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Das Bundeswaldgesetz 1 ist in seinen wesentlichen Teilen und sei- ner Grundstruktur nach seit etwa 40 Jahren gültig. In dieser Zeit hat sich durch Gesetzgebung der Europäischen Union und des Bundes eine ganz andere Umfeldsituation für das Gesetz ergeben. So wurde das Bundesbodenschutzgesetz verabschiedet, es wurde die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie erlassen, die Bundesrepublik hat das Biodiversitätsabkommen in innerstaatliches Recht überführt, etc. Nachfolgend soll darstellt werden, in welcher Art und Weise dieser neue rechtliche „Biotop“ die Auslegung und Anwendung des Bundeswaldgesetzes beeinflusst hat oder hätte beeinflussen sollen. 1. Europa- und völkerrechtliche Rahmenbedingungen Das Bundeswaldgesetz ist von einigen Bundes- und Eu- ropäische-Unionsgesetze und völkerrechtlicher Verpflich- tungen in seiner Anwendung und Auslegung beeinflusst. Dies hat rechtlich verbindliche Folgen. So besteht die völ- kerrechtliche Verpflichtung, entgegenstehendes nationales Recht, also auch das Bundeswaldgesetz an die völkerrecht- lichen Konventionen und Verträge anzupassen 2 oder völ- kerrechtskonform auszulegen und zu administrieren. Das entspricht dem Grundsatz des Völkerrechts des effet utile, dem Effizienzgebot. 3 Der Grundsatz ist seit dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 4 allgemei- ner zwischenstaatlicher Rechtsgrundsatz. Demzufolge sind völker- und europarechtliche Normen bei ihrer Auslegung im Sinne des effet utile bei Interpretation des Bundeswald- gesetzes maßgeblich zu berücksichtigen. 5 Dieser Grundsatz wird europarechtlich in Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV 6 aufgenommen. 7 Teilweise wird angenommen, dass die Grundsätze nachhaltiger Entwicklung (sustainable development) im Umweltschutzrecht Völkergewohnheits- recht geworden sind. 8 Für das Europarecht gilt gemäß Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfül- lung der Verpflichtungen ergreifen, die sich aus den Verträ- gen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Der Vertrag über die Europäische Union (Lissabon-Vertrag) selbst ist ein völkerrechtlicher Vertrag und Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV eine Variante des effet utile. 9 Der Europäische Ge- richtshof versteht darunter auch ein gemeinschaftsschädli- ches Unterlassen, da es die tatsächliche Zielerreichung nicht gewährleistet. 10 Die Auslegung des harmonisierten, also des innerstaatlichen Rechts ist am Richtlinienprogramm zu ori- entieren, wobei unerheblich ist, ob die nationalen Vorschrif- ten vor oder nach Erlass der Richtlinie ergangen sind. 11 Eine Richtlinie verpflichtet den Mitgliedstaat auf die Er- reichung des Zieles, gibt ihm aber relative Freiheiten bei Art und Weise der Umsetzung in nationales Recht innerhalb ei- ner gesetzten Frist. 12 Umsetzungsfreiheiten sind im weiteren Sinne mit der ehemaligen Rahmengesetzgebung vergleich- bar. Soweit Rechtsbegriffe des harmonisierten Rechts mit Rechtsbegriffen der Richtlinie übereinstimmen, sind letz- tere entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen und Definitionen auszulegen. 13 Dort, wo es notwendig ist, ist das nationale Recht so zu ändern, aufzuheben oder zu Ass. Dr. jur. Klaus Thomas, Braunschweig, Deutschland ergänzen, dass die Vorgaben des europäischen Rechts ihre volle praktische Wirksamkeit entfalten können. 14 Dieser Verpflichtung kann im Einzelfall auch durch europarechts- konforme Auslegung bei der Rechtsanwendung genügt wer- den. Denn die Anwendung des nationalstaatlichen Rechts darf die Wirksamkeit des europäischen Unionsrechts nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes 15 nicht praktisch unmöglich machen oder erschweren. 16 Den- noch leidet die Rechtsstaatlichkeit an einer lässigen, bis hin zu einer nicht stattfindenden Umsetzung geltenden Europa- rechts, auch in Deutschland. 17 Verordnungen bedürfen nicht der Umsetzung, sondern sind ein allgemeiner Rechtssatz und gelten ohne Trans- formation in innerstaatliches Recht unmittelbar im Mit- gliedstaat und seinen Ländern. 18 Dabei hat der Rechtsakt der Europäischen Union Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht, selbst vor dem nationalen Verfassungs- recht. 19 Anwendungsvorrang heißt, dass das nationale Ge- setz anwendungstechnisch verdrängt, aber nicht aufgeho- ben wird 20 und ihn alle mitgliedstaatlichen Instanzen oder Stellen, einschließlich der Verwaltung zu beachten haben. Im Kollisionsfall wird jede entgegenstehende nationale Be- stimmung unanwendbar. 21 In Bezug auf den Umweltrecht- schutz schreibt Art. 11 des Vertrages über die Arbeitsweise DOI: 10.1007/s10357-013-2555-6 Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen Klaus Thomas © Springer-Verlag 2013 NuR (2013) 35: 855–861 855 123 1) Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forst- wirtschaft, vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Juli 2010 (BGBl. I S. 1050). 2) Belgard, RdL 2004, S. 170 f. 3) Berber, Lehrbuch des Völkerrechts I, 1960, S. 444 f., Lehrbuch des Völkerrechts III, 1964, S. 51. 4) Vom 23. 5. 1969, BGBl. II 1985, S. 927. 5) Zur mangelhaften Umsetzung von Europarecht im Umweltbe- reich: Mayr, Naturschutz und Landschaftsplanung 2012, S. 98. 6) Vom 1. Dezember 2009, ABl. EU C 115 S. 13, konsolidierte Fas- sung. 7) Kahl in Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, 3. Aufl. 2007, EGV Art. 10 Rdnr. 24. 8) Nußberger, Das Völkerrecht, 2010, S. 118 f. 9) Vgl. Geiger, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 4. Aufl. 2004, EGV Art. 249 Rdnr. 2. 10) Kahl, (Fn. 7), EGV Art. 10 Rdnr. 24. 11) Geiger, (Fn. 9), EGV Art. 249 Rdnr. 12. 12) Müller/Graf, in Weidenfeld, Europahandbuch, 1999, S. 786; Wes- sels/Müller in Weidenfeld/Wessels, Taschenbuch der Europäi- schen Integration, 2000, S. 110, 112. 13) Geiger, (Fn. 9), EGV Art. 249 Rdnr. 13. 14) Kahl, (Fn. 7), EGV Art. 10 Rdnr. 24; Ruffert EGV Art. 249 Rdnr. 50. 15) Etwa: EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976 – 33/76, Slg. 1976, 1989, Rdnr. 5 (REWE ./. LwK Saarland); Urt. v. 4. 12. 2003 – C-63/01, Slg. 2003, 1–14, Rdnr. 45 (Evans). 16) Ruffert in Callies/Ruffert, EGV Art. 249 Rdnr. 28. 17) Mayr, (Fn. 5), S. 98. 18) Geiger, (Fn. 9), EGV Art. 249 Rdnr. 4, 6; Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 39. 19) Nicolaysen in: Weidenfeld, (Fn. 12), S. 867, Oppermann, Euro- parecht, 1991, Rdnr. 533, 573f; Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 22. 20) Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 24. 21) Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 27.

Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

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Page 1: Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

Das Bundeswaldgesetz 1 ist in seinen wesentlichen Teilen und sei-ner Grundstruktur nach seit etwa 40 Jahren gültig. In dieser Zeit hat sich durch Gesetzgebung der Europäischen Union und des Bundes eine ganz andere Umfeldsituation für das Gesetz ergeben. So wurde das Bundesbodenschutzgesetz verabschiedet, es wurde die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie erlassen, die Bundesrepublik hat das Biodiversitätsabkommen in innerstaatliches Recht überführt, etc. Nachfolgend soll darstellt werden, in welcher Art und Weise dieser neue rechtliche „Biotop“ die Auslegung und Anwendung des Bundeswaldgesetzes beeinflusst hat oder hätte beeinflussen sollen.

1. Europa- und völkerrechtliche Rahmenbedingungen

Das Bundeswaldgesetz ist von einigen Bundes- und Eu-ropäische-Unionsgesetze und völkerrechtlicher Verpflich-tungen in seiner Anwendung und Auslegung beeinflusst. Dies hat rechtlich verbindliche Folgen. So besteht die völ-kerrechtliche Verpflichtung, entgegenstehendes nationales Recht, also auch das Bundeswaldgesetz an die völkerrecht-lichen Konventionen und Verträge anzupassen 2 oder völ-kerrechtskonform auszulegen und zu administrieren. Das entspricht dem Grundsatz des Völkerrechts des effet utile, dem Effizienzgebot. 3 Der Grundsatz ist seit dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge 4 allgemei-ner zwischenstaatlicher Rechtsgrundsatz. Demzufolge sind völker- und europarechtliche Normen bei ihrer Auslegung im Sinne des effet utile bei Interpretation des Bundeswald-gesetzes maßgeblich zu berücksichtigen. 5

Dieser Grundsatz wird europarechtlich in Art. 4 Abs. 3 S.  2 EUV 6 aufgenommen. 7 Teilweise wird angenommen, dass die Grundsätze nachhaltiger Entwicklung (sustainable development) im Umweltschutzrecht Völkergewohnheits-recht geworden sind. 8 Für das Europarecht gilt gemäß Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfül-lung der Verpflichtungen ergreifen, die sich aus den Verträ-gen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Der Vertrag über die Europäische Union (Lissabon-Vertrag) selbst ist ein völkerrechtlicher Vertrag und Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV eine Variante des effet utile. 9 Der Europäische Ge-richtshof versteht darunter auch ein gemeinschaftsschädli-ches Unterlassen, da es die tatsächliche Zielerreichung nicht gewährleistet. 10 Die Auslegung des harmonisierten, also des innerstaatlichen Rechts ist am Richtlinienprogramm zu ori-entieren, wobei unerheblich ist, ob die nationalen Vorschrif-ten vor oder nach Erlass der Richtlinie ergangen sind. 11

Eine Richtlinie verpflichtet den Mitgliedstaat auf die Er-reichung des Zieles, gibt ihm aber relative Freiheiten bei Art und Weise der Umsetzung in nationales Recht innerhalb ei-ner gesetzten Frist. 12 Umsetzungsfreiheiten sind im weiteren Sinne mit der ehemaligen Rahmengesetzgebung vergleich-bar. Soweit Rechtsbegriffe des harmonisierten Rechts mit Rechtsbegriffen der Richtlinie übereinstimmen, sind letz-tere entsprechend den gemeinschaftsrechtlichen Begriffen und Definitionen auszulegen. 13 Dort, wo es notwendig ist, ist das nationale Recht so zu ändern, aufzuheben oder zu

Ass. Dr. jur. Klaus Thomas, Braunschweig, Deutschland

ergänzen, dass die Vorgaben des europäischen Rechts ihre volle praktische Wirksamkeit entfalten können. 14 Dieser Verpflichtung kann im Einzelfall auch durch europarechts-konforme Auslegung bei der Rechtsanwendung genügt wer-den. Denn die Anwendung des nationalstaatlichen Rechts darf die Wirksamkeit des europäischen Unionsrechts nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes 15 nicht praktisch unmöglich machen oder erschweren. 16 Den-noch leidet die Rechtsstaatlichkeit an einer lässigen, bis hin zu einer nicht stattfindenden Umsetzung geltenden Europa-rechts, auch in Deutschland. 17

Verordnungen bedürfen nicht der Umsetzung, sondern sind ein allgemeiner Rechtssatz und gelten ohne Trans-formation in innerstaatliches Recht unmittelbar im Mit-gliedstaat und seinen Ländern. 18 Dabei hat der Rechtsakt der Europäischen Union Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht, selbst vor dem nationalen Verfassungs-recht. 19 Anwendungsvorrang heißt, dass das nationale Ge-setz anwendungstechnisch verdrängt, aber nicht aufgeho-ben wird 20 und ihn alle mitgliedstaatlichen Instanzen oder Stellen, einschließlich der Verwaltung zu beachten haben. Im Kollisionsfall wird jede entgegenstehende nationale Be-stimmung unanwendbar. 21 In Bezug auf den Umweltrecht-schutz schreibt Art. 11 des Vertrages über die Arbeitsweise

DOI: 10.1007/s10357-013-2555-6

Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen NormenKlaus Thomas

© Springer-Verlag 2013

NuR (2013) 35: 855–861 855

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1) Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forst-wirtschaft, vom 2. Mai 1975 (BGBl. I S. 1037), zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Juli 2010 (BGBl. I S. 1050).

2) Belgard, RdL 2004, S. 170 f.3) Berber, Lehrbuch des Völkerrechts I, 1960, S. 444 f., Lehrbuch des

Völkerrechts III, 1964, S. 51.4) Vom 23. 5. 1969, BGBl. II 1985, S. 927.5) Zur mangelhaften Umsetzung von Europarecht im Umweltbe-

reich: Mayr, Naturschutz und Landschaftsplanung 2012, S. 98.6) Vom 1. Dezember 2009, ABl. EU C 115 S. 13, konsolidierte Fas-

sung.7) Kahl in Callies/Ruffert, Das Verfassungsrecht der Europäischen

Union mit Europäischer Grundrechtscharta, 3. Aufl. 2007, EGV Art. 10 Rdnr. 24.

8) Nußberger, Das Völkerrecht, 2010, S. 118 f.9) Vgl. Geiger, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur

Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 4. Aufl. 2004, EGV Art. 249 Rdnr. 2.

10) Kahl, (Fn. 7), EGV Art. 10 Rdnr. 24.11) Geiger, (Fn. 9), EGV Art. 249 Rdnr. 12.12) Müller/Graf, in Weidenfeld, Europahandbuch, 1999, S. 786; Wes-

sels/Müller in Weidenfeld/Wessels, Taschenbuch der Europäi-schen Integration, 2000, S. 110, 112.

13) Geiger, (Fn. 9), EGV Art. 249 Rdnr. 13.14) Kahl, (Fn.  7), EGV Art.  10 Rdnr.  24; Ruffert EGV Art.  249

Rdnr. 50.15) Etwa: EuGH, Urt. v. 16. 12. 1976 – 33/76, Slg. 1976, 1989,

Rdnr. 5 (REWE ./. LwK Saarland); Urt. v. 4. 12. 2003 – C-63/01, Slg. 2003, 1–14, Rdnr. 45 (Evans).

16) Ruffert in Callies/Ruffert, EGV Art. 249 Rdnr. 28.17) Mayr, (Fn. 5), S. 98.18) Geiger, (Fn. 9), EGV Art. 249 Rdnr. 4, 6; Ruffert, (Fn. 16), EGV

Art. 249 Rdnr. 39.19) Nicolaysen in: Weidenfeld, (Fn.  12), S.  867, Oppermann, Euro-

parecht, 1991, Rdnr. 533, 573 f; Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 22.

20) Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 24.21) Ruffert, (Fn. 16), EGV Art. 249 Rdnr. 27.

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der Europäischen Union 22 vor, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Unionspolitiken und -maßnahmen, insbesondere zur För-derung einer nachhaltigen Entwicklung, einbezogen wer-den müssen. Damit wird die Bindung der Mitgliedstaaten nochmals explizit ausgesprochen.

Damit sind die einzelnen Vorschriften des Bundeswald-gesetzes europäisch-gemeinschaftsrechtlich auszulegen. Denn es gilt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung, 23 welcher verlangt im Rahmen der Interpre-tation und Auslegung dem Unionsrecht möglichst volle Wirksamkeit zu verschaffen. Wo diese Möglichkeit nicht besteht, ist das nationale Recht im Zweifel unanwend-bar. Zudem gehen sie den Landesforst- und Waldgesetzen und auch den Landesnaturschutzgesetzen vor im Sinne des Art. 31 GG: „Bundesrecht bricht Landesrecht“.

1.1 Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen 24

Die Richtlinie des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, 25 „Fauna-Flora-Habitate“ (FFH) 26 enthält in Deutschland unmittelbar geltendes europäisches Recht und zwingt zu einer richtlinienkonformen Auslegung des Bun-desrechtes. Dabei sind etwa 50 % der in der Richtlinie ge-nannten Lebensräume in Deutschland vorhanden, darunter viele Waldlebensräume. 27 Art.  2 Abs.  1 definiert die Ab-sicht des Gesetzgebers: Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der na-türlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten bei-zutragen, für das der Vertrag Geltung hat, 28 Art. 3 Abs. 1 beschreibt einen konkreten Handlungsauftrag, der unmit-telbar die Behandlung, insbesondere die Bewirtschaftung, der im Anhang I genannten Waldökotypen verbindlich de-terminiert: Es wird ein kohärentes europäisches ökologi-sches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung „Natura 2000“ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebie-ten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I … umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen … gewährleisten.

Sind diese Lebensräume bei der Europäischen Kommis-sion gemeldet, ist also die Waldbewirtschaftung vorrangig an den Regelungen und Zielen der Richtlinie auszurich-ten. Das Regelwerk beschränkt nicht nur den Waldbau, 29 sondern die gesamte forstwirtschaftliche Tätigkeit im ge-schützten Gebiet in der Weise, dass die Funktionen des Ge-bietes nicht beeinträchtigt werden dürfen. 30

Prioritäre natürliche Lebensraumtypen sind die in dem in Art. 2 genannten Gebiete vom Verschwinden bedroh-ten natürlichen Lebensraumtypen, für deren Erhaltung der Gemeinschaft aufgrund der natürlichen Ausdehnung dieser Lebensraumtypen im Verhältnis zu dem in Art. 2 genann-ten Gebiet besondere Verantwortung zukommt; diese prio-ritären natürlichen Lebensraumtypen sind in Anhang I mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet. Im Übrigen sind es natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem In-teresse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete aus-gewiesen werden müssen. Hierzu gehören naturnahe und natürliche Wälder des gemäßigten Europas mit einheimi-schen Arten im Hochwaldstadium einschließlich Mittel-wald mit typischem Unterholz, die einem der nachstehen-den Kriterien entsprechen: selten oder Restbestände oder Vorkommen von Arten von gemeinschaftlichem Interesse.

Selbst scheinbar geringfügige Veränderungen vermögen die Ökologie einzelner Wälder grundlegend zu verändern, wie das folgende Beispiel zeigt: 31 Bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts war Holz ein begehrter und benötigter Brennstoff. Nach dem Einschlag wurden selbst Kleinstäste und Baumstümpfe samt großen Wurzeln aus dem Wald entfernt.

Teilweise wurde das Laub weiterhin als Streu genutzt. Da-durch traten am Waldboden viele an arme Böden angepasste Arten auf. Danach wurde Holz immer stärker durch andere Energieträger ersetzt; die Äste, Stubben und das Laub blieben im Wald und führten zusammen mit dem Stick stoff ein trag durch die Luft zu einer Wiederanreicherung der Nährstoffe, was die Bodenvegetation durchgreifend veränderte.

1.2 Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie)

Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildleben-den Vogelarten 32 enthält konkrete Regelungen über Schutz, Erhalt, Entwicklung und Wiederherstellung der benötigten Lebensräume. Nachfolgend ein Auszug der Erwägungen über die Gründe für die Kodifikation, die ebenfalls für das Bundes-waldgesetz norminterpretierende Wirkungen entfalten.

Bei der Erhaltung der Vogelarten geht es um den lang-fristigen Schutz und die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen als Bestandteil des gemeinsamen Erbes der eu-ropäischen Völker. Sie gestattet die Regulierung dieser Res-sourcen und regelt deren Nutzung auf der Grundlage von Maßnahmen, die für die Aufrechterhaltung und Anpas-sung des natürlichen Gleichgewichts der Arten innerhalb vertretbarer Grenzen erforderlich sind. Schutz, Pflege oder Wiederherstellung einer ausreichenden Vielfalt und einer ausreichenden Flächengröße der Lebensräume ist für die Erhaltung aller Vogelarten unentbehrlich. Für einige Vo-gelarten sollten besondere Maßnahmen zur Erhaltung ihres Lebensraums getroffen werden, um Fortbestand und Fort-pflanzung dieser Arten in ihrem Verbreitungsgebiet zu ge-währleisten. Diese Maßnahmen sollten auch die Zugvogel-arten berücksichtigen und im Hinblick auf die Schaffung eines zusammenhängenden Netzes koordiniert werden.

1.3 Weitere Völkerrechtliche Verpflichtungen

Aus verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich ein Schutzminimum, auf das nachfolgend hingewiesen wird. Nach dem Art. 1 des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes 33 sind Werke von Menschen oder gemeinsame Werke von Natur und Mensch sowie Gebiete einschließlich archäologischer Stätten, die aus ge-schichtlichen, ästhetischen, ethnologischen oder anthropo-logischen Gründen von außergewöhnlichem Wert sind, zu erhalten. Da ist beispielhaft an die heute wieder bewalde-ten, aber noch gut erkennbaren Wölbäcker, dem Ergeb-nis mittelalterlicher Waldbewirtschaftung zu denken, die durch den Einsatz schwerer Maschinen in ihrer Struktur ebenso zerstört werden können, wie etwa nun im Wald

Thomas, Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

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22) Vom 9. Mai 2005, ABl. EU C 115 S. 47, konsolidierte Fassung.23) EuGH, Urt. v. 16. 12. 1993 – C-443/92, NJW 1994, 921; EuGH,

Urt. v. 14. 7. 1994 – C-91/92, NJW 1994, 2473; EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006 – C-212/04, NJW 2006, 2465; BGH, Urt. v. 9. 4. 2002 – XI ZR 91/99, NJW 2002, S. 1881 f; BAG, Urt. v. 15. 10. 1992 – 2 AZR 227/92, NJW 1993, S. 1154.

24) Fallbeispiel bezüglich des Managements von Eichenwäldern bei Jedicke/Hakes, Naturschutz und Landschaftsplanung 2005, S. 37.

25) ABl. EWG 1992 L 206 S. 15, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 L 363.

26) Zu den Verbreitungsgebieten Waldlebensraumtypen gemäß der FFH-Richtlinie: Bundesamt für Naturschutz; http://www.bfn.de/ 0316_bewertung_lrt.html.

27) Wagner, RdL 2000, S. 1.28) Vgl. zu den Wäldern: BMU, Der Nationale Bericht zur FFH-

Richt linie, 2011, S. 116 ff.29) Beck/Lappe, Forst und Holz (FuH) 1/2005, S. 16 ff.30) Vgl. Schaber/Schoor, FuH 2/2009, S. 14 ff.31) Aichele/Schwegler, Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Bd. 1, 2. Aufl.

2000, S. 375 f.32) ABl. Nr. L 2010/020 S. 7 (kodifizierte Fassung).33) Vom 23. November 1972, BGBl. II S. 213.

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befindliche Wallhecken 34 oder die Wüstungen. Schließlich gibt es noch eine Reihe weiterer Abkommen, die verschie-denste Kategorien von Denkmälern schützen sollen. 35

2. Bundesrecht

Behandelt werden nachfolgend originär bundesrechtliche Gesetze als auch solche, die in innerstaatliches Recht durch Umgießen in ein Bundesgesetz transformiert worden sind.

2.1 Bundeswald- und Bundesnaturschutzgesetz

Vorweg ist festzuhalten, dass das Forstrecht in Teilen dem Naturschutzrecht im engeren Sinne zugerechnet werden könnte 36. Und Umweltgesetze haben vermieden, dass die Lebensbedingungen für Menschen Mitteleuropas nicht wei-terhin, wie in den 1960er und 1970er Jahren, unerträglich sind oder wurden 37. Nur diesen ist es zu verdanken, dass es keine Schaumberge mehr auf Flüssen gibt oder dass nicht nur Fichtenmonokulturen, wie sie der Forstbau lange lehrte, in den Wäldern vorzufinden sind 38. Allgemein gilt, dass das speziellere dem allgemeineren Gesetz vorgeht. Das Bundes-naturschutzgesetz ist gegenüber dem Bundeswaldgesetz das speziellere. Die Begründung der Gegenansicht, das Bundes-waldgesetz sei wegen der speziellen Beschreibung der Wald-funktionen vorrangig, 39 ist unzutreffend. Die Ansicht über-sieht, dass es sich um rechtliche Teilmengen handelt, die sich lediglich in einigen Bereichen überschneiden. Speziell ist das Wald- und Forstrecht nur soweit es sich mit einem Aus-schnitt aus der Gesamtheit der Natur, dem Wald beschäftigt, dabei aber den Ansatz des Natur- und Landschaftsschutzes nur isoliert für den Aspekt, Wald und Forst behandelt und dabei die Biozönose nur ausschnitthaft erfasst. Das Bundes-naturschutzgesetz betrachtet das gesamte Ökosystem ein-schließlich des biozönotischen Konnexes, also das biologi-sche, beziehungsweise ökologische Gleichgewicht.

Eine forstwirtschaftliche Nutzung, die gegen ein natur-schutzrechtliches Gebot oder Verbot verstößt, bedarf einer naturschutzrechtlichen Genehmigung 40, um ordnungsge-mäß sein zu können. Grundsätzlich ist eine ordnungsge-mäße Forstwirtschaft auch in Naturschutzgebieten zuläs-sig. Es kann aber festgesetzt werden, dass naturraumfremde oder nicht standortgerechte Forstpflanzen nicht einge-bracht werden und Waldbestände auf Moorflächen nicht bewirtschaftet werden dürfen 41 und Ähnliches. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die konkrete Forstwirtschaft nur dann als ordnungsgemäß bewertet werden kann, wenn sie nicht gegen geltendes Recht, also auch nicht gegen natur-schutzrechtliche Festsetzungen verstößt. Nach neuester Rechtsprechung ist beispielsweise ein Entfernen von Bäu-men, welches geeignet ist, einen geschützten Landschafts-bestandteil zu zerstören, keine forstwirtschaftliche Boden-nutzung, da diese vorrangig dem Erhalt des Waldes dient. Die Nutzung einzelner Bäume dagegen schädigt den ge-schützten Landschaftsbestandteil nicht und gefährdet auch nicht seine Funktionsfähigkeit. 42

2.2 Veränderung von Begriffsinhalten

Begriffe der Naturwissenschaft, wie Ökosystem, Nachhal-tigkeit oder Biodiversität können bei ihrer Transformierung in die Sprache des Rechts eine andere Bedeutung gewin-nen 43; und ändern oder variieren mitunter ihren Inhalt nach dem Zusammenhang mit dem zugeordneten Rechtsgebiet. 44 Ähnliches gilt auch für Begriffe wie den der Biodiversität, der sich von einem biologischen Konzept mit ökonomischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutungsinhalten aufge-laden hat 45. Das Phänomen auseinanderlaufender Begriffsin-halte sollte sich im Verhältnis der forstwirtschaftlichen und naturschutzfachlichen Normen aber nach den allgemeinen juristischen Regeln dahingehend lösen lassen, dass am Ende ein im Wesentlichen einheitliches Verständnis herstellen lässt.

2.2.1 Biologische Vielfalt

Hierzu folgendes Beispiel: In Art. 2 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt 46 heißt es, dass biologische Vielfalt die Variabilität unter lebenden Organismen jeg-licher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören, meint; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme. § 1 Abs.  1 Nr.  1 und Abs.  2 BNatSchG wird biologische Vielfalt als Terminus technicus, als unbestimmter Rechtsbegriff verwendet und in § 7 Abs. 1 Nr.  1 BNatSchG definiert. Danach ist hierunter die Viel-falt der Tier- und Pflanzenarten einschließlich der innerart-lichen Vielfalt sowie die Vielfalt an Formen von Lebens-gemeinschaften und Biotopen zu verstehen. Demzufolge ist der Begriff enger gefasst als im Übereinkommen über die biologische Vielfalt, da nur die Reiche (Regnum) der Tiere (Animalia) und Pflanzen (Plantae) genannt sind. Die Defi-nition des Völkerrechtsabkommens nennt aber alle lebenden Organismen. Bei Anlehnung an die in neuerer Zeit einge-führte höchste taxonomische Ebene, die Domäne, die die Reiche umfasst, sind eine große Zahl von Eukaryoten (Le-bewesen mit Zellkern) und Prokaryoten (Lebewesen ohne Zellkern) nicht erfasst. Auch bei der meist gängigen taxono-mischen Gliederung fehlen in der Definition des Bundesna-turschutzgesetzes die Reiche einzellige Organismen (Pro-tista), Archaebacterien (Archae) und Bakterien (Eubacteria). Um eine Völkerrechtswidrigkeit zu vermeiden, ist die Defi-nition entsprechend dem Übereinkommen auszulegen, zu-mal die ursprüngliche Taxonomie nur zwischen Tieren und Pflanzen unterschied. Denn es gilt der beschriebene Grund-satz europa- und völkerrechtsdurchsetzender Auslegung.

2.2.2 Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes

Ähnliches gilt im Waldrecht. § 1 Nr. 1 BWaldG sagt, dass ei-ner der Zwecke des Bundeswaldgesetzes sei, den Wald we-gen seiner Bedeutung für die Umwelt, insbesondere für die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, zu erhal-ten und so weiter, beziehungsweise nach § 9 Abs. 1 BWaldG die Genehmigung zu versagen ist, wenn der Wald für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts von wesentlicher Be-deutung ist. Darin ist der Begriff der biologischen Vielfalt nach der Definition des einschlägigen Übereinkommens enthalten, da die Begriffe entsprechend auszulegen sind.

2.3 Naturschutzrechtliche Grundsätze

Allein wegen Art. 20 a GG, der eine klare Anweisung ent-hält: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrund-

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34) Niedersächsischer Heimatbund, Rote Mappe 2013, S. 17.35) Zusammenstellung bei Hönes, NuR 2006, S. 279 ff.36) Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, Band  1, 104. Lfg. 2011,

Einf. Rdnr. 17.37) Streit, Was ist Biodiversität? 2007, S. 103.38) Streit, (Fn. 37), S. 103.39) Gassner et alii, Bundesnaturschutzgesetz, 2.  Aufl. 2003, § 5

Rdnr. 40.40) OVG Frankfurt/Oder, Urt. v. 9. 12. 1999 – 3  A 103/97, NuR

2000 S. 288, 289.41) BVerwG Urt. v. 5. 2. 2009 – 7 CN 1/08, NuR 2010 S. 223.42) BayVerfGH Urt. v. 8. 11. 2010 – Vf 5 VII 09, NuL 2011 S. 373 f.43) Jax, Zur Transformation ökologischer Fachbegriffe beim Ein-

gang in Verwaltungsnormen und Rechtstexte, in Bobbert et alii, Umwelt, Ethik, Recht, 2003, S. 69, 93.

44) Jax, (Fn. 43), S. 69, 91.45) Eser, Der Wert der Vielfalt, Biodiversität zwischen Wissenschaft,

Politik und Ethik, in Bobbert et alii, (Fn. 43), S. 160, 176.46) In der Fassung der Bekanntmachung vom 30. 8. 1997, BGBl. II

S. 1741.

Page 4: Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

lagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“; kann die Auffassung, eines so zu sagen „Rechtlichen Schutzgebietes“ bei der Auslegung des Bun-deswaldgesetzes nicht zutreffen.

Im Übrigen wird die hier vertretene Ansicht des Vor-ranges des Bundesnaturschutzgesetzes durch die eben dar-gestellten grundgesetzgeberischen Absichten bestätigt und findet zuletzt eine entscheidende Stütze in § 2 BNatSchG, wonach Abs. 1 jeder nach seinen Möglichkeiten zur Ver-wirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Land-schaftspflege beitragen soll; nach Abs. 2 die Behörden des Bundes und der Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit, also auch Landesforstbehörden, die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu un-terstützen haben. Wegen der Verwendung des Hilfsverbs „haben“ besteht ein Auftrag, sich beim Verwaltungshan-deln aktiv für diese Belange einzusetzen. Hiermit wird das Staatsziel des Art. 20 a GG, wonach der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natür-lichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollzie-hende Gewalt und die Rechtsprechung schützt, einfach-gesetzlich in eine konkrete Anweisung zur Ausfüllung der Beurteilungsspielräume von Planungsermessen und Voll-zugsermessen ausgeweitet. In § 2 Abs.  3 BNatSchG wird diese Anweisung durch die gewählte Formulierung, „die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind zu verwirklichen, soweit es im Einzelfall möglich, erforderlich und unter Abwägung aller sich aus § 1 Abs. 1 BNatSchG ergebenden Anforderungen untereinander und gegen die sonstigen Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft angemessen ist“ nur scheinbar abgeschwächt. Letztlich wiederholt diese Regelung nur den rechtsstaatli-chen Grundgedanken einer sachgerechten Abwägung ver-schiedener Rechtsgüter im Konfliktfalle. Der Gesetzgeber hat damit dem Vorrang der Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege erneut Ausdruck verliehen. 47 Das be-deutet nichts anderes als einen Anwendungsvorrang des Naturschutzrechtes gegenüber den Bundes- und Länder-waldrechten.

2.4 Rechtliche Folgen

Diese rechtlich harmonische Einpassung des Naturschutz- und Waldrechtes in die gesamten bundes-, völker- und eu-roparechtlichen Vorgaben und Anforderungen hat kon-krete rechtliche Folgen, die an einem Beispiel erläutert werden soll:

Danach hat etwa bei der Gestaltung, in manchem Fall auch der Genehmigung von Rodungen und Aufforstungen das Bundesnaturschutzgesetz Vorrang, da das Bundeswald-gesetz die Spezifika des Natur- und Landschaftsschutzes so-wie der Erhaltung bestimmter Spezies insoweit nicht er-fassen kann. Sollten die Landeswaldgesetze entsprechende Regelungen enthalten, verdrängen diese das Bundesnatur-schutzgesetz in seinen allgemeinen Grundsätzen nicht, wie sie bundes-, europa- und völkerrechtlich modelliert wur-den. Vielmehr sind diese Vorschriften schlicht unanwend-bar oder angepasst auszulegen. Die Auffassung, dass dann nur ein überschießender Bereich für das Naturschutzrecht bestehe, 48 ist unzutreffend, da, wie dargelegt, das Natur-schutzrecht bezüglich dieser Themen lex specialis ist und das Waldrecht verdrängt.

2.5. Die Liste des Bundesamtes für Naturschutz

Die Liste des Bundesamtes für Naturschutz 49 mit Defini-tionen und Erläuterungen der in § 30 Abs.  1 BNatSchG genannten Biotope hat den Zweck, 50 die Anwendung der

Vorschriften über den gesetzlichen Biotopschutz zu erläu-tern und zu erklären, da diese Biotope nicht in einem be-sonderen Verfahren unter Schutz gestellt werden. Not-wendig ist aber, dass gesetzlich geschützte Biotope erkannt werden können. 51 In Bezug auf die Wälder sind das be-stimmte Wälder und Gebüsche trockenwarmer Standorte, bestimmte naturnahe Wälder, wie Bruch- und Sumpf-wälder und Auenwälder. Au, Aue bedeutete in den ger-manischen Sprachen „Wasserwald“. 52 Hierzu gehören noch Schlucht-, Blockhalden- und Hangschuttwälder. Alle er-wähnten Waldtypen müssen bestimmte Ausprägungen vorweisen und sind dann ohne weiteren Akt von Gesetzes wegen geschützt.

2.6 Bundesbodenschutzgesetz

Da das zweite Kapitel des Bundeswaldgesetzes keine Vor-schriften bezüglich der schädlichen Auswirkungen auf den Boden enthält, ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 6 BBodSchG das Bodenschutzgesetz, auf die Bewirtschaftung der Wälder in Bezug auf den Schutzgegenstand Boden, vollständig anzu-wenden. Das Gesetz differenziert zwischen General- und Spezialverpflichtungen.

2.6.1 Generalverpflichtungen

Demnach sind gemäß § 2 Abs.  3 BBodSchG „schädliche Bodenveränderungen“ Beeinträchtigungen der Boden-funktionen, die geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nach-teile oder erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit herbeizuführen, nicht gestattet. Erheb-liche Gefahren für die Allgemeinheit sind massive Beein-trächtigungen für deutschlandtypische Ökosysteme und die Zerstörung bestimmter Bodeneigenschaften durch Bewirtschaftungsformen, die nicht zwingend notwendig sind. Dementsprechend führt § 4 Abs.  1 BBodSchG aus, dass sich jeder, der auf den Boden einwirkt, so zu verhalten hat, dass schädliche Bodenveränderungen nicht hervorge-rufen werden.

2.6.2 Spezialverpflichtungen

§ 7 BBodSchG legt Vorsorgepflichten fest. Danach ist der Grundstückseigentümer, der Inhaber der tatsächlichen Ge-walt über ein Grundstück und derjenige, der Verrichtun-gen auf einem Grundstück durchführt oder durchführen lässt, die zu Veränderungen der Bodenbeschaffenheit füh-ren können, verpflichtet, Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Bodenveränderungen zu treffen, die durch ihre Nutzung auf dem Grundstück oder in dessen Einwirkungs-bereich hervorgerufen werden können. Vorsorgemaßnah-men sind geboten, wenn wegen der räumlichen, langfris-tigen oder komplexen Auswirkungen einer Nutzung auf die Bodenfunktionen die Besorgnis einer schädlichen Bo-denveränderung besteht. Zur Erfüllung der Vorsorgepflicht sind Bodeneinwirkungen zu vermeiden oder zu vermin-dern, soweit dies auch im Hinblick auf den Zweck der Nut-zung des Grundstücks verhältnismäßig ist. Nach § 7 S.  5 BWaldG richtet sich die Vorsorgepflicht bei der forstwirt-schaftlichen Nutzung nach dem zweiten Kapitel des Bun-deswaldgesetzes. Allerdings beschäftigt sich das Kapitel mit der Erhaltung des Waldes (§ 5 BWaldG), mit der Siche-rung der Funktionen des Waldes bei Planungen und Maß-nahmen von Trägern öffentlicher Vorhaben (§ 8 BWaldG), nochmals mit der Erhaltung und mit der Bewirtschaftung des Waldes sowie der Erstaufforstung (§§ 9–14 BWaldG).

Thomas, Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

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858 NuR (2013) 35: 855–861

47) Thomas, RdL 2010 S. 30; RdL 2011 S. 25048) So Schmidt-Räntsch, in Gassner et alii, (Fn. 39), § 30 Rdnr. 1549) BT-Drs 14/6378 S. 66 ff.50) BVerfG, Beschl. v. 7. 5. 2001 – BvK 1/00, NuR 2002 S. 27, 3751) Schmidt-Räntsch, (Fn. 39), § 30 vor Rdnr. 2652) Hofrichter/Herzer/Schmidt, Auwälder, 2000 S. 37

Page 5: Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

Der Umgang mit dem Waldboden ist schlicht nicht einmal erwähnt. Soweit ersichtlich beschäftigt sich auch kein Lan-deswaldgesetz mit bodenspezifischen Fragen. Daher geht dieser Verweis ins Leere. Also greift § 3 Abs. 1 Nr. 6 BBod-SchG. Danach findet dieses Gesetz auf schädliche Boden-veränderungen Anwendung, soweit Vorschriften des Zwei-ten Kapitels des Bundeswaldgesetzes und der Forst- und Waldgesetze der Länder Einwirkungen auf den Boden nicht regeln. Demzufolge gilt für die Forstwirtschaft auch § 4 Abs.  1 BBodSchG, wonach jeder, der auf den Boden einwirkt, sich so zu verhalten hat, dass schädliche Boden-veränderungen nicht hervorgerufen werden.

2.6.3 Folgerungen für die Waldbewirtschaftung

Das Bundesbodenschutzgesetz prägt als neueres Gesetz das Bundeswaldgesetz in seiner Auslegung und Anwendung ganz erheblich und hat, falls umgesetzt, erhebliche Aus-wirkungen auf die Art und Weise der Waldbewirtschaf-tung. Ältere Vollernter verdichten den Boden durch ihr Gewicht, was bei neueren Modellen wegen der speziellen Bereifung nicht mehr so intensiv der Fall ist. Die neueren erzeugen wegen ihrer leistungsfähigen Motoren allerdings massiv Vibrationen, die den Boden zu Setzung bringt und die porige Hohlraumstruktur des Waldbodens für immer vernichtet, mit dem Ergebnis, dass die eigentlich stand-ortgerechten Bäume größte Probleme mit der Tiefenwur-zelung haben, weil sie an den festen undurchlässigen Bo-den evolutionär nicht angepasst sind. Das Ergebnis ist eine ökologische Umgestaltung des mit den Vollerntern bear-beiteten Bereiches durch Zerstörung der ursprünglichen Bodenstruktur. 53 Insbesondere kann das Porensystem ge-schädigt werden und es können tiefreichende Bodenver-festigungen und Verschlämmungen entstehen. 54 Das un-tersagt das Bundesbodenschutzgesetz. Also handeln all die staatlichen, anstaltlichen, kommunalen und privaten Forst-wirtschaften, die derartige Geräte einsetzen, rechtswid-rig. Das Bundesbodenschutzgesetz zieht die Grenze dort, wo ein Verzicht auf bodenzerstörende Maßnahmen unver-hältnismäßig ist. Unverhältnismäßig kann der Verzicht auf bodenzerstörende, wirtschaftlich bedingte Aktionen nur dann sein, wenn das Interesse der Gesamtgesellschaft am Erhalt der natürlichen Bodenstruktur dem Interesse an ei-ner maximalen Gewinnerzielung untergeordnet wäre. Das dürfte niemals der Fall sein. Insbesondere deshalb, weil das Rechtsystem Deutschlands die Idee der entschädigungs-pflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung vorsieht, wonach eine im Ergebnis das Eigentum völlig entwertende Bindung des Eigentumsobjektes an Beschränkungen einen Entschädigungsanspruch auslösen kann. Das heißt im Er-gebnis nichts anderes, als dass sich sogar staatliche Forstver-waltungen rechtswidrig verhalten.

Auch Kahlschläge haben erheblichen, negativen Einfluss auf den Boden 55 und sind daher in der Regel zu unterlassen.

2.7 Baugesetzbuch

Umgekehrt wurde der Schutz des Waldes gegen bauliche Begehrlichkeiten gestärkt. Denn in § 1 a Abs. 2 S. 3 BauGB wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Innenentwick-lung in den Städten und Gemeinden und weiteren Fort-entwicklung des Städtebaurechts 56 folgender Satz angefügt: Die Umwandlung landwirtschaftlicher oder als Wald ge-nutzter Flächen soll begründet werden; dabei sollen Er-mittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zu Grunde gelegt werden, zu denen insbesondere Brach-flächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nach-verdichtungsmöglichkeiten zählen können. Damit wird die Untersuchung zu Alternativen einer Waldumwandlung Abwägungsmaterial der Bauleitplanung. Und nun kann ge-richtlich überprüft werden, ob in der Abwägung das Ab-wägungsmaterial, zudem auch richtig in den Prozess ein-gestellt worden ist und eine vernünftige Bewertung und

Gewichtung stattgefunden hat. Dabei sind unter anderem die Waldfunktionen nach § 1 Nr. 1 BWaldG einzustellen sowie die in § 9 Abs. 1 BWaldG genannten Belange. Das ist insbesondere in Ländern von Interesse, die von der Mög-lichkeit des § 9 Abs. 3 Nr. 1 BWaldG Gebrauch gemacht haben, dass die Umwandlung keiner Genehmigung be-darf, wenn für die Waldfläche auf Grund anderer öffent-lich-rechtlicher Vorschriften rechtsverbindlich eine andere Nutzungsart festgestellt worden ist. So ist etwa in § 8 Abs. 2 Nrn. 1, 2 NWaldLG 57 festgelegt: Einer Genehmigung be-darf es nicht, soweit die Umwandlung erforderlich wird durch Regelungen in einem Bebauungsplan, einer städte-baulichen Satzung oder eine Baugenehmigung.

3. Der gegenwärtige Zustand des Walds

Der Bestand und die Struktur der heutigen Wälder ist im Wesentlichen durch Aktivitäten des Menschen bestimmt. Echte, authentische, vom Menschen nicht beeinflusste Waldökosysteme, also Ur- oder Primärwald, gibt es auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland 58 auf-grund der waldgeschichtlichen Entwicklung, der hohen Bevölkerungsdichte, sowie der anthropogenen Umwelt-veränderung seit langer Zeit nicht mehr. Heute gibt es, von vielleicht kleinen Inseln abgesehen, als Naturwälder nur noch Sekundärwälder. Das sind auf ehemaligen Rodungen von selbst wieder entstandene, somit seminatürliche Wäl-der mit oft geänderter Artenzusammensetzung. 59

Infolge der Jahrhunderte langen Nutzung sowie durch ex-terne Belastungen wie Immissionen, Zerschneidungen und Grundwasserabsenkungen sind die Wälder heute in der Ar-tenzusammensetzung und Bestandesstruktur verändert. Al-ters- und Zerfallsphasen, wie sie im ungenutzten Naturwald entstehen, verursachen im Wirtschaftswald Ertragseinbußen für die Forstbetriebe und sind daher unterrepräsentiert. Mit den Instrumenten des Vertragsnaturschutzes können diese Phasen aber gut in die forstlichen Bewirtschaftungskonzepte integriert werden. Auch die teilweise Dominanz von Rein-beständen sowie nicht standortgerechter Nadelhölzer (Fichte, Kiefer, begrenzt Douglasie) in Relation zu den natürlicher-weise vorherrschenden Laubhölzern weichen von der Zu-sammensetzung von Naturwäldern ab. Trotzdem ist der Wald im Vergleich zu anderen großflächigen Landschaftstei-len (z. B. landwirtschaftliche Flächen, Siedlungs- und Ver-kehrsflächen) in der Regel ein naturnaher Lebensraum mit einer hohen biologischen Vielfalt. 60 Der ganz überwiegende Anteil von ca. 99 % der Wälder in Deutschland wird nach der MCPFE-Klassifikation für Naturnähe der Kategorie „semi-natural“ zugeordnet. 61 Es ist also fast durchweg eine künst-liche, menschlich geformte oder beeinflusste Waldstruktur aufzufinden oder darauf zurückzuführen, wie etwa Zonen des Nationalparks Bayrischer Wald oder der sogenannte Ur-wald Sababurg im Reinhardswald, in Teilen des National-parks Harz, des Thüringer Waldes und das Zentrum des Nationalparks Hainich. All diese Wälder weisen urwaldähn-liche Strukturen auf, waren jedoch in der nahen oder ferne-ren Vergangenheit einer menschlichen Nutzung unterzogen.

NuR (2013) 35: 855–861 859Thomas, Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

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53) Wohlleben, Wald ohne Hüter, 5. Aufl. 2011, S. 96 ff.54) Ellies et alii, Journal of Rural Engineering and Development 1999

S. 169, 171 f.55) Ellies et alii, Journal of Rural Engineering and Development 1999

S. 169.56) Vom 11. Juni 2013, BGBl. I S. 154857) Niedersächsisches Gesetz über den Wald und die Landschaftsord-

nung, vom 21. März 2002, Nds.GVBl. S. 11258) Fukarek in Autorenkollektiv, Vegetation, 1995, S. 7359) Streit, (Fn. 51), S. 82; 117.60) BMVEL, Agrobiodiversität erhalten, Potenziale der Land-,

Forst- und Fischereiwirtschaft erschließen und nachhaltig nut-zen, Nachdruck 2009, S. 59.

61) BMELV, Waldbericht der Bundesregierung, 2009, S. 29.

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Es ist aber weiter von besonderem Reiz, dass sich Reste der verschiedenen Waldbestände, die nacheinander in Mitteleuropa geherrscht haben, noch heute vereinzelt in Deutschland vorfinden. Denn Deutschland hat durch die Beseitigung der meisten Laubhochwälder, beziehungs-weise durch ihre Umwandlung in Nadelholzforsten sehr viel von seinem ursprünglichen Waldcharakter verlo-ren. 62 Der Aufbau und Charakter des aktuellen Waldes sind durch die Forstgesetze gefestigt worden, die bis vor nicht allzu langer Zeit den ökonomischen Aspekt 63 und das Ziel des Hochwaldes bevorzugten. Für das branden-burgische Forstamt Groß-Schönebeck wurde Ende der neunziger Jahre des 20.  Jahrhunderts der Befund ermit-telt, dass nur 20 % der vorhandenen Baumarten dem na-türlichen Standort entsprachen. 64 Die Fläche der Jungbe-stockung, also Bäume mit einer Höhe von 0,2 m bis 4 m, beträgt in Deutschland ca. 2,2 Mio. ha, inklusive Voran-bau und Vorverjüngung. Sie ist zu rund 80 % naturver-jüngt. Die übrige Jungbestockung ist zu ca. 17 % gepflanzt. Saat und Stockausschlag spielen im deutschen Wald insge-samt keine nennenswerte Rolle mehr. Der Anteil der Na-delbäume liegt in der Altbestockung, also Bäume über 4 m Höhe, noch bei 62 %, in der Jungbestockung dagegen nur noch bei 29 %. 65 Daraus folgt, dass der Weg einer naturnä-heren, standortgerechteren Waldentwicklung offenbar er-folgreich eingeschlagen wurde und hoffentlich der poli-tisch geprägten, rein betriebswirtschaftlichen Betrachtung trotzen kann. Die Ökosystemvielfalt wird auch durch die vorhandenen horizontalen und vertikalen Strukturen ge-prägt, zum Beispiel die Anzahl und Stufigkeit der Vegeta-tionsschichten, die Häufigkeit und räumliche Verteilung von Gliederungselementen (zum Beispiel Geländerelief, Bachläufe, Waldbestände, Waldinnenränder, Lichtungen, Wege, Schneisen) und Kleinstrukturen (zum Beispiel Tot-holz, aufgeklappte Wurzelteller). 66

4. Das Betreten des Waldes im Lichte des Grundgesetzes und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Der Gesetzgeber formuliert in den Materialien zum Bun-deswaldgesetz, dass die Gestattung des Betretens von Wald noch im Rahmen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG, liege. 67 Dem kann vom Ansatz her nicht zugestimmt werden. Es handelt sich nicht um eine gesetzgeberische Gestattung. 68 Der Einzelne und das Volk haben aus Art. 14 Abs. 2 GG heraus ein Recht den Wald zu betreten und zu benutzen, ohne dass es einer Ge-stattung bedarf. 69 Zwar mochte der Gesetzgeber nicht ak-zeptieren, 70 dass es doch einen Gemeingebrauch am Wald gibt, 71 letztlich beschreiben das Bundeswald- und das Bun-desnaturschutzgesetz aber faktisch einen solchen und dazu gewisse Einschränkungen. 72 Nach der Definition, dass der Gemeingebrauch als subjektiv öffentliches Recht jeder-mann die Berechtigung zur Benutzung einer Sache ohne Zulassung, 73 im Sinne des modifizierten Privateigentums 74 im Rahmen der definierten und festgelegten Zweckbe-stimmung ist, 75 ergibt sich, dass § 14 BWaldG eben gerade den Gemeingebrauch am Wald sichert, die seit Menschen-gedenken bestehende Möglichkeit den Wald zu betreten. 76 Der Wortlaut, des § 14 Abs.  1 BWaldG, dass das Betre-ten des Waldes zum Zwecke der Erholung gestattet ist, wiederholt diesen Sachverhalt. Denn es ist eine lediglich feststellende, den status quo beschreibende zustandspassive Ausdrucksweise, um diese als Plattform oder Anknüp-fungspunkt für den Gemeingebrauch beschränkende Re-gelungen zu finden. Andernfalls müsste die Formulierung „wird gestattet“, „wird zugelassen“, also in einer vorgangs-passiven Form ausgeführt werden.

Im Übrigen darf niemand dem Bürger das Betretungs-recht an Flur und Wald nehmen. Es wäre eine Verletzung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu

gewärtigen. Eine nicht durch außerordentlich gewichtige Gründe begründete Beschränkung der Bewegung in freier Natur, also auch im Wald, betrifft die Würde des Menschen im Sinne von Art. 1 GRC, die zu achten und zu schützen ist. Weiter ist anzunehmen, dass das Recht auf Freiheit nach Art. 6 GRC und insbesondere das Recht auf Bildung aus Art. 6 Abs. 1 GRC, 77 verletzt sein würde.

Zuerst erfolgt eine Betrachtung des Waldes, der im Eigen-tum der Bundesrepublik, der Bundesländer und der kom-munalen Körperschaften ist. Hier ist festzustellen, dass diese Körperschaften nichts Anderes repräsentieren als das Volk. Es kann doch nicht ernsthaft vertreten werden, dass es nicht dem Erhalt des Waldes entspringende Betretungseinschrän-kungen geben sollte. Denn schließlich ist jedes Mitglied dieser Körperschaften im bildlich gesprochenen Sinne Mit-eigentümer. Nur in einem kurzen historischen Abschnitt der mitteleuropäischen Geschichte wurde dies geleugnet. In dieser Zeit bestand aber auch die Auffassung, es gebe Eigentumsrechte an Menschen. Aber auch der Privatwald unterliegt den Einschränkungen, die die Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG vorgibt, ohne gesetz-liche Gestattung. Diese ist unter Anderem an den natürli-chen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet. Was heißen soll, dass der Gebrauch und der Schutz des Privateigen-tums nicht dem Grunde nach oder abstrakt auf das Eigen-tums objekt bezogen, unschädliche, natürliche Aktivitäten der Menschen unterbinden kann. Den Gemeingebrauch zur Erholung im weitesten Sinne muss es am Wald geben, denn ohne eine irgendwie oder irgendwo relativ freie Be-wegungsmöglichkeit in der freien Landschaft wird der zen-trale Schutzbereich der Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 1 GG beschä-digt. Der Einwand, nach § 59 Abs. 2 BNatSchG 78 richte sich das Betreten des Waldes nach dem Bundeswaldgesetz und den einschlägigen Landeswaldgesetzen, so dass eben kein Gemeingebrauch am Wald bestünde, trägt nicht. Es ist nur ein Verweis auf die grundlegende Regelung des Bundes-waldgesetzes und lässt bestimmte Einschränkungen zu. Das Ergebnis wird durch etwa § 23 Abs. 1 S. 1 NWaldLG 79 ge-stützt. Dort heißt es, jeder Mensch dürfe die freie Landschaft betreten und sich dort erholen. In § 2 Abs. 1 NWaldLG wird der Begriff der freien Landschaft definiert. Danach besteht die freie Landschaft aus den Flächen des Waldes und der üb-rigen freien Landschaft … § 1 Nr. 4 BremWaldG 80 verwen-det die Bezeichnung ebenfalls als Oberbegriff.

Der vertretenen Ansicht, dass der Wald keine freie Land-schaft sein soll, da das Bundesnaturschutzgesetz zwischen

Thomas, Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

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860 NuR (2013) 35: 855–861

62) Bertsch, Der Wald als Lebensgemeinschaft, 3. Aufl. 1947, S. 223.63) Leider hat diese Betrachtung gegenwärtig wieder die Oberhand:

Thomas, Bundeswaldgesetz, 2013, Einführung, Erl. 16.64) Epping, Bild der Wissenschaft (bdw) 2/2000 S. 71.65) BMVEL, (Fn. 61), S. 29.66) BMVEL, (Fn. 60) S. 59.67) BT-Drs. 7/889, S. 29.68) So Orf, AuR 2007, S. 262, 263: öffentlich- rechtliche Duldungs-

pflicht.69) So aber auch Freistedt/Amelung, Forstpolitik II, 2. Aufl. 1991, S. 67.70) BT-Drs. 7/889, S. 29.71) Thomas/Tesmer, Niedersächsisches Realverbandsgesetz, 9.  Aufl.

2013, § 3 Erl. 4.72) So auch Pielow/Drees/Hochhäuser, Forstrecht in Nordrhein-West-

falen, 2. Aufl. 1982, § 10 Anm. 2.73) Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, § 20

S. 389 f.74) Wolff, Verwaltungsrecht I, § 57 I a; Wolff/Bachof/Stober, Verwal-

tungsrecht, II § 77 I 1.75) Wolff, Verwaltungsrecht I, § 58 II a; Wolff/Bachof/Stober, Verwal-

tungsrecht, II § 77 II 2.76) So Orf, (Fn. 37), S. 262, 263.77) ABl. 2000/ C 364/01.78) Vom 29. Juli 2009, BGBl. I 2542.79) Vom 21. März 2002, Nds. GVBl. S. 112.80) Vom 31. Mai 2005, Brem.GBl. S. 207.

Page 7: Das Bundeswaldgesetz in der Wechselbeziehung zu anderen Normen

Wald und freier Landschaft differenziere 81, kann nicht zu-gestimmt werden. Zu bevorzugen ist es Wald, wie auch etwa landwirtschaftliche Nutzflächen als ein Unterfall der freien Landschaft anzusehen; und ähnlich wie im Bau-recht den Begriff der freien Landschaft als Klammer für Flächen der Landwirtschaft, und des Walds zu werten. 82 In § 2 Abs. 2 Nr. 2 ROG werden die Begriffe Waldflächen und freie Landschaft als Ausprägungen des zu schützenden Freiraumes ebenfalls gemeinschaftlich behandelt. 83 Das enthaltene Wort Land geht möglicherweise auf die indo-germanische Wurzel freies Land, Feld zurück; bezeichnet in der Zusammensetzung Landschaft aber Gegend, natürli-che Geländeeinheit, abgeschlossenes Gebiet. 84 Mittelhoch-deutsch bezeichnete es ein Gebiet, eine Provinz oder ei-nen Bezirk. 85 Das Wort Landschaft wird üblicherweise als Dachbegriff für verschiedene Typen der Oberflächengestalt der Erde benutzt und umfasst auch die Waldlandschaft. 86 Die Herkunft des Wortes frei, kann die Herausnahme des Waldes ebenfalls nicht stützen, da sich aus Beschreibungen bestimmter sozialer Zustände und Beziehungen und emo-tionaler Einstellungen herleitet. 87 Landschaft ist danach ein bestimmter Teil der Erdoberfläche, der nach seinem äu-ßeren Erscheinungsbild und durch das Zusammenwirken der hier herrschenden Geofaktoren, auch menschlicher Tä-tigkeit, eine charakteristische Prägung besitzt und sich da-durch vom umgebenden Raum abhebt. 88 Der Wald kann also selbst Landschaft oder ein Element derselben sein. 89

Es zeigt sich, dass bereits bei einer gründlichen Untersu-chung sich das Waldrecht zwanglos in den verfassungs- und europarechtlichen Rahmen einfügen lässt.

Auch historisch ist die hier vertretene Auffassung beleg-bar: „Die … Trümmer germanischer Waldfreiheit sind in Deutschland fast überall glücklich gerettet worden“. 90 Ver-suche, den Wald auch hierzulande wieder teilweise zuzu-sperren, stoßen in der Bevölkerung nach wie vor auf Ab-lehnung und Misstrauen. 91 Zwar ist es historisch immer

wieder, beginnend mit den Franken, den frühen Kaisern, später durch Fürsten und in der frühkapitalistischen Zeit durch reich gewordene Bürger, versucht worden das Volk vom Wald auszusperren. Diese Versuche sind gescheitert. Aber leider ist das Volkseigentum am Wald nicht Verfas-sungswirklichkeit in Deutschland geworden. 92

5. Fazit

Es lässt sich für das Rechtsgebiet „Wald“ feststellen, dass es bei der Umsetzung des Völker-, Europa- und Bundesrechts durch die administrierenden Länder erhebliche Defizite gibt. Teilweise werden Rechtsverpflichtungen ad absur-dum geführt, quasi in das Gegenteil verkehrt. Die Euro-päische Kommission und der Bund sollten in Bezug auf die rechtlich korrekte Behandlung dieses so wichtigen Na-turgutes „Wald“ bezüglich der Forstverwaltungspraxis ge-nauer hinschauen.

Am 9. September 2013 veröffentliche die EU-Kommission einen Entwurf für eine „Verordnung über die Prävention und die Kontrolle der Einbringung und Verbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ (COM (2013) 620 final). Der vorliegende Beitrag stellt die einzel-nen Vorschriften dieses Entwurfs im Überblick dar, ordnet den Ver-ordnungsentwurf in den völker- und europarechtlichen Kontext ein und enthält Bezüge zum Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG).

1. Einführung

Als einer der weltgrößten Wirtschaftsräume ist die europä-ische Union (EU) über Handelswege eng mit anderen Kon-tinenten verbunden. Über Land-, Luft- und Seetransporte

Ref. jur. Andreas Zink, Wiss. Mitarbeiter am Institut für Umwelt- und Technikrecht (IUTR) der Universität Trier, Deutschland

werden nicht nur Güter und Rohstoffe nach Europa im-portiert, sondern auch Tiere und Pflanzen aus anderen Re-gionen bewusst eingeführt oder unbewusst eingeschleppt. Natürliche Barrieren verhindern grundsätzlich, dass Arten aus anderen Kontinenten Europa erreichen. Menschliche Aktivitäten wie Gütertransporte, die Errichtung von Ver-kehrskorridoren oder Beseitigung von Barrieren bewir-ken jedoch seit Jahrzehnten, dass fremde Arten aus anderen Regionen nach Europa eingebracht werden. Diese einge-führten Organismen gelten in Europa als „gebietsfremd“, da sie sich außerhalb ihres natürlichen Ausbreitungsgebie-tes befinden. Obwohl der Großteil der eingeführten ge-bietsfremden Arten auf die Umweltbedingungen in Europa

Der Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Regulierung invasiver gebietsfremder ArtenAndreas Zink 1

© Springer-Verlag 2013

NuR (2013) 35: 861–869 861Zink, Verordnungsentwurf zur Regulierung invasiver gebietsfremder Arten

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81) Otto, RdL 2010 S. 58.82) Söfker, in Ernst et alii, Baugesetzbuch, 103. Lfg. 2012, § 5 Rdnr. 37.83) Vgl. Spannowsky/Runkel/Goppel, Raumordnungsgesetz, 2010, § 2

Rdnr. 63. 84) Duden, Bd. 7, Etymologie; Herkunftswörterbuch der deutschen

Sprache, 1963, S. 385.85) Stinglwagner/Haseder/Erlbeck, Das Kosmos Wald- und Forstlexi-

kon, 4. Aufl. 2009, S. 518.86) Duden, Bd. 8, Die sinn- und sachverwandten Wörter, 2. Aufl.

1986, S. 411.87) Duden, Bd. 7, a. a. O., S. 184.88) Brockhaus, Themenwissen Geografie, 2010, S. 125; Herder, Kon-

versationslexikon, Bd. 5, 1957, Sp. 1013.89) Stinglwagner/Haseder/Erlbeck, (Fn. 84), S. 518.90) Riel zitiert nach Stölb, Waldästhetik, 2005, S. 65.91) Stölb, Pro Wald (PW) 7/2008, S. 16.92) Lenkat, Wald und Wild, Eigentum der Bürger, 2011, S. 312.

1) Der Autor ist Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs „Verbesse-rung von Normsetzung und Normanwendung im integrierten Umweltschutz durch rechts- und naturwissenschaftliche Koope-ration (No. 1319) der Universität Trier.