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1 „Das Bild von früheren Geschehnissen wird immer schemenhafter, je länger sie zurückliegen und je öfter die Gesteinszeugen von orogenen Prozessen überprägt worden sind.“ Aus ROCKY AUSTRIA 1. Einleitung Die Alpen stellen eines der am gründlichsten und längsten geologisch erforschten Orogene der Erde dar (Abb. 1-1). Abb. 1-1: Satellitenbild (www.visibleearth.nasa.gov) der Alpen und violett markierte Untersuchungs- gebiete. Nach den umfassenden Arbeiten von A. Tollmann zum Deckenbau (z.B. TOLLMANN 1963, 1973, 1980) ist die Grundarchitektur der Ostalpen Standardwissen. Dies beinhaltet die geo- tektonische Gliederung in ein teils autochthones, teils allochthones helvetisches Vorland (Europäischer Kontinent), in penninisch-westalpine Fenster (z.B. Engadiner Fenster, Tau- ernfenster) mit ehemaligem Ozeanboden zwischen Europa und Adriaplatte, eine große Ostalpine Fernschubmasse mit Schelfablagerungen des Afrikanischen Kontinents, und ein südlich anschließendes, als autochthon betrachtetes Südalpin, ebenfalls Afrikanischer Konti- nent (Abb. 1-2). Das Arbeitsgebiet, der Westteil der Nördlichen Grauwackenzone (NGZ),

„Das Bild von früheren Geschehnissen wird immer öfter die ... · 2 gehört nach dieser Deckengliederung zum Ostalpin, einer großen, während der alpinen Orogenese von Süd nach

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„Das Bild von früheren Geschehnissen wird immer schemenhafter, je länger sie zurückliegen und je

öfter die Gesteinszeugen von orogenenProzessen überprägt worden sind.“

Aus ROCKY AUSTRIA

1. Einleitung

Die Alpen stellen eines der am gründlichsten und längsten geologisch erforschten Orogeneder Erde dar (Abb. 1-1).

Abb. 1-1: Satellitenbild (www.visibleearth.nasa.gov) der Alpen und violett markierte Untersuchungs-gebiete.

Nach den umfassenden Arbeiten von A. Tollmann zum Deckenbau (z.B. TOLLMANN 1963,1973, 1980) ist die Grundarchitektur der Ostalpen Standardwissen. Dies beinhaltet die geo-tektonische Gliederung in ein teils autochthones, teils allochthones helvetisches Vorland(Europäischer Kontinent), in penninisch-westalpine Fenster (z.B. Engadiner Fenster, Tau-ernfenster) mit ehemaligem Ozeanboden zwischen Europa und Adriaplatte, eine großeOstalpine Fernschubmasse mit Schelfablagerungen des Afrikanischen Kontinents, und einsüdlich anschließendes, als autochthon betrachtetes Südalpin, ebenfalls Afrikanischer Konti-nent (Abb. 1-2). Das Arbeitsgebiet, der Westteil der Nördlichen Grauwackenzone (NGZ),

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gehört nach dieser Deckengliederung zum Ostalpin, einer großen, während der alpinenOrogenese von Süd nach Nord auf den europäischen Kontinent geschobenen Einheit. DasOstalpin ist intern nochmals komplex gestapelt. Es wird nach TOLLMANN (1963) in dreiHauptdecken gegliedert, dem Unter-, Mittel- und Oberostalpin. Die NGZ wird dem Oberost-alpin zugeordnet (Abb. 1-2).Durch die Kollision der Adriatischen Mikroplatte (Apulia) mit Europa escapierten im Tertiärgroße Krustenblöcke nach Osten. Es kam zur Mehrfachstapelung kontinentaler Kruste, dieseitdem mit Exhumierungsraten um 1mm pro Jahr ihrem isostatischen Gleichgewicht zustrebt(RATSCHBACHER 1986, RATSCHBACHER et al. 1991, FRISCH et al. 1998, NEUBAUER et al.1999). Nach CASTELLARIN et al. (2002) wurden im Bereich des Tauernfensters, das südlich andie NGZ anschließt, für die vergangenen 40 Ma 30 – 35 km Exhumierung kontinentalerKruste ermittelt. Legt man die derzeitige Tiefe der Kruste/Mantel-Grenze von ca. 60 km unterden Zentralalpen (EBBING & GÖTZE 2002) zugrunde, dann müssten nochmals 30 km Krusteexhumiert werden, um der „normalen“ Tiefenlage der Kruste/ Mantel-Grenze von ca. 30 kmunter kontinentaler Kruste zuzustreben. Für den präalpinen Sockel impliziert diese komplexealpine Geschichte, dass große Teile dieses Sockels bereits abgetragen sein können oder nochnicht exhumiert worden sind. Übrig bleibt ein Mosaik isolierter Blöcke von Kristallin undPaläozoikum.

Abb. 1-2: Vereinfachte Anordnung der alpinen Großeinheiten vor ihrer Überschiebung undDeckenstapelung (leicht verändert nach POHL 1993).

Einen dieser präalpinen Blöcke stellt die NGZ dar, die aus schwach metamorphen paläozoi-schen Gesteinsabfolgen aufgebaut wird. Die paläozoische Entwicklungsgeschichte der NGZbis hin zur Variscischen Gebirgsbildung am Ende des Paläozoikums gilt es zu rekonstruieren.

1.1. Bisher durchgeführte Untersuchungen in der Nördlichen Grauwackenzone

Für das vorgesehene Untersuchungsgebiet, die Kitzbüheler Grauwackenzone, liegen zahl-reiche Daten zur Sedimentologie, Petrographie, Vulkanologie und Tektonik vor, die zuletztvollständig von HEINISCH (1986) zusammengefasst wurden.Die Sedimentabfolgen sind zum Teil biostratigraphisch eingestuft (HEINISCH et al. 1987,HEINISCH 1988). Das Gebiet zwischen Zell am See und Kitzbühel ist komplett neu kartiert(HEINISCH & PESTAL 1995, 2003). Die geologischen Aufnahmen im Maßstab 1:10.000gewährleisten eine detaillierte Kenntnis des gesamten Probenahme- und Untersuchungsge-bietes (Abb. 1-1) und schaffen damit eine grundlegende Voraussetzung für die vorliegendeArbeit.

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Petrographie:Paläogeographisch und sedimentologisch lassen sich zwei verschiedene Bereiche unterschei-den: ein Turbiditbecken mit mächtigen siliziklastischen Abfolgen (Glemmtal-Einheit) undeine Carbonatplattform, die sich auf ordovizischen Porphyroid-Plateaus entwickelte (Wild-seeloder-Einheit). Die siliziklastischen Gesteinsabfolgen können in proximale und distaleFaziesbereiche eines marinen Rinnenfächer-Systems eingeteilt und unterschieden werden. Sieerreichen in einigen Profilen mehr als 2000 m Mächtigkeit. Die Sandsteinpetrographie lässt,zusammen mit anderen Daten, den Schluss auf eine Position dieses Gebietes an einem passi-ven Kontinentalrand zu (HEINISCH 1986, 1988). Diese Faziesdifferenzierung der NGZ kannals Grundmuster für die Situation im gesamten Paläozoikum des Ost- und Südalpins verstan-den werden.Geochemische Untersuchungen an mafischen Magmatiten ergaben sowohl in der Arbeit vonSCHLAEGEL-BLAUT (1990) als auch der Arbeit von SCHAUDER (2002) einen alkalibasaltischenChemismus.Die schwach metamorphen felsischen Vulkanite, so genannte Porphyroide, der NGZ wurdenvon HEINISCH (1981) stratigraphisch, petrographisch und geochemisch untersucht und mit an-deren paläozoischen Porphyroiden des gesamten Ost- und Südalpenraumes verglichen.

Altersdaten:Einzelfunde von Acritarchen im Grenzbereich zum Innsbrucker Quarzphyllit (REITZ & HÖLL1992) belegen, dass die Sedimentation der siliziklastischen Gesteinsabfolgen spätestens imtieferen Ordovizium (Tremadoc und Arenig) begonnen haben muss. Erste Ergebnisse zumAlter des enthaltenen Detritus in den siliziklastischen Abfolgen, und damit zum Alter desLiefergebietes für die NGZ, konnten von PANWITZ (1999, 2000) aufgezeigt werden. 40Ar/39Ar-Datierungen an detritischen Hellglimmern ergaben Alter zwischen 500 Ma und 700 Ma.Biostratigraphische Datierungen an Karbonaten (Conodonten und Makrofossilien) aus zahl-reichen Lokalitäten der gesamten Grauwackenzone weisen eine durchgehende Schichtenfolgevom Oberordovizium bis in das Mitteldevon nach. An einer Stelle, dem Klingler Kar, konntenden biostratigraphisch datierten Karbonaten zwischengeschaltete bzw. überlagernde mafischeVulkanite indirekt datiert werden. Sie sind demnach in das höhere Unterdevon einzuordnen(HEINISCH et al. 1987).Geochronologische Daten aus einem weiteren Vorkommen mafischer Magmatite erbrachtenordovizische Alter (LOTH et al. 1999, Schauder 2002).Geochronologische Datierungen an Porphyroiden aus der Nördlichen Grauwackenzone lie-ferten mittelordovizische Alter (SÖLLNER et al. 1991, 1997).

Paläomagnetische Daten:Trotz der mehrphasigen Überprägung ist es gelungen, paläomagnetische Daten aus demalpinen Paläozoikum der Nördlichen Grauwackenzone zu erhalten (SCHÄTZ et al. 1996, 1999,2002). Die Kitzbüheler Grauwackenzone liegt nach diesen Daten im Silur 1500 km südlichdes Armorican Terrane Assemblage (ATA) und 3000 km nördlich des Gondwana-Nordran-des. Im Devon nähert sich der Sedimentationsraum dem ATA, während es zu Gondwanaeinen Abstand von ca. 2000 km hält (Abb. 1-3).

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Abb. 1-3: Paläogeographische Lage der Inneralpinen variscischen Bereiche (Proto-Alpen) und derenBeziehung zu Avalonia und ATA im Silur und Devon (SCHÄTZ et al. 2002).

1.2. Problemstellung

Die Entwicklung der Gesteinsabfolgen des Alpinen Paläozoikums bis hin zur Deckensta-pelung und Überschiebung während der Variscischen Orogenese im Karbon ist imWesentlichen bekannt. Der Kenntnisstand zum Alpinen Paläozoikum wurde mehrfachzusammengefasst (SCHÖNLAUB 1988, SCHÖNLAUB & HEINISCH 1993) letztmals durch V.RAUMER & NEUBAUER (1993). Jedoch bleibt die geotektonische Entschlüsselung der erhal-tenen Reste des Variscischen Orogens innerhalb der Alpen (Abb. 1-4) noch immer sehrschemenhaft und im Detail spekulativ. Dies liegt daran, dass sie der alpidischen Gebirgs-bildung in der Kreide und im Tertiär unterlagen. Die paläozoischen Abfolgen wurden hier inden alpinen Deckenbau und Deckentransport mit einbezogen und zum größten Teil nochmalsmetamorph überprägt.Außerhalb der alpinen Gebirgsketten (Karpaten, Alpen, Pyrenäen) konnten die paläozoischenAbfolgen dagegen wesentlich klarer erfasst und interpretiert werden. Sie erfuhren keine alpineÜberprägung, weshalb sich für den Variscischen Orogengürtel Mittel- und Westeuropas einimmer klareres Bild zur strukturellen und geodynamischen Entwicklung abzeichnet.Aus dem Vergleich der paläomagnetischen Daten der Kitzbüheler Grauwackenzone mit Ar-beiten zur Paläogeographie im gesamten europäischen Paläozoikum ergeben sich erheblicheWidersprüche. SCHÄTZ et al. (2002) postuliert ein eigenständiges Terrane für das alpine Palä-ozoikum, die Proto-Alpen (Abb. 1-3). Damit würde sich die Existenz des von NEUBAUER & V.RAUMER (1993) postulierten Noric-Bosnian-Terrane (NBT) bestätigen.Auch bei ZIEGLER (1989) wird für das Obersilur und für das gesamte Devon von einemAustroalpinen Terrane ausgegangen, welches isoliert über die ozeanische Kruste der Proto-Tethys driftet. All diese Terranemodelle bereiten jedoch aus sedimentologischen Gründenerhebliche Schwierigkeiten, da die mächtigen Turbiditabfolgen der Nördlichen Grauwacken-zone einen klaren Hinterlandsbezug erfordern.Ein weiterer Widerspruch ergibt sich hinsichtlich der Altersstellung der mafischen Magmatiteim Arbeitsgebiet. Die bisher conodontenstratigraphisch datierten Metabasite sind devonischenAlters. Aus diesem Grund wurde für alle Metabasite der Nördlichen Grauwackenzone eineBildung im Devon angenommen. Neue geochronologische Daten mafischer Magmatite er-

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brachten jedoch ordovizische Alter (SCHAUDER 2002). Damit entsteht neuer stratigraphischerKlärungsbedarf.

Abb. 1-4: Position der Terranes Armorica (Arm) und Avalonia (Av) sowie der Inneralpinen Teile derspäteren Varisciden am Beginn des Ordoviziums nach V. RAUMER (1998).

1.3. Art und Umfang der eigenen Untersuchungen

Ein wichtiges Werkzeug zum Studium der Geodynamik eines oder mehrerer Gebiete stellenProvenienzanalysen dar. Dabei geht es um Fragen der Herkunft und des Alters des in klasti-schen Sedimenten enthaltenen Detritus, die man wie folgt definieren kann:

1. Welche Gesteine enthielt das Liefergebiet?2. Wie alt sind/waren die Gesteine des Herkunftsgebietes?3. Ist eine Änderung des Alters des klastischen Detritus in der Stratigraphie des

Untersuchungsgebietes zu verzeichnen?Diese Art der Untersuchungen stützt sich auf die konventionelle Sedimentpetrographie sowieauf den detritischen Inhalt der Sedimentgesteine. Klassischerweise benutzte man vor allemden Schwermineralinhalt, um nähere Aussagen über Art und Alter der Gesteine des Her-kunftsgebietes zu erhalten. In den letzten Jahren wurde zur Provenienzanalyse immer häufigerdie Untersuchung detritischer Hellglimmer bevorzugt. Es können sowohl deren chemischeZusammensetzung als auch deren Alter rasch und effizient bestimmt werden. Zusammen mit

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der Gesamtgesteinspetrographie können dann wichtige Aussagen zur Art des Herkunftsge-bietes gegeben werden.

Den ersten Schritt für die vorliegende Arbeit stellt die Probennahme von Gesteinsmaterial imGelände dar. Die Proben wurden aus stratigraphisch gut definierten Profilen entnommen. Ne-ben der Probennahme im Hauptarbeitsgebiet, der NGZ, wurden einige Proben aus paläozoi-schen siliziklastischen Gesteinen der Karnischen Alpen (KA) entnommen. Da in diesem Ge-biet die klastischen und biogenen Sedimentgesteine durchgehend biostratigraphisch erfasstsowie die faziellen und stratigraphischen Analogien dieses Raumes zur NGZ seit langem be-kannt sind (SCHÖNLAUB & HEINISCH 1993), dienten sie als Vergleichsproben (Abb. 1-1). Ausden diskordant auflagernden klastischen Sedimentgesteinen des Permoskyths wurden eben-falls Proben entnommen.

Der zweite Schritt der vorliegenden Arbeit bestand in der Dünnschliff-Mikroskopie der klasti-schen Gesteinsproben. Gleichzeitig wurden die Proben mit den meisten und am besten erhal-tenen Hellglimmer für die folgende Gesteinsaufbereitung ausgewählt.An polierten Dünnschliffen oder separierten Einzelglimmern wurde von den zur 40Ar/39Ar-Datierung ausgewählten Proben eine erste qualitative Bestimmung der chemischen Zusam-mensetzung der Hellglimmer am Rasterelektronenmikroskop durchgeführt.

Die chemische Charakterisierung der detritischen Hellglimmer erfolgte an einer Elektronen-mikrosonde. Es sollte versucht werden, die Hellglimmer zu klassifizieren und mögliche Un-terschiede in ihrem Chemismus aufzuzeigen, zwecks Unterscheidung verschiedenerLiefergebietsquellen.

Der Schwerpunkt dieser Arbeit konzentrierte sich auf die Datierung detritischer Hellglimmer.An mehreren Einzelglimmern pro Probe wurden 40Ar/39Ar-Datierungen durchgeführt, die dasAlter ihres Liefergebietes widerspiegeln sollten.

Das Ziel dieser Arbeit lag darin, die Ergebnisse aus den eigenen angewendeten Methoden mitden bereits vorhandenen Daten zu kombinieren. Erst aus der Verbindung aller Ergebnisse zurPetrographie, zur Stratigraphie, zum Alter und zu paläomagnetischen Daten sollte dasgeodynamische Geschehen zwischen Ordovizium und Karbon für die NGZ rekonstruiertwerden. Es wurde versucht, die paläogeographische Beziehung der NGZ zu anderen „Peri-Gondwana-Fragmenten“, z.B. ATA, und dem Mutterkontinent Gondwana klarer zu erfassen.