung »heilig<< immer von derselben Quali-

tät?, oder: Ist »das Heilige<< immer und zu allen Zeiten das

selbe gewesen? Wir ahnen auch gleich eine vorläufige

Antwort, über deren Richtigkeit wir freilich nicht sicher

sind: Es könnte Unterschiede geben, welche die Einheit

der

Sache

fraglich

machen. Denn: In urgeschichtliche

Zeiten hinein, in denen es noch keine Schrift gab und wo

wir demgemäß die Sprachen nicht kennen, können wir

nur Rückschlüsse ziehen. Dabei kann man, wie bei allen

Schlüssen, fehlgehen. Seit aber Sprachen bekannt und er-

forscht

sind,

treten in

vielen von

ihnen

ganz verschiedene

Wörter hervor. Wir übersetzen sie in unseren heutigen

Sprachen in abermals ganz verschiedenenWörter, von de

nen das deutsche Wort »heilig« nur eines ist. Dieses Wort

wiederum könnte in der deutschen Bibelübersetzung, wo

wir vor allem von der Heiligung des Menschen durch den

Heiligen Gott lesen- »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin

heilig<< 5· Mose 19,2 -,etwas anderes bedeuten als z.B. im

achtzehnten Jahrhundert, da Klopstock dichtete: »Ja, wie

einen reisenden Jüngling, der seiner Geliebten/Und dem

empfangenden Blick/Und dem klopfenden Herzen voll

heiliger Zärtlichkeit

zu

weint<<

Oden

I 58),

oder da

Goethe

mit Werther aus seinem Leiden in die Zeiten zurück

blickte, als »ich dann die Vögel um mich denWald beleben

härte, ... und das Moos ... und das Geniste ... mir das in

nere glühende, heilige Leben der Natur eröffnete: wie

faßte

ich das

alles

in mein warmes

Herz,

fühlte mich

in

der überfließenden Fülle wie vergöttert und die herrli-

l

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chen Gestalten der unendlichenWelt bewegten sich allbe

lebend in meiner Seele«.

5

Wieder etwas anderes war si

cher

gemeint,

wenn

die Wissenschaften des

neunzehnten

und frühen zwanzigsten Jahrhunderts über Kultur und

Geschichte des Abendlandes mächtig hinausdrängend

das »Heilige« gleichsam zu einem Schlüsselwort interso

zietärer Erkenntnis machten, um die Voraussetzungen ar

chaischerVergesellschaftungwie die Hintergründe nicht

theistischer Religionen gleichermaßen in den Griff zu be

kommen.

Und was liegt vor, wenn gegen Ende unseres zwanzigsten

Jahrhunderts erwogen werden muß ob die Idee des Staa

tesgenauso eine Ganzheitsvorstellung repräsentiert, wie

es

im

Mittelalter die gotische Kathedrale tat, so daß

wir

einmal sangen: »Deutschland, heiliges Wort,/Du voll

Unendlichkeit/Über die Zeiten fort/Seist du gebenedeit /

Heilig sind deine Seen,/Heilig dein Wald ...«?Wenn sich

gar die Frage aufdrängt, ob die Rolle des politischen »Füh

rers« dieselbe Verpflichtung

auf

das Ganze,

um nicht zu

sagen: auf das Total(itär)e beinhalte, wie sie früher der

»Heilige« verkörperte? Oder wenn sich alsbald nach ei

nem blutigen Bombenanschlag eine Organisation dazu

bekennt, die Wert darauf legt, unter dem Namen »Islami

scher Heiliger Krieg« respektiert zu sein?

Schon diese

wenigen Erinnerungen

zeigen, daß

man

sich

dem , was man vielleicht »das Heilige« nennen darf, nicht

einfach anheimgeben kann, sondern eine gewisse intel

lektuelle Anstrengung aufwenden muß um zu verstehen,

worum es sich handelt. Wir würden nicht weiterkommen,

wenn wir

jetzt

zusammentragen würden was uns dazu

noch einfällt. Wir müssen schon den Weg der Analyse be

schreiten, auf die Gefahr hin, daß wir am Schluß Distanz

zu Etwas gewonnen haben das wir dann erst recht nicht

mehr kennen, aber zugleich in der Hoffnung, daß die Wis

senschaft ausnahmsweise auch einmal etwas leistet, was

uns persönlich nützt, nämlich Klarheit zu schaffen in ei-

 

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ner Materie deren Dunkelheit und Kompliziertheit uns

sonst blockieren würde und damit zu einer Freiheit zu

verhelfen die

nicht

auf den

Bereich des

Denkens

und

Nachdenkens beschränkt zu bleiben braucht.

Diese Hoffnung vor Augen wird es uns einleuchten daß

diesmal eine einzelne Wissenschaft weder allein kompe

tent noch - bei interdisziplinärer Fragestellung - auch

nur federführend sein kann wie es sonst meist der Fall ist.

Bei »dem Heiligen« denkt man zwar zuerst an »Religion«.

Aber schon wenn es zwischen der Zuständigkeit von

Theologie oder Religionswissenschaft zu wählen gilt ent

steht Streit. Die Geister scheiden sich hier obwohl sie in

zwischen wissen könnten daß man diese beidenWissen

schaften

nicht dann

am

besten

unterscheidet

wenn man

sich in der einen angstvoll gegen die andere abkapselt

sondern vielmehr dann wenn man ein genaues Gespür

dafür entwickelt hat wo es erlaubt oder sogar sachlich nö

tig ist die Grenze zwischen ihnen in der einen oder ande

ren

Richtung

zu

überschreiten. Genauso

ist

es

wenn man

nicht zuerst an Religion denkt sondern z B an Irrationali

tät statt an Rationalität an archaische Unbewußtheit statt

an moderne Aufgeklärtheit

an Erhabenheit statt

an

Durchschnittlichkeit an Außergewöhnlichkeit statt an

Normalität.

Nimmt man diese Kategorien als weitere Aspekte desThe-

mas dann könnte man ihnen ungefähr Philosophie Psy

chologie Ästhetik und Soziologie als zuständig zuordnen.

Doch auch dann müßte man nach jeder gelungenen Lö

sung damit rechnen daß das Problem in der Nachbarwis

senschaft vielfältig

wieder

auftaucht

und in der

Disziplin

für die man sich entschieden hat zu Revisionen zwingt

mit denen man nicht selten abermals seine Grenzen über

schreitet. Diejenigen der genannten Wissenschaften die

es mit Gesprochenem und mit Geschriebenem zu tun ha-

ben

müssen heute

überdies beachten

wie

sich

ihre

Spra

ehe oder Schreibe zu der ihres Gegenstandes verhält -

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eine Schwierigkeit, die sie mit Philologie, Sprach- und Li

teraturwissenschaft teilen, an die man sich sonst gleich-

falls gern, und vielleicht sogar zuerst, wenden würde; und

diejenigenWissenschaften, die es mitVerhalten, Handlun-

gen oder darstellender Kunst zu tun haben, müssen etwa

Symbole von Zeichen unterscheiden, um mehr

als

Ein-

drücke, Assoziationen oder Signale vermitteln zu

können.

Alles in allem ergibt sich eine so

neue Fraglichkeit der

Identität dessen,

was

man

»das Heilige«

zu

nennen

ge-

wohnt war, daß sich gleich zwei traditionsreiche Proble

matiken potenzieren, die erfahrungswissenschaftliche

und die erkenntnistheoretische Näheres siehe in Teil IV .

Dieser Lage kann man in einer kurzen Einführung nur

gerecht werden,

indem man

die

Einzelinformationen

ri

gide auswählt und die verbleibenden so kurz referiert,

wie irgend vertretbar, diese Auswahl aber mit um so mehr

kritischer Stellungnahme durchmischt, damit das Thema

von Fall zu Fall die Offenheit erlangt oder wiedererlangt,

wie es die in die geschlossenen Systeme jeder hiermit be-

faßtenWissenschaft einbrechenden Nachbarwissenschaf-

ten jeweils erzwingen.

Voraussetzen muß man, was eine

bescheidene Axiomatik in jedem Falle gestattet. Anfangen

kann man nur, indem man die Überzeugung vorspiegelt,

die Sache sei immer dieselbe gewesen und habe nur ver

schiedene Behandlungen erfahren. Fortfahren läßt sich

nur, wenn man Verallgemeinerungen nicht scheut, die

wie Binsenwahrheiten aussehen.

II. Axiomatik

und

Chronologie

symbolische Formen, zeitliche Erfahrungen)

Wir haben soeben von Gesprochenem und Geschriebe-

nem, von Handlungen und Darstellungen, von Symbolen

und Zeichen gesprochen und damit etwas ganz Gewohn-

tes, ja Gewöhnliches getan: wir haben abstrahiert und for-

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malisiert. So einfach dies ist, es kann uns helfen, etwas

sehr Schwieriges zu tun, nämlich gleich richtig anzufan

gen, bzw. die

historischen

Anfänge

ohne belastende

Vor-

entscheidungen aufzusuchen, wie man sie z.B. häufig

und gern mit Hilfe derVölkerkunde getroffen hat. Denn ob

wir es bei den Anfängen der Menschheit inhaltlich mit

dem »Heiligen zu tun bekommen, das wissen wir ja noch

nicht. Und sollten wir

Gründe haben, dies anzunehmen,

so wissen wir immer noch nicht, ob das »Heilige im onto-

logischen Sinne »ist<< und sich nur historisch partikulari

siert und >>zeigt<< oder ob

es aus Handlungen und Denken

der frühesten Menschen externalisiert wird und dann, als

ein Symbol wie andere objektiviert, weiterlebt Abstrahie-

ren wir

jetzt also

von Inhalten,

die

uns bisher

als

»heilig

in aller Vorläufigkeit begegnet sind und auf die wir in er-

gänzender historischer Kenntnis auch schon vorausblik

ken können, und formalisieren wir den Modus ihrer Ge-

gebenheit.

In diesem Sinne ist

wahrscheinlich eine

symbolische

Form, in welche Erscheinungsinhalte zu fassen wären,

die in historischer Zeit und in weiten Kulturbereichen un

ter anderem als »heilige bestimmt werden dürfen, als

Mittel oder prägende Kraft an allen Bezügen menschli

chen Lebens beteiligt gewesen, seit es ein solches auf der

Erde gibt. >Wahrscheinlich« muß man sagen, weil diese

Aussage aufzwei Voraussetzungen beruht, derenVerifizie-

rung durch irgendeine Art von Nachweis nicht möglich

ist.

Die erste Voraussetzung besteht darin, daß zusammen mit

der

Hominisation

aus dem

bloß

additiven

Zusammenle

ben der frisch entstandenen Menschen nur dadurch die

Urzelle) eine r) Gesellschaft entstand, daß eine reflektive

Transformation der zoologischen Naturwüchsigkeit statt-

fand, durch welche Instinkt zu Erfahrung wurde; anders

gesagt:

nur

dadurch, daß

die

bloße empirische

Natürlich-

keit der Individuen und ihres instinktiven Zusammenfin-

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dens in eine symbolhaltige Nicht-mehr- oder Mehr-als

Natürlichkeit, das heißt: Vergemeinschaftung oder Ver-

gesellschaftung überging, in der Erfahrungen dergestalt

gemacht wurden, daß man sie wiederholen, bedenken,

korrigieren und ausdrÜcken konnte.

4

Die zweite Voraussetzung ist, daß bei diesem Vorgang aus

Gewohnheiten eine Regelhaftigkeit entstand, wie sie für

Gentilbildungen schon von kleinstem Umfang und erst

recht für Institutionen und

Organisationen konstitutiv ist.

Diese erste Regelhaftigkeit aber muß wie jede spätere so

beschaffen

gewesen sein, daß als ihr Komplement oder

auch Gegensatz das Regelfremde, Anormale, Außerge-

wöhnliche nicht nur ständig bewußt blieb, sondern auch

jederzeit realisierbar

war. Und

sowohl

zur

Ausnahme als

auch zur Regel kann sich eine Reihe von Deutungen fü-

gen, wie sie der Mensch in Symbolen denkt oder in Intui

tionen gewahr wird.

Die erste Voraussetzung würde bedeuten, daß auch bei

>>dem Heiligen<< das uns bisher eigentlich lediglich als ein

heuristisches Leitmotiv gedient hat, von Anfang an eine

gewisse emotional-mentale Reflektiertheil mit im Spiel

war, welche die Art seiner Gegebenheit nun immerhin als

»Erfahrung des Heiligen<< erscheinen läßt.

5

Ob damit be

reits »Religion<< konstituiert war, müssen wir dahingestellt

sein lassen, weil

wir

uns

hier mit der

Definition von Reli-

gion nicht befassen. In bezug auf die zweite Vorausset-

zung kann das sowohl heißen, daß >>das Heilige<< auf die

Seite des Regelgemäßen, als auch daß es auf die Seite des

Regelwidrigen gehörte. Es kommt fürs erste nur auf sei-

nen

Erfahrbarkeitscharakter

an.

Dies

ist eine

symboltheo

retisch-anthropologische Grundvoraussetzung für

den

Anfang einer Entwicklung, aber nicht dieser Anfang

selbst. Anfänge solcher Art, also auch der des »Heiligen<<

sind überhaupt nicht datierbar. Prinzipiell, wenn auch

kaum praktisch datiert, d.h. in historischen Situationen

und an geschichtlichen Gegebenheiten aufgefunden wer-

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den können nur gewisse virtuelle Präsenzen, in derenVer-

folg es statthaft ist, von der realen Anwesenheit auch »des

Heiligen« zu sprechen, sobald die eingangs aufgezeigten

ständigen Voraussetzungen für das Erkennen besonderer

Handlungen, Gegenstände, Lokalitäten und Momente

einschlägig erfüllt sind siehe Teil X .

III. Sprachliche und nichtsprachliche Grundlagen

kultisches Reden, rituelles Handeln)

Wenn bis hierhin die Voraussetzungen richtig definiert

sind, dann enthalten sie die Mehrzahl der Probleme, wel-

che bestehen

seit

der

Mensch

Erfahrungen macht und

sich bewußt macht, und das heißt zugleich: seit er dies

mittels bestimmter Symbolisierungen tut. Prinzipiell um

einen Grad weniger wichtig ist es, ob diese Symbolisie-

rungen sprachlich oder nichtsprachlich waren. Dennoch

haben

die

ersteren gerade

in den

westlichen Wissenschaf-

t e n ~ nur diese sind es, die hier gefragt i n ~ die Aufmerk-

samkeit absorbiert, seit hellenistische Juden das qiidöS

aus der hebräischen Bibel mit hagios lateinische Chri-

sten dieses aus Septuaginta und Neuern Testament mit

sanctusund deutsche Mönche und Humanisten dieses aus

der Vulgata mit heilig wiedergaben. Auf die Verhältnisse

in den anderen Wissenschaftssprachen ist zurückzukom-

men.) Diese Übersetzungen sind unwiderrufbar und ehr-

würdig. Aber wir wissen, mWechselspiel welcher histori-

schen Umstände, ja Zufälligkeiten sie geschehen sind,

und

daß,

wären

sie bloß

auf

den Ebenen der

Etymologie

und der Synonymik vonstatten gegangen, auch ganz an-

dere Wörter hätten etabliert werden können.

Die für die Effektivität ihrer Arbeit unabdingbare gleich-

wohl manchmal beneidenswerte Unbekümmertheit der

Lexikographen

und

Philologen

beruht auf der

Faktizität

solcher Übersetzungsvorgänge und ihrer Ehrwürdigkeit.

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Sie hat auch zu einer Selbstverständlichkeit in der Identi

fikation »des Heiligen<< geführt deren Wert man noch

heute bei verändertem Problembewußtsein nicht gering

achten wird. Jahrhundertelang in unserem und dem isla

mischen Kulturkreis spätestens seit der alexandrinischen

Wissenschaft in Indien seit Panini hat man so gearbeitet.

Resultate die man so gewinnt sind genauso wichtig wie

sie früher waren wenn man sie nur an der richtigen Stelle

im

sich

immer

weiter

diffenzierenden

Erkenntnisprozeß

einsetzt.

Auch die Anwendung einer derart stabil gewordenen

Übersetzungsterminologie auf bestimmte Wörter aus den

vielen Sprachen die man seit dem Zeitalter der Entdek

kungen kennenlernte und in welchen auch

religiöse

Texte überliefert sind beruht auf der Grundannahme der

Gleichwertigkeit der Begriffe in diesem Falle also der

»Heiligkeits<<-Begriffe innerhalb und außerhalb des Gül

tigkeitsbereichs der »philologia perennis<<. Hier allerdings

wird die Sache bedenklich: Nicht nur bei Überschreitung

dieses Bereichs sondern auch zwischen den modernen

Metasprachen innerhalb desselben die ja ähnlich wie die

alten Objektsprachen für das was wir für dasselbe zu hal

ten geneigt sind verschiedene Wörter nebeneinander ha

ben entstehen Äquivalenzprobleme.

Sogar die nichtphilologisch-lexikologischen also

vor

al

lem die ethnologischen und die soziologischen Methoden

bei der Identifizierung >>des Heiligen<< die sich vornehm

lich an die eingangs angedeuteten nichtsprachlichen

Symbolisierungen-am ehesten also: an rituelle Handlun

gen

-

halten

waren und sind noch

oft

der

philologia

per

ennis manchmal sogar der philologia sacra verhaftet

neben welcher oder gegen welche sie einer von >>theologi-

schen<< Prämissen endlich befreiten Betrachtungsweise

doch eigentlich zu ihrem Rechte verhelfen wollen.Würde

man sein Augenmerk auf die moderne Linguistik richten

würde hervortreten daß und wie erst sie sich konsequent

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aus dieser Tradition und von ihren inhaltlich so prägen-

den Vorgaben gelöst hat.

6

Nicht zuletzt d durch ist uch

solchen Wissenschaften die sich

mit

symbolischen For-

men nichtsprachlicher Natur befassen zu einer eigen-

ständigen Theorie verholfen worden.

8

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B AUS FRÜHEREN FORSCHUNGEN

Die frühere wissenschaftliche Beschäftigung mit »dem

Heiligen<< hatte dieses nur selten direkt und ausschließ

lich zum Thema. Meist hatte sie es mit größeren Zusam

menhängen zu tun. Aus diesen müssen wir uns jetzt das

Wichtigste vergegenwärtige n.

rv Vorbereitungen empirie- und symbolbildenden

Erlassens (I.Kant, J.F.Fries, E Cassirer)

Schon die in Teil I behauptete) Potenzierung der erfah

rungswissenschaftliehen und der erkenntnistheoreti

schen Problematik, zu der die Frage nach der Identität des

>>Heiligen<< geführt habe, sagt über dieses direkt gar nichts

aus. Trotzdem muß diese Potenzierung auf ihre Wurzeln

zurückgeführt werden; denn nur dann wird zweierlei

deutlich, nämlich unter welchen Voraussetzungen das

>>Heilige<< in der Neuzeit überhaupt begriffen werden

konnte, und inwiefern die außerordentliche Vielfalt der

Zugänge, die man bis heute zum »Heiligen« zu haben

meint, eine

Folge

von

in

gegenseitiger Verschränkung

sich stabilisierenden Denk-, Empfindungs- und Tatbemü

hungen ist, die ihre Gründe ganz woanders haben und in

ihre Intentionen das »Heilige<< eher zusätzlich einbezie

hen.

Daß

Denk-,

Empfindungs-

und Tatbemühungen im

Prin

zip auf das Größtmögliche, auf den räumlich und zeitlich

19

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endlich-unendlichen

Kosmos,

auf das Schöne in der Welt

und das Dynamisch-Erhabene in der

Natur, und auf die

höchsten moralischen Anforderungen gerichtet

sind,

steht spätestens seit Immanuel Kant 1724-1804) fest, und

zwar deshalb weil er selber auch die Gründe dafür aufzei

gen konnte. Die Gründe dieserBemühungen so wissen

wir jetzt, liegen woanders als im Ausgangspunkt im Voll

zug und in den Zielen ihrer selbst. Sie liegen auch nicht in

deren Transzendenz. Sie verhalten sich vielmehr tran

szendental zu ihnen allen. Kant konnte zwar, zum Bei

spiel, schon sagen: »Die völlige Angemessenheil des Wil

lens aber zum moralisch Guten ist Heiligkeit, eine Voll

kommenheit deren kein vernünftiges Wesen der Sinnen

welt in keinem Zeitpunkt seines Daseins fähig ist<<

oder:

>>Die se) Heiligkeit des Willens

ist gleichwohl eine prakti

sche Idee, welche notwendig zum Urbilde dienen muß

welchem sich ins Unendliche zu nähern das einzige ist,

was allen vernünftigen Wesen zusteht ...

7

Aber genau be

sehen

spricht

er

damit nicht über >>die

Heiligkeit<<

wie

über

>>das Heilige<<, sondern er nennt

so eine von vornherein be

stehende Voraussetzung oder Bedingung unter der a

priori ein Wille

auf das absolut Gute sich

richten

muß

wenngleich keinerlei eigene Praxis ihm sagt, daß er je

mals in der Lage war oder sein würde es wirklich zu tun.

Parallel dazu steht die Möglichkeit, a priori zu erkennen

welches die formale Bedingung ist, unter der etwas in der

Erfahrung überhaupt als ihr Gegenstand bestimmt sein

kann ohne daß die bloße Wahrnehmung des Gegenstan

des diese Möglichkeit schon vermittelt.

Was

nach

Kant a

priori dazu

befähigt,

reine

Reflexions-,

Erfahrungs- und Praxisurteile zu fällen, stand in der Fol

gezeit als Formalprinzip immer wieder in Spannung zu

der unabweisbaren Notwendigkeit, es in Erfahrungs- und

rkenntnisinhalte aufzunehmen. Nicht zuletzt nach dem

Grade

der

Vollständigkeit, ist

dem eine

a

priori beste

hende Gesetzmäßigkeit in derjenigen aufgeht die Gegen-

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stand von Psychologie, Ästhetik und Ethik ist, unterschei

den sich die kantianischen Richtungen. In derjenigen, die

durch

Jakob Friedrich Fries

(1773-1843)

repräsentiert

wird, ging die transzendentale derart in eine psychologi

sche Fragestellung über, daß das biblisch-christlich über

lieferte »Heilige«, wenn es in sie einbezogen wurde

gleichzeitig zu einer Voraussetzung wie zu einem Gegen

stand oder einem Inhalt von Erfahrung werden mußte.

Sie sollte

dann

die religiöse

oder innere

Erfahrung sein.

In

beiderlei Hinsicht war die Erfahrung schon früher reflek

tiert worden, wenn auch nicht konsequent transzen

dental. Aber damit sie als Erfahrung speziell des Heiligen

gelten konnte, war auch ein Heiligkeitsbegriff a priori nö

tig. Fries

selber

entwickelte

weder

diese

besondere

Gel

tung noch ihreVoraussetzung, aber er begründete theore

tisch, daß Erfahrung keine figürliche Synthesis gegebe

ner Gegenstände, Wahrnehmungen oder Erscheinungen

bleiben muß, sondern anthropologisch verifiziert werden

darf.

So geht der

Weg von Kants »Kritik

der

reinen

Ver-

nunft« (1. Aufl. 1781 2. Aufl. 1787) zu Fries dreibändiger

»Neue(r) oder anthropologische(r) Kritik der Vernunft«

(1807, 2. Aufl. 1828 und 1831) und von da zu seinem zwei

bändigen »Handbuch der psychischen Anthropologie

oder der Lehre von der Natur des menschlichen Geistes«

(1820 und 1821, 2. Aufl. 1837 und 1839).

8

Indem

Fries

eine

auf jegliche Erfahrung anwendbare Theorie überhaupt

aufstellte- auch der Terminus »Erfahrungswissenschaft«

stammt von ihm9 - machte er einen Unterschied zwischen

Wissenschaft von der Erfahrung und empirischerWissen

schaft. Die

erstere

befaßt sich

mit dem

Apriori-Moment,

kraft dessen die Resultate der letzteren gültig sind. Damit

schuf Fries erst die Möglichkeit, daß Wissenschaften von

jeglichen Gegenständen empirische Wissenschaften sein

und als solche einen theoretisch gesicherten Status haben

können. Eine

entsprechende

Sicherung

der Erfahrung

des Heiligen sollte von dieser Möglichkeit profitieren

21

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  siehe Teil VII). Hier aber erhebt sich das eine Problem,

nämlich wie Erfahrung beschaffen sein muß, damit sie

wirkliche Erkenntnis vermittelt,

und

das andere, nämlich

ob ein solcher Erfahrung zugänglicher, d.h. sie wie an-

dere Gegenstände eigentlich erst vollziehbar machender

Gegenstand auch das »Heilige<< sein kann, gegenseitig in

die zweite Potenz.

Die Erkenntnis, um die es dabei geht, vollzieht sich aber

immer noch an Gegenständen, deren Zeitlosigkeit derje-

nigen von Zahl, Wesen und Idee gleichkommt. Dieselben

in bedeutungsfunktionale Erkenntnismittel umgedacht

und damit Repräsentationen gleichgemacht zu haben,

wie auch Symbole es sind, war die epochemachende Lei

stung des

anderen

großen Kantianers,

dem

die Komplet

tierung der Erkenntnistheorie zu danken ist, Ernst Cassirer

1874-1945). Auch er hat das >>Heilige« nicht zu seinem

Thema gemacht. Aber indem er die Sprache als anschau-

ungsfunktionale Art symbolischer Repräsentation verste-

hen lehrt und den

Mythos

so interpretiert, daß

er

in seiner

Funktion, Denken, Anschauung und Leben einfach auszu-

drücken, eine selbständige rt symbolischer Repräsenta-

tion von theoretisch gleichem Rang wie die andern Arten

darstellt, fertigt er nebenbei auch die Wünschelrute an, mit

der man dem Rätsel des>>Heiligen« nachgehen muß. Denn

wer das »Heilige<< nicht erfahren und nicht begreifen

kann, der wird sich, ehe er es ganz leugnet, immerhin fra

gen, ob es vielleicht die Sprache, genauer: die alten Spra

chen, bezeugt/bezeugen, die davon reden. Und der, der

das >>Heilige« gar nicht leugnen will, dem es aber fremd ist,

dem begegnet

es,

wenn auch

als etwas Fremdes,

aufjeden

Fall im Mythos, genauer: in alten Mythen. Mit alten Spra

chen und Mythen aber ist die historische Dimension eröff

net. Cassirer hat denn auch seiner »Philosophie der sym

bolischen Formen<< die in drei Bänden >>Die Sprache<<

1923),

>>Das

mythische

Denken<< 1925)

und

die

>>Phäno-

menologie der Erkenntnis« 1929) behandelt, einen vier-

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len Band nicht etwa dieses Werkes, sondern des dreibän

digen >>Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und

Wissenschaft

der neueren

Zeit«

10

folgen lassen,

das

die

Philosophie der symbolischen Formen auch schon vorbe

reitet hatte: Folgerichtig endet dieser, nach zwei »Bü

chern« über Geometrie/Physik und Biologie, mit einem

dritten »Buch<< über »Grundformen und Grundrichtungen

der historischen Erkenntnis<<.

Diese über Kant und Fries hinausgehende Erweiterung

des Erkenntnisanliegens bringt es mit sich, daß man über

das »Heilige«, wenn man es denn schon einbeziehen will,

sachgemäß nur so handeln kann daß man ständig be

rücksichtigt, wie sich die in der Nachfolge von Fries auf

drängende aus der Potenzierung der Erkenntnisproble

matik resultierende alte Schwierigkeit, das »Heilige« wie

ein zeitloses Objekt zu erkennen und die neue Schwierig

keit, nun gerade mittels des historischen d.h. sich alter

Sprachen und Mythen bedienenden Erkennens das

  selbe?) »Heilige<< als Wirklichkeit zu identifizieren- wie

sich auch diese beiden Schwierigkeiten gegenseitig in die

nächsthöhere Potenz erheben.

Die durch Kant vorbereiteten von Fries und Cassirer aus

gearbeiteten Erfahrungs- und Erkenntniskategorien sind

so genau und im Bedarfsfall weiter formalisierbar ange

legt, daß auch

von den empirischen Wissenschaften ge

wonnene Forschungsergebnisse in sie hätten eingefügt

werden können - soweit die deutsche sog. Religionsge

schichtliche Schule beteiligt war, ist es auch geschehen

und daß man sie auch für zeitdiagnostische Einsichten,

psychologische Kenntnisse

und

religionsgeschichtlich

linguistische Daten nutzen kann die seit 194 abermals

hinzugekommen sind. So eindeutig das zum Besten der

Deutung ebendieser Einsichten, Kenntnisse und Daten

geschähe - einfacher werden die Dinge dadurch nicht

wie in Abschnitt D zu zeigen ist). Ernst Cassirer selbst

wäre hätte er länger als hundert Jahre gelebt, dazu beru-

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fen gewesen, diese weitere Komplizierung der episte

mologischen Problematik darzustellen. Er hätte heute

seinem

großen Werk

über

»Das

Erkenntnisproblem

...

«

ei

nen fünften Band anfügen müssen und würde darin allein

für die letzten fünfzig Jahre mehr als die dreihundert Sei

ten benötigt haben, wie er sie sich im vierten Band für die

hundert Jahre seit Hegels Tod 1851) genehmigt hat. Wir

konnten nichts Besseres tun, als uns in Teil II) grundsätz

lich in die Fries-Cassirersche Tradition hineinzustellen,

sogar ohne die Kritik mitzumachen, die im letzten Kapitel

des dritten Bandes an Fries von Cassirer geübt wird, und

erst recht weil dieser selbst im letzten Kapitel des vierten

Bandes unter der Überschrift »Der Einfluß der Religions

geschichte

auf

das historische Erkenntnisideal« die Erfor

derlichkeil seines erkenntnistheoretischen Ansatzes für

die Deutung anderweitig gewonnener Daten durch Ein

führung des großen französischen Historikers bewiesen

hat, dessen Untersuchung griechischerund römischer i-

ten,

Namen und

Institutionen

erstmals

geeignet

erschien

und erscheint, den Stofffür ein sachgerechtesVerstehens

moden zu bieten: Numa Denis Fustel de Coulanges

0

o-

188g).

V Auseinandertreten von Begriffsübersetzung und

Namengebung N.D.Fustel de Coulanges,

R.H. Codrington, E.Durkheim

Der merkwürdige Tatbestand siehe Teil III), daß eine in

den

neuzeitlichen Wissenschaftssprachen stabil gewor

dene Helligkeitsterminologie unhinterfragt Gegebenhei

ten interpretiert, in denen die Dinge entweder objekt

sprachlich viel komplizierter liegen oder überhaupt nur

vorbegrifllich interessierten, wird erst neuerdings eini

germaßen

deutlich. Man

statuiert nämlich ohne

Rück

sicht auf die Fraglichkeil der Tragweite terminologisch

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gebundener Wissenschaftsaussagen einen Anfang der

Forschung in der historisch-kritischen Wissenschaft des

19.

Jahrhunderts der

selbst

erst durch

Interpretation

in

der heutigen Beschäftigung mit dem »Heiligen« das

Thema hergibt, das diese von dort direkt gestellt be-

kommen zu haben meint. Nur weil an die Stelle der hier

fehlenden Reflexion auf die Erkenntnismethoden der ei

genen Wissenschaft diejenige treten kann, auf deren

Nachvollzug

eben

Teil

V

hinauslief, ergibt sich zufällig

der gleiche forschungsgeschichtliche Anfang.

»En 1864, dansSOll livre celebre La Cite antique Fustel de

Coulanges posait le problerne du sacre dans la societe ar

chaique

et

ouvrait ainsi le debat sur le röle du sacre dans

les religions.« So

beginnt ein abschließender

Überblick

über Resultate eines großen historisch-vergleichend an-

gelegten Projekts, mit welchem eine Summe der For

schung gezogen werden sollte. In derTat, einen so durch-

geführten Ansatz, die Entstehung und den weiteren Ent

wicklungsgang

der

Institutionen Griechenlands

und

Roms aus religiösen Bindungen ihrer Träger abzuleiten

hatte es bis dahin noch nicht gegeben.'

2

Aber in dieserAuf

nahme des Ansatzes von Fustel de Coulanges wird voraus

gesetzt, daß »das Heilige« so etwas wie Grundlage, Ur

sprung oder Wesen der Religion überhaupt sei, so daß es

ganz

für

diese

stehen

könne; es

wird

vorausgesetzt, als

verstehe sich seine Gleichsetzung mit der Religion von

selbst und sei kein modernes Theorem. Insbesondere

wird suggeriert, daß »das Heilige« auch, sozusagen, die

Hauptsignatur der antiken Religion sein soll. Das aber

wird

von Fustel de Coulanges

nicht

vertreten,

und nicht

nur weil sich in seinem Buch weder Untersuchungen

über hier6s/hagios/h6sios/semn6s noch solche über sacerl

sanctus finden. Den Ahnenkult, von dem her Fustel

dann

allerdings von heiligen Toten, Herdfeuern, Feldgrenzen,

Zeremonien

spricht,

kann man ebensogut

als

einen zen-

tral bleibenden Ausgangspunkt für die Religionsentste-

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hung in derAntike ansehen der selbst noch nicht Religion

ist. Der moderne Interpret demonstriert hier ungewollt,

wie

kurzschlüssig ein Nachweis sein kann,

der seinen

Ge

genstand vornehmlich in Texten aufbewahrt sieht und

dieselbe Zuverlässigkeit, wie deren Zeugnis sie meist bie

tet, auch einer ganz anders strukturiertenArgumentation

unterstellt. Indirekt belegen dies auch die als solche vor

züglichen philologischen Untersuchungen aus allen

wichtigen Religionssprachen, welche die phänomenolo

gisch und hermeneutisch angelegten Aufweise eines In

einander von göttlicher Annäherung und menschlicher

Heilsmöglichkeit stützen sollen.

5

Die andere, gleichfalls ungewollte Demonstration der -

schwindenden

-

Übermacht

des terminologisch gebun

denen Heiligkeitsinterpretaments ergibt sich nicht aus

heutiger Anwendung, sondern findet sich direkt in den ei

genen Worten eines damals beteiligten Zeitgenossen,

nämlich von Emile Durkheim (t858-1917), Fustel de Cou

langes großem Schüler.

Diese Kritik muß aber zunächst hinter derWürdigung der

folgenschweren Leistung zurücktreten, die Durkheim

vollbracht hat, indem er die Soziologie zur Entschlüsse

lung gerade der nichtsprachlichen Symbolisierungen

tauglich machte- denn darum handelt es sich bei den -

ten und gesellschaftlichen Regulierungen der australi

schen Ureinwohner, aus denen er zugleich eine allge

meine Theorie der Religion entwickelte.

Durkheim stand zwar noch ganz unter dem Bann derVor-

stellungeiner unpersönlichen Kraft als Urzelle und späte

rem

Zentrum der

Sphäre,

welche

die religiöse

werden

sollte- man verwendete damals dafür gern das melanesi

scheWort m n - und er interpretierte die negative Seite

von deren Wrrkung - für die das polynesische Wort tabu

gebräuchlich geworden war - folgerichtig als interdits

oder

interdictions

Aber

er

ging

darin weiter

als

seine

Vor-

gänger, daß er die vom Mana erzeugten Wirkungen, die

6

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außerhalb der gewöhnlichen Macht des Menschen wie

außerhalb der gewöhnlichen Naturvorgänge liegen, kon-

sequent auf die tribalen Organisationsformen hin aus-

legte und damit zu einer wichtigen Unterscheidung eben

des Außergewöhnlichen vom Gewöhnlichen kam, dessen

der Mensch stets Herr bleibt. Um zu verdeutlichen, wie

sehr diese seine Einsicht weiterführte, müssen wir eine

Rückerinnerung an die vor und neben und häufig auch

wieder nach) Durkheim üblich gewordene Verwendung

des Mana-Begriffes

einschalten.

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts lernte

der Missionar R.H. Codrington 1830-1922) ihn bei den

Melanesiern kennen. Er definierte ihn vorläufig so: »Es ist

eine Macht oder eine

Einwirkung,

nicht

physisch

und in

gewissem Sinne übernatürlich; es offenbart sich aber in

körperlicher Kraft oder in jeder Art Kraft und Fähigkeit,

die ein Mensch besitzt. Dieses m n ist nicht an einen

Gegenstand gebunden, kann aber von fast jedem Gegen-

stand übertragen werden; Geister . . . haben es und kön-

nen es mitteilen ... Die ganze melanesische Religion be-

steht faktisch darin, daß man dieses mana für sich selbst

erwirbt oder macht, daß es zum eigenen Vorteil ange-

wandt wird«.

  4

Unendlich oft

ist

seither mit dieser unaus-

gereiften

Definition gearbeitet worden. Auf den Südseein-

seln, so hielt man

fest,

bedeute Mana immer eine Macht;

es würden unter diesem Namen alle Arten von Begriffen

zusammengefaßt: Einfluß, Kraft, Ruhm, Majestät, Ver-

stand, Herrschaft, Gottheit, Fähigkeit, außergewöhnliche

Macht, erfolgreich, stark, zahlreich, verehren,fähig sein,

anbeten, prophezeien. Die Probleme, die sich

um

diesen

Kernbegriff gruppierten, rückten mehr und mehr in den

Mittelpunkt der ethnologischen, der völkerpsychologi

schen und der soziologischen Forschung.

»Rein inhalt-

lich«, so meinte man, »zeigte

sich zunächst, daß die

Vorstellung, die sich in dem ana der Melanesier und Po

lynesier ausspricht, ihr genaues Korrelat in anderen my-

27

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thischen Begriffen besitzt die in verschiedenen Abwand

lungen über die ganze Erde verbreitet sind. Das anitu der

Algonkin-Stämme Nordamerikas das

Orenda

der

Iroke

sen das Wakanda der Sioux weisen so durchgängige und

schlagende Parallelen zu der Mana-Vorstellung auf daß

hier in der Tat ein echter mythischer >Elementargedanke<

ergriffen zu sein schien. Schon die bloße Phänomenologie

des mythischen Denkens schien somit darauf hinzuwei

sen daß in dieser Vorstellung nicht sowohl ein bloßer In

halt des mythischen Bewußtseins als vielmehr eine sei

ner typischen Formen ja vielleicht seine ursprünglichste

Form sich darstellt ... Verband man diese Vorstellung mit

der nahe verwandten ihr in negativer Richtung entspre

chenden

des

>Tabu<<<-

des zu Meidenden

Verbotenen Un

berührbaren - »So schien mit diesen beiden polaren Be

griffen gewissermaßen eine Urschicht des mythisch-reli

giösen Bewußtseins bloßgelegt zu sein<<.

5

Durkheim fand nun den Keim derselben Kraft oder Macht

auch im

australischen Totemismus

wieder

welcher ihm

als Grundlage diente >>die elementaren Formen des reli

giösen Lebens<<

16

überhaupt zu bestimmen. Für ihn war

die vom Mana erzeugte Wirkung welche über die ge

wöhnliche Macht des Menschen in der Gesellschaft wie

über die gewöhnlichen Naturvorgänge hinausführte be

sonders wichtig. Seine Theorie wiees-wir lassen dahin

gestellt ob vom Mana aus oder unahängig davon- zur Un

terscheidung von heilig und profan kam fasziniert noch

heute. »Allen bekannten religiösen Glaubensweisen

seien sie einfach oder komplex ist eine Eigentümlichkeit

gemeinsam:

sie

nehmen eine Einteilung aller

Dinge

rea

ler wie idealer von denen die Menschen sich eine Vor

stellung machen in zwei Klassen in zwei gegensätzliche

Gattungen an gewöhnlich durch zwei verschiedene Aus

drücke bezeichnet die die Wörter prof n und heilig ziem

lich gut wiedergeben.

Die Aufteilung

der

Welt

in

zwei Be

reiche deren einer alles was heilig deren anderer alles

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was profan ist, umfaßt- das ist der Zug, der das religiöse

Denken kennzeichnet; die Glaubensweisen, die Mythen,

die Dogmen, die Legenden sind entweder Repräsentatio-

nen oder Repräsentationssysteme, die die Natur der heili-

gen Dinge, die ihnen zugeteilten Wirkungen und Fähig-

keiten, ihre Geschichte und die Verhältnisse ausdrücken,

in denen sie zueinander und zu den profanen Dingen ste-

hen. Aber unter heiligen Dingen darf man nicht einfach

jene persönlichen

Wesen verstehen, die Götter

oder

Gei-

ster genannt werden. Ein Fels, ein Baum, eine Quelle, ein

Kiesel, ein Stück Holz, ein Haus, mit einem Wort: jedes

Ding kann heilig sein. Ein Ritus kann dieses Merkmal ha

ben; es gibt gar keinen Ritus, der es nicht in einem be

stimmten

Grad

hat

...

Der

Kreis

der

heiligen Objekte

kann

also) nicht ein für alle Male bestimmt werden; sein Um-

fang ist je nach der Religion unendlich verschieden ...

Jetzt müssen wir zeigen, durch welche Gattungsmerk-

male sie sich von profanen Dingen unterscheiden. Man

könnte versucht sein, sie durch den Platz, den sie in der

Hierarchie der Dinge besitzen, zu definieren. Meistens be

trachtet man sie als würdiger und mächtiger als die profa-

nen Dinge ... Es genügt indessen nicht, daß ein Ding ei-

nem andern untergeordnet ist, damit das zweite in Bezug

auf das erste heilig sei ... Andererseits darf man nicht

übersehen

daß

es

heilige Dinge

aller

Grade gibt

...

Wenn

aber eine rein hierarchische Unterscheidung sowohl zu

allgemein als auch zu ungenau ist, dann bleibt nur mehr

die Andersartigkeit übrig, um den Unterschied zwischen

dem Heiligen und dem Profanen zu definieren. Die Anders-

artigkeit

genügt

aber,

um

diese Klassifizierung

der

Dinge

erschöpfend zu charakterisieren und sie von jeder ande

ren zu unterscheiden weil sie eine ganz besondere ist: sie

ist absolut In der Geschichte des menschlichen Denkens

gibt es kein weiteres Beispielfür zwei Kategorien von Din-

gen, die so tiefverschieden und einander so radikal entge-

gengesetzt sind. Der traditionelle Gegensatz zwischen

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Gut und Böse ist nichts dagegen

... Je nach den Religionen

ist dieser Gegensatz auf

verschiedene Weise aufgefaßt

worden.

Um die

beiden

Arten

von Dingen zu trennen, hat

es hier genügt sie in verschiedenen Regionen des physi-

schen Universums zu lokalisieren; dort wurden die einen

in einem idealen und transzendenten Milieu angesiedelt

während die materielle Welt den anderen zu eigen gege-

ben wurde. Wenn auch die Kontrastformen variabel sind

so bleibt doch die Tatsache des Kontrastes universal<<. So

heißt es in den einleitenden Fragen zum ersten Kapitel an

zentraler Stelle.

Diese Worte sind Bestandteil einer Theorie die unter al-

len welche über das Heilige un das Profane zusammen

aufgestellt

wurden,

die

am konsequentesten

soziologi-

sche ist. Kurz zusammengefaßt besagt sie: Es ist die Ge-

sellschaft die ständig heilige Dinge schafft. Sie tut es weil

sie in sich immer wieder Triebkräfte entbindet, aus sich

heraus- und über sich hinauszugehen, weil sie mit immer

neuen

Motivationen fertig

werden muß, nicht

in

oder bei

sich bleiben zu können. Durkheim faßt das alles mit dem

Ausdruck »prinzipielle Aspirationen<<

  7

zusammen. Diese

wie auch die Mittel sie zu befriedigen konkretisieren

sich in Menschen, Dingen Handlungen und Ideen. Was

muß mit ihnen geschehen? Die Gesellschaft sondert sie

aus und vergottet sie. Wird eine Vorstellung einstimmig

von einemVolk geteilt dann darfman sie nicht verneinen

oder bestreiten. Gerade das Verbot beweist daß man vor

etwas Heiligem steht. Mit Verboten- Tabus - solcher Art

in negative Riten gefaßt entledigt sich der Mensch gewis-

ser

Dinge die

damit profan werden,

und nähert

sich

dem

Heiligen. Mit Hilfe von rituellen Enthaltungen wie Fasten

Nachtwachen Klausur und Schweigen gelangt man zum

gleichen Ergebnis wie durch Salbungen Sühnopfer und

Einsegnungen. Sobald sich dergestalt das Heilige vom

Profanen trennt, entsteht

Religion. Das

ursprüngliche

Sy-

stem heiliger Dinge ist der Totemismus in dessen Zen-

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trum meist ein bestimmtes Tier steht. Aber nicht nur das

Totemtier ist heilig sondern alle Dinge die innerhalb ei

nes Klans klassifiziert werden haben die gleiche Eigen

schaft da sie der gleichen Gattung angehören; die Klassi

fikationen die sie mit anderen Dingen des Universums

verbinden weisen ihnen ihren Platz im religiösen System

zu. Die Idee der Klasse ist ihrerseits von Menschen als ein

Instrument des Denkens konstruiert worden; denn es war

wiederum

die Gesellschaft

welche das Grundmuster

lie

ferte nach welchem das logische Denken gearbeitet hat.

Gleichwohl ist der Totemismus keine grobe und falsche

Wissenschaft vor der Religion wie James George Frazer

meinte; denn die Grundeinteilung auf die es zuerst und

vor allem ankommt

ist die

in

heilig

und

profan

und

sie

wird mit Hilfe des Totems vorgenommen das sowohl eine

Kollektivbezeichnung religiösen Charakters als auch

selbst ein heiliges Ding ist. Heilig wird ein Ding auch nicht

durch seine klassifikatorischen Bezüge zum Universum:

eine Welt profaner Dinge bleibt auch dann profan wenn

sie räumlich und zeitlich unendlich ist. Ein Ding wird hei-

lig indem der Mensch es dem gewöhnlichen Gebrauch

entzieht; der negative Kult in welchem das geschieht

führt zum Tabu. Der Mensch wird heilig durch Initiation.

Dem der noch profan ist können gewisse Nahrungs-

mittel verboten

sein

weil

sie heilig sind

dem

Heiligen

können andere verboten sein weil sei profan sind. Zuwi

derhandlung wäre im einen Falle Entheiligung das heißt

Profanierung der Nahrungsmittel im andern Falle Profa

nierung der Person. Dergleichen kann Krankheit und Tod

zur

Folge

haben. In den

Heiligen

das heißt

sowohl

den

Wesen der totemistischen Spezies als auch den Klanmit

gliedern die einer Profanierung widerstanden haben

verehrt die Gesellschaft sich selbst.

Sieht man von der Heilig-Profan-Dualität ab und konzen-

triert sich auf das Mana so hat der Totemkult auch unter

diesem Aspekt für Durkheim seine Bedeutung. Er ist im

5

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Prinzip die Verehrung dieser anonymen und unpersönli

chen Kraft. Riten, die unabhängig von jedem persönli

chen Glauben ausgeführt werden, und sogarnoch synkre

tistische Religionen hält Durkheim nur deswegen für

möglich und lebensfähig, weil in ihnen das unpersönliche

Kraftprinzip besonders zum Tragen komme. Das Totem

wappen sei eine Repräsentation nicht nur des Mana, son

dern auch der speziellen Gesellschaft, in der das Totem

tier eine Rolle spielt. Damit ist das Kraftprinzip eines

Clans nichts anderes als der Clan selber, allerdings verge

genständlicht und geistig vorgestellt unter den sinnhaften

Formen von Pflanzen und Tieren, die als Totem dienen.

Die Wahrnehmungsfähigkeit für die außergewöhnlichen

- einschließlich

der

außerirdischen

-Kräfte

führt Durk

heim auf ein duales Erlebnisgeschehen der Mitglieder

des Clans zurück. Einerseits leben sie isoliert und zer

streut, dann ist ihr Leben alltäglich. Auf der anderen Seite

sind Stammestreffen, in denen man die Kraft des Clans

fühlt, aufregend, sie rufen ekstatische Gefühle hervor, der

Mensch erkennt sich nicht wieder, er fühlt sich be

herrscht von einer äußeren Macht; er fühlt sich gezwun

gen, anders zu handeln als im Alltag, er fühlt sich in einen

anderen Bereich versetzt, und damit hat er zugleich die

Fähigkeit erlangt, das Heilige zu erleben.

Wir kommen nun zum kritischen Punkt. Um ihn genau zu

treffen, müssen wir denAnfang der eben angeführten Pas

sage auf französisch zitieren. >ifoutes les croyances reli

gieuses connues, qu elles soient simples ou complexes,

presentent un meme caractere commun: elles supposent

une

classification

des

choses,

reelles ou

ideales,

que se re

presentent les hommes, en deux classes, en deux genres

opposes, designes generalerneut par deux termes dis

tincts que traduisent assez bien les mots de profane et de

sacre La division du monde en deux domaines compre

nant, l'un tout ce qui est sacre, l'autre tout ce qui est pro

fane, tel est le trait distinctif de la pensee religieuse; les

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croyances, les mythes, les dogmes, les legendes sont ou

des representations ou des systemes de representations

qui expriment la nature des choses sacrees les vertus et

les pouvoirs qui leur sont attribues, leur histoire, leurs

rapports les unes avec les autres et avec les choses profa

nes<< 18Was ist hier geschehen?

Durkheim hat den Tatbestand urtümlicher Dualität in

einer Stammesgesellschaft aufgewiesen und diesen ver

allgemeinert.19

Er

unterstellt,

daß

die

beiden damit gege

benen Klassen oder Genres überall durch zwei verschie

dene Termini bezeichnet werden und daß prof ne und

s cre die angemessenen »Wiedergaben<< oder gar »Über

setzungen« aller Bezeichnungen für die eine und die an

dere

Klasse seien.

Er hat damit

die Kontinuität

seiner

ro

manischen Metasprache zum Lateinischen benutzt, um

zwei Ausdrücke aus dem letzteren, proj nus und s r tus-

eine seit dem erstenJahrhundertvor Chr. aus bestimmten

Gründen nötig gewordene Verdeutlichung von s cer - als

objektsprachliche Äquivalente einschlägiger Ausdrücke

aus Sprachen australischer und amerikanischer totemi

stischer Stämme zu suggerieren und damit

den Tatbe

stand der gesellschaftlichen Dualität, auch wo er sich nur

aus der Analyse des Rituellen oder Kultischen ergibt, in

den Interpretationsrahmen der philologia perennis hin

eingezogen. Seine

faszinierenden Ausführungen über

Profane und Sacre konnten denn auch streckenweise wie

ein ethnologischer Kommentar zum altrömischen Neben

einander von proj nus und s cer gelesen werden ein

schließlich der Ambiguität des letzteren, die für Durk

heim in seinem

Material allerdings

nicht zwischen

dem

Ehr- und dem Verabscheuungswürdigen, sondern zwi

schen dem Reinen und dem Unreinen bestand. Diese Par

allelisierbarkeit hat zur Akzeptanz von Durkheims Ent

wurf auch als einer allgemeinen Theorie der Religion

nicht wenig beigetragen. Wir werden sehen wie wirk

sam sie heute noch ist.)

55

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Ein entscheidender Unterschied aber liegt in folgendem:

Der entscheidende römische Gegensatz besteht nicht

zwischen sacer und projanus sondern zwischenj s und

nejas. Dieser wiederum ist nicht abstrakt der Gegensatz

zwischen

»erlaubt<<

und >>verboten« sondern er ist ein sol

cher nur in bezug auf die Autorität eines auf ganz andere

Weise entstandenen sacrum. Der Gegensatzzwischenjas

und nejas ist übersetzt etwa der zwischen »recht« und

»schändlich«, >>Recht« und »Ruchlosigkeit«, >>göttlichem

Gesetz« und »widergöttlichem Frevel.« Er deckt sich ganz

und gar nicht mit dem zwischen Nicht-Tabu und Tabu.

Durkheim hätte dies, wäre er an solcher Weiterführung

der genialen Erkenntnisse seines Lehrers Fustel de Cou

langes

über

das,

was

die antike Familie

aus welchen

Gründen tat oder nicht tat, interessiert gewesen, nicht

nachweisen können und wohl auch nicht wollen. Sein In

teresse geht in eine andere Richtung: er will zeigen, daß

eine Gesellschaft selber aus sich heraussetzt was dann

als sacre gültig sein wird.

Mehrfach führt Durkheim als weiteres Beispiel dafür an,

was während der frühen Französischen Revolution ge

schah. Es entfällt damit völlig die Möglichkeit, l sacre ein

deutig als das Außergewöhnliche, Regelüberschreitende

zu definieren siehe Teil II). Denn wenn es in kollektiven

Begeisterungen Feiern von Festen, Errichtung von Altä

ren, Erschaffung von Helden, Praktizierung ungewöhnli-

cher Rituale äußerlich zuerst erscheint dann geschieht

dies alles ja letztlich, damit die Gesellschaft bleiben kann

wie sie ist. Das Irreguläre erweist sich somit als notwendi-

ges Korrelat

des

Regelhaften.

Indem Durkheim die Hervorbringung eines solchen Irre

gulären als Entstehung von Religion bezeichnet und die

ses sacre das Regelhafte profane nennt und für solcheVor-

gänge und Konsequenzen bei australischen Totemisten

wie bei französischen Revolutionären die gleiche Sympa

thie aufbringt, steht er ganz nahe bei der religion civile bei

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der auf ganz anderen VVegen Jean-Jacques Rousseau

1712-1778) am Schluß seines Gontrat Social 1762) ange

kommen

war.

Im achten

Kapitel

des

vierten

Buches

hatte

er ausführlich dieses Thema formuliert, um das es nicht

mehr still werden sollte. Dort heißt es unter anderem:

>>Die Religion kann in Bezug aufdie Gesellschaft- die ent

weder die allgemeine menschliche) oder die besondere

politische) is t- in zwei Arten eingeteilt werden: Die Reli

gion des Menschen und die des Bürgers. Die erstere kennt

keinen Tempel, keinen Altar und keine Riten. Sie be

schränkt sich auf den rein innerlichen Kult des Höchsten

Gottes und auf die ewigen Pflichten der Moral. Sie ist die

reine und einfache Religion des Evangeliums, der wahre

Theismus,

das,

was man

das

natürliche

göttliche Recht

nennen kann. Die andere ist in ein einziges Land einge

schrieben und gibt ihm seine besonderen Götter und eige

nen Schutzpatrone. Sie hat ihre Dogmen, ihre Riten, ihren

von den Gesetzen vorgeschriebenen äußeren Kult. Mit

der Ausnahme der

Nation, die

sich zu ihr bekennt,

ist alles

andere für sie ungläubig, fremd und barbarisch. Sie dehnt

die Menschenpflichten und -rechte nur soweit aus, wie

ihre Altäre reichen. So waren alle Religionen der ersten

Völker. Man kann ihnen den Namen ziviles oder positives

Gottesrecht geben ... Es gibt also ein rein ziviles Glau

bensbekenntnis. Seine Artikel müssen vom Souverän er

lassen werden ... Die Dogmen der zivilen Religion müs

sen einfach sein, gering an Zahl, klar im Ausdruck, ohne

Erklärungen und Auslegungen. Diese positiven Dogmen

sind: Die Existenz einer mächtigen, vernünftigen, wohltä

tigen,

vorausschauenden und

vorsorglichen

Gottheit; das

künftige Leben; die Belohnung der Gerechten; die Bestra

fung der Bösen, die Heiligkeit des Gesellschaftsvertrages

la saintete du cantrat social) und der Gesetze«.

2

Mit der zitierten Interpretation, die Fustel de Coulanges

seitens heutiger Philologen, Ethnologen und Historiker

als Entdecker der Heiligkeitsproblematik in den Religio-

  5

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nen zuteil wird, und mit der Interpretation, welcher Durk

heim seine eigenen Befunde unterzieht, wird ein prinzi

pieller Unterschied

der

Qualit)iten

von wissenschaftli

chen Aussagen sichtbar. Dies gilt sowohl für ihrVerhältnis

zum jeweiligen Gegenstand als auch für ihre Funktion in

der Theorie des Philologen, Historikers, Soziologen, Psy

chologen, Philosophen, Theologen, der sich damit befaßt.

Fortan steht neben allem andern auch die Semantik und

die Syntaktik des Heiligkeilsbegriffes als Aufgabe mit an.

Was Rousseau

im Ganzen und Durkheim in den auf ihn

hinauslaufenden Teilstücken seiner Theorie anlangt, so

können wir schon hier kritisch sagen: dies ist von allen

adäquaten Theorien des »Heiligen<< weit entfernt. Ein Son

derfall

ist diejenige,

mit der ein überraschender

Durk

heim redivivus in unseren Tagen, Jürgen Habermas, sei

nen Ahnherrn nur wenig modifiziert siehe Teil XIII). Wel

cher Ansatz hinter den Bestrebungen in Frankreich und in

den USA heute, eine civil religion zu begründen

2

 , sich

durchsetzen und

damit

als

der auch

theoretisch relevan

teste erweisen wird, ist noch ganz offen.

VI. Anwendungen der beiden wissenschaftlichen

Aussageweisen VY.Wundt, W.Windelband, N.Söderblom)

Kehren wir in die so produktive Zeit vor dem ersten Welt

krieg zurück. Durkheim hat es für wichtig gehalten, Wil

helm Wundt 1832-1920) zu besuchen, den großen Psy

chologen und Philosophen, der sich mit seinen Studien

auf benachbarten

Terrains bewegte.

Es

ist

meines

Wis

sens nicht untersucht, ob gegenseitige - eventuell auch

briefliche -Anregung und Kritik zur Klärung der Positio

nen beider geführt haben. Durkheims >>Regeln der sozio

logischen Methode« erschien zuerst 1894/95, erweitert

1901,

der

Aufsatz Ȇber

den

Totemismus<<

1902,

>>Die ele

mentaren Formen des religiösen Lebens« 1912; der zweite

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der zehn

Bände von Wundts »Völkerpsychologie«, der sich

mit >>Mythus und Religion und darunter auch mit dem

»Heiligen befaßt, erschien 1906.

22

Aufschlußreich ist es

immerhin wie der Deutsche das völkerkundliche Mate

rial nicht von der Soziologie, sondern von der empiri

schen Psychologie her erschließen will, und wie er von

seinem zwar evolutionistischen aber nicht religionskri

tisch gemeintenAusatz aus zu ganz anderen Ergebnissen

kommt.

Wundt geht von allen Erscheinungen aus, die etwas mit

dem Tabu zu tun haben weil für i n dies wohl eine Ab-

grenzung gegen Durkheim mit welchem er im übrigen

die Selbstverständlichkeit in der Anwendung des Heilig-

keitsbegriffes

teilt-

der

>>fabuismus

eine

»ungleich

dau

erhaftere Erscheinung als der Totemismus« ist. Auch

Wundt hat ein »Interesse«: die >>freie Humanität<<. Sie ist

das Kardinalmoment des Ethos, welches denselben Ent

wicklungsgesetzen folgen soll, die Wundt für Sprache und

Mythos aufzustellen sucht. Sie verwirklicht sich minde

stens in zwei Stufen. Die erste wird durch die Tabugebote

geschaffen welche zunächst die positive Funktion haben

die Furcht vor der Wirkung dämonischer Mächte zu ban

nen ehe sie ihrerseits als Sitte und Herkommen Zwang

ausüben und zum ältesten Gesetzeskodex der Mensch

heit werden der ungeschrieben

ist,

aber durch Furcht

und Schrecken seine Herrschaft behauptet. Irgendwann

sondert sich die Furcht, die der Mensch

vor dem Dämoni

schen und damit auch vor dem dieses domestizierenden

Tabu empfindet in die beiden Formen der Ehrfurcht und

des

Abscheus. Die

Differenzierung

dieser

Affekte vollzieht

sich in und mit der ihrer Objekte. So entsteht in denletzte

ren >>das Heilige und das Unreine zwischen denen sich

einneutrales Gebiet des bloß Erlaubten entwickeln kann.

Die psychologischen Beziehungen die zwischen Ehr

furcht und Abscheu bestanden stellen sich aber nach der

Scheidung ihrer Objekte wieder ein, so daß >>das Heilige

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und das Unreine neu tabuisiert werden können. Es sind

also jetzt zwei Tabus auf einander gegenüberliegenden

Seiten,

nicht

nur

eines

auf

nur

einer

Seite,

das

allenfalls

die Möglichkeit zu einer Spaltung minderen Grades in

sich hätte. Das Ziel, das in dieser Zweiheit angelegt ist,

wird verfehlt, wenn beide Tabus und damit das Heilige

und das Unreine sich wieder mischen; es wird erreicht

wenn das Tabu des Heiligen als religiöser Affekt zurück-

bleibt, das des Unreinen hingegen auf das Gebiet der Sitte

und der Sittlichkeit hinüberwandert.

Wertprinzipien, wie sie in einer solchen, induktiv gemein-

ten Argumentation stecken, werden im gleichzeitigen

Neukantianismus bewußt angewandt. Daranliegt es wohl,

daß

WundtsAnsichten merkwürdig mit denen

z.B.

von

-

helmWindelband I848-1915) konvergieren, obwohl dieser

mit einer religionskundliehen und kulturgeschichtli-

chen Allgemeinbildung auskommt die allerdings ein-

drucksvoll in den Dienst einer transzendentalphiloso-

phischen Deduktion von Schleiermachers Grundgefühl

der »schlechthinnigen Abhängigkeit« genommen wird.

Normen liegen für Windelband nicht wie für Wundt in

den Verboten, die das Tabu setzt, sondern im transempiri-

schen Zusammenhang solcher Persönlichkeiten deren

Gewissen in einem übergreifenden Bewußtsein solcher

Normen besteht. Die sittliche Norm aber, nämlich das Gute,

liegt im Widerstreit mit normwidrigen naturgesetzliehen

Notwendigkeiten. Dieser Widerstreit läßt sich nicht mehr

in das Leiden aufheben welches das Bewußtsein an ihm

empfindet, sondern nur noch als eine Antinomie aufwei

sen,

deren transzendentaler

Ausdruck die Religion ist. Das

religiöse Bewußtsein - eben das, was vom Gefühl der

schlechthinnigen Abhängigkeit durchdrungen wird - ist

damit selbst von einer inneren Antinomie geprägt. Der

eine von dessen Nomoi wird vom Heiligen aufrecht erhal-

ten,

das damit unter anderem

als Inbegriff

der

ethischen

Normen bestimmt ist - »unter anderem<< deshalb, weil es

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zuwenig wäre es auf das Norm al)bewußtsein vom Guten

zu beschränken. Erst der Inbegriff auch der Normen, die

das

logische

und das ästhetische Leben beherrschen

oder: erst das Erlebnis der transzendenten Wirklichkeit

auch des Wahren und des Schönen macht das Heilige

komplett.

Folgt man Wilhelm Diltheys Interpretation von »Schleier

machers System als Philosophie und Theologie«

  3

, dann

gehört mit Bezug auf das Heiligkeitsthema der deutsche

Philosoph Wilhelm Windelband unter den ersten der

schwedische Religionshistoriker und Bischof Nathan Sö

derblom 1866-1931) unter den zweiten Aspekt. Dies ist

der systematische Ort, an welchem Söderblom, für viele

bis

heute

verbindlich,

den

Heiligkeitsbegriff

an

die Stelle

des Gottesbegriffs gesetzt hat, um Religion zu bestimmen.

Er

gewinnt damit einmal die Möglichkeit, auch Gott-lose

Formen- damals waren es die »niederen« der Magie und

die »höheren« des Buddhismus, heute könnte man es an

ders wenden - in die religionsgeschichtliche Forschung

im engeren Sinne einzubeziehen zum andern kann er

den Unterschied des Heiligen und Profanen unverändert

lassen und damit die schon

zu seiner Zeit nahezu klas

sisch gewordenen Forschungen weiterführen.

Er tat es,

indem

er mit beträchtlich erweiterten und vielen neuen

besonders auch sprachlichen Materialien arbeitete, von

denen er die biblischen und die iranischen besonders be

herrschte. Die Souveränität, mit welcher er diese an die

bisherigen Forschungen über Mana, Tabu, Seele, Ritus

und andere anschloß, sucht bis heute ihresgleichen. Das

historisch

und

religionslogisch differenzierter als

bisher

ausgeführte System der Heiligkeit, das er daraus entwik

kelt, kann hier nicht einmal skizziert werden. Hier muß

nur der Gesichtspunkt zur Sprache kommen daß gerade

die theologische Befassung mit Offenbarung es war, wel

che den Einzugskreis seiner religionsgeschichtlichen Ar-

beit erweiterte ohne daß diese dadurch »theologisch ver-

39

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fälscht<< worden wäre. (Wenn das auf dem Totenbett ge

sprochene Wort, er wisse, daß Gott lebe, weil er ihn aus

der

Religionsgeschichte

beweisen könne, nicht

apokryph

ist und eine schon länger bestehende Überzeugung wie-

dergibt, so ist diese privat geblieben.)24 Die Offenbarungs

theologie gestattet es Söderblom sogar, klarer zu erkennen,

als noch manch ein heutigerWissenschaftstheoretiker es

kann, was eine Prämisse ist. Das ist auch seinen Untersu-

chungen über >>das Heilige<< zugute gekommen.

VII. Hinwendungen zum Grundsätzlichen:

Das Apriori-Problem (E. Troeltsch, R Otto, P Tillich)

Blickt man nicht von der Sache, sondern von der Wir

kungsgeschichte aus, so war es dennoch nicht Söderblom,

sondern Rudolf Otto (1869-1937), mit welchem eine neue

Qualität in die Diskussion gekommen ist. Zwei weiterfüh-

rende

Umsetzungen

größerer Zusammenhänge aus den

(in Teil IV umrissenen philosophischen Vorbereitungen

waren nötig, damit die Gelehrsamkeit, Empfindsamkeit

und Genialität, durch die sich Ottos Name nicht allein mit

dem Buchtitel >>Das Heilige<< sondern geradezu mit dem

»Heiligen« selbst verband, in ebendieser Verbindung

weite Volkskreise von Fernwest bis nach Fernost in ihren

Bann schlagen konnten, sofern sie irgend religiös waren

oder es auch nur sein wollten. Die eine Umsetzung nahm

Otto selbst vor, indem er eine eindruckvolle Synthese der

religionsphilosophischen Folgerungen aus Kants und

Fries

Denken

schuf, die

für

ihn

selbst

fortan

verbindlich

war. Die andere Umsetzung kam von Ernst Troeltsch

(1865-1923), dem großen Systematiker der Religionsge

schichtlichen Schule.

25

Sie war inhaltlich den Pionierlei

stungen der Religionswissenschaft um die Jahrhundert-

wende und methodisch den Auseinandersetzungen

zur

Gewinnung von Kausalität und Gesetzlichkeit in der Ge-

40

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schichte in eins mit einer Logik der Geschichtswissenschaft

verpflichtet in der sich der Ausgangspunkt Kants bei den

Bedingungen der

Möglichkeit

des

Erkennens zu den

ver

nünftigen und seelischen Möglichkeiten des Erkenntnis

subjekts verschob, das Tatsächliche als das Lebendigma

chende in der Erfahrung zu erfassen. Da im Mittelpunkt

der Religionstatsachen historisch-psychologische Gege

benheiten stehen und ihnen gegenüber ein einfacherEm

pirismus nicht in Frage kam, weil von rational-apriori

schen Elementen, die ihre Erkenntnis ermöglichen, auch

in ihnen selbst nicht abzusehen war wurde das was a

priori gegolten hatte, zu einemApriori, zu einer religiösen

Tatsache.Wenn damit auch die ganze symboltheoretische

Dimension ausgesperrt

war-

und

blieb-,

so

konnte doch

nun wenigstens jede religiöse Tatsache als sui generis ge

sichert werden wegen der aufkommenden materialisti

schen Kritik an der Idealität solcher Tatsachen war das

keine Selbstverständlichkeit mehr). Auch das »Heilige<<

konnte

nun

ein

religiöses Apriori

werden,

sowohl

in der

Geschichte als auch in dem Subjekt das sich aus ihr er

hebt, indem es sie erkennt.

Rudolf Otto war es beschieden, ein religiöses Apriori den

ken und auffinden zu können, damit eigene Erfahrungen

als religiöse zu qualifizieren und deren Wirklichkeitscha

rakter auf das »Heilige« zu übertragen, von dem er zu

gleich umfassende historisch-exegetische Kenntnis hatte.

Alles zusammen macht seine Erkenntnis aus und mit je

dem der drei Momente läßt sie sich im ganzen belegen.

Was die historische Kenntnis anlangt, so ist RudolfOtto

immer

·wieder

vom

Alten

Testament ausgegangen,

und

was immer zu seiner Universalisierung der israelitischen

Heiligkeitskategorie zwecks Benutzung zur Interpreta

tion anderer Religionen undAufweis des Wesens der Reli

gion kritisch zu sagen sein wird- was er über das Heilige

in

der

Bibel

gesagt hat, ist

im großen

und

ganzen

richtig

geblieben. Die Erfahrungsgründe hingegen liegen in Ot-

4

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tos Biographie, woraus sich zugleich die Widersprüche

und Schwierigkeiten in seiner strukturanalytischen Über-

prüfung der einzelnen Momente

im

Erlebnis

des

Heiligen

erklären, auf die wir stoßen werden. Rudolf Ottos intuitive

Erfassung des Heiligen beruht nämlich aufEindrücken in

Moscheen und Tempeln des Orients, vor allem in einer

armseligen Synagoge in Marokko, wo ihm beim Jesaja-

nischen Dreimal Heilig die große Schau des Heiligen

geschenkt wurde. In einem Bericht aus dem Jahre tgn

beschreibt Otto es so: »Plötzlich löst sich die Stimmenver-

wirrung und- ein feierlicher Schreck fährt durch die Glie-

der- einheitlich, klar und unmißverständlich hebt es an:

Qadosch Qadosch Qadosch ElohimAdonai Zebaoth Male u

haschamajim waha'arez

kebodo (Heilig Heilig Heilig ist

Gott, der Herr der Heerscharen Himmel und

Erde sind

seiner Herrlichkeit voll). Ich habe das Sanctus Sanctus

Sanctus von den Kardinälen in Sankt Peter und das Swiat

Swiat Swiat in der Kathedrale des Kreml und das Hagios

Hagios Hagios

vom Patriarchen in Jerusalem

gehört.

In

welcher Sprache immer sie erklingen, diese erhabensten

Worte, die je von Menschenlippen gekommen sind, im

mer greifen sie in die tiefsten Gründe der Seele, aufre-

gend und rührend mit mächtigem Schauer das Geheim-

nis des Überweltlichen, das dort unten schläfl«.

26

Wie fügt

sich dies nun in das Zeugnis der hebräischen Bibel?

  7

Hier ist qädös der alles beherrschende Begriff. Hat er, wie

einige Semitisten annehmen, die Wurzel q »absondern«,

dann ist die Grundvorstellung der römischen verwandt.

Es wird aber auch die Wurzel qdswie in akkadisch qadäsu

»rein

werden« erwogen, was

auf

einen kultischen Zusam

menhang weisen würde. Nichts in der hebräischen Bibel

ist jedoch qädö auf Grund von menschlichenAbgrenzun

gen oder Praktiken, oder gar von Natur aus. Alles ist es,

weil es für oder von Jahwe Elohim dazu erklärt wird. Dies

macht den Inhalt der gesamten

Schöpfung aus:

Menschen

einschließlich der Priester, Orte einschließlich der Stadt

42

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Jerusalem Feste einschließlich des Sabbats Bauten ein

schließlich des Tempels Schmuck einschließlich Priester

krone und

-kleid Gewässer Pflanzen

und

Tiere ein

schließlich der Opfer. Die Propheten sowie die Bewegung

die aus dem Vortrag des Gottesrechtes auf dem israeliti

schen Bundesfest hervorging und in der Aufstellung des

Heiligkeilsgesetzes ihren Höhepunkt fand haben die Ver-

lagerung des Heiligkeitsattributes auf Jahwe Elohim na

hezu konsequent vollbracht.

Das hat die Konsequenz daß bei weitem nicht mehr alle

eben genannten Gegenstands- und Handlungsbereiche

objektsprachlich mit dem Heiligkeitsattribut ausgestattet

sind. Die theologische Rede von heiligen Stätten Zeiten

Handlungen und Gegenständen

ist

aufweite

Strecken

me

tasprachliche Interpretation. Sie ist sachlich nicht falsch

weil auch eine von Gott auf Grund seiner eigenen Heilig

keit verliehene Heiligkeit diesen Namen verdient. Aber es

ist dabei doch der besondere Charakter des Geschöpfli

chen zu beachten welcher der verliehenen

Heiligkeit eig

net; darin liegt ein wesentlicher Unterschied z B zum

griechischen Naturverständnis. Das hat Konsequenzen

für die Bestimmung des Profanen in Israel.

Eine wichtige säkularisierungstheoretischeThese besagt

bekanntlich daß die Desakralisierung derWelt insbeson

dere der Natur und des Außergewöhnlichen in ihr wie sie

im Schöpfungsglauben und in der Heiligkeitstheologie Is

raels vollzogen und durch das Christentum weitervermit

telt wurde eine Grundvoraussetzung für die Weltlichkeit

der Neuzeit war. Versteht man diese Grundvoraussetzung

nicht

exklusiv

und nicht

als conditio

sine qua

non

dann

ist

sie sicher richtig bestimmt. Man kann die Geschöpflich

keit imWeltverständnis Israels und die Weltlichkeit als Le

gitimitätskriterium der Neuzeit »Profanität<< nennen aber

sie wäre von ganz anderer Qualität als jede römische

griechische oder

sonstige. Mit

diesem

Sachverhalt

hängt

es zusammen daß die »Profanität<< der Welt- übrigens

43

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nicht nur in Israel sondern auch anderswo - objekt

sprachlich ganz uneinheitlich und zersplittert zum Aus

druck

kommt

je

nachdem

ob etwa

im

kultischen Zu

sammenhang von Rein und Unrein oder in prophetischer

Predigt von Gehorsam und Sünde gesprochen wird. In der

hebräischen Bibel ergibt sich so als eindeutige Kontradik

tion zu qädöS nur wenige Male lfol, das von der Septua

ginta mit bebelos und von derVulgata mitprojanuswieder

gegeben wird.Ifol bezeichnet nur etwas das ohne Ritus

zugänglich und brauchbar ist während das Verbum lfälal

auf eine richtige Entweihung durch ein Greuel zielt.

Der Gebrauch der geschaffenen Dinge die Gott heiligt

durch Menschen die ebenfalls heilig sind weil Gottheilig

ist

in Dankbarkeit für

die

Übereignung von

seiner

Seite

ist nicht dasselbe als wenn bei Griechen und Römern

eine Sache dem profanen Gebrauch entzogen wird. Mit

letzterem Tatbestand kann man in Israel allenfalls die

Bannung vergleichen. Das >>Gebannte« feraem, ist etymo

logisch

übersetzt das

>>Ausgesonderte<<

Der

Unterschied

nicht nur zu heiligkeitsbewußtem >>Profan«-Gebrauch

sondern selbst zur Opferung einer Sache liegt darin daß

die Aussonderung zum Zweck der Vernichtung erfolgt.

Die Übereinstimmung mit der Verfluchung bringt die

griechische Bibelübersetzung durch ana(te)thema(tisme-

nos) richtig zum Ausdruck während sich die Vulgata mit

consecratum oder votu behilft.

So sieht ganz kurz skizziert der von der Bibelwissen

schaft erstellte Referenzrahmen aus in welchem Otto

seine Fähigkeit aufarbeitete das Heilige zu erleben. Das

begann kurz bevor

er

das

eben

wieq

ergegebene Erlebnis

hatte und zwar in einer Rezension des zweiten Bandes

von Wundts »Völkerpsychologie«

28

  vier Jahre nach dessen

Erscheinen im Jahre 1906. Otto wendet sich dabei beson

ders gegen Wundts animistisch-evolutionistische Grund

sicht

derzufolge

die Vorstellungen

und

Begriffe

von

der

>>Seele« zu solchen vom »Geiste« diese zu solchen vom

44

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»Dämon<< diese zu solchen vom »Gotte<< und diese zur Idee

des Überweltlich-Göttlichen sich gewandelt haben sol

len.

Gegenüber dieser

>>Heterogonie

der Zwecke<<

-

>>Zwecke<< unterstellt Otto angesichts der teleologischen

Grundtendenz dieser wie wohl fast jeder evolutionisti

schen Theorie durchaus zutreffend- hält Otto die Homo

gonie für richtig: Religion fängt mit sich selber an, wenn

auch nicht gleich als fertige. Damit ist er vom ethnolo

gisch-historischen Material aus an demselben Punkt an

gelangt, zu welchem er in der >>Kantisch-Fries sche(n) Re

ligionsphilosophie und ihre r) Anwendung auf die Theo

logie<< (1909) mit transzendentalphilosophischer Refle

xion auch gekommen war: Das Mit-sich-selbst-Anfangen

der

Religion

schließt jede

Erklärung

der

Religion a

poste

riori aus.

Das selbstverständliche Korrelat dieser Nega

tion ist die Kategorie des religiösen Apriori.

9

In Ottos Hauptwerk wird >>das Heilige« als diese

Kategorie

bestimmt. Zugleich aber müssen die Daten der Religions

geschichte

so,

wie man

sie

nachempfinden kann, darauf

bezogen werden, und das ist nur möglich, indem sie als

materiale Analogien zu demjenigen Gefühl begriffen wer

den, welches Gott oder das Heilige aus allen Relationen

zwischen den Dingen und ihrer Idee, zwischen Vielheit

und Einheit, zwischen Raum/Zeit und Transzendenz her

aushält.

Otto nennt dieses Gefühl den sensus numinis

Doch hier ist einzuwenden: Deranalogische Charakter, in

welchem sich die

an religionsgeschichtlichen Daten

festzumachenden Gefühle zum sensus numinis verhalten

- Gefühle des Unheimlichen, des Schauervollen, des

Grauens, des Übermächtigen, des Geheimnisvollen, des

ganz Anderen, des Anziehenden, des Faszinierenden -,

dieser analogische Charakter kann nur begrifflich festge

halten, aber nicht empirisch demonstriert werden. Eine

Analogie ist eben zu abstrakt- und hierin liegtOttos fol

genreichste Fehleinschätzung von >>Erleben<<

-,

als

daß

>>durch« sie Gefühle wie

die genannten den sensus numinis

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>>reizen<< könnten.

30

So rückt die >>religiöse Anlage<< die

grundsätzlich wohl als

Deutungskategorie des menschli-

chen

Selbstverständnisses

auf der transzendentalen

>>Ebene<< des religiösen Apriori hätte bleiben sollen, gera-

dezu zwangsläufig wieder auf die Ebene des psycholo-

gisch Aufweisbaren, ja des historisch Konkretisierbaren

hinüber, auf der sie bei Schleiermacher schon gewesen

war.

Damit kommt ein dialektisches

Verhältnis zwischen

Übereinstimmung und Differenz von analogischer und

psychologischer Zusammengehörigkeit des religiösen

Apriori und der religiösen Anlage zustande.

Hier sind hervorragende Ansätze zur vertieften Durchar-

beitung dessen gegeben, was man bis dahin in Alternati-

ven

wie zwischen Voraussetzungen philosophischer oder

psychologischer

Herkunft, Repräsentation in einer Kate-

gorie

a priori oder a posteriori, transzendentalphiloso-

phischer oder empirischer Erfaßbarkeit des Heiligen,

seinem rationalen oder irrationalen Charakter, seiner

homogonen oder heterogonen Entstehung eingefangen

hatte. An der Rezeption von Ottos Hauptwerk ist paradox,

daß wohl scharfsinnig mit allen diesen Begriffen gearbei-

tet wird und auch neue Positionen entstehen konnten, daß

aber eben dabei die Begriffe gegeneinander ausgespielt

werden, meist der eine als proprium einer Wissenschaft,

die Otto hätte besser berücksichtigen sollen, gegen eine

andere, die er leider statt dessen oder außerdem noch be-

rücksichtigt hat:

also Psychologie gegen Metaphysik

Friedrich

Karl Feigel), Religionswissenschaft gegen

Theologie für viele eine Pflichtübung

bis heute), Philoso-

phie gegen

Soziologie Roger Caillois

und

andere). Hier

liegen noch eine Menge wissenschaftstheoretischer Auf-

gaben.

Daneben aber gibt es eine Rezeption ganz andererArt. Für

diese stellt Ottos Werk gleichsam eine Verschriftlichung

des Heiligen selbst

dar.

Zwei Vermutungen

seien

erlaubt,

wie es wohl dazu kam. Zum einen: »Das Heilige<< könnte

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ein Trostbuch geworden sein - für Theologen, denen im

Ersten Weltkrieg der Liberalismus und der Kulturpro

testantismus obsolet geworden war, die aber in der dialek

tischen Theologie eine zu offenbarungspositivistische

Engführung sahen und sich von Otto in das freie, mit na

türlicher Theologie geradezu trächtige Feld religiöser

Humanität überhaupt geführt wähnten;- und für Bürger,

die »das Heilige« an die Stelleall der andern, insbesondere

der nationalen

Werte

setzen konnten,

die

nach und nach

den Bach hinunter gingen. Otto selbst hat weder das Er

scheinungsjahr entsprechend gewählt - so wie er gear

beitet hat, wäre das Buch wahrscheinlich auch ohne Welt

krieg im Jahre 1917 erschienen- noch in den Vorworten

oder in den

Textteilen

eine auch

nur

geheime

Absicht sol

cher Art erkennen lassen. Enthüllungsbereit und ideolo

giekritisch, wie auch ich meine bleiben zu müssen, habe

ich alleAuflagen daraufhin durchgeprüft.)

Zum andern: Die dialektischen Innenspannungen- und

sagen wir ruhig: sowie die nicht seltenen Ungenauigkei

ten - in Ottos Thesen führten in ein Feld,

auf dem die

Dinge noch lange schwierig bleiben sollten, aber sie eröff

neten eben damit ein anderes, aufwelchem alles

viel ein

facher war. Und auch hier konnte man sich Rudolf Otto an

vertrauen. Das deutsche Wort »heilig<< hat in der Epoche,

welche man

die

der>>Empfindsamkeit« oder des

»empfind

samen

Klassizismus«

3

  nennen könnte, eine Sonderent

wicklung durchgemacht, und

Otto - ich weiß nicht, mit

wieviel bewußter Kenntnis der Literatur des achtzehnten

Jahrhunderts- führt dies weiter. Durch ihn wird »heilig«

fast

zu einem

Lieblingswort

der deutschen

Gebildeten

und Wissenschaftssprache bis in unsere Tage, wie es ein

solches durch Klopstock in der deutschen Dichtersprache

über

die

Romantik hinaus geworden war.

3

Sogar »der

ganz Andere« im neutrum

oft zitiert, wenn es gilt, Ottos

originäre Leistung in der Abhebung des Heiligen vom Nu

minosen, Dämonischen, Geschöpflichen, Verfügbaren, Ir-

47

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rationalen und anderem zu würdigen - findet sich schon

bei Klopstock Oden I 143). Es wäre eine lohnende Auf

gabe,

einmal

Klopstacks

Dichtungen nach den

Katego

rien von R. Otto s Religionsphilosophie zu untersuchen;

die Ausbeute für die Einzelmomente des Numinosen: das

jascinans das tremendum das mirabile wäre reich<<

53

,

schrieb schon vor mehr als fünfzig Jahren eine kluge

Interpretin. Diese Forderung braucht man heute nur um

zukehren: Spricht Otto da, wo er nicht argumentativ,

sondern epideiktisch vorgeht, also etwa bei der Interpre

tation von Malerei, Bauwerken oder Hymnen, die Sprache

Klopstocks? Und ist seine Wirkung in unserem Jahrhun

dert nicht mit der Klopstacks bis zur Mitte des vorigen -

bildungssoziologisch

gesehen übrigens

doch

wohl in den

selben Leserkreisen- vergleichbar?

54

Wenn dieses richtig vermutet ist, dann ergibt sich für uns

daraus die Aufgabe, das Amalgam von literarischer Ob

jektsprache, hermeneutischer Interpretationssprache

bei

der Deutung nichtsprachlicher

Objekte)

und

wissen

schaftlicher Metasprache, dessen wir uns bedienen, bis in

seine Elemente hinein aufzulösen.

Davon wird auch der strukturelle Nexus zwischen Apriori

und Erfahrung/Erkenntnis betroffen sein. Daß man damit

in diesen nicht von einer nur linguistischenWarte aus ein

greift, sondern eine Auflösungstendenz manifest macht,

die in diesem Falle in ihm selber liegt, dafür sei als unver

dächtiger Zeuge Paul Tillich (1886-1g65) aufgerufen.

55

Unverdächtig ist er, weil er als großer Theologe »das Hei

lige« als »die Qualität dessen« bestimmt, »was uns unbe

dingt

angeht«.

»A

priori sind diejenigen

Begriffe<<

so

sagt

er, »die in jeder aktuellen Erfahrung vorausgesetzt sind,

da sie eben die Struktur der Erfahrung selbst konstitu

ieren. Die Bedingungen der Erfahrung sind a priori. Wenn

diese Bedingungen sich ändern- und mit ihnen die Struk

tur der Erfahrung

-,

so

muß eine andere

Gruppe von

Be

dingungen es ermöglichen, Erfahrung zu haben.« FürTil-

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lieh ist dieser Sachverhalt sogar von ontologischer Rele-

vanz und gegen historischen Relativismus zu sichern.

Aber »das Heilige« ist

ihm dann

nur

noch eine

»Idee«

neben der »Idee des Göttlichen« beide in gegenseitiger

Abhängigkeit stehend. Indem Ottos Analyse »rein phäno

menologisch« genannt wird -»die man übrigens niemals

psychologisch nennen sollte«- ist von Erfahrung und ih

rer transzendentalen Struktur gleich gar nicht die Rede.

Und während für Otto das Dämonische mit auf die er-

schreckende schauervolle und grausige Seite des Heili-

gen gehört ist es für Tillich die Qualität dessen was Hei-

ligkeit für sich beansprucht und widergöttlich geworden

ist. Solch zu rasche und unbedarfte Grenzüberschreitung

zur

Theologie ist

zwar

immer noch das

Beste

was

passie-

ren kann wenn es auf Erkenntnistheorie nicht mehr an

kommt. Aber es wir t auch die Frage auf ob dabei etwas

verlorengeht.

49

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C UM KÜNFTIGE FORTSCHRITTE

Die frühere Forschung hat eher beiläufig auchWorter ge-

braucht, die »das Heilige« nur erläutern oder in seine

Richtung weisen sollten. Einige Worter, die mehr in rein

sprachlicher Hinsicht signifikant sind,

lassen sich

begriff-

lich

so

prägnant

fassen,

daß

man neu

von ihnen ausgehen

kann. AndereWorterweisen mehr aufpsychologische Tat-

bestände hin; letztere lassen sich durch bestimmte an

thropologische Gegebenheiten ergänzen.

Dabei wird man, ohne daraus Grundsätzliches zu folgern,

die Frustration zulassen müssen, die

vom konsequenten

Festhalten an erkenntnis- und symboltheoretischen Prä-

missen häufig ausgeht. Jagt einem doch ein Apriori keine

Gänsehaut über den Rücken,

und vor einem Existenzope-

rator, wie ihn zum Beispiel die wahre Aussage enthält, daß

es mindestens ein heiliges Geschehen gibt, das zugleich

normal und außergewöhnlich ist, wird niemand auf die

Knie fallen. Sollten

sich trotzdem die methodischen

Ver-

dienste früheren Nachdenkens nutzen lassen, wenn es

gilt, Schauder und Verehrung nicht zu empfinden und zu

praktizieren, sondern zu beschreiben?

VIII. Aufsuchen neuerVordergründe das Erhabene,

das Numinose, das Interessante, der Ernstfall

Zuerst

ist

an

eine ganz besondere

Schrift

zu erinnern.

Sie

trägt griechisch den Titel Peri hypsous lateinisch De subli-

50

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matate deutsch om Erhabenen. Sie stammt von einem

Autor des ersten Jahrhunderts nach Chr. - des einzigen

Griechen übrigens,

der das

Alte

Testament korrekt zitiert

Gen. 1, 3 und g: »Gott sprach: Es werde Licht, und

es ward. Es werde Land, und es ward<< g g) -, den wir,

da wir seinen Namen nicht kennen, Pseudo-Longinos

nennen.

Diese Schrift bildete im siebzehnten und achtzehnten

Jahrhundert neben der

aristotelischen

Poetik

und der

Ars Poetica des Horaz die Grundlage jeder Ästhetik und

Literaturkritik,

ja der

Autor schlug mit seinem »Golde

nen Buch<< wie Isaac Casaubonus die Schrift nannte,

diese Jahrhunderte geradezu in seinen

Bann, vor allem

durch

die

zentrale These, ein außerordentliches

Dicht

werk wirke nicht durch Überzeugung, sondern durch

Entzückung. Groß wird das Werk des Dichters, so wollte

es der Geniekult fortan, nicht erst durch Perfektionie

rung anhand tradierter Kunstbegriffe, sondern es ist

spontan groß auf Grund einer besonderen seelischen

Verfassung, der >>poetischen<< dem ansteckenden schöp

ferischen Feuer eines Homer, Pindar, Aischylos. Über

trägt man das, was Pseudo-Longinos für die Rhetorik

ausführt, in Ausdrucksformen für das Kreaturgefühl, so

steht ziemlich genau bei dem, was Otto über die Maiestas

oder

das

Erhabene oder

das Augustum

als

Momente des

Numinosen sagt.5

6

Hier dürfen zwei

Resultate von Ottos Arbeit unverändert

festgehalten werden.

1. Das Heilige im vollen Sinne des Wortes ist für uns eine

zusammengesetzte

Kategorie.<<

2. Was man unter dem Vorzeichen des sensus numinis den

»Zorn Gottes<< die »schlechthinnige Unnahbarkeit<<, die

»numinose Leidenschaft Kraft Bewegung Erregtheit Tä

tigkeit<< das »Leere« nennt, das sind keine einfachen Zei

chen oder »natürlichen Prädikate<< für das Dämonisch

Gespenstische, das tremendum oder die maiestas die

5

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liebende Energie das ganz Andere sondern es sind >>Ideo-

gramme<< oder >>reine Deutezeichen« eines eigentümli

chen Gefühlsmomentes

im

religiösen Erleben.

  7

In dem

Maße wie Otto selber amideographischen Charakter die

ser Deutezeichen festhält wird er mißverstanden wenn

man seine Aussagen psychologisch nimmt.

Ein großer Psychologe war Otto aber außerdem. Wo er

sich nicht ideographisch sondern empirisch einstellt

konnte eine seiner Grundbeobachtungen erneuert wer

den. Carl Gustav Jung bemühte sich fast sorgsam nurvom

Numinosen zu sprechen sicherlich wissend daß man mit

Otto numinos das heißt bei ihm: nur im Gemüt erfühlbar

eben das nennen sollte was übrigbleibt wenn man vom

Heiligen das

sittlich

Gute

und

das

Rationale

gleichsam

subtrahiert. Um so tiefer dringt C.G.Jung in das Gebiet

des Noch-nicht-Sittlichen und des Noch-nicht-Rationalen

ein wenn er Archetypen wie die Ganzheit die Anima und

andere auch Gefühlsqualitäten archaische Eigenschaf

ten

Mandala-Vorstellungen

bestimmte Charaktere als

numinos beschreibt >>das heißt unbedingt gefährlich ta

buiert magisch<< 3

8

Georg Schmid hat in dem was Rudolf Otto mit seinen be

rühmt gewordenen Begriffen zur Besonderheit des Heili

gen gesagt die Kategorie einer Besonderheit entdeckt

die uns allen geläufig ist die des Interessanten.59 Er ver

gleicht- und das ist wohl eher phänomenologisch als psy

chologisch zu verstehen - Idee und Erfahrung des Inter

essanten mit Idee und Erfahrung des Heiligen. Es zeigt

sich daß sich das sogenannte religiöse und das soge

nannte

profane Erleben gerade in ihren wesentlichen

Momenten entsprechen. In beiden begegnet etwas Beson

deres vom Gewöhnlichen Unterschiedenes. Dieses Be

sondere spricht an und nimmt in Ausdruck kann ver

pflichten erschüttern in Beschlag nehmen. Dabei rücken

die

Summen beider Erlebnisarten enger zusammen

als

man es bisher gewohnt war und es ergibt sich die Aufgabe

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den Unterschied zwischen Heilig und Profan neu zu be

stimmen, vielleicht in ihrer konträren oder realen Form

ganz aufzugeben. Damit scheint ein guter

Ansatz

gegeben

zu sein das was einmal als Heiliges bezeugt war in un

sere säkulare Welt zu übersetzen und dabei doch das Ver

bot des semantischen Zusammenschlusses von überlie

fertem Zeugnis und neuer Benennung zu beachten.

So dann

hat Walter Burkert ausgehend von seinen bedeu

tenden Studien über Opfer

Töten und Gewalt

bei den

Griechen, Ottos Momenten des Numinosen ein wichtiges

hinzugefügt. Es seien - ohne das Ungeheure - das myste-

rium tremendum das jaseinans und das augustum die

wiedergegeben werden könnten etwa als Angst Beseli

gung,

und

Rangordnung.

»Nun

sind

eben

diese Angst Be

geisterung und Rangordnung, auch durchaus

psycholo

gisch-ethische

Kategorien. Über die Angst ihre Formen

und Wurzeln, ihre biologische Funktionalität sowie über

Begeisterung und Rangordnung hinaus, die

sich als

grundlegende

biologische

Verhaltens-

und

Erlebniswei

sen in der Erfahrung des Heiligen konzentrieren, sei der

Begriff des »Ernstfalls<< heranzuziehen.

>>Bezeichnet dieses Wort wohl zunächst in den Planspie

len der Generalstäbe den Krieg im Gegensatz zum Ma

növer so ist es doch auch geeignet, allgemeinere Erfah

rungen auszudrücken. Wenn der Ernstfall eintritt, so

weiß man: die Situation ist gefährlich, eigentlich ang

stauslösend, doch wird sie bewältigt mit energischen

Maßnahmen, ja in aggressivem Hochgefühl: die

Wer

tordnungen schlagen um, vieles, was bisher im Vor

dergrund

stand,

wird unwichtig;

man

verbrennt das

Gerümpel, ta erga enepimprasan in der berühmten

Schilderung des Demosthenes, und dies wirkt, bei aller

Sorge, befreiend. Wir haben also im >Ernstfall< eine be

zeichnende Kombination von tremendum jascinans und

augustum;

nicht umsonst wird im

Krieg

dem

Ernstfall

kat exochen, das Vaterland >heilig< Umgekehrt ist das

53

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Heilige ernst, ja das >Ernsteste<, wie schon Platon beob

achtete Leg. 887 d). Im religiösen Ritual wird - nach

Sicht

des Außenstehenden

oft

in künstlicher

Weise -

ein

Ernstfall geschafffen und durchgespielt; umgekehrt kann

dann bei einem äußerlichen gegebenem >Ernstfall<, bei

schweren Krisen - im Vordergrund stehen Krieg, Hun

gersnot und Krankheit- auf das religiöse Ritual zurückge

griffen werden.<<

40

IX Sich entscheiden für die richtige Methode

Psychologie und Linguistik, Selbst- und Fremd

definition)

Von den hiermit nebeneinanderliegenden alten, den prä

gnanter gefaßten und den neuen Ausgangspunkten aus,

die hypothetisch Vordergründe des Heiligen sind, müssen

nun Erkenntnisfortschritte versucht werden. Da man alle

Stellen

im

kategorialen

Verhältnis

zwischen apriorischem

Begriff und unter ihm gedeuteten Dingen, an denen das

Heilige nach Otto eine Funktion hat, Phänomene nennen

kann - sowohl Erfahrungsinhalte als auch Objekte wiir

den also dazugehören -, entgeht man einem fruchtlosen

Methodenstreit am ehesten durch eine Art Phänomenolo

gie. Hier ist freilich einzuschränken, daß die Religions

phänomenologie ihren Husserl noch nicht gefunden hat.

Auch Otto ist es nicht geworden, weil ihm das Zusammen

treten des numinosen, das heißt irrationalen Momentes

mit den rationalen und sittlichen Momenten zum Heili

gen ein wichtigeres Thema

war.

Dennoch wurde

die

»Schematisierung<<, als welche Otto »das Verhältnis des Ra

tionalen zum

Irrationalen in der Komplex-Idee des Heili

gen<< begreift, gleichsam wie eine Interpretationsformel

für religionsgeschichtliche Beobachtungen wichtiger als

für

die Religionsphilosophie Troeltsch

und

Tillich

haben

sie sogleich abgelehnt . Insofern darf auch das, was die

54

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sogenannte Religionsphänomenologie zu bieten hat, an

Hand dieser Formel durchgeprüft werden, wobei sich so-

gar

das Irrationale

mit dem

Regelwidrigen,

Normen au-

ßer

Kraft

Setzenden akkordieren

ließe, das wir unter II)

als ein Urdatum voraussetzen mußten.

Hier ist nun freilich von keiner konsistenten Diskussion

und schon gar nicht von Resultaten, sondern nur von ver-

einzelten Vorstößen und offenen Fragen zu berichten.

Das liegt

z. T. daran, daß

die

prinzipiell geführte Diskus-

sion rein religionsphilosophisch blieb. Joseph Geyser

z.B. nahm die Dialektik, die oben unter VI) nachentwik-

kelt wurde, unter den Begriffen >>Intellekt« und >>Gemüt<<

auf und engte jegliche religiöse Evidenz auf eine rein

subjektive wie gefühlsmäßige Intuition ein,

wies

sie

also

dem psychischen Bereich zu. Er selbst bestand auf einer

exakt wissenschaftlich erhobenen und stringent logisch

verifizierten Erkenntnis, die er bei

Otto nicht finden

konnte. Da ist es verständlich, daß Otto seine Auseinan-

dersetzung mit

Wundt

in

seine

»Aufsätze,

das Numinose

betreffend,

Teil I« und in deren vermehrte Auflage unter

dem Titel >>Das Gefühl des Überweltlichen Sensus numi-

nis «41 wieder aufnahm, beide Male mit Verdeutlichun-

gen. Er hält hier fest am sensus numinis der zwischen ei-

ner Bestimmung als anthropologischem Wurzelboden

der Religion mit aus den

Tiefen des Gefühlslebens selber

kommender Erlebnisfähigkeit und analogem Gefühl

für

das ganz Andere als eine rt Ermöglichungsgrund für die

Erfahrbarkeit des Mysteriösen

schweben bleibt. An an-

derer

Stelle betont er Schleiermachers Erweis der Reli-

gion als

eines eigenen

Gebietes

menschlichen

Seins.)

4

Aber indem er dem Empiriker Wundt nachweist, daß

selbst er ohne Anklänge an diese Sicht nicht auskommt,

läßt er sich aufschlußreich auf die Materialien und Da-

ten aus der Völkerkunde ein, die Wundt zum Ausgangs-

punkt

für seine Heterogoniethese gedient hatten.

Die

psy-

chologischen Elemente aus dieser Diskussion lassen sich

55

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als Fermente einer neuen Phänomenologie weiter ver

wenden.

Was die

anderen

wichtigen Fermente

anlangt, die

benö-

tigt werden, nämlich die mehr an der Sprache orientier

ten, die man auch linguistische nennen kann, so sei der

Beitrag von Walter Baetke hervorgehoben. Er ist nicht di

rekt phänomenologisch, aber er ist für eine kritische Phä-

nomenologie besonders wichtig, weil er demonstriert,

wie man es vermeidet, Resultate der Analysen von nicht

sprachlichen und von sprachlichen Dokumenten auf die

selbe Ebene zu rücken und dort zur gegenseitigen Bestäti

gung kurzzuschließen siehe Teil III und V). In der ersten

Hinsichtvermißt Baetke in einer »religionswissenschaftli

chen

Grundlegung«,

in der er

Otto

vernichtend

beurteilt,

die Berücksichtigung der volkhaft-sprachlichen und kul-

turell-sozialen Vermittlung des Heiligen sowie seiner ver

schiedenartigEm Ausprägungen im kultisch-religiösen

und im sittlich-rechtlichen Bereich. Das Heilige trete dem

religiosen

Subjekt

stets

als

ein

Vorgegebenes

entgegen,

geknüpft an die von einer religiösen Gemeinschaft getra-

gene Iradition in Lehre (Mythos) und Kult. Das sei aber

nur der Anfang für den je Einzellien in der Gemeinschaft,

nicht ein Anfang, der vor aller Gemeinschaft liege; bei

Rudolf Otto wisse man nie genau, welche rt von an-

fänglicher Gegebenheit er meine. In der zweiten Hinsicht

arbeitet Baetke als Altgermanist

45

, also am gotischen, an-

gelsächsischen, altnordischen, althochdeutschen und alt

sächsischen Sprachmaterial. Indem Baetke seinen so

zialwissenschaftlichen Ansatz - darum handelt es sich

bereits,

wenn

auch noch nicht im heutigen Sinne

-

mit

dem sprachwissenschaftlichen kombiniert, gewinnen

seine Erkenntnisse grundsätzliche Bedeutung, heute für

den Unterschied zwischen Fremddefiniton und

Selbstdefinition »des Heiligen«.

Für uns Deutsche ist

dies

besonders

wichtig,

weil sich

er

gibt, wie falsch es ist, eine »Bedeutung« von »heilig« zu ge-

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winnen, indem man z.B. mit »Heil« oder »heil« im Sinne

von »ganz« etymologisiert.

44

Allgemein ergibt sich, daß

man

die Sachdiskussion

unter den

Titel »Fremddefini

tion«, i ~ Beschäftigung mit Wörtern aber, die man mit

»heilig« oder einemWort aus einer anderenWissensspra

che) übersetzen darf, unter den Titel »Selbstdefinition«

stellen sollte. Das, was mit der Fremd-, und das, was mit

der Selbstdefinition gemeint ist, kann zusammenfallen,

muß es aber nicht. Wir sollten grundsätzlich bereit sein,

nicht nur etwas »heilig« zu nennen, was in einem Quel

lentext nicht so heißt, sondern auch die Bezeichnung von

etwas in einem Quellentext als »heilig« in Frage zu stellen,

wenn·eine phänomenologische Analyse uns Grund dazu

gibt.

Der sehr

große

heuristische

Wert

der

Wortbezeugung

bleibt dabei unbestritten.

Die Infragestellung kann auf zweierlei Weise geschehen.

Entweder man erwägt die Heiligkeitsbezeichnung als

falsch, oder man erwägt, daß sie- paradoxerweise-in die

profane Sphäre besser paßt

als

in

die religiöse. Das

führt

natürlich auf das Problem der Identität von Religion

schlechthin; aber nicht nur auf dieses, sondern auch auf

den Charakter von Alltagswirklichkeit.) Die Fragen kön

nen mit »Ja«, aber auch mit »Nein« beantwortet werden

 m letzteren Fall war die Heiligkeitsbezeichnung zutref

fend, und sie gehörte doch in die Religion. So oder so aber

ist die massive Bindung des Phänomens an die sprachli

che Sphäre gelöst worden. Nun kann eine andere Bindung

prinzipieller bedacht werden, nämlich diejenige, die je

weils zu einer bestimmten und begrenzten historischen

Situation besteht.

Hier

aber kommen

zusätzlich

hand

lungstheoretische Fragen ins Spiel, von denen man auch

auf der Suche nach einem Zugang zum »Heiligen« nicht

absehen darf.

Wenn man aus der Geschichte irgendwann einmal für das

Handeln etwas lernen will und weder den Irrweg ihrer

pragmatischen Befragung noch den eines auf Ableitbar-

  7

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keit aus ihr also nicht aus Normen oder Gesetzen, wie bei

Carl Schmitt) verzichtenden Dezisionismus zu gehen bereit

ist, bleibt

wiederum

als

Theorie

nur

eine Phänomenolo-

gie. Ihr Gegenstand ist jetzt das, was beim wissenschaft

lichen Handeln herauskommt das in Beschreiben, Be

nennen Erklären und Verstehen besteht. Dieses Handeln

darf, weil es eine Komponente sozialen Handeins über

haupt ist, nicht so beschaffen sein, daß wichtigste Dimen-

sionen der Erkenntnis verspielt werden. Schon deshalb

muß die Phänomenologie mehr leisten als Katalogisierung

letzteres tut sie, mit ansatzweisen Ausnahmen bisher).

Ihre eidetische Reduktion muß in der Erhebung eines

>>Logos« aus den Phänomenen bestehen. Die Phänomene

aber

sind

geschichtlich. Das,

was

man

ihren

»Logos«

nennen kann ist deshalb nur durch historisch dimensio

niertes Vergleichen zu ermitteln. Die ältere Komparati

stik war auf ein übergeschichtliches »Wesen« aus.)

Man kann so die Forderung nach einer »historischen Phä-

nomenologie« aufstellen.

46

Dreierlei

ist

für

sie erheblich.

I Sie muß logisch so angelegt sein, daß sie Aussagen

über das »Sein des Heiligen<< nicht ausschließt, wenn sie

auch selbst solche Aussagen nicht machen kann. 2. Sie

muß soziologisch so angelegt sein, daß sie auchAussagen

über die >>gesellschaftliche Einbettung des Heiligen« er

möglicht, wenn sie auch selbst Aussagen über eine rein

historisch -soziale Konditionierung des Heiligen nicht ma-

chen darf. · Sie muß den Bestand der Phänomene ver

breitern aufdie sie sich stützt. Die bisherigen Katalogisie

rungen aus der >Welt der Religion<< sind vollständig genug

und reizen zu nicht

mehr

als

internen

Umgruppierungen.

Die Verbreitung der Phänomenenbasis braucht nach dem

Bisherigen keine Rücksicht daraufzu nehmen ob die Phä

nomene religiös sind oder nicht. Festzustellen, ob sie so

qualifiziert werden müssen ist cura posterior. Cura prior

aber

ist

das

Belassen

der Phänomene in der

Geschichte.

Wie könnte es konkret aussehen?

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X Belassen der Phänomene in der Geschichte

Urprofanität, Pansakralität, Transzendierung,

Säkularisation

46

Die symbolische Form, die »das Heilige« sein oder nicht

sein könnte, ist sie selbst erst im Verhältnis zu etwas, wo-

von sie sich abgrenzt oder wovon unterschieden sie ihre

Qualität hat. Darin hat die frühere Forschung auf weite

Strecken recht, und deshalb dürfen wir aus ihr auch das,

was damit zusammenhängt, insoweit übernehmen, wie

es uns nicht an die Modelle der römischen Kultreligion

oder der Durkheimschen Zivilreligion bindet. Indem wir

hier nur die Möglichkeit des Heiligen voraussetzen, nen-

nen wir

also

das

Andere vorbehaltlich

genauerer

Unter

scheidungen - es ist darauf zu achten, was konträre und

was kontradiktische Gegensätze zum Heiligen sind -

aufs neue das >>Profane« Das Wort proj num kommt aus

dem Lateinischen und bezeichnet den Raum oder Be

reich, der

»vor«

dem oder außerhalb des Tempel s)

liegt.

Davon abstrahiert, kann es für alles, was nicht heilig ist,

gut verwendet werden.

In der Geschichte definieren sich heilige und profane

Qualitäten von Gegenständen, Verhaltensweisen, Vorgän

gen, Zusammenhängen und Menschen teils selbst und

sind heute nur so zu akzeptieren oder zu kritisieren, teils

sind sie vom heutigen Standpunkt aus erst zu konstatieren

und zu definieren. Beides schließt die Möglichkeit ein,

daß das Heilige in Wirklichkeit metaphysisch, ewig, trans-

historisch ist und sich in der Geschichte nur fragmentiert

und

partikularisiert

in immer neuen

Objekten vergegen-

ständlicht. Es besteht aber auch beide Male die Möglich

keit, daß sich das Heilige aus gewissen, den historischen

Prozessen immer innewohnenden symbolisierenden

Kräften ständig neu bildet, indem es deren Objektivatio

nen noch transzendiert.

Das historische Grundproblem ist, in welcher Gleichzei-

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tigkeit oder Reihenfolge das Heilige und das Profane zu

sehen sind. Alle drei möglichen Anschauungen sind ver

treten

worden. Leider erlauben aber

die

religionsphäno

menologischen und -geschichtlichen Befunde keine Aus

sage über die urgeschichtlichen Verhältnisse. Selbst die -

am ehesten richtige - Grundannahme daß die Religion

mit der Hominisation ins Dasein getreten sei, erlaubt hier

keinen Nachweis. Denn mit dieserVoraussetzung ist noch

nicht gesagt, ob die Religion einmal alles umfaßte oder ob

auch neben ihrer Urgegebenheit einschließlich der des

Heiligen gleich eine profane >Weltanschauung<< bestand.

Kommen wir nun zum »Anfang selbst«, das heißt überle

gen wir, wie das Heilige entstanden oder wie es in die Ge

schichte eingetreten sein

könnte.

o

integral das

Heilige

auch zur Religion gehören kann so unabhängig davon

muß seine Geschichtlichkeil untersucht werden. Da wir

hier weiterhin auf Rückschlüsse angewiesen sind- denn

darum handelt es sich auch wenn es nicht mehr um sym

boltheoretisch-anthropologische

Voraussetzungen, son

dern schon um reale Anfänge geht - müssen wir einige

Male aufTheorien zurückgreifen die in noch ganz ande

ren Zusammenhängen aufgestellt worden sind. In drei

Gruppen kann man sie zusammenfassen:

Nach einer möglichen Anschauung wären Heiliges und

Profanes gleich ursprünglich gegeben gewesen

1). Nach

einer andern

wäre das Heilige eine nachträgliche Über

höhung des Profanen 2). Nach einer dritten, urtümliche

Pansakralität voraussetzenden Anschauung wäre das Hei

lige einmal eine Ganzheit gewesen in das die ganze Welt

eingeschlossen

war, bzw.

das

die

ganze

Welt

einte

3).

Auch das Magische wäre von ihm noch ungetrennt gewe

sen. Das Profane, sei es magisch sei es unmagisch hätte

sich aus ihm nach und nach in einerArt urtümlicher Säku

larisation entwickelt.

1.

Die erste

Möglichkeit

bestünde

also darin,

daß

sowohl

das Heilige als auch das Profane mit sich selber anfangen.

6o

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Den Sachverhalt einer Entstehung aus >>demselben«, grie

chisch homo- nennt man Homogonie. Bei Homogonie so

wohl

des Heiligen als

auch

des

Profanen bestünde

also

eine Urpolarität zwischen beiden. Für diese These kann

man sich auf die Höhlen und Grotten des Mittel-   Dra

chenloch und Wildenmannlisloch im Schweizer Kanton

St. Gallen, Petershöhle im deutschen Mittelfranken) und

Jungpaläolithicum Altamira, Lascaux, Trois Freres, Rouf

fignac) sowie des Neolithicum viele Plätze) berufen. Ihre

Besonderheit erfüllt zwar nur die beiden Kriterien der

räumlichen Abgetrenntheit von Bezirken des Alltagsle

bens a) und der Außergewöhnlichkeit b), aber diese rei

chen aus, um die Bezeichnung Heiligtümer zu rechtferti

gen. a) Die

Höhlen sind

schwer

zugänglich, liegen

sehr

hoch oder tief im Innern, haben einen sehr engen oder

schwer auffindbaren Zugang, sind für Alltagsverrichtun

gen zu flach oder zu dunkel. b) Sie enthalten Kunstwerke,

die sich alltäglicher Betrachtung entziehen, sowie Kno

chen- und Schädeldeponierungen, die keine weggeworfe

nen Reste von Mahlzeiten sein können. Beides weist dar

aufhin, daß hier neben dem alltäglichen Bezirk, z.B. dem

Aufenthalts-, Schlaf- und Eßraum nahe dem Höhlenein

gang, ein außeralltäglicher Raum lag. Die Frage, ob die

Deponien Opfer waren, und ob sie einem oder mehreren

Göttern galten, ist damit nicht entschieden. Aber daß die

Höhlen heiligen Verrichtungen dienten, in vielen Fällen

der Initiation, ist so gut wie sicher. Indem man in sie ein

drang, kam man vom proj num ins sacrum. Welcher Art

die Beziehungen zwischen beiden sonst noch waren, ist

nicht

bekannt.

Aber

daß

sie

nebeneinander bestanden, ist

evident. Die Wahrscheinlichkeit spricht dann dafür, daß

auch jedes mit sich selber angefangen hat und nicht noch

früher beides in einem Raum lag, der vornehmlich nur

das eine oder andere gewesen wäre.

2. Kommen wir nun zu der Möglichkeit, daß nur eines,

nehmen wir das Profane, homogen und damit uranfäng-

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lieh ist,

daß aber das Heilige aus diesem als aus etwas

»an-

derem<< griechisch

hetero- entstanden, also heterogen

und

damit nachträglich

ist.

Diese

These deckt sich

mit der

vom religionslosen Urzustand der Menschheit. Sie beruht

vornehmlich auf ethnologischen, z.T. auch auf psycho-

analytischen Theorien, nach denen entweder das Heilige

zunächst ein Deckbegriff für bestimmte Wunschinhalte

war und dann echt wurde, oder gleich durch rituell ge-

wirkte Heiligung entstand. Man konnte auch an die Heili-

gung von Handlungen denken, die ursprünglich nur

ethisch gut waren, ferner an die Entwicklung >>der Gabe<<

Marcel Mauss) zum Opfer, aber auch an die Entstehung

von Göttern aus Menschen über die

Zwischenstufe des

Heros,

und

anderes.

Weitere

Theorien:

Die Magie als vorwissenschaftliche Wissenschaft hat ver-

sagt, so daß der Mensch seine Zuflucht in Religion suchen

mußte J.G.Frazer).

Das gesellschaftliche Sein der Urmenschen war so primi-

tiv

daß

ihr

Bewußtsein ganz

und gar an

die Praxis

gebun-

den war und keine religiösen Abstraktionen hervorzu-

bringen vermochte; erst als für Nahrungsbeschaffung

durch Jagd und Ackerbau

Magie nötig wurde, entstand

mit ihr verschwistert die Religion, deren Funktion noch

verstärkt wurde, sobald es zu Herrschaftsverhältnissen

kam dogmatischer Marxismus).

Das Heilige ist aus dem Unreinen entstanden. Das Tabu,

die

Einflößung einer Berührungsscheu, war beiden ge-

meinsam und bleibt es auch), der Bereich des Alltägli-

chen ist profan und rein. Darauf differenziert sich

die

Scheu in Ehrfurcht vor dem

Heiligen

und

Abscheu

vor

dem Dämonischen; nun gilt als unrein das, was der heili-

gen Gottheit mißfällt, das ist das Profane, und das Heilige

ist rein. Das Unreine kann dann noch dem Heiligen oppo-

sitionell

entgegentreten, und zwischen beiden liegt das

Reine

und

Gewöhnliche

oder

das

Profane als

Bereich des

Erlaubten WilhelmWundt und

viele

andere).

62

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Das zentrale Tabu ist das des Inzestes; es rührt aus dem

Willen des Urvaters her. Nach seiner Ermordung wird das

Verhältnis zu ihm ambivalent und findet im Begriff der

Heiligkeit

seine

Synthese. Der Grund der Ermordung, die

vom Urvater vollzogene Kastration, wird symbolisch

durch

die Beschneidung ersetzt, welche, an den männli

chen Nachkommen Israels vollzogen, die eigentliche Hei

ligung dieses Volkes darstellt Sigmund Freud).

Das

Heilige

ist

aus dem

Opfer

entstanden, das

als

letzte

Tötung und Bluttat die Kette von Gewalt und Gegengewalt

beendet, aus welcher die profane) Geschichte der

Menschheit besteht. Da die letzte,

alles aufhebende Ge

waltanwendung nicht mehr willkürlich sein darf, ist sie

durch

Riten

umzeichnet und

gebändigt. Wenn das

damit

entstehende heilige Handeln als solches richtig bekannt

und vom profanen Handeln unterschieden ist, sind die

Rollen in der Gesellschaft richtig verteilt. Werden Heiliges

und Profanes ununterscheidbar, entsteht eine sakrifi

zielle Krise; ihr entspricht eine Vermengung der Rollen,

aus der eine gesellschaftliche Krise

entsteht.

Gewalt, die

notwendig

wird,

um

die Stabilität

wiederherzustellen,

wird sowohl von Einzelnen wie von der Gesamtheit ange

wandt: von Einzelnen durch Askese, Selbstdisziplin usw.

gegen sich selbst- sie werden dadurch zu Heiligen-, von

der

Gemeinschaft durch

Ablenkung

auf einen

Sünden

bock, der auf diese Weise die Gesellschaft davor bewahrt,

daß ganze Gruppen in ihr durch erneuernde Anwendung

des Heiligen sich gegenseitig zerstören Rene Girard).

Einige dieser Thesen können sich aufVeränderungen be

rufen,

die

im

Verhältnis

zwischen Heiligem

und

Profanem

im Laufe der Geschichte wirklich eintreten, und selbst die

sonst unmögliche Theorie Freuds hat in der Tatsache, daß

Religionsübung tatsächlich eine Zwangshandlung wer

den kann, ein Wahrheitselement. Die These von Girard

bezieht in den Primärcharakter des Opfers- sofern erbe

steht- die Natur des Menschen und seinerVergesellschaf-

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tung wohl am realistischsten ein. Für eine zuverlässige

urgeschichtliche Rekonstruktion taugt das aber trotzdem

nicht.

3· Die einfache Umkehrung der soeben illustrierten

These besagt, daß nur das Heilige homogen und damit ur-

anfänglich, das Profane aber heterogen und damit nach

träglich ist. Da wir hier nur mit zwei Größen rechnen,

kann das Andere, aus dem das Profane entstanden sein

soll, nur das Heilige selbst sein. Die meisten Säkularisie-

rungstheorien gehören hierher. Die urgeschichtlich

orientierte kann man grob so zusammenfassen: Was wir

als Religion, Magie und Wissenschaft, als Gottesdienst,

Zauberei und Heilkunde, als Prophetie, Gesetzgebung

und

Ethik, als Priester, König

und Schamanen unterschei

den, war einmal in einer sakralen Einheit beisammen. So

lautet eine populäre Grundansicht, die aus der Urmono-

theismusthese von Andrew Lang bis Wilhelm Schmidt, aus

Theologumena von einer Uroffenbarung seit Johann To-

bias

Beck

und

Adolf SchlaUer,

aus Elementen der

Animis-

mustheorie Edward Burnett Tylors, der Mana-Orenda

Identifikation in der Zeit zwischen R H Codrington und

G van der Leeuw, der Präanimismus- oder Dynamismus

Theorie von Robert Ranulph Marett bis Konrad Theodor

Preuß abgeleitet ist. Von einer Verselbständigung des Pro-

fanen, die Bestandteil eines aus der sakralen Ureinheit

hervorgehenden Differenzierungsprozesses sei, kann

man nur reden, wenn man unbeachtet läßt, in welch ei-

nem Synonymieverhältnis unser Begriff des Heiligen zu

den Phänomenen steht, auf die jene Theorien sich grün

den.

Keine dieser Ursprungs- oder Entstehungstheorien ist

wirklich zu verifizieren. Doch auch wenn man von den

Anfängen aus in die Menschheitsgeschichte weitergeht,

gelangt man nicht zu einer Geschichte des Heiligen, son

dern

nur zu

einzelnen

Aspekten, die sowohl

für

kontinu-

ierliche Entwicklungslinien als auch für geschichtliche

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Grundgegebenheiten kennzeichnend sind. Letztere sind

ihrerseits für erste Anfänge genauso konstitutiv wie für in

der historischen Zeit immer wieder sich ereignende

Neu

anfänge.

Solche Aspekte zu erfassen wäre nach der oben

begründeten Forderung nun das konkrete Programm ei

nerseits einer historischen Phänomenologie anderer

seits einer historischen Anthropologie. Zunächst einige

Ergänzungen zum ersteren zur historischen Phänome

nologie. Mit Blick

auf die

Phänomene des Heiligen und

des Profanen sind drei zeitliche Aspekte grundsätzlich

wichtig, der der Unveränderlichkeit oder zeitlichen

Dauer a), der der Veränderung

oder Metamorphose b)

und der der Beendbarkeit oder des Unterganges c).

a) Absolut

unveränderlich

ist das

Heilige nur,

wenn

man

außerhalb der Geschichte liegende Gründe hat es als me

taphysische ewige oder transhistorische Gegebenheit zu

verstehen. Unveränderlichkeit oder Beständigkeit zeigt

sich auf der historischen Ebene insofern als in allem was

die Religionsphänomenologien als heilige Menschen

Ge

meinschaften Handlungen Schriften, Naturerscheinun

gen fabrizierte Objekte, Zeiten Orte, Zahlen und Worte

nachweisen nicht ausschließlich Situationen Absichten

und Bedingungen sich ausdrücken sondern daß in glei

chem Maße und

oft sogar mehr ein alter Typus nachwirkt

oder wiedererscheint; dies ist sogleich und dann sehr

langzeitig möglich sobald er nur einmal gebildet worden

ist.

b) Gleichwohl gibt es auch echte Metamorphosen Sie

bestehen in Transzendierung des Profanen oder in Säku

larisierung

-

dies jetzt nicht

mehr

als

Urentstehung

ver

standen wie oben- des Heiligen.

Das erstere liegt vor in

Initiationen, Sakramenten Taufen, in der Verwendung

von Steinen für ein Heiligtum oder von Tieren für ein Op

fer, in der Segnung einer Sache, einer Handlung eines

Menschen. Das letztere gibt es im Großen in weltge

schichtlichen Prozessen. Im Kleinen liegt es vor, wenn

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eine Heilige

Handlung simuliert wird, wenn ein Mythos

von der Tatsache, der er ist, zu einem Bericht über Tatsa-

chen gemacht oder

wenn

ein

heiliger

Text

zur

Unter-

haltung gelesen wird, oder wenn jemand, ohne direkt zu

sündigen, etwas anderes tut als er Gott gelobt hat. Die end-

gültige Form der Säkularisierung ist der Untergang des

Heiligen bei Bestehenbleiben des Profanen, die größt-

mögliche franszendierung ist die Restitution des Heiligen

mit grundsätzlicher Infragestellung des Profanen.

c) Der Untergang der Religion ist etwas anderes als der

ntergang des Heiligen. Der Untergang einer Religion

vollzieht sich am eindeutigsten, wenn man sie auflnstitu-

tionen beschränkt, da diese einfach

abgeschafll: werden

können.Weniger eindeutig ist

er,

wo eine

Religion

ihre an-

gestammte Funktion verliert, aber auch das läßt sich letzt-

lieh

feststellen. Das Heilige hingegen neigt in der indu-

striellen Gesellschaft dazu, von einem aktiven Element,

das es war, immer mehr zu einer Art nicht ausgedrückter

Potentialität

zu

werden.

Es verfallt

dann im

sozialen Le-

ben, dieses wird ganz profan. Im menschlichen Geist

bleibt jedoch sein Archetypus, der jederzeit bereit ist, das

numinose Gefühl wieder ins Bewußtsein zu bringen,

wenn die Umstände günstig sind SabinoAcquaviva).

Man kann nun die Religionsgeschichte im einzelnen

durchgehen und in jedem historischen Stadium, in jeder

Überlieferung, im Gesamt aller Phänomene zu ermitteln

suchen, wie ein Besonderes aussieht, das mit anderem zu-

sammen beanspruchen kann, heilig genannt zu werden.

Besonderheiten der conditio hum n fallen hier zuerst

ins

Auge.

Ihre

Beschreibung

innerhalb begrenzter

histori-

scher Situationen erschließt auch zentrale Aspekte von

Religionen, bleibt aber nicht auf diese beschränkt, son-

dern greift weit in andere Lebensbereiche aus.

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XI. Sich bewegen in endlichen Gegebenheiten

Ekstase, Sexus, Lebensalter, Charisma

47

Der Mensch zeigt sich zuweilen in Zuständen, die

qualita-

tiv anders erscheinen als die gewöhnlichen. Die letzeren

bilden entweder als Summe seines normalen Verhaltens

oder als sozialer Durchschnitt das Maß für den Vergleich.

Vergleiche,

welche den individuellen Unterschied zwi-

schen einem möglicherweise heiligen und einem gewiß

profanen Zustand sowie soziale Bewertungen eines be-

sonderen Menschentyps als heilig im Unterschied zum

profanen Durchschnitt demonstrieren, können bis auf

weiteres am besten in Kategorien einer historischen

An-

thropologie angestellt werden, da

es

eine

historische

Psy-

chologie, welche noch tiefer dringen sollte, bisher nicht

gibt. Unter den in diesem Sinne besonderen individuellen

Zuständen sind vierVerhaltenspaare besonders wichtig.

Ekstase un Trance Schon ethologisch ist wahrscheinlich

eine Übereinstimmung zwischen Mensch

und

Tier

in

Konzentration auf ein Gegenüber, in Anhalten von Atem

und Stimme, in angespannter Ruhe mit der Fähigkeit, in

schnellste Bewegung zu

wechseln, für

den Moment zu

konstatieren, in welchem der früheste Jäger und seine

Wildbeute einander gegenüber standen. Auf der mensch-

lichen Seite ist Weiterbestehen und Weiterentwicklung

dieses Urverhaltens eine Geschichte von Selbstinterpre-

tationen, die zusätzlich jeweils neue soziale Zusammen-

hänge zur Voraussetzung haben. Dies war zuerst wohl im

Schamanismus der Fall und ist so geblieben, wo er, z. T. bis

heute, weiterbesteht. In das griechische

Interpretament

ekstasis ist die Vorstellung mit eingegangen,

daß

der

Mensch fähig ist, >>außer sich zu stehen<< das heißt seit

dem fünften, vielleicht seit einem noch früheren Jahrhun-

dert vor Christi Geburt:

körperlich aus dem normalen

Stand herauszutreten,

seit

dem

1.Jahrh. vor

Chr.

auch,

daß sein Wesentlichstes, Seele, Selbst oder Schauorgan,

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aus seinem Körper herausgeraten kann. Ekstase kommt

in der gesamten Seelen- und Kulturgeschichte der

Menschheit

vor. Sie

kann den Menschen

befallen,

ohne

daß er Gründe dafür kennt, sie kann aber auch durch Ver

senkung, Autohypnose, Fasten oder durch Drogen, Fixa

tionsobjekte, langdauernde rituelle Wiederholungen von

Worten oder Bewegungen herbeigeführt werden. Ekstase

muß nicht heilig, sie kann auch profan sein, wenn auch

Phänomene wie Berauschtheil und Glossolalie, visionäre

und auditive Disposition, Hyper-, An- und Parästhesien

äußerlich oft übereinstimmen. Profane Ekstasen können

in Kulturen mit armer Technik Initiationen, Passageriten

und Kriegsvorbereitungen begleiten oder Reaktion auf

bestimmte Fehlleistungen oder

soziale

Rückstufungen

sein. In Schriftkulturen liegen profane Ekstasen z B bei

den Korybanten und Mänaden Griechenlands, bei den

Tänzern und Flagellanten im Gefolge des Schwarzen To

des Pest im vierzehnten Jahrhundert , bei Shakers, Quä

kern, gewissen Psychopathen,

auch

bei Sozialaussteigern

vor. Heilig

ist Ekstase nur im Zusammenhang mit einer

historischen Religion, die anders entstanden ist.

Ekstase

ist also nicht, gleichsam als religio pura der Urkeim einer

oder gar jeder Religion. Jedoch kann Ekstase innerhalb

einer Religion als Grundanstoß zur Entfaltung der jeweili

gen Mystik erfahren werden.

Sie geht dann in Trance über, als deren hyperkinetische

Urform man schon die Besessenheit verstanden hat.

Wenn das, wovon jemand besessen oder - in sanfterer

Form- inspiriert ist, als ein Gottverstanden wird, welcher

das ausgelöschte Bewußtsein ersetzt, sagt schon das klas

sische Griechisch enthousiasmos. Dieser ist per defini

tionem heilig. Profane Trancen liege hingegen

bei

Wahr

nehmung von Vorgängen in weiter räumlicher

Ferne,

Vergangenheit oder Zukunft vor. Das eine ist die propheti

sche

Weissagung,

das

andere

die

Clairvoyance

oder

das

Hellsehen.

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Sexualität un Askese Das Geschlechtsleben besonders

die weibliche Geschlechtlichkeit wird als >>heilig emp-

funden.

Positiv

steht

dies

in

zweierlei Gegensatz:

einmal

zur Unfruchtbarkeit in der sich wohl besonders der Hun-

ger auswirkte der immerdanprofan ist wenn er nicht im

bewußten Fasten zur Weltüberwindung ertragen wird;

deshalb konnte die

Heiligkeit der Mutter wohl noch ge-

steigert werden als im Neolithikum der

Ackerbau be-

gann den die »Mutter Erde ermöglichte. Sodann steht

die Geschlechtlichkeit besonders die aktive im Gegen-

satz zur Asexualität die das profane Kennzeichen entwe-

der des von Gefahren Kälte und Arbeit gezeichneten Nor-

malzustandes beider Geschlechter oder des gegenüber

der Frau mit seltenerer

Orgasmusfähigkeit

gesegneten

Mannes ist.

Die Bedeutung dominierender Göttinnen insbesondere

von Muttergöttinnen in archaischen Gesellschaften

hängt nur mit der Heiligkeit ihrer Geschlechtlichkeit

aber

nicht mit ihrem

etwaigen

Charakter entweder

als

verjenseitigter Repräsentantin matristischer oder als po-

larer Adressatin patriarchalischer Gesellschaften zusam-

men. Denn allein von der Rolle einer Großen Göttin aus

lassen sich keine Schlüsse auf eine Sozialordnung ziehen.

Die häufig anzutreffende Doppelheit als hilfreich und

grausam als Lebensspenderin und als gory goddess ge-

hört ganz auf die Seite der Heiligkeit.

Askese ist nicht die Profanierung der Sexualität sondern

die Überschreitung des Normalzustandes zu einer Voll-

kommenheit die in anderer Richtung liegt. Wenn der As-

ket

dessen

Enthaltsamkeit sich ja

auf

alle

Lebensberei-

che einschließlich Essen und Trinken bezieht gerade das

Geschlechtsleben tabuisiert erkennt er in gewisserWeise

ebenso dessen Heiligkeit an

wie er sie für sich selbst in

Anspruch nimmt.

Unschuld

un

Weisheit

Unschuld

kann

als heilig

erschei-

nen im messianischen Kinde so seit der 4· Ekloge Vergils

g

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seit der Weissagung Jesajas oder noch früher. Profan

wäre dagegn die

plappernde entnervende Unmündig-

keit. Aus

der

Unschuld des messianischen

Kindes

läßt sich

aber kaum erschließen wie sündig oder wie überaltert

sich eine Gesellschaft fühlt die

auf es hofft.

Weisheit kann die Heiligkeit des Alters sein so im Hinduis-

mus beim Guru in der Spätantike beim Mystagogen und

im jüdischen Chassidismus beim ~ a d d i q der erst nach

langer Lebenserfahrung durch sein Vorbild

dem Mitmen-

schen zum Gottesumgang verhelfen kann. Als Profanität

des Alters gilt weithin die Untüchtigkeit. o sie die jün-

gere Generation belastet grenzt diese sich sozial dagegen

ab. Im Extremfall werden die Alten in die Einöde ge-

schickt wie hie und da im alten Indien oder

sie

werden

auf dem Lagerplatz zurückgelassen wie bei manchen No-

maden. Der exilierte Greis kommt aus seiner Profanität

nur heraus indem er sein und der andern Heil statt in der

Weisheit im Fluche sucht.

Charismatische

un

magische Begabung

Das

Verhältnis

zwischen beiden ist vielschichtig zumal nachträgliche

Deutung hier oft neue Akzente setzt oder Umwertungen

vornimmt und nach heutiger Interpretation bei den mei-

stenWundern auch Magie im Spiele sehen muß. EinWun-

dertäter kann als Heiliger gelten wie der Origenesschüler

Gregorius oder Theodoros von Sykeon und andere die

den Beinamen Thaumaturgos erhielten; aber nicht jeder

der z.B. durch Kanonisierung in der katholischen Kirche

zum Heiligen erklärt worden ist war ein Wundertäter es

sei denn man betrachtet es als ein Wunder

daß jemand

das Gebot der Liebe zu

Gott

zum Nächsten und zum

Feinde absolut erfüllt hat. Profanität ist hier leichter zu de-

finieren: Sie kommt demjenigen zu der zu gewissen Be-

zwingungen von Krankheiten Naturgewalten oder Haß-

gefühlen einfach nicht in der Lage

ist. Ein Wundertäter

kann aber auch

nicht

als Heiliger gelten

bzw.

es

nach

reli-

gionswissenschaftlicher Interpretation nicht gewesen

70

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sein wie Jean Baptiste Marie Vianney oder Don Bosco und

war deshalb doch kein Scharlatan wie Cagliostro oder Ra-

sputin,

die

ihrerseits wohl keine reine

profane,

aber auch

keine ganz dämonische Gestalten waren. Auch hören wir

von »falschen Propheten<< wie im Alten Israel oder bei Lu-

kiansAlexander, aberwirwissen nicht, ob hier nicht ledig-

lich Heilige über Heilige den Sieg behalten haben. In der

Spätantike konnten am Rande von Städten und Dörfern, in

denen bürgerliche Administration oder bäuerliches Patro-

nat durch soziale oder religiöse Umwälzung entmachtet

waren, gewisse Personen, die sonst profan geblieben wä-

ren, im Guten wie im Bösen zu »heiligen Männern« avan-

cieren, indem sie die entinstitutionalisierten Funktionen

selbst

übernahmen

Peter

Brown .

7

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D. INWEITEREN SCHWIERIGKEITEN

Um die Erfüllung der Forderung nach einer historischen,

psychologisch und linguistisch fermentierten Phänome

nologie gründlich genug anzugehen, wäre es eigentlich

nötig, noch viel mehr aus der französischen und alles aus

der

italienischen Diskussion durchzunehmen.

Die

deutsch-niederländische, die skandinavische und die

englisch-amerikanische hängen noch immer relativ eng

zusammen, eine russisch-polnische gibt es nicht, eine

spanische ist erst im Kommen.) Dafür ist dies nicht der

Ort. Statt

dessen

soll

an

je

einem

Beispiel

gezeigt

werden,

wie es aussieht, wenn man, da eine Entwicklung der rich

tigen Phänomenologie noch nicht möglich ist, ihre Inten

tionen regelrecht konvertiert. Die eine Konversion,

statt

die Phänomenologie für Seinsaussagen offenzuhalten, er

folgt zur Ontologie Teil XII), die andere, statt die Einbe

ziehung historisch-gesellschaftlicher Gegebenheiten zu

ermöglichen, in Soziologie im hier gewählten Falle wird

diese Konversion als indirekter Anspruch eines neu vor

ausgesetzten Heiligen interpretiert: Teil XIII). Es wird

sich zeigen, daß man dabei zwangsläufig in neue Schwie

rigkeiten gerät,

die

nicht

ohne weiteres zu beheben

sind.

Die Verbreitung der Phänomenenbasis macht diesen Tat

bestand erst richtig manifest, weil sie in einer Unbefan

genheit geschieht, die das als naiv-»monodisziplinär<< ver

einerleit, was »transdisziplinär« hätte bleiben sollen Teil

XIV). Schließlich

hat

die Schwierigkeit, die

in

Vergeßlich

keit besteht, sogar eine moralische Dimension Teil XV .

72

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XII. Der ontologischeAusweg

als Suche nach Hintergründen Mircea

Eliade

Mircea Eliade

48

  der bedeutendste Vertreter nicht nur der

letzten vierzig Jahre, sondern der ganzen Epoche derwis-

senschaftlichen Beschäftigung mit dem Heiligen über-

haupt, zeigt in der Aporie zwischen ontischem Sein und

bloßem Bezeichnetsein eine Dialektik des Heiligen auf.

Durch die bloße Tatsache,

daß das Heilige

sich

zeigt, ver-

birgt es sich auch; wenn etwas Heiliges sich manifestiert,

dann wird zur selben Zeit auch etwas verborgen. Das setzt

natürlich voraus, daß das Heilige transhistorisch da ist. Es

bewegt sich auf der einen Seite zur besonderen, histori-

schen, bedingten

Manifestation,

der

Hierophanie.

Darin

ist es nicht mehr vollkommen und unterliegt den Prozes-

sen radikalen Bedingtseins.

Es kann sogar fragmentiert

und partikularisiert werden und sich verwirrend in im-

mer neuen Objekten vergegenständlichen. Das kann bis

zum Zusammenbruch der Struktur des Heiligen führen.

Dies ändert aber nichts am Bestandhaben der religiösen

Gestalt als solcher, welche zum Archetypus zurückfinden

kann; das Heilige bleibt transzendent wirklich, und es

braucht nicht unbedingt als historisch übermächtig erlebt

zu werden.

Richtet man seinen Blick nun auf die Hierophanie als sol

che, so ergibt

sich,

daß

sie ambivalent ist: Das Heilige ist

da, aber nicht in einer Faktizität, aus welcher die auch pro-

fane Gegebenheit, an der es sich zeigt, absolut ausge-

schlossen bliebe. Zur Dialektik des Heiligen kommt also

eine

Ambivalenz

in der

Phänomenologie des

Sich-Zei

genshinzu.

Diese

Auffassung enthält in vertiefterWeise das Problem,

ob man das Heilige ontologisch und transhistorisch auf-

fassen darf, und in welchemVerhältnis das heilige Sein zu

dem

steht,

was

man

dann seine historischen

Manifestatio

nen nennen muß.Wir lassen das Problem hier unerörtert.

7

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Als großes Desiderat bleibt stehen, genauer zu bestim

men, was innerhalb dieses

Systems Gegensätze und was

Unterschiede

sind;

sodann,

ob

der

dialektische Gegensatz

wenn es nicht nur ein Unterschied ist zwischen heilig

und profan auf einen realen Gegensatz hinweist;

welcher

kontradiktorische Gegensatz, wie er zwischen rein und

unrein besteht, innerhalb des Heiligen wie des Profanen

sonst noch konstatiert werden kann;

ob die Ambivalenz in

der Phänomenologie des Sieh-Zeigens auch bloß

konträre

Gegensätze wie zwischen unrein und

profan, unrein und

heilig, rein und profan, rein und heilig umfaßt; und ob das

Verhältnis zwischen beseligend und schauervoll, anzie

hend und abschreckend, eigentlich ursprünglich nur ein

wesentlicher Unterschied

war,

der

sich

zu einem

Gegen

satz gleich welcher Art

entwickelt

hat. Die Forderung

aber, zwischen Fremd- und Selbstdefinition, zwischen der

eigenen Interpretation eines religiösen Phänomens und

seiner Benennung durch die Teilhaber an demselben hi

storischen

Kontext,

in welchem

es

steht,

zu unterscheiden

und gegebenen Falles das Eine sich durch dasAndere kor

rigieren zu lassen, ist bei Eliade erfüllt. Es ist gleichwohl

zu argwöhnen, daß

die ungeheure Wirkung, die seinWerk

ausübt, nicht auf das Vorhandensein theoretischer Errun

genschaften zurückgeht, sondern eher auf deren

Mangel.

Denn das Ganze wird vorgetragen, die Phänomene aus al

lerWelt werden immer wieder hinreißend ausgebreitet, als

sei der ontologische Gottesbeweis nie kritisiert worden. Es

wäre nicht das erste Mal, daß eine Majorität sich eine kau

tianisehe Anstrengung erspart. Es scheint dieser Majorität

nun

nichts

mehr

dagegen zu sprechen,

aus den

Phänome

nen und ihrer Geschichte,

besonders aus ihrerArchaik, we

nigstens einen ontologischen Heiligkeitsbeweis anzutre

ten. Eliades Werk gehört dennoch, wegen des n ü e r t r o f f e ~

nen Reichtums an sachlicher Belehrung, den es vermittelt,

mehr auf

die Seite

der

»wissenschaftlichen Beschäftigung

mit dem Heiligen<< als auf die des »Heiligen heute«.

7

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XIII. Der soziologische Ausweg zur Vermeidung

von Aporien Jürgen Habermas)

>>Das Heilige heute« steht dennoch, und zwar als neuer Er

fahrungsinhalt, zur

Diskussion, denn merkwürdige

Dinge tragen

sich

zu. Große Teile der Gesellschaft haben

sich einer »antimaterialistischen« Strömung verschrie

ben, und die Interpretation der Entdeckung östlicher wie

westlicher Spiritualität, oder auch der Hervorhebung ei

ner ethischen Instanz für das Prinzip Verantwortung als

Wiederkehr des Heiligen, liegt ihnen nahe.Wo man einer

Säkularisationstheorie folgt oder gefolgt s t würde man

das Nebeneinander von Heilig und Profan seit Urzeiten

voraussetzen, bedürfte

man ihrer gar nicht

-,

fragt

man

nach der Umsetzung des ehemaligen Heiligen in der heu

tigen Alltags- und Lebenswert. Als heteron aus welchem

Heiliges entstehen könne, werden statt so sanfter Dinge

wie Tabuierung, Seelenglauben,

Vision,

Eingebung,

Er

schauern, Bewundern, Lieben, Verehren erstmals auch

der Ernstfall siehe

Teil VIII) und die Gewalt siehe

Teil X

in Anspruch genommen. Islamische revolutionäre Grup

pen proklamieren ausdrücklich als »Heiligen Krieg«, was

bisher Gihad geheißen hatte und nur von europäischen

Gelehrten so übersetzt worden war. Ein ganzer Kongreß

über

»das Heilige« findet statt,

auf dem Personen von ihrer

erfolgreichen Spurensuche berichten,

die bisher derglei

chen in der Moderne nie vermutet hatten.

49

>>Der Hang

zum Gesamtkunstwerk« wird in einer bedeutenden Aus

stellung dokumentiert, und der Träger von Ganzheits

vorstellungen, das künstlerische

oder

wissenschaftliche

Genie,

der politische Führer, soll sich als das erweisen

können, was früher einmal ein Heiliger

war. Oder ist gar

das Gesamte das Heilige, und ist das Heilige dann auch

das Totale und Totalitäre?

Verschiedene Wissenschaften haben sich e t h ~ d o l o g i s h

in die Lage versetzt, hinter die Literaturen, Kunstwerke,

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Gesellschaftsformen zu dringen und dort etwas zu ent

decken, was vielleicht früher einmal in religiöse Bezüge

eingebunden

war.

Ein

Sozialphilosoph

50,

der fürwahr we

gen anderer Ansichten zum meistzitierten A11;tor unseres

Jahrhunderts außerhalb der Literatur geworden ist so je

denfalls will es jemand überschlägig ausgezählt und

hochgerechnet haben), nennt diese Entdeckung unge

niert »das Heilige« und schreibt mehr als hundert Seiten

darüber:

Jürgen Habermas geht es um Grundbegriffe, wie sie bei

George Herbert Mead 1865-1951) und Einile Durkheim

1858-1917; sieheTeil IV entwickeltwerden, undzwar um

solche, in denen sich MaxWebers Theorie der Rationali

sierung aufnehmen und aus der

Aporetik

der

Bewußtseins

philosophie befreien läßt. Mead tut es mit einer kommuni

kationstheoretischen Grundlegung der Soziologie, Durk

heim Init einer Theorie der gesellschaftlichen Solidarität,

die Sozial- und Systemintegration aufeinander bezieht.

Beide

gehen damit von

der

Zwecktätigkeit

zum kommu

nikativen Handeln über; Habermas stuft diesen Übergang

als Paradigmenwechsel im Sinne Thomas Kuhns) ein.

Die gesellschaftliche Solidarität manifestiert sich in Grup

penidentitäten. In der Sprache Durkheims prägt sich in ih

nen das kollektive, und das ist vor allem: das religiöse Be

wußtsein aus, und Habermas übernimmt diese Sprache.

Auch für ihn erschöpft sich die Religion darin, eine beste

hende rituelle Praxis- denn sie ist es, die gerade nicht als

außeralltägliche Haltung im Patriotismus seiner Zeitge

nossen wie im stammesgeschichtlich tief verwurzelten

Kollektivbewußtsein die

Gruppenidentität konstituiert

-

auszulegen, und er hält es weiterhin für gerechtfertigt,

daß dies in Begriffen des Heiligen geschieht.

Man muß anerkennen, daß hier auf das Weiterbestehen

einer Verwandtschaft von Religion und Moral Wert gelegt

wird. Ob

man aber aus den strukturellen

Analogien

des

»Heiligen«- bleiben wir einmal bei dieser Bezeichnung-

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und des Moralischen immer noch auf die sakrale Grund-

lage der Moral überhaupt schließen darf, wie es Durk-

heim

tat,

ist

eine andere

Frage.

Glänzend ist

es,

wie

Haber-

mas das Hinabreichen

kognitiver, moralischer und

ex-

pressiver Beziehungen zur äußeren Natur,

zur kollektiven

Identität und zur inneren Natur ins Vorsprachliche auf-

zeigt, und wie er zeigt, daß sich daraus

Sprache entwik-

kelt. Aber warum ist das, wenn auch mit rationaler Struk-

tur, die »Versprachlichung des Sakralen«? Warum ist es

nicht einfach die

Umsetzung symbolischer Interaktion in

Sprache? Es ist wohl kein Zufall, daß die Semantik und die

Syntaktik des Heiligen in diesem Zusammenhang über-

haupt nicht angegangen wird.

Habermas

ist sich

durchaus darüber

klar,

daß

eine zirku-

läre Erklärung vorliegt,

wenn das Moralische auf das

»Heilige«

und dieses auf

kollektive Vorstellungen von ei-

ner Entität zurückgeführt

wird, die

ihrerseits aus einem

System verpflichtender Normen bestehen soll. Wenn er

trotzdem vom

»Heiligen« spricht,

als sei es dessen auto-

gene Grundlage, dann hat er nur noch halb an der wissen-

schaftlichen Beschäftigung mit dem »Heiligen« teil. Halb

aber tritt er denen, welche direkt neue Ansprüche im Na-

men des Heiligen stellen, zur Seite, indem er dasselbe

durch Wissenschaft tut. Das ist eher >>das Heilige heute«.

Diese Sätze sind nicht ironisch gemeint.)

XIv Verbreiterung der Phänomenenbasis in empirischer

Unbefangenheit Evidenzen und Vorbehalte

Will

Eliade

einen ontologischen, so will Habermas einen

soziologischen Ausweg aus der Schwierigkeit, die Phäno-

menologie in der Balance zwischen Aussagen über das

Spekulieren oder das Sein und solchen über das kommu-

nikative Handeln oder die Gesellschaft zu halten.

Beide

Versuche, und sie stehen ja für

viele, kann man, ganz wie

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man

will eine Flucht nach vorn oder eine Flucht nach

rückwärts

nennen. Hier soll nun die Verbreiterung der

Phänomenenbasis

helfen

fester

auf ihr

zu

bleiben.

Es

hieße wohl den Kritizmus zu weit zu treiben wollte man

die Phänomene als solche leugnen; denn wenn man einer

Wissenschaft auch ihre Voraussetzungen noch nimmt

dann muß man sie ganz aufgeben. Diese Konzession ist

aber nur zu rechtfertigen wenn man sich bei der Verbrei

terung folgendermaßen beschränkt:

Auf das »Phänomen des Heiligen stößt man überhaupt

nur wenn man sich irgendwie phänomenologisch ein

stellt. Stellt man sich wissenschaftlich anders ein etwa

funktionalistisch

sozialanthropologisch oder logisch

analytisch

dann kommt

etwas ganz anderes heraus.

Die

dergestalt angelegten Wissenschaften sofern sie

sich

auch mit Religion befassen beweisen es indem sie zum

Heiligen nichts zu sagen haben selbst wenn sie konven

tionellerWeise mit »heiligen« Einzelheiten operieren.

Wenn

man

sich phänomenologisch

einstellt

dann

er

scheint das Heilige als eine extrem zusammengesetzte

Kategorie. Unter gar keinen Umständen darfman mißver

stehen es handele sich hier um ein umgrenztes ontisch

stabiles Scheidemittel das man handhaben kann um wie

mit einer Wünschelrute seinesgleichen irgendwo aufzu

spüren. RudolfOtto hatte soweit ist er Neukantianer bis in

seine affirmativen Aussagen geblieben den kategorialen

und als solchen synthetischen Charakter des Heiligkeits

begriffes bereits richtig erkannt und hervorgehoben. Bei

ihm waren es die beiden-von ihm wechselnd zueinander

in

Beziehung

gesetzten-

Paare des Numinosen

und

Irra

tionalen des Sittlichen

und des Rationalen welche die

Synthesis ergeben sollten. Wir müssen heute phänome

nologisch weiter greifend teilweise mehr teilweise ande

res hineinnehmen.

Auf die

Phänomene werden wir geführt durch

die

Diffe

renz zwischen Selbst-

und Fremddefinition und den se-

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mantischenAbstand beider von ihren Gegenständen. Die

Selbstdefinition haben wir in denWörtern der fremden al

ten

Sprachen

oder in

dort

sinnentsprechenden

Zusam

menhängen; der Fremddefintion befleißigen wir uns in

diesem Essay. Selbstdefinitionen, Wörter, Semasiologie,

Philosophie waren nur am Rande Gegenstand unserer

Überlegungen. So sei hier das Wichtigste nachgetragen.

»Heilig« = Fremddefinition; Selbstdefinition nur nach

dem deutschen

Wort) stellt sich

im germanischen

Bereich

sowohl als etwas Heiles, Ganzes als auch als etwas Darge

brachtes Geweihtes, von den Göttern den Menschen

oder umgekehrt) dar. Etymologisierend findet man bis

heute besonders gern m Ganzheitlichen den verbindli

chen

»heilenden« Sinn.)

Im

indo-iranischen

und

teilweise

im griechischen Bereich nennen wir das Anschwellende,

Kräftige, Fruchtbare so. Die Melanesier haben uns das

Wort für das Mächtige dazugegeben noch G van der

Leeuw baut seine »Phänomenologie der Religion« in be-

stürzender

Ausschließlichkeit ganz

auf der

»Macht« auf),

die Polynesier das Wort für das Verbotene. Im alten Israel

und im alten Rom finden wir das Heilige im Abgetrennten

wieder, an verschieden Stellen derWelt im Unreinen oder

m Reinen. Das sind nur die wichtigsten Konnotationen

für uns geworden.

Stellen

wir uns nun

vor:

In einem

urzeitliehen Paradies

garten vorausgesetzt sie wären alle in denselben gekom

men und beherrschten gleich gut die Sprache der Engel-

unterhalten sich ein Germane, ein Arier oder ein Grieche,

ein Melanesier, ein Polynesier, ein Jude oder ein Römer

die

beiden könnten

sich gegenseitig vertreten)

mit

Be

nutzung der genannten Wörter über ihre aus dem Leben

und aus der Welt des Alltags herausführenden Orientie

rungen. Hinzu kommen einige nordamerikanische Wald

landindianerund erklären wir können ihnen hier, wie in

Teil

V wieder nur

unterstellen,

was

die

moderne

Ethnolo

gie über ihre vermeintlichen mana-Begriffe sagt ihrm

79

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nitu schlicht als das, was dem gesamten außermenschli

chen Bereich eigen ist, und ihr wakonda und orenda als

Geister, die

in

Objekte hineinschlüpfen

und

sie

dadurch

seltsam, ungewöhnlich, bemerkenswert machen. Viel

leicht sitzen noch Pseudo-Longinos und seine vielen Rezi

pienten aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhun-

dert im Kreise

drumherum und werfen über

»die Höhe«

hypsos) oder »das Erhabene« hin und wieder etwas ein.

Hätte man sich verstanden? Es mußte doch wohl erst der

neunmalkluge Wissenschaftler von heute kommen, um

sie alle unter einen Hut zu bringen. Es wird heute tatsäch

lich ohne die Synthese, die er zustande bringt, nicht mehr

gehen. Man kann sogar noch mehr in sie aufnehmen,

nämlich

zeitgemäße Normen, Werte, Postulate, Maximen,

in die sich heute ebendasselbe Sittliche entfalten muß,

mit dem zusammen erst das Numinose zum Heiligen

wird. Aber damit tut man mehr, als frühere Generationen

tun konnten, und muß sich dennoch fragen, ob man ge

nugtut.

So zusammengesetzt und synthetisch man das Heilige

auch konzipiert, man kann es sinnvoll nur tun, wenn man

es außerdem noch von irgend etwas unterscheidet. Das

gilt sogar dann, wenn in grauerVorzeit »alles Religion« ge

wesen sein sollte. Auch da muß es sich von etwas unter

schieden haben; denn daß »heilig« oder das, wofür es

steht, und »religiös« dasselbe seien, sagt damals wie heute

ja niemand. Erst recht unterscheidet es sich von etwas,

wenn nicht mehr) »alles Religion« ist. Ob das, wovon es

sich unterscheidet, eines seiner Teile ist etwa das Sittli

che

etc.,

oder

das Mächtige etc.)

oder

etwas

anderes

etwa das Profane et {., oder das Magische etc.), interes

siert in diesem Zusammenhang nicht. Nur eins ist wich

tig: Mit »das ganz Andere« kommt man nicht mehr durch.

Das hatte seinen Sinn in der Sprache der Empfindsamkeit.

In

der

Sprache

der

Wissenschaft,

wenn man

damit sagen

will, das Heilige sei gerade nicht das Übermächtige,

So

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Schauerliche, Faszinierende, Profane, franszendente

oder was immer, sondern eben »das ganz Andere«, ist es

ein frick.

Es

wäre

grundsätzlich die Lexikographie der wichtigen

Wissenschaftssprachen nebeneinander zu hinterfragen,

und zwar auf die Voraussetzungen hin, unter denen sie

mannigfache Wörter in rund drei Dutzend Religionsspra

chen übersetzen. Hier bestehen ja sogar, wie schon gesagt

(Teil

V), zwischen denWorterbüchern der modernen

Wis

senschaftssprachen Äquivalenzprobleme. Und in der All

tagssprache: Wo die Deutschen und die Israelis (Germa

nismus im Iwrit?) sagen: »Der Zweck heiligt die Mittel«,

da sagen die Engländer, die Franzosen, die Italiener und

die Spanier: »Der

Zweck

rechtfertigt die Mittel«.

Auch der philosophische Sprachgebrauch hat eine Klä

rung nötig. Das

numinose

Gefühl sollte bei Otto keine sub-

jektive Befindlichkeit sein, sondern eine eigene Erkennt-

nisart; denn der Gefühlsbegriff implizierte schon die Be

ziehung

auf

ein reales

Objekt. Falls

damit eine

Stiftung

na-

türlicher

Theologie - als Evidentmachung des Offenbar

ten mit Hilfe des emotional empfundenen Heiligen - be-

absichtigt war, so haben die dialektische Theologie und

die neuartige Brutalität heutiger Erfahrungen, die den

Menschen absolut in sich selber festbannen, dariiber hin-

ausgeführt. Die

Erkenntnistheorie aber könnte das

Ideo

gramm des Heiligen noch »aprioristischer« fassen, wenn

sie es noch klarer zur Kategorieapriori formalisiert.

5

 

Die Phänomene, die bisher statisch als heilig bestimmt

wurden, müssen z.T aus ihren sozialen und historischen

Kontexten

heraus

neu

interpretiert werden;

also

der

hei-

lige Gegenstand, das Naturobjekt, der Ort, die Zeit, die

Zahl, die Handlung, das Wort, die Schrift, der Mensch, die

Gemeinschaft. Zum Teil ist dieses in Untersuchungen

über die Griechen oder über das Neue Testament

50

, viel

leicht auch anderswo schon geschehen.

8t

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XV Unvollständigkeit der begrifflichen Erfassung des

Heiligen aus ethischem Defizit

Einheit

der Forderungen

nach

Synthese

und

Moral)

Auf eine merkwürdige Weise hängen >>das Heilige als

höchste Form des Sittlichen« und >>das Heilige in der

Kunst<< zusammen. Beide Themen haben Tradition.5

3

Man

schlägt willkommene Brücken über bestimmte Hand-

lungsweisen und über ihre Begründung, über etwa darge-

stellte Gegenstände und über das Stilistische hinaus,

wenn das, wohin sie führen, als das Heilige gelten darf.

Gilt das wirklich so? In einer Zeit, in welcher die Legiti

mität des Rationalen, Materiellen oder Immanenten neu

in

Frage steht, besinnt

man

sich

gern auf

das Irrationale,

Spirituelle oderTranszendente und freut sich, es dort wie-

derzufinden, wo keine klerikale Institution sich anmaßen

kann, es zu verwalten. So weit, so gut. Aber erfordert die

neu entdeckte Wirklichkeit, wenn sie denn schon nachge-

wiesen werden

kann, zwingend,

durch

das

Heilige si

gniert zu sein? Warum nicht durch das Hypermoralische,

das Magische, das Mythische alles gibt es sowohl heilig

als auch profan) oder das Religiöse dies ist nicht immer

heilig und kann in der ethischen Entscheidung der Ge

wohnheit, der Rationalität, Materialität oder Immanenz

jedenfalls drinstecken)?

Weiter: Wo immer man das eine und das andere konsta-

tiert,

man darf es nicht pauschal tun, sondern muß dasVer

hältnis zwischen beiden quantifizieren. Es wird manchen

wundern, daß der wegen seiner Hochschätzung des Irra-

tionalen vielgeschmähte Rudolf

Otto

es

war,

welcher

ein-

mal die Forderung nach >>Religionsmessung<< erhob.54 Otto

meinte damit zwar die vergleichende Abwägung des

»Feingehalts« mystischen, ethischen und anderen »Son

dergeistes« in den verschiedenen Religionen selbst, aber

prinzipiellläßt

sich das

auf

die Abwägung des

Religiösen,

Heiligen oder wessen auch immer) im Säkularen, Profa-

82

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nen oder wo auch immer) übertragen. Wen das zu

schwierig dünkt, der sei daraufhingewiesen, daß so etwas

schon vor anderthalb

Jahrtausenden

von einfachen Leu

ten verlangt wurde. Im Codex Theodosianus 16.w,8)

heißt es in einem Edikt vom 30.Nov. 382: >Wir bestimmen

kraft Autorität des Staatsrates, daß der Tempel ständig of-

fen ist, welcher dem Volke einstmals nur) für häufige

oder: zahlreiche) Versammlung en) bestimmt war und

nunmehr auch

allgemein zugänglich) ist, und) in wel

chem Standbilder aufgestellt gewesen sein sollen, welche

jetzt) nach dem Wert ihrer Kunst statt nach ihrer göttli-

chen Natur gemessen werden müssen.« Wer sich also mit

dem Handeln oder mit der Kunst beschäftigt, der sehe zu,

daß

er

es

so

weit irgend

möglich

rtis pretio

qu m

divini-

t te metiend tue, und beherzige, daß der alte Gesetzge

ber es nicht zulassen wollte, daß »erschlichene Orakel die

ser Sache hinderlich seien<< 55

Der oben als paradox aufgewiesenen Möglichkeit, vom

Heiligen

auch in der

nicht-religiösen Sphäre

zu

sprechen,

muß weiter nachgegangen werden. In der Sprache der

Empfindsamkeit siehe Teil VII) liegt vielleicht gar keine

Säkularisation des pietistischen Gefühlslebens vor; denn

etwas Ähnliches gibt es schon bei Homer. Wenn man von

»heiligem Raum<< und »heiliger Zeit« spricht und sich dazu

irgendwie besonders verhält, soll das heißen, daß ein

in

sich geordneter, vollkommener Raum und eine erfüllte, in

sich geordnete Zeit als solche bereits ins Heilige überge

hen? Durkheim hätte geantwortet: »Die Natur ist doch im

mer und überall sich selber gleich. Ganz gleich, ob sie

sich in

die Unendlichkeit ausdehnt: jenseits

der

Grenzen,

bis wohin mein Blick dringt, unterscheidet sie sich nicht

von der Natur, die innerhalb dieser Grenzen liegt. Der

Raum, den ich mir jenseits des Horizonts vorstelle, ist dem

Raum gleich, den ich sehe. Die Zeit, die endlos fließt, be

steht aus

den

gleichen

Augenblicken, die

ich

gelebt habe.

Der Raum und die Dauer wiederholen sich unendlich.

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Wenn die Teile die

mir zugänglich sind nicht selbst

dieses Merkmal des Heiligen haben wie sollen es die an

deren haben?

Die

Tatsache daß

ich

sie

nicht direkt sehe

genügt nicht um sie zu verwandeln.Wenn eineWelt profa-

ner Dinge auch unendlich ist bleibt sie doch profan<< 5

6

Die Fragen nach der >>Heiligkeit des Totalen<< im Gesamt

kunstwerk und im totalen Krieg stellen sich

analog.57

Das neue Interesse am Heiligen kommt aus der natürli

chenTheologie aus Krisenbewußtsein und aus manchem

anderen. Es ist heute so aktuell geworden wie es in der

Wissenschaft kein 1g68er im Alltag kein Kriegsversehrter

kein Strahlengeschädigter kein Arbeitsloser kein Hun

gernder kein Flüchtling kein Verzweifelter für möglich

gehalten hätte. Das

neue

Interesse

kann und darf

deshalb

keine nostalgische Rückkehr zu großen Geistesahnen

aber auch kein Wiedereintauchen in mythische Ur-

sprünge sein. Die Restauration die dadurch in der theolo

gischen in der religionserforschenden und in jeder neu

hinzukommenden

Wissenschaft

in unserer

sozialen wie

in unserer politischen Existenz zustande käme können

wir uns nicht leisten.

Die neue Beschäftigung mit >>dem Heiligen<< kann aber

auch ein Mittel zum Weiterdenken Weiterfühlen Weiter-

glauben und Weiterhandeln sein. Das ist

freilich nur

innerhalb derselben Synthese möglich die durch Hinein

nahme der außer-abendländischenAusdrücke die Grund

lage für einen modernen und bis auf weiteres gültigen

Begriff des Heiligen schafft. Es bedeutet keinen inhaltlichen

Eurozentrismus es ist

vielmehr methodisch-wissen

schaftlich

gar nichts anderes

möglich als dies

aus abend

ländischer Tradition zu tun gleichermaßen befähigt

durch das Heilige besser: den Heiligen der Bibel und

durch die

aristotelische

Möglichkeit mehreren Gegen

ständen denselben Begriff zukommen zu lassen. Die

Theorie des Ganzen wird sich dabei dennoch von Grund

auf ändern vielleicht in einem Maße daß sie einen neuen

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Zauber der Welt reflektiert der dem vergleichbar ist des

sen sie lange verlustig ging. Die Erweiterung der Syn-

these durch

Aufnahme

neuer

Werte-

und Worte -

gehört

dazu, und zwar wiederum gerade solcher die nicht

abendländische Völker stets besser gekannt haben als wir

die wir froh sein müssen, wenigstens die handlungs

theoretischen Traditionen bewahrt zu haben, die uns zu

gewinnen ermöglichen, was heute not tut: ein neues mo

ralisches Verhältnis zur Schöpfung oder zur Natur. Aber in

dem wir es gewinnen, müssen wir wissen, daß wir damit

etwas tun, was spätzeitlich bedingt, nicht was absolut oder

zeitlos richtig ist.

Es läuft heute vieles zusammen, was früher getrennt war.

Erkennt man

das

dann kann man auch den

Menschen an

erkennen, der von uns getrennt bleiben will weil er das

Heilige« so wie es uns überliefert und weiter zu ent

wickeln oder zu erfahren möglich ist selbst nicht kennt,

sondern andere Werte und Worte hat. Vielleicht ist dies in

einer

Spätzeit wie

der

in welcher wir

leben, sogar

die

ein

zige Chance, sie nicht zu einer Endzeit werden zu lassen.

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ANMERKUNGEN

Anmerkungen wurden bewußt sparsam gehalten und beschrän

ken sich auf Spezialuntersuchungen und Grundtexte zu den dis

kutierten Theorien. Für angrenzende Fragen findet man die ein

schlägigen Texte und weitere bibliographische Nachweise bei

C. Colpe Hrsg.), Die Diskussion um das »Heilige« WF305), Darm

stadt 1977, und bei J.Waardenburg, ClassicalApproaches to the

studyoj eligion RR3 und 4), 2 Bde., den Haag 197?/74· -Abkür

zungen:AF = Archivio di Filosofia;ARW=Archiv ür Religionswis

senschaft; BThZ =

Berliner

Theologische Zeitschrift; EKL =

Evangelisches Kirchenlexikon, hrsg. von E. Fahlbusch; ER = The

Encyclopedia ofReligion, hrsg. von M.Eliade; HrwG =Handbuch

religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, hrsg. von H. Cancik

und B. Gladigow; HWbPh = Historisches Wörterbuch der Philoso

phie, hrsg. von J.Ritter und K.Gründer, bisher 7 Bde., Basel/

Stuttgart 1971-1989; ND= Nachdruck; NHL = Neues Handbuch

der Literaturwissenschaft; NZsThRph = Neue Zeitschrift für sy

stematische

Theologie

und

Religionsphilosophie;

RR

= Religion

and Reason; ThBT = Theologische Bibliothek Töpelmann; ThR =

Theologische Rundschau; ThWbAT =TheologischesWörterbuch

zum Alten Testament, hrsg. von H.-J. Fabry und H. Ringren; TF =

Texte zur Forschung; UTB =Uni-Taschenbücher; WF =Wege der

Forschung.

1 Die Diskussion dokumentiert W.Lütterfelds Hrsg.), Trans-

zendentale oder evolutionäre Erkenntnistheorie? Darmstadt

1987·

2

Das

zeigt auch,

eher

gegen seine

Absicht,

A.R

Lurija, Die histo-

rische Bedingtheit individueller Erkenntnisprozesse russisch:

Moskau 1974), Berlin-Weinheim 1986: Aufzwei Forschungsex

peditionen nach Mittelasien 193IUnd 1932 wird durch Befra

gen ungeschulter, z. T. analphabetischer Usbekenmit Syllogis

men Kategorien, Klassifikationen usw. »experimentiert«. Die

Befragten, die in unentwickelte ökonomische, kulturelle und

gesellschaftliche Lebensformen eingebunden sind, versagen

während diejenigen, die an Vergesellschaftung derWirtschaft,

Einführung

der

Schrift usw.

teilnehmen den Übergang vom

»Situationsgebundenen« zum »begriffiichen« Denken schaf

fen. Sie beweisen damit zwar, ,.daß in primitiven Lebensfor

men ein besonderes Denksystem mit eigenständiger Struktur

vorliegt«, und daß der »Wandel der ökonomischen Bedingun

gen« auch eine ,.komplexere Denkform« mit sich bringen

kann. Sie beweisen vielleicht auch daß das in dieser Denk

form sich abspielende »Behalten, Vergleichen, Verallgemei

nern Abstrahieren« und die »Herstellung von Zusammenhän

gen zwischen

Symbolen« »psychische Tätikeiten« sind,

der

eine »gesellschaftlich-historische Entstehung der Psyche« zu-

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grunde liegt. Aber die Gültigkeit oder Richtigkeit dieser Tätig

keiten- derselben, auf der ja auch das experimentalpsycholo

gische Programm der Befrager beruht- haben die Befragten

in sich nicht heranwachsen lassen oder produziert.

3

Goethes Werke

Ausgabe Insel-Verlag,

Frankfurt/M.

1965, Bd.4,

hsg. v. H.-J. Weitz, S.47. Oder S. 37: »Sie ist mir heilig. Alle Be

gier schweigt

in ihrer Gegenwart. Ich weiß nie, wie mir ist,

wenn ich bei ihr bin; es ist, als wenn die Seele sich mir in allen

Nerven umkehrte.« S.53: »Könntest du unsere Eintracht se

hen, liebe Heilige du würdest mit dem heißesten Danke den

Gott verherrlichen, den du mit den letzten, bittersten Tränen

um die Wohlfahrt deiner Kinder batest.«

4

Am

überzeugendsten

folgt dies

aus

einer zu wenig gewürdig

ten Abhandlung von lvar Paulson, Vom Wesen und aus der Ge

schichte der Religion Papers of the Estonian Theological So

ciety in Exile 2), Stockholm 1963. Mit der Übernahme dieser

historischen Sicht bleibe ich zugleich bei der Gassirersehen

Fassung des Symbolbegriffes in der Weiterführung durch Su

sanne Langer, Philosophy in a New Key Cambridge/Mass.

1942, deutsch Philosophie ufneuemWege Frankfurt/M. 1965,

weil hier ein formaler Apriorismus gewahrt wird, der über

tragbar ist

und

vorzeitige

inhaltliche Festlegungen verwehrt.

Die Erfahrung, für deren Möglichkeit damit die Bedingung ge

nannt wird, kann dann im Handeln wie im Denken darin be

stehen, daß sie einen zwar rationalen, aber vorbegriffiichen

Inhalt hat. Der Weg von da zum Begriff wäre in diesem Falle

der zur Prägung eines Wortfeldes führende, das heute siehe

Teil XV vom Begriffdes »Heiligen<< umfaßt werden kann (des

halb steht es in diesem Essay meist in»<< . Diesen frühen Pro

zeß sollte man eher >>symbolisierende« als »symbolische

Transformation<< (so

Langer S.34-6o

u.ö.)

nennen; und was

transformiert wird, sind nicht bereits »Erfahrungsdaten<<, son

dern z. B. »Sinnesempfindungen als Anzeichen der Dinge<<, so

inkonsequenterweise beides S. 51. Da Zeichen nur bezeich

nen, Symbole aber repräsentieren - vgl. H.-G. Kippenberg,

»Religionssoziologie ohne Säkularisierungsthese: E.Durk

heim und M. Weber aus der Sicht der Symboltheorie<<,

NZsThRph 27, 1985, S.177-193 -,ist oben von Repräsentation

die Rede. In den Artikeln von F.Kambartel, »Erfahrung«;

H.Holzhey, »Analogien der Erfahrung«; G.Knauss, >>Innere Er

fahrung«; H.Mey, >>Erfahrungswissenschaft<<; U.Claesges,

»Transzendentale Erfahrung«, in HWbPh 2, 1972, Sp. 609-624,

wird diese wichtige Variante des neukantianischen Erfah

rungsbegriffs nicht behandelt.

5 Ich gewinne die Voraussetzung, unter die der hier verwendete

Erfahrungsbegriff zu stellen ist, mit dem Hineinholen des

Apriori in die innere Erfahrung durch J.F.Fries. Dies und das

in

Anm. 4 Aufgezeigte

muß hier aus der früheren Forschung

vor allem Teil IV unter die Voraussetzungen aufgenommen

werden.

6 Genaueres, mit Wortmaterial aus den Quellen- und Wissen

schaftssprachen, in meinem Art. »heilig (sprachlich)<<, in

HrwG 2, 1990.

7 Kritik der praktischen Vi?rnunft

hrsg.

von K. Vorländer, Harn

burg 1952 ( 9.Aufl. 1929), S. 140 u. S. 38 ( 1. Aufl. 1787, S. 220

u.

S.

58 .

Vor

diesem Zitatist

mit dem

»Dynamisch-Erhabenen<<

siehe Teil VIII) und anderem die Sprache der Kritik der Ur-

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teilskrajt 1. Aufl. 1790, 2. Aufl. 1793; 3· Aufl. 1799; hier nach

Hrsg. K. Vorländer, Leipzig 1924) aufgenommen.

8 Von G. König und L. Geldsetzer mit Recht als Bd. 1 und Bd. 2

1981) ihrer Neuausgabe J. F Fries, Sämtliche Schriften, Aalen

1967fl)

vor die Neue ... Kritik der U;rnunjt dort jetzt

Bd.

4-7,

1967) gesetzt. ·

g Selbstrezensionen der »Neuen (oder anthropologischen) Kritik

der U;rnunjt« von 1808 und 1829) Sämtliche Schriften 4,

1967, S.14.

10 Bd. 1: 1906, Bd. 2: 1907; 2. revidierte Aufl. beider Bände Bd. 1

außerdem um die Einleitung über die griechische Philosophie

gekürzt, Bd. 2 um wo Seiten erweitert): Ign; Bd. 3: 1920, 2.

Aufl.

1923

alles bei Bruno

Cassirer, Berlin);

ND

von

Bd.

1-3;

Darmstadt 1971; Bd. 4 zuerst englisch New Haven 1950, dann

deutsch Stuttgart 1957, ND Darmstadt 1973. Die in Teil Vund Vl

und sogar die in Teil VII referierten Forschungen sind ohne

Auseinandersetzung mit Cassirer vonstatten gegangen und

haben die Neufassungen des Erkenntnisproblems seit Fries

auch sonst nicht berücksichtigt, obwohl »das Heilige« als eine

Art Erfahrungs- oder Erkenntnisgrund oft zwischen den Zei

len steht.

n Julien Ries, Le sacre comme approche de Dieu et comme res-

source de l homme, Louvain-la-Neuve 1983, S.7; ders. Hrsg.),

L expression du sacre dans l s grandes religions, 3 Bde., Lou

vain -la-Neuve 1978-1986.

12 Erschienen Paris 1864, ND in 1 Bd. ebd. 1927, in 2 Bden. ebd.

1g8o; deutsche Übers. von P.Weiss I.-M.Kreffi: Chr. Marek Der

antike Staat, Stuttgart 1981, mit wichtiger Einleitung von

K.Christ.

13

Zur

religionsgeschichtlichen Frage, die in diesem Essay ganz

am Rande steht, nur folgende Bemerkung, Ulll Mißverständ

nissen vorzubeugen: Wenn alle Religionen auf den gemein

samen Nenner »des Heiligen• gebracht werden, entsteht ge

schichtslose Vereinerleiung; besteht man, um das Heilige

»nachzuweisen<<, auf einer einschlägigen Terminologie, ent

steht historischer Positivismus. Es gilt, einen Mittelweg zu fin

den. EinAnsatz dazu findet sich z. B. schon in Schleiermachers

fünfter

Rede

über

die Religion,

wo

er

über

die

»vorgezogene•,

»herrschende<< oder »Zentralanschauung• der einzelnen Reli

gion spricht Ausgabe siehe Amn.42, dort S. 176f.), wenn er da

mit auch eine der möglichen Formen der »Anschauung des

UniversUllls« meinte, welche nach der zweiten Rede der »Mit

telpunkt• der Religion überhaupt ist a. a. 0., S.48-64).Aber es

ist damit möglich geworden, für jede Religion eine Siffilffiitte

Rudolf Otto: »Sondergeist<<, siehe Teil XV) zu suchen, wie es

de facto ja auch die religionsgeschichtliche Einzelforschung

anstrebt. Daß diese für

die

römische

Religion,

unerachtet ih

rer Heiligkeitsterminologie und deren Einfluß auf die heu

tigen Wissenschaftssprachen, nicht das Heilige ist, zeigen

ungewollt z.B. WolfAly, »Über das Wesen der römischen Reli

giosität•, ARW 33, 1936, S.57-74, und Marcel Le Glay, La reli-

gion romaine, Paris 1971. Aly verweist zu Anfang S. 59 Anm. 2)

auf Otto, Das Heilige siehe Teil VII), und hat damit, wie es sich

gehört, das Numinose, Heilige o. ä. als das hinter allem Lie

gende aufgewiesen, sieht aber dann dasWesen der Religion der

Ackerbürgerstadt Rom

in der

kalendarischen

Ordnung, die ge

rade nicht wie ein Sacrum von einem projanum getrennt ist.

88

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Le Glay S. 11 Anm. I geht von einer Definition Eliades siehe

Teil XII) aus •Le sacre = le reel par excellence, a a fois puis

sance, efficience, source de vie et de fecondite•) und kümmert

sich dann im ganzen Buch, das sonst gute Darstellungen von

Institutionen

und

Entwicklungen enthält, nicht mehr

darum.

Beide Autoren überlassen es dem Leser, jeweils •das Heilige<<

herauszudestillieren, und zwingen ihn damit, sich ein ganz

verzerrtes Bild zu machen, gerade weil die Heiligkeitstermi

nologie innerhalb des römischen Ritualsystems noch etwas

Besonderes meint. Nimmt man eine solche Terminologie zum

Anlaß, das Heilige zum universalen Interpretament zu ma

chen, kann es zu einem Titel kommen wie Haralds Biezais,

•Die heilige Entheiligung des Heiligen•, in: H. P Duerr Hrsg.),

alcheringa oder die beginnende

Zeit

Festschrift

für Mircea

Eliade), 1983, S.165-189, den ich als nicht mehr aussagekräf

tig empfinde derTitel wird klar aus dem Schluß desAufsatzes,

wo die Zerstörung der Wohnstätten lettischer Hausgötter

durch einen lutherischen Pfarrer i.J. 1856 beschrieben wird).

Biezais beantwortet im übrigen eingangs die Frage, ob •der

Begriff des Heiligen als eine Kategorie von universaler Gültig

keit anzusehen<< ist S. 165), ähnlich kritisch wie ich. Daß diese

Kategorie

damit ganz hinwegdisputiert wird,

braucht

man

nicht zu befürchten. Im alten China fehlt •das Heilige<< zwar

ganz, aber im alten Rom und im alten Hellas macht es einen

wichtigen Teilbereich aus und fächert sich vielfach auf, und

im alten Israel ist es zentral. Man braucht es Rudolf Otto des

halb gar nicht immer mühsam nachzuweisen, daß er •als

Theologe• die Religionen mit jüdisch-christlichen Begriffen

miß)interpretiere. Otto ist sich darüber bis in den Sprachge

brauch hinein klar in Das Heilige S. 15 sagt erz.B. unumwun

den:

•Im Deutschen haben wir das

>Heilige<

dem

Sprachge

brauch der Bibel nur nachgebildet.«). Mehr dazu bei Biezais S.

171-173·

14 So verkürzt aus R.H. Codrington, The Melanesians Oxford

1891 S. u8 f. übersetzt von G. van der Leeuw, Phänomenologie

der Religion 4.AuflageTübingen 1977 S.4 hier= 1.Aufl. 1955)

und mit dem oben als übernächstem folgenden Satz interpre

tiert. P Radin, Die religiöse rfahrung der Naturvölker Zürich

1951 macht S. 12 f und S. 120 Amn. 5 auf die Auslassungen auf

merksam und

zeigt,

daß van

der Leeuw

die endgültige Theo

rie Codringtons von 189Iim Sinne eines von diesem 15 Jahre

früher 1878) an Max Müller geschriebenen Briefes entstellt.

Codrington zitiert diesen offensichtlich, um zu dokumentie

ren, wie anerkennenswert schon diese seine ältere gegenüber

der dann im Buchkapitel entwickelten war.) Dementspre

chend kritisiert Radin inhaltlich van der Leeuw und so auch

Cassirer, ohne aber bei letzterem die Verwendung falscher Hy

pothesen und überholter

Informationen,

die

ja

auch einem

transzendental ansetzenden Neo-Kantianer widerfahren

kann, von seiner natürlich ebenso auf zuverlässiges Material

anwendbaren Methode zu unterscheiden. Neuere Forschung:

H.-J.Greschat, Mana und Tapu. Die Religion der Maori auf

Neuseeland Berlin 198o; F Steiner, Taboo Harmondsworth

1967.

15 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen Bd. 2 2. Aufl.

Darmstadt 1955 S.96f. Nach diesem distanzierten Referat

folgt

eine

Kritik

an der

damals üblich gewordenen

Bestim

mung des Mana-Begriffs.

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16 DeutscherTitel des in der übernächsten Anmerkung genann

ten Hauptwerkes von 9 ~ 2 gleich folgender Text darin S.5o-

53). Die dort kritisierte Ubersetzung ist auch an dieser Stelle

= S. 62-65) mit Vorsicht zu genießen, deshalb oben mehrfach

verändert.

Wer französisch

ungern

liest, ist

mit der

amerikani

schenAusgabevon JosephWard Swain, The Elementary Forms

ofReligious Life NewYork 1915 ND NewYork u. London 1965;

Text hier S. 52-54 immer noch am besten bedient.

17 Französisch S. 304, englisch S. 243, deutsch S. 293·

18 Emile Durkheim, Lesformes etementaires de la vie religieuse

Ausg. Paris 1968,S. 50; deutsche Übers. vonL. Schmidts, Frank

furt 1981, S. 62: »Alle bekannten religiösen Überzeugungen,

wie

einfach

oder

komplex sie

auch

seien,

haben den

gleichen

Zug: Sie setzen eine Klassifizierung der realen oder idealen

Dinge, die sich die Menschen vorstellen, in zwei Klassen, in

zwei entgegengesetze Gattungen voraus, die man im allge

meinen durch zwei

unterschiedliche

Ausdrücke bezeichnet

hat, nämlich durch profan und heilig. Die Aufteilung der Welt

in zwei Bereiche, von denen der eine alles umfaßt, was heilig

ist, und der andere alles, was profan ist: das ist Unterschei

dungsmerkmal des religiösen Denkens: die Überzeugungen,

die Mythen, die Erd) Geister, die

Legenden sind entweder

die

Darstellungen oder die Systeme von Darstellungen, die die

Natur der heiligen Dinge ausdrücken, die Tugenden und die

Kräfte, die ihnen zugeschrieben werden, ihre Geschichte, ihr

Beziehungen untereinander und mit den profanen Dingen.«

Diese Übersetzung muß zitiert werden, um deutlich zu ma

chen, wie mit der Auslassung der Relativkonstruktion »que

traduisent assez bien les mots ...«, die ein Korrelat zu »que se

representent les hommes« ist, die Eigenart der Benennung

von

Eigenschaften

durch

Begriffsübersetzung

neben der ganz

anderen Gesetzen unterliegenden phänomenologischen Na

mengebung unkenntlich wird. Außerdem ist der französi

sche Druckfehler »gnogmes« - statt »dogmes«, so die älteren

Ausgaben; oben berichtigt- als »gnomes« gedeutet worden.)

19 Die Kritik von Claude Levi-Strauss, Das Ende des lbtemismus

1962), Frankfurt 1965, wird hier nicht weiter verfolgt, weil es

diesem nur um dasTotem, nicht um das Heilige geht, das ja bei

Durkheim zu einem

Oberbegriff wird,

unter den außer dem

Totem

auch noch andere

Dinge fallen.

20 J.-J.Rousseau, Gontrat Social ou Principes du Droit Politique

Paris o.J. Librairie Garnier Freres), S. 331. 334f. Übersetzung

in Anlehnung an J.-J-R., Politische Schriften 1, übers. von

L.Schmidts, Paderborn 1977 UTB 667), S.201. zo6f.

21 Gut informiertT.Schöfthaler, Civil Religion in: EKL I, Göttin

gen 1986, Sp. 754-761.

22 Mehr bei a a r d ~ n b u r g wie Anm. o), Bd. 2: Bibliography. Texte

der

drei

in

der

Überschrift

Genannten bei

Colpe wie Anm. o ),

S. zg-u6.

23 Ges. Schriften 14: Leben Schleiermachers 2 Bde. hrsg. von

M.Redeker, Berlin u. Göttingen 1966.

24 Nachweise zu Söderblom bei Biezais S.166-169; zum oben zi

tiertenWort dort S. 181 Anm. 21. Der lebendige Gott im Zeugnis

der Religionsgeschichte München 1942) ist ein Verlegertitel.

25 E. Troeltsch, Das Historische in Kants Religionsphilosophie

Berlin 1904; Psychologie und Erkenntnistheorie in der Reli-

gionswissenschaft

Tübingen

1905;

ur

Frage des religiösen

Apriori 1909), in: Ges. Schriften 2, Tübingen 1922 ND Aalen,

go

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1961), S. 754-768; Der Historismus und seine Probleme= Ges.

Schriften 3 wie 2), S. 371-464: Die historische Dynamik des

Positivismus: St. Simon, Comte, Mill, Spencer, Fouillee, Her

bartianer, Wundt; Zur Religionsphilosophie. us nlaß des Bu

ches

von

Rudolph Otto über

» as

Heilige«,

in: Karrt

-Studien

23,

1919, s.Gs-76.

26 R. Otto, Vom

J Jlege, in: Die christliche Welt 25, 19u, Sp. 705-710,

dort Sp. 709.

27 Eine Darstellung kann so ausführlich, wie es nötig wäre, an

dieser Stelle nicht erlolgen. Verwiesen sei auf die Behandlung

der drei oben genannten hebräischen Grundwörter von

W.Kornfeld/H.Ringgren, ThWbAT 6, 1989, Sp. u79-1204;

W.Dommershausen,

ThWbAT

2,

1977, Sp. 972-981;

N.Lohfink

ThWbAT 3, 1982, Sp. 192-213.

28 Erschienen in ThR 13, 1910. Neufassung von 1932 abgedruckt

bei Colpe S. 257-501, danach zitiert.

zg Ich halte mich an Formulierungen in der ausgezeichneten

Untersuchung von H.-W. Schütte, Religion und Christentum in

der Theologie Rudolf Ottos ThBT 15), Berlin 1969, S.45-6o;

dort S. 50 auch die Nachweise zu Troeltsch und Tillich.

30 Die gekennzeichneten Worte passim bei Otto in ThR 13 wie

Anm. 28

und in

Das Heilige.

Beobachtungen

zur

Terminolo

gie: U.Bianchi, »Uuso delle parole >religione< e >sacro<<<, in: AF

1974, S. 87-98. Texte von Feigel und Caillois bei Colpe S. 380-

405 und 447-460.

51 Svend-Aage Jorgensen, »Klassische Romantik der Dänen«, in:

K.R.Mandelkow Hrsg.), Europäische Romantik I NHL 14),

Wiesbaden 1982, S.461-481, dort S.465; Jochen Schmidt, Die

Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur

und

Politik

I7JO-I94J, Bd.

1, Darmstadt

1985,

S.

61-68

u.

pas

sim; H.Emmel, »Empfindsamkeit«, HWbPh 2, 1972, Sp. 455f.

52 August E.Hohler, Das Heilige in der Dichtung.Klopstock/Der

junge Goethe, Zürich 1954.

55 Isabella Papmehl-Rüttenauer, Das Wort HEILIG in der deut

schen Dichtersprache von Pyra bis zum jungenHerder, Weimar

1957, s.so.

54 NHL 14 wieAnm. 51), S. 198,215,455, 465ff., 471; K.Heitmann

(Hrsg.),Europäische Romantikll NHL 15), S. 53f., 50, 175, 185.

55

P

Tillich,

Systematische Theologie

I,

Stuttgart

1956,

S.

196-198

und 251-254. Die beiden folgenden Zitate dort S. 251 und S. 197.

56 Pseudo-Longinos, Vom Erhabenen, Griechisch und Deutsch

von R.Brandt TF 37), Darmstadt 1985. Zum »ungeheuren<<

Einfluß dieser Schrift siehe dort das Vorwort S.23-26 und

R.Sühnel, »Pietas Litterata: Das Vorbild der Antike«, in: H.

J.Müllenbrock Hrsg.), EuropäischeAujklärung II NHL 12),

S.55-90, dort S.56f., sowie mehrlachirr deninAnm. 51 und 54

genannten

Werken.

57 Das Heilige S. 21 f., 27f., 35 u. ö. Benutzt ist die 51. bis 55· Auf

lage, München 1965.

38 C.G.Jung, Aion. Untersuchungen zur Symbolgeschichte, Zü

rich 1951 darin »IV. Das Selbst<<, S. 44-62). Hier zitiert nach:

Gesammelte Werke Bd. 9 2 Untertitel im Einverständnis mit

dem Autor abgewandelt zu Beiträge

zur

Symbolik des Selbst),

Freiburg 1976, S. 57·

39 G. Schmid,lnteressant und heilig, Zürich 1971.

40

W.

Burkert,

»Glaube

und

Verhalten.

Zeichengehalt

und

Wir

kungsmacht von Opferritualen<<, in: J. Rudhardt und 0. Rever-

91

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din (Hrsg.), Le sacrifice dans l antiquite Entretiens Fondation

Hardt 27), Vandoeuvres-Genf 1981, S. 91-125, dort 105f. und 114.

41 Früherer Titel: Gotha 1925, späterer Titel: München 1951. Zu

Troeltsch

und

Tillich

siehe

Anm.

25

und

29, Text

von

Geyser bei

Colpe S. 502-556.

42 Einleitung zu Fr. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an

die Gebildeten unter ihren T-erächtern (Berlin 1799), hrsg. von

R. 0., 5· Aufl. Göttingen 1926 (ND 1967), S.15.

45 Walter Baetke, Das Heilige im Germanischen, Tübingen 1942,

Zweiter Teil (S.47-226). Der erste Teil S.1-46) ist in dem in

Anm. o zitierten WF-Sammelband wieder abgedruckt S.557-

579).

44 So z.B.

Hohler

(wie Anm. 52)

S.

54-45:

•Das

Heilige

als das

Ganze.« Im übernächsten Absatz ist gedacht an C. Schmitt, -

setz und Urteil (1912), 2. unveränd.Aufl. München 1969.

45 Dafür wäre methodologisch einzubeziehen das noch unaus

gewertete Spätwerke von E. Husserl, Die Krisis der europäi

schen Wissenschaften unddie transzendentale Phänomenologie

Husserliana 6, hrsg. von W. Biemel), den Haag 1976.

46 Das folgende ist verpflichtet der Arbeit von A.Diemer, •Die

Trias Beschreiben, Erklären, Verstehen

in historischem und

systematischem

Zusammenhang<< in: ders. (Hrsg.),

Der Metho

den- und Theoriepluralismus in den Wzssenschajten, Meisen

heim 1971, S. 5-24, insbesondere dem Endlichkeitspostulat

•Nur in den Grenzen der Phänomengegebenheit sich bewe

gen<< S. 15). Das Inhaltliche mußte sehr kurz ausfallen, Nach

weise hier genauso kurz: M. Mauss, Die Gabe (französ. 1925),

Frankfurt 1968; J. G. Frazer, Der goldeneZweig (engl. Kurzfas

sung 1922), Köln- Berlin 1968; S.A. Tokarew, Die Religion in

der Geschichte der Völker,

Berlin

1976;

Wilhehn Wundt siehe

Teil VI, dazu M. Douglas, Reinheit und Gefährdung (engl.

1966), Frankfurt 1988; S. Freud, Studienausgabe, hrsg. v A. Mit

scherlieh u.a., Bd. 9: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der

Religion, Frankfurt 1974; R. Girard, Das Heilige und die Gewalt

(französ. 1972), Zürich 1987; Titel von A.Lang (1844-1912), W.

Schmidt (1868-1954), E.B.'fYlor (1852-1917), R.R.Marett

(1866-1943), K.Th.Preuß (1869-1958) bei F.Gölz, Der pri

mitive Mensch und seine Religion, Gütersloh 1965, S. 12-89;

von

J.

T.

Beck ( 1804-1878)

bei

E. Hirsch,

Geschichte der neuren

evangelischen Theologie Bd. 5, Gütersloh 1951, S. 150-140 u.

217-220; A. SchlaUer (1852-1958), Das christliche Dogma 2.

Aufl. Stuttgart 1925, §§ 85-85; G. W. Stocking, •Codrington,

R.H. (1850-1922), in: ER 5, 1987, S. 558; J.Waardenburg,

»Leeuw, Gerardus van der<< ( 1840-1950 , in: ER 8, 1987, S. 495-

495· (Siehe auch Anm. 14); Text von S. Acquaviva bei Colpe

s. 461-491.

47 Dieser Teil methodisch ebenfalls nach Diemer siehe vorige

Anm.),

inhaltlich

u. a.

nach

C. Colpe,

>>Ekstase<<,

in: EKL 1,1986,

Sp. 1007-09; E. 0. James, The Cult oftheMother-Goddess, New

York 1959; J.F. Sprockhoff, >>Die Alten im alten Indien«, in: Sae

culum 50, 1979, S. 574-455; P Brown, Religion and Society in

theAge ojSt.Augustine, NewYork 1972.

48 Ioan P.Culianu, Mircea Eliade, Assisi 1977; Donglas Allen,

Structure and Creativity in Religion. Hermeneulies in Mircea

Eliade s Phenomenologyand newDirections RR 14), Den Haag

1978. Festschriften siehe oben Anm. 5 sowie H.-P.Duerr

(Hrsg.),

Die Sehnsucht nach

dem

Ursprung,

Frankfurt/M. 1985;

ders. (Hrsg.), Die Mitte der l t Frankfurt M. 1984. Die oben

92

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geführte Auseinandersetzung is t eingegangen in C. Colpe, »Sa

cred and the Profane, The«, in: ER 12, 1987, S. 511-526 Passa

gen aus S. 515, 519, szof., 521-523 sind hier in die TeileVII, V XI,

X übernommen). Eliade hat diesen Artikel als Herausgeber

vor seinem

Tode

22.

April1986)

noch

approbiert.

Seine

eigene

Position faßten er und L. E. Sullivan unter »Hierophany<< in: ER

6, 1987, S. 313-317 zusammen, während die Sicht von Rudolf

Otto von W.G.Oxtoby unter >>Holy, Idea ofthe<<, ebendaS. 431-

438 dargestellt wurde.

49 D. Kamper/Chr. Wulf, Das Heilige. Seine Spur in der Moderne,

Frankfurt 1987. Unter dem Titel •Die wissenschaftliche Be

schäftigung mit >dem Heiligen< und >das Heilige< heute<< war

ein Grundstock des hier vorgelegten Essays das erste Kapitel

des

ersten

Hauptteiles

•Der Einspruch der

Wissenschaften•

S. 33-61).

50 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2:

Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt/M. 1981,

s 69-170.

51 Ansgar Paus, Religiöser Erkenntnisgrund. Herkunft undWesen

derAprioritheorieRudoifOttos, Leiden 1966.

52 Ausgezeichnet A. Dihle, •heilig<<, in: Reallexikon für Antike

und Christentum 14, 1988, Sp. 1-62; M. Lattke, >>Heiligkeit III«,

in:

Theologische

Realencyclopädie

14,

1985,

S.

703-708.

53 G. van der Leeuw, Vom Heiligen in der Kunst, Gütersloh 1957

Übers. von Wegen en grenzen. Studie over de verhouding van

religie en kunst, Amsterdam [zuerst 1932, revidierte Aufl. 1948

und] 1955). Eine wissenschaftstheoretisch auf den Punkt ge

brachte Darstellung dieser Methode, Phänomenologie zu trei

ben, gibt H.G.Hubbeling, Divine presence in ordinary life

Ge-

rardus van der Leeuw's twofold method in his thinking on art

and

religion

(Mededelingen

der

koninklijke NederlandseAka

demie van

Wetenschappen, Afd. Letterkunde, Nieuwe Reeks

9h ), Amsterdam/Oxford NewYork 1986.

54 Rudolf Otto, V Schnu-Narayana, 2. Aufl. Jena 1923, S. 220-222.

55 H. Cancik, •Nutzen, Schmuck und Aberglaube. Ende und

Wandlungen der römischen Religion im 4· und 5· Jahrhun

dert«, in: H. Zinser (Hrsg.),Der Untergangvon Religionen, Ber

lin 1986, S. 65-90, zifiert S. 77 diese Stelle für die Ästhetisie

rung und Entsakralisierung von Bauten und Statuen.

56

Französ.

S.

120,

deutsch

S. 124;

siehe

J.P.Brereton,

>>Sacred

Space•, in: ER 12,1987, S. 526-535; B.C.Sproul, •SacredTime•,

ebendaS. 535-544.

57 Bazon Brock, >>Der Hang zum Gesamtkunstwerk•, im Katalog

Der Hang zum Gesamtkunstwerk, Aarau und Frankfurt Main

1983, S. 22-39, bes. S. 22ff. (interessante Hinweise auch in an

deren Beiträgen dieses Katalogs); C. Colpe, •Zur Bezeichnung

und Bezeugung des Heiligen Krieges•, BThZ 1, 1984, S. 45-58.

189-214.

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»Der Fuchs w iß vi l Dinge

aber der Igel

w iß in große Sache.«

Archilochos

or derZukunft sindwirgemeinsam dumm

In dieser Situation scheint es ratsam den Sinnjfir das

Mögliche zu schärfen unddie Gedanken an ihrenFolgen zu

messen. Anstöße

dazu

möchte diese Reihe der Thesen

und Ideen geben.

NUMMER 1 S0REN KIERKEGAARD DER EINZELNE

»In diesen Zeiten ist alles Politik«: Gedan-

ken eines Einzelnen über seine Wirksam-

keit als Schriftsteller.

NUMMER z PETER SCHNEIDER: DER BÜRGERSTAAT

»Helft

euch

selbst

Gerechtigkeiterwartet

nicht vom König.« Ein Jurist

über

Recht

und Staat Widerstand und Bürgerpflicht in

Schillers Wllhelm Tell.

NUMMER 5 CARSTEN COLPE: ÜBER DAS HEILIGE

Der Ort des Heiligen in der entzauberten

Welt: Über die wissenschaftliche Bewälti-

gung eines irrationalen Phänomens.

NUMMER 4 PHILIPPE ARlES

GESCHICHTE IM MITTELALTER

n der Zeit als Treue die vornehmste

Tugend war und Gewohnheit Recht

begründete

warenJetzt lind Damals eng

verbunden

NUMMER 5 WOLFGANG EICHHORN: _

DAS MAGISCHE NEUNECK

Umwelt und Sicherheit in einer

Volkswirtschaft

Vom klassischen Viereck derVolkswirt-

schaftslehre zum magischen Neuneck:

ökonomische Modelle

und

wirtschaftspoli-

tische Ziele.

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NUMMER 6 ROLF-PETER HORSTMANN:

WAHRHEIT US DEM BEGRIFF

Der Begriff des Hundes bellt- natürlich

nicht.

Eine Einführung in

Hegels Pro

gramm derwissenschaftlichen Erkenntnis

der Wahrheit.

NUMMER 7 K RL M RKUS MICHEL:

GESICHTER

Physiognomische Streifzüge

Das Gesichterlesen ist unsere Leiden

schaft

aber nicht unsere

Stärke.

Der

wis

senschaftliche Eifer von einst das Gesicht

zu vermessen um den Menschen zu

ermessen ist längst verflogen. Doch

unbeirrt halten wir daran fest: Gesichter

sind verräterisch.

NUMMER 8

IS I H

BERLIN:

DER NATIONALISMUS

Heute scheint eine politische Bewegung

nur dannAussieht auf Erfolg zu haben

wenn sie sich mit dem Nationalgefühl ver

bindet. Überlegungen zur Macht des

Nationalismus.

NUMMER g MICHAEL POLLAK:

R SSENW HN UND WISSENSCHAFT

Thesen zur Entstehung der unheilvollen

Allianz zwischen Anthropologie Biologie

und Recht im Nationalsozialismus.

NUMMER 10 STEPHEN MENNELL:

DIE MEISTERKÖCHE

Wie der Feinschmecker seinen Meister

koch fand und die französische Küche die

teuren Restaurants eroberte.