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Das ›Debüt im Deutschlandradio Kultur‹ gehört zu den traditionsreichsten Konzertreihen des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in Deutschland. Gegründet 1959 vom Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS), liefen die Orchesterkonzerte in den ersten Jahrzehnten unter dem Titel ›RIAS stellt vor‹. Seit 1988/89 gehören auch Kammerkonzerte zum bewährten Profil der Reihe. Die Liste der Debütanten, die nach Berlin eingeladen wurden, bevor sie weltberühmt wurden, ist lang. Jacqueline Du Pré und Daniel Barenboim (beide 1963), Jessye Norman (1969) und Simon Rattle (1977), Jewgenij Kissin (1987), Cecilia Bartoli (1988) und Tugan Sokhiev (2003) gehörten dazu. Auch heute versuchen wir, aus der Vielzahl der jungen Talente diejenigen für unser Debüt-Konzert zu gewinnen, die neben ihrer Virtuosität mit einer eigenen Stimme zu überzeugen wissen. Musikalische Nachwuchsförderung findet aber nicht nur auf der Bühne statt. Im Vorfeld jedes ›Debüt‹-Abends geben wir zahlreichen Schülern die Gelegenheit, sich unter Anleitung von Musikstudenten langfristig mit den Inhalten des jeweiligen Konzerts auseinander- zusetzen. Im Idealfall bestaunen sie dann nicht nur die ›Stars‹, sondern gewinnen selbst einen Einblick in kreative Prozesse. ›Debüt im Deutschlandradio Kultur‹ wendet sich nicht nur an das Berliner Konzertpublikum, sondern wird deutschlandweit übertragen. Dr. Christine Anderson Dr. Hans Dieter Heimendahl Musik/Produktion Hauptabteilung Kultur und Musik Redakteurin Leitung

Das ›Debüt im Deutschlandradio Kultur‹ gehört zu den ...€¦ · Programm. Malin Bång (*1974) ›Split Rudder‹ (2011) für verstärkte Paetzold-Kontrabass-Blockflöte und

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Das ›Debüt im Deutschlandradio Kultur‹ gehört zu den traditionsreichsten Konzertreihen des öffentlich-rechtlichen Hörfunks in Deutschland. Gegründet 1959 vom Rundfunk im amerikanischen Sektor (RIAS), liefen die Orchesterkonzerte in denersten Jahrzehnten unter dem Titel ›RIAS stellt vor‹. Seit 1988/89gehören auch Kammerkonzerte zum bewährten Profil der Reihe.

Die Liste der Debütanten, die nach Berlin eingeladen wurden,bevor sie weltberühmt wurden, ist lang. Jacqueline Du Pré undDaniel Barenboim (beide 1963), Jessye Norman (1969) undSimon Rattle (1977), Jewgenij Kissin (1987), Cecilia Bartoli (1988)und Tugan Sokhiev (2003) gehörten dazu. Auch heute versuchenwir, aus der Vielzahl der jungen Talente diejenigen für unser Debüt-Konzert zu gewinnen, die neben ihrer Virtuosität mit einereigenen Stimme zu überzeugen wissen.

Musikalische Nachwuchsförderung findet aber nicht nur auf derBühne statt. Im Vorfeld jedes ›Debüt‹-Abends geben wir zahlreichenSchülern die Gelegenheit, sich unter Anleitung von Musikstudentenlangfristig mit den Inhalten des jeweiligen Konzerts auseinander-zusetzen. Im Idealfall bestaunen sie dann nicht nur die ›Stars‹,sondern gewinnen selbst einen Einblick in kreative Prozesse.

›Debüt im Deutschlandradio Kultur‹ wendet sich nicht nur andas Berliner Konzertpublikum, sondern wird deutschlandweit übertragen.

Dr. Christine Anderson Dr. Hans Dieter HeimendahlMusik/Produktion Hauptabteilung Kultur und MusikRedakteurin Leitung

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Arcangelo Corelli (1653 – 1713)

Sonata XI op. 5Preludio. Adagio

Allegro

Adagio

Vivace

Gavotta. Allegro

Nicola Matteis (1650 – ca. 1714)

›Aria Amorosa‹›Ground after the Scotch Humour‹

Jacob van Eyck (1590 – 1657)

Musik aus ›Der Fluyten Lust-Hof‹ Excusemoy

Boffons

Jesper Nordin (*1971)

›Inevitabilini‹ (arr. Ensemble Stravaganti)

Anonym (18. Jahrhundert)

›Polska från Medelpad‹(arr. Ensemble Stravaganti)

Antonio Vivaldi (1678 – 1741)

Sonata XII op. 1 ›La Follia‹(arr. Ensemble Stravaganti)

Anna Petrini, BlockflötenChristian Kjos, CembaloTore Eketorp, Viola da gambaKarl Nyhlin, Laute/Barockgitarre

P A U S E

Pro

gra

mm

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Malin Bång (*1974)

›Split Rudder‹ (2011)für verstärkte Paetzold-Kontrabass-Blockflöte und Elektronik

Fausto Romitelli (1963 – 2004)

›Seascape‹ (1994) für verstärkte Paetzold-Kontrabass-Blockflöte

Simon Steen-Andersen (*1976)

›Study for String Instrument #1‹Uraufführung der Version für Slide-Whistle und Violine

Oscar Bianchi (*1975)

›Crepuscolo‹ (2004) für Paetzold-Kontrabass-Blockflöte und vierkanalige Live-Elektronik

Anna Petrini, FlötenKarin Hellqvist, Violine Mats Erlandsson, Live-Elektronik/Klangregie

Moderation: Haino Rindler

Das Konzert wird von Deutschlandradio Kultur mitgeschnitten und am 21. April ab 20:03 Uhr gesendet.

UKW-Frequenz im Raum Berlin 89,6 • Kabel 97,5

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Anna Petrini, Blockflöten (Schweden)

Die Blockflötistin Anna Petrini absolvierte ihrenMaster-Abschluss an der Königlichen Musikhoch-schule in Stockholm. Stipendien der SchwedischenMusikakademie ermöglichten ihr danach ein Aufbau-studium in Amsterdam. Anna Petrini hat sich sowohlim Bereich der Alten wie der Neuen Musik einenguten Namen gemacht. Sie ist international als Solistin wie als Kammermusikerin gefragt und wurdezu Festivals wie dem Warschauer Herbst, dem Huddersfield Contemporary Music Festival, denIGNM World New Music Days, dem Stockholm Early Music Festival, den Nordischen Musiktagen und an die Tokyo Opera City Recital Hall eingeladen.Anna Petrini arbeitet intensiv mit mehreren Kammer musikensembles in und außerhalb von

Trio Stravaganti:Christian Kjos,

Anna Petriniund Tore Eketorp © Freddie Sandström

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Schweden zusammen. Mit dem Ziel, das Repertoire für Blockflöte zu erweitern, widmet sie sich engagiertder zeitgenössischen Musik. Anna Petrini war im Jahr 2004 gemeinsam mit dem Ensemble La Soave Melodia Preisträgerin der Van Wassenaer Compe -tition for Early Music in Holland. Mit dem Trio Stravaganti (mit Tore Eketorp und Karl Nyhlin)gewann sie 2007 den ersten Preis in dem schwedi-schen Wettbewerb ›Young and promising‹. AnnaPetrinis erste Solo-CD mit dem Titel ›Crepuscolo‹,erschienen 2012, ist ausschließlich Werken für Paet-zold-Kontrabass-Block flöte gewidmet. Sie wurde inSchweden als ›Beste Neue-Musik-CD des Jahres‹ aus-gezeichnet.

Karl Nyhlin, Laute (Schweden)

Karl Nyhlin ist einer der führenden LautenspielerSkandinaviens. Mit seinem Repertoire, das von derRenaissance bis in die Romantik reicht, ist er als Solistund Ensemblespieler international aktiv. Geboren imNorden Schwedens, begann er seine musikalischeAusbildung auf der Violine, dem Cello und der E-Gitarre in seiner Heimatstadt und im schottischenEdinburgh, wo er einen Teil seiner Kindheit verbrachte.Karl Nyhlin studierte Laute in Stockholm und an -schließend in Malmö. Mehrere große Stipendien, darunter Fulbright für die USA, ermöglichten ihm einAufbaustudium bei Nigel North in Bloomington, Indiana, wo er seine Studien 2002 abschloss. KarlNyhlin spielt verschiedene Lauten, Theorben undfrühe Gitarren, er ist als Solist und Continuo-Spielerin über 30 Ländern aufgetreten und arbeitet als ersterLautenist u.a. im Orchester des Schlosstheaters Drottningholm, am REBaroque (ehemals StockholmBaroque Orchestra) und an der New Dutch Academy.Er musiziert regelmäßig mit dem Ensemble Villancico,der Sopranistin Susanne Rydén und dem Counter tenorMikael Bellini. Karl Nyhlin ist auch ein engagierterLehrer, der weltweit Meisterklassen und Workshopsgibt, zuletzt in Den Haag, Halle und Sydney.

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Tore Eketorp, Viola da gamba (Schweden)

Tore Eketorp wurde in Stockholm geboren und in sei-ner Heimatstadt zunächst bei Keren Bruce ausgebil-det. Ab 2009 absolvierte er ein Aufbaustudium an derSchola Cantorum Basiliensis bei Paolo Pandolfo, wel-ches er mit Auszeichnung abschloss. Während seinerStudienzeit in Basel erhielt er außerdem Unterricht inFidel und Musik des Mittelalters bei Randall Cook.Mit dem Ensemble Meridiana gewann er erste Preisein internationalen Wettbewerben, darunter 2007beim Internationalen Telemann-Wettbewerb in Mag-deburg und 2011 bei den Händel-Festspielen Göttin-gen. Seine musikalische Tätigkeit mit dem Trio Stra-vaganti, dem Ensemble Meridiana, dem EnsembleDaedalus (Roberto Festa) u.a., hat Tore Eketorp zu denverschiedensten Festivals und Konzertreihen in deneuropäischen, asiatischen, nord- und südamerika -nischen Raum geführt.

Christian Kjos, Cembalo (Norwegen)

Nachdem Christian Kjos zunächst Cembalo an derStaatlichen Musikakademie in Oslo studiert hatte,bildete er sich an der Schola Cantorum Basiliensis inBasel bei Jesper Bøje Christensen weiter. ChristianKjos ist häufig als Continuo-Spieler aktiv, u.a. für dasNorwegische Barockorchester, Concerto Copenhagenund Barokkanerne. Im Jahr 2004 musizierte ChristianKjos als erster Norweger im Barockorchester derEuropäischen Union (EUBO) unter der Leitung vonAndrew Manze und Ton Koopman. Christian Kjos istGründungsmitglied des Harmony of Nations BaroqueOrchestra. Mit dem Ensemble Meridiana gewannChristian Kjos zahlreiche erste Preise bei internatio-nalen Wettbewerben für Alte Musik, so 2007 beimInternationalen Telemann-Wettbewerb in Magde-burg, 2009 beim York Early Music Competition und2011 bei den Händel-Fest spielen Göttingen.

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Karin Hellqvist, Violine (Schweden)

Die schwedische Geigerin Karin Hellqvist wurde ander Königlichen Musikhochschule in Stockholm, derUniversität der Künste Berlin, der NorwegischenMusikakademie in Oslo und zuletzt am Royal Collegeof Music in London ausgebildet, wo sie im Jahr 2011ihr Konzertexamen ablegte. Karin Hellqvist ist Mit-glied führender skandinavischer Ensembles für NeueMusik: Cikada, Oslo Sinfonietta, neoN und CuriousChamber Players. Sie beschäftigt sich mit dem eta-blierten zeitgenössischen Repertoire, gibt aber auchneue Werke in Auftrag. Als Ergebnis der Zusammen-arbeit mit mehreren europäischen Komponisten ent-stand eine Reihe von Solowerken für Violine mit Live-Elektronik und Klangobjekten.

Karin Hellqvist wurde zu Festivals wie dem War-schauer Herbst, Huddersfield Contemporary MusicFestival, Ultima Festival Oslo, Biennale Venedig,Milano Musica, Pan Music Festival Seoul und zu denInternationalen Sommerkursen für Neue Musik inDarmstadt ein geladen.

Mats Erlandsson, Klangregie (Schweden)Mats Erlandsson arbeitet als Klangregisseur undToningenieur am EMS (Studio für ElektronischeMusik) in Stockholm. Er komponiert elektronischeMusik, auch unter Verwendung live-elektronischerMittel.

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© Freddie SandströmKarin Hellqvist

und Anna Petrini

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Die Blütezeit der Blockflöte: Barockmusik von Arcangelo Corelli, Antonio Vivaldi und ihren Zeitgenossen

Die Blockflöte war während der Barockzeit (ca. 1600-1750) das Modeinstrument schlechthin und genoss an Königshöfen, in Fürstenschlössernund Bürgerhäusern höchstes Ansehen. Allein Vivaldihat 64 Instrumentalwerke für Block- bzw. Querflötegeschrieben, darunter 16 Konzerte mit Orchester.»Flauto« bezeichnete bei dem venezianischen Komponisten – wie in dieser Zeit üblich – die Block-flöte, meist die Altblockflöte in f.

Die erste Konzerthälfte beginnt mit einer Sonate ausder Feder von Arcangelo Corelli. Das bemerkenswerteRenommee, das Corelli bereits während seinesLebens zuteil wurde, beruhte fast ausschließlich aufseinen Violinsonaten op. 5 sowie den Concerti grossiop. 6. Die insgesamt zwölf Sonaten für Soloviolineund Basso continuo erschienen im Jahr 1700 undwaren der Kurfürstin Sophie Charlotte von Branden-burg gewidmet, die zu diesem Zeitpunkt mit dem Bauihrer Sommerresidenz beschäftigt war: dem heutigenSchloss Charlottenburg. Sie war außergewöhnlichmusikalisch, spielte ausgezeichnet Cembalo – imSchloss Charlottenburg sind zwei Mietke-Cembalosaus ihrem Besitz erhalten – und pflegte an ihrem Hofdie italienische Oper, zu deren Aufführung ein sepa-rates Opernhaus errichtet wurde.

Die ihr von Corelli gewidmete Sonaten-Sammlungzählt heute zu den Meilensteinen der Violinmusikund war bereits damals so erfolgreich, dass allein im

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Arcangelo Corelli,Porträt um 1700

von Jan Frans Douven

Arcangelo CorelliViolinsonate XI, op. 5

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18. Jahrhundert an die 50 Neuauflagen in ganz Europaveröffentlicht wurden. Mit der elften Sonate in E-Durerweiterte Corelli die Grenzen der tonalen Welt, inden Figuren der Continuo-Spieler kommen sogarDoppelkreuze zur Anwendung. Während die erstenvier Sätze auf die »Sonata da chiesa« (Kirchensonate)zurückzuführen sind, die gewöhnlich aus einerlangsamen Einleitung, einem Allegro, einem sangli-chen langsamen Satz und einem lebhaften Finalebestand, setzte Corelli mit dem Finalsatz eine humor-volle Gavotta obendrauf.

Nicola Matteis, Violinvirtuose, Zeitgenosse undLandsmann Corellis, verließ schon früh Italien, umsein Glück in England zu versuchen. In London mussdie Musik des extrovertierten Neapolitaners mit ihrenkapriziösen Verzierungen und seinem italienischenViolinstil zunächst abschreckend gewirkt haben.Während im übrigen Europa die Geige bereits ihrenSiegeszug angetreten hatte und der konzertanten,virtuosen Instrumentalmusik den Weg bereitete, soherrschte auf der britischen Insel noch die französi-sche Gambenmusik vor, mit ihren oft schwermütigenFantasien. Es ist Matteis und der großen Beliebtheitseiner Ayres – Suiten für Violine und Generalbass – zuverdanken, die er in vier Bänden zwischen 1676 und1699 veröffentlichte, dass der italienische Stil schließ-lich auch in England bekannt wurde. Wie die AriaAmorosa und das Stück Ground after the ScotchHumour waren einige der darin enthaltenen kurzenTanzstücke auch für die Blockflöte vorgesehen. Umdiese kaum bekannte Musik mit Leben zu füllen unddem rudimentären Notenbild ein leidenschaftliches,reich verziertes Spiel zu entlocken, bedarf es nebengroßer Vorstellungskraft ein immenses Wissen umdie Aufführungspraxis der damaligen Zeit.

Nicola Matteis,Ölbild von

Godfrey Kneller, 1682

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Die beiden kurzen, direkt hintereinander gespieltenStücke aus dem Fluyten Lust-Hof stammen von Jacob van Eyck, einem niederländischen Virtuosendes Blockflötenspiels. Seine Lebensgeschichte könnteausreichend Stoff für eine Verfilmung bieten, dennJacob van Eyck war nicht nur ein fantastischer Block-flötenspieler, der angeblich an schönen Sommeraben-den die Spaziergänger in Utrecht mit den Klängen sei-ner Sopranblockflöte unterhielt, sondern auch einerder besten Glockenspieler der Stadt. Von Geburt anblind, fand er dank seines scharfen Gehörs heraus,wie man Glocken stimmen kann und entwickelte,zusammen mit den Gebrüdern Hermony, die welt-weit ersten sauber gestimmten Carillons.

Für sein Blockflötenspiel verwendete Jacob van EyckThemen aus Volksliedern, französischen Liebeslie-dern oder internationale Tophits wie John DowlandsCan she excuse my wrongs? von 1597. Fast alle seineWerke sind Variationsreihen, wobei er die Notenwerteimmer weiter diminuierte und auf diese Weise dieVirtuosität seines Spiels steigerte.

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Mit dem folgenden Stück Inevitabilini wirft der schwe-dische Komponist Jesper Nordin, 1971 in Stockholmgeboren, einen Blick auf die Traditionen seines Lan-des. Das Stück basiert auf einem schwedischen Volks-lied aus dem 18. Jahrhundert. Obwohl es sich bei derursprünglichen Melodie um einen Hochzeitsmarschhandelt, klingt sie nun, da die Töne von Jesper Nordinin einer anderen Reihenfolge und mit verändertemRhythmus übernommen wurden, wie eine schwedi-sche Hirtenweise. Ursprünglich für Solo-Blockflötegeschrieben, wird sie in der heutigen Fassung voneiner Gambe sowie einer Theorbe begleitet, einemLauteninstrument mit zweitem Wirbel kasten. Dieletzte Silbe des Titels deutet an, dass es sich bei demStück um die kleinere Fassung einer größeren Kom-position handelt, sie ist aber auch ein Hinweis auf dieWidmungsträgerin Anna Petrini, die das Stück 2002zur Uraufführung brachte. Ohne Unterbrechungschließt sich der nordische Volkstanz Polska frånMedelpad an, ein Paartanz im Dreivierteltakt, der inSchweden auch heute noch sehr beliebt ist.

Antonio Vivaldi, der 15 Jahre jünger als Corelli war,nahm in seinen zwölf Violinsonaten direkten Bezugauf Corellis Opus 5. Vivaldis Sammlung aus dem Jahr1705, die nur fünf Jahre später erschienen ist, schließtebenfalls mit einem Variationssatz, der mit La Folliaüberschrieben ist. Es handelt sich dabei um einen portugiesischen Tanz aus dem 16. Jahrhundert, des-sen Titel auf die »übermütige Ausgelassenheit« oder»lärmende Lustbarkeit« der Tänzer verweist. In derlangen Rezeptionsgeschichte entstand daraus einmelodisch-harmonisches Satzmodell, das sichim gesamten Barockzeitalter großer Beliebtheiterfreute. Als charakteristisches Merkmal gilt eineHarmoniefolge, die von der Moll-Grundtonart in die Dur-Paral lele aufsteigt und wieder zurücksinkt,wobei im lang samen Dreiertakt der Rhythmus einerSarabande erklingt.

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Antonio Vivaldi,Porträt von FrançoisMorellon de la Cave,

1725

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Der kompakteste Kontrabass weltweit: Die Paetzold-Kontrabass-Blockflöte

Das rechteckige Instrument aus Sperrholz hat eineGesamthöhe von 152 cm und wird normalerweise imSitzen gespielt. Hans Joachim Paetzold entwickelte inden 1970er-Jahren in Tübingen diese in ihrer Bau-weise einzigartige Bassblockflöte.

Das Aussehen der Paetzold-Kontrabass-Blockflöte, diescherzhaft IKEA-Flöte genannt wird, mag polarisierenund der Name etwas sperrig wirken, doch die fantasti-sche Klangqualität lässt keinen Zweifel daran, dass essich bei diesem Instrument um eine wesentliche Wei-terentwicklung im Flötenbau handelt. Mit ihrer klang-lichen Tiefenwirkung erinnert die Paetzold-Kontra-bass-Blockflöte an eine Orgel und bietet Interpretenein breites Spektrum an schönen Nebeneffekten, dar-unter Klappengeräusche, Rauschklänge und zahlrei-che Multiphonics. Weltweit sind mittlerweile ein paartausend Paetzold-Instrumente im Umlauf.

»Bewegung und Energie in hörbarer Form«Malin Bång: Split Rudder für verstärkte Paetzold-Kontrabass-Flöte und Elektronik (2011)

In Split Rudder erkundet die 1974 in Schweden gebore-ne Komponistin Malin Bång die Klänge der Paetzold-Kontrabass-Blockflöte aus dem Inneren des Instru-

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Anna Petrini mit Paetzold-Kontrabass-

Blockflöte

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ments heraus: »Ein Mikrofon, das im Fuß bereich derBassflöte angebracht ist, fängt die facettenreicheKlangwelt des Instruments ein und hebt die großeBandbreite kontrastreicher Spieltechniken hervor, dievon vertrauten Luftgeräuschen und Rauschklängenbis hin zu harschem Knurren im tiefen Bassregisterreichen.« Bång ließ sich für das 10-minütige Stück vonder Ballade Briggen Blue Bird of Hull des schwedischenDichters und Komponisten Evert Taube inspirieren.Taube, heute als schwedischer Nationaldichter ver-ehrt, komponierte ab Beginn der 1920er-Jahre zahlrei-che Lieder, die ihn schnell populär machten.

Bereits der Titel von Bångs Komposition verweist aufdie 1929 entstandene Ballade über die tragischeGeschichte des schwedischen Seefahrers Karl Stran-ne, der Weihnachten 1872 ertrunken war, weil er sichwährend eines Sturms am Steuer festgebunden hatteund von seiner Mannschaft auf dem sinkenden Schiffvergessen worden war. Das schwedische Volksliedhabe sowohl Einfluss auf die Entwicklung des musika-lischen Materials als auch den Verlauf der musikali-schen Ereignisse in Split Rudder gehabt, erklärt MalinBång.

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Malin Bång

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»Einen Klang wie eine Materie zu empfinden...« Fausto Romitelli: Seascape für verstärkte Paetzold-Kontrabass-Blockflöte (1994)

In Seascape von Fausto Romitelli ist das Meer nichtnur Kulisse des Geschehens, sondern Hauptmotiveiner »zeitlosen Klanglandschaft«, in die der Hörervon Beginn an hineingesogen wird. Ebbe und Flut,Fluss und Rückfluss, sind durch den regelmäßigenWechsel von ein- und ausgeatmeten Klängen nahezuphysisch erfahrbar. Das asymmetrische Spiel der Wel-len spiegelt sich in rauschhaft ungreifbaren Klang-schleiern wider. Luftiges Brausen und Pfeifen, Rat-tern und Knattern sind Teil des sonoren Gefüges dersich ständig verändernden Klangwellen. Kaum einanderes Stück lotet die klanglichen und spieltechni-schen Extreme der Paetzold-Kontrabass-Blockflötederart versiert aus wie Seascape, das mittlerweile zueinem Klassiker des zeitgenössischen Blockflöten-Repertoires geworden ist. Durch die elektronischeVerstärkung und den zusätzlichen Hall erreicht derKlang den Hörer unmittelbar. Im Zentrum seinesKomponierens stand für Romitelli die Idee, „einenKlang wie eine Materie zu empfinden, in die man hin-eintaucht, um deren physische und perzeptive Merk-male wie Gefüge, Stärke, Porosität, Helligkeit, Dichteund Elastizität zu gestalten...«.

»Ein choreografisches Spiel«Simon Steen-Andersen: Study for String Instru-ment #1 für Slide Whistle und Violine (UA)

In der Programmnotiz zur Uraufführung der erstenFassung von 2007 beschreibt der dänische Komponistseine Studie für Violine als »ein choreographischesSpiel, eine Art Tanz mit sich selbst«.

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Fausto Romitelli

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Für sein Stück verwendete Simon Steen-Anderseneine Aktionsschrift, die ohne Noten auskommt. Viel-mehr legte der Komponist Handlungsabläufe fest, diebei der Ausführung auf der Violine zu klanglichenResultaten führen. Zwei Parameter standen dabei imZentrum seiner Beobachtung: Die Bewegung desBogens zwischen Steg und Bogenspitze und die Bewe-gung der linken Hand auf den Violinsaiten. Hörbarsind Glissandi unterschiedlichster Färbungen, malsehr zart durch das Gleiten der Finger auf den Saiten,mal perkussiver Art durch das starke Anschlagen derSaiten.Es ist vor allem das rhythmische Spiel mit denGlissandi, das den Tanzcharakter des Stückes aus-macht.

Ursprünglich für Solo-Violine konzipiert, erklingt imheutigen Konzert eine Duo-Fassung für Violine undSlide-Whistle. Es handelt sich dabei um eine speziellfür dieses Stück angefertigte doppelte Kolbenflöte –»double-reverse-slide-whistle« –, die es der Spielerinermöglicht, einen Glissando-Effekt durch das Ziehenbzw. Schieben eines Zugstabes zu erzeugen. FürSimon Steen-Andersen handelt es sich bei dieserneuen Fassung um eine »visuelle Verstärkung« sei-nes als Tanz angelegten choreografischen Spiels.

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Partiturausschnitt derVersion für

Streichinstrument solo

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»Eine Hommage an die Aufhebung von Raum und Zeit«Oscar Bianchi: Crepuscolo für Paetzold-Kontrabass-Blockflöte und live electronics (2004)

Oscar Bianchi, 1975 in Mailand geboren, komponierteCrepuscolo während seiner Forschungsarbeit 2004 amIRCAM in Paris. Ausgangspunkt seiner Recherchewar es, zu erproben, wie sich Klänge mithilfe verschie-denster Techniken der elektronischen Klangbearbei-tung verräumlichen lassen. Die faszinierenden Mög-lichkeiten der Ton- und Geräuscherzeugung schöpftBianchi in seinem ersten Stück für die Paetzold-Kon-trabass-Blockflöte bis ins kleinste Detail aus. Durchden Einsatz der Live-Elektronik werden die gespieltenKlänge in Echtzeit zusätzlich modifiziert, mit sichselbst überlagert und durch weitere Klangschichtenwie Tonbandeinspielungen und elektro nische Klängeergänzt. In 16 Minuten führt Bianchi den Hörer durchKlangerfahrungen unterschiedlichster Charakteristik,er spielt mit der Gegenüberstellung von Nähe undFerne, von lokalisierbarem Instrument und akusti-schem Raum. Das Stück sei, so Bianchi, „eine Hom-mage an die Aufhebung von Raum und Zeit“, ähnlichder unverwechselbaren Stimmung am frühen Mor-gen, wenn bei Morgendämmerung – im ItalienischenCrepuscolo – Tag und Nacht für einen kurzen Momentzu verschwimmen scheinen. Bianchi setzte die Paet-zold-Flöte als Ensembleinstrument danach noch inweiteren Stücken ein: In der Kantate Matra (2007), inseiner ersten Oper Thanks to my Eyes (2011) sowiezuletzt im Tanzstück The Past, in Zusammenarbeitmit der Choreographin Constanze Macras, das in die-ser Spielzeit 2014/15 an der Schaubühne Berlingezeigt wird.

Nina Jozefowicz

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Oscar Bianchi

© Agathe Poupeney

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Konzertvorschau

374. Wartburgkonzert

Tastenkunst

Olga Scheps Klavier

Stuttgarter KammerorchesterJohannes Klumpp Leitung

Werke vonGuillaume Leukeu

Frédéric Chopin

Gustav Mahler

Mieczysław Karłowicz

Sa 2. Mai 2015 • 19:30Palas der WartburgKarten 0 36 91.25 02 02

375. Wartburgkonzert

Spielwut

Gábor & Friends geben Virtuos-Unterhaltsames

Gábor BoldoczkiTrompete/Flügelhorn

Balázs Réti Klavier

Zsolt Fejérvári Kontrabass

Katarzyna Mycka Schlagwerk

Werke vonWilhelm Brandt

Serge Koussevitzky

Franz Liszt

László Dubrovay

Niccolò Paganini

Sa 30. Mai 2015 • 19:30Palas der WartburgKarten 0 36 91.25 02 02

Debüt im Deutschlandradio KulturTrio K/D/M (Frankreich)

Victor Hanna Percussion

Gilles Durot Percussion

Anthony Millet Akkordeon

Werke vonGérard Grisey

Clara Ianotta

Régis Campo

François Narboni

Sylvain Kassap

Georges Aperghis

Jean-Pierre Drouet

Di 26. Mai 2015 • 20:00Kammermusiksaal derPhilharmonie BerlinKarten 0 30.20 29 87 10

Herausgeber:Deutschlandradio KulturHans-Rosenthal-Platz10825 Berlin

Redaktion:Dr. Christine Anderson

Realisation:DeutschlandradioService GmbHVeranstaltungen BerlinFrank Degenhardt