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Das Atomgewicht des Fluors. Von JULIUS MEYER. Mit 3 Figuren im Text. Die Atomgewichte des Chlors, des Broms und des Jods sind durch hervorragend sorgfaltige und mustergiiltige Untersuchungen mit grofser Genauigkeit bestimmt worden. Bei dem vierten Elemente dieser Gruppe hingegen, bei dem Fluor, ist diese Konstante noch heute mit einer ziemlichen Unsicherheit behaftet. Diese Tatsache ist um so merkwiirdiger, als das Atomgewicht des Fluors bei der Bestimmung des Aquivalentwertes anderer Elemente als Grundlage gedient hat, wie dies z. B. beim Niob, Tantal, Silicium und Zir- konium geschehen ist. Die Fehler einer Atomgewichtsbestimmung iibertragen sich natiirlich von einem Element auf das andere, und zwar meistens in einem progressiven Mafsstabe, so dafs die aus einander hervorgehenden Bestimmungen immer unsicherer werden. Obwohl das Fluor erst im Jahre 1886 von MOISSANisoliert worden ist, haben an seiner elementaren Natur kaum Zweifel geherrscht, seitdem Chlor und Jod als Elemente und die Wasser- stoffverbindungen der ganzen Gruppe von GAY -LUSSAC, TH~NARD, AMP~RE, DAVY u. s. w. als eng zusammengehorig erkannt worden sind. Demgemafs reichen auch die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche , das Aquivalentgewicht des Fluors zu bestimmen, schon weit zuriick. Die altesten Untersuchungen, welche die quantitative Zusammensetzung des Flufsspats betreffen, ubergehe ich, da sie in- folge ihrer Ungenauigkeit hier nicht in Betracht kommen und auch schon Ton CHRISTENSEN (1) kritisch bearbeitet sind. Ich gebe im folgenden eine chronologische Zusammenstellung der Werte, welche in Betracht kommen, und eine Zusammenstellung Z. anorg. Chem. Bd. 36. 21

Das Atomgewicht des Fluors

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Page 1: Das Atomgewicht des Fluors

Das Atomgewicht des Fluors. Von

JULIUS MEYER.

Mit 3 Figuren im Text.

Die Atomgewichte des Chlors, des Broms und des Jods sind durch hervorragend sorgfaltige und mustergiiltige Untersuchungen mit grofser Genauigkeit bestimmt worden. Bei dem vierten Elemente dieser Gruppe hingegen, bei dem Fluor, ist diese Konstante noch heute mit einer ziemlichen Unsicherheit behaftet. Diese Tatsache ist um so merkwiirdiger, als das Atomgewicht des Fluors bei der Bestimmung des Aquivalentwertes anderer Elemente als Grundlage gedient hat, wie dies z. B. beim Niob, Tantal, Silicium und Zir- konium geschehen ist. Die Fehler einer Atomgewichtsbestimmung iibertragen sich natiirlich von einem Element auf das andere, und zwar meistens in einem progressiven Mafsstabe, so dafs die aus einander hervorgehenden Bestimmungen immer unsicherer werden.

Obwohl das Fluor erst im Jahre 1886 von MOISSAN isoliert worden ist, haben an seiner elementaren Natur kaum Zweifel geherrscht, seitdem Chlor und Jod als Elemente und die Wasser- stoffverbindungen der ganzen Gruppe von GAY -LUSSAC, TH~NARD, AMP~RE, DAVY u. s. w. als eng zusammengehorig erkannt worden sind. Demgemafs reichen auch die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche , das Aquivalentgewicht des Fluors zu bestimmen, schon weit zuriick. Die altesten Untersuchungen, welche die quantitative Zusammensetzung des Flufsspats betreffen, ubergehe ich, da sie in- folge ihrer Ungenauigkeit hier nicht in Betracht kommen und auch schon Ton CHRISTENSEN (1) kritisch bearbeitet sind.

Ich gebe im folgenden eine chronologische Zusammenstellung der Werte, welche in Betracht kommen, und eine Zusammenstellung

Z. anorg. Chem. Bd. 36. 21

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- 314 - der Reaktionen, welche zur worden sind.

1. D A V P ( ~ ) 1812 2. RERZELIUS (3) 1823 3. 4.

5. r>OUYET(4) 1846 6. I

I .

8. 9.

10. Dn~as(5) 1859 11.

12.

13. DE LUCA(6) 1869

14. FREMY (7) 1856

15. MOISSAN (8) 16. 17. 18. CHRISTENSEN (1)

Erreichung dieses Zieles ausgefuhrt

CaFl, -+ CaSO,

BaFl, -+ BaSO, CaFl, -+ CaSO,

AgFl -+ Age1

CaFl, -+ CaSO, NaFl --+ N%SO, CaF1, -+ CaS04

BaFI, -+ BaSO,

CaFl, -+ CaSO, NaFl -+ Na$O,

PbFl, -+ PbSO,

KF1 -+ KSSO,

CaF1, -+ CaSO,

KF1 -+ KSSO, AgFl -+ AgCl CaFI, -+ CaSO, NaFl -+ Na,S04

BaF1, -+ BaSO, MnFl, -+ MnFl,

19.06 19.44 19.22 19.168 19.165 18.87 19.20 19.136 19.028 19.056 19.024 19.136 18.976 19.04 19.09 18.96 19.05 18.83 18.98 19.00 19.04

18.68-20.03 17.92-20.33 19.02-19.08 19.05-19.08 19.05-1 9.09

18.99

Bei den Versuchen 1, 4, 5 , 7 , 10, 13, 15 ist eine gewogene Menge moglichst reinen Flufsspate durch Erhitzen mit Schwefel- saure in das Sulfat ubergefiihrt worden. Trotz derselben Methode weisen aber die Resultate nicht unbetriichtliche Differenzen auf, und diese sind wohl daxauf zuriickzufuhren, dafs einerseits die vollige Umsetzung nur aufserst schwierig erreicht werden kann, andererseits aber auch infolge der heftigen Reaktion, besonders bei kunstlich hergestelltem Flufsspat, kleine Verluste eintreten konnen. Eine andere Fehlerquelle, welche bisher meistens nur ungeniigende Beachtung gefunden hat, liegt in der Unreinheit des naturlichen Flulsspats, welcher sogar freies Fluor (9) enthalten kaqn.

Eine ahnliche unvollkommene Umsetzung wie bei Calciumfluorid tritt nach LOUYET (4) auch bei der Einwirkung von Schwefelsaure auf Baryumfluorid ein, und dies geht auch aus der Verschiedenheit

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der Resultate der Versuche 3 , 8, 17 deutlich hervor. Sehen wip von den aufserordentlich abweichenden Versuchen 2 und 14 ab, so ergibt sich aus den ubrigen, dafs das Atomgewicht des Fluors dicht bei 19 liegen mufs.

Die Untersuchungen 1 - 14 sind schon von CHRISTENSEN (1) kritisch behandelt worden , wobei er zugleich darlegt, aus welchen Griinden er die Versuche wieder aufnimmt. Ich beschrilnke mich daher nur auf eine Besprechung der Abhandlungen von MOISSAN (8) und von CERISTENSEN. (1) Die MoIssANschen Werte stimmen be- friedigend miteinander iiberein. Sie verdienen wohl daher grofses Zutrauen. Leider gibt MOIBSAN jedoch keine Einzelheiten uber die Ausfuhrung der Versuche u. s. w. an, so dafs ich nur noch die CHaIsTENsENsChe Arbeit erortern will, nach der das Atomgewicht des Fluors etwas geringer als 19 sein soll.

CERISTENSEN hatte festgestellt , dafs das Ammoniummanganid- fluorid aus einer salzsauren Kaliumjodidlosung Jod frei macht und zwar nach der Gleichung:

(NR.,),MnFI, + HJ = 2NH4F1 + MnF1, + HFI + J. Dns auf diese Weise freigewordene Jod wurde d a m gegen

Natriumthiosulfat titriert. Wie man sieht, ist die Methode eine durchaus nicht einfache und widerspricht somit einer Forderung, auf welche bei den heutigen Atomgewichtsbestimmungen sehr vie1 Gewicht gelegt wird. Die Resultate der vier endgiiltigen Versuche stimmen gut uberein. Allein darin liegt noch keine Gewahr fur ihre absolute Richtigkeit, da der (oder die) Methodenfehler unter gleichen Bedingungen in gleicher Stiirke auftreten werden.

Obwohl CHRISTENSEN kein exaktes Kriterium fur die absolute Reinheit des Manganidammoniumfluorids hat, denn er gibt z. B. an, dafs sich unter gewissen Bedingungen ein Streben geltend macht, ein anderes Doppelsalz, (NH,&MnFl, , zu bilden, SO will ich dennoch hier die Reinheit des verwendeten Salzes als Tatsache hinnehmen. Das Doppelsalz (NH,),MnFl, wird nun mit Jodkalium und Salzsaure zusarnmengebracht. Die auf diese Weise entstandene Jodwasserstoff- saure setzt sich nun aber nicht allein mit dem Manganidammonium- fluorid um, sondern zerfallt auch als exotherme Verbindung frei- willig unter dem Einflusse des Lichtes und des Luftsauerstoffs, d. h. es wird leicht etwas Jod und dementsprechend auch etwas Fluor zuviel gefunden. Es ist ferner zu beachten, daB die Ein- wirkung von Jod auf Natriumthiosulfat nicht gdnz einwandsfrei (10)

21 *

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und vor allem bei Gegenwart von Salzsaure kaum zu Atomgewichts- bestimmungen geeignet ist.

Neben diesen Methodenfehlern fallen noch andere, allerdings minder schwere, bei der Berechnung ins Gewicht, die darin be- griindet sind, dafs das Atomgewicht des Fluors aus nur vier end- giiltigen Versuchen unter Zugrundelegung der mehr oder minder ungenauen Werte von Mangan, Stickstoff und Jod berechnet wird. Die Zahl der Elemente, auf welche die Atomgewichte der iibrigen zuriickgefuhrt werden konnen, ist aufserordentlich gering, und Mangan und Stickstoff gehoren sicherlich nicht dazu. Beziiglich des Jods weicht die letzte Bestimmung LADENBURGS (1 1) von dern STAsschen Werte um 0.11 ab, so dab also auch bei diesem Elemente wieder eine kleine Unsicherheit zu herrschen scheint.

Es lagen also genug Griinde vor, welche es angezeigt sein liefsen, eine Revision des Atomgewichtes des Fluors vorzunehmen. Die zu losende Aufgabe hatte also nach dem im Vorhergehenden Gesagten zwei Teile. Es mufste erstens eine leicht realisierbare chemische Beziehung zwischen dem Fluor und einem Elemente auf- gefunden werden, dessen Atomgewicht moglichst genau bekannt war. Zweitens mufste der chemische Prozefs so einfach wie moglich ge- staltet werden. Demnach sollten Operationen wie Filtrieren, Fallen in Losungen, Titrieren u. s. w.. nach Moglichkeit vermieden werden. Diesen Forderungen entspricht nun, wie aus dieser ganzen Unter- suchung hervorgeht, die Reaktion:

CaO + 2HFl = CaFl, t- H,O.

Bei der Berechnung ist das Atomgewicht des Sauerstoffs als Einheit gegeben, wahrend dasjenige des Calciums durch zwei neuerb, vorzuglich iibereinstimmende Untersuchungen (1 2) festgelegt worden ist. Zu Gunsten der Reaktion 1aht sich ferner noch anfuhren, dab ein kleiner Fehler in der Atomgewichtsbestimmung des Calciums sich nur in noch kleinerem Mafsstabe auf die Konstante des Fluors iibertragt. Es kam nun darauf an, die betrachtete Reaktion zu verwirklichen. Um reines wasser- und kohlensaurefreies Calcium- oxyd herzustellen, bot die Untersuchung von W. HINRICHSEN (12) eine Handhabe. Kiinstlich dargestelltes reines Calciumcarbonat wurde in einem besonders konstruierten Platintiegel unter Einhaltung ge- wisser Vorsichtsmalsregeln erhitzt und so in Calciumoxyd uber- gefuhrt, welches gewogen und dann durch Abrauchen mit reiner Flufssaure in Calciumtluorid verwandelt wurde.

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Nach Uberwindung einiger experimenteller Schwierigkeiten ver- lief die Reaktion ganz glatt und in sicherer , zufriedenstellender Weise.

Herstellung reinen Materials. Ich ging von einer grofseren Quantitat (1.5 kg) reinen Calcium-

nitrats (KAHLBAUM) aus, loste sie in ca. 2 1 Wasser und fallte aus der fast zum Sieden erhitzten Losung das etwa vorhandene Baryum und Strontium durch einige Tropfen Schwefelsaure aus. Denn da Baryum- und Strontiumsulfat schwerer loslich sind wie Calcium- sulfat, so mussen aucb an erster Stelle diese Salze ausfallen. Nach mehrtagigem Stehen wurde dekantiert und filtriert. Dann wurde die Losung in Platinschalen bis zur Krystallisation eingedampft und fiinfmal aus wenig Wasser umkrystallisiert. Nach den Untersuchungen von TH. w. RIcHasns ist es namlich moglich, auf diese weise reines Nitrat zu erhalten. Dann wurde das trockene salpetersaure Calcium mit Atheralkohol extrahiert, wobei jedoch kein Ruckstand, d. h. Ba(NO,), oder Sr(NO,),, blieb. Nach dem Abdampfen des Losungsmittels wurde das Calciumnitrat, ca. 180 g, in 500 ecm Wasser gelost, zum Sieden erhitzt und mit einem Uberschufs von Ammoniumkarbonat langere Zeit digeriert, um etwa vorhandenes Magnesium in Losung zu bringen. Das verwendete Ammonium- karbonat war zur Beinigung mehrere Male sublimiert worden und hinterliefs keinen Ruckstand. Nach mehrstundigem Digerieren mit Gfters erneuertem Wasser wurde das Calciumkarbonat abgesogen, ausgewaschen und im Trockenschranke getrocknet. (13) Das ver- wendete Wasser war naturlich ebenfalls gereinigt, und die gesamten Prozesse wurden, wenn irgend mtiglich, in Platingefhfsen Tor- genommen. Bei einer Analyse von ca. 10 g des so erhaltenen Calciumkarbonats liefs sich weder Eisen, noch KieselsLure oder Strontium, Baryum und Magnesium nachweisen. - Eine quantitative Uberfuhrung des Calciumkarbonats in das Fluorid ist nicht an- gangig, da die Reaktion eine aufserordentlich heftige ist, so d a b Verluste nicht vermiedeu werden konnen. Ich fuhrte es daher zu- erst in das Oxyd uber. Zu diesem Zwecke wurden 10-12 g Cal- ciumkarbonat in einen Platintiegel gefullt, der durch einen auf- geschliffenen Deckel dicht verschlossen werden konnte. Dieser Deckel war mit zwei Rohren versehen, urn reine Luft hindurchleiten zu konnen. Wahrend des Erkaltens, Wiegens u. s. w. des Tiegels wurden die Mundungen der Rohren durch eingeschliffene Platin-

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stopsel verschlossen, so d a b der Inhalt des Tiegels gegen das Ein- dringen von Wasser, Kohlensaure u. s. w. gesichert war. Ferner war der Apparat mit drei Platinosen versehen, um ihn an Platin- drahten sufhangen zu konnen.

Der Platintiegel mulste nun mit dem Calciumkarbonat auf 1000-llOOo erhitzt werden, um auch jede Spur Kohlendioxyd und Wasser auszutreiben. (14) Denn obwohl die Dissoziationsspannung des kohlensauren Kalkes nach LE CHATELIER(~~) bei 812O schon '153 mm ist, so war eine hohere Temperatur doch angebracht, urn den Vorgang einmal zu beschleunigen und dann, urn eingeschlossenes

Fig. 1.

Wasser, absorbiertes Kohlendioxyd und moglicherweise noch vor- handenes Ammoniumkarbonat und -nitrat ganzlich zu beseitigen. Urn das ausgetriebene Kohlendioxyd und das abgegebene Wasser ganz zu entfernen, wurde wahrend des Erhitzens an die eine Rohre des Platintiegels eine IZingere Platinrohre angesetzt, und so ein Euftstrom hindurchgeleitet, welcher zuerst durch eine Waschflaschp mit starker Kalilauge gegangen war, d a m eine solche mit kon- zentrierter Schwefeldure passiert hatte und zuletzt iiber eine langere Schicht Phosphorpentoxyd gestrichen war.

Besondere Aufmerksamkeit erforderte das Erhitzen des Tiegels. Die Geblaseflamme erwies sich zur Erzielung der erforderlichen Temperatur als unbrauchbar, da jede Spur Kohlensaure und Wasser sorgfaltig ferngehalten werden muhte. Der elektrische Ofen konnte nach einer Angabe von TH. W. RICHARDS(^^) nur mit Mifstrauen betrachtet werden. Eine kleine Untersuchung zeigte jedoch, dak gerade der elektrische Ofen, und zwar der Holbornofen der Firma W. C. HERAUS, in unubertrefflicher Weise fur meine Zwecke ge- eignet war. TH. W. RICHARDS hatte gefunden, dafs ein Platintiegel

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bei einstundigem Erhitzen in einem elektrischen Ofen sein Gewicht urn 0.2 mg vermehrt hatte, und er war zu dem Schlusse gekommen, dak diese Gewichtszunahme zuriickzufiihren sei auf eine Verdampfung der Platinspirale, welche die Erhitzung bewirkt hatte, und darauf- folgende Kondensation der Platindampfe auf dem Platinticgel. Ein derartiger Vorgang ist nun bei dem Holbornofen von HERAUS so gut wie ausgeschlossen. Hier wird niimlich die Erhitzung nicht durch einen dunnen Draht, sondern durch ein breites Platinband bewirkt, dessen Temperatur also wohl weniger hoch ist. Ferner befindet sich zwischen der Heizspirale und dem zu erhitzenden Platintiegel die Wand einer starken Tonzelle , welche die Diffusion etwa entstehender Platindampfe sicher verhindert. Zur Kontrolle wurden mehrere Versuche angestellt. Der Platintiegel wurde mit konzentrierter Salzsiiure erwarmt , gereinigt und getrocknet. Dann wurde er, um eine Beriihrung mit der Tonzelle zu vermeiden, in den elektrischen Ofen hineingehangt , 30 Minuten lang bei 1100 bis 1200° gegluht und nach dem Erkalten gewogen. Darauf wurde er wiederum in den Ofen hineingehangt und 1 Stunde lang erhitzt. Eine Gewichtszunahme war nicht rnit Sicherheit zu konstatieren. Nach nochmaligem einstundigen Erhitzen betrug die Gewichtszu- nahme schatzungsweise 0.05 mg , konnte aber nach abermaligem langeren Gliihen nicht mehr festgestellt werden.

Es ergab sich also auf jeden Fall, dafs das Gewicht des Platin- tiegels nach dreistundigem Erhitzen auf Weifsglut nicht zugenommen hatte. Demnach war der elektrische Ofen zur Ausfuhrung meiner Versuche geeignet.

Nun wurde der mit Calciumkarbonat gefullte Platintiegel durch einen flachen Platindeckel geschlossen und in den Ofen gehlngt. Nach oben war der Heizraum durch eine Asbestplatte verschlossen. Nachdem der Ofen mit Hilfe eines Lampenwiderstandes langsam angewarmt war, wurde die Temperatur gesteigert und ca. 15 Minuten lang bis zur Weifsglut erhitzt. Hierbei verliert der kohlensaure Kalk den grofsten Teil der Kohlensaure und sintert zu einem festen Klumpen zusammen, welcher nach dem Abkuhlen im Tiegel zu Pulver zerdruckt wurde. Die Farbe war stets eine schneeweifse. Nun wurde der eingeschliffene Deckel rnit den Rohren aufgesetzt, wiederum bis zur Weifsglut erhitzt und wahrend der ganzen Ope- ration trockene , kohlensaurefreie Luft durchgeleitet. Das Bluhen wurde natiirlicb stets bis zur Gewichtskonstanz fortgesetzt, die fast immer nach 2lla-3 Stunden erreicht war.

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Es war nun die Moglichkeit vorhanden, dak sich aus dem Calciumoxyd wahrend des Abkuhlens in dem Luftstrome etwas Calciumsuperoxyd gebildet hatte. Um dies zu entscheiden, trug ich ca. 6 g des so gewonnenen Oxyds in kleinen Portionen unter Um- riihren in eiskaltes Wasser ein. Darauf wurde langsam verdiinnte Schwefelsaure bis zur ganz schwach sauren Reaktion hinzugesetzt urid ein Tropfen sehr verdiinnter Permanganatlosung zugefugt. Er wurde nicht entfarbt. Demnach war also auch die Bildung von

Fig. 2.

Calciumsuperoxyd nicht anzunehmen. Dieser Befund entspricht ja auch der Annahme, dafs ein derartiger Vorgang bei Ausschluk jeder Spur Wasser, wie es bei dem Versuche angestrebt wurde, nicht stattfindet.

Um den Tiegel nun zu wiegen, wurde der elektrische Strom ausgeschaltet und wahrend des Erkaltens wurden die beiden Rohren des Tiegels durch die Platinstopsel dicht verschlossen. Dann wurde der ganze Apparat in einen Exsikkator gelegt und 1 Stunde lang in den Wageraum gestellt. Die von mir benutzte Wage war die- selbe, welche schon von LADENBURG (1 1) bei der Neubestimmung des Atomgewichtes des Jods benutzt worden ist. Sie war von BUNGE in Hamburg bezogen und mit Fernrohrablesung verlesen, so d a b die fiinfte Dezimale noch gut geschatzt werden konnte. Der Gewichtssatz war ebenfalls ein BuwEscher und von mir selbst kalibriert.

Wie vorziiglich der Platintiegel funktionierte, geht daraus her- vor, dals eine gewogene Portion Calciumoxyd ihr Gewicht wahrend einer notwendigen Unterbrechung von 3 Wochen urn nur 1.2 mg vermehrt hatte und nach kurzem Gluhen auf genau den alten Wert zuruckging.

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Nachdem auf diese Weise das Gewicht des reinen Calciumoxyds festgestellt worden war, mufste es in das Fluorid verwandelt werden. Die dazu erforderliche Flufssaure wurde nach einem von CHRIS- TENSEN (1) angegebenen Verfahren gereinigt. Gewohnliche reine Fluhsaure, welche allerdings durch organische, aus der Kautschuk- flasche stammende Substanzen verunreinigt war , wurde mit etwas Kaliumkarbonat versetzt und von dem sich absetzenden Kalium- siliciumfluorid u. s. w. abgegosuen. Dann wurde die Losuiig durch Permanganat entfarbt und rektifiziert. Die Destillation wurde aus einer Platinflasche vorgenommen und als Vorlage der schon oben

Fig. 3.

beschriebene Platintiegel benutzt ? welcher zur Kiihlung in kaltes Wasser gehangt wurde. Da die Schliffe alie vorzuglich ineinander pafsten, so entwichen bei der Destillation fast gar keine Dampfe. Die so gereinigte Flulssaure hinterliefs nach Wiederholung des ganzen Verfahrens beim Verdampfen auf Platin nicht den geringsten Ruckstand.

Es zeigte sich nun aber, dals die Umwandlung des Calcium- oxyds in Fluorid durchaus nicht so einfach und mit einigen Schwierigkeiten verbunden war. Die Reaktion mufste unbedingt in dem Platintiegel selbst vorgenommen werden, der nicht so geraumig war, um ein Hinausspritzen oder Schaumen u. s. w. unwirksam zu machen. Beim Versetzen des trockenen Oxyds mit FluCssiiure war die Reaktion so heftig, dafs eine nicht unbetrachtliche Masse bin- ausgeschleudert wurde. Dasselbe fand auch statt, wenn die Saure bei aufgesetztem Deckel durch die schrage Rohre hineingegeben wurde. Das Reaktionsprodukt entfernte sich dann einfach teilweise durch das horizontale Rohr. Ich erhitzte daher den Tiegel mit

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dem Calciumoxyd und blies Fluorwasserstoffdampfe hindurch. Aber auf diese Weise geht die Reaktion nur sehr unvollstandig vor sich, wie man leicht an der alkalischen Reaktion erkennen kann, die man beim Verreiben des Reaktionsproduktes mit Wasser erhalt. Ich fuhrte nun das Oxyd vorsichtig in Hydroxyd uber, iibergofs noch rnit Wasser und gab vorsichtig Flulssaure hinzu. Nach dem Verdampfen wurde die Reaktion noch mehrere Male wiederholt, war aber durchaus nicht vollstiandig, wie wiederum die alkalische Reaktion beim Zerreiben mit Wasser zeigte. Es war also noch immer unverandertes Calciumhydroxyd vorhanden. Es mufste also die Umwandlung in das Fluorid auf einem indirekten Wege versucht werden, und mit Vorteil benutzte ich folgende Methode.

Nachdem das Calciumoxyd mit Wasser versetzt und in Hydroxyd iibergefuhrt worden war , wurde vorsichtig reine Salzsaure hinzu- gegeben, bis alles in Losung gegangen war. Eine Kohlensaure- entwickelung konnte hierbei niemals beobachtet werden. Darauf wurde die Chlorcalciumlosung moglichst konzentriert und mehrere Male rnit reiner Flufssaure eingedampft. Ilas Abdampfen wurde, um Spritzen , Hochklettern und Verunreinigungen zu vermeiden, in der Weise vorgenommen , dafs der Platintiegel mit aufgesetztem Deckel in siedendes reines Wasser gehangt wurde. Das horizontale Rohr war mit der Wasserstrahlpumpe verbunden, wahrend Tor dem schragen Rohr eine Chlorcalciumrohre und etwas Watte lag. Das Trocknen dauert allerdings nach dieser Methode mehrere Stunden, geht aber sehr sicher und ruhig vor sich. Kine Belastigung durch Fluorwasserstoffdampfe trat niemals ein. Nachdem der Inhalt des Tiegels auf diese Weise mehrere Male mit Flufssaure eingedampft worden war, wurde er zum Schlds eine Stunde lang auf beginnende Rotglut erhitzt, und zwar bis zur Gewichtskonstanz, die fast immer schon durch das erste Gluhen erreicht worden war. Nachdem das Calciumfluorid gewogen und auf seine Farbe hin gepriift worden war, die stets rein weirs erschien, wurde es zerdruckt und rnit etwas reinem Wasser digeriert. Dann wurde die Losung gegen sehr empfindliches Lackmuspapier auf seine Reaktion hin gepriift, aber in allen Fallen neutral gefunden, so clals also weder uber- schussige freie Flufssaure , noch unverandertes Calciumoxyd vor- handen war.

Um die gefundenen Werte nun noch zu kontrollieren, versuchte ich , aus dem Calciumfluorid das Sulfat herzustellen. Jedoch ver- lauft die Reaktion rnit konzentrierter Schwefelsaure derartig heftig,

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dak stets unvermeidliche Verluste eintreten. Daher gab ich die Kontrollversuche bald auf.

Besultate.

Im folgenden gebe ich die Resultate von funf einwandsfreien Versuchen :

Tabelle I. 1. 6.1868 g CsO gaben 8.6194 g CaFI,. 2. 4.2725 g CaO ,, 5.9534 g CaFl,. 3. 6.2915 g CaO ,, 8.7637 g CaFI,. 4. 5.7753 g CaO ,, 8.0466 g CaF1,. 5. 4.9824 g CaO ,, 6.9409 g caF1,.

Die Dichte des Calciumoxyds und des Calciumfluorids setzte ich beide gleich 3.15. Nach der Reduktion der Wagungen auf den luftleeren Raum, wobei der Wassergehalt der Luft mit in Betracht gezogen wurde, ergab sich folgende Tabelle:

Tabelle 11. 1. 6.1883 g CaO gaben 8.6215 g CaFh. 2. 4.2736 g CaO ,, 5.9548 g CaFI,. 3. 6.2931 g CaO ,, 8.7658 g CaFI,. 4. 5.7767 g CaO ,, 8.0485 g CaF1,. 5. 4.9836 g CaO ,, 6.9426 g CaFl,.

Bei der Berechnung der Versuche mufste nun das Atomgewicht des Calciums mit zu Grunde gelegt werdcn. Ich setze dasselbe gleich 40.1 36 mit einem wahrscheinlichen Fehler von &- 0.0033. Dieser Fehler ist von sehr geringem Einflusse auf das Atomgewicht des Fluors.

Tabelle 111. Gehalt des CaFI, an Fluor Atomgew. d. Fluors

1. 48.855 19.036 2. 48.862 19.042 3. 48.R45 19.029 4. 48.857 19.038 5. 48.851 19.033

Demnach ist das Atomgewicht des Fluors

F1 = 19.036

mit einem wahrscheinlichen Fehler von f0.00149. Der gefundene Wert ist etwas grolser als dcr von CHBISTENSEN(~) gefundene und,

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eine Kleinigkeit geringer als der Mittelwert der MoIssANschen Be- stimmungen. (8) F. W. CLARKE (1 7) hat in seiner ,,recalculation of the atomic weights" den Wert 19.056 berechnet.

Zum Schlufs ist es mir eine angenehme Pflicht, der Firma W. C. HERAUS in Hanau a/M. meinen Dank fur ihr bereitwilliges Entgegenkommen abzustatten. Ohne ihr verstandnisinniges Eingehen auf meine Absichten, durch das mir die Konstruktion und Be- nutzung der Platinapparate ermoglicht wurde, hatte ich diese Arbeit wohl kaum in diesem Mafsstabe und mit solchen Resultaten durch- fuhren konnen.

L i t e r a tur ii b e r si c h t. 1) CEIRIBTENBEN, Journ. prakt. Chem. [2] 36, 541. 2) DAVY, Phil. Trans. 1810, 231; 1811, 1; 1814, 64. 3) BEBZELIUB, Jahresber. 6, 185; P.A. 8, '20; Lehrbuch 3, 1201; Afh. i.

4) LOUYET, Ann. Chim. Phys. [3] 26, 291. 300; Joww. prakt. Chem. 47,

5) DUMAS, Ann. Chim. Phys. [3] 55, 169; Lieb. Ann. 113, 28. 6) DE LUCA, Compt. rend. 61, 299. 7) FBEMP, Arm. Chim. Phys. [3] 47, 1. 8) MOIBSAN, Compt. rend. 111, 570. 9) HERRQOTT, Bull. l'Aead. Vienne 10, 296.

Lijw, Ber. deutsoh. chm. Bes. 14, 1144. MOISSAN, compt. rend. 111, 669.

FINEENEB, Analyt. Chem., 6. Aufl., S. 620. MOHR, Titriermethoden, S. 279. NORTON, 2. anorg. Chem. 20, 221. TH. W. RICHARDS, Z. anorg. Chern. 20, 375. TOPF, Jodometr. Studien; Zeitschr. analyt. Chem. 1887.

11) LADENBURQ, Ber. dezltsch. chem. Oes. 36, 2251. 12) 1'. w. HINRICHSEN, Zeitschr. phys. Chem. 39, 311; 40, 746.

Fys. Kern. 4, 243; 6, 447; Am. Phys. 1, 17.

104; Lieb. Arm. 70, 234.

10) PICKERINQ, Joum. Chem. Soc. 37, 135.

TH. W. RICHARDS, Journ. Am. Ohm. SOC. 22, 72; 2. anorg. Chem. 31, 271.

13) BERZELIUS, Lieb. Ann. 46, 241; Journ. prakt. Chem. 31, 255.

14) MOISSAN, Fliichtigkeit von CaO im elektr. Ofen, cf. Le four Blectrique. 15) LE CHATELIER, Compt. rend. 102, 1243. 16) TH. w. RICHARDS, 2. anorg. Chem. 34, 370.

HALL, Journ. Am. Chem. SOC. 22, 494. 17) F. W. CLARKE, A recalculation of the Atomic weights, Washington

STAB, Oewvres 3, 337.

1897; 2. anorg. Chem. 32, 217.

Breslau, Chem. Institwt der Uniwersitat.

Bei der Redaktion eingegangen am 6. Juli 1903.