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DANTE Deutschsprachige Anwendervereinigung T E X e.V. 14. Jahrgang Heft 4/2002 Dezember 2002

DANTE Deutschsprachige Anwendervereinigung TEX e.V. › DTK › PDF › komoedie_2002_4.pdfT E omödie DANTE Deutschsprachige Anwendervereinigung TEX e.V. 14. Jahrgang Heft 4/2002

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    DANTEDeutschsprachige

    Anwendervereinigung TEX e.V.14. Jahrgang Heft 4/2002 Dezember 2002

    4/2002

  • Impressum

    „Die TEXnische Komödie“ ist die Mitgliedszeitschrift von DANTE e.V. Der Bezugs-preis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge gebendie Meinung der Schreibenden wieder. Reproduktion oder Nutzung der erschiene-nen Beiträge durch konventionelle, elektronische oder beliebige andere Verfahren istnur im nicht-kommerziellen Rahmen gestattet. Verwendungen in größerem Umfangbitte zur Information bei DANTE e.V. melden.

    Beiträge sollten in Standard-LATEX-Quellcode unter Verwendung der Dokumenten-klasse dtk erstellt und an untenstehende Anschrift geschickt werden (entweder perE-Mail oder auf Diskette). Sind spezielle Makros, LATEX-Pakete oder Schriften dafürnötig, so müssen auch diese mitgeliefert werden. Außerdem müssen sie auf AnfrageInteressierten zugänglich gemacht werden.

    Diese Ausgabe wurde mit Hilfe folgender Programme erstellt: pdfTeX 3.14159-1.00b-pretest-20020211 (Web2C 7.3.7x), LaTeX2e (2001/06/01), AcrobatReader 4 und xdvi(k) 22.40k für die Bildschirmdarstellung. Als Standard-Schriften kamen die Type-1-Fonts CM-Super zum Einsatz.

    Erscheinungsweise: vierteljährlichErscheinungsort: HeidelbergAuflage: 2700Herausgeber: DANTE, Deutschsprachige Anwendervereinigung TEX e.V.

    Postfach 10 18 4069008 HeidelbergE-Mail: [email protected]

    [email protected] (Redaktion)

    Druck: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbHJohannes-Gutenberg-Str. 1–3, 97199 Ochsenfurt-Hohe Stadt

    Redaktion: Gerd Neugebauer (verantwortlicher Redakteur)Luzia DietscheRudolf HerrmannMoriz Hoffmann-Axthelm

    Gert IngoldRolf NiepraschkGünter PartoschBernd Raichle

    Volker RW SchaaHerbert Voß

    Redaktionsschluss für Heft 1/2003: 10. Januar 2003 ISSN 1434-5897

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Editorial

    Liebe Leserinnen und Leser,

    Das Jahr geht zu Ende und damit liegt jetzt auch die letzte Ausgabe derMitgliederzeitschrift dieses Jahrgangs vor. Wie immer nach Mitgliederver-sammlungen ist auch in dieser Ausgabe einiger Platz dem Vereinsinternengewidmet. In der Vergangenheit war es dann schon einmal so, dass danebennicht viel TEXnisches oder Typographisches zu lesen war. Dies ist in dieserAusgabe ganz anders. Ich glaube, ich erspare es mir, die einzelnen Beiträgenoch einmal anzupreisen. Das Inhaltsverzeichnis, die Autoren und die Bei-träge sprechen für sich selbst.

    Auf einen TEXnischen Punkt möchte ich an dieser Stelle ganz besonders ein-gehen, da er ansonsten nicht zu sehen ist. Bei der Korrektur der Artikel wollteich eine Kleinigkeit an einer Abbildung in dem Beitrag über Satzspiegelkon-struktionen geändert haben – die Schrift vor den Linien anstatt dahinter.Normalerweise liegen Abbildungen als EPS- oder PDF-Dateien vor. Je nach-dem, mit welchem Verfahren diese erzeugt worden sind, ist es dann meistensdas einfachste, den Autoren um eine Änderung zu bitten. Bei diesem Beitragwaren aber keine Abbildungsdateien dabei. Ein Blick in die Quellen hat dannauch gezeigt, dass die Abbildungen gänzlich mit LATEX-Mitteln gemacht wor-den sind. Das zeigt, dass selbst dieses Mittel noch lebt und dass man damitbrauchbare Ergebnisse erzielen kann. Und damit war es für mich dann auchein Leichtes, meine gewünschten Änderungen selbst vorzunehmen.

    Ich wünsche am Schluss allen Lesern ein frohes Weihnachtsfest und einenguten Rutsch ins neue Jahr, nicht ohne den Wunsch auszusprechen, dasssich in dieser geruhsamen Zeit der Eine oder die Andere das durchringt undeinen – mehr oder weniger – kleinen Beitrag für „Die TEXnische Komödie“zu schreiben. Damit kann dann hoffentlich das erste Heft im nächsten Jahrso interessant werden, wie es das letzte in diesem Jahr ist.

    Mit TEXnischen Grüßen

    Ihr Gerd Neugebauer

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Hinter der BühneVereinsinternes

    Grußwort

    Liebe Mitglieder,

    dieses Grußwort bricht mit der Tradition – so man nach vier Jahren da-von sprechen mag –, von beiden Vorsitzenden gemeinsam zu stammen. DerGrund hierfür ist allerdings harmlos: Volker RW Schaa hat sich rechtzeitig vorRedaktionsschluss in den Urlaub verabschiedet. Ich werde diese Gelegenheitprompt nutzen und in der zweiten Hälfte dieses Grußwortes eher persönlicheGedanken ausbreiten.

    Beginnen möchte ich mit einer Rückschau auf das Herbsttreffen in Augsburg.Es war eine sehr angenehme Tagung, nicht zuletzt wegen der hervorragendenArbeit, die Gerhard Wilhelms und seine Helfer geleistet haben. Einige Ideen(z. B. die Tafel mit den Klebepunkten) werden wir in der Zukunft bestimmtaufgreifen. Persönlich gefreut haben mich die Tutorien von Personen, derenGesichter noch nicht seit Jahren allgemein bekannt sind, und die große Teil-nehmerzahl, die mit über 60 praktisch das Niveau von Frühjahrstagungenerreichte.

    Nach den Terminen für die beiden DANTE-Tagungen im nächsten Jahr, dieschon im letzten Grußwort Thema waren, stehen auch die Termine der Eu-roTEX2003 und TUG2003 fest. Die EuroTEX2003 wird von Yannis Haral-ambous vom 24. bis 27. Juni 2003 an der Hochschule für TelekommunikationENST ausgerichtet. Diese befindet sich etwas außerhalb von Brest in Frank-reich. Wie der Zufall es will, nahm ich an genau diesem Ort vor zehn Jahrenan einer physikalischen Konferenz teil. Ich bin sicher, dass die reizvolle bre-tonische Küste zu einer angenehmen Atmosphäre beitragen wird (nach einerunruhigen Bootsfahrt zur Insel Ouessant damals empfehle ich allerdings, anLand zu bleiben). Exotisch, aber für europäische Teilnehmer leider schwererschwinglich, ist der Veranstaltungsort der TUG2003. Diese findet vom 20.bis 24. Juli 2003 in Hawaii statt.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Grußwort 5

    Eine Frage, die im letzten Grußwort noch offen bleiben musste, ist inzwi-schen geklärt. Der diesjährige CTAN-Abzug ist rechtzeitig fertig geworden.Wie Sie sicher gemerkt haben, ist er auf vier CD-ROMs angewachsen. DieseEntscheidung wurde kurzfristig getroffen, nachdem klar wurde, dass ein Zu-sammenstauchen des Inhalts von CTAN auf drei CD-ROMs nur mit Müheund Schmerzen zu machen gewesen wäre. Möglich wurde dieser Schritt dankder gewohnt guten Zusammenarbeit mit der Fachbuchhandlung Lehmanns.Es stellt sich die Frage – wie bereits auf der Mitgliederversammlung in Augs-burg andiskutiert – nach der weiteren Zukunft dieses jährlichen Projektes.Die meiste Arbeit, die ich als bisheriger Maintainer des Abzugs investiert ha-be, bestand in der Auswahl der Dinge, die angesichts des begrenzten Platzesnicht in den Abzug aufgenommen werden. Leider ist das Alter nicht immer einHinweis darauf, ob etwas dann auch veraltet ist. Auch wenn das Meinungs-bild auf der Mitgliederversammlung negativ war, wird sich meines Erachtensdie Frage nach einer Umstellung auf DVD langfristig immer wieder stellen –spätestens, wenn auch vier CD-ROMs nicht mehr reichen. Ein weiteres Pro-blem, das CTAN an sich betrifft, sehe ich darin, dass CTAN nur dann aktuellsein kann, wenn neue Versionen auch wirklich dort eingereicht werden. Ichfinde es unbefriedigend, wenn ich gelegentlich von Paketautoren gesagt be-komme, dass ich lieber die Version von der Homepage des Autors verwendensoll, weil die Version auf CTAN veraltet sei.

    Der geneigte Leser hat im vorigen Absatz vielleicht die Wendung „bisherigerMaintainer“ entdeckt. Nachdem ich es letzten Monat bereits vorstandsinternangekündigt habe, folgt hier nun auch die öffentliche Mitteilung, dass ich michaus zeitlichen Gründen nicht in der Lage sehe, diese Tätigkeit fortzuführen.Dieses Grußwort ist daher auch ein Aufruf an Freiwillige, denn ein Nachfolgerist noch nicht in Sicht. Selbstverständlich biete ich für die Einarbeitung mei-ne Unterstützung an. Die Arbeit am CTAN-Abzug macht übrigens durchausSpaß und ist auf etwa drei Wochen zeitlich begrenzt, während dieser Zeit je-doch intensiv. Ich hoffe, die CTAN-Abzüge der vergangenen drei Jahre habenIhnen Freude gemacht.

    Mit freundlichem Gruß

    Klaus Höppner(Stellvertretender Vorsitzender)

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 6 Beschlüsse der 27. Mitgliederversammlung

    Beschlüsse der 27. Mitgliederversammlung vonDANTE e.V. am 5. Oktober 2002 in Augsburg

    Günter Partosch

    Zeit: 5. Oktober 2002, ca. 10:15 Uhr–ca. 12:05 UhrOrt: Universität Augsburg

    Gebäude der Wirtschaftswissenschaftlichen FakultätHörsaalzentrum Wirtschaftswissenschaften, Raum 1106Universitätsstraße 2086159 Augsburg

    Teilnehmer: 33 (anhand der ausgegebenen Stimmkarten)Leitung: Volker RW Schaa (Vorsitzender von DANTE e.V.)Protokollant: Günter Partosch (Schriftführer von DANTE e.V.)

    Die Mitgliederversammlung wurde satzungsgemäß eingeladen und ist be-schlussfähig.

    TOP 1: Begrüßung; Vorstellung des Vorstands; Tagesordnung

    Begrüßung und Tagesordnung

    Volker RW Schaa begrüßt die Teilnehmer der 27. Mitgliederversammlung vonDANTE e.V. in Augsburg und stellt die Tagesordnung vor:

    1. Begrüßung; Vorstellung des Vorstands; Tagesordnung

    2. Bericht des Vorstands

    3. Förderung von TEX-Projekten

    ◦ Bericht über den aktuellen Stand

    ◦ Beschluss über die Bereitstellung neuer Projektmittel

    4. Verschiedenes

    Sie wird ohne Einspruch akzeptiert.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Beschlüsse der 27. Mitgliederversammlung 7

    Vorstellung des Vorstands

    Alle derzeitigen Vorstandsmitglieder sind anwesend und werden von Vol-ker RW Schaa vorgestellt: Volker RW Schaa (Vorsitzender), Klaus Höppner(stellvertretender Vorsitzender), Tobias Sterzl (Schatzmeister), Günter Par-tosch (Schriftführer) sowie Thomas Koch und Bernd Raichle als Beisitzer.

    TOP 2: Bericht des Vorstands

    Tobias Sterzl referiert kurz über die Entwicklung der Mitgliederzahlen:

    Anzahl der Mitglieder am Berichtstag 2021

    Eintritte in 2002 132Austritte in 2002 59(noch) nicht bezahlt haben 101

    und die größten Anschaffungen und Ausgaben in diesem Jahr:

    DTK, Ausgabe 1/2002 und TEXnische Kontakte 5507,04 e

    DTK, Ausgabe 2/2002 2752,11 eTagung in Erlangen 1419,00 eEuroBachoTEX (Bursary) 3750,00 e

    2 18,3 GB-Festplatten für die Sun-Rechner 494,16 e1 Büro-Rechner 614,00 e1 Fotokopierer 972,49 e

    Im Übrigen werden unter diesem Tagesordnungspunkt von der MV keineBeschlüsse gefasst.

    TOP 3: Förderung von TEX-Projekten

    TOP 3.1: Bericht über den aktuellen Stand

    Volker RW Schaa berichtet über den aktuellen Stand des TEX Project Fundingund stellt einige Teilprojekte und die Art der Förderung vor:

    ◦ LYX

    ◦ preview-latex von David Kastrup

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 8 Beschlüsse der 27. Mitgliederversammlung

    ◦ TEXlive-CD-ROM von Sebastian Rahtz und Fabrice Fabineau

    ◦ Ausbau und Weiterentwicklung der Font-Familie Antykwa Póławskiegodurch die polnische GUST

    ◦ pdfExt von Hàn Thế Thành

    ◦ CTAN- und TEXlive-CD-ROM

    In der folgenden Diskussion kann keine Einigung über den Fortgang derCTAN- und TEXlive-CD-ROM gefunden werden. Ein diesbezüglicher Antrag

    Die MV beauftragt das Präsidium, einen Projekt-Antrag über die Zu-kunft der CTAN- und TEXlive-CD-ROM zu initiieren.

    wird aber ohne Gegenstimmen und Enthaltungen gebilligt.

    TOP 3.2: Beschluss über die Bereitstellung neuer Projektmittel

    Volker RW Schaa begründet die Bereitstellung neuer Projektmittel und stelltden Antrag

    Der Vorstand beantragt die Aufstockung des Projekt-Mittel-Fonds(TBF) auf weitere 10 000 e.

    Er wird ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.

    TOP 4: Verschiedenes

    Unter diesem Tagesordnungspunkt berichten u. a.

    Volker RW Schaa über die LUG Banking Facility (LBF), mit dessen Hilfe dieeinzelnen TEX-Gruppen den Zahlungsverkehr untereinander vereinfachenkönnen,

    Klaus Höppner über den Stand der aktuellen CTAN-CD-ROM – sie ist fertigund wird mit der DTK-Ausgabe 3/2002 verteilt,

    Klaus Höppner über die nächsten deutschen DANTE-Tagungen (2.–4.4. 2003in Bremen, 8.–9.9. 2003 in Schloss Rauischholzhausen bei Marburg) und

    Volker RW Schaa über die nächsten europäischen und weltweiten TEX-Tagungen.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Beschlüsse der 27. Mitgliederversammlung 9

    Auch hier werden von der Versammlung keine Beschlüsse gefasst.

    Volker RW Schaa schließt die Versammlung um ca. 12:05 Uhr.

    Volker RW Schaa Günter Partosch(Versammlungsleiter) (Protokollant)

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Bretter, die die Welt bedeuten

    LATEX und WYSIWYG?preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    David Kastrup

    Es schreibt der Griffel und, so er geschrieben,fährt fort; nicht Frömmigkeit noch Schläue trieben

    ihn auch nur halbe Zeilen auszutilgen,noch könnten Tränen nur ein Wort verschieben.

    Omar Khayyám

    Der anweisungsbasierte Typensatz mit TEX/LATEX hat seine Leistungsfähig-keit und Flexibilität für eine Vielzahl von Anwendungen wiederholt unterBeweis gestellt. Es wird aber der Mangel an unmittelbarem visuellen Feed-back nicht nur bei Anfängern oft als ein Manko bei der Dokumenterstellungund der Korrektur empfunden.

    Es existieren mittlerweile eine Reihe von Versuchen, dieses Problem anzuge-hen, angefangen bei einfachen token-basierten Ansätzen (Syntax Highligh-ting, Spezialzeichensätze wie mit X-Symbol) bis hin zu kompletten Textver-arbeitungssystemen (LYX und TEXmacs), die LATEX im Wesentlichen nurals Exportsprache nutzen.

    Eine weitere Klasse von Werkzeugen konzentriert sich nicht auf das Editie-ren, sondern auf schnellen Zugriff auf die gesetzte Form, meist als seiten-orientierte Vorschau in einem separaten Fenster (Whizzy-TEX, Instant Pre-view). Zwar ist die Verarbeitungsgeschwindigkeit dieser Varianten auf heu-tigen Systemen mehr als ausreichend, dennoch bleibt das Bedürfnis nach ei-ner engeren Kopplung von Quelltext und Vorschau beim Editieren. „SourceSpecials“ sind ein Werkzeug für eine solche Querverbindung. Das preview-latex-Paket des Autors stellt eine wesentlich engere Kopplung durch diedirekte Platzierung von Vorschauelementen im Quelltext bereit.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 11

    Der Konflikt LATEX/WYSIWYG

    Was ist WYSIWYG?

    WYSIWYG, eine Kurzform von „what you see is what you get“, ist eigent-lich ein Reklameschlagwort, das auf verschiedene Arten von Ähnlichkeit desEingabefensters mit dem gedruckten Endprodukt angewandt wird.

    Streng genommen bedeutet dieser Begriff die Identität von Druckergebnis undBildschirmanzeige. Dies ist allerdings schlicht unmöglich: Drucker haben vonBildschirmen deutlich unterschiedliche Eigenschaften: andere Auflösungen,andere Kontraste, andere Farb- und Grauabstufungen. Eine reine Bildschirm-kopie eines WYSIWYG-Textverarbeitungssystems wieht, mit einem norma-len Ausdruck verglichen, scheußlich aus.

    Was wird nun realistischerweise von der WYSIWYG-Bezeichnung erwartet?

    Ähnlichkeit zum Ausdruck: Das Eingabefenster soll dem Druckbild weitge-hend entsprechen.

    Zeichenform: Zwar ist keine Identität auf der Basis von Pixeln zu erwarten,aber eine Ähnlichkeit in der Form der Einzelzeichen wird generell gefor-dert. Bildschirmanzeigen haben typischerweise eine weit feinere Intensi-tätsabstufung als dies beim Druck der Fall sein kann, der dafür aber einesehr viel höhere Auflösung bietet: das macht Antialiasing sinnvoll. Hier-bei wird die niedrige Auflösung dadurch kompensiert, dass der Grauwertvon Pixeln entsprechend der Abdeckung mit Tinte, die bei einer feinerenAuflösung zustande käme, gewählt wird.

    Zeichen mit Antialiasing sind auf dem Bildschirm besser lesbar als die-selben Zeichen ohne Verwendung dieses Tricks, sind aber etwas schwam-mig und unscharf im Erscheinungsbild, da die mangelnde Auflösung nichtwirklich behoben, sondern nur ihre Auswirkungen auf den Grauwert re-duziert wird.

    Erweiterte Zeichensätze: TEX und LATEX selbst nutzen im Wesentlichen einenASCII-Zeichensatz. Es existieren zwar Erweiterungen, um auch 8-Bit-Zeichensätze ansprechen zu können, hingegen werden etwa mathematischeSonderzeichen wie

    ∑,

    ∫, \ als Kontrollsequenzen wie \sum eingegeben.

    Typische WYSIWYG-Systeme böten eine lesbarere Darstellung solcherZeichen und bequeme Formen der Eingabe, ohne dass die Kenntnis sol-cher Namen notwendig wäre.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 12 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    Nicht-textuelle Elemente: Am erwähnenswertesten sind hier sicherlich ma-thematische Formeln und Tafeln. Charakteristisch ist ein Grad an Be-deutungsvermittlung, der mit einer rein textbasierten Darstellung nichtmöglich wäre.

    Zeilenumbrüche: Die meisten WYSIWYG-Systeme haben im Druckergebnisdieselben Zeilenumbrüche wie in der Bildschirmdarstellung.

    Seitenlayout: Seitenumbrüche und Platzierung von Gleitobjekten werden vonWYSIWYG-Systemen ebenfalls häufig entsprechend der Druckdarstel-lung vorgenommen.

    Der Konflikt

    Warum ist das WYSIWYG-Konzept für die meisten dieser Punkte nicht dieoptimale Lösung, speziell im Zusammenhang mit TEX?

    Ähnlichkeit zum Ausdruck: Da es sich bei TEX ja eigentlich um eine Pro-grammiersprache handelt, sind es nicht selten komplexere Konstrukte, diedas Endresultat erzeugen. Diese in WYSIWYG-Manier zu bearbeiten istkaum möglich. WYSIWYG hat die Tendenz, Scheußlichkeiten der Eingabezu verschleiern: Textverarbeitungssysteme wie Word bieten zwar im All-gemeinen verschiedene Möglichkeiten, die Eingabe zu strukturieren (For-matvorlagen, Textstile usw.), dies ist aber in der Bildschirmdarstellungnicht unmittelbar ersichtlich. Typische Benutzer solcher Systeme neigendann auch zu eher ungeeigneten Mitteln für die Formatierung ihrer Tex-te. Dinge wie Leerzeichenorgien für Einrückungen und Anordnungen siehtman nicht gerade selten; solches Gebastel ist gegenüber Textänderungenund Wechsel von verwendeten Druckern und/oder Fonts sehr empfind-lich. TEX bietet einen einfachen Weg, Kommentierungen in den Quelltexteinzufügen (% leitet Kommentarzeilen ein). Solche Kommentare sind inWYSIWYG-Systemen nicht einsetzbar. Das führt aber auch dazu, dassman nicht mehr nachvollziehen kann, was man selbst oder der Autor sichgedacht hat: auch das Lernen aus Vorlagen geübterer Benutzer ist starkerschwert.

    Zeichenform: Die meistgenutzte Zeichensatzfamilie im Umfeld von TEX istdie Computer Modern family von Knuth. Für diese Fonts ist eine feineBalance zwischen verschiedenen Strichbreiten und Haarlinien charakte-ristisch, die zum einen zu einer „geschlossenen“ Grundform der Zeichenführt, zum anderen aber im Gesamtgrauwert die „führende“ Eigenschaft

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 13

    (a) TEX-Font mit Antialiasing (b) Bildschirmfont

    Abbildung 1: Fonts in Bildschirmauflösung

    ihrer Serifen nicht verliert (wie aus den „t“s im Artikel selbst hervorge-hen sollte). Das „t“ hat aus der Nähe betrachtet eine geschlossene Kurve,aber die Strichbreitenverteilung lässt im Gesamtgraubild den Einfluss derschließenden Haarlinie schwinden (Abbildung 1(a)).

    Solche Feinheiten sind bei verfügbaren Bildschirm-Auflösungen nicht dar-stellbar. Im Interesse der Lesbarkeit sind deswegen für die Bildschirmdar-stellung konzipierte Fonts vorzuziehen.

    Erweiterte Zeichensätze: Die Verbesserung der Lesbarkeit ist offensichtlich,die Umsetzung bereitet keine prinzipiellen Probleme.

    Nicht-textuelle Elemente: Diese profitieren von einer WYSIWYG-artigenDarstellung am meisten. TEX bietet für den Formelsatz mächtige Mög-lichkeiten, und eine Vielzahl von Zusatzpaketen nutzen seine Program-mierungsmöglichkeiten, um zusätzliche Funktionalität bereitzustellen.Jedoch erfordern Arrangements wie Formeln und Tabellen erheblichenProgrammieraufwand für eine adäquate Eingabedarstellung im Editor. Ei-ne direkte Verfügbarkeit einer solchen Darstellung erleichtert es erheblich,einen Gedankengang zu entwickeln und ist auch für Korrekturarbeitensehr wünschenswert.

    Zeilenumbrüche und Seitenlayout: TEX nutzt ein absatzumfassendes Opti-mierungsverfahren, um seine Zeilenumbrüche festzulegen und ein lokalesOptimierungsverfahren zur Festlegung der Seitenumbrüche. „Insertions“dienen zur Platzierung zusätzlichen Seitenmaterials wie Fußnoten undAbbildungen. Diese Prozesse werden durch eine umfangreiche Liste vonStrafpunkten gesteuert, die für verschiedene auch über mehrere Zeilen rei-chende Merkmale festgelegt werden (optische Kompatibilität des Rand-

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 14 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    Abbildung 2: Typisches TEXmacs -Fenster

    ausgleiches aufeinander folgender Zeilen, Strafen für gehäuft auftretendeTrennungen usw).

    Die nichtlokalen Optimierungen von TEX machen sehr gute Resultatemöglich. Diese ständig bei der Texteingabe durchzuführen war früher ausGeschwindigkeitsgründen nicht praktikabel. Auch wo dies möglich wäre,sind jedoch die potenziell großen Anzeigeänderungen bei kleinen Einga-beänderungen für den Eingabefluss eher störend.

    Die Überwindung der Kluft

    TEXmacs

    Das Textverarbeitungssystem TEXmacs hinterlässt gegenwärtig einen gutenEindruck, wie eine umfassende Umsetzung von WYSIWYG-Konzepten fürTEX aussehen könnte. Zwar nutzt TEXmacs weder TEX noch bietet es einenunmittelbaren Zugang zu TEX-Paketen und -Programmierung, verwendetaber Textsatzalgorithmen von TEX und bietet TEX-Fonts mit Antialiasing

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 15

    auf dem Bildschirm. Das Druckbild stimmt mit der Bildschirmdarstellungweitestgehend überein, wenngleich der Seitenumbruch im Quelltext optio-nal ist. TEXmacsunterstützt zwar LATEX nicht unmittelbar als Dateiformat,kann aber LATEX exportieren und, deutlich eingeschränkter, auch importieren.Die Tastaturbelegung erinnert an Emacs, und einige TEX-ähnliche Kontroll-sequenzen können mit dem Backslash eingeleitet werden. Der Editor kannin Guile, dem vom GNU-Projekt eingesetzten Dialekt der Lisp-verwandtenSprache Scheme, erweitert und angepasst werden. Für den Export nach LATEXsteht auch die Möglichkeit der Einbindung von LATEX-Code, der ohne Inter-pretation exportiert wird, zur Verfügung.

    Auf einem 200MHz-System wirkte TEXmacs etwas träge. Während die meis-ten LATEX-Nutzer nach einiger Eingewöhnung mit TEXmacs wohl halbwegsklarkommen werden, ist eine intensivere Nutzung der vielfältigen Möglichkei-ten von LATEX eher unhandlich, und der Austausch von Dokumenten und dieZusammenarbeit mit anderen LATEX-Nutzern ist sicher problematisch.

    Persönlich empfinde ich den „Ziehharmonika-Effekt“ störend: Der bei derTexteingabe kontinuierlich erfolgende Randausgleich und Neuumbruch führtzum wiederholten Schrumpfen und Wachsen der Wortabstände bei der Text-bearbeitung. Das unmittelbare Feedback von Tastendruck zu endgültigerAnzeige ist sicherlich bei letzten Feinarbeiten am typographischen Ergeb-nis nützlich, der Enthusiasmus, mit dem hier ganze Absätze am laufendenBand umgeschichtet und ausgerichtet werden während man einzelne Buch-staben tippt, erscheint so sinnvoll und praktisch wie ein unermüdlicher TruppFensterputzer auf einer Baustelle.

    LYX

    Ähnlich wie bei TEXmacs handelt es sich bei LYX um ein komplettes Text-verarbeitungssystem. Im Unterschied zu TEXmacs wird hier allerdings dasSchlagwort WYSIWYM (what you see is what you mean) statt WYSIWYGpropagiert. Während in früheren Versionen dieser Begriff vornehmlich als Eu-phemismus für „was man sieht, ist irgendwie ähnlich zu dem, was rauskommt“herhielt, wurde gerade in neueren Versionen eine Menge getan, um in der An-zeige tatsächlich vielfältige Information über die Dokumentstruktur zu ver-mitteln. Da LYX nicht daran gebunden ist, die Ausgabe entsprechend derEingabe zu gestalten, kann es durch Verwendung von Farben und grafischenElementen für Dinge wie Querverweise vielseitiger und flexibler Informationvermitteln, als das bei reinem WYSIWYG der Fall wäre.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 16 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    Abbildung 3: Typisches LYX-Fenster

    Zeichensatzumschaltungen im Dokument finden zwar ihren Niederschlag inder Bildschirmdarstellung, diese greift aber auf Fonts zurück, die sich vonden beim Druck verwendeten unterscheiden. Die Bildschirmfonts sind als Teilder Benutzereinstellungen konfigurierbar, wozu Kenntnisse des Fontsystemsvon X11 anzuraten sind. Die Standardeinstellungen scheinen aber gerade imMathematikbereich nicht auf Lesbarkeit hin optimiert.

    LYX nutzt LATEX für den Textsatz beim Druck, wobei es auf Standardklassenund -pakete zurückgreift. Der LATEX-Export gestaltet sich damit unproble-matisch; der Import hingegen zeitigt gemischte Resultate. Im Allgemeinenist nicht einmal der unveränderte Reimport von Dokumenten, die LYX selbstexportiert hat, möglich. LYX hat ebenfalls ein hauseigenes Dateiformat. Ei-ne gemeinsame Erstellung von LATEX-Dokumenten mit anderen Autoren istdamit auch hier kaum praktikabel. LATEX-Konstrukte, die LYX nicht bekanntsind, können direkt in das Dokument eingefügt werden und werden dann als

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 17

    Abbildung 4: X-Symbol in vollem Schwung

    „ERT“ („Evil Red Text“) angezeigt und unverändert exportiert. Es ist ein er-klärtes Ziel der LYX-Entwickler, nach und nach ERT weitgehend überflüssigzu machen, indem LYX mehr und mehr Konstrukte von Haus aus versteht. Ei-ne der Stärken von LYX ist der Mathematikeditor, der dem von TEXmacs äh-nelt und einen recht großen Umfang von LATEX- und AMSLATEX-Konstruktenvon Haus aus unterstützt.

    LYX hat ebenfalls eine tastendruckorientierte Bildschirm-Update-Strategie,die in Verbindung mit Randausgleich auf dem Bildschirm zum oben beschrie-benen Ziehharmonika-Effekt bei Textergänzungen führt.

    X-Symbol

    X-Symbol ist das erste hier vorgestellte System, das nicht eine kompletteTextverarbeitung implementiert, „nur“ um seine WYSIWYG-Konzepte fürden TEX-basierten Satz umzusetzen. Es ist wohl kein Zufall, dass es, wiedie anderen, ohne eigens implementierten Editor daherkommenden, vorge-stellten Lösungen, unter dem erweiterbaren Editor Emacs (oder der VarianteXEmacs) läuft.

    Emacs ist

    ◦ für das Editieren von Quelltexten vorgesehen

    ◦ Freie Software

    ◦ eine mächtige Editierumgebung

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 18 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    ◦ einfach mit einer sehr interaktiven Programmiersprache (Emacs-Lisp) er-weiterbar

    ◦ für eine Vielzahl von Betriebssystemen erhältlich.

    Da TEX ein auf verschiedensten Systemen vorhandenes, freies Software-System mit editierbarer Quelltextsprache ist, passt es mit Emacs rechtgut zusammen. Das meistverwendete Emacs-Paket AUCTEX stellt eineumfangreiche Editier- und Laufzeitumgebung für TEX und LATEX bereit.

    Was ist jetzt der Einsatzbereich von X-Symbol? Es kümmert sich weitge-hend um den WYSIWYG-Aspekt „erweiterter Zeichensatz“. Quelltexte wie\sum und \leq werden als „

    ∑“ und „≤“ dargestellt. Diakritische und sonstige

    Sonderzeichen des Textmodus wie\"a werden in lesbarerer Form wie „ä“ dar-gestellt. Hierbei beschränkt sich X-Symbol auf den Bereich einfacher, kurzerKontrollsequenzen. Einige der dabei eingesetzten Zeichensätze sind Bestand-teil des X-Symbol-Paketes selbst; die verwendeten Fonts fügen sich in die nor-malen Nichtproportionalschriften von Emacs gut ein. Das bedeutet u. a., dassOperatoren wie

    ∫auf dem Bildschirm recht klein daherkommen. Eine zusätz-

    liche Option ist die Verwendung spezieller Fonts, um im Zusammenspiel mitder farblichen Syntaxhervorhebung von Emacs hoch- und tiefgestellte Termemit kleineren Zeichen und entsprechender Positionierung darzustellen.

    X-Symbol führt diese Konvertierungen unmittelbar bei der Klartexteingabedieser Kontrollsequenzen durch, kann aber diese Sonderzeichen auch über eineVielzahl anderer Eingabemethoden (etwa menubasiert) einfügen. Die Zeichenim Quelltext werden hierbei komplett ersetzt und lediglich beim Schreibender Textdateien wieder transparent in ihre TEX-Äquivalente konvertiert. Diesführt zu ein paar neuralgischen Punkten, an denen Fehlfunktionen permanen-te Dateiänderungen verursachen können.

    ◦ Falls durch einen Programmfehler der Text beim Schreiben nicht in seineTEX-geeignete Form überführt wird, bekommt man relativ unlesbarenDatensalat. Die Daten sind zwar noch vorhanden, ihre Rekonstruktionerfordert aber einigen Aufwand.

    ◦ Die Kombination der beim Einlesen und Wegschreiben der Quelldateidurchgeführten Konvertierungen führt nicht notwendigerweise zum selbenErgebnis. Dies ist in verbatim-ähnlichen Umgebungen besonders proble-matisch. Die neuesten Versionen von X-Symbol gehen hier aber wesentlichvorsichtiger und vorhersehbarer als frühere Versionen vor.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 19

    Da die interne Darstellung des Textes bei diesen Konvertierungen geändertwird, können Editoroperationen wie Suchen und Ersetzen erschwert oder un-praktikabel werden.

    Ein Bestandteil von X-Symbol ist die Bereitstellung eines Ersatzmechanismusfür LATEXs Paket inputenc auf Editorebene (was für plainTEX-Nutzer nochinteressanter sein könnte). Das ist eine interessante Option gerade bei sol-chen Texten, die sonst eine wiederholte Umschaltung der Eingabekodierungim Dokument erfordern könnten, was eine konsistente Textdarstellung imEditor recht schwierig gestaltet. Da mit X-Symbol alle Zeichen der verschie-denen Kodierungen in ASCII-Kontrollsequenzen beim Speichern und Ladenumgesetzt werden, wird dieses Problem damit umgangen.

    Der größte Nutzwert von X-Symbol liegt vermutlich bei der extensiven Einga-beunterstützung, die von Tastaturabkürzungen, über das „Grid“ (ein großesMenü mit allen verfügbaren Zeichen in einem separaten Editorfenster) undEingabe bis zur Menüleiste von Emacs reicht. Abgesehen vom Grid sind dieseMethoden nicht wirklich mit WYSIWYG verwandt.

    X-Symbol ist ein Werkzeug, das sich mit der Eingabe beschäftigt, mit ihrerDarstellung, Umwandlung und Beschleunigung: Previewfunktionalität im ei-gentlichen Sinne ist nicht enthalten. Speziell nicht behandelt werden komple-xere Anordnungen von Zeichen, wie mathematische Formeln sie darstellen.Damit ist der abgedeckte Umfang erheblich geringer als bei Systemen wieLYX. Auf der anderen Seite stellt es einem aber beim Durchgriff auf die volleLeistungsfähigkeit von LATEX keine Hindernisse oder Unbequemlichkeiten inden Weg. Die Umsetzung der Symbole kann es nicht nur für LATEX, sondernauch für plainTEX und SGML oder HTML durchführen.

    Abbildung 5(b) zeigt ein typischeres Beispiel für die Bildschirmdarstellungvon X-Symbol, hier im Zusammenspiel mit preview-latex.

    preview-latex

    Auch bei preview-latex handelt es sich um eine Emacs-Erweiterung. Im Ge-gensatz zu X-Symbol ist sein Einsatzbereich ausschließlich auf den Anzei-gebereich von WYSIWYG beschränkt. Es ändert den eigentlichen Quelltextin den Textspeichern von Emacs nicht und hat keinerlei Einfluss auf die ex-terne Dateidarstellung. Während X-Symbol sich mit dem Ersatz einzelnerKontrollsequenzen mit Buchstaben und Symbolen, die zum Bildschirmfont

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 20 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    (a) Gleichung offen (b) Mit X-Symbol (c) Geschlossen

    Abbildung 5: Verwendung von preview-latex mit und ohne X-Symbol

    passen, befasst, ersetzt preview-latex die Darstellung komplexer Textelemen-te (Formeln, Abschnittsüberschriften, Abbildungen, eingefügte Grafiken) miteiner akkuraten und mit Antialiasing versehenen Druckvorschau, die durchÜbersetzung der Textvorlage unter Einsatz von LATEX, dvips und GhostScripterstellt wird. Ein einziger Aufruf von LATEX (potenziell mit einem vorher er-zeugten speziellen Format) erzeugt die Druckvorschauen für das kompletteDokument, und ein einziger Aufruf von GhostScript, das als Daemon betrie-ben wird, setzt die von dvips produzierte PostScript-Datei mit den Druckvor-schauen in Grafikdateien um, wobei die augenblicklich auf dem angezeigtenBildschirmbereich darzustellenden Vorschauen vorgezogen werden. Zukünfti-ge Versionen werden durch Zusatzprogramme dvips und GhostScript weitge-hend umgehen; aber schon jetzt ist die Bearbeitungsgeschwindigkeit auch aufeher bescheidener Hardware recht erträglich. Eine weitere geplante Option istdie Möglichkeit, LATEX und dvips durch pdfLATEX zu ersetzen.

    Die Vorschauen werden in Farbe und Größe der Standarddarstellung imEmacs-Fenster angepasst, sind aber ansonsten identisch zur gedruckten Ver-sion. Da preview-latex keine Kenntnis von der inneren Struktur solcher Text-elemente hat, wird beim Editieren auf die normale Textdarstellung umge-schaltet und auf die grafische Vorschau erst wieder zurückgeschaltet, wennder Anwender die Beendigung seiner Editierarbeit signalisiert.

    Welche Textelemente einer Vorschau unterworfen werden, wird durch ein ex-ternes LATEX-Paket entschieden. Dessen Arbeitsweise kann leicht durch Dekla-rationen im Dokumentvorspann oder in einer separaten Konfigurationsdateivorgegeben werden.

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  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 21

    (a) TEXmacs (b) LYX

    (c) preview-latex (d) X-Symbol

    (e) Whizzy-TEX

    Abbildung 6: Detailansichten

    Die Arbeitsprinzipien von preview-latex sind nicht spezifisch für Emacs: ähn-liche Funktionalität wird gegenwärtig für LYX implementiert, momentan aufden Mathematikmodus und die \input-Anweisung beschränkt.

    Whizzy-TEX

    Whizzy-TEX ist eines von mehreren Systemen, die die automatische schnelleNeugenerierung von Druckvorschauen in einem separaten Arbeitsfenster zumZiel haben. Es ist (welche Überraschung) als Emacs-Paket implementiert undwird am besten in Zusammenarbeit mit dem Previewer Active-DVI (in Ob-jective CAML geschrieben) vom selben Autor eingesetzt, der die korrekteSeitenposition ohne Flackern ansteuern und auffrischen kann, wenn sich die

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 22 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    DVI-Datei ändert. Zwar ist Whizzy-TEX auch mit xdvi einsetzbar; die Bild-schirmdarstellung ist dann aber deutlich unruhiger.

    Whizzy-TEX verfolgt kontinuierlich die augenblickliche Textposition undTextänderungen und lässt im Falle von Änderungen LATEX von einem nahenPunkt, an dem es ein Format bei einem vorangehenden Lauf erzeugt hat,neu laufen. Auf diese Weise erfolgt die Nachführung der Druckvorschaurecht zügig, und man kann interaktiv mit Posititionierungen und anderenLayout-Entscheidungen experimentieren.

    In Abbildung 6(e) kann man die Zusammenarbeit von Whizzy-TEX mitActive-DVI sehen.

    ActiveTEX/Instant Preview

    Das Arbeitsprinzip von ActiveTEX besteht in einem kontinuierlich laufendenTEX-Prozess, dem TEX-Daemon, der auf Anfrage Seiten setzt. Ein separatesProgramm extrahiert dann einzelne Seiten aus der dabei laufend wachsendenDVI-Datei.

    Das Instant-Preview-Paket für Emacs nutzt dies für den Update eines Vor-schaufensters auf der Zeitbasis einzelner Tastendrücke. Für dieses Arbeits-prinzip sind im Wesentlichen zustandslose Quelldokumente Voraussetzung,damit der wiederholte Durchlauf einzelner Passagen keine Probleme bereitet.Aus diesem Grund ist dieses System für die Verwendung mit LATEX weitge-hend ungeeignet. Der Autor des Systems nutzt für die Bildschirmdarstellungxdvi; eine Verwendung von Whizzy-TEXs Previewer Active-DVI würde ver-mutlich eine ruhigere Bildschirmdarstellung zur Folge haben.

    Hauptanwendungsziel von ActiveTEX ist hohe Verarbeitungsgeschwindigkeitauch auf bescheidener Hardware. Es bietet darüber hinaus wenig Vorteilegegenüber Whizzy-TEX und verfolgt ähnliche Ziele, wobei es für LATEX we-sentlich ungeeigneter ist.

    Source Specials

    „Source Specials“ sind ein Verfahren zur Kopplung von Editor und Previewer,das durch Platzierung spezieller Markierungen in der DVI-Datei die zugehöri-ge Quelltextposition angibt. Diese Marken werden entweder durch einen spe-ziellen LATEX-Stil oder automatisch bei Verwendung neuerer TEX-Versionendurch Setzen einer Kommandozeilenoption erzeugt. Ihr einziger Zweck ist

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 23

    die Quernavigation. In Verbindung mit Unterstützung in Editor und Pre-viewer kann man Vorwärtssuche (die Position im Editorfenster wird vomVorschaufenster automatisch mitverfolgt) und Rückwärtssuche (ein Klick imVorschaufenster positioniert den Editor auf die zugehörige Quelltextstelle)implementieren. Von diesem reinen Navigationswerkzeug wird eigentlich kei-ne WYSIWYG-Funktionalität bereitgestellt; es zeigt aber den Bedarf einerengeren Kopplung von Quelltext und Vorschau.

    Resümee

    Abbildung 6 zeigt Bildschirmaufnahmen der verschiedenen Behandlung einerFormel durch die gegebenen Systeme (preview-latex zeigt hierbei nur dieFormel im geschlossenen Zustand, siehe deswegen auch Abbildung 5). EineZusammenfassung ist in Tabelle 1 zu finden.

    Diejenigen WYSIWYG-Systeme, die eine gebräuchlichere Editierumgebungzur Verfügung zu stellen versuchen, haben mit einigen Schwierigkeiten zukämpfen:

    ◦ Sie sind darauf angewiesen, eine komplette Editierumgebung selbst zurVerfügung zu stellen.

    ◦ Sie müssen zumindest die Bildschirm-Interpretation aller von ihnen unter-stützten Konstrukte selbst beherrschen und können dies nicht an LATEXdelegieren. Auf diese Weise kann aber immer nur eine Untermenge vonLATEX korrekt und effizient unterstützt werden. Beide hier vorgestell-ten Produkte verwenden ihre eigenen Dateiformate, wodurch LATEX alsFormat zum Dokumentaustausch weitgehend ungeeignet wird. In Abbil-dung 6 kann man den Umgang dieser Systeme mit unbekannten Größen-deklarationen im Mathematikmodus sehen.

    ◦ Eine ständig aktuelle und konsistente Eingabedarstellung ist nötig, wasden tatsächlichen Einsatz von LATEX zur Generierung der Anzeige weit-gehend unpraktikabel macht.

    Systeme mit tastendruckweiser Umformatierung samt Randausgleich imEingabefenster erscheinen mir für die kontinuierliche Texteingabe irritie-rend. Weiterhin kostet ein solches Vorgehen auf langsameren Systemen nichtunerhebliche Rechenleistung, und führt zu Unruhe im Eingabefenster. DieAuswirkungen auf größere Flächen sind bei der Texterstellung selbst eherlästig, bei der Endkorrektur von Dokumenten aber sinnvoll. Zwar führt

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 24 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    Whizzy-TEX gleichfalls eine tastendruckorientierte, kontinuierliche Neufor-matierung durch; durch deren Anordnung in einem separaten Fenster istdiese aber mit erheblich weniger Ablenkung verbunden. Allerdings ist dievon dieser Kombination beanspruchte Bildschirmfläche wesentlich größerund erfordert zur Bearbeitung einen Blickwechsel. preview-latex geht mitBildschirm-Auffrischungen (die nur auf Anweisung erfolgen), Bildschirmflä-che und Aufmerksamkeitslenkung sehr ökonomisch um, wobei es allerdingskeine Vorschau eines Objektes während der Änderungen bietet. Eine gewisseVerbesserung kann man deswegen durch zusätzliche Nutzung von X-Symbolbei der Eingabe erreichen.

    Die Kombination von LYX’ Mathematikeditor mit der kommenden preview-latex-verwandten Vorschaufunktionalität ist sicherlich eine interessante Ent-wicklung. Erfahrene LATEX-Nutzer mögen die direkte Eingabe der Befehlevorziehen; die Kombination eines leichten Zugriffes sowohl auf eine bei derEingabe gut arrangierte Darstellungsform, als auch einer exakten, von LATEXselbst generierten Vorschau als Alternative ist sicher für fortgeschrittene Nut-zer bei der Erforschung über den von LYX direkt unterstützten Funktions-umfang hinaus interessant.

    Auf der Eingabeseite von WYSIWYG erhält man mit X-Symbol einen gutenKompromiss. Auf der Vorschauseite erscheint – verlässt man das Feld derspezialisierten Textverarbeitungssysteme, bei denen TEXmacs die vielleichtvollständigste Umsetzung bietet – das Arbeitsprinzip von preview-latex alsfür die Implementation in andere Editiersysteme am geeignetsten: Die Ver-wendung von LATEX für den exakten Textsatz garantiert hohe Detailtreue, oh-ne dass die volle Kontrolle des Benutzers über die eingesetzten LATEX-Mitteleingeschränkt wird. Für die Art der von preview-latex unterstützten syntak-tischen Einheiten ist der Verzicht auf eine tastendruckorientierte Neuanzeige(unter den beschriebenen Werkzeugen eher ungewöhnlich) eher von Vorteil,da damit das Textelement ohne Ablenkung zusammengestellt werden kannund vom Benutzer erst dann LATEX überantwortet wird, wenn er der Mei-nung ist, dass dieses syntaktisch korrekt ist. Für interaktive Korrekturen imZusammenhang mit dem Endabgleich des Satzspiegels ist die schnelle Nach-führung einer separaten seitenorientierten Darstellung, wie sie Whizzy-TEXvornimmt, sicher sinnvoll. Der zusätzliche Verbrauch an Bildschirmfläche undder Aufmerksamkeitswechsel zwischen Quelltext und Vorschau machen es fürumfangreichere Redigierarbeiten und die Texterstellung selbst weniger geeig-net. Die Teilung der Aufmerksamkeit wird in Abbildung 6(e) offensichtlich:Keine andere Bildschirmaufnahme erforderte zur Illustration des Arbeitsprin-

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze 25

    zips den Einsatz von lokalen Vergrößerungen. Ein Vorteil von Whizzy-TEX istsicherlich, dass seine Implementation der Druckvorschau recht leicht auf an-dere Systeme übertragbar sein sollte: eine Einbindung etwa in LYX erscheintpraktikabel.

    Zukünftige Entwicklungen

    Die vorgestellten vollständigen Textverarbeitungssysteme werden sicherlichmehr und mehr Konstrukte von LATEX unterstützen. Weitere Geschwindig-keitsverbesserungen werden wohl keine wesentlichen Auswirkungen auf dieArbeit mit den vorgestellten Systemen haben. Die interessantesten Ansätzesind sicherlich die Mischformen, die vermutlich in Zukunft zunehmend auchaußerhalb von Emacs zu finden sein werden. Zum Beispiel wird LYX in sei-ner nächsten Version (vermutlich 1.3.0) preview-latex-ähnliche Funktionalitätaufweisen, zunächst im Wesentlichen auf den Mathematikmodus beschränkt.

    Zukünftige separat verwendbare TEX-Komponenten (Omega-Bibliotheken,DVI-konvertierende Kontrollprozesse) könnten Einzug in andere Textprozes-soren halten. Speziell für den Mathematikmodus wäre eine solche Einbettungvon TEX-Fonts und Algorithmen denkbar.

    Verfügbarkeit

    Hier gibt es die vorgestellten Systeme:

    TEXmacs http://www.texmacs.orgLYX http://www.lyx.orgX-Symbol http://x-symbol.sourceforge.netpreview-latex http://preview-latex.sourceforge.netWhizzy-TEX http://pauillac.inria.fr/whizzytexActive-DVI http://pauillac.inria.fr/adviActiveTEX http://www.activetex.orgEmacs http://www.gnu.org/software/emacsXEmacs http://www.xemacs.orgSource Specials http://xdvi.sourceforge.net/inverse-search.htmlOmega http://omega.cse.unsw.edu.au

    Alle vorgestellten Systeme stehen unter der GNU General Public Licenseund sind deswegen Freie Software (LYX ist unter einer modifizierten Variantelizenziert, um das Linken mit der XForms-Bibliothek zu gestatten).

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 26 LATEX und WYSIWYG? preview-latex unter Emacs und andere Ansätze

    Tabelle 1: Bewertung der Systeme

    TEXmacs LYX X-Symbolpreview-

    latexWhizzy-

    TEX

    Portierbarkeit – – – 0 +Quelltexterhalt – – + ++ ++KontinuierlicheArbeitsweise

    ja ja ja nein ja

    Arbeit imQuelltextfenster

    ja ja ja ja nein

    Editiergeschwindigkeit – 0 + N/A N/AEditierbildtreue ++ 0 – + N/AVorschau-geschwindigkeit

    ++ 0 N/A + +

    Editierflächenbedarf + + + + –Vorschauflächenbedarf + – N/A + –Quernavigation ++ – – + 0

    Eingesetzte Kategorien:Portierbarkeit Wie leicht lässt sich das Arbeitsprinzip auf andere Editoren und Editier-

    umgebungen übertragen?Quelltexterhalt Wie zuverlässig bleibt existierender Quelltext beim Editieren erhalten?Kontinuierliche Arbeitsweise Arbeitet das System durchgängig während der Texteingabe?Arbeit im Quelltextfenster Arbeitet das System direkt im Quelltextfenster?Editiergeschwindigkeit Wie schnell reagiert das System auf Tastendrücke bei der normalen

    Texteingabe? N/A falls das System dabei nicht beteiligt ist.Editierbildtreue Wie nah am gesetzten Ergebnis ist die Darstellung im Quelltextfenster?Vorschaugeschwindigkeit Wie schnell sind echte Vorschauen verfügbar?Editierflächenbedarf Welchen Bildschirmflächenverbrauch hat das System beim Editieren?Vorschauflächenbedarf Welchen Bildschirmflächenverbrauch hat das System, wenn eine

    echte Vorschau benötigt wird? N/A für Systeme ohne eigene Vorschaumethode.Quernavigation Wie zugänglich ist die Verbindung von echter Vorschau und Quelltext?

    Beschreibung der Bewertungen:++ Sehr gut+ Gut0 Zufriedenstellend– Lässt zu wünschen übrigN/A Nicht anwendbar

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Tipps und Tricks: Immer im Rahmen bleiben 27

    Tipps und Tricks: Immer im Rahmen bleiben

    Rolf Niepraschk

    Zum Hervorheben bestimmter Textbereiche macht man gelegentlich gern vonEinrahmung oder Einfärben des Hintergrunds Gebrauch. Üblicherweise setztman dazu in einem LATEX-Dokument den betreffenden Text in eine minipage,welche einer fbox- oder colorbox-Anweisung übergeben wird. Hier ein Beispieldazu:

    Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nuransah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wußte gar nicht, was siealles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen vonrotem Sammet,...

    Erzeugt wurde es mit:

    \usepackage{calc}\noindent\fbox{%

    \begin{minipage}{\linewidth-2\fboxsep-2\fboxrule}%Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb,der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, diewußte gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmalschenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Sammet,...

    \end{minipage}%}

    Nachteilig an diesem Verfahren ist der Umstand, dass innerhalb einerminipage-Umgebung kein Seitenumbruch stattfindet. In ungünstigen Fällenwandert der gerahmte Text auf die nächste Seite und hinterlässt ein häss-liches „Loch“. Abhilfe schafft das Paket framed [1]. Mit ihm gelingen auchUmbrüche innerhalb hervorgehobener Abschnitte wie das nächste Beispielzeigt:

    ...und weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragen wollte, hießes nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: „Komm,Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bringdas der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daranlaben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so gehhübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst dasGlas, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst,

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 28 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    so vergiß nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Eckenherum.“„Ich will schon alles gut machen“, sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihrdie Hand darauf.

    Der zugehörige Quellcode sieht gekürzt wie folgt aus:

    \usepackage{framed,color}\definecolor{shadecolor}{gray}{.85}\begin{shaded}% oder \begin{framed}

    ...und weil ihm das so wohl stand und es nichts anders mehr tragenwollte, hieß es nur das Rotkäppchen. Eines Tages sprach seineMutter zu ihm: "‘Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchenund eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist...

    \end{shaded}% oder \end{framed}

    Nähere Hinweise zum Paket framed findet man direkt in der Datei framed.sty.

    Literatur

    [1] Donald Arseneau: The framed Package; Juli 2001; CTAN: tex-archive/macros/latex/contrib/other/misc/framed.sty.

    Satzspiegelkonstruktionen im Vergleichoder „Warum sind die Ränder bei KOMA-Script eigentlich so?“

    Markus Kohm

    Die Konstruktion von Satzspiegeln, also die Bestimmung des Textbereichsauf der Seite, ist eine Kunst, die seit dem Mittelalter von Profis gepflegtwird. Im Laufe der Zeit wurden viele unterschiedliche Verfahren ersonnen,verworfen, vergessen, aber auch weiterentwickelt und dokumentiert. Einigedieser Verfahren sind mit Schlagworten belegt, die sie legendär machen. Ob-wohl angeblich an jeder Legende auch etwas Wahres ist, birgt die Legenden-bildung auch Gefahren. Es gilt daher, Legende und Wirklichkeit miteinanderzu vergleichen.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 29

    Einleitungoder „Warum ist ein Satzspiegel eigentlich wichtig?“

    Der Satzspiegel ist wie der Rahmen eines Bildes. Ein echter Rembrandt in ei-nem schiefen, bunten, neonfarbenen PVC-Rahmen wird immer wie eine billigeKopie wirken. Ebenso wird ein inhaltlich perfektes Dokument mit verkorks-tem Satzspiegel nicht die Geltung erfahren, die es verdient. Obwohl dieseTatsache unstrittig sein sollte, wagen sich Laien immer wieder daran, eige-ne Satzspiegel zu entwerfen. In einigen Fällen werden dabei Einstellungenaus Textverarbeitungsprogrammen übernommen, die kaum die Bezeichnung„Satzspiegel“ verdienen, geschweige denn als Konstruktion zu bezeichnen sind.

    Bei einigen Laien haben sich auch Schlagworte und Teile der damit verbun-denen Konstruktionen festgesetzt. Leider sind den Ergebnissen, die diesesHalbwissen zeitigt, oft die nicht beachteten Voraussetzungen der Satzspie-gelkonstruktion deutlich anzusehen. Aber auch wenn sie anderen Laien nichtauf den ersten Blick unangenehm auffallen, so können sie unterschwellig einenunerwünschten Eindruck erzeugen. Deshalb folgen nun zunächst einige grund-sätzliche Überlegungen zu Satzspiegeln.

    Allen Satzspiegeln gemeinsamoder „Welche Rolle spielt Harmonie in der Satzspiegelkonstruktion?“

    Jan Tschichold war unbestreitbar eine der schillerndsten Persönlichkeiten inder Typografie des 20. Jahrhunderts. Dies liegt sicher darin begründet, dassseine typografischen Aufsätze und Abhandlungen eine Sprache verwenden,die man eher in einem Roman als in einem wissenschaftlichen Werk vermu-ten würde. Einige behaupten, Tschichold sei der Begründer der modernenTypografie. Andere sehen in ihm im Gegenteil einen überholten Verfech-ter konservativen Denkens. Das Eigenartige am Typografen Tschichold ist,dass er sich anscheinend häufig widerspricht. In Wahrheit jedoch lassen seineAufsätze bei zeitlicher Einordnung einen lernenden und wachsenden Geisterkennen. Die scheinbaren Widersprüche sind dabei keine sich wandelndenGrundsätze, sondern Neubewertungen an Hand fester Grundsätze.

    Diese Grundsätze haben auch in der modernen Typografie ihre Berechtigung,wenn sie auch für den Profi kein zwingendes Korsett darstellen. Für denLaien jedoch haben diese Grundsätze den unschätzbaren Vorteil, dass sieihm das Leben erleichtern. Wenn die Grundsätze eingehalten sind, ist dieWahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis negativ bewertet werden muss, gering.Je mehr die Grundsätze verletzt sind, desto dünner wird das Eis. Während

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 30 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    also der Profi weiß, was er tut, und Verletzungen der Grundsätze bewussteinsetzen kann, sollte der Laie sie meiden wie der Teufel das Weihwasser.

    Der wichtigste Grundsatz in der Typografie, von dem viele andere Regeln ab-geleitet werden, lautet: Harmonie! Das menschliche Auge oder besser gesagt,die Sinne des Menschen streben ständig in gleicher Weise nach Harmonie wiedas Universum nach Chaos strebt.1 Was Harmonie im Einzelnen bedeutet,ist auch Bestandteil der Kultur. Da es hier um Typografie des Westens geht,bestimmt die westliche Kultur den zugrunde liegenden Harmoniebegriff.

    Es stellt sich damit die Frage, wann eine Seite harmonisch ist. Um diese Fra-ge beantworten zu können, müssen zunächst die bestimmenden Größen einerSeite festgestellt werden. Der ungeübte Laie wird sagen: die Breite bezie-hungsweise Höhe der Ränder oder des Satzspiegels. Genaugenommen hat erdamit nicht unrecht. Leider bieten aber die absoluten Größen wenig Möglich-keit einer schematischen Betrachtung. So lässt sich eine Frage, ob ein äußererRand von 2 cm besser ist als ein äußerer Rand von 3 cm, kaum beantworten,wenn man nicht weiß, in welcher Beziehung oder welchem Verhältnis dieserRand zu anderen Elementen der Seite steht. Schon allein, um eine Satzspie-gelkonstruktion nicht allein für eine Papiergröße anwenden zu können, sinddeshalb die Verhältnisse der Elemente und innerhalb der Elemente einer Seitedie bestimmenden Größen.

    Wir alle kennen aus dem Alltag Verhältnisse, die uns besonders harmonischerscheinen. So gilt das Seitenverhältnis eines Fernsehgeräts oder Computer-monitors mit 4 : 3 oder eines Breitformatbildes mit 16 : 9 als harmonisch.Auch andere Verhältnisse mit besonderen Eigenschaften gelten als sehr har-monisch. Der goldene Schnitt spielt dabei eine wichtige Rolle. Der goldeneSchnitt ist die Lösung des folgenden Problems: Wie muss ein Ganzes ge-teilt werden, so dass zwei ungleiche Teile entstehen, bei denen das Verhält-nis des kleineren Teils zum größeren Teil dem Verhältnis des größeren Teilszum Ganzen entspricht? Tabelle 1 gibt zu einem gegebenen kleinen Teil ajeweils das errechnete größere Teil b und das Ganze c an. In der Typografiewerden jedoch in der Regel die ganzzahligen Verhältnisse verwendet, die inTabelle 2 angegeben sind. Besonders interessant ist hier die fortlaufende Rei-he 1 : 2 : 3 : 5 : 8 : 13 : 21 : 34 : 55 : 89. . . , die erstaunlich genau ist. Wir werdendarauf noch zurückkommen. Diese Reihe entspricht übrigens der Fibonacci-1 Nebenbei bemerkt gibt es in der Chaosforschung die Theorie, dass das Chaos letztlichzur perfekten Harmonie führt.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 31

    a : b : c1 : 1,6 : 2,62 : 3,2 : 5,23 : 4,9 : 7,94 : 6,5 : 9,5

    a : b : c1 : 2 : 32 : 3 : 53 : 5 : 84 : 6 : 105 : 8 : 136 : 10 : 167 : 11 : 188 : 13 : 21

    Tabelle 1: Verhältnisse im golde-nen Schnitt

    Tabelle 2: Ganzzahlige Verhält-nisse im goldenen Schnitt

    Reihe, bei der man ein Glied aus der Summe der beiden Vorgänger erhält.Dies ist eine zusätzliche Harmoniebeziehung.

    Ein anderes bekanntes, ganzzahliges Verhältnis ist der Villardsche Teilungs-kanon. Bei diesem wird ein Ganzes so in zwei Teile zerlegt, dass das kleinereTeil halb so groß ist wie das Größere. Es beschreibt also das Verhältnis 1 : 2.Dieses passt auch zum ganzzahligen goldenen Schnitt.

    Neben besonderen Verhältnissen spielt aber auch ein anderer optischer Ein-druck eine wichtige Rolle. Betrachten wir einmal Abbildung 1. Der äußereRahmen soll eine Doppelseite in einem Buch symbolisieren. Die beiden dun-kelgrauen Kästen sind die Satzspiegel auf den beiden Seiten. Die hellgrauenKästen sind Elemente, die in unserem Gehirn unwillkürlich entstehen, ob-wohl sie auf der Seite normalerweise weiß bleiben. Der Eindruck dieser Käs-ten entsteht dadurch, dass im Gehirn die Kanten der optischen Ränder desSatzspiegels nach außen verlängert werden. Abhängig von der Größe und Po-sition des Satzspiegels kann dieser Eindruck für einzelne oder alle Kästenstärker oder schwächer sein. Ein besonders harmonischer Eindruck entstehtnun, wenn nicht nur der Satzspiegel dasselbe Seitenverhältnis wie die Seitehat, sondern auch die Kästen A, B und C sowie die quasi liegenden Kästena, b und c und die ebenfalls liegende Doppelseite. Damit haben praktischalle optischen Elemente der Seite das gleiche Seitenverhältnis. Ein stärkererEindruck von Harmonie ist kaum möglich. Kaum schwächer ist der Eindruck,wenn die Doppelseite und die Kästen a, b und c dasselbe Seitenverhältnishaben, aber dieses Seitenverhältnis vom gemeinsamen Seitenverhältnis dereinzelnen Seite, des Satzspiegels und der Kästen A, B und C abweicht. Dies

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 32 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

    A B C

    a b c

    Abbildung 1: Harmonische Größen bei der Satzspiegelkonstruktion

    kann wiederum dadurch verstärkt werden, dass die beiden Seitenverhältnisseihrerseits in einem günstigen Verhältnis zueinander stehen.

    Eine interessante Frage ist nun, ob sich die Harmonie besonderer Verhältnis-se und die Harmonie der Elemente mit gleichem Seitenverhältnis in Einklangbringen lassen. Ist dies der Fall, dann ist wirklich maximale Harmonie er-reicht. Größtmögliche Harmonie lässt gleichzeitig auf eine günstige Satzspie-gelkonstruktion schließen. Mindestvoraussetzung der Harmonie ist übrigens –und darüber sind sich alle Typografen einig – die Übereinstimmung des Sei-tenverhältnisses des Satzspiegels mit dem Seitenverhältnis der Buchseite [3].

    Bei der Analyse mittelalterlicher Handschriften erkannte Jan Tschichold üb-rigens noch eine weitere Harmonie. Er stellte fest, dass bei wertvollen Hand-schriften der Satzspiegel und – lässt man die kunstvollen Illustrationen weg– der weiße Anteil der Seite ungefähr gleich groß sind. Es ist wenig über-raschend, dass Ästheten, Typografen und altgelernte Buchdrucker an einemGroßteil der heutigen Bücher vor allem bemängeln, dass die Ränder viel zuschmal und die Satzspiegel viel zu groß sind.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 33

    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

    Abbildung 2: Negativbeispiel einer Satzspiegelkonstruktion

    Es gibt noch einen Punkt, über den sich alle Typografen einig sind. Der Fuß-steg muss immer größer als der Kopfsteg sein. Der Grund dafür ist einfach:Unser Auge sieht die Mitte des Papiers nicht in der Mitte sondern darüber,jedenfalls dann, wenn darauf eine grau wirkende Fläche liegt. Ähnlich ver-hält es sich mit dem Bundsteg und dem Außensteg. Wie es scheint, ziehensich die grauen Flächen gegenseitig an. Abbildung 2 zeigt dieselbe Papier-fläche und denselben Satzspiegel wie Abbildung 1, allerdings vertikal undhorizontal zentriert. In aller Regel werden Sie jedoch den Eindruck haben,dass der Bundsteg breiter ist als der Außensteg und der Kopfsteg breiter alsder Fußsteg. Je dunkler die Fläche des Satzspiegels, desto stärker wird dieserEindruck. Ich versichere jedoch, dass der Eindruck täuscht.

    Vom Mittelalter bis zur Renaissanceoder „Was können wir von den alten Meistern lernen?“

    Im Mittelalter wurden Bücher zwar entweder abgeschrieben oder in Reibe-technik gedruckt, aber Typografie gab es damals schon. Zwar war Typogra-fie im Mittelalter weder Handwerk noch Wissenschaft, aber sie wurde von

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 34 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    Schreibern und Druckern gepflegt. Dabei gingen im Idealfall die Fähigkei-ten des Meisters auf den Lehrling über und wurden von diesem verbessert.Bekanntlich will die Jugend seit Urzeiten besser als die Alten sein.

    Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, war es im Mittelalter durchaus üb-lich, dass der Satzspiegel nur ungefähr die Hälfte einer Seite ausmachte.Das wurde dadurch erreicht, dass als Höhe des Satzspiegels oft die Breitedes Papiers verwendet wurde. Das verwendete Papier hatte häufig ein Sei-tenverhältnis von 2 : 3 oder 3 : 4. Die Ränder wurden im Verhältnis Bund-steg :Kopfsteg :Außensteg : Fußsteg von 2 : 3 : 4 : 6 gewählt [4]. Aus Tabelle 2wissen wir, dass dabei das Verhältnis 2 : 3 des Seitenformats und von Bund-steg :Kopfsteg ebenso im goldenen Schnitt liegt, wie das Verhältnis 1 : 2 vonBundsteg : Außensteg beziehungsweise Kopfsteg : Fußsteg.

    Nehmen wir das Beispiel aus Abbildung 3. Es ergeben sich folgende Verhält-nisse:

    Papierbreite : Papierhöhe = 2 : 3Satzspiegelbreite : Satzspiegelhöhe = 2 : 3Bundsteg :Kopfsteg = 2 : 3Außensteg : Fußsteg = 2 : 3innerer Rand : Fußsteg = 2 : 3Seitenhöhe :Doppelseitenbreite = 3 : 4Kopfsteg :Außensteg = 3 : 4Bundsteg :Außensteg = 1 : 2Kopfsteg : Fußsteg = 1 : 2Randhöhe : Satzspiegelhöhe = 1 : 2Randbreite : Satzspiegelbreite = 1 : 2

    Die letzten beiden Verhältnisse wurden bei der Konstruktion bewusst so ge-wählt. Ich komme später darauf zurück. Wie man sieht, genügen drei Ver-hältnisse, um die Konstruktion vollständig zu beschreiben.

    Die dünnen, schwarzen Linien in Abbildung 3 sind diagonale Hilfslinien. Un-abhängig von der Größe des Satzspiegels muss seine äußere obere Ecke immerauf der Diagonalen der Doppelseite und seine innere obere und äußere untereEcke immer auf der Diagonalen der Einzelseite liegen. Wenn diese Bedingungerfüllt ist, dann ist auch das Verhältnis 2 : 3 : 4 : 6 sichergestellt. Die beidendünnen Hilfslinien dienen einer Konstruktion, auf die ich noch zurückkomme.

    Wie sieht das Ganze nun aus, wenn das Papier nicht das Seitenverhältnis2 : 3, sondern 3 : 4 hat? Wie bereits erwähnt, erscheint uns dieses Seitenver-

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 35

    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

    JJ

    JJ

    JJ

    JJ

    JJ

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    Abbildung 3: Mittelalterliche Satzspiegelkonstruktion mit dem VerhältnisBundsteg :Kopfsteg : Außensteg : Fußsteg = 2 : 3 : 4 : 6 für Octave-Papier

    hältnis ebenfalls harmonisch, auch wenn es im Gegensatz zu 2 : 3 nicht in dengoldenen Schnitt passt. Traditionell wird nun das Ränderverhältnis 3 : 4 : 6 : 8gewählt.

    Nehmen wir das Beispiel aus Abbildung 4. Es ergeben sich folgende Verhält-nisse:

    Papierbreite : Papierhöhe = 3 : 4Satzspiegelbreite : Satzspiegelhöhe = 3 : 4Bundsteg :Kopfsteg = 3 : 4Außensteg : Fußsteg = 3 : 4innerer Rand : Fußsteg = 3 : 4Seitenhöhe :Doppelseitenbreite = 2 : 3Kopfsteg :Außensteg = 2 : 3Bundsteg :Außensteg = 1 : 2Kopfsteg : Fußsteg = 1 : 2

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 36 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    Randhöhe : Satzspiegelhöhe = 1 : 2Randbreite : Satzspiegelbreite = 1 : 2

    Auch dieses wirkt unbestreitbar sehr harmonisch. Und obwohl hier lediglichdie Verhältnisse 2 : 3 mit 3 : 4 den Platz getauscht haben, muss man zugeben,dass das Schema von Abbildung 4 noch etwas angenehmer wirkt als das vonAbbildung 3. Hier wirken nun nicht mehr allein die Verhältnisse, sondern auchdie absoluten Größen. Dies gilt insbesondere für den unteren Rand. Aberauch insgesamt erscheint Octave-Papier gestreckter – ja geradezu härter –als Quart-Papier. Man erlaube mir die Anmerkung, dass ich mit Octave denVater und mit Quart die Mutter des wohlgeratenen Layouts verbinde.

    In der Renaissance erkannte man den langen, nackten Hals bei Octave of-fenbar auch. Man versuchte sogleich mit einem einfachen Kunstgriff diesesProblem zu beseitigen, nämlich der Änderung des Ränderverhältnisses von2 : 3 : 4 : 6 in 2 : 3 : 4 : 5. Abbildung 5 zeigt die Auswirkungen. Dem geübten Au-ge und dem aufmerksamen Leser wird sofort auffallen, dass dieses Verhältniseinige Nachteile mit sich bringt. Betrachten wir die Verhältnisse etwas ge-nauer:

    Papierbreite : Papierhöhe = 2 : 3Satzspiegelbreite : Satzspiegelhöhe = 27 : 41Bundsteg :Kopfsteg = 2 : 3Außensteg : Fußsteg = 4 : 5innerer Rand : Fußsteg = 4 : 5Seitenhöhe :Doppelseitenbreite = 3 : 4Kopfsteg :Außensteg = 3 : 4Bundsteg :Außensteg = 1 : 2Kopfsteg : Fußsteg = 3 : 5Randhöhe : Satzspiegelhöhe = 8 : 19Randbreite : Satzspiegelbreite = 1 : 2

    Negativ fällt auf, dass das Seitenverhältnis des Satzspiegels nicht mehr mitdem Seitenverhältnis des Papiers übereinstimmt. In der Konstruktion ist dasleicht daran zu erkennen, dass die linke untere Ecke der linken Seite dieDiagonale verlässt. Des Weiteren stehen Bundsteg und Außensteg mit 1 : 2in einem anderen Verhältnis zueinander als Kopfsteg und Fußsteg mit 3 : 5.Vorteilhaft ist dabei nur, dass beide Verhältnisse dem ganzzahligen goldenenSchnitt entsprechen. Aus dem verletzten Seitenverhältnis resultiert dann na-türlich auch, dass die horizontalen Ränder in einem anderen Verhältnis zum

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  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 37

    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

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    Abbildung 4: Mittelalterliche Satzspiegelkonstruktion mit dem VerhältnisBundsteg :Kopfsteg : Außensteg : Fußsteg = 3 : 4 : 6 : 8 für Quart-Papier

    Satzspiegel stehen als die vertikalen. Bei idealer Konstruktion wie in den bei-den Abbildungen gezeigt, wird dann aus 1 : 2 plötzlich 8 : 19. Dieses Verhältnispasst auch nicht so recht in eines der harmonischen Teilungsverhältnisse. Ins-gesamt ergibt sich nun ein Wirrwarr vieler verschiedener Verhältnisse. Diesist ein guter Hinweis auf eine gestörte Harmonie.

    Einige Typografen lehnen die Renaissance-Konstruktion schon allein wegendes Verstoßes beim Satzspiegelverhältnis ab. Allerdings liegt die Abweichungbei weniger als einem Prozent. Mit Feingefühl kann ein Typograf selbst damitarbeiten. Dem Laien werden jedoch die wenigsten Typografen diese Konstruk-tion empfehlen, denn in der Praxis können zu dieser konstruktionsbedingtenAbweichung weitere Abweichungen kommen.

    In der Literatur konnte ich keinen Hinweis darauf finden, dass in der Re-naissance diese Abweichung auch auf Quart-Papier übertragen wurde. Ichverzichte hier deshalb ebenfalls darauf, dies zu behandeln. Erwähnt sei jedoch,dass eine ähnliche Abweichung bei Quart beispielsweise durch das Verhältnis3 : 4 : 6 : 7 erreicht werden könnte.

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  • 38 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

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    Abbildung 5: Renaissance-Satzspiegelkonstruktion mit dem VerhältnisBundsteg : Kopfsteg : Außensteg : Fußsteg = 2 : 3 : 4 : 5 für Octave-Papier

    Die Moderneoder „Was hat es mit den Hilfslinien auf sich?“

    In der Bauhauszeit wurde Ästhetik und die Suche danach zum Prinzip erklärt.Man mag zu dem, was diese Epoche als ästhetisch hervorgebracht hat, stehenwie man will, die Typografie erhielt in dieser Zeit neue und wiederentdeckteImpulse. Für die Satzspiegelkonstruktion von Bedeutung ist, dass zu dieserZeit die Papiere der DIN-Reihen A, B, C und D bereits Verbreitung gefundenhatten. Es erschien wünschenswert, auf Konstruktionen zurückzugreifen, dieunabhängig vom Papierformat funktionieren.

    Vermutlich vom holländischen Typografen van de Graaf stammt die Kon-struktion, die bereits in den Abbildungen der vorherigen Abschnitte skizziertist [5]. Man legt dabei zunächst in jede Einzelseite die Diagonale von außenunten nach innen oben. Dann fügt man die Diagonalen der Doppelseite hinzu.

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  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 39

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    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

    Abbildung 6: Neunerteilung am Beispiel von Papier der DIN-A-Reihe

    Vom Schnittpunkt der ansteigenden Doppelseitendiagonalen mit der Diago-nalen der rechten Seite geht man senkrecht nach oben. Von diesem Punktaus zieht man eine Linie zum Schnittpunkt der abfallenden Doppelseitendia-gonalen mit der Diagonalen der linken Seite. Der Schnittpunkt dieser Liniemit der Diagonalen der rechten Seite ist die linke obere Ecke des Satzspiegelsder rechten Seite. Die rechte obere Ecke des Satzspiegels ergibt sich dann ausdem Schnittpunkt einer horizontalen Linie von der linken oberen Ecke desSatzspiegels mit der ansteigenden Doppelseitendiagonalen. Der Schnittpunkteiner senkrechten Linie von dieser Ecke mit der Seitendiagonalen bringt danndie rechte untere Ecke. Die vierte Ecke ergibt sich durch die rechten Winkeldes Satzpiegels von allein.

    Jan Tschichold erkannte, dass diese Konstruktion genau zu der klassischenEinteilung führt, die in den Abbildungen 3 und 4 bereits zu sehen war [7].Des Weiteren entspricht sie einer Teilung der Papiervertikalen und der Pa-pierhorizontalen in jeweils neun Teile wie sie in Abbildung 6 zu sehen ist.Sie ist deshalb auch als Neunerteilung oder klassische Neunerteilung in der

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 40 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    Literatur zu finden. Diese Satzspiegelkonstruktion wurde vom Mittelalter bisin unser Jahrhundert für Literatur von Cicero bis zu Minnegesängen verwen-det. Im Gegensatz zu festen Ränderverhältnissen funktioniert sie unabhängigvom Papierformat und führt dann zu den passenden Ränderverhältnissen.Unverwöhnten – ja! gequälten – Augen erscheinen die Ränder außerordent-lich extravagant. Dem verwöhnten Auge erscheint die Seite überaus elegant.Kritische Leser schreien verzückt auf, haben sie doch endlich Platz für ihreAnmerkungen.

    Doch genug der Verzückung! Einige moderne Typografen bezweifeln, das die-se Konstruktion für lebende Kolumnentitel wirklich geeignet ist [5]. Seienwir ehrlich: Der Platz, der für Text nach Abzug der Kolumnentitel bleibt,schwindet dabei. Lebende Kolumnentitel sind darüber hinaus ein Merkmalvon wissenschaftlichen Werken, in denen auch häufig Konsultationselementewie Tabellen und Abbildungen zu finden sind. Auch für diese wird oft vielPlatz in der Höhe und auch in der Breite benötigt. Es ist daher wenig ver-wunderlich, dass schon Jan Tschichold im letzten Jahrhundert erkannte, dassfür technische oder allgemeiner für wissenschaftliche Bücher eine Erweiterunggefunden werden muss. Er fand sie einfach, indem er eine Abweichung vonder Verwendung von neun Teilen erlaubte und zum n-mal-n-Raster überging.Daraus resultiert die Rasterkonstruktion.

    Bei der Rasterkonstruktion wird die Seite wie bei der Neunerteilung vertikalund horizontal in ein Raster eingeteilt. Dabei werden vertikal und horizontalgleich viele Teile verwendet. Dadurch wird erreicht, dass jedes Kästchen desRasters dasselbe Seitenverhältnis besitzt wie die Seite. Für den Bundstegwird eine Spalte, für den Kopfsteg eine Zeile, für den Außensteg zwei Spaltenund für den Fußsteg zwei Zeilen des Rasters verwendet. Der Rest ist dannder Satzspiegel. Der einzige Unterschied zur Neunerteilung besteht damit inder Anzahl der Zeilen und Spalten, die verwendet werden. Die Neunerteilungist also lediglich ein Sonderfall der Rasterkonstruktion.

    Die Besonderheit der Rasterkonstruktion besteht darin, dass sie nicht mehrvom Papierformat abhängig ist. Das liegt daran, dass die Verhältnisse Bund-steg :Kopfsteg und Kopfsteg :Außensteg automatisch dem Seitenverhältnisvon Satzspiegel und Seite folgen, also die Kästchen A, B, C und a, b, c ausAbbildung 1 automatisch harmonisch sind.

    Bedeutet dies nun, dass die Rasterkonstruktion immer ein perfektes Lay-out liefert? Diese Frage kann mit einem klaren Jein beantwortet wer-den. Zunächst sollte das Verhältnis Rand : Satzspiegelhöhe beziehungsweise

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  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 41

    Rand : Satzspiegelbreite in aller Regel nicht größer als 1 : 2 werden. Sonstwerden die Ränder eindeutig zu groß. Umgekehrt sollte der kleinste sichtbareRand nie kleiner als 12,5 mm sein. Dieser Wert erscheint willkürlich undist es teilweise auch. Dieser Vorwurf trifft allerdings mehr oder weniger füralle Erfahrungswerte zu. Er sollte jedoch nicht als Ausrede dafür dienen,Erfahrungswerte zu ignorieren. Der kleinste sichtbare Rand ist in der Regelder Kopfsteg, da der Bundsteg auf Doppelseiten ja doppelt zu sehen ist. Einkleinster Rand von 19mm gilt als nahezu optimal und 25 mm sind elegant.Vermutlich hat Letzteres auch irgendwann ein Programmierer gelesen unddann in seine Textverarbeitung als Voreinstellung eingebaut – leider für alleRänder und leider wurde nie ein Typograf gefragt, ob das so korrekt ist.

    Doch die Wahl minimaler oder maximaler Ränder ist nicht das einzige Krite-rium. Ebenso wichtig wie ausreichende und nicht übermäßige Randbreiten istdie richtige Breite des Satzspiegels. Hier spielt jedoch der Wert in einem ob-jektiven Maß zunächst eine untergeordnete Rolle. Zwar hat das menschlicheAuge klar ein Problem, wenn es vom Ende einer 1 m langen Zeile an derenAnfang zurück soll. So lange man den Kopf beim Lesen aber nicht drehenmuss – obwohl man das in der Regel trotzdem macht – ist das Problem derreinen Wegstrecke ein zweitrangiges. Wichtiger ist die Anzahl der Zeichen unddie Anzahl der Wörter in einer Zeile. Geübte Leser haben bei gut gewählterSchrift mit ordentlichem, aber nicht übertriebenem Durchschuss kein Pro-blem beim Verfolgen und Zurückspringen, wenn eine Zeile durchschnittlichnicht mehr als 74 Zeichen hat. Angenehm und für ungeübte Leser wünschens-wert sind jedoch 62 bis 66 Zeichen. Da das Auge in Wirklichkeit nicht vonBuchstabe zu Buchstabe, sondern von Wort zu Wort springt, sollten im allge-meinen nicht mehr als 10 bis 12 Wörter in jeder Zeile stehen. Das begünstigtscheinbar Sprachen mit langen Wörtern oder Wortgefügen. Dem ist nicht so,da das Auge dann wieder nicht mehr von Wort zu Wort, sondern von Teilwortzu Teilwort springt. Dabei spielen Buchstaben mit durchgehenden vertikalenKanten eine große Rolle. Aber das ist ein anderes Thema.

    Das Vorgehen sollte also so sein, dass man zunächst ausmisst, wie breit derSatzspiegel bei der gewählten Schrift maximal sein darf. Dann sucht mannach einem Raster, das zu dieser Breite passt. Als Letztes überprüft man,ob die Bedingungen bezüglich minimaler und maximaler Ränder eingehaltensind. Wenn die Ränder zu schmal sind, wählt man ein gröberes Raster, dennkürzere Zeilen im Satzspiegel sind unproblematisch. Was aber tun, wenn dieRänder zu breit sind? Als Notlösung kann man den Satzspiegel etwas breiterwählen und dafür den Durchschuss erhöhen. Dieses Vorgehen ist aber nur

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 42 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    sehr beschränkt anwendbar, etwa bis zu Zeilenlängen von 76 Zeichen undeinem Grundlinienabstand von Faktor 1,35 der Schriftgröße. Dabei darf dieSchrift auch nicht zu leicht und nicht zu fett sein. Anderenfalls wird derGraueindruck der Seite zu streifig. Die beste Lösung besteht dann darin,entweder das Papierformat oder die Schrift zu wechseln.

    Vorteilhaft an der Rasterkonstruktion ist, dass sie sehr einfach mit Computer-unterstützung umzusetzen ist. Bei KOMA-Script [2] wird genau dies mit demPaket typearea erreicht. Bei Verwendung der Option DIVcalc beachtet dasPaket ebenfalls Minimalränder. Dabei werden aber als absolutes Minimumnicht die oben erwähnten 12,5 mm, sondern nur 5 mm verwendet.

    Seltene Alternativenoder „Wie kann der goldene Schnitt an Glanz verlieren?“

    Wie wir bisher gesehen haben, findet der goldene Schnitt in der einen oderanderen Form in vielen klassischen Satzspiegelkonstruktionen Eingang. Beider Rasterkonstruktion ist das letztlich nur in Form des Verhältnisses 1 : 2der Fall, das quasi die unterste Stufe des ganzzahligen goldenen Schnitts be-deutet, der Fall und entspricht gleichzeitig dem Villardschen Teilungskanon.Dieses Verhältnis findet sich bei der Rasterkonstruktion wie auch bei den an-deren vorgestellten Konstruktionen als Verhältnis von Bundsteg : Außenstegund eingeschränkt Kopfsteg : Fußsteg. Bei der Neunerteilung findet es sichebenfalls beim Verhältnis der Anzahl der Zeilen beziehungsweise Spalten, diefür den Rand verwendet werden, zu denen, die für den Satzspiegel verwendetwerden.

    Manchmal liest man in der Literatur, dass der goldene Schnitt noch einenSchritt weiter in die Satzspiegelkonstruktion Eingang findet. Dann wirdals Verhältnis der Ränder 3 : 5 : 8 : 13 verwendet. Dies ist ein Vier-Zahlen-Ausschnitt aus der oben erwähnten Fibonacci-Reihe. Ein erstes Problemdabei ist, dass das Verhältnis von Bundsteg :Außensteg nun nicht mehr 1 : 2,sondern 3 : 8 ist. Das bedeutet, dass der gesamte innere Rand kleiner alsjeder Äußere Rand ist. Dies ist eine Störung der Harmonie [3]. Immerhin istdabei der innere Rand 25 Prozent kleiner als jeder Äußere. Dazu kommt,dass das Papier in der Mitte von Büchern häufig gewölbt ist und auch damitoptisch eine zusätzliche Verkleinerung des Bundstegs eintreten kann, fallsdiese bei der Konstruktion nicht kompensiert wird. Ein weiteres Problembesteht darin, dass das Verhältnis Bundsteg : Kopfsteg nicht dem VerhältnisAußensteg : Fußsteg entspricht. Die Kästen A und a aus Abbildung 1 haben

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  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 43

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    Abbildung 7: Goldener Schnitt für Papier und Satzspiegelkonstruktion

    also unterschiedliche Seitenverhältnisse. Die Abweichung fällt mit etwa 2,5Prozent aber tolerierbar gering aus und ist letztlich darin begründet, dass derganzzahlige goldene Schnitt eben nicht wirklich der goldene Schnitt ist. Diesgilt dann auch für die Möglichkeit, dass der Satzspiegel das Seitenverhältnisder Seite selbst besitzt. Wie inzwischen häufig erwähnt wurde, ist letzteresfür die Harmonie sehr wichtig. Stellt sich also die Frage, wann dies beimgoldenen Schnitt der Fall ist. Analog zu den Ränderverhältnissen 2 : 3 : 4 : 6für Octave- und 3 : 4 : 6 : 8 für Quart-Papier sollte beim goldenen Schnittmit dem Ränderverhältnis 3 : 5 : 8 : 13 das Seitenverhältnis des Papiers demgoldenen Schnitt, also 3 : 5 oder 8 : 13, entsprechen. Abbildung 7 zeigt einBeispiel dafür. Abbildung 8 zeigt hingegen, was passiert, wenn man dieseKonstruktion auf Papier der DIN-A-Reihe anwendet. In beiden Abbildungenwirkt nach meiner persönlichen Auffasssung der Satzspiegel zu weit nachinnen gedrängt. Die vertikale Ausrichtung erscheint eher brauchbar. Dies giltumso mehr, wenn mit Kolumnentiteln gearbeitet wird. In Abbildung 8 fälltdas nicht passende Seitenverhältnis des Satzspiegels allerdings bereits deut-lich auf. Für das ungeübte Auge habe ich den Eindruck durch eine Hilfslinienoch etwas verdeutlicht. Die Konstruktion ist für Papier der DIN-A-Reihe

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  • 44 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

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    Satzspiegel links Satzspiegel rechts

    Abbildung 8: Goldener Schnitt für die Satzspiegelkonstruktion bei Verwendung vonPapier der DIN-A-Reihe

    schlicht ungeeignet. Ihr Nutzen ist meiner Meinung nach aber auch sonsteher fraglich. Dem Laien kann ich nur raten: Finger weg!

    Zusammenfassungoder „Wie also kann ein Laie einen Satzspiegel beurteilen?“

    Nach all den Zahlen schwirrt der Kopf, und der Verstand steht still. Dahersei nun noch einmal zusammengefasst, worauf der Laie bei der Beurteilungeines Satzspiegels achten soll. Oberstes Kriterium ist Harmonie.

    Grundvorsaussetzung für Harmonie ist, dass das Seitenverhältnis von Satz-spiegel und Seite möglichst gut übereinstimmt. Um dies zu überprüfen, zeich-net man eine Diagonale von der oberen inneren zur unteren äußeren Ecke inSeite und Satzspiegel. Sind die Diagonalen parallel, so stimmt das Seitenver-hältnis überein.

    Günstig ist außerdem, wenn der innere Rand und der äußere Rand gleichgroß sind, also der Bundsteg halb so groß wie der Außensteg. Dies ist gege-ben, wenn die beiden oben erwähnten Diagonalen direkt aufeinander liegen.Gleichzeitig ist dann der Kopfsteg genau halb so groß wie der Fußsteg unddie Kästen A, B, C und a, b, c haben ebenfalls das passende Seitenverhältnis.

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  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 45

    Überhaupt sollen möglichst wenig unterschiedliche Verhältnisse auftreten.Letztes Kriterium für den Laien ist dann, ob die Zeilenlänge günstig und derGraueindruck einheitlich ist. Geringe Abweichungen bei der Höhe des Satz-spiegels und der Höhe des unteren Randes sollte der Laie tolerieren. Ebensosollte er bei der Kontruktion die Höhe des unteren Randes eher ab- und dieHöhe des Satzspiegels eher aufrunden, wenn es darum geht, Nebenbedingun-gen einzuhalten. Eine Nebenbedingung bei LATEX ist, dass \textheight ab-züglich \topskip ein ganzahliges Vielfaches von \baselineskip sein sollte.Dadurch muss bei einer ganz mit einem Absatz gefüllten Seite der Zeilenab-stand nicht gedehnt werden.

    Der Anwender kann sich das Leben auch erleichtern und das typearea-Paketvon KOMA-Script verwenden. Bei Verwendung der Option DIVcalc musser dort in aller Regel auf gar nichts achten. Bei Vorgabe eines eigenen DIV-Wertes, also bei eigener Wahl des Teilungsfaktors für die Rasterkonstruktion,muss er lediglich die Zeilenlänge überprüfen, wobei typearea auch hier Un-terstützung in Form einer Bewertung des Ergebnisses bietet.

    Abschließend sei noch auf ein Zitat aus [6] zurückgegriffen:

    Heute sind Milchsack und Tschichold fast vergessen. Jeder Computer-benutzer kann willkürlich ein Buch gestalten. Daher sind die meistenneuen Bücher hässlich. Grundsätzlich haben unsere Bücher folgendeMängel: Der Satzspiegel ist zu groß, die Verlage nutzen das Papiersoweit wie nur möglich aus [ . . . ] Die Ränderverhältnisse sind zufällig,oft stehen die Kolumnen zu tief.

    Ich hoffe, das notwendige Rüstzeug vermittelt zu haben, damit nun auchComputerbenutzer ihre Bücher weniger willkürlich gestalten und auf Rändermehr Wert legen.

    Glossaroder „Was versteht man eigentlich unter . . . “

    In diesem Glossar werden die wichtigsten typografischen Begriffe erklärt, diein diesem Artikel Verwendung finden. Ich habe mir dabei die Freiheit genom-men, nicht die Erklärungen aus irgendwelchen Lexika abzuschreiben, sondernmeine eigenen Erklärungen und Kommentare abzugeben. Wenn in den Er-klärungen ein logischer Ort erwähnt wird, so ist damit ein Ort gemeint, derzum einen mit einem einzigen Begriff bezeichnet werden kann, zum anderenauf linken und rechten Seiten symmetrisch zum Satzspiegel ausgerichtet ist.

    Die TEXnische Komödie 4/2002

  • 46 Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich

    Beispiele für logische Orte sind: „oben, innen“, „unten, außen“, „mittig, außen“usw.

    Außensteg Der Außensteg ist der Bereich zwischen der rechten oder linken,äußeren Kante der Seite und dem Satzspiegel. Er wird auch als äußererRand bezeichnet.

    Bundsteg Der Bundsteg ist der innere Rand einer Seite. Der Bundsteg derlinken Seite bildet mit dem Bundsteg der rechten Seite den inneren Rand.Ob ein Teil des Bundstegs bei der Bindung also durch den Bund verlo-ren geht, oder ob dieser Verlust durch den übergroßen Papierbogen zukompensieren ist, ist strittig. Unstrittig ist jedoch, dass optische und har-monische Eigenschaften des Bundstegs nur für den sichtbaren Bundstegangegeben werden können. In diesem Artikel ist daher der Bundsteg mitdem sichtbaren Bundsteg gleichgesetzt.

    Fußsteg Der Fußsteg ist der Bereich zwischen der unteren Kante der Seiteund dem Satzspiegel. Er wird auch als unterer Rand bezeichnet.

    Kolumnentitel Man unterscheidet zwischen lebendem und totem Kolumnen-titel. Der tote Kolumnentitel ist normalerweise identisch auf jeder Seiteam gleichen logischen Ort zu finden. Er ist nicht Teil des Satzspiegels. Inder Regel ist der tote Kolumnentitel im oberen oder unteren Rand posi-tioniert, wird klein gesetzt und sollte kurz sein. In jedem Fall sollte eintoter Kolumnentitel optisch unauffällig bleiben und so die Harmonie vonSatzspiegel und Rändern nicht stören.

    Der lebende Kolumnentitel wiederholt Elemente der Gliederung des Do-kuments. Er ist Teil des Satzspiegels. In der Regel werden Kapitel- undAbschnittsüberschriften für den lebenden Kolumnentitel verwendet. Er istauf jeder normalen Textseite am gleichen logischen Ort zu finden. Auf be-sonderen Seiten, beispielsweise wenn Kolumnentitel und Überschrift mitidentischem Text untereinander stehen würden, entfällt der lebende Ko-lumnentitel. Üblich ist, dass der lebende Kolumnentitel in der ersten Zeiledes Satzspiegels positioniert wird.

    Kopfsteg Der Kopfsteg ist der Bereich zwischen der oberen Kante der Seiteund dem Satzspiegel. Er wird auch als oberer Rand bezeichnet.

    Marginalien Die Marginalien sind Hinweise, Symbole, Ergänzungen und ähn-liche Elemente, die neben dem eigentlichen Text angebracht sind und die-sen in der Regel unterstützen. Dünn besetzte Marginalien sind solche, die

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  • Satzspiegelkonstruktionen im Vergleich 47

    nur vereinzelt auftreten und optisch nur wenig Platz beanspruchen. Siebefinden sich in der Regel im Außensteg, selten im Bundsteg. Der Bundstegwird zum einen aufgrund seiner Wölbung ausgespart, zum anderen weiler beim Blättern im Buch nicht ins Auge fällt. Damit können Marginalienim Bundsteg nur eine geringere Wirkung hervorrufen.

    Dicht besetzte Marginalien sind solche, die gehäuft auftreten oder optischsehr viel Platz beanspruchen. Sie würden den optischen Eindruck desRandes und damit die Harmonie der Seite stören. Deshalb sind sie ganzoder teilweise Bestandteil des Satzspiegels.

    Octave Octave ist ein Papierformat mit dem Seitenverhältnis 2 : 3.

    Paginierung Die Paginierung ist die Ausgabe und Positionierung der Seiten-nummer auf der Seite. Es ist durchaus möglich und statthaft, ein Layoutzu entwerfen, bei dem auf einer Seite die Seitennummer mehrfach ausgege-ben wird. Allerdings sollte die Seitennummer innerhalb eines Dokumentsnicht ihren logischen Ort wechseln. Nur so findet der Leser die Seiten-nummer leicht. Eine Seitennummer, die der Leser nicht leicht findet, istnutzlos. Die Paginierung ist nicht Teil des Satzspiegels. Es ist jedoch mög-lich, die Paginierung als Teil des lebenden Kolumnentitels innerhalb desSatzspiegels zu positionieren.

    Quart Quart ist ei