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32 Brennende Autos, Barrikaden und die Polizei mar- schiert auf. Demonstrant_innen, Konfrontation. Riots und der Staat zeigt sein hartes Gesicht. Irgendwie kommen die Bilder einem bekannt vor. Aus den Be- richten der letzten Jahre, ob in der Tagesschau, Junge Welt oder in der BZ. Genua, Prag, Paris oder seit neu- stem auch wieder Berlin. In einem sind sich Rechte und Linke einig – der Riot ist zurück. Immer wieder Bilder unmittelbarer körperlicher Gewalt auf der Straße. Demonstrant_innen gegen Polizei. Doch warum eigentlich? Unwichtig? Hauptsache es kracht? Sozialkritik? Das Setting spielt eben nicht in der Tagesschau, live aus Friedrichshain oder der Schanze, sondern in dem Musikvideo zu Silbermonds Nummer Eins Single, »Ir- gendwas bleibt«, veröffentlicht Anfang des Jahres. Stefanie Kloß, die Frontfrau von Silbermond, liegt auf dem Asphalt. Warum liegt sie da? Man weiß es nicht. Nun gut, sie steht auf und schaut sich die Um- gebung an, aber alles außer ihr steht still. Demon- strant_innen mit Holzlatten und Steinen in den Hän- den, bereit zum Wurf. Sie stehen still – in Standbildern festgehalten. Daneben Verletzte und die Repräsen- tant_innen der Staatsmacht, kalt wie Roboter_innen, schlagen zu und sichern den Ort. Was sie schützen, ist unklar. Nach Linkin Parks Video zu »Shadows of the Day«, indem sich Demonstranten und Polizei bis zum Ein- satz von scharfer Munition gegenüber stehen, wurde das Thema auch vom deutschen Pop affiziert. Im Video geht es irgendwie auch um die Kritik an der Po- litik der inneren Sicherheit, aber auch um Zwi- schenmenschlichkeit, inmitten von relativ unbestimm- ter Gewalt. Nach konkreten Forderungen der Demonstrant_innen sucht man vergebens. Doch worum könnte es gehen? »Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit, in einer Welt, in der nichts sicher scheint. Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas das bleibt.« heißt es im Re- frain. Die Forderung auf der Textebene nach Sicherheit in einer schweren Zeit scheint die Mehrheit zu berühren. Auch die Adressierung ins Unbestimmte – es ist nicht klar, wer angesprochen wird – ist wohl be- kannt, jemand, die oder der helfen kann aber nicht. Eine Sicherheit, die es in der Welt nicht gibt. Eine Si- cherheit, die es scheinbar an einem anderen Ort geben kann, aber nicht im Video. Eine Sicherheit, die gegeben werden kann, aber von niemandem, die oder der da Ein U nvernehmen Renz ension zum Silbermond Vid eo »Irgendwas bleibt«. diskus 1.09

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Brennende Autos, Barrikaden und die Polizei mar-schiert auf. Demonstrant_innen, Konfrontation. Riotsund der Staat zeigt sein hartes Gesicht. Irgendwiekommen die Bilder einem bekannt vor. Aus den Be-richten der letzten Jahre, ob in der Tagesschau, JungeWelt oder in der BZ. Genua, Prag, Paris oder seit neu-stem auch wieder Berlin. In einem sind sich Rechteund Linke einig – der Riot ist zurück. Immer wiederBilder unmittelbarer körperlicher Gewalt auf derStraße. Demonstrant_innen gegen Polizei. Dochwarum eigentlich? Unwichtig? Hauptsache es kracht?Sozialkritik?

Das Setting spielt eben nicht in der Tagesschau, liveaus Friedrichshain oder der Schanze, sondern in demMusikvideo zu Silbermonds Nummer Eins Single, »Ir-gendwas bleibt«, veröffentlicht Anfang des Jahres.

Stefanie Kloß, die Frontfrau von Silbermond, liegtauf dem Asphalt. Warum liegt sie da? Man weiß esnicht. Nun gut, sie steht auf und schaut sich die Um-gebung an, aber alles außer ihr steht still. Demon-strant_innen mit Holzlatten und Steinen in den Hän-den, bereit zum Wurf. Sie stehen still – in Standbildernfestgehalten. Daneben Verletzte und die Repräsen-tant_innen der Staatsmacht, kalt wie Roboter_innen,schlagen zu und sichern den Ort. Was sie schützen, istunklar.

Nach Linkin Parks Video zu »Shadows of the Day«,indem sich Demonstranten und Polizei bis zum Ein-satz von scharfer Munition gegenüber stehen, wurdedas Thema auch vom deutschen Pop affiziert. ImVideo geht es irgendwie auch um die Kritik an der Po-litik der inneren Sicherheit, aber auch um Zwi-schenmenschlichkeit, inmitten von relativ unbestimm-ter Gewalt. Nach konkreten Forderungen derDemonstrant_innen sucht man vergebens. Dochworum könnte es gehen?

»Gib mir 'n kleines bisschen Sicherheit, in einerWelt, in der nichts sicher scheint. Gib mir in dieserschnellen Zeit irgendwas das bleibt.« heißt es im Re-frain. Die Forderung auf der Textebene nach Sicherheitin einer schweren Zeit scheint die Mehrheit zuberühren. Auch die Adressierung ins Unbestimmte –es ist nicht klar, wer angesprochen wird – ist wohl be-kannt, jemand, die oder der helfen kann aber nicht.Eine Sicherheit, die es in der Welt nicht gibt. Eine Si-cherheit, die es scheinbar an einem anderen Ort gebenkann, aber nicht im Video. Eine Sicherheit, die gegebenwerden kann, aber von niemandem, die oder der da

Ein UnvernehmenRenzension zum Silbermond

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ist. Eine potentielle Sicherheit. Ist dieser Ort der Si-cherheit das Private? Ist die Sicherheit jene, gemäß derheteronormativen Ordnung, die ein starker Mann derProtagonistin, in der bürgerlichen Kleinfamilie gebenkönnte? Ist er der Adressat? Gesagt wird es nicht.Nicht gesagt wird es auch nicht.

Was sich beim ersten, bloßen Hören nach einem an-gepassten Schmusesong in Zeiten »der Krise« anhört,bekommt durch das Sehen des Videos eine andereStoßrichtung oder könnte dies zumindest. Nach derStraßenschlacht ziehen die Demonstrant_innen vorbeiund stoßen die Sängerin dabei um. Für einen Momentscheint es gar, dass dies als Kritik am Protest gelesenwerden kann, wenn all das nur der kurzen Entladungder Gewalt wegen sein sollte. Doch so klar ist dasnicht. Am Ende ist es eine Frau aus den Reihen der De-monstrant_innen, die ihr aufhilft, die Nähe zulässt.Die ihr vielleicht Sicherheit gibt? Freundschaftsbezie-hungen als alternatives Angebot gegen die sozialeKälte und die Krisenstimmung in Zeiten der Unbe-stimmtheit? Was wird gezeigt? Was wird gesagt?

Gezeigt wird, dass es sicher nicht die Polizei ist, dieSicherheit gibt. Die knüppelt nieder. Der Staat wohlauch nicht, der ist die Polizei und die knüppelt nieder.Die Welt ist es auch nicht, die verliert den Verstand,das wird bereits im Text gesagt. Kritik der inneren Si-cherheit, oder gar der Polizeigewalt. Who knows.

Gesagt wird, »gib mir Sicherheit«. Wie? wo? undwer?, vor allem, was das ist, wird nicht gesagt. Wasbleibt, ist eine diffuse, unbestimmte Forderung, diewohl trotzdem mehrheitlich eher in eine bestimmteRichtung gelesen wird.

Die Relevanz des Musikvideos, mit an die 90.000Klicks auf der MTV Homepage, unsere 100 einmal ab-gerechnet, ist gering, verglichen mit dem Erfolg desLiedes auf deutschlands Radiostationen. Warum? DieFrage stellen wir uns auch. Nur so eine Ahnung: AmEnde gewinnt wohl eher eine bestimmte Lesart des re-lativ unbestimmten Textes gegen eine unklare Insze-nierung des Ganzen. Sinnfixierung gegen spielendeSignifikantenketten, Vereindeutigung gegen Vieldeu-tigkeit, lautstarke Verlautbarungen gegen das Unver-nehmen. Ein Kuschelsong und die Besinnung auf dieromantische Zweierbeziehung, kein Konzept füretwas anderes. Was bleibt, ist ein weiterer Charterfolgund eine Hitsingle für deutschlands Radio.

Markus Zwecker, Tobias Goll

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