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Das BuchDer Student Josh Hagarty steht nach einem Gefängnisaufenthaltvor dem Nichts. Da trifft es sich gut, dass er einen Job angebotenbekommt, der ihn und seine Familie über Wasser halten wird.Für eine Hilfsorganisation soll er in ein afrikanisches Land rei-sen, um dort den Fortschritt eines Agrarprojekts zu überwachen.Seltsam genug, da Josh weder von Landwirtschaft noch von Ent-wicklungshilfe große Ahnung hat. Schon bald findet er heraus,dass sein Arbeitgeber aufs Engste mit dem skrupellosen DiktatorUmboto Mtiti zusammenarbeitet. Die Hilfsorganisation scheintnur Fassade zu sein, hinter der im großen Stil Spendengelder ver-untreut werden.Gemeinsam mit der Entwicklungshelferin Annika macht sichJosh auf die Suche nach der Wahrheit und gerät bald in Lebens-gefahr.

Der AutorKyle Mills, Jahrgang 1966, lebt in Jackson Hole, Wyoming, wo ersich neben dem Schreiben von Thrillern dem Skifahren und Berg-steigen widmet. In den USA ist Kyle Mills mit seinen Romanenregelmäßig in den Bestsellerlisten zu finden und gilt neben TomClancy, Frederick Forsyth oder David Baldacci als Erneuerer desintelligenten Politthrillers.Besuchen Sie den Autor im Internet unter www.kylemills.com

Lieferbare TitelDie Spur – Die Organisation – Die letzte Mission – Das Abkommen – Glo-bal Warning – Die Jägerin

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KYLE MILLS

BLUTIGEERDE

Thriller

Aus dem Amerikanischenvon Martin Ruf

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

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Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte Papier

Holmen Book Cream liefert

Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2010

Copyright © 2009 by Kyle Mills

Copyright © 2010 der deutschen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Printed in Germany 2010

Umschlagillustration und Umschlaggestaltung:

Nele Schütz Design, München unter Verwendung

eines Fotos von © shutterstock

Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-453-43504-9

www.heyne.de

Die OriginalausgabeLORDS OF CORRUPTION

erschien bei Vanguard Press, New York

SGS-COC-001940

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PROLOG

Nachdem vier Stunden lang nichts als zerfurchte Erde,militärische Straßensperren und stinkendes, schlammi-ges Sumpfland an ihm vorübergezogen waren, hatte sichdie Landschaft um Dan Ordman völlig verwandelt. Diezerklüfteten, grasbedeckten Hügel, die bisher seine Weltgeprägt hatten, waren dichtem Dschungel gewichen, dersich in sanften Wellen bis zum rötlichen Horizont zog.Obwohl er seit fast einem Jahr in Afrika lebte, war diesdas erste Mal, dass er den Regenwald sah, die dunstigeFäulnis roch und Affen und Vögel hörte, ohne sie irgend-wo entdecken zu können. Irgendetwas daran machte ihnnervös. Wahrscheinlich war es die Tatsache, dass er sichbisher nie mehr als zwanzig Meilen von der bequemenExilgemeinschaft entfernt hatte, die ihn wie eine schüt-zende Hülle umgeben hatte. Aber vielleicht lag dem Ge-fühl auch etwas viel Ursprünglicheres zugrunde.

»Die Dunkelheit wird uns noch einholen.«Gideon manövrierte den Land Cruiser um einen Baum,

der plötzlich mitten auf der Straße aufgetaucht war, undwarf Dan einen Blick zu. Genauer gesagt, er wandte seineverspiegelte Sonnenbrille kurz in Dans Richtung. Gideonkommunizierte mit anderen Menschen nicht in der all-gemein üblichen Bedeutung des Wortes. Es war immereine merkwürdig einseitige Angelegenheit – es gingdarum, was er einen wissen lassen wollte; was er gewilltwar, für einen zu tun; wozu er Zeit hatte. Was ihn inter-essierte.

Als sie sich das erste Mal trafen, hatte der Afrikaner auf

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Dan eher wie die Skulptur eines Amateurkünstlers ge-wirkt und nicht so sehr wie ein Geschöpf Gottes oder dasErgebnis der Evolution: Er war ein wenig zu groß, seineMuskeln traten etwas zu deutlich hervor, und er hatte einschlaffes Gesicht mit leeren Augen. Nicht der freundlicheMann, die fähige rechte Hand, die sich Dan auf dem weit-läufigen Anwesen seiner Eltern an der Küste vorgestellthatte. Aber er war hierhergekommen, um zu lernen, undseine erste Lektion hatte darin bestanden, dass die Reali-tät nur selten an die Fantasie heranreicht. Im Leben ginges darum, herauszufinden, wie man diese Lücke überbrü-cken konnte.

»Es ist nicht weit«, wiederholte Gideon wahrscheinlichzum zehnten Mal. »Und nachts ist es kühler.« Etwas regtesich hinter ihnen, und Dan drehte sich um, um nach denvier jungen Leuten zu sehen, die sich auf der Rückbankdes Wagens drängten. Der Jüngste war etwa zwölf, undsein von unregelmäßiger Nahrungsaufnahme gezeichne-ter Körper wirkte winzig im Vergleich zu dem russischenMaschinengewehr, das er zwischen seine Knie geklemmthatte. Alle waren ähnlich angezogen: Sie trugen schmut-zige Jeans und zerschlissene T-Shirts, deren AufdruckeBilder aus einer anderen Welt zeigten und bei den Teen-agern hier sehr beliebt waren. Zeichentrickfiguren tolltenherum, Sportmannschaften ferner Orte konkurriertenmiteinander, britische Bands sangen ihre Schnulzen. Aufeinem stand: »Wenn das doch nur mein Gehirn wäre«. DiePlatzierung des Schriftzugs deutete darauf hin, dass dasT-Shirt eigentlich für eine gut ausgestattete Frau gedachtwar.

Dan drehte sich wieder nach vorn und spürte, wieihm das Adrenalin durch die Adern schoss, als die Sonneauf den Horizont traf. Nachts kamen die bösen Geister.Wenigstens hatte man ihm das gesagt, und er hatte kei-

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nen Grund, diese Behauptung anzuzweifeln. Afrika ver-änderte sich nach Sonnenuntergang. Das übliche Chaosund die allgegenwärtigen Missstände wurden gefährlich,bösartig. War es nicht in Afrika gewesen, wo der Menschseine Furcht vor der Dunkelheit entwickelte?

Gideon riss das Steuer nach rechts, trat mit aller Wuchtauf die Bremse und kam schlingernd zum Stehen – eintypisches Manöver in diesem Teil der Welt. Hinter demSteuer verhielten sich die Afrikaner stets, als ginge esum einen äußerst verzweifelten Notfall. Wenn sie nichthinter dem Steuer saßen, verhielten sie sich, als gäbe esdergleichen gar nicht.

»Was? Erzähl mir jetzt nicht, dass es das ist«, sagteDan.

Gideon nickte und stieg, gefolgt von den gut bewaff-neten Kindern auf der Rückbank, aus dem Wagen. Zuvorhatten sie geschwiegen, doch nun plapperten sie auf-geregt in ihrer Muttersprache, die für Dan noch immergenauso unverständlich war wie am Tag seiner Ankunft.Anstatt auszuschwärmen und nach Rebellen Ausschau zuhalten, was offiziell ihre Aufgabe war, hielten sie sich inder Nähe des Wagens auf und fummelten an ihren Waf-fen herum.

Dan schlug mit der Faust gegen die widerspenstige Türund sprang aus dem Auto; er wollte so schnell wie mög-lich erledigen, was er hier zu erledigen hatte, und dannwieder hinter die Betonmauern und Eisentore seinerSiedlung zurückkehren. Mittlerweile hingen sicher alleam Pool herum, sahen sich den Sonnenuntergang an undmachten es sich mit ihren Drinks gemütlich.

»Das kann nicht dein Ernst sein, Gideon. Hier ist dochnichts. Hast du irgendeine Vorstellung davon, wie auf-wändig es wäre, hier alles zu roden, um Farmland zugewinnen?« Dan hob seinen verschwitzten Arm und deu-

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tete auf die Vorderseite des Fahrzeugs, wo Insekten, einerRauchwolke gleich, im Scheinwerferlicht schwebten.»Und was ist mit denen?«

Er hatte irgendwo gelesen, dass möglicherweise dieHälfte aller Menschen, die jemals gelebt hatten, an Ma-laria gestorben war. Wieder sah er keinen Grund, dieseBehauptung anzuzweifeln.

»Das ist nicht Amerika«, sagte Gideon. »Das ist unserLand. Unsere Heimat. Es ist, wie es ist.«

Die Afrikaner hatten sich mit der Tatsache abgefunden,dass alles auf ihrem Kontinent versuchte sie umzubrin-gen, doch Dan verspürte kein Bedürfnis, das Schicksalherauszufordern. »Hör zu, das sollte keine Beleidigungsein, okay? Aber wir arbeiten bereits vierzehn Stundenam Tag und können uns dennoch kaum über Wasserhalten.«

Gideon setzte sich in Bewegung, und Dan beeilte sich,mit ihm Schritt zu halten. Der Afrikaner schien nach ei-ner Lücke im Dschungel zu suchen; es kam einem Wun-der gleich, dass er durch die Sonnenbrille, die er niemalsabnahm, überhaupt irgendetwas erkennen konnte.

»Was ist mit den Rebellen?«, fuhr Dan fort. »Dieses Ge-biet grenzt genau an das an, das die Regierung kontrol-liert, oder? Wir könnten –«

»Präsident Mtiti kontrolliert das ganze Land«, sagteGideon mit einem Anflug von Verärgerung in der Stim-me. Hinter ihnen verfiel das Kinderkommando für einenAugenblick in Schweigen, als der Name ihres furchtlosenFührers erklang.

»Natürlich ist der Präsident ein großer Mann«, sagteDan, wobei er sogar sich selbst mit der geheuchelten Ver-ehrung in seiner Stimme beeindruckte. Auch wenn derRest der Welt anders dachte, war Umboto Mtiti Abschaumersten Ranges.

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Angezogen von Licht und Körperwärme kreisten im-mer mehr Insekten um sie, und Dan machte sich auf denRückweg zum Land Cruiser, während er erfolglos versuch-te, sie mit den Händen wegzuscheuen. »Gut, ich habe esgesehen. Ich werde morgen anrufen, um herauszufinden,was zur Hölle wir damit machen sollen. Aber ich glaube,wir beide wissen, dass das Ganze Bullshit ist.«

Gideon antwortete nicht. Er war nie besonders warm-herzig oder gesprächig gewesen, doch heute wirkte er fastschon unheimlich. Dan hatte sich große Mühe gegeben,ihn zu mögen, und sich immer wieder selbst Rassismusvorgeworfen, wenn er sich über Gideons Einstellung oderseine Art geärgert hatte, doch heute Nacht war ihm dasegal. Rassismus hin oder her, er war wild entschlossen,in das zurückzukehren, was hier als Zivilisation durch-ging.

Er zog die Beifahrertür auf, hielt jedoch inne, alsniemand Anstalten machte, ihm zu folgen. »Kann’s los-gehen?«

Gideon ging um den Wagen herum und öffnete dieHeckklappe. Die Kinder beobachteten ihn, wobei es ihnenkaum gelang, ihre Erregung zu verbergen. Ihre T-Shirtsund ihre Augen schimmerten im letzten Glanz der Sonnewie die Machete, die plötzlich locker von Gideons Handherabhing.

Trotz seines sozialen Hintergrunds – seiner Kindheit ineinem Nobelviertel, der Privatschule und dem Abschlussan einer Eliteuniversität – begriff Dan sofort, was vor sichging.

Ein hämischer Chor erklang, als er losrannte, wurdejedoch gleich darauf übertönt vom Geräusch der nassenBlätter, die gegen seine Haut klatschten, und dem seineseigenen Atems, als er in den Dschungel eindrang.

Er war nie ein großer Sportler gewesen, doch ein gan-

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zes Jahr Arbeit im Freien in Afrika kombiniert mit einemAdrenalinschub, wie er ihn noch nie erlebt hatte, sorgtendafür, dass er immer weiterrannte, wobei er die unsicht-baren Zweige ignorierte, die ihm in die Haut schnitten,über unsichtbare Hindernisse stolperte und seine Flucht-richtung ständig änderte, um den Gewehrsalven auszu-weichen, die alle paar Sekunden hinter ihm erklangen.

Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war,doch schließlich bekam er nicht mehr genügend Luft,und die Hindernisse, denen er zuvor noch hatte aus-weichen können, wurden unüberwindlich. Schon baldkostete ihn sogar die Angst zu viel Energie, und er dachtean all die normalen Dinge, die er niemals tun würde. Erwürde nie heiraten, nie Kinder haben. Nie ein Zuhausebesitzen oder sich eine »richtige Arbeit« zulegen, wie seinVater ihn immer gedrängt hatte.

Die Seite des Baumes direkt neben ihm explodierte,als eine Kugel einschlug und hölzernes Schrapnell inseine Wange und sein Auge trieb. Er riss die Hand zumGesicht hoch, konnte Blut und Schweiß nicht voneinan-der trennen, und dann spürte er, wie die Angst wiederaufflackerte. Er stolperte vorwärts, doch die Erschöpfungund die eingeschränkte Wahrnehmung ließen ihn allepaar Schritte zu Boden stürzen. Das Gelächter der Kinderwurde lauter, als er sich erbrach, aber es schien nichtnäherzukommen. Vielleicht hatten auch sie im dichtenLaubwerk und im Halbdunkel die Orientierung verloren.

Er konnte es schaffen. Er musste einfach immer nur inBewegung bleiben. Je weiter er lief, umso mehr würde ersich in eine Nadel in einem Tausende von Quadratmeilengroßen Heuhaufen verwandeln.

Er verlangsamte sein Tempo, bewegte sich vorsichtigerals zuvor. Die Schmerzen in seinem Auge wurden immerstärker, doch er ignorierte sie. Er konzentrierte sich dar-

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auf, ruhig zu atmen und nicht noch einmal zu stürzen.Er konnte es sich nicht erlauben, Lärm zu verursachen,und ein verstauchter Knöchel würde sich mit ziemlicherSicherheit als tödlich erweisen.

Der Rand des Dschungels war nicht auszumachen, biser plötzlich durch die Büsche brach und wieder auf derStraße stand. Die Scheinwerfer des Land Cruisers warenausgeschaltet, doch er konnte die Umrisse des Wagensund Gideons, der die Machete in der Hand hielt, imschwindenden Licht erkennen. Die Stimmen hinter ihmwurden lauter, und einen Augenblick später tauchten dieKinder auf, noch immer lachend und plaudernd. Ange-sichts ihres Erfolges rissen sie triumphierend ihre Fäus-te in die Luft. Sie hatten ihn ins Freie getrieben wie eindummes Tier.

Es gab keine Möglichkeit zu fliehen. Er konnte kaumeinen Fuß vor den anderen setzen, während Gideon ein-fach stehen geblieben war und auf ihn gewartet hatte. DieKinder schwärmten aus und bildeten einen Korridor, denGideon langsam entlangschritt.

Dan hatte sich seinen eigenen Tod nie vorgestellt, ei-gentlich hatte er nie auch nur darüber nachgedacht. ImAlter von sechsundzwanzig schien der Tod so fern. Sotheoretisch. Doch jetzt wurde Dan von einer tiefen Trau-rigkeit übermannt. Tränen stiegen ihm in sein unverletz-tes Auge, während aus dem anderen durch zusammen-gekniffene Lider noch immer das Blut sickerte. Was tater hier, so weit von seinem eigenen Leben entfernt, vonseiner Familie, die er nie wiedersehen würde? Was hatteer zu erreichen gehofft? Überhaupt irgendetwas? Oderwar alles nur ein Spiel für ihn gewesen?

Gideon stand jetzt direkt vor ihm; die Dunkelheit hattesein Gesicht ausgelöscht. Aber das spielte keine Rolle. Eswäre darin nichts zu erkennen gewesen, an das er hätte

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appellieren, das er hätte anflehen können. Und doch fühl-te er sich gedrängt, etwas zu sagen.

»Ich habe gedacht, ich könnte helfen.«Gideon hob nur die Machete.

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EINS

Die Bar war praktisch leer, und Josh Hagarty wählte eineNische, die weit vom Fenster entfernt lag. Dieses war er-füllt vom warmen Licht eines, wie die meisten Menschenes sicher empfunden hätten, perfekten Nachmittags. Eswar das Ende der Prüfungswoche, und es würde noch eini-ge Stunden dauern, bevor die Studenten hereingeströmtkämen, um bestandene Tests zu feiern oder verpatzte zuvergessen. Wenn er sich ordentlich anstrengte, würde dieZeit ausreichen, um sich bis zur Besinnungslosigkeit zubetrinken.

Er betrachtete die Kellnerin, als sie hinter der Thekehervortrat und auf ihn zukam. Sie schob sich zwischenden leeren Tischen hindurch, die von Wänden umgebenwaren, an denen Sporttrikots und Nostalgieschilder hin-gen. Sie war zu hübsch. Und die Bar war zu sauber. Er hät-te sich für sein Besäufnis eine Bar am anderen Ende derSkala suchen sollen. Eine, in der einem Pabst Blue Ribbonvon einer Frau mit ledriger Haut und einem fehlendenOhr serviert wurde – da gehörte er hin.

»Schöner Anzug«, sagte das Mädchen, stellte ein GlasNewcastle auf den Tisch und betastete die weiche Seide sei-ner Krawatte. »Es läuft anscheinend ganz gut für dich.«

Er stieß ein Schnauben aus, das als Lachen durchging.»Um das Geld dafür aufzubringen, hab ich drei Monatelang von nichts als Hot Dogs und Ramen-Nudeln gelebt.«Er streckte einen italienischen Lederschuh unter demTisch hervor. »Und nochmal anderthalb Monate für diehier.«

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»Nun, es scheint zumindest nicht, als hätte es dir ge-schadet. Du siehst toll aus.«

Er wusste, dass das stimmte, obwohl er nicht stolz dar-auf war. Er hatte in genetischer Hinsicht so viel Glück ge-habt, dass man fast hätte misstrauisch werden können.Er war intelligent, groß, gut aussehend und in seinemganzen bisherigen Leben nur etwa drei Tage krank gewe-sen. Vielleicht war das der Grund, warum alles andere inseinem Leben auf so gnadenlose und niederschmetterndeWeise schiefging.

Er legte die Hände um das kalte Glas vor sich und starr-te hinein.

»Bist du okay, Josh?«»Sehe ich aus, als wäre ich nicht okay?«»Ehrlich gesagt siehst du aus, als würdest du gleich je-

manden umbringen. Ich habe mir schon überlegt, ob ichalle scharfen Gegenstände aus der Bar schaffen soll.«

»So schlimm?«»Nah dran. Was ist los?«Er hob das Glas und trank es in einem Zug bis zur Hälf-

te leer. »Na ja, die Vorstellungsgespräche laufen nicht sogut, wie ich es mir erhofft hatte.«

Das Grinsen, das auf ihrem Gesicht erschien, über-raschte ihn nicht. Sie sah nur, dass er einen Abschlussin Maschinenbau hatte, dazu einen brandneuen MBA inBetriebswirtschaft und einen Gesamtnotendurchschnittvon 1,1. Doch die Wahrheit war nicht so einfach. Nichtswar jemals so einfach.

»Lass mich raten«, sagte sie, und ihr Lächeln wurdebreiter, »die haben dir zweihundertfünfzig Riesen undeinen BMW angeboten, während du unbedingt einen Por-sche wolltest? Du willst mich doch verarschen, oder? Ichhalte mich mit Müh und Not gerade mal auf einer Drei inSoziologie.« Sie beschrieb mit der Hand einen Halbkreis.

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»Das hier ist wahrscheinlich der beste Job, den ich je be-kommen werde.«

»Vielen Dank für dein Mitgefühl, Cindy.«»Nein, im Ernst, Josh. Mir kommen gleich die Tränen.

Ich geh mir wohl besser mal ein Taschentuch holen.«Mit wiegenden Hüften kehrte sie zur Theke zurück,

und wieder musterte er sie. Jedes Mal, wenn er sie sah,schien sie noch perfekter geworden zu sein. Es warennicht nur die langen Beine, die unter dem albernen ka-rierten Minirock endeten, den die Kellnerinnen hier tra-gen mussten, sondern vielmehr die Tatsache, dass für siescheinbar immer die Sonne schien.

Was in gewissem Sinne wirklich zutraf. Ihre Eltern wa-ren reich, ihre Noten spielten keine Rolle, und die Hälfteder Männer auf dem Campus wäre bereit, für eine Verabre-dung mit ihr die andere Hälfte um die Ecke zu bringen.

Er hingegen war wirklich aufgeschmissen.Er hatte gerade sein letztes Bewerbungsgespräch auf

dem Campus hinter sich gebracht, und obwohl sein Ge-sprächspartner überaus freundlich gewesen war, bestandkein Zweifel daran, dass er – genau wie alle anderen – ei-nen Verlierer erkannte, wenn er einen vor sich hatte. Eswar kein Problem für Josh, seine Vergangenheit vor seinenFreunden geheim zu halten, doch es war nicht so leicht,sie vor einem professionellen Headhunter zu verbergen,wenn dieser nur über ein halbes Gehirn und einen In-ternetzugang verfügte. Jeder Kontakt, den er bisher miteiner Firma gehabt hatte, war nach dem gleichen Musterabgelaufen. Anfänglich begeistert von seinen Bewerbungs-unterlagen vereinbarten die Personalentscheider einenTermin mit ihm, der dann in Form eines kühlen, desinte-ressierten Gesprächs stattfand und auf den ein höflicherBrief folgte, in dem man ihm mitteilte, dass er nicht dassei, wonach die Firma suche.

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Der Rest des Biers war schneller geleert als üblich, undeinen Augenblick später kam Cindy mit einem neuen. Alssie das leere Glas mitnehmen wollte, griff er danach undweigerte sich, es wieder loszulassen. Sie runzelte die Stirnund legte den Kopf schief, doch schließlich zog sie sichmit leeren Händen an die Bar zurück.

Josh schob das Glas an den Rand des Tisches – das erstevon vielen. Eine Hommage an die Vielzahl der Verant-wortlichkeiten, die auf ihm lasteten, und an die Tatsache,dass er keiner von ihnen je gerecht geworden war. SeineAusdrucksform? Biergläser und sterbende Gehirnzellen.

Sein Handy klingelte, und er warf einen Blick auf dieNummer des Anrufers. Laura.

Seine Schwester hatte das unheimliche Talent, sich dieTermine seiner Vorstellungsgespräche zu merken. Gewis-senhaft rief sie ihn jedes Mal danach an, um zu erfahren,wie es gelaufen war. Erstaunlicherweise war dieses Ver-halten nichts Neues – sie hatte es bereits getan, nachdemer mit seinem Diplom in Maschinenbau in der Tascheeinen Job gesucht hatte. Damals war sie zwölf gewesen.

Er schaltete das Handy aus und stopfte es zurück inseine Tasche. Was sollte er ihr sagen? Es war auf geradezuverärgernde Weise schwer, sie anzulügen, weshalb er Zeitbrauchte, um sich eine plausible Geschichte einfallen zulassen und sie einzuüben – eine kreative Neufassung derWahrheit.

Und was genau war die Wahrheit? Dass es nicht geradedas Werk eines Genies war, sich einen Berg Schulden auf-zuladen, um seinen MBA zu machen, weil niemand einenauch nur mit der Kneifzange anfassen wollte, nachdemman auf einer technischen Hochschule als einer der Jahr-gangsbesten seinen Abschluss gemacht hatte?

Das Schlimmste allerdings war, dass er es tief in seinemInnern die ganze Zeit über gewusst hatte. Er war vor der

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Welt geflohen und hatte sich an den einzigen Ort zurück-gezogen, an dem er überzeugend vorgeben konnte, keinVersager zu sein. Die Universität.

Inzwischen saß er schon über eine Stunde hier undsank immer mehr in sich zusammen, während der Al-kohol seine Muskeln erschlaffen ließ, aber nicht seineWut – Wut auf sich selbst, auf die Firmen, die noch nieetwas von einer zweiten Chance gehört hatten, auf dieWelt. Er beugte sich vor, blickte durch die leeren Gläser,die am Tischrand entlang aufgereiht standen, und ver-suchte, sich auf das verzerrte Bild des Gebäudes dahinterzu konzentrieren. Gerade hatte ein Mann in einem An-zug auf einem der Hocker an der Bar Platz genommenund bemühte sich, Cindy in ein Gespräch zu verwickeln.Er war eindeutig kein Student – Anzug, Krawatte undeine Körpermitte, die in unwiderruflichem Wachstumbegriffen war. Handelsreisender. Staubsauger. VielleichtEnzyklopädien.

Josh quittierte seinen eigenen lahmen Witz mit einemSchnauben und zog einen Kugelschreiber aus der Tasche.Auf einer feuchten Serviette und unter Einsatz seiner Aus-bildung im Wert einer sechsstelligen Summe berechneteer, wie lange es dauern würde, sein Studentendarlehenmithilfe eines Job in einer Jiffy-Lube-Autowerkstatt ab-zuzahlen. Wenn er sich wieder ausschließlich von Ra-men-Nudeln und Hot Dogs ernähren, unter einer Brückeschlafen und das zu erwartende amerikanische Durch-schnittsalter erreichen würde, könnte er die letzte Ratezwei Jahre nach seinem Tod begleichen.

»Cindy!«, schrie er, wobei ihm auffiel, dass er bereitsverräterisch lallte. »Tequila!«

Er beobachtete durch die Linse der Gläser, wie sie nä-her kam, und stürzte den Drink hinab, kaum dass sie ihnauf den Tisch gestellt hatte.

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»Tequila und Selbstmitleid vertragen sich nicht beson-ders gut«, sagte Cindy in missbilligendem Ton.

Er sah blinzelnd zu ihr hoch. »Okay. Jetzt bin ich wirk-lich am Boden. Eine einundzwanzigjährige Kellnerin hältmir Vorträge.«

»Ich bin zweiundzwanzig, und du benimmst dich wieein Arschloch, Josh.« Sie versetzte ihm einen leichtenSchlag gegen die Schläfe und ging zurück zur Bar. Diesmalstarrte er einfach nur die Maserung der Tischplatte an.

Sie hatte Recht. Und nicht nur, was ihr Alter betraf. Errichtete sich mühsam in eine sitzende Position auf undholte tief Luft, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ge-wiss, die Vorstellungsgespräche auf dem Campus warenein einziger Reinfall gewesen, doch die Welt war schließ-lich jenseits der sorgfältig gestutzten Rasenflächen derUniversität noch nicht zu Ende. Was war mit dem Ge-spräch, das er nächste Woche mit einer lokalen Firma ha-ben würde, die eine Stelle in der Zeitung ausgeschriebenhatte? Er war zwar deutlich überqualifiziert und sein Ein-kommen läge nicht viel höher als das, was er als Auto-mechaniker verdienen könnte, doch wenigstens hätteer damit einen Fuß in der Tür, die in die geheimnisvolleWelt der hochrangigen Bürojobs führte.

»Was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«Er hatte nicht bemerkt, dass der Mann, der an der Bar

gesessen hatte, näher gekommen war, und hätte sich si-cher erschreckt, wäre er nicht so betrunken gewesen.

»Warum?«, war alles, was er herausbrachte.Der Mann lachte und rutschte auf die Bank auf der an-

deren Seite der Nische. »Sie sind Josh Hagarty, stimmt’s?«»Kennen wir uns?« Die Frage war nur ein Reflex. Der

Mann schien Mitte vierzig zu sein, hatte ein Gesicht vollerAknenarben und eine merkwürdig geformte kahle Stelleauf dem Kopf, die man nur schwer vergessen könnte.

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»Ich bin John Balen.« Er griff über den Tisch und schüt-telte Joshs Hand, bevor er sich zurücklehnte und seineKrawatte lockerte. »Ich versuche, Mitarbeiter für eine Or-ganisation namens NewAfrica zu gewinnen. Unser Haupt-sitz ist in New York.«

Das machte Josh ein wenig nüchterner. »Ich habe Sieauf keiner Liste der Universität gesehen.«

»Wir haben uns auch in keine eintragen lassen. WissenSie, wir haben noch nie viel von diesen Bewerbungsgesprä-chen auf dem Campus gehalten. Es ist eine Art chaotischeMassenabfertigung, und unserer Erfahrung nach findetman am Ende doch nicht die richtigen Leute. Alle habenihr Pokerface auf, und keiner weiß so recht, wo er beimanderen dran ist.«

Joshs Verstand war noch immer auf weniger als halbeGeschwindigkeit heruntergefahren, und er konnte sichnicht vorstellen, wohin diese Unterhaltung führen sollte.War dieser Kerl einfach nur gelangweilt und wollte mitjemandem reden?

»Mit wem führen Sie denn dann Bewerbungsgesprä-che?« Josh stellte die Frage vor allem, weil er höflich seinwollte. Er konnte sehen, wie Cindy auf ihn zukam. Viel-leicht, um ihn zu retten.

»Ehrlich gesagt, nur mit zwei Leuten. Mit einem Typenaus Kalifornien und mit Ihnen.«

Und sie rettete ihn tatsächlich. Sie kam gerade nochrechtzeitig, bevor er anfangen konnte zu stammeln.

»Kann ich euch Jungs etwas bringen?«Josh musterte die Reihe der Gläser auf dem Tisch und

verfluchte sich leise selbst. Es gab sehr gute Gründe, war-um er fast nie trank. Ein Newcastle pro Woche, wenner nicht gerade für die Kleidung für seine Vorstellungs-gespräche sparte. Und jetzt hätte er Werbung für die Ano-nymen Alkoholiker machen können, während er einem

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Mann gegenübersaß, der extra aus New York gekommenwar, um mit ihm zu sprechen.

»Nur die Rechnung, Cindy.«Balen hob die Hand. »Die übernehme ich.«Sie warf ihm einen Blick zu, der vermuten ließ, dass

ihre Unterhaltung an der Bar nicht besonders gut gelau-fen war. »Die gehen aufs Haus.«

»Kommt nicht in Frage«, sagte Josh. »Das musst dunicht tun.«

Sie ignorierte ihn und notierte etwas auf einer Serviet-te, die sie aus ihrer Schürze gezogen hatte. Als sie fertigwar, schob sie die Serviette in die Brusttasche seines Ja-cketts. »Das ist die Adresse meiner neuen Wohnung undmeine Telefonnummer. Komm doch heute Abend einfachvorbei, dann mache ich dir etwas zu essen.«

Wenn er nur die fünf Gläser Bier getrunken hätte, wäreer wohl damit zurechtgekommen, dass die Dinge geradevon allen Seiten auf ihn einfielen. Doch der Tequila hatteihm den Rest gegeben.

»Äh, ich glaube nicht, dass ich besonders gute Gesell-schaft wäre.«

»Komm trotzdem. Du hast keine Ahnung, was ich allesunternehmen werde, um dich wieder aufzuheitern.«

Josh starrte ihr mit leerem Blick hinterher, als sie ging.Schließlich wandte er sich wieder Balen zu. »Tut mir leid.Worüber haben wir gerade gesprochen?«

»Wir sprachen über unsere Bewerbungsabläufe.«»Und zu denen gehört, dass Sie sich in Bars an Leute

heranschleichen?«Balen lächelte. »Wir erledigen die Recherchen in New

York, treffen eine Auswahl an Kandidaten und führendann ein paar Gespräche. Das ist zwar ungewöhnlich, hatsich aber als ziemlich effektiv erwiesen, wissen Sie.«

»Warum ich?«

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»Himmel, Josh. Haben Sie in letzter Zeit mal Ihre ei-genen Bewerbungsunterlagen angeschaut? Warum nichtSie?«

Josh nagte einen Augenblick lang an seiner Unterlippe,während sein stark beeinträchtigter Verstand Gedankenauf eine Art und Weise zusammensetzte, die er ganz si-cher bereuen würde. Aber er hatte einfach die Schnauzevoll. Es wurde Zeit, aus der Achterbahn auszusteigen undseine Pläne der Realität anzupassen. »Sie sollten diesemKerl aus Kalifornien die Stelle geben, John. Sie verschwen-den nur unser beider Zeit.«

»Ja, aber es ist meine Zeit. Und wenn ich das einmal sodeutlich sagen darf: Sie selbst sehen nicht gerade furcht-bar beschäftigt aus.«

Aus seinem Augenwinkel konnte er die Reihe der Glä-ser auf dem Tisch sehen, und er fragte sich, warum zumTeufel Cindy sie nicht mitgenommen hatte, bis er sichdaran erinnerte, wie er mit ihr um das erste gerungenhatte.

»Also. Sind Sie interessiert, Josh? Darf ich Ihnen einwenig über unsere Firma erzählen?«

»Ich denke schon.«»Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen, das sich

auf die Durchführung nachhaltiger Landwirtschaftspro-jekte in Afrika spezialisiert hat. Das Motto unserer Orga-nisation lautet: ›Menschen helfen, die bereit sind, sichselbst zu helfen.‹ Wir hatten bisher schon viele Erfolgezu verzeichnen und konnten einige gute Dinge für Men-schen tun, die wirklich Hilfe brauchten.«

»Afrika?«»Ja, wie gesagt, Afrika.«Josh war noch nie westlich von Missouri gewesen.

Oder lag Afrika östlich davon? Er hatte nie darüber nach-gedacht.

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»Haben Sie schon jemals in Betracht gezogen, für eineHilfsorganisation zu arbeiten, Josh?«

»Nein, eigentlich nicht.«Er bereute die Worte, kaum dass er sie ausgesprochen

hatte. Langsam wirkte die Unterhaltung den Folgen desAlkohols entgegen, und die Erinnerung an seine Verzweif-lung gewann die Oberhand über seinen Zynismus.

»Warum nicht?«Es war eine gute Frage, die selbst in absolut nüchter-

nem Zustand schwierig zu beantworten gewesen wäre.Die Wahrheit lautete, dass bei seinem kulturellen Umfeldeine solche Idee einfach fernlag. Seine Familie bestandaus Empfängern von Wohlfahrtsleistungen, nicht aus Men-schen, die diese aufbrachten. Das war eine vollkommenandere Welt.

Aber das wäre ein bisschen zu viel der Ehrlichkeit ge-wesen. Offensichtlich hatte Balen das alles ganz bewusstso eingefädelt. Schließlich hätte er auch anrufen undeinen Termin vereinbaren können. Verdammt, er hätteauch einfach an den Tisch kommen können, bevor Joshein halbes Fass geleert hatte. Er hatte darauf abgezielt,Josh unvorbereitet zu erwischen. Aber er würde eine Ent-täuschung erleben.

»Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass das eine beson-ders erfüllende Arbeit wäre, John. Aber ich habe noch niejemanden kennengelernt, der für eine Hilfsorganisationgearbeitet hat. Und wenn man ein wirtschaftswissen-schaftliches Fach studiert, dann drängen sie einen nichtgerade in diese Richtung.«

»Das wette ich. Sie sagen einem, dass man seinen Ab-schluss machen, viel Geld verdienen und ein großes Hauskaufen soll. Das ist der typisch amerikanische Weg. Aberwissen Sie, es ist nicht der einzige Weg.«

Josh nickte auf eine Art, die tiefgründig wirken soll-

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te, während Balen einen Umschlag aus seiner Tasche zogund ihn über den Tisch reichte.

»Ein Erste-Klasse-Ticket. Der Flug geht morgen früh.«»Wohin?«Die Überraschung musste ihm deutlich anzuhören

gewesen sein, denn Balen gelang es nur mit Mühe, einLachen zu unterdrücken. »Entspannen Sie sich, mein Jun-ge. Nach New York. Nicht in den Kongo. Wir hätten gerne,dass Sie rüberkommen, ein paar unserer Leute treffenund sich die Sache ansehen. Um herausfinden, was Siedavon halten, verstehen Sie?«

Josh öffnete den Umschlag und starrte das Ticket an. Erwar noch nie geflogen. Und er war ganz sicher noch nie inNew York City gewesen.

»Danke, Mr Balen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie mir diese Chan-ce geben.«

»Wissen Sie, wie Sie mir danken können, Josh?«»Indem ich für Ihre Organisation gute Arbeit liefere?«»Nun, das wäre nett, aber – nein. Ich hatte gehofft, Sie

könnten mir sagen, wie Sie von dieser Bedienung Freibierund eine Einladung zu verdammt viel mehr als nur einemAbendessen ergattert haben.«

Josh war auf den Themenwechsel nicht vorbereitet ge-wesen, und so blinzelte er dümmlich. »Äh, in der Hinsichthatte ich einen gewissen Vorteil. Wir sind früher mal mit-einander ausgegangen.«

Balen beugte sich über den Tisch. »Wirklich? Meine Ex-freundinnen hassen mich allesamt. Was ist Ihr Geheim-nis?«

Josh dachte einen Augenblick nach und zuckte dannmit den Schultern. »Ich mag sie.«

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Kyle Mills

Blutige ErdeThriller

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 400 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-43504-9

Heyne

Erscheinungstermin: April 2010

Wenn aus Helfern Mörder werden Ein kleiner afrikanischer Staat wie so viele andere: Bürgerkrieg tobt, Korruption istallgegenwärtig und ein skrupelloser Diktator stützt sein Regime auf Terror und Mord. Allein einedurch Spenden finanzierte Hilfsorganisation scheint Hoffnung zu geben, und so lässt sich derjunge Student Josh als Projektleiter anwerben. Bald muss er jedoch erkennen, dass sich hinterder humanitären Fassade dunkle Machenschaften verbergen, und gerät in Lebensgefahr.