Cord Eberspächer Der Texas-Fall und die oldenburgische Außenpolitik Die diplom

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    Oldenburger Jahrbuch

    Oldenburger Landesverein fr Geschichte, Natur- und Heimatkunde

    Oldenburg, 1957

    Cord Eberspcher: Der "Texas-Fall" und die oldenburgische Auenpolitik. Die diplomatischen Folgen von Schiffbruch und Ausplnderung der

    Besatzung des oldenburgischen Bark "Texas" 1857 im Chinesischen ...

    urn:nbn:de:gbv:45:1-3267

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  • Oldenburger Jahrbuch 101, 2001 93

    Cord Eberspcher

    Der Texas-Fall" und die oldenburgische Auenpolitik

    Die diplomatischen Folgen von Schiffbruch und Ausplnderung der Besatzung der oldenburgischen Bark Texas" 1857

    im Chinesischen Meer

    Die oldenburgische Bark Texas" ' ) geriet am 4. September 1857 vor der chinesi-schen Kste auf dem Weg von Ningbo2) nach Amoy 1 ) in einen Taifun. Nach einem spteren Bericht ihres Kapitns Johann F. Hegemann verlor die Texas" ihre Masten und Boote und schlug leck4). Seine Mannschaft konnte das treibende Schiff noch zwei Tage halten. Die Texas" war am 5. September von der siamesischen Bang-kok Mark" gesichtet worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Texas" schon fast alle Masten verloren, aber die Besatzung befand sich noch an Bord. Der Kapitn der Bangkok Mark" berichtete, er habe acht Mann an Bord gesehen, aber wegen des schweren Seegangs keine Hilfe leisten knnen. Die Mannschaft gab ihr Schiff schlielich am 6. September auf. Die Texas" sank letztendlich nicht - bei hlzernen Segelschiffen nicht ungewhnlich - , sie wurde wenig spter von dem siamesischen Schiff Favorite" in der Nhe von Fuzhou treibend vorgefunden. Der Kapitn der Favorite" ging an Bord und nahm aus der Kapitnskajte das Bild des Schiffes mit1). Die Entscheidung, die Texas" aufzugeben, ist besonders Hegemann sicher

    1) Die Texas" wurde 1852 auf der Oldenburger Werft Oltmann in Motzen gebaut. Peter-Michael Pa w-I ik, Von der Weser in die Welt. Die Geschichte der Segelschiffe von Weser und Lesum und ihrer Bau-werften 1770-1893 (Schriften des deutschen Schiffahrtsmuseums Bd. 33), Bremerhaven 1993, S. 444-446.

    2) Hafenstadt im Nordosten der Provinz Zhejiang. 3) Hafenstadt an der Taiwanstrae, im Sden der Provinz Fujian; der moderne Name ist Xiamen. 4) Pa w 1 i k (s. Anm. 1), S. 446; Pawlik zitiert aus der Wochenschrift fr Vegesack und Umgegend. 1 lege-

    mann kam aus einer Hooksieler Seefahrerfamilie, sein jngerer Bruder Paul Friedrich August (be-nannt nach dem Oldenburger Groherzog) war Untersteuermann auf der Texas".

    5) Auszug aus einem Bericht von W. Probst aus Shanghai, undatiert. Geheimes Staatsarchiv preuischer Kulturbesitz, (knftig: GStA), Abt. III HA 2.4.1. Ministerium fr Auswrtige Angelegenheiten, II Han-delspolitische Abteilung, Bestand 5090 Mihandlung der Mannschaft des an der chinesischen Kste gestrandeten oldenburgischen Schiffes Texas" durch die Strandbewohner und die dafr geforderte Genugtuung.

    Anschrift des Verfassers: Cord Eberspcher, Hundsmhler Str. 68, 26131 Oldenburg, Tel. 0441-502866, Email: [email protected].

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    Abb. I: Burk Hinrich" unter oldenburgischer Flagge. lgemlde von Oltmann jnburg, 1860. Von der Texas" selbst ist kein Bild bekannt, sie entsprach aber vom Schiffsti//>, Baujahr, Gre, Trag-last und Takelage der Hinrich" bis auf geringe Abweichungen (Foto: Archiv Pawlik. Bremen).

    nicht leichtgefallen, denn er war nicht nur Kapitn, sondern auch Anteilseigner des Schiffes6) - fr ihn war der Schiffbruch Das Schrecklichste xvas mir passiren konnte ). Die Besatzung der Texas" rettete sich am 6. September auf eine chinesische Dschun-ke. Die Dschunkenbesatzung beraubte die Schiffbrchigen der meisten ihrer geret-teten Habseligkeiten. Nur Hegemann durfte seine Uhr, den Sextanten und die Schiffspapiere behalten. Die Dschunke befand sich ebenfalls auf dem Weg nach Amoy und kreuzte die nchsten Tage gegen widrige Winde nach Sden und geriet ebenfalls in einen Taifun. Hegemann selbst wurde whrend des Sturms schwer ver-letzt, als er von einer Sturzwelle ber Bord geschleudert wurde: meine Stirn ber dem linken Auge lag ganz offen, die linke Hand war frchterlich entstellt, der Linterleib zum Bersten aufgeschwollen8). Er konnte sich mit Mhe wieder an Bord retten, ein Matrose aus Osterode, der ber Bord gesplt wurde, ertrank. Nach acht Tagen strandete die Dschunke auf einem Riff und sank sofort. Whrend sich die Besat-zung und die Mannschaft der Texas" noch zu retten versuchten, eilten die Kiisten-

    6) l 'a w I i k (s. Anm. I), S. 444. Die l'artenreederei, bei der sich mehrere Anteilseigner die IS.m- und Aus-riistungskosten eines Schiffes wie auch die eventuellen spteren Gewinne teilten, war in Oldenburg in dieser Zeit vorherrschend. Kapitne waren oft Anteilseigner ihrer Schiffe. Stefan H a r t m a n n , Stu-dien zur oldenburgischen Seeschiffahrt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Hansische Geschichts-bltter 1976, S. 38-80, hier 53 f.

    7) P a w l i k (s. Anm. 1),S. 446. 8) Ebd.

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    /Tientsini

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    TAIWAN

    HONG KONG Pearl River

    Abb. 2: Karte der chinesischen Kste.

    bewohner mit Booten herbei und berfielen die Schiffbrchigen: schnell legte man je-dem von uns einen dnnen Strick um den Hals, setzte uns ein groes Messer auf die Brust, und so zog man uns ganz nackt aus, um uns dann, als alles geraubt war, unserm Schicksal zu berlassen"). Die ausgeplnderten Seeleute erreichten schlielich das rettende Ufer und fanden glcklich einige Lorchas"') aus Macao, auf denen die Besatzung der Texas" schlielich am 18. September in Amoy eintraf. In Amoy erhielten die Schiffbrchigen von den ansssigen Europern Kleidung, et-was Geld und freie Bekstigung. Hegemann legte beim britischen Konsul Protest gegen die Ausplnderung der Besatzung ein, was aber offensichtlich ohne konkrete Auswirkungen blieb. Ein Teil der Besatzung heuerte bereits in Amoy auf anderen

    9) Ebd. 10) Die Lorcha ist ein Schiffstyp mit chinesischer Takelung und westlichem" Rumpf, der whrend der

    ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts in Sdchina in Gebrauch kam.

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    europischen Schiffen an, die brigen Schiffbrchigen reisten auf der Hamburger Brigg Louise und Leonide" nach Hongkong, w o sie am 26. oder 27. September ein-trafen. Der oldenburgische Konsul fr Shanghai, Brodersen, der seinen Wohnsitz kurz zuvor nach Hongkong verlegt hatte, sicherte Kapitn Hegemann seine Unter-sttzung zu. Brodersen wies in seinem Bericht an das oldenburgische Staatsministerium darauf hin, da Hegemann das Glck gehabt htte, in Hongkong ber die geschftlichen Verbindungen zu verfgen, um fr sich und seine Mannschaft zu sorgen, andern-falls wre er auf die Mildthtigkeit" der ansssigen Europer angewiesen gewe-sen. Es sei deshalb bei dem greren Verkehr von Groherzoglich Oldenburgisclien Schif-fen in den hiesigen Gewssern /.../ gewi sehr im Interesse des Groherzoglich Oldenburgi-schen Staates und der Unterthanen desselben, auf der Insel Hongkong ein weiteres Konsulat neben Shanghai einzurichten") . Brodersen war als oldenburgischer Kon-sul der offizielle Ansprechpartner fr einen Notfall, wie ihn Kapitn und Mann-schaft der Texas" erlitten hatten. Auch wenn die Auslnder in den chinesischen Vertragshfen sich bei solchen unverschuldeten Schwierigkeiten oft gegenseitig hal-fen, wie im Falle der Erstversorgung" der Schiffbrchigen der Texas" in Amoy, war es dienstliche Aufgabe der Konsuln, in schwierigen Situationen zu helfen. Die Konsuln bildeten zugleich die einzige Mglichkeit fr Staaten wie Oldenburg, die keine diplomatische Vertretung in dem betreffenden Land unterhielten und nicht ber militrische Machtmittel verfgten, um die eigenen Interessen notfalls mit Ge-walt durchzusetzen, die einzige - und nur mit schwachen Mitteln ausgestattete -Instanz der Auenpolitik.

    Oldenburgische Schiffe waren zu dieser Zeit in Ostasien keine Ausnahme mehr, 1859 wurden in Shanghai lO'2), 1864 in Hongkong 17 Besuche oldenburgischer Schiffe verzeichnet11). Nach eher sporadischen Fahrten durch preuische und han-seatische Schiffe in der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts hatte der deutsche Chi-nahandel in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts einen deutlichen Aufschwung genommen, auch wenn fr diesen Zeitraum nur wenig zuverlssige Daten ber den Umfang des Handels vorliegen und die Anzahl der Schiffe von Jahr zu Jahr stark schwankte. Auch oldenburgische Schiffe orientierten sich zunehmend nach bersee, vor allem nach Amerika, und die oldenburgische Handelsflotte wuchs ge-rade zur Mitte des 19. Jahrhunderts von 137 Schiffen 1846 auf 254 Schiffe 1858. Da-nach fiel die Anzahl der Schiffe aufgrund der Folgen des amerikanischen Brger-kriegs und des Krieges gegen Dnemark leicht a b " ) . Hauptprotagonisten des Chinahandels waren in der ersten Hlfte des 19. Jahrhunderts die preuische See-handlung und Kaufleute der Hansestdte Hamburg und Bremen, aber zur Mitte

    11) Brodersen an das oldenburgische Staatsministerium, 3.10.1857. GStA (wie Anm. 5). 12) Bericht des oldenburgischen Konsulats in Shanghai vom 31. 12. 1859, Niederschsisches Staatsarchiv

    in Oldenburg (zuknftig: StAO), Best. 31-15-11 Nr. 190 B. Europische Schiffe im Ostasienhandel kreuzten oft mehrere Jahre in den ostasiatischen Gewssern, bevor sie zurckkehrten. H a r t m a n n , Seeschiffahrt (s. Anm. 6), S. 78. Deutsche Schiffe beteiligten sich vor allem am chinesischen Ksten-handel. Helmuth S t o e c k e r , Deutschland und China im 19. Jahrhundert. Das Eindringen des deut-schen Kapitalismus, Berlin 1958, S. 47 f.

    13) Bericht des oldenburgischen Konsulats in Hongkong vom 31.12.1864, StAO, Best. 31-15-11 Nr. 94 B. 14) H a r t m a n n , Seeschiffahrt (s Anm. 6), S. 45.

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    OLDENBURGISCHES CONSULAT ZU

    HONGKONG, DEN 31 DECEMBER 1604.

    L ISTE DER IM JAHRE 1864 IM H A J E N VON HONGKONG ANGEKOMMENEN.

    OLDENBURGISCHEN SCHIFFE.

    No. Datum

    der Ankunft.

    Name dea Schiffes. i

    Capitain. i

    Grsse Lasten. Ton. Ladung.

    1 Januar 19 Diana, Bauns, 170 Singapore Stckgter 2 Februar 6 Emma, Bunge, 111 Ningpo Ballast. 3 14 Anton Gnther, Zelllosen, 146 Cardifi Kohlen. 4 n 16 Ammerland, Hagemann, 224 Penang Diverses. 5 16 E. von Beaulieu, Fesenfcldt, 224 Card i IT Kohlen. 6 Mrz 27 Emma, Bunge, I I I Sual Reis. 7 April 12 Neplun, Dierk, I I S Saigon Do 8 May 8 O'Thyen, Addicks, 414 Calculla Do 9 Juli 22 Caroline, Bunge, 150 Chefoo Diverses.

    10 n 18 Juno, Jbbeken, 233 1)0 Erbse. 11 Sept. 10 E. von Beaulieu, Fesenfeldl, 224 Newchwang Bohnen. 12 rt 27 Anton Gnther, Zeitlosen, 146 Chefoo Erbsen. 13 Octobcr 29 Gottorp. Wierich, 479 Shanghai Ballast. 14 Nov. 15 Anna, Erdmann, 262 Do Do 15 n 27 O'Thyen, Addicks, 414 Ningpo Do 16 n 30 Eduard, Lubben, 213 San Francisco Diverses. 17 Dec. 1 E. von Beaulieu, Fesenfeldl, 224 Newchwang Erbsen.

    3863 Lasten.

    Abb. 3: Lifte der 17 oldenburgischen Schiffe, die 1864 in Hongkong angekommen sind, ausge-stellt vom oldenburgischen Konsulat in Hongkong. An den Angaben zur Ladung und den vorher angelaufenen Hfen ist erkennbar, da diese Schiffe mit wenigen Ausnahmen im ostasiatischen Binnenhandel eingesetzt wurden (Niederschsisches Staatsarchiv Oldenburg, Best. 31-15 Nr. 11-99B).

    des Jahrhunderts nahm das Groherzogtum Oldenburg neben Bremen, Hamburg und Hannover bereits einen wichtigen Platz in der deutschen Seeschiffahrt" ein'"1). Der Chinahandel hatte zwar im gesamten deutschen Seehandelsvolumen eine eher geringe Bedeutung, das Interesse an einer Absicherung und einem Ausbau der Handelsverbindungen fhrte aber bereits in den 1820er Jahren zur Ernennung von Konsuln in Kanton durch Preuen, Hamburg und Hannover1 6). Der deutsche I lan-del profitierte von der erzwungenen ffnung Chinas durch den sogenannten Opi-umkrieg 1839-1842 zwischen Grobritannien und China. Nach 1842 beteiligten sich auch oldenburgische Handelsschiffe in zunehmendem Mae am Chinageschft. Die

    15) Ebd., S. 79. 16) Bernd E b e r s t e i n , Hamburg - China. Geschichte einer Partnerschaft, Hamburg 1988, S. 66.

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    oldenburgischen Handelsaktivitten nahmen aber anfangs noch kein so groes Vo-lumen an, als da es der chinesischen Seite besonders aufgefallen wre. Der 1849 erschienene Kurze Bericht ber den Erdkreis" (Yinghuan zhile) von Xu Jiyu1 ' ) er-whnt zwar fnf kleine Lnder in Norddeutschland, die allesamt Handelszentren seien, nmlich Hamburg, Bremen, Frankfurt, Lbeck und Kniphausen l s) , aber Ol-denburg war ihm offensichtlich noch kein Begriff. Die zunehmende Bedeutung des oldenburgischen Handels machte es auch fr die staatlichen Behrden erforderlich, auf die vernderte Situation zu reagieren, und Manahmen zur Frderung und zum Schutz der oldenburgischen Schiffahrt zu treffen. Probates Mittel der Zeit war die Einrichtung von Konsulaten. Die Geschfts-trger waren blicherweise vor Ort ansssige Kaufleute, die sich in den lokalen Ge-pflogenheiten auskannten und ehrenhalber ernannt wurden. Honorarkonsuln wa-ren somit im Rahmen ihrer Aufgaben ein sowohl effektives wie kostengnstiges Mittel der Auenpolitik. Die ersten oldenburgischen Auslandskonsulate wurden unter Herzog Peter Friedrich Ludwig eingerichtet19). Diese Konsulate waren weni-ger diplomatischen Vertretungen des Herzogtums, sondern sind als Handelsagen-turen fr die aufblhende Seeschiffahrt unter oldenburgischer Flagge zu sehen. So folgte die Einrichtung von Konsulaten den bevorzugten Feldern des Handels, zu-nchst in den nahe gelegenen Nordseelndern, die bereits traditionell Ziel olden-burgischer Handelsfahrer waren. Das erste stndige Auslandskonsulat wurde 1803 in Rotterdam eingerichtet, es folgten unter anderem Amsterdam, Antwerpen, Ber-gen, Christiansand, Helsingr und London. Das Konsulatsnetz reichte bald ber den Nordseebereich hinaus, es wurden auch Konsulate in Riga, Archangelsk, Bor-deaux und Porto eingerichtet. Zum Ende der Regierungszeit Herzog Peter Friedrich Ludwigs gab es 24 oldenburgische Auslandskonsulate, damals noch ausschlielich in Europa, vor dem Ende des oldenburgischen Konsulatswesens mit der Grndung des Norddeutschen Bundes 1866 waren es 156 in aller Welt20). Am 24. Mrz 1823 gab die Instruktion fr die Herzoglich-Oldenburgischen Gene-ralkonsuls, Consuls, Agenten und Vice Consuls in auswrtigen Handelsstdten" der Organisation des oldenburgischen Konsulatswesens erstmals einen amtlichen Charakter (Preuen hatte so etwas seit 1796). Die Konsuln waren verpflichtet, alles zu tun, was der Sicherheit, Aufrechterhaltung und Befrderung der Rechte und Vorteile des Oldenburger Staates diente und seiner Schiffahrt und seinem Handel

    17) Xu Jiyu (1795-1873) gehrte nach langjhriger Beamtenttigkeit in Fujian und Cuangdong zu den be-sten chinesischen Kennern der auerchinesischen Welt seiner Zeit. I - b e r s t e i n (s. Anm. 16), S. 146.

    18) Ebd., S. 372, Anm. 6. Im Konflikt zwischen dem Kontinentalreich Napoleons und der Seemacht Gro-britannien flaggte ein beachtlicher Teil der europischen Schiffahrt auf die Flaggen kleiner, neutraler Lnder um. Auch die Kniphauser Flagge war in dieser kurzen Zeit so prsent, da die kleine Herr-lichkeit noch in China bekannt wurde. Vgl. Albrecht E c k h a r d t , Unter Kniphauser Flagge. Zur Neu-tralittspolitik des Grafen Bentinck in Napoleonischer Zeit (1803-1808) (Vareler Heimathefte Heft 5), Varel 1991, 2. Aufl. 2001.

    19) Vgl. Stefan H a r t m a n n , Die Entwicklung des oldenburgischen Konsulatswesens unter Herzog Peter Friedrich Ludwig, in: Peter Friedrich Ludwig und das Herzogtum Oldenburg. Beitrge zur oldenbur-gischen Landesgeschichte um 1800, hrsg. von Heinrich S c h m i d t , Oldenburg 1979, S. 137-159.

    20) H a r t m a n n , Seeschiffahrt (s. Anm. 6), S. 40 und 71-77. Zum oldenburgischen Konsulatswesen in China zustzlich: Johannes H e s s e , Niedersachsen und China. Gestern und heute, Seelze 1987, S. 39-54.

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    frderlich war. Sie sollten Auslandsauftrge fr oldenburgische Reeder vermitteln, Streitigkeiten zwischen Untertanen und Nichtoldenburgern schlichten; auerdem hatten sie die Aufgabe, Konsulatsgebhren zu erheben und Visa und I'sse zu ertei-len. Alle im Konsulatshafen einlaufenden oldenburgischen Schiffe muten dem Konsul eine Musterrolle der Mannschaft vorlegen, Kapitnen, die dieser Pflicht nicht nachkamen, drohte im uersten Fall die Beschlagnahme ihrer Ladung. Die Konsuln sollten im Gegenzug die Schiffer ber die rtlichen Zoll- und Abgabege-bhren informieren und in Not geratenen Seeleuten Beistand leisten. Wichtigste Aufgabe der Konsuln war die jhrliche Berichterstattung ber die ein- und ausge-laufenen Schiffe unter herzoglicher Flagge, dazu eine generelle bersicht der Schif-fahrt und Handlung in den jeweiligen Hfen des Konsulatsbezirks und ein Ver-zeichnis aller ein- und ausgelaufenen Schiffe nach Nationen und Flaggen geordnet. Die oldenburgischen Konsuln bekleideten nach ihrer Berufung einen reinen Ehren-posten, besoldete Berufskonsuln gab es nicht. Fr die Konsuln bedeutete die Beru-fung vor allem eine Steigerung ihres Prestiges. Viele kalkulierten sicher damit, da der Titel eines Konsuls auch ihren Geschften frderlich sein und ihnen bei Schwie-rigkeiten ihrer Firma nutzen knnte. Um den Ruf des Staates Oldenburg und zu-verlssige Arbeit zu gewhrleisten, wurden oft Bewerber angenommen, die bereits die Vertretung anderer Staaten innehatten. Dies stie allerdings bei manchen Schif-fern auf Widerspruch, die - bisweilen zu Recht - befrchteten, ein Konsul, der di-verse Staaten vertrete, knne ihre Belange nicht angemessen wahrnehmen2 1) . Obwohl Brodersen auch das Amt eines hannoverschen Konsuls bekleidete, konnte ihm im Texas-Fall eine mangelhafte Vertretung der Oldenburger Interessen nicht vorgeworfen werden. Er tat im Rahmen seiner Mglichkeiten alles Notwendige. Gleichwohl traten einige typische Probleme zutage, die auf die Verpflichtung von Kaufleuten als Honorarkonsuln allgemein zurckzufhren sind. Zur Illustration sei im folgenden kurz Brodersens Werdegang als Oldenburger Konsul beschrieben: Brodersen hatte selbst die Initiative ergriffen, oldenburgischer Konsul zu werden. Er hatte 1856 in einem Schreiben an den oldenburgischen Konsul in Bremen, O. Thyen, darauf hingewiesen, da Oldenburg in China noch keine Konsulate habe und die Kapitne oldenburgischer Schiffe auf die Hilfe fremder Konsuln angewie-sen seien. Da aber der Verkehr Oldenburgischer Schiffe in den hiesigen Gewssern immer lebhafter wird, habe er sich gedacht, ob es der Groherzog nicht fr wnschenswert hielte, im Interesse der Schiffahrt und des Handels ein Konsulat in China zu erff-nen. Er selbst wrde sich sehr geschmeichelt fhlen, wenn ihm diese Ehre zuteil wrde, und er wrde es sich zur Aufgabe machen, die Oldenburgischen Interessen aufs wrmste zu vertreten22). Brodersen forderte Thyen auf, seinen Einflu geltend zu machen, weil er schlielich an vielen Oldenburger Schiffen beteiligt sei. Thyen schlug Brodersen daraufhin als Konsul fr Shanghai vor, und das oldenburgische Staatsministerium schien gegen den Vertreter der Firma W. Pustau & Co. keine Be-denken zu haben: Brodersen wurde am 28. August 1857 zum Konsul in Shanghai

    21) H a r t m a n n , Konsulatswesen (s. Anm. 19), S. 137 II. 22) Brodersen an Thyen, Shanghai, 25.5.1856, StAO, Best. 70 Nr. 7072: Errichtung eines Oldenburgischen

    Konsulats in Shanghae |sic!| in China 1852-1862.

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    Colonial Soorotary's Oflioo, Victoria, Hongkong, 15th I-VbrLjary, 1858. AV lti.

    G O V E R N M E N T N O T I F I C A T I O N . C. JIrodfrskn, r.5'[uire, in nH-ognizcd provisionally aa Conaul at Hongkong for the (Jrand Duke of Oldonburg,

    nnlil tho nrrival of Her Majesty' Kxe

  • Der Texas-Fall" und die oldenburgische Auenpolitik 101

    Agenten atigedeilien zu hissen ...2') Im Mittelmeer war der Handel in erster Linie durch die Piraterie der sogenannten Barbareskenstaaten Nordafrikas bedroht, die ihre Raubzge kurzzeitig sogar in die Nordsee ausgedehnt hatten. sterreich-Un-garn konnte aber allenfalls als Schutzmacht fr das Mittelmeer herangezogen wer-den, eine noch wichtigere Rolle spielte deshalb die Anbindung an Preuen. Im Ver-trag ber die Abtretung des Jadegebiets an Preuen 1853 sicherte Preuen Olden-burg in Artikel 1 zu, alle Schiffe, welche Oldenburgisches Eigentlnun sind, wie diejenigen Schiffe, welche Preuisches Eigenthum sind, und unter Preuischer Plagge fahren, unter den Schutz seiner Kriegsmarine zu stellen28). Dieser Passus kam in dem Texas-Fall zum ersten Mal zur Anwendung und zog die Involvierung Preuens und Grobri-tanniens in dem oldenburgischen Streben nach Genugthuung" nach sich. Zugleich war das diplomatische Nachspiel des Schiffbruchs der Texas" der erste Testfall fr den effektiven Nutzen, der aus einem solchen Abkommen gezogen werden konnte. Da das Groherzogtum keine Aussichten hatte, allein mit einer Forderung nach Entschdigung fr Kapitn und Mannschaft sowie einer Bestrafung der Schuldigen an die chinesische Regierung Erfolg zu haben, wandte sich die Staatsregierung ber ihren Vertreter in Berlin, Dr. Friedrich August von Liebe2"), mit der Bitte um Unter-sttzung an Preuen. Dieser schrieb am 11. Dezember 1857 an den preuischen Mi-nisterprsidenten von Manteuffel30). In de m Brief beschrieb Liebe den Vorfall und fgte den Bericht des oldenburgischen Konsuls zu Shanghai, Brodersen, der sich zum Zeitpunkt der Vorflle in Hongkong aufhielt, und seines Stellvertreters Probst in Shanghai bei. In diesem Schreiben berief er sich auf die Frsorge, welche seitens der Kniglich Preuischen Regierung zur Entwickehing der deutschen Schiffahrt zu Tlieil wird und im Vertrauen auf den Schutz, welchen Preuen im Auslande seinen Zollverbndeten geivhrt, und bat um Beistand und Vermittlung. Konkret bat Liebe um eine Prfung und Erzeugung der mglichen Schritte und um Ergreifung der Maregeln durch -welche Genug-thuung zu erhalten wre.

    Es ist bemerkenswert, da Liebe in diesem ersten Schreiben lediglich an die allge-meine Frsorge Preuens fr die deutsche Schiffahrt appellierte und damit eher vage das Verantwortungsgefhl Preuens ansprach. Erst in einem zweiten Brief vom 16. Dezember berief sich Liebe ausdrcklich auf die Vereinbarungen des Jade-vertrags. Er habe auf diesen im ersten Schreiben nicht ausdrcklich Bezug genom-men, sondern das was dieser Artikel bestimmt, als ohnehin in den Interessen Preuens lie-gend, voraus gesetzt. Um inde die in Betracht kommenden Gesichtspunkte vollstndig zu nennen, erlaubt sich der ganz ergebenst Unterzeichnete auch jenen Artikel anzufhren, nach welchem den Oldenburgischen Schiffen der Schutz durch die Preuische Marine gleich

    27) F. A. S t r a c k e r j a n , Schiffahrts-Handbuch. Eine Sammlung der Handels- und Schiffahrls-Vertriige und der Schiffahrts-Gesetze und Verordnungen Oldenburg, Oldenburg 1853, S. 28 f.

    28) Der Jadevertrag vom 20.7.1853 ist vollstndig abgedruckt in: Walter O r d e m a n n , Preuen und Ol-denburg 1852-1854. Geheimvertrge ber das Jadegebiet und Kniphausen, Oldenburg 1996, S. 76-84, hier 76.

    29) Dr. Friedrich August von Liebe war braunschweigischer Gesandter in Berlin und vor 1866 nebenamt-lich Ministerresident fr Oldenburg.

    30) Liebe an Manteuffel, Berlin 11.12.1857. GStA (wie Anm. 5), Otto Theodor von Manteulfel (1805-1882), seit 1850 preuischer Ministerprsident und Auenminister.

    1?.

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    den Preuischen Schiffen verheien istM). Damit geriet Manteuffel unter Zugzwang, und tatschlich begannen preuische Aktivitten auch erst nach diesem zweiten Schreiben. Es bleibt fraglich, warum sich Liebe erst im zweiten Brief auf die ver-traglichen Bindungen berief und sie im ersten Brief nicht einmal andeutete. Der Vertrag mu Liebe auf jeden Fall bekannt gewesen sein. Ob er einen Hinweis er-hielt, da Preuen auf bloe Appelle an die Solidaritt kaum aktiv werden und sich auch nicht von selbst an seine vertraglichen Verpflichtungen erinnern wrde, kann nicht beantwortet werden. Leider ist der Vorgang im Bestand des groherzoglichen Staatsministeriums nicht mehr vorhanden, der vielleicht Aufschlu ber diese Frage geben knnte12). Nach diesem zweiten Schreiben beauftragte Manteuffel den preuischen Konsul in Kanton, Richard von Carlowitz") , zusammen mit den oldenburgischen Vertretern nach einer Lsung zu suchen, und wies den preuischen Gesandten in London, Graf Bernstorff14), an, bei der englischen Regierung um Untersttzung nachzusuchen "). Bei diesen Vorgngen zeigte sich, wieviel der preuische Schutz fr die oldenburgi-sche Seefahrt im Grunde genommen wert sein konnte: Ohne eigene Kriegsschiffe in bersee war Preuen genau wie Oldenburg auf konsularische Verhandlungsfh-rung oder die Untersttzung durch eine Seemacht angewiesen. Der Unterschied zwischen Oldenburg und Preuen bestand allerdings darin, da Preuen zumin-dest mit Aussicht auf Erfolg um britische Untersttzung ersuchen konnte, das Groherzogtum wre mit einem solchen Ansinnen wohl kaum ernst genommen worden. Die Reaktion Lord Ciarendons3 6) war wenig enthusiastisch. Er teilte Berns-torff mit, da England bereits viele Angelegenheiten auf dem Halse habe, und da er nicht gerade geneigt sei, fr den Groherzog von Oldenburg irgendetwas zu tliun -welcher sich so sehr schlecht gegen einen brittisclien |sic!| Linterthan, den Grafen Bentinck, benhme. fgte aber dann hinzu, da er fr Preuen stets gern etwas tliun wrde* ). Lord Claren-don fhrte hier den oldenburgisch-bentinckschen Erbschaftsstreit an, der geringe Enthusiasmus der Briten drfte allerdings durch die Lage in China begrndet wor-den sein. Graf Bernstorff verwies auf das militrische Vorgehen der Briten in China: Euer Excellenz wird es ohne Zweifel bekannt geworden sein, da ein Angriff auf Canton von Englischer Seite vorbereitet wird. Man ist der Meinung, da 5000 Mann dazu aus-reichen, und Lord Clarendon glaubt, da die Englischen Streitkrfte nach Verstrkung

    31) Liebe .in Manteuffel, Berlin 16. 12. 1857. GStA (wie Anm. 5). 32) Der Vorgang ber den Texas-Fall ist lediglich noch im Findbuch ausgewiesen. ber das Oldenburger

    Diarium lt sich der Briefwechsel nur allgemein nachvollziehen. 33) Richard von Carlowitz (1817-1886) war 184h mit einer Handelsexpedition nach China gekommen

    und hatte 1846 eine eigene Firma gegrndet. Im gleichen Jahr bernahm er, auch um seine Geschfts-ttigkeit politisch und gesellschaftlich zu untersttzen, die konsularische Vertretung fr Preuen und Sachsen. Im Januar 1859 wurde Carlowitz auerdem zum oldenburgischen Geschftstrger in Kanton ernannt.

    34) Albrecht Graf von Bernstorff (181)9-1873). 35) Die Anfrage ist kurz erwhnt in: Jrg D u p p l e r , Der Juniorpartner. England und die Entwicklung

    der deutschen Marine, Herford 1985, S. 249, nach dem Bestand des Foreign Office im Public Record Office, London.

    36) George William Frederick Villiers Earl of Clarendon (1800-1870), 1853-1858 britischer Auenminister. 37) Bernstorff an Manteuffel, London, 31.12.1857. GStA (s. Anm. 5). Die Anfrage an Lord Clarendon hatte

    Bernstorff offensichtlich am gleichen Tilg eingereicht.

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    durch ein Paar hingesandte Regimenter im Stande sein werden, den Angriff zu unterneh-men18). Hintergrund war der Arrow-Krieg" bzw. clor zweite Opiumkrieg", der sich letzt-endlich bis 1860 hinzog. Die angeblich illegale Durchsuchung der Lorcha Arrow" durch die chinesischen Behrden diente Frankreich und Grobritannien im Oktober 1856 als Anla, China den Krieg zu erklren19). Kurz darauf wurden die Forts an der Bocca Tigris niedergekmpft und Kanton beschossen. Nach dem verzgerten Eintreffen der anglo-franzsischen Truppenkontingente wurde Kanton im Januar 1858 eingenommen, der Gouverneur gefangengenommen und zur Internierung nach Kalkutta verschifft. Nachdem sich die Kriegshandlungen, darunter kleinere Gefechte mit Flottillen von Kriegsdschunken, ber das Jahr 1857 hingezogen hat-ten, erreichte die britische Expeditionsflotte im Mai 1858 die Peiho-Mndung. Am 20. Mai 1858 eroberten Seestreitkrfte die Dagu-Forts. Wenig spter traf bereits eine chinesische Verhandlungsdelegation ein, und nach vielen Verzgerungen und sepa-raten Verhandlungen mit den einzelnen Verbndeten wurde am 26. Juni 1858 der Vertrag von Tianjin unterzeichnet. Die Bedingungen fr eine eventuelle Schtzen-hilfe waren somit 1857 und 1858 denkbar ungnstig, fr Grobritannien hatten die eigenen militrischen Operationen eindeutige Prioritt.

    Selbst wenn Grobritannien sich fr die oldenburgischen Belange eingesetzt htte, wren die Aussichten auf Erfolg gering gewesen. Fr die Schiffe der Royal Navy war es kaum mglich, tausende von Meilen Kste effektiv zu berwachen, die mit unzhligen Buchten, kleinen Inseln, Riffen und schwierigen Strmungsverhltnis-sen Piraten ein hervorragendes Umfeld bot. Dazu durften auslndische Schiffe nicht ohne Genehmigung der chinesischen Behrden in diese Kstengewsser ein-dringen. Piratenschiffe durften auerdem nur angehalten werden, wenn sie auf fri-scher Tat ertappt wurden oder wenn eindeutige Beweise vorlagen, und jegliches Vorgehen gegen sie war somit entweder weitgehend aussichtslos oder heikel40). Im Zuge der Piratenbekmpfung kam es auch teilweise zu einer Zusammenarbeit mit den chinesischen Behrden4 1). Nach der Vernichtung eines groen Piratensttz-punkts etwa vierzig Meilen nordstlich von Hongkong, bei dem 1849 23 bewaffnete Dschunken zerstrt und ungefhr 500 Piraten gettet wurden, gab es verschiedene Anfragen chinesischer Lokalbehrden und Marinevertreter um Untersttzung, die von den Briten wiederum fast immer geleistet wurde. Es gab mehrere gemeinsame

    38) Bernstorff an Manteuffel, London, 31.12.1857. GStA (s. Anm. 5). 39) Der Arrow" wurde Piraterie vorgeworfen. Die Lorcha war zwar in Hongkong registriert gewesen,

    ihre Registrierung aber II Tage zuvor abgelaufen. Sie war zwar noch berechtigt, bis zu ihrer Rck-kehr die britische Flagge zu fhren, ob sie diese auch gehit hatte, ist nicht sicher. Cambridge Historv of China, Vol. 10, LateCh'ing, 1800-1911, Part I, hg. von John K. F a i r b a n k , C a m b r i d g e 1978, S. 246

    40) Gerald S . G r a h a m , The China Station. War and Diplomacy 1830-1860, Oxford 1978, S. 268 f. 41) Die britischen Manahmen zur Piratenbekmpfung brachten die chinesischen Behrden paradoxer-

    weise in noch grere Schwierigkeiten, da sich viele, gerade professionelle Piratenbanden in die Flsse zurckzogen. Hier durften die Briten ihnen nicht folgen, und die chinesische Kstenwache war viel zu schwach, um gegen sie effektiv vorzugehen. Zustzlich wurde Hongkong, trotz der o.g. Manahmen, ein wichtiger Versorgungshafen fr Piraten; vermutlich war sogar ein Teil der Piraten-schiffe in Hongkong als Handelsschiffe registriert und fuhr somit unter britische Flagge. Vgl. Jona-than D. Spence ,God 'sChinese Son, London 1997, S. 82 f., und G r a h a m (s. Anm. 40), S. 271.

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    Aktionen, nach deren Erfolg die gefangenen Piraten an die chinesischen Behrden bergeben wurden42). Es ist allerdings festzuhalten, da ein effektiver Schutz fr ein-zelne Schiffe durch die fremden Kriegsschiffe in den chinesischen Gewssern nicht zu leisten war. Noch in den 1870er Jahren konstatierte Kapitn zur See Carl Paschen, Kommandant der Kreuzerfregatte S.M.S. Leipzig", da die Sicherheit fremder Schiffe bei Vernachlssigung strikter Vorsichtsmanahmen auch heute noch durch nichts gewhrleistet" sei: Die Gelegenheit macht eben jeden Chinesen der Kiiste zum See-ruber, worin er eine ihm von der Vorsehung gebotene willkommene Wahrnehmung berech-tigter Interessen erblickt, nicht schlimmer als unser Strandrecht vor gar nicht langer Zeit41). Es verwundert somit nicht weiter, da Lord Clarendon nicht bereit war, die Forde-rungen Oldenburgs militrisch zu untersttzen. Die eigenen Seestreitkrfte waren durch die Operationen im zweiten Opiumkrieg eingebunden, und Oldenburg war -auch vertreten durch Preuen - kein Staat, d e m sich Grobritannien besonders ver-pflichtet fhlte. Ciarendons einziges Zugestndnis in seiner Antwort auf Bernstorffs Memoire war dahingehend, da der Grobritannische Consul in Amoy oder Shangai [sie!] angewiesen werden wird, sich mit dem diesseitigen Kniglichen Consuln ber die, zur Erlangung einer Genugthuung seitens der Chinesischen Regierung zu machenden Schritte in Vernehmen zu setzen, und denselben in jeder mglichen Weise zu untersttzen44). Fast drei Wochen spter teilte Clarendon Bernstorff mit, er habe Lord Elgin, den briti-schen Oberbefehlshaber in China, instruiert, sich mit dem Kniglichen Konsul von Car-lowitz in Verbindung zu setzen, um zu untersuchen, was in dem vorliegenden Falle zu tliun sei und in welcher Weise die Schritte des letzteren von Englischer Seite untersttzt werden knnen4,). Manteuffel hatte bereits Carlowitz angewiesen, mit seinem engli-schen Kollegen Verbindung aufzunehmen und gemeinsam dahingehend zu wirken, da seitens der Chinesischen Behrden eine strenge Untersuchung des in Rede stehenden Vorfalls angeordnet und event. auf Bestrafung der Schuldigen sowohl als auf Ersatz des zu-gefgten Schadens Betreff genommen werde ). Nun konnte Manteuffel auch Liebe mit-teilen, da man gerne bereit sei, das Oldenburger Anliegen zu untersttzen. Die englische Regierung habe ihren Beistand zugesagt, und der preuische Vertreter Carlowitz sei benachrichtigt4 ' ) .

    Die Anweisungen an Carlowitz knnen frhestens Anfang Mrz eingetroffen sein. Carlowitz hatte sich auf das Schreiben vom 14. Januar 1858 hin mit dem Oldenbur-ger Konsul in Hongkong darber ins Benehmen gesetzt48). Nach Carlowitz' Bericht stimmten beide sehr decidirt darin berein, da sich jetzt nach so langer Zeit nichts wird tliun lassen, um einen bleibenden Eindruck bei der seeruberischen Bevlkerung der Kste von Fokien und Chekiang zu hinterlassen oder gar Schaden ersatz zu erhalten4"). Die chi-

    42) G r a h .1 m (s. Anm. 40), S. 27.1 ff. 43) [Carl] P a s c h e n , Aus der Werdezeit zweier Marinen. Erinnerungen aus meiner Dienstzeit in der k.k.

    sterreichischen und kaiserlich deutschen Marine, Berlin 1908, S. 211. 44) Bernstorff an Manteuffel, London, 4.1.1858. GStA (s. Anm. 5). 45) Bernstorff an Manteuffel, London, 20.1.1858. GStA

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    Abb. 5: Richard von Car-loxvitz, seit 1846 preui-scher Konsul in Kanton, ab Januar 1859 auch ol-denburgischer Geschfts-trger (Bild: Firma Car-lowitz&Co., Hamburg).

    nesischen Autoritten seien viel zu schwach, um ruberische berflle zu verhin-dern oder zu ahnden, ebenso seien sie wie jede andere Regierung nicht fr Akte der Piraterie verantwortlich, und chinesische Fahrzeuge wrden ebenso geplndert wie fremde. Im Falle der Texas" kam noch hinzu, da der berfall auf die Dschunke nicht der Oldenburger Mannschaft gegolten habe. Die Diebereien", die bereits an Bord der Dschunke vorgekommen waren, verwunderten nicht weiter, denn leider helfen sich die Mannschaften dieser Kstenfahrzeuge wie sie knnen, sie sind also liebe Leute oder Piraten je nach den Umstnden50). Carlowitz betont, da es jedem Kapitn und der Mannschaft, die die chinesische Kste befuhren, bekannt war, da sie im Falle einer Strandung ausgeplndert wer-den und wiederholt Schiffbrchige als Geiseln genommen wurden, um Lsegelder zu erpressen. Es sei zwar vorgekommen, da bei Beteiligung von englischen Schif-fen ein Kriegsschiff entsandt worden sei und durch Drohungen Gefangene befreit worden seien. Auch sei im vorigen Jahr ein niederlndisches Kriegsschiff auf die Plnderung eines niederlndischen Schiffes und der Mihandlung seiner Besat-

    50) Ebd.

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    ziing hin an Ort und Stelle gegangen. Die Niederlnder htten aber die Bewohner des Ortes lediglich ermahnt und im Wiederholungsfall mit der Zerstrung des Dor-fes gedroht, weitere Manahmen aber unterlassen. Ein solches Vorgehen wre denkbar gewesen, wenn ein preuisches Kriegsschiff den Ort der Plnderung der Besatzung der Texas" aufgesucht htte, aber es ist groe Vorsieht nthig, um die Strandbewohner nicht zu alarmiren; jetzt lassen sie es bei Plnderung bewenden; wrden sie aber einmal empfindlich gestraft, und gingen Leben verloren, so wrde in knftigen Strandungsfllen das Leben der Mannschaften auch gefhrdet sein die dorthin verschlagen werden mchten. Eine Schadloshaltung oder ein Ersatz ist von den Chinesischen Autorit-ten in keinem Falle beansprucht -worden, weder von Englndern noch von Hollndern oder Amerikanern5*).

    Carlowitz hielt ein Eingreifen fr zwecklos. Selbst wenn ein Kriegsschiff zur Verf-gung stnde, wre es wohl inzwischen kaum noch mglich, den genauen Platz des berfalls ausfindig zu machen, damit sei ein Strafgericht" vor Ort schwerlich durchzufhren. Die Englnder wrden gerade zu diesem Zeitpunkt keine Opera-tionen fr andere Nationen durchfhren, da sie zum einen kaum ein Kriegsschiff entbehren knnten und zum anderen kein Interesse htten, die gleichzeitig stattfin-denden Verhandlungen in Tianjin zu stren. Carlowitz hatte den Texas"-Fall auch mit dem britischen Superintendent of Trade, Sir John Bowring, besprochen, dieser wies ihn gleichfalls darauf hin, da kein Gouvernement fr Seerubereien aufkommen knne und da die Englnder selbst oft im Falle seien diese -wohlbekannten Rubereien un-gestraft zu lassen. Mit dem Einvernehmen, das nun in den Vertragsverhandlungen mit China angestrebt werde, sei auch beabsichtigt, eine Vereinbarung zur Unter-drckung des Piratenunwesens zu treffen. Ein internationales Einvernehmen hielt Bowring danach fr um so wnschenswerter und wnsche nichts mehr, als da die neulich in den Zeitungen verbreitete Nachricht von dem Herauskommen einer Preuischen Fregatte sich bewahrheite52). Diesem Wunsch schlo sich Carlowitz ausdrcklich an. In dem Schreiben wird der begrenzte Handlungsspielraum eines Konsuls deutlich. Carlowitz besa keinerlei Mglichkeiten, auf die chinesischen Behrden Druck aus-zuben oder gar selbst Manahmen fr die Entschdigung der Mannschaft der Texas" oder die Bestrafung der Strandbewohner zu ergreifen. Nicht umsonst war Carlowitz sehr darauf bedacht, immer wieder die Aussichtslosigkeit von Verhand-lungen mit den chinesischen Behrden zu betonen, mglicherweise wollte er auch Schaden fr die Geschfte seiner Firma in einem Streitfall vermeiden. Auerdem war Carlowitz wegen der Kriegshandlungen und der unsicheren Lage in Kanton nach Macao bergesiedelt '), und selbst das Anknpfen von Verhandlungen in Kanton war schwer mglich. Bemerkenswert ist die stndige Betonung, wie wn-schenswert es wre, wenn Preuen endlich ein Kriegsschiff in die ostasiatischen Ge-wsser entsenden wrde. Hier drckte sich auch der Wunsch aus, im Falle von Re-klamationen selbstndig handeln zu knnen und nicht zwangslufig als Bittsteller auf fremde Hilfe angewiesen zu sein.

    31) Ebd. 52) Ebd. 53) Karl von S c h e r z e r , Reise der sterreichischen Fregatte Novara um die Erde, in den Jahren 1857,

    1858, 1859, Beschreibender Teil. 2. Band, Wien 1866, S. 28.

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    Carlowitz reflektierte hier die Ansichten vieler deutscher Residenten in bersee. Be-reits die Bildung der deutschen Bundesflotte von 1848 hatte in Denkschriften und Planungen unter dem Einflu von Freihandelsideologie und Navalismus gestanden und war auf den Einsatz deutscher Kriegsschiffe in bersee ausgerichtet. Die Ham-burger Marinekommission hatte in ihrem Bericht die Stationirung von Kriegsfahrzeu-gen in solchen Gegenden vorgesehen, wo deutscher Handel oder deutsche Einwohner des Schutzes bedrfen, oder wo neue Handelsbeziehungen zu begrnden sindM). Auch Prinz Adalbert, einer der eifrigsten Verfechter der Bildung einer Marine, hatte sich in ei-ner Denkschrift ber die Bildung einer deutschen Kriegsflotte zu der Bedeutung der Marineprsenz im Ausland geuert: Ebenso wrden wir unserer jungen l'lngge in den chinesischen Gewssern diejenige Achtung nthigenfalls erzwingen knnen, deren dort die anderen seefahrenden Nationen bereits genieen^). Er sah vor, den deutschen Han-del durch die Einrichtung von Marinestationen zu schtzen, die durch einzelne Fre-gatten oder gegebenenfalls auch ein Geschwader besetzt werden sollten*'). Pi inz Adalbert orientiert sich bei dieser Einteilung an den Stationen der Royal Navy, seine Einteilung wurde spter von der Marine des Norddeutschen Bundes und der kaiserlichen Marine weitgehend umgesetzt. Zunchst blieb von den hochtrabenden Plnen wenig, nach dem Scheitern der Flottenplne war nur noch ein Trmmer-feld guter Absichten und eine Flottille auf der Weser" briggeblieben, und die Pla-nungen der preuischen Marine bis 1858 sahen keine globalen Aufgaben v o r ' ) . Erst Ende der 1850er Jahre kam die Frage der Entsendung von Kriegsschiffen nach Ostasien wieder in Gang. Die sterreichisch-ungarische Fregatte Novara" hatte auf ihrer Weltumseglung 1857-1859 auch in China Station gemacht und war von den deutschen Residenten begeistert empfangen worden, darunter der oldenburgische Konsul Probst, in dessen Haus die Vertreter der Expedition in Shanghai wohnten'*). Karl von Scherzer, wissenschaftlicher Begleiter der Novara-Expedition, betonte in seinem Expeditionsbericht, wie wichtig die Stationierung eines Kriegsschiffes sei: Viele schreiende Ungerechtigkeiten, welche dermalen ungestraft an hiilosen deutschen Kaufleuten und Capitns in den chinesischen Hfen begangen werden, wrden nicht ge-schehen noch geschehen knnen, wenn auch nur Ein deutsches Kriegsschiff in den chinesi-schen Gewssern stationirt wre ). Der Texas-Fall spielte zwar in der Debatte ber die Prsenz preuisch-deutscher Kriegsschiffe in bersee keine weitere Rolle, aber je-der Fall dieser Art machte gerade fr die deutschen Residenten in den entsprechen-den Lndern die Flottenfrage aktuell. Diese Vorstellungen wurden bald darauf von Preuen mit der Entsendung der Eulenburg-Expedition umgesetzt, die Vertrge mit China, Japan und Siam abschlo und damit gleichzeitig die Fhrungsrolle Preuens

    54) Zitiert nach: Wolfgang P e t t e r , Programmierter Untergang. Die Fehlrstung der deutschen Flotte von 1848, in: Militrgeschichte. Probleme - Thesen - Wege. Hrsg. vom Militrgeschichtlichen For-schungsamt, Stuttgart 1982, S. 150-170, hier 154.

    55) Adalbert, Prinz von Preuen, Denkschrift ber die Bildung einer deutschen Kriegsflotte, Potsdam 1848, S. 20.

    56) Ebd. 57) Wolfgang P e t t e r : Die berseeische Sttzpunktpolitik der preuisch-deutschen Kriegsmarine 1859-

    1883, Freiburg/Br. 1975, S. 20 und 28 ff. 58) S c h e r z e r (s. Anm. 53), S. 89. 59) Ebd., S. 103.

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    in der Vertretung deutscher Belange in bersee unterstrich. Diese herausragende Rolle Preuens war fr die kleineren norddeutschen Staaten wie Oldenburg bereits prdestiniert, wie der Texas-Fall deutlich zeigt. Eine regelmige Prsenz preu-isch-deutscher Kriegsschiffe kam erst 1869 mit der Entsendung der Korvette S.M.S. Medusa" zustande, die Einrichtung einer Ostasiatischen Station wurde ein Jahr spter mit der Entsendung der S.M.S. Hertha" vervollstndigt. Hier ist der Beginn eines konstanten militrmaritimen Engagements und damit der Beginn deutscher Kanonenbootpolitik in China zu sehen.

    Fr den Texas-Fall hatten diese Entwicklungen keine Bedeutung mehr. Obwohl Carlowitz offensichtlich nur begrenzte Anstrengungen unternommen hatte, bestan-den nach dem Eintreffen seines Berichts im Juni 1858 kaum noch Aussichten, die Entschdigungsforderungen umzusetzen. Preuens Mglichkeiten waren begrenzt und, wie die Vertragsverhandlungen mit China durch die Eulenburg-Expedition 1861 zeigen sollten, in Ostasien kaum bekannter als Oldenburg. Es blieb Manteuffel nur noch brig, dem oldenburgischen Vertreter die mageren Resultate der preui-schen Bemhungen mitzuteilen6"). Auch die Oldenburger Behrden sahen offen-sichtlich keinen Anla, diese aussichtslos scheinende Sache weiterzuverfolgen. Ob Kapitn Hegemann und seine Besatzung vom Oldenburger Staat oder von anderer Stelle irgendeine Form von Kompensation erhielten, ist nicht bekannt. Der Texas-Fall ist ein herausragendes Beispiel fr die diplomatischen Verhltnisse und die auenpolitische Stellung des Groherzogtums Oldenburg. Die Bemhun-gen um Genugthuung" fr die Schiffbrchigen der Texas" zeigen die Reichweite ebenso wie die Grenzen der oldenburgischen Auenpolitik auf. Gleichzeitig wer-den an den Verhandlungen zwischen Oldenburg, Preuen und Grobritannien grundlegende Mechanismen der Diplomatie und der Interessenvertretung dieser Zeit deutlich. Der oldenburgische Staat wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit dem Zeitalter des Freihandels konfrontiert und reagierte mit der Einrichtung eines weltweiten Netzes von Konsulaten und der Anlehnung an die deutschen Vor-mchte Preuen und sterreich durch den Abschlu von Vertrgen zum Schutz der oldenburgischen Schiffahrt. Die Involvierung in den Texas-Fall zeigte allerdings auch auf, wie limitiert die Mglichkeiten Oldenburgs waren, denn jenseits des en-gen Erfahrungshorizontes der oldenburgischen Auenpolitik war man vllig auf das Wohlwollen von Gromchten angewiesen, die - wie hier Grobritannien - im Zweifelsfall kaum geneigt waren, den Interessen eines nordwestdeutschen Klein-staates besondere Beachtung zu schenken. Nicht zuletzt war der Texas-Fall der er-ste Test fr den preuischen Schutz der oldenburgischen Schiffahrt. Oldenburg mute feststellen, da die europische Gromacht Preuen in bersee ber kaum weitreichendere Mittel als das Groherzogtum selbst verfgte und weder die eige-nen noch oldenburgische Interessen in China wirkungsvoll vertreten konnte - der Passus im Jadevertrag erwies sich als wenig mehr als eine Absichtserklrung.

    60) Manteuffel an Liebe, Berlin, 19.6.1858. GStA (s. Anm. 5).

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  • Oldenburger Jahrbuch 101, 2001 109

    Alfred Flener

    Gemeindeglieder im evangelischen Kirchenkampf

    Der Fall Wiefels 1934-1940

    Der ev. Kirchenkampf wurde bislang vorwiegend mit Blick auf das amtskirchliche Geschehen untersucht, whrend die Vorgnge in den Kirchengemeinden und hier insbesondere die Handlungsweisen und Haltungen der Gemeindeglieder nur in enger Beziehung dazu oder gar nicht wahrgenommen wurden. Dies gilt, wie noch gezeigt wird, weitgehend auch fr die neuere, flchendeckende Untersuchung des Kirchen-kampfgeschehens im Gebiet der oldenburgischen Landeskirche, die von Karl-Lud-wig Sommer vorgelegt wurde1). Die bei ihm wie in der Kirchenkampfforschung ins-gesamt dominierende Auseinandersetzung um die Problematik, ob bzw. inwieweit der ev. Kirchenkampf als eine Form des Widerstandes gegen die nationalsozialisti-sche Herrschaft bewertet werden kann, wird an dieser Stelle nicht fortgefhrt) . Viel-mehr soll anhand eines Fallbeispiels darauf aufmerksam gemacht werden, da das kollektive Verhalten der Gemeindeglieder im Kirchenkampf von sozialstrukturellen Gegebenheiten bestimmt sein konnte, hinter die politische oder kirchliche Konflikt-lagen zurcktraten. Damit verbindet sich die Forderung nach einem Perspektiven-wechsel: Die Wirkungsgeschichte des ev. Kirchenkampfes auf Gemeindeebene kann nur angemessen erfat werden, wenn gemeindeinterne Vorgnge im Kontext der all-tglichen Lebenswelt der historischen Akteure betrachtet werden. Im folgenden konzentriert sich die Darstellung auf die Vorgnge in dem friesischen Dorf Wiefels, einer der wenigen Oldenburgisi lien Landgemeinden, in denen es im Zusammenhang mit dem ev. Kirchenkampl ) zu schwerwiegenden lokalen Konflik-

    1) Karl-Ludwig S o m m e r , Bekenntnisgemeinschaft und bekennende Gemeinden in Oldenburg in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft. Evangelische Kirchlichkeit und nationalsozialistischer Alltag in einer lndlichen Region (Verffentlichungen der Historischen Kommission fr Niedersach-sen und Bremen 39, Bd. 5), Hannover 1993.

    2) Siehe hierzu und zur Forschungsentwicklung S o m m e r (s. Anm. 1), S. 13-40, 479-484; vgl. auch den Literatur- und Forschungsbericht von Beatrix H e r l e m a n n und Karl-Ludwig S o m m e r , Wider-stand, Alltagsopposition und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus in Niedersachsen |...|, in: Niederschsisches Jahrbuch fr Landesgeschichte (knftig: Ndsjb.) 60,1988, insbes. S. 261-269.

    3) Zum Kirchenkampf in der oldenburgischen Landeskirche insgesamt s. S o m m e r (s. Anm. 1); Rein-hard R i t t n e r , Die evangelische Kirche in Oldenburg im 20. Jahrhundert, in: Oldenburgische Kir-chengeschichte, hrsg. von Rolf S c h f e r in Gemeinschaft mit Joachim K u r o p k a , Reinhard R i 11 ner , Heinrich S c h m i d t , Oldenburg 1999, S. 643 ff., insbes. S. 695-749; vgl. u.a. auch d e r s . , Intakte oder

    Anschrift des Verfassers: Dr. Alfred Flener, Historiker, Artillerieweg 13, 26129 Ol-denburg.

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