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Das Ende von Yarden

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Atlan - Der Held von Arkon

Nr. 216

Das Ende von Yarden

Vargo zerstört seine Schöpfung ­die Eisige Sphäre vergeht

von H. G. Ewers

Im Großen Imperium der Arkoniden steht es nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im­periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein­de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera­tor Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemein­wohl völlig außer acht lassen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver­schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge­gangen.

Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks ist er erneut in den Mikrokosmos gelangt, wo Ischtar, die Goldene Göttin, und seine alten Kampfgefährten Fartuloon, Corpkor und Eiskralle auf der Suche nach ihm ebenfalls eingetroffen sind.

Der Gesuchte und die Suchenden treffen als Gefangene in Yarden, der Eisigen Sphäre, zusammen, Vargos künstlicher Schöpfung, die den Angelpunkt zwischen Mi­kro- und Makrokosmos darstellt.

Atlan und seine Gefährten kämpfen um ihre Freiheit – und sie erleben DAS ENDE VON YARDEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan, Fartuloon, Corpkor, Eiskralle, Ischtar, Crysalgira und Chapat - Gefangene der EisigenSphäre.Vargo - Ein Erfinder wird zum Zerstörer.Magantilliken - Der Henker läuft Amok.Rinecco - Ein Valtor.

1.

Der Grundriß des Raumes war quadra­tisch, die Wände bestanden aus massivem Stahl und das Mobiliar war so dürftig und primitiv, daß ein sensibles Lebewesen bei längerem Aufenthalt allmählich den Ver­stand verlieren würde.

Fartuloon, Eiskralle und Ischtar saßen auf harten Stühlen um den einzigen Tisch herum und beobachteten Corpkor, der einer seltsa­men Beschäftigung nachging.

Der Tiermeister und ehemalige Kopfjäger kauerte vor einem Lüftungsgitter der Klima­anlage, aus dem beständig ein kühler Luft­zug strich. Seit einiger Zeit war durch das Lüftungsgitter außerdem ein Rascheln und Pfeifen gekommen, das sich in unregelmäßi­gen Abständen wiederholte und einmal nä­her kam und sich dann wieder entfernte.

Corpkor hatte nur ahnen können, daß die­se Geräusche von Tieren verursacht wurden, die sich gegen den Willen der Bewohner des Pulks in den Raumschiffen und Gängen ein­genistet hatten und ein Schmarotzerdasein führten.

Seine Vermutung war erst vor wenigen Augenblicken bestätigt worden, als eines dieser Tiere seine spitze Schnauze durch das Gitter gesteckt und ihn aus schwarzen Knopfaugen gemustert hatte. In dem Halb­dunkel hinter dem Gitter waren der unter­armlange, mit dunkelgrauem Fell bedeckte Körper und der lange nackte Schwanz nur undeutlich zu sehen.

Aber das erschien dem Tiermeister halb so wichtig. Für ihn war es bedeutungsvoll, daß er den Vertreter einer Tierart vor sich sah, die anscheinend ungehinderten Zugang zu allen Korridoren, Lagerräumen, Verbin­

dungsröhren und sonstigen Örtlichkeiten des riesigen Pulks in der Eisigen Sphäre hatte.

Eine Weile musterten sich das Tier und der Mann, während sie in Schweigen und Ratlosigkeit verharrten. Dann spitzte Corp­kor die Lippen und stieß einen leisen Pfiff aus, der große Ähnlichkeit mit den Pfiffen hatte, die lange vorher aus dem Schacht der Klimaanlage zu hören gewesen waren, der in dem Gefängnis der vier Personen münde­te.

Das Tier zuckte zusammen. Sein nackter, rosafarbener Schwanz wischte einmal von rechts nach links über den Boden. Doch es ergriff nicht die Flucht, was der Tiermeister als ersten Erfolg für sich verbuchte.

Er besaß große Erfahrung im Umgang mit Tieren aller Art, angefangen von giganti­schen Raubechsen und behäbigen Pflanzen­fressern, bis zu Schlangen, Insekten, Na-gern, Vögeln und Würmern. Das Wichtigste, um das Vertrauen eines beliebigen Tieres zu gewinnen und damit die Basis für kooperati­ves Verhalten zu schaffen, war, sich auf sei­ne Psyche einzustellen und anschließend die natürliche Fluchtdistanz nach und nach ab­zubauen.

Da Corpkor es bei diesen Nagern – denn Nager waren es, wie er an den Zähnen er­kannte – mit Tieren zu tun hatte, die sich mittels akustischer Signale verständigten, versetzte er sich in völlige Reglosigkeit, schloß dadurch optische Reize bei seinem Gegenüber aus und probierte die akustisch aufgenommene Skala der artspezifischen Verständigungssignale durch.

Schon nach kurzer Zeit erwiderte das Tier einen von Corpkors Pfiffen. Damit war der Anfang einer Rückkoppelung gemacht, der Vorbedingung einer Zusammenarbeit zwi­schen zwei verschiedenartigen Lebewesen

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mit sehr unterschiedlicher Intelligenz, wobei die Unterschiede in der Intelligenz nach Corpkors Überzeugung nicht absolut quali­tativ gesehen werden durften, sondern im­mer auf die jeweilige Umwelt bezogen wer­den mußten.

Vielleicht war es diese Überzeugung, die es dem Tiermeister erst ermöglichte, sich in die Psyche artfremder Lebewesen einzufüh­len und Zutrauen und Bereitschaft zur Ko­operation zu ernten.

Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bis Corpkor die Skala der Verständigungssigna-le der Nager so gut beherrschte, daß er auf ihr wie auf einer Computertastatur spielen und die von ihm gewünschten Ergebnisse er­zielen konnte. Inzwischen hatten sich jen­seits des Lüftungsgitters mehr und mehr der Tiere versammelt und wären nacheinander in das Rückkopplungssystem einbezogen worden.

Der Tiermeister wollte gerade dazu über­gehen, das Ergebnis seiner Bemühungen in praxisbezogene Aktionen umzusetzen, als die Tür des Gefängnisses sich öffnete. So­fort huschten die Nager davon.

Corpkor drehte sich unwillig um – und stand auf, als er sah, daß der Vargane, der ihr Gefängnis betreten hatte, in einer ver­schwörerischen Geste einen Finger an seine Lippen legte. Außerdem trug er ein dick ver­mummtes Bündel unter dem Arm.

Ischtar war beim Eintritt des Varganen und beim Anblick des Bündels wie elektri­siert hochgefahren und hatte den Mund zu einem Schrei geöffnet. Angesichts der ver­schwörerischen Geste des Mannes unter­drückte sie ihren Aufschrei jedoch.

Der Vargane schloß die Tür hinter sich, lächelte und reichte Ischtar das Bündel.

Sie nahm es und wickelte es teilweise auf. Als das Gesicht ihres Sohnes sie anblickte, drückte sie das Bündel an sich und bedeckte das kleine Gesicht mit Küssen.

Dann wandte sie sich an ihre Gefährten. »Chapat! Es ist Chapat, mein Sohn!«

stammelte sie.

H. G. Ewers

*

Fartuloon erhob sich ebenfalls, trat neben Ischtar und musterte das Gesicht des Säug­lings.

»Er ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten«, bemerkte er. Dann musterte er den Varganen, der Chapat gebracht hatte. »Woher hast du den Kleinen – und wer schickt dich?« fragte er.

»Vargo hat mir Chapat übergeben und mich beauftragt, ihn zu seiner Mutter zu bringen«, antwortete der Mann. »Ich soll Ih­nen ausrichten, daß Vargo auch mit Atlan Kontakt aufgenommen hat und daß es dem Arkoniden gut geht.«

»Wo ist Atlan?« fragte Ischtar. »Er befindet sich ebenfalls in einem

Schiff des Pulks«, berichtete der Vargane. »Und zwar zusammen mit einer arkonidi­schen Prinzessin. Ich glaube, Crysalgira heißt sie.«

Die Augen der Goldenen Göttin funkel­ten.

»Zusammen mit einer arkonidischen Prin­zessin?« Ihre Stimme bebte vor Eifersucht. »Wenn dieses Weib ihn verführt hat, kratze ich ihr die Augen aus!«

»Aber Crysalgira ist sehr nett«, teilte Cha­pat ihr auf telepathischem Wege mit.

»Um so schlimmer!« brauste Ischtar auf, die im ersten Moment glaubte, ihr Sohn hät­te akustisch zu ihr gesprochen.

»Was ist um so schlimmer?« erkundigte sich der Bote verwirrt.

»Daß diese Crysalgira sehr nett sein soll«, erwiderte Ischtar. Im nächsten Moment be­griff sie, daß außer ihr niemand gehört hatte, was Chapat ihr übermittelte. Sie preßte die Lippen zusammen.

»Aber niemand hat behauptet, die Prin­zessin wäre sehr nett«, meinte der Vargane.

»Schon gut!« sagte Ischtar. »Ich habe eben nur laut gedacht.« Sie ignorierte die prüfenden Blicke ihrer Gefährten, wiegte Chapat auf ihren Armen und ging zum Tisch, um den Säugling auszuwickeln und

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eventuell trockenzulegen. Fartuloon nahm unterdessen dem Boten

einen Beutel mit Babynahrung und frischen Windeln ab, dann fragte er:

»Warum hat Vargo uns keine Waffen be­sorgt? Er hatte versprochen, uns unsere Aus­rüstung wiederzubeschaffen.«

»Vargo hat selbst mit Schwierigkeiten zu kämpfen«, antwortete der Vargane. »Er läßt Ihnen jedoch ausrichten, daß er sich bemüht, Sie zu unterstützen. Darf ich jetzt wieder ge­hen?«

»Einen Augenblick noch!« rief Eiskralle. Der Vargane wandte sich nur zögernd zu

Eiskralle um. Der Anblick dieses seltsamen Wesens schien Urängste in ihm zu wecken. Als Eiskralle mit seinen eisartigen Händen auf ihn zeigte, erschauderte er.

»Wenn Sie mit dem Baby hereingekom­men sind, dann stehen doch sicher Wachen draußen, die mit Vargo sympathisieren«, sagte Eiskralle. »Warum kann dann nicht je­mand von uns mit Ihnen hinausgehen?«

»Es stimmt zwar, daß die Wachen mit Vargo befreundet sind«, gab der Bote zu­rück. »Aber sie würden niemanden von Ih­nen hinauslassen, denn sie fürchten eine grausame Bestrafung, falls durch ihre Schuld ein Gefangener entkäme.«

»Wenn wir unsere Ausrüstung bekämen und Vargo unterstützten, brauchten die Wa­chen keine Bestrafung zu fürchten«, erklärte Eiskralle grimmig. »Ich möchte mit ihnen reden.«

»Ich denke, das wäre sinnlos«, mischte sich Corpkor ein, der bisher geschwiegen hatte. »Außerdem habe ich andere Pläne.« Er wandte sich an den Boten. »Wie heißen die Nagetiere, die überall in den Schiffen und Verbindungsgängen des Pulks herum­wimmeln?«

»Wir nennen sie die Valtoren«, antwortete der Vargane. »Sie sind eine schreckliche Plage für uns, denn sie vernichten immer wieder kostbare Vorräte, nagen die Isolatio­nen von Leitungen durch und verschmutzen die Wassertanks mit ihrem Kot.«

Corpkor lächelte befriedigt.

»Sie sind also tatsächlich überall im Pulk anzutreffen – und ihre Bekämpfung ist bis­her gescheitert?«

»Na, ja«, meinte der Vargane. »Eigentlich wurden sie nie richtig bekämpft. Wir haben uns eben damit abgefunden, daß es sie gibt.«

»Danke, das genügt«, sagte der Tiermei­ster. »Richten Sie Vargo unsere Grüße aus und sagen Sie ihm, er möchte Waffen und Ausrüstung bereit halten, für den Fall, daß einem von uns der Ausbruch gelingt.«

Der Bote schaute ihn verwundert an. »Aber Ihr Gefängnis ist absolut ausbruch­

sicher.« »Es gibt kein absolut sicheres Gefängnis«,

entgegnete Corpkor. »Werden Sie veranlas­sen, daß Vargo unsere Wünsche erfüllt?«

»Selbstverständlich«, sagte der Vargane. Als er gegangen war, richteten sich die

Blicke von Fartuloon, Eiskralle und Ischtar auf den Tiermeister.

»Du willst die Valtoren zu deinen Helfern machen, nicht wahr?« fragte Fartuloon schließlich.

Corpkor nickte. »Das will ich – und ich denke, daß es mir

gelingt. Du und Eiskralle, ihr solltet die elektronischen Wachsysteme unseres Ge­fängnisses, falls welche vorhanden sind, su­chen, lokalisieren und definieren. Ich hoffe, meine Valtoren dazu bewegen zu können, diese Anlagen lahmzulegen.«

*

Ischtar fütterte ihren Sohn und beobachte­te dabei ihre Gefährten, die ihre Aktionen systematisch vorbereiteten.

Corpkor kümmerte sich weder um Ischtar noch um Fartuloon und Eiskralle. Er rief durch Pfeifsignale die Valtoren herbei, mit denen er bereits Kontakt gehabt hatte. Der Valtor, der sich zuerst hinter dem Lüftungs­gitter bemerkbar gemacht hatte, schien eine führende Stellung unter seinesgleichen ein­zunehmen. Der Tiermeister nannte ihn Ri­necco, nach einer alten arkonidischen Tier­sage.

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Nach einiger Zeit hatte er Rinecco daran gewöhnt, auf seinen Namen zu hören. Ri­necco seinerseits sorgte dafür, daß seine Art­genossen ihre Scheu vor dem riesigen zwei­beinigen Lebewesen verloren und vermittel­te zwischen dem Tiermeister und ihnen. Zweifellos übernahm er die Rolle des Ver­mittlers nicht aus uneigennützigen Motiven. Er wollte seinen Rang als Anführer nicht an Corpkor abtreten; deshalb sorgte er dafür, daß seine Artgenossen ihre Befehle nicht von Corpkor direkt erhielten, sondern über ihn.

Corpkor seinerseits respektierte den Wil­len Rineccos zur Behauptung seines Ranges. Das sicherte ihm nicht nur die Freundschaft des Anführers, sondern es war für ihn auch leichter, sich dem intelligentesten Tier der Gruppe verständlich zu machen als jedem einzelnen Valtor.

Nachdem er soweit war, fing für ihn der schwierigste Teil seiner Aufgabe an. Es galt, den Valtoren begreiflich zu machen, daß er etwas von ihnen wollte, was er ihnen nicht direkt zeigen konnte. Bei Lebewesen, die ganz auf Anschaulichkeit angelegt sind und denen abstraktes Denken völlig fremd ist, stellt das immer ein schwieriges Problem dar.

Da auch der Tiermeister keine Wunder vollbringen konnte, mußte er Schritt für Schritt vorgehen. Zuerst besorgte er sich ein Kleidungsstück Chapats, von dem er an­nahm, daß Atlan es irgendwann in den Hän­den gehabt hatte. Dieses Kleidungsstück hielt er Rinecco vor.

Rinecco schnupperte daran, dann stieß er seine Schnauze durch das Gitter und beweg­te die Nase heftig schnüffelnd, während er sie auf Chapat richtete.

Corpkor gab durch zwei Pfiffe eine Beja­hung und eine Verneinung bekannt. Das ver­wirrte den Valtor erwartungsgemäß, aber nach und nach gelang es dem Tiermeister, dem Valtor beizubringen, daß er die Quelle des gleichartigen Geruchs nicht bei Chapat, sondern in einer weit entfernten Gegend auf­spüren sollte.

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Was Corpkor vollbrachte, war eine Mei­sterleistung der Dressur, aber es ließ sich nicht nur mit Dressur allein erklären. Tiere zu dressieren, ist eine Sache unendlicher Ge­duld und vieler Tage, Wochen oder gar Mo­nate. Corpkor schaffte das, wozu ein anderer vielleicht sechs Wochen intensiver Arbeit gebraucht hätte, nur deshalb in wenigen Stunden, weil er eine geniale Begabung be­saß, auf ein Tier einzugehen und in ihm Ko­operationsbereitschaft in höchstem Maße zu aktivieren.

Vielleicht spielte sogar eine Art Telepa­thie mit, aber darüber äußerte sich der Tier­meister nie. Wahrscheinlich war es auch kei­ne Telepathie im Sinne von Gedankenüber­tragung, sondern nur eine Fähigkeit, sich auf den sechsten Sinn eines Tieres einzustim­men, der fast allen technisch orientierten In­telligenzen verschlossen bleibt.

Jedenfalls schaffte Corpkor es, den Valto­ren beizubringen, daß sie sich in immer wei­teren Kreisen auf die Suche nach jemandem machen sollten, dem der übermittelte Ge­ruch anhaftete. Aber das war längst nicht al­les. Er brachte es sogar fertig, daß die Tiere sich anfassen ließen, so daß er ihnen an Halsbändern, die er aus zerrissenen Plastik­tüchern anfertigte, schriftliche Botschaften an Atlan mitgeben konnte.

Rinecco unterstützte den Tiermeister da­bei, indem er seine Artgenossen dicht genug ans Lüftungsgitter drängte und sie anfauch­te, wenn sie vor Corpkors Hand zurückwei­chen wollten.

Nachdem drei der Valtoren mit einer Nachricht versehen worden waren, trieb ihr Anführer sie auf den Weg. Danach kehrte er zum Lüftungsgitter zurück, schob seine Schnauze hindurch und stieß mit ihr vertrau­ensvoll an Corpkors Hand.

Der Tiermeister lächelte. »Braver Bursche!« lobte er. »Sobald die

Wächter die nächste Mahlzeit gebracht ha­ben, sollst du meine Ration bekommen. An­schließend ruhen wir uns aus. Aber später habe ich noch weitere, größere Pläne mit dir.«

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2.

Als die Videoprojektion des Himmels einen Sonnenuntergang simulierte, begaben Crysalgira und ich uns zu einer der Hütten, die in der paradiesischen Landschaft stan­den.

Die Varganinnen und Varganen, die sich bereithielten, um uns als Fortpflanzungspart­ner zu dienen, sobald wir dazu bereit waren, schauten uns nach. Doch sie waren tatsäch­lich gut erzogen beziehungsweise geschult worden. Sie waren niemals aufdringlich, sondern hielten sich zurück.

Natürlich hatten sowohl Crysalgira als auch ich zahlreiche glutvolle Blicke von Frauen und Männern aufgefangen. Doch das war ganz natürlich. Immerhin war die Prin­zessin eine außergewöhnlich schöne Frau, und ich wußte aus einigen Erfahrungen, daß Frauen beim Anblick eines hochgewachse­nen durchtrainierten Mannes, dessen Gesicht und Bewegungen den Abenteurer verrieten, sehr schnell schwach zu werden pflegten. So gesehen, mußten wir die betreffenden Blicke als Komplimente auffassen.

Mir gelang das, vielleicht, weil Männer das Umschwärmtsein brauchten, auch wenn sie eine feste Bindung eingegangen sind und gar nicht beabsichtigen, sie zu brechen. Frauen haben größtenteils auch nichts gegen bewundernde Blicke, aber wenn sie sich ge­fühlsmäßig bei einem Mann stark engagiert haben, empfinden sie zu intensives Augen­flirten schon als aufdringlich.

Jedenfalls fauchte Crysalgira wie eine Katze, als wir die Hütte betraten.

»Diese lüsternen Kerle haben sich ver­rechnet!« schimpfte sie. »Wenn mir einer zu nahe tritt, werde ich ihm jeden Knochen im Leib einzeln brechen.«

Ich legte einen Arm um ihre Taille und lä­chelte sie beruhigend an.

»Du tust diesen Männern Unrecht, Klei­nes. Sicher, sie begehren dich, aber aus ihren Blicken haben eher Verehrung und Werbung gesprochen, nicht plumpe Lüsternheit. Wo­

mit ich nicht sagen möchte, daß du ihrem Werben nachgeben sollst. Im Gegenteil, ich werde alles tun, um dich davor zu bewahren, Zuchtmutter eines neuen Varganenge­schlechts zu werden.«

Crysalgira drückte ihren Kopf an meine Brust.

»Du bist so gut, Atlan. Ich weiß nicht, was aus mir würde, wenn ich dich nicht hät­te. Wahrscheinlich hätte ich mir aus Ver­zweiflung längst das Leben genommen.«

»So etwas darfst du nicht sagen!« Ich strich ihr übers Haar. »Ein Leben ist schnell ausgelöscht, aber wenn es entflohen ist, läßt es sich nicht mehr zurückholen – durch kei­ne Macht des Universums. Das solltest du immer bedenken, bevor du so dumme Ge­danken äußerst.«

Wir setzten uns an den Tisch, der in der Mitte des einzigen Raumes der Hütte stand. Es war ein Automatbedienungstisch, von dem man auf Knopfdruck alle gewünschten Speisen und Getränke erhielt. Wir tasteten eine Flasche Wein, eine Schüssel Salat und ein Gericht aus gegrilltem Fleisch und lufti­gen Fladen, die in Öl gebacken waren.

Während wir aßen, dachte ich an Chapat. Vargo hatte meinen Sohn mitgenommen und versprochen, ihn zu Ischtar zu bringen. Ich hoffte, daß ihm das gelungen war. Aber ei­gentlich machte ich mir um Chapat weniger Sorgen als um Ischtar. Die Varganen des Mikrokosmos würden meinem Sohn kein Leid antun, weil sie mich nicht unnötig ge­gen sie aufbringen wollten.

Anders sah es mit Ischtar aus. Ich wußte, daß meine Goldene Göttin von

den Varganen des Mikrokosmos wegen an­geblichen Verrats zum Tode verurteilt wor­den war. Mehrmals war sie nur mit Mühe und Not den Mordanschlägen Magantilli­kens, des Henkers der Varganen, entkom­men. Innerhalb der Eisigen Sphäre aber wa­ren die Varganen nicht darauf angewiesen, daß Magantilliken selbst das Urteil voll­streckte; hier hatten sie jederzeit die Mög­lichkeit, Ischtar umzubringen.

Ich spielte mit dem Gedanken, mich

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selbst den Varganen als Preis für das Leben Ischtars anzubieten und mich bereit zu erklä­ren, mit Varganinnen Kinder zu zeugen, wenn man mir dafür garantierte, Ischtar nicht anzutasten.

Andererseits würde ein solches Angebot die Varganen vielleicht verleiten, Ischtar auch als Druckmittel gegenüber Crysalgira einzusetzen. Deshalb beschloß ich, die Ent­wicklung abzuwarten. Solange Fartuloon, Eiskralle und Corpkor bei Ischtar waren, drohte ihr wahrscheinlich keine unmittelbare Gefahr.

Ich schreckte aus meinen Gedanken auf, als die nur angelehnte Tür knarrte. Als ich hinausschaute, sah ich sie zurückschwingen. Aber es war niemand da, der sie bewegt ha­ben könnte. Außerdem konnte sie nur ein kleines Stück aufgeschwungen sein, zu we­nig, um einen Varganen hindurchzulassen.

Die Prinzessin hatte überhaupt nichts be­merkt. Sie kaute geistesabwesend und blick­te auf eine Stelle des Tisches, als könnte sie dort ihre Zukunft ablesen.

Ich widmete mich erneut der Mahlzeit. Kurz darauf knarrte die Tür abermals.

Diesmal stand ich auf und ging hin, denn ich konnte mir nicht vorstellen, was die Tür bewegt haben sollte. Die Umgebung der Hütte war zwar wie eine Freilandschaft ge­staltet, aber sie befand sich trotzdem inner­halb eines Raumschiffs, in dem es keinen Wind geben konnte, schon gar keine Wind­böen, die eine Tür aufstießen. »Was ist los, Atlan?« fragte Crysalgira.

»Nichts«, antwortete ich. »Ich will mir nur die Füße ein wenig vertreten.«

»Gehst du etwa auf Brautschau?« erkun­digte sich die Prinzessin argwöhnisch.

Ich wandte mich um und sah sie vor­wurfsvoll an.

»Du solltest mich eigentlich gut genug kennen, um solche dummen Fragen zu un­terlassen. Wenn mich innerhalb der Eisigen Sphäre außer dir eine Frau interessiert, so ist das Ischtar – und Ischtar ist zur Zeit uner­reichbar für mich.«

»Aber du wärst gern bei ihr, nicht wahr?«

H. G. Ewers

Ich wandte mich brüsk ab. Crysalgiras Benehmen enttäuschte mich. Sie hatte schließlich von Anfang an gewußt, daß ich Ischtar liebte. Schließlich galt für sie das im gleichen Maße mit dem Sonnenträger Cher­gost. Unsere Beziehungen waren nur des­halb hin und wieder besonders eng gewesen, weil wir uns durch gemeinsam überstandene Strapazen und Gefahren naturgemäß zuein­ander hingezogen fühlten und ganz einfach manchmal beieinander so etwas wie Zu­flucht gesucht hatten.

Als ich vor die Hütte trat, sah ich, daß der simulierte Sonnenuntergang einem simulier­ten Sternenhimmel Platz gemacht hatte. Hin­ter den Fenstern der Hütten, in denen die Varganinnen und Varganen lebten, leuchtete Licht.

Ansonsten war es unnatürlich ruhig, was wiederum nur natürlich war, denn in einer künstlichen Landschaft gibt es, auch wenn die Pflanzen lebten, keine Tiere, seien es Falter, Grillen, Nachtvögel oder Raubkat­zen, die der Szenerie die Belebtheit der ech­ten Natur einzuhauchen vermögen. Es gab nicht einmal Wind, der die Blätter der Bü­sche und Bäume zum Rascheln brachte oder das Gras in jene wellenförmige Bewegung versetzte, die erst den Reiz großer Grasflä­chen ausmacht.

Doch dann stutzte ich. Links von mir war eine huschende Bewe­

gung erkennbar gewesen. Ich blickte genau-er hin, konnte aber nicht mehr sehen. Wahr­scheinlich hatten meine überreizten Nerven mir einen Streich gespielt.

Ich wollte in die Hütte zurückkehren, da bemerkte ich aus den Augenwinkeln ein langgestrecktes graues Etwas, das im Licht der simulierten Sterne von einem Gebüsch zum anderen huschte. Unwillkürlich sah ich mich nach einem Stein um, den ich nach dem Tier werfen konnte, denn ich erkannte es als eines jener widerwärtigen Schmarot­zer, die ich bei meinem Versuch, zu Ischtar zu gelangen, in einem der Varganenschiffe kennengelernt hatte.

Da ich nirgends einen Stein oder ein an­

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deres Wurfgeschoß entdecken konnte, kehr­te ich in die Hütte zurück. Diesmal zog ich die Tür hinter mir ins Schloß, damit das Un­geziefer draußen blieb.

Erst dann sah ich, daß Crysalgira auf dem Automattisch stand und aus Augen, in denen Furcht und Zorn miteinander wetteiferten, auf ein anderes graues Nagetier blickte, das auf meinem Stuhl hockte und seine Nase witternd hin und her drehte.

Das ist zuviel! dachte ich, während ich den leeren Waffengurt abschnallte, um die rechte Hand wickelte und das freie Ende mit dem schweren Gürtelschloß langsam hin und her schwingen ließ …

*

Die Tür flog auf und prallte krachend ge­gen die Wand. Ein Vargane mit einem Anti­gravtablett voller Speisen trat ein, begleitet von vier schwerbewaffneten Männern.

Fartuloon hackte die Daumen hinter sei­nen Gürtel und blickte die Varganen dro­hend an.

»Das nächstemal treten Sie gefälligst wie zivilisierte Leute ein und nicht wie eine Hor­de Barbaren!« sagte er. »Schließlich ist eine Dame hier.«

Der Vargane mit dem Antigravtablett und drei seiner Begleiter schauten verlegen weg. Nur der vierte Vargane blickte Fartuloon herausfordernd an.

»Wo ist eine Dame?« fragte er frech. »Ich kann keine …«

Der Schluß seines Satzes blieb unausge­sprochen, da der Kopf des Mannes unter ei­ner Ohrfeige Fartuloons zur Seite flog.

»Chaib!« grollte Fartuloon. »Ich werde dir noch Manieren beibringen!«

Der Gezüchtigte hatte seine Waffe fallen lassen und war halb ohnmächtig gegen die Wand gesunken. Als er die Benommenheit abgeschüttelt hatte, zog er einen Handstrah­ler aus seinem Gürtelhalfter und wollte auf Fartuloon anlegen.

Corpkor pfiff schrill. Im nächsten Augenblick huschten mehre­

re graue Schatten durch die weiten Maschen des Lüftungsgitters, schnellten an dem Var­ganen hoch und gruben ihre messerscharfen Zähne in seine Unterarme. Der Mann schrie gellend auf, ließ den Handstrahler fallen und wich zur Tür zurück.

Bevor die übrigen Bewaffneten wußten, wie sie sich verhalten sollten, pfiff der Tier­meister erneut. Die Valtoren verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

Fartuloon trat zwei Schritte zurück, um damit zu demonstrieren, daß er es nicht auf die Waffen des Verletzten abgesehen hatte.

»Nehmt ihn und seine Waffen und geht!« befahl er den anderen Varganen. »Und ver­geßt nicht, daß Fartuloon es nicht zuläßt, daß eine Dame in seiner Gegenwart belei­digt wird.«

Schweigend verließen die Varganen das Gefängnis. Das Antigravtablett blieb auf dem Tisch zurück.

Als die Tür sich schloß, drehte Ischtar, die das Baby vor den Blicken der Besucher ver­borgen hatte, indem sie sich halb der Rück­wand zudrehte, sich wieder herum und meinte besorgt:

»Das hättest du nicht tun sollen, Fartu­loon. Möglicherweise zieht das Repressalien nach sich, die wir gerade jetzt, da Chapat bei uns ist, nicht gebrauchen können.«

Corpkor erklärte lächelnd: »Das hat unser Bauchaufschneider auf

meine Bitte hin getan, Ischtar. Ich mußte te­sten, ob meine Valtoren sich von mir zu ei­nem Angriff auf Varganen benutzen lassen.«

»Unglaublich!« erwiderte die Goldene Göttin. »Wenn ich es nicht mit eigenen Au­gen gesehen hätte, ich würde es für Lüge halten. Diese Nager dürften den Herren des Pulks normalerweise aus dem Weg gehen, und hier haben sie einen Varganen todesmu­tig angegriffen.«

Corpkor nickte. »Ich brauchte den Beweis dafür, daß sie

sich dazu überwinden können«, erläuterte er. »Die Valtoren sollen nämlich die Phase zwei unserer nächsten Aktion vorbereiten, indem sie die Wächter überfallen.«

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»Und worin besteht Phase eins?« fragte Eiskralle.

»Darin, die elektronischen Wachsysteme lahmzulegen«, antwortete der Tiermeister. »Ich sagte es schon einmal.«

»Was heißt eigentlich ›Chaib‹?« erkun­digte sich die Varganin beim Bauchauf­schneider.

Fartuloon lächelte breit. »Das ist der Schimpfname für Söldner

vom Planeten Badensiark«, antwortete er. »Diese Söldner zeichneten sich im Aufstand der Nordregion dadurch aus, daß sie beim Sturm auf Bodenforts mit lautstarkem Ge­brüll losgingen, aber vor Erreichen der feindlichen Schußdistanz wieder kehrtmach­ten.«

Corpkor lachte. »Dann haben sie meine Sympathie, alter

Bauchaufschlitzer. Ich bewundere alle Leu­te, die sich nicht für fremde Interessen ver­heizen lassen, sondern soviel Tapferkeit auf­bringen, um feige zu sein.«

»Na, ja«, meinte Fartuloon. »So kann man es natürlich auch sehen. Auf jeden Fall ist der Schimpfname ›Chaib‹ von Anfang an halb scherzhaft gemeint gewesen.«

Er wurde wieder ernst. »Kommt, setzen wir uns an den Tisch und

essen. Dabei können wir unsere Ausbruch­spläne durchsprechen. Es wird höchste Zeit, daß wir etwas unternehmen.«

Sie nahmen alle rund um den Tisch Platz. Nur Corpkor blieb stehen. Er füllte seinen Teller mit den verschiedenen Speisen, dann ging er zum Lüftungsgitter, hockte sich hin und fütterte Rinecco und die anderen Valto­ren, wie er es versprochen hatte.

Seine Gefährten sahen ihm eine Weile zu, bevor sie ihre Teller füllten. Sie verständig­ten sich durch Blicke und ließen von allem soviel zurück, daß der Tiermeister nicht leer ausging.

Als Corpkor die Fütterung der Valtoren beendet hatte, kehrte er an den Tisch zurück.

»Vielen Dank, Freunde«, sagte er, als er sah, daß seine Gefährten ihm ein Viertel al­ler Speisen übriggelassen hatten. »Ich habe

H. G. Ewers

die Valtoren auf Phase zwei vorbereitet. So­bald der nächste Wachwechsel vollzogen ist, werden die Tiere die Wächter angreifen und so lange beschäftigen, bis wir ausgebrochen sind und sie überwältigt haben. Ein anderer Teil der Valtoren arbeitet bereits daran, die Wachsysteme unseres Gefängnisses und die des ganzen Schiffes lahmzulegen. Ich denke, daß unsere Erfolgschancen recht gut sind.«

»Und was wird mit Chapat?« fragte Ischt­ar.

»Du bleibst selbstverständlich mit ihm hier zurück«, antwortete der Tiermeister. »Wir dürfen Chapat nicht den Gefahren aus­setzen, die bei Kampfhandlungen nun ein­mal unvermeidlich entstehen. Sobald wir un­sere Ausrüstung und Waffen wiederbekom­men haben, kehrt einer von uns zurück und bringt dich in ein Versteck. Die anderen sto­ßen bis zu dem Schiff vor, in dem Atlan und die Prinzessin gefangengehalten werden. Al­les andere wird sich dann aus den Umstän­den ergeben.«

»Einverstanden«, erwiderte Fartuloon. »Ich werde erst wieder ganz ich selbst sein, wenn ich mein Skarg wieder habe.«

*

Ich holte aus, um die Gürtelschnalle mit voller Kraft auf den Schmarotzer niedersau­sen zu lassen.

Im letzten Augenblick hielt ich inne und ließ die erhobene Hand wieder sinken. Es war die Passivität, mit der das Tier auf sei­nem Platz ausharrte, die mich zögern ließ. Gewiß, es handelte sich um einen Schädling, aber ich brachte es einfach nicht fertig, ein Tier zu erschlagen, das weder angriff noch sich wehrte.

Im Gegenteil, das Tier blickte mich aus seinen feuchten runden Knopfaugen so treu­herzig an, daß ich mir plötzlich abgrundtief schlecht vorkam, weil ich es hatte erschla­gen wollen. Ich fragte mich, woher ich ei­gentlich das Recht nahm, eine fremde Krea­tur als nutzlos oder schädlich einzustufen.

»Schaff das Ungeheuer fort!« kreischte

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Crysalgira. Ich wunderte mich nicht über ihre Reakti­

on, obwohl sie eigentlich keine hysterische Natur war, sondern im Gegenteil oft genug gezeigt hatte, daß sie ihre Todesfurcht über­winden konnte, wenn es die Lage erforderte. Aber Frauen werden meist durch den An­blick kleinerer Tiere in Panik versetzt, auch wenn sie keine Scheu haben, bei Großwild­jagden ganz allein wahren Mordbestien ge­genüberzutreten. Die Mentalität der Frau ist und bleibt eben unergründlich.

»Es tut dir doch gar nichts, Kleines«, sag­te ich beruhigend.

»Aber ich mag es nicht«, entgegnete die Prinzessin, diesmal allerdings schon ohne Hysterie.

In diesem Augenblick bemerkte ich das schmale Plastikband, das dem Tier um den Hals geschlungen worden war. Zuerst dachte ich nur, daß es sich offenbar um ein ge­zähmtes Tier handelte, das von einem Var­ganen als Haustier gehalten wurde. Doch dann mußte ich an Corpkor denken, und mir kam die Ahnung, daß der Tiermeister diese Schmarotzer vielleicht für seine Zwecke ein­gespannt haben könnte.

»Ich möchte, daß du stillstehst, wenn du dich schon nicht traust, den Tisch zu verlas­sen, Crysalgira«, sagte ich. »Möglicherweise hat Corpkor das Tier mit einer Botschaft zu uns geschickt. Also, bitte sei vernünftig!«

Ich schnallte meinen Gürtel wieder um, dann näherte ich mich langsam dem Tier, um es nicht zu erschrecken. Zwar konnte es nicht aus der Hütte entkommen, da ich die Tür geschlossen hatte, aber ich wußte, daß diese Nager große und starke Zähne hatten, mit denen sie glatt einen Finger durchbeißen konnten. Und wenn ich es erschreckte, wür­de ich mich nicht zu wundern brauchen, wenn es sich gegen einen vermeintlichen Angriff verteidigte.

Der Nager schaute mich unverwandt an. Seine kleine schwarze Nase schnüffelte un­entwegt in meine Richtung. Plötzlich sprang er von dem Stuhl, auf dem er bis dahin ge­hockt hatte, lief auf mich zu und legte sich

vor meine Füße, wobei er sich auf den Rücken drehte und mir in typischer Unter­werfungsgeste seine Kehle darbot.

Da war ich endgültig sicher, daß Corpkor uns das Tier geschickt hatte.

Ich bückte mich und löste den Knoten, mit dem das Plastikband befestigt und zu­sammengebunden war. Das Tier verhielt sich dabei still, obwohl deutlich zu sehen war, wie heftig sein kleines Herz schlug. Natürlich fürchtete es sich, aber Corpkors Dressur wirkte stärker als die kreatürliche Furcht.

Das Band erwies sich als ein zusammen­gerollter Plastikstreifen, der dicht mit arko­nidischen Schriftzeichen bedeckt war. Ich rollte ihn auseinander.

Unterdessen war Crysalgira vom Tisch gestiegen, aber noch in respektvoller Entfer­nung stehengeblieben. Erst, als ich den Streifen auseinandergerollt hatte, näherte sie sich zögernd.

Ich las vor. »Lieber Atlan, Verehrte Prinzessin! Deine

Ischtar und deine Freunde Fartuloon, Eis­kralle und Corpkor grüßen dich und die Prinzessin, die es uns sicher nicht übel­nimmt, wenn wir sie nachfolgend, ebenfalls duzen. Chapat ist gut hier angekommen, und auch uns geht es gut. Wir haben die Valto­ren, von denen drei mit gleichlautenden Bot­schaften zu euch geschickt wurden, für uns gewinnen können. Sie werden uns helfen, aus unserem Gefängnis auszubrechen, und zwar so, daß die Varganen bis zur nächsten Wachablösung nichts davon bemerken. Var­go wird uns hoffentlich danach mit der nöti­gen Ausrüstung versorgen, so daß zwei von uns zu euch durchkommen können und euch befreien.

Bitte, schickt die Valtoren, die mit ihren Botschaften zu euch gekommen sind, mit Antworten zu uns zurück, damit wir wissen, daß ihr unsere Botschaft erhalten habt. Wir hoffen, bald wieder vereint zu sein. Mit At­lan für Arkon!«

»Oh!« brachte Crysalgira nur heraus. Ich machte mich lächelnd daran, eine

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Antwort niederzuschreiben, wozu ich mei­nen Kohlendioxid-Laserschreibstift und die Rückseite des Plastikbands benutzte. Da­nach kauerte ich mich nieder und befestigte das Band behutsam wieder am Hals des Val­tors.

Als das Tier sich noch immer nicht rührte, strich ich ihm sanft mit zwei Fingern über den Bauch. Es streckte sich genüßlich, und als ich meine Hand fortnahm, rollte es sich herum.

»Komm gut zurück!« sagte ich, öffnete die Tür und ließ das Tier hinaus.

Es zögerte nur kurz, dann eilte es lautlos durch die Öffnung und tauchte im Gras un­ter.

Diesmal ließ ich die Tür geöffnet, damit auch die übrigen beiden Valtoren herein konnten, sobald sie eintrafen. Endlich war die Zeit des untätigen Wartens vorbei.

3.

Fartuloon legte das Ohr an die Tür ihres Gefängnisses und lauschte. Deutlich ver­nahm er den Marschtritt der Wachablösung.

»Sie kommen!« flüsterte er seinen Ge­fährten zu.

Durch das dicke Material der Tür hin­durch hörte er die Geräusche vom Korridor nur gedämpft. Aber die martialische Art der Zeremonie kam ihm zugute. Er hörte genau, wie die Wachablösung vor der abzulösenden Wache stillstand, wie die zeremonielle Mel­dung lautstark erstattet wurde und wie die abgelöste Wache mit knallendem Stech­schritt abmarschierte.

»Ich möchte wissen, wozu das Theater gut sein soll«, bemerkte Fartuloon spöttisch. »Wenn arkonidische Raumlandesoldaten vor dem Hügel der Weisen im Stechschritt para­dieren, um die Abgesandten fremder Völker zu beeindrucken, sehe ich noch einen Sinn darin. Aber die Varganen können doch uns nicht ernsthaft beeindrucken wollen. Was hätten sie schon davon!«

»Vielleicht wissen sie, wie arkonidische Bonbonsoldaten paradieren und wollen uns

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zeigen, daß sie es ebenso gut können«, warf Ischtar ein.

»Bonbonsoldaten ist gut«, meinte. Eis­kralle.

Fartuloon lächelte, dann wurde er wieder ernst.

»Nein, es ist nicht gut, wenn die Disziplin arkonidischer Soldaten verspottet wird. Für das arkonidische Volk ist es – leider – le­bensnotwendig, daß es ganz im Sinne eines normalerweise verwerflichen Militarismus erzogen wird. Aber wenn das Große Imperi­um nicht zweckentsprechend auf eine be­drohliche Umwelt reagierte, wäre es genau­so, als würde ein Tier sich seinen Feinden ausliefern, indem es beispielsweise auf seine Tarnfärbung, sein Stachelkleid oder seine Warntracht verzichtete.«

»Ich gebe dir ja recht, alter Bauchauf­schlitzer«, warf Corpkor ein, »aber ich wür­de es begrüßen, wenn du mir verrietest, ob die abgelöste Wache den Korridor schon verlassen hat.«

Fartuloon preßte abermals das Ohr gegen die Tür, dann nickte er und trat einen Schritt zurück.

»Sie ist fort. Wir können anfangen, Corp­kor.«

»Aber wir haben noch keine Bestätigung, daß Atlan unsere Botschaft erhalten hat«, protestierte Ischtar.

»Darauf dürfen wir nicht warten, sonst vertun wir wertvolle Zeit«, entgegnete Far­tuloon. »Fang an, Corpkor!«

Der Tiermeister hockte sich erneut vor das Lüftungsgitter, durch das Rinecco nach wie vor seine feuchte Schnauze steckte. Cor­pkor teilte dem Valtor durch Pfiffe und ge­flüsterte Laute mit, daß der Zeitpunkt für den Angriff auf die Wachtposten gekommen war.

Rinecco bestätigte durch mehrere durch­dringende Pfiffe, dann wandte er sich seinen Artgenossen zu und erteilte ihnen den An­griffsbefehl.

Die drei Männer warteten, bis vom Korri­dor ein lauter Schrei ertönte, dann ergriffen sie die stählerne Tischplatte, die sie schon

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vorher von ihren Tragbeinen gelöst hatten. Sie benutzten die schwere Platte als Ramm­bock.

Natürlich wußten sie, daß die starkwandi­ge Stahltür selbst nicht nachgeben würde. Sie richteten deshalb ihre Rammstöße gegen die Stelle, unter der sich die Verriegelungs­elektronik verbarg. Kompliziertes elektroni­sches Gerät war gegen starke Erschütterun­gen empfindlich. Die Frage war nur, ob die Tür sich öffnen ließ, wenn die Verriege­lungselektronik sich in einen Haufen Schrott verwandelt hatte.

Nach dem fünften Rammstoß klirrte und klapperte es hinter dem inneren Türblatt. Die drei Männer setzten die Tischplatte ab, dann zog Fartuloon am Türknauf. »Sie sitzt fest«, gab er bekannt.

Er versuchte es noch einmal, stellte sich breitbeinig hin und setzte seinen Griff so an, daß er seine Körperkraft voll anwenden konnte.

Diesmal gab die Tür nach. Fartuloon taumelte zurück. Seine Gefähr­

ten stürmten an ihm vorbei in den Korridor. Als der Bauchaufschneider ihnen folgte,

sah er die vier Wachtposten am Boden lie­gen und verzweifelt gegen die Valtoren kämpfen, die sich auf sie gestürzt und sich in Armen, Beinen, Gesichtern und Ohren verbissen hatten. Entsprechend den Weisun­gen, die Corpkor ihnen übermittelt hatte, brachten sie keine tödlichen Bisse an, son­dern sorgten nur dafür, daß die Varganen weder fliehen noch zu ihren Energiewaffen greifen konnten.

Nacheinander befreite der Tiermeister die Wachen von ihren Quälgeistern – und so, wie sie von den Tieren freigegeben wurden, so wurden die Varganen von den drei Freun­den entwaffnet, gefesselt und geknebelt.

Als es geschafft war, lobte Corpkor die Tiere und schickte sie wieder fort. Danach schafften die drei Freunde die Wachen in ei­ne leere Kabine, fesselten sie zur doppelten Sicherheit an die festgeschraubten Bettge­stelle und aktivierten von draußen die elek­tronische Verriegelung.

»Das wäre es«, sagte Fartuloon. »Meine Anerkennung, Corpkor.«

Der Tiermeister winkte ab. »Jeder setzt seine Fähigkeiten nach besten

Kräften im Sinne der Gemeinschaft ein. Da kommt übrigens einer der Valtoren, die ich zu Atlan geschickt hatte.«

Er bückte sich, als ein einzelner Valtor aus einem Seitengang auf ihn zulief. Das Tier hielt still, während Corpkor das Plastik­band von seinem Hals entfernte.

Der Tiermeister nickte zufrieden, als er Atlans Schrift erkannte, richtete sich auf und las vor.

»Meine geliebte Ischtar, meine lieben Freunde. Mit großer Freude habe ich eure Nachricht gelesen. Der Prinzessin und mir geht es gut. Wir befinden uns noch im glei­chen Doppelpyramidenschiff, wurden aber in die andere Schiffshälfte umquartiert und leben in einem künstlich angelegten Garten. Die Zugänge werden schwer bewacht, also seid vorsichtig. Wir erwarten euch und wer­den eingreifen, sobald wir eure Ankunft be­merken. Nieder mit Orbanaschol! Es lebe Arkon! Es lebe das Große Imperium!«

Fartuloons Augen strahlten, als er die Botschaft seines Pflegesohnes vernommen hatte.

»Laßt uns nicht länger warten!« rief er. »Vorwärts für Atlan und für Arkon!«

*

Bald sollte sich zeigen, daß große Worte und persönliche Tapferkeit allein nicht ge­nügten, wenn man einer technisch überlegen ausgerüsteten Übermacht gegenüberstand.

Die drei Freunde unterrichteten Ischtar davon, daß ihr Handstreich gegen die Wachtposten erfolgreich verlaufen war, dann eilten sie zum Bug ihres Doppelpyra­midenschiffs, um durch den Verbindungs­stollen das nächste Raumschiff zu erreichen und Kontakt mit den Helfern Vargos aufzu­nehmen.

Sie kamen allerdings nicht weiter als bis zur Schleusenkammer. Als das Innenschott

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sich vor ihnen öffnete, sahen sie sich gänz­lich unvermutet einer starken Gruppe Varga­nen gegenüber, die in goldfarbene Rauman­züge gekleidet waren.

Die Varganen waren über die Konfrontie­rung ebenso überrascht wie die drei Freun­de. Demnach hatten die Valtoren die Wach-und Warnsysteme des gesamten Schiffes gründlich sabotiert.

Doch es nützte den drei Freunden wenig, daß sie ihre Überraschung als erste überwan­den und das Feuer auf den Gegner eröffne­ten. Zwar schieden sofort drei Varganen aus, aber die anderen aktivierten Schutzschirme, die sie wirkungsvoll vor den weiteren Strahlschüssen der Ausbrecher schützten. Dann erwiderten sie das Feuer.

Fartuloon sah ein, daß sie gegen die hoch überlegen ausgerüstete Übermacht nichts ausrichten konnten. Er gab den Befehl zum Rückzug. Ständig feuernd und die Deckun­gen wechselnd, die im Hauptkorridor aus den zahlreichen Wandnischen bestanden, zogen sich die Freunde zurück.

Beim ersten Quergang bogen sie nach rechts ab und eilten zu dem Antigrav­schacht, der sich am Ende des Quergangs befand. Sie stürzten sich in den Schacht und schwangen sich drei Decks höher wieder hinaus.

Schweratmend blickten sie sich an. »Wir haben nicht mehr gewonnen als eine

kleine Atempause«, meinte Fartuloon. »Inzwischen werden weitere Varganen als Verstärkung unterwegs hierher sein, und mit unseren unzureichenden Waffen können wir uns nicht einmal wirkungsvoll verteidigen, geschweige denn angreifen und durchbre­chen.«

»Willst du etwa, daß wir aufgeben?« frag­te Eiskralle.

Fartuloon runzelte die Stirn. »Wir müssen die Realitäten sehen«, erwi­

derte er zögernd. »Leider sind sie so, daß es sinnlos wäre, uns durch die Gänge des Schiffes hetzen zu lassen, wenn wir wissen, daß wir schlußendlich doch unterlägen.«

»Vielleicht gelingt uns doch der Durch-

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bruch, wenn wir es nur immer wieder versu­chen«, erklärte Eiskralle.

»Nein!« sagte Corpkor. »Für uns besteht keine reale Chance mehr, dieses Schiff zu verlassen. Dennoch möchte ich nicht gänz­lich aufgeben. Deshalb schlage ich vor, daß zwei von uns die Varganen laufend beschäf­tigen, während der dritte sich eine Weile still verhält und dann versucht, im Rücken der Varganen aus dem Schiff zu schleichen.«

»Der Vorschlag ist brauchbar«, meinte Eiskralle und wandte sich an Fartuloon. »Was hältst du davon?«

»Wir werden es so machen, wie Corpkor vorgeschlagen hat«, antwortete Atlans Pfle­gevater. »Und zwar wird Corpkor der Mann sein, der sich hinter dem Rücken der Varga­nen aus dem Schiff schleicht.«

»Ich hatte an dich gedacht«, widersprach der Tiermeister. »Mit Atlan zusammen er­gibt sich ein Gespann, das sich schon so oft bewährt hat, daß es auch in der Eisigen Sphäre optimale Erfolgsaussichten haben dürfte.«

Fartuloon lächelte. »Möglich, aber dazu müßte ich erst ein­

mal zu Atlan stoßen. Ich mache mir aber keine Illusionen, daß mir das im Alleingang gelingen könnte. Du dagegen kannst unter­wegs immer wieder die Valtoren als deine Bundesgenossen einsetzen. Aus diesem Grund stehen deine Aussichten, das Ziel zu erreichen, besser als meine oder die von Eis­kralle – und deshalb übernimmst du den Part.«

»Das sehe ich ein«, gab Corpkor wider­strebend zu. »Obwohl ich nicht gern fortge­he und euch eurem Schicksal überlasse.«

»Das laß nur unsere Sorge sein«, erwider­te Fartuloon. »Wir wollen uns schließlich nicht opfern.«

»Wir müssen uns beeilen!« drängte Eis­kralle. »Ich höre die Varganen näher kom­men.«

»Schnell, dort hinein!« sagte Fartuloon und deutete auf das Schott einer Kabine.

Corpkor winkte seinen Freunden zu und eilte zu dem betreffenden Schott. Es öffnete

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sich automatisch vor ihm. Die Kabine ent­hielt die Standardausrüstung varganischer Schiffskabinen, was für arkonidische Begrif­fe allen nur denkbaren Luxus bedeutete.

Der Tiermeister verzichtete darauf, das Schott von innen zu verriegeln. Das hätte bei einer flüchtigen Routineüberprüfung den Varganen sofort verraten, daß sich einer der Gesuchten hier versteckte. Statt dessen öff­nete er die Wartungsklappe am Sockel des großen Pneumobetts, zwängte sich in den engen Hohlraum der Gasfederung und ver­hinderte durch ein Dazwischenklemmen sei­ner Gürtelschnalle, daß sich die Öffnung vollständig schloß. Das war lebensnotwen­dig, denn bei geschlossener Wartungsklappe wäre er von dem einströmenden Stickstoff der Gasfederung getötet worden. War die Wartungsklappe dagegen nicht voll ge­schlossen, blieb der Einfüllmechanismus desaktiviert.

Dennoch fühlte sich Corpkor nicht wohl in seiner Haut, und das nicht in erster Linie, weil er in der Enge nur mühsam atmen konnte. Vielmehr bangte er um das Leben der Freunde. Ein kurzer Feuerwechsel auf dem nahen Korridorstück verriet ihm, daß Fartuloon und Eiskralle in Gefechtsberüh­rung mit den Varganen blieben, um sie hin­ter sich herzulocken.

Der Gefechtslärm ebbte ab, klang weiter entfernt wieder auf und verstummte erneut.

Wir haben die Varganen unterschätzt, weil sie dekadent sind! überlegte der Tier­meister. Aber hier geht es für sie darum, daß die Eisige Sphäre, ihre Heimat, sicher bleibt, und bei der Verteidigung des eigenen Nestes entwickelt sogar ein scheuer Vogel oftmals todesverachtenden Mut.

Corpkor verhielt sich still, bis er keinen Gefechtslärm mehr hören konnte. Danach verließ er sein Versteck, ließ das Schott auf­gleiten und spähte vorsichtig auf den Gang hinaus.

Nur einige Schmelzstellen an den Wän­den und auf dem Boden verrieten, daß hier noch vor kurzer Zeit gekämpft worden war. Ansonsten war alles ruhig.

Der Tiermeister schätzte ab, welcher Teil des Doppelpyramidenschiffs inzwischen von Varganen entblößt sein müßte, wenn sich al­le Varganen an der Verfolgung der Ausbre­cher beteiligten. Dann huschte er nach rechts, schwang sich in den Antigravlift und schwebte fünf Decks tiefer.

Als er ausstieg, entdeckte er schräg links vor sich einen einzelnen Varganen. Unwill­kürlich riß er seinen Handstrahler hoch, ließ ihn aber wieder sinken, da der Vargane seine Waffe im Gürtelhalfter trug.

»Wer bist du?« fragte er. »Ich bin Jretak, ein Freund Vargos«, ant­

wortete der Vargane. »Folge mir! Ich bringe dich in Sicherheit.«

*

Corpkor wollte entgegnen, daß es besser gewesen wäre, auch seine Freunde in Si­cherheit zu bringen.

Er unterließ es, weil er einsah, daß Jretak erst dann aus seinem Versteck hatte auftau­chen können, als die Verfolger diese Schiffssektion verlassen hatten.

Mit einer Handbewegung veranlaßte er Jretak, vorauszugehen. Er behielt seine Waf­fe schußbereit in der Hand, da er nicht sicher sein konnte, ob Jretak tatsächlich ein Freund war oder ein Gegenspieler Vargos, der ihn in eine Falle locken wollte.

Der Vargane schritt unbekümmert voraus. Er schien Corpkors Waffe nicht als Bedro­hung anzusehen. Beim nächsten Quergang bog er nach rechts ab, schwebte in einem Antigravlift zwei Decks höher und blieb vor einer Wandnische stehen.

Seine Finger glitten wie spielerisch über die Rückwand der Nische. Plötzlich verwan­delte sich ein Teil der Rückwand in grauen Nebel, der wie unter einem Windstoß zer­flatterte. Eine Öffnung wurde erkennbar. Schwaches bläuliches Licht fiel aus der Öff­nung nach draußen.

Jretak trat hindurch. Der Tiermeister hob vorsichtshalber die

Waffe in Hüfthöhe, bevor er dem Varganen

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folgte. Er gelangte in einen engen Gang, der offenbar in eine Wand eingelassen war. Hin­ter ihm schloß sich die Rückwand der Ni­sche wieder.

Nachdem die beiden Männer innerhalb des Geheimgangs mehrere Treppen hinauf und hinab gestiegen waren, aktivierte der Vargane eine zweite Öffnung.

Diesmal schien das Ziel erreicht zu sein, denn als Corpkor folgte, gelangte er in einen Hohlraum mit transparenten Wänden, der sich ganz offensichtlich innerhalb der Bord­positronik des Schiffes befand, denn hinter den Wänden war ein wohlgeordneter Dschungel positronischer Schaltelemente zu sehen.

Drei weitere Varganen erwarteten den Tiermeister. Ihr Anführer stellte sich mit dem Namen Konzelk vor.

»Wir bedauern, daß wir nur Sie und nicht auch Ihre Freunde retten konnten«, sagte Konzelk. »Aber der Rat scheint mit Aktivi­täten Vargos zugunsten der Gefangenen ge­rechnet zu haben und hat einen Teil seiner Leibwache in diesem Schiff stationiert.«

»Wir können nichts mehr ändern«, erwi­derte der Tiermeister. »Mein Name ist Corp­kor. Ich hoffe, Sie kennen einen Weg, auf dem ich dieses Schiff verlassen und zu dem Schiff kommen kann, in dem Atlan und die arkonidische Prinzessin festgehalten wer­den.«

»Die Verbindungsröhren sind durch Wachkommandos blockiert«, erklärte Kon­zelk. »Es gibt nur einen Weg, von diesem Raumschiff zu einem anderen zu gelangen: den Flug durch den freien Raum.«

»Das macht nichts«, sagte Corpkor. »Gebt mir ein Beiboot, und ich wage es.«

»Sie verstehen nicht«, entgegnete der Vargane. »Wir haben nur drei schwere Raumanzüge mit Flugaggregaten auftreiben können. Innerhalb der Eisigen Sphäre aber ist es lebensgefährlich, sich nur im Schutz eines Raumanzugs zu bewegen.«

Der Tiermeister preßte die Lippen zusam­men.

Er wußte, daß die Kältestrahlung inner-

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halb der Eisigen Sphäre jedes Lebewesen bedrohte, das es wagte, die Raumschiffe zu verlassen. Er wußte aber auch, daß die Ge­fahr, in der seine Freunde schwebten, nicht weniger groß war. Da Fartuloon und Eis­kralle keine Schutzschirmprojektoren besa­ßen, konnten sie von einem einzigen Treffer aus einer varganischen Energiewaffe getötet werden.

Er straffte die Schultern. »Ich nehme das Risiko auf mich!« erklär­

te er fest. Die Varganen öffneten einen Behälter.

Corpkor sah darin drei goldfarbene Schutz­anzüge. Es waren Anzüge von der Art, wie die Leibwache des Rates sie trug. Aber et­was fehlte im Unterschied zu diesen.

»Ein Keruhm konnten wir leider nicht be­schaffen«, erklärte Konzelk auf Corpkors Frage. »Es wäre auch zwecklos gewesen, da ein Keruhm von einer stationären Energie­versorgungsanlage abhängt, und diese Anla­gen werden allesamt von Ratsleuten kontrol­liert. Aber dieser Schutzanzug ist besser als die Schutzanzüge, die Sie bei Ihrer Gefan­gennahme trugen – mit Ausnahme des Schutzanzugs von Ischtar.«

Der Tiermeister mußte die Erklärung ak­zeptieren. Er ließ sich in einen der Anzüge helfen. Anschließend führten die Varganen ihn über einen anderen Geheimgang zu ei­nem Notschott in der Außenhülle des Dop­pelpyramidenschiffs.

Als das Innenschott der kleinen Schleuse sich öffnete, winkte er den Varganen zu, dann trat er entschlossen vor das Außen­schott und wartete. Es öffnete sich, kurz nachdem das Innenschott sich wieder ge­schlossen hatte.

Corpkor stieß sich ab und schaltete sein Flugaggregat ein. Er kannte die Richtung, in die er steuern mußte, um zu Atlans Schiff zu kommen. Die Varganen hatten sie ihm be­schrieben.

Aber er war noch keine Minute unter­wegs, als die Kältestrahlung der Eisigen Sphäre bereits durch seinen Schutzanzug drang und seinen Körper wie mit Eisnadeln

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bombardierte. Verbissen erhöhte Corpkor seine Flugge­

schwindigkeit …

4.

Fartuloon feuerte auf den Kopf eines Var­ganen, der um die nächste Gangbiegung spähte.

Wie erwartet, richtete der Strahlschuß kei­nen Schaden an. Die Energieschirme der goldfarbenen varganischen Schutzanzüge waren mit Handstrahlern offenbar nicht zu knacken. Immerhin erzielte er den Effekt, daß der Vargane erschrocken zurückwich.

Eiskralle, der sich dicht hinter Fartuloon befand, schob ein neues Energiemagazin in das lange Griffstück seiner Waffe.

»Das letzte!« kommentierte er erbittert. »Wir brauchen nicht mehr lange durchzu­

halten«, erwiderte Fartuloon. »Corpkor müßte eigentlich das Schiff schon verlassen haben.«

Er zuckte zurück, als ein Energiestrahl so dicht an seinem Kopf vorbeifuhr, daß sich seine Gesichtshaut rötete. Schnell schob er die Waffe aus der Deckung und feuerte drei Schüsse ab. Beim viertenmal versagte die Waffe.

Wütend zog er das leergeschossene Ener­giemagazin heraus und ersetzte es durch ein neues, ebenfalls sein letztes. Mehr Magazine hatten die vier überwältigten Posten nicht bei sich gehabt.

Unterdessen hatten die Verfolger die Bie­gung, hinter der Fartuloon und Eiskralle Deckung gesucht hatten, unter massiertes Feuer genommen. Das Material löste sich unter den Strahlschüssen in glutflüssiges Magma auf. Auf dem Boden entstand ein Glutsee, über dem die erhitzte Luft flimmer­te.

Den beiden Männern wurde höllisch heiß. Sie wandten sich nach rechts, in eine Schiffssektion, in der sie schon einmal in ein Gefecht mit Varganen verwickelt gewesen waren. Die erstarrte Schmelze auf dem Bo­den und die Schmelztrichter in den Wänden

und der Decke zeugten von der Erbitterung, mit der hier gekämpft worden war.

Diesmal ließen sich keine Varganen se­hen.

Das änderte sich, als die Männer eine Verteilerhalle erreichten. Sie liefen den Var­ganen nur deshalb nicht in die Arme, weil sie die weitaus größere Kampferfahrung be­saßen und deshalb gewitzter waren als die Elitesoldaten des Rates.

Die Verteilerhalle bot sich einem Gegner als ideale Falle an, denn in sie mündeten acht Gänge, aus denen praktisch überall plötzlich Varganen auftauchen und das Feu­er eröffnen konnten.

Deshalb gaben Fartuloon und Eiskralle aus relativ sicherer Entfernung einige Schüs­se auf die sichtbaren Gangmündungen ab.

Im nächsten Moment stachen die Energie­bahnen aus mindestens dreißig Strahlwaffen aus den Gangmündungen. Da die Varganen ihre Gegner noch nicht gesehen hatten, feu­erten sie blind, wodurch mindestens zehn das Opfer des Übereifers ihrer Kameraden wurden.

Die Freunde kümmerten sich nicht um das Chaos aus Strahlschüssen, Wut- und Schmerzensschreien, sondern kehrten sofort um. Niemand folgte ihnen. Offenbar war der Anführer der Gruppe, die sich auf die Lauer gelegt hatte, ausgefallen, und niemand war da, der den Befehl zur allgemeinen Feuer­einstellung gab. Solange aber auch nur ein Vargane blindlings in die Verteilerhalle schoß, konnten sich die übrigen nicht hin­auswagen, um die Verfolgung der Ausbre­cher aufzunehmen.

Das gab den Freunden einen gewissen Vorsprung. Sie fanden Zeit, sich nach einem Weg umzusehen, auf dem sie aus der Um­klammerung ausbrechen konnten. Die Anti­gravlifts schieden aus, denn sie waren vor kurzer Zeit desaktiviert worden. Fartuloon und Eiskralle versuchten es bei einem Ma­gnetschacht, der normalerweise Transport­kapseln vorbehalten war.

Sie kamen gut voran und legten rund drei­hundert Meter zurück, bevor sie merkten,

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daß sie sich in eine hoffnungslose Lage be­geben hatten. Von beiden Seiten schossen schwere Transportkapseln heran, ließen kei­nen Raum, der einem Insekt ein Durch­schlüpfen gestattet hätte.

Fartuloon und Eiskralle eröffneten das Feuer. Es gelang ihnen tatsächlich, die bei­den Transportkapseln bewegungsunfähig zu schießen, doch erreichten sie damit nur, daß sie nicht zwischen ihnen zerquetscht wur­den. Die glühenden Wracks stellten unüber­windliche Hindernisse dar.

Als sie kurz darauf über Rundruflautspre­cher aufgefordert wurden, sich zu ergeben, gehorchten die Freunde. In ihrer Lage hätten sie mit weiterem Widerstand niemandem mehr geholfen, sondern praktisch Selbst­mord begangen.

Die Varganen warteten, bis die Wracks abgekühlt waren, dann kamen Arbeitstrupps, zerschnitten sie und schafften sie fort. Zu­letzt erschienen etwa zwanzig schwerbe­waffnete Varganen und führten die Freunde ab.

Fartuloons und Eiskralles Hoffnung, we­nigstens wieder zu Ischtar gebracht zu wer­den, erfüllte sich allerdings nicht. Sie wur­den in das benachbarte Doppelpyramiden­schiff gebracht und in einem Raum einge­schlossen, der nicht nur durch dicke Stahl­wände gegen Ausbruchsversuche gesichert war, sondern zusätzlich durch fest in den Wänden installierte Beobachtungsgeräte und Lähmwaffen.

»Diesmal sitzen wir endgültig fest«, meinte Fartuloon grimmig.

Wegen der Beobachtungsgeräte wagte er nicht, Corpkor zu erwähnen. Er hoffte, daß dem Tiermeister die Flucht gelungen war und daß er mit Atlan und Crysalgira – und entsprechend schwerer Ausrüstung – zu­rückkehren und sie befreien würde.

Fartuloon konnte ebensowenig wie Eis­kralle ahnen, daß Corpkor zu dieser Zeit mehr tot als lebendig war.

*

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Als Corpkor das Gefühl hatte, in einen Block aus Trockeneis eingemauert zu sein, wußte er, daß er umkehren mußte, wenn er nicht im freien Raum der Eisigen Sphäre umkommen wollte.

Sein Gehirn schickte über die entspre­chenden Nerven einen Befehl an die Hände, den Kurs zu ändern. Der Befehl erreichte die Sehnen und Muskeln auch, aber die Kälte­strahlung hatte die Moleküle des Gewebes eines großen Teils ihrer kinetischen Energie beraubt, so daß die Molekularbewegung stark verlangsamt war. Entsprechend träge reagierten die Muskel- und Sehnenzellen.

Corpkor merkte, daß das Rückkopplungs­system zwischen seinem Gehirn und seinen Extremitäten nicht mehr zweckentsprechend funktionierte. Immer wieder glitten seine steifen Finger an den Schaltungen der Gür­telschnalle vorbei.

Dazu kam, daß die Schmerzen, die die Kältestrahlung ihm verursachte, sich auf ein fast unerträgliches Ausmaß steigerten. Die Wirkung der Kälte verwandelte sich in sei­nem Zentralnervensystem in die Wirkung von flüssigem Feuer, das seine Haut ver­brannte und aufplatzen ließ.

Außerdem reagierte sein Geist langsamer als zuvor. Corpkor schob das auf die in der Kälte allmählich zäher werdende Gehirn­flüssigkeit. Das war ein Alarmzeichen, das ihm bewies, wie nahe der Tod ihm schon ge­kommen war. Er erinnerte sich an eine Ex­pedition auf einen eisigen Planeten, bei dem mehrere Teilnehmer wie vom Blitz getroffen tot umgefallen waren, weil ihre Gehirnflüs­sigkeit gefroren war.

Diese Gedanken befähigten ihn zu einer letzten Willensanstrengung, zu einem Auf­bäumen des gesamten Organismus. Plötzlich konnte er seine Finger wieder bewegen und erreichte die lebensnotwendigen Schaltun­gen.

Er bremste ab und wendete. Durch die winzigen Eiskristalle hindurch, die seine Augäpfel bedeckten, konnte Corpkor das Doppelpyramidenschiff sehen, aus dem er gekommen war. Er hoffte jedenfalls, daß es

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sich um das betreffende Schiff handelte, denn wenn er an ein anderes Schiff geriet, würde niemand da sein, der ihm die Schleu­se öffnete.

Der Tiermeister hatte jedoch weder die Zeit noch die Kraft, eine Positionsmessung durchzuführen. Er konnte nur noch den Kurs halten und beschleunigen, während die Käl­testrahlung seinen Körper völlig durchdrang und ihm bis ins Mark kroch.

Als das Doppelpyramidenschiff gleich ei­ner gigantischen Stahlwand vor ihm aufrag­te, besann Corpkor sich praktisch im letzten Augenblick darauf, daß er verzögern mußte, wollte er nicht mit hoher Geschwindigkeit aufprallen und dabei umkommen.

Wieder befähigte ihn nur die verzweifelte Todesangst dazu, die entsprechenden Schal­tungen durchzuführen. Im nächsten Moment – oder eine halbe Ewigkeit später, denn jeg­liches Zeitgefühl war ihm abhanden gekom­men – stieß der Tiermeister gegen die Au­ßenwand des Varganenschiffs.

Er prallte ab, wurde von den Flugaggrega­ten wieder gegen die Wandung gedrückt und schabte hilflos an ihr entlang. Diesmal half ihm auch die Todesangst nicht, seine Hände dazu zu zwingen, den Feldanker zu aktivie­ren.

Corpkor wäre an der Wandung entlangge­glitten und schließlich im freien Raum zwi­schen den Schiffen des Pulks verschwunden, wenn sich in seiner Nähe nicht eine Schleu­se geöffnet hätte. Ein Magnetanker flog an einem Seil heraus, traf auf den halbtoten Mann und hielt ihn fest.

Der Tiermeister verlor das Bewußtsein nicht. Aber er nahm die Varganen, die ihn in die Schleusenkammer zogen und sein Flug­aggregat ausschalteten, nicht mehr als Gebil­de der Realität war, sondern als Traumfigu­ren.

Auch der Transport in den Hohlraum der Bordpositronik verlief für ihn wie etwas, das keinerlei Bezug zur Realität besaß.

Erst als der Frost allmählich aus seinen Gliedern wich und diejenigen Zellen, deren Flüssigkeit gefroren war, unter der plötzli­

chen Ausdehnung platzten, wurde Corpkor unsanft aus dem scheinbaren Traum geris­sen.

Er schrie sich vor Schmerzen beinahe die Seele aus dem Leib – und diesmal verlor er das Bewußtsein.

Als er wieder zu sich kam, waren die Schmerzen bis auf ein Ziehen und Kribbeln abgeklungen. Zwei Varganen standen neben ihm und musterten ihn mit besorgten Blicken. Corpkor versuchte zu lächeln und hatte das Gefühl, seine Gesichtshaut würde von glühenden Klingen zerschnitten. Ein dumpfes Stöhnen entrang sich seiner Kehle.

»Bitte, bleiben Sie ruhig liegen!« sagte ei­ner der Varganen. »Sie sind in Sicherheit, aber noch lange nicht gesund. Die Kälte­strahlung hat Ihre Haut irreparabel geschä­digt. Wahrscheinlich werden Sie bis zu Ih­rem Tode die Narben tragen müssen, die die Eisige Sphäre Ihnen zugefügt hat.«

»Besser Narben in der Haut als in der Seele«, flüsterte der Tiermeister mit sparsa­men Mundbewegungen. »Liegen Nachrich­ten über meine Freunde vor?«

»Sie mußten ihren Widerstand aufgeben, wurden gefangengenommen und in dem be­nachbarten Schiff untergebracht«, antworte­te der Vargane, den Corpkor als Konzelk wiedererkannte.

»Hauptsache, sie leben noch«, flüsterte Corpkor erleichtert. »Haben Sie etwas über Ischtar gehört?«

Als beide Varganen auf die letzte Frage nicht reagierten, wurde der Tiermeister un­ruhig.

»Antworten Sie!« stieß er unvorsichtiger­weise laut hervor und hatte gleich darauf wieder das Gefühl, seine Gesichtshaut wür­de von glühenden Messerklingen zerfetzt.

Konzelk räusperte sich. »Sie befindet sich noch in ihrem Gefäng­

nis, und sie lebt noch«, erklärte er. »Was heißt, sie lebt noch?« drängte Corp­

kor. »Meinen Sie, ich könnte die Wahrheit nicht vertragen, wenn sie schlimm ist! Re­den Sie endlich!«

»Wir haben erfahren, daß Magantilliken,

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der Henker, auf dem Weg zu Ischtar ist«, antwortete der Vargane tonlos.

Corpkor lag eine Weile still. Er fühlte sich so hilflos, wie nie zuvor in seinem Leben. Magantilliken, der Henker der Varganen, war unterwegs zu Ischtar. Er würde sie zweifellos töten – und alle, die hätten versu­chen können, das zu verhindern, waren aus­geschaltet: er selbst, Fartuloon und auch Eis­kralle.

Aber Atlan lebte! Doch Atlan konnte nicht ahnen, daß der

Henker bereits unterwegs war, um das Urteil an seiner Geliebten zu vollstrecken.

Mit unsäglicher Mühe richtete der Tier­meister sich auf, ohne auf die Schmerzen zu achten, die seinen Körper erneut durchtob­ten.

»Bringt mir einen Valtor!« stieß er mit heiserer Stimme hervor. »Und etwas zu schreiben! Ich muß Atlan davon unterrich­ten, welche Gefahr Ischtar droht.«

*

Hilflos hatte Ischtar mitanhören müssen, wie das Schiff sich mit Gefechtslärm füllte.

Anfangs konnte sie durch die angelehnte Stahltür auf den Flur sehen und die schwer­bewaffneten Varganen beobachten, die durch den Hauptkorridor stürmten.

Sie wußte, als sie die Ausrüstung der Var­ganen sah, daß ihre Freunde keine Chance hatten, aus dem Schiff zu entkommen. Die Kämpfer in den goldfarbenen Schutzanzü­gen trugen allesamt auf dem Rücken jenes schildbuckelähnliche Aggregat, das allge­mein als Keruhm bezeichnet wurde, in Wirklichkeit aber nur das Steuergerät des Keruhms war, das zu groß und schwer war, um von einem Mann getragen zu werden und deshalb in einem sogenannten Keruhm­raum fest installiert war.

Das Rückenaggregat wurde vom Keruhm je nach Bedarf aufgeladen und konnte einen Energieschirm erzeugen, der sowohl als raumtüchtige Sphäre wie auch als eng anlie­gender Schutzschirm dienen konnte, als ein

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Schutzschirm, der so stark war, daß er sogar die Gewalt einer kleinen nuklearen Explosi­on von seinem Träger fernhielt.

Mit den Waffen, die den Freunden zur Verfügung standen, vermochten sie keinen Keruhm-Schutzschirm zu durchdringen. Sie waren der überlegenen varganischen Tech­nik hilflos ausgeliefert. Die varganischen Kämpfer wußten das natürlich. Deshalb konnten sie ohne Furcht um ihr eigenes Le­ben vorgehen.

Ischtar hoffte nur noch, daß ihre Freunde die Aussichtslosigkeit ihrer Lage bald genug begreifen und den Kampf aufgeben würden.

Aber der Kampflärm, der einmal hier und einmal dort anschwoll und wieder verebbte, bewies ihr, daß Fartuloon, Eiskralle und Corpkor nicht daran dachten, aufzugeben.

Ischtar wußte, daß ihre Freunde tapfere Kämpfer waren, die auch vor großen Risi­ken nicht zurückschreckten. Aber sie wußte auch, daß sie Gegner sinnloser Heldentaten waren. Sie ahnte deshalb, daß die Freunde irgendeinen Plan verfolgten, um zu retten, was noch zu retten war.

Dennoch bangte sie um ihr Leben, denn es bestand die akute Gefahr, daß die drei Männer bei ihren Manövern in einen Hinter­halt gerieten und zusammengeschossen wur­den.

Als der Gefechtslärm nach einiger Zeit schlagartig verstummte, kehrte Ischtar in ihr Gefängnis zurück. Sie wußte nicht, ob die Freunde den Kampf aufgegeben hatten oder ob sie tot waren. Wäre Chapat nicht bei ihr gewesen, hätte sie sich auf den Weg ge­macht und versucht, etwas über das Schick­sal der drei Männer zu erfahren. So aber mußte sie an die Sicherheit ihres Sohnes denken.

Nachdem sie Chapat gewaschen und ge­füttert hatte, nahm sie ihn auf die Arme, setzte sich auf einen Stuhl und wiegte ihn sanft, damit er einschliefe. Das Baby ver­hielt sich sehr ruhig für einen Säugling, schaute seine Mutter nur aus großen Augen an und schmatzte ab und zu genießerisch.

Lächelnd betrachtete die Varganin ihr

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Kind. Deshalb bemerkte sie auch, wie es plötzlich zusammenzuckte und wie seine Augen dunkel vor Furcht wurden.

Im nächsten Augenblick empfing sie einen starken telepathischen Ruf.

»Magantilliken!« Sie erschrak heftig. »Was ist mit Magantilliken?« fragte sie

laut. »Er ist auf dem Weg hierher«, antwortete

Chapat telepathisch. Ischtar fühlte, wie kalte Todesfurcht in ih­

re Glieder fuhr. Eine Zeitlang saß sie wie gelähmt da, unfähig, etwas von dem, was ringsum geschah, bewußt wahrzunehmen. Dann erwachte sie zu hektischer Betrieb­samkeit.

Sie lief los, hob ächzend die schwere Stahlplatte auf, schaffte es aber nicht, sie zu halten. Deshalb ließ sie sie fallen und schob sie auf dem Boden bis an die Tür. Dort stemmte sie sie hoch und lehnte sie an die Tür. Danach schleppte sie alle Gegenstände, die sie bewegen konnte, ebenfalls zur Tür und häufte sie dort zu einer Barrikade auf.

Zuletzt nahm sie eine Matratze und legte sie in den Waschraum. Dann bettete sie Cha­pat darauf.

»Er will uns beide umbringen!« teilte Chapat ihr mit.

»Ich werde ihn schon aufhalten«, erwider­te Ischtar, konnte aber nicht verhindern, daß sie dachte: »Lange wird die Barrikade dem Henker nicht widerstehen.«

»Du mußt ihn töten!« forderte Chapat sie auf. »Wenn er in seinem eigenen Körper stirbt, ist er für immer tot.«

»Ja!« sagte Ischtar. »Ich will es versu­chen!«

Sie lief in den Raum zurück, rüttelte an einem der im Boden verankerten Tischbeine.

Als sie von draußen Schritte hörte, verlieh die Furcht ihr neue Kräfte. Sie zog und drückte an dem Tischbein, bis es aus der Verankerung brach. Es war genau wie die Tischplatte aus Stahl und entsprechend schwer. Aber wenn die Varganin es in beide Hände nahm, ließ es sich als Hiebwaffe ver­

wenden. Ischtar stellte sich in der Nähe der Barri­

kade an die Wand. Ihr Herz schlug so heftig, daß sie es zu hören glaubte.

Die Schritte kamen näher – und hielten vor der Tür an. Dann drückte jemand von außen gegen die Tür. Sie gab nur einen Fin­gerbreit nach.

Draußen lachte jemand, eine Männerstim­me.

»Damit hältst du mich nicht auf, Ischtar!« Die Varganin mußte sich mit aller Wil­

lenskraft beherrschen, um nicht laut zu schreien. Sie zitterte, wußte aber nicht, ob es vor Furcht oder vor Zorn war.

Magantilliken warf sich gegen die Tür. Die Barrikade schwankte, hielt aber stand. Noch einmal warf sich der Henker kraftvoll gegen die Tür. Wieder erfolglos.

»Ischtar?« rief Magantilliken. Die Varganin preßte die Lippen zusam­

men und schwieg. »Ich weiß, daß du da drin bist, Ischtar!«

rief der Henker. »Wenn du schlau bist, gehst du von der Barrikade weg. Ich sprenge das Hindernis mit meinem Detonator weg.«

Eine Weile blieb es still. Wahrscheinlich wartete Magantilliken auf eine Reaktion. Aber Ischtar schwieg beharrlich. Plötzlich krachte es laut. Eine imaginäre Riesenfaust knüllte die Tür zusammen und verwandelte die Barrikade in einen Haufen verbogener und zerschmetterter Trümmer, das Werk ei­nes Detonators, der im Zielgebiet ein starkes Implosionsfeld erzeugte.

Ischtar wagte kaum zu atmen. Schritt für Schritt schob sie sich an der Wand entlang, bis auf die Bresche zu, die Magantillikens Detonator gerissen hatte. Als sie die Bresche erreicht hatte, packte sie das Tischbein fester und hob es über ihren Kopf.

Aber sie reagierte viel zu langsam, als der Henker pfeilgleich durch die Öffnung schoß, sich mitten im Zimmer über die Schulter ab­rollte und wieder auf die Füße kam. Ihre Hiebwaffe traf ins Leere.

Magantilliken stand breitbeinig im Zim­mer, den Detonator in der Hand, und lächel­

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te grausam. »Diesmal entkommst du mir nicht, Ischt­

ar!« versprach er. Dann kam er langsam auf die Varganin zu …

5.

Die künstliche Morgendämmerung wirkte verblüffend echt. Genau wie in der freien Natur eines Planeten vom Arkontyp verblaß­te das Leuchten der Sterne, während sich auf einer Seite des künstlichen Horizonts ein leuchtender blauer Streifen bildete.

Bald darauf zuckten hellere Strahlenbün­del über den künstlichen Himmel. Der obere Rand einer blauweißen Sonne erschien, stieg höher und höher und enthüllte einen strah­lend blauen Himmel, der einen trockenen und warmen Tag versprach.

Ich bewunderte das imitierte Naturschau­spiel nur kurz, denn ich mußte meine Auf­merksamkeit der Seite des künstlichen Para­dieses widmen, von der die Freunde kom­men konnten.

Ich lag in einer grasbedeckten Bodenmul­de in der Nähe eines Baches, dessen Uferge­strüpp mich gegen die Blicke neugieriger Varganen schützte. Crysalgira hatte sich einen Beobachtungsplatz auf der gegenüber­liegenden Seite des Paradieses gesucht. Die Freunde mußten entweder auf ihrer oder auf meiner Seite auftauchen. Wir hatten verein­bart, daß derjenige, der sie zuerst entdeckte oder der auf seiner Seite Kampflärm hörte, den anderen mit einem Pfeifsignal verständi­gen sollte.

Aber inzwischen war die künstliche Nacht verstrichen, ohne daß Fartuloon, Corpkor und Eiskralle aufgetaucht wären. Allmählich wurde ich unruhig.

Ich kannte zwar die ungeheuren Strapa­zen, die mit einem Marsch durch die Schiffe und Verbindungsröhren des Pulks verbun­den waren. Vor allem die Verbindungsröh­ren stellten ernsthafte Schwierigkeiten dar, denn in ihnen war es erheblich kälter als in den Doppelpyramidenschiffen. Wer durch mehr als dreißig solche Röhren ging, der

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konnte durchaus Erfrierungen erleiden, auch wenn er einen Schutzanzug trug.

Dennoch hätte nach meinen Berechnun­gen die Nacht ausreichen müssen, um die Freunde zu uns kommen zu lassen. Es sei denn, sie hatten Umwege wählen müssen – oder sie waren in Kämpfe verwickelt und dadurch aufgehalten worden.

Ich hob den Kopf, als ich weit vor mir ein Geräusch hörte. Aber es waren nur drei Var­ganinnen, die unbekleidet aus ihrer Hütte liefen und sich in einen winzigen See stürz­ten, um zu baden. Als ich mich dabei ertapp­te, wie ich den Anblick der makellos gebau­ten Körper genoß, sank ich verärgert über mich wieder in mein Versteck zurück.

Allmählich steigerte sich meine Unruhe zu der Furcht, meinen Freunden könnte et­was zugestoßen sein. Ich erinnerte mich noch lebhaft an meinen vergeblichen Vor­stoß und an das, was ich dabei durchge­macht hatte.

Was sollte ich unternehmen, wenn die Freunde nicht kamen?

Nichts! erklärte mir der Logiksektor mei­nes Extrahirns.

Das war zwar logisch, aber wenn ich nichts unternahm, was sollte dann aus Crys­algira werden? Meine ursprüngliche Vermu­tung, daß in das künstliche Himmelsgewölbe mehrere Emotiostrahler eingebettet waren, die Crysalgira und mich im Sinne der Var­ganen beeinflussen sollten, hatte sich wäh­rend der nächtlichen Wache zur Gewißheit erhärtet. In der Finsternis zwischen den künstlichen Sternen waren die kreisrunden flimmernden Flecken der Abstrahlfelder deutlicher zu sehen gewesen als am Tage.

Während ich hoffen durfte, daß mein zu­sätzlich aktivierter Gehirnsektor die Wir­kung der Emotiostrahlung kompensieren oder wenigstens dämpfen konnte, gab es für die Prinzessin diese Hoffnung nicht. Ich schätzte, daß sie nach weiteren drei bis vier Tagen der Beeinflussung erliegen würde.

Sie würde dann nichts mehr dabei empfin­den, sich den Varganen als Gebärmaschine zur Verfügung zu stellen, denn die Emotio­

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strahlung würde ihre Gefühle so konditio­nieren, daß die Vereinigung mit Varganen Glücksgefühle auslöste. Das aber würden den späteren seelischen Konflikt nicht ver­hindern, sondern nur verschlimmern.

Wieder hörte ich ein Geräusch, und wie­der hob ich den Kopf aus der Deckung.

Ich atmete auf, als ich den Valtor erblick­te, der sich nahe bei mir ins Gras duckte. Als er mich entdeckte, richtete er sich auf den Hinterbeinen auf.

Ich sah, daß er einen Plastikstreifen um den Hals trug. Demnach schickten meine Freunde mir eine neue Nachricht. Wenig­stens würde ich endlich erfahren, ob und wann ich mit ihnen rechnen durfte.

»Komm zu mir!« flüsterte ich. Der Valtor spitzte die Ohren. Seine

schwarze Nase sog meinen Geruch ein. Dann ließ er sich wieder auf alle viere fallen und eilte zu mir, wo er sich auf den Rücken wälzte.

Aufgeregt knüpfte ich das Plastikband los und entrollte es. Mein Blick fiel auf die ar­konidischen Schriftzeichen, und bevor ich die neue Nachricht gelesen hatte, ahnte ich schon, daß es keine gute sein würde. Die Schriftzeichen waren derart verworren und unregelmäßig, als hätte ein Geisteskranker sie hingeworfen.

Mühsam entzifferte ich die Botschaft. »An Atlan! Dringend! Ausbruch geschei­

tert, können nicht helfen. Magantilliken auf dem Wege zu Ischtar. Gefahr! Versuche, sie zu retten! Corpkor.«

Die Schrift verschwamm vor meinen Au­gen infolge der erhöhten Sekretion meiner Tränendrüsen, die bei Erregung stets so rea­gierten.

Wenn Magantilliken unterwegs zu Ischtar war, dann drohte der Geliebten tatsächlich größte Gefahr. Der Henker würde nicht zö­gern, sie umzubringen – und niemand war bei ihr, der ihr beistehen konnte.

Niemand? Du kannst ihr nicht helfen! teilte mir mein

Logiksektor mit. Wütend auf meine innere Stimme und auf

mich selbst richtete ich mich auf. Der Valtor sprang erschrocken hoch und floh. Ich zer­knüllte den Plastikstreifen in meiner Hand.

»Ich werde Ischtar helfen, und wenn ich dabei umkomme!« stieß ich halblaut hervor.

Die drei Varganinnen, die in der Nähe ba­deten, erblickten mich und kreischten in ty­pisch weiblicher Reaktion auf, obwohl sie doch eigentlich dankbar für den Zufall sein sollten, der mir ihre Reize enthüllte.

Drei sind sowieso zuviel! übermittelte mein Logiksektor. Das war charakteristisch für ihn. Er brachte seine streng logischen Analysen auch dann noch an, wenn sie auf­grund des Aufruhrs meines Gefühlslebens wirkungslos bleiben mußten.

Dennoch konnte ich nicht verhindern, daß mir die Äußerung meines Extrahirns durch den Kopf ging.

Und dabei kam mir plötzlich eine Idee, wie ich es trotz aller Widrigkeiten anstellen könnte, Ischtar dennoch zu Hilfe zu eilen …

*

Mein Plan war zuerst noch vage, aber auf dem Wege zu Crysalgira reifte er allmählich und nahm feste Umrisse an.

Selbstverständlich durfte ich erst dann handeln, wenn ich die Prinzessin informiert hatte. Sie würde sonst völlig ratlos sein, wenn sie nach mir suchte und mich nicht fand.

Aber ich hatte es eilig. Deshalb legte ich die Entfernung zur gegenüberliegenden Sei­te des künstlichen Paradieses im Laufschritt zurück.

Crysalgira bemerkte mich, als ich noch zirka zweihundert Meter von ihrem Beob­achtungsplatz entfernt war. Sie schien aus meinem Verhalten zu schließen, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen war, denn sie gab ihre Deckung auf und lief mir entgegen.

»Du hast kein Pfeifsignal gegeben!« rief sie mir zu. »Was ist passiert, Atlan?«

Ich blieb wenige Schritte vor ihr stehen. »Der Ausbruch ist gescheitert!« stieß ich

atemlos hervor. »Ischtar befindet sich in Ge­

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fahr. Magantilliken ist auf dem Wege zu ihr.«

Crysalgira wurde blaß. »Und wir können ihr nicht helfen«, flü­

sterte sie. »Doch, vielleicht kann ich ihr helfen«,

entgegnete ich. Danach erläuterte ich ihr meinen Plan.

Die Prinzessin hörte aufmerksam zu. An ihren Augen sah ich allerdings, daß ihre Skepsis wuchs, je weiter ich kam. Als ich meine Erläuterungen beendet hatte, meinte sie:

»Ich zweifle nicht daran, daß der erste Teil deines Planes funktionieren wird, Atlan. Aber der zweite Teil ist so schwierig und birgt so viele Gefahren, daß ich nicht weiß, ob du das alles tatsächlich auf dich nehmen solltest, obwohl du wahrscheinlich sowieso zu spät kommen wirst.«

Die letzte Bemerkung stürzte mich beina­he in Panik, denn ich wußte, daß Crysalgira recht hatte. Aber ich wußte auch, daß ich es dennoch versuchen würde.

»Ich muß es einfach schaffen, Kleines«, erklärte ich. »Du bleibst auf jeden Fall hier, egal, was geschieht. Ich muß jederzeit wis­sen, wo ich dich wiederfinden kann. Alles Gute, Crysalgira!«

Ich drehte mich um und ging. »Viel Glück, Atlan!« rief die Prinzessin

mir nach. Ich blickte nicht zurück, sondern ging mit

weitausgreifenden Schritten zur anderen Sei­te des Paradieses zurück. Wie ich erhofft hatte, waren die drei Varganinnen noch am See. Sie hatten zwar das Wasser verlassen, standen aber noch am Ufer und rieben sich mit großen Tüchern gegenseitig trocken.

Ich versuchte, unbekümmert und fröhlich dreinzuschauen und ging zielstrebig auf die Gruppe zu. Ich war sicher, daß ich nach au­ßen Sicherheit ausstrahlte. Innerlich war ich ziemlich verunsichert, denn das, was ich vorhatte, war nicht mehr und nicht weniger, als einen Vorgang, der normalerweise viel Zeit brauchte, innerhalb einer Zeitspanne ab­zuwickeln, der sonst gerade für das Vorge-

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plänkel ausgereicht hätte. Die mittlere Varganin war mir, wenn auch

nicht bewußt, sofort aufgefallen. Sie steuerte ich an.

Die Varganinnen blickten mir neugierig und verwundert entgegen. Sie waren un­sterblich und mochten in ihrem langen Le­ben schon zahlreiche Liebschaften gehabt haben. Dennoch mußte es ihnen ungewöhn­lich erscheinen, daß ein Mann sich ihnen nahte, wenn sie nackt in einer Gruppe bei­sammenstanden.

Wenige Schritte vor den Varganinnen blieb ich stehen, neigte den Kopf und sagte:

»Bitte, verzeihen Sie mir die ungewöhnli­che Annäherung, meine Damen. Aber ich kann nicht zulassen, daß Sie mir wieder aus den Augen geraten.«

Danach wandte ich mich der Varganin zu, die ich als Zielobjekt erwählt hatte.

»Ist es sehr ungehörig, wenn ich Sie um ein Gespräch unter vier Augen bitte?« fragte ich scheinheilig.

Die Varganin warf mir einen koketten Blick zu.

»So, wie ich bin?« erkundigte sie sich verschämt. Aber ihre Verschämtheit war ge­spielt, erkannte ich.

Sie wird sich die Gelegenheit nicht entge­hen lassen, ihre Rivalinnen aus dem Felde zu schlagen! teilte mir mein Logiksektor mit. Dazu ist die Konkurrenz für sie viel zu groß.

»Sie können sich ja ein Tuch umhängen«, erwiderte ich.

»O ja, das ist ein guter Gedanke!« flötete sie.

Aber bevor sie ihn in die Tat umsetzte, gab sie mir noch ausführlich Gelegenheit, ihren gutgebauten Körper zu bewundern.

Dann warf sie ihren Rivalinnen einen tri­umphierenden Blick zu und näherte sich mir. Die beiden anderen Varganinnen schickten ihr giftige Blicke nach.

Da ich mir keine lange Vorbereitung er­lauben durfte, legte ich ihr sofort einen Arm um die Hüften und führte sie aus der Hör­weite ihrer Rivalinnen.

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Unter einem blühenden Baum hielt ich an. Ich legte auch den anderen Arm um sie, blickte ihr tief in die Augen und hoffte, daß mein Charme genügend Überzeugungskraft besaß.

»Ich bewundere Sie!« flüsterte ich mit ge­spielter Erregung. »Als ich Sie vorhin im Wasser sah, wurde mir klar, daß Sie die Schönste hier sind. Zwar habe ich noch im­mer Bedenken, mich als Zuchtobjekt herzu­geben, aber das betrifft Sie nicht mehr. Bei Ihnen ist es etwas anderes.«

Vielleicht kamen ihr Zweifel, aber meine Worte gingen ihr einfach zu leicht hinunter, als daß sie sich ihrer Wirkung entziehen konnte. Außerdem wußte sie, daß die Kon­kurrenz nur darauf lauerte, mich ihr wieder abzujagen. Es war klar, daß sie mir unter diesen Umständen nichts abschlagen würde.

»Ich liebe dich, Atlan!« hauchte sie. Beinahe hätte ich laut und sarkastisch ge­

lacht. Ihr Geständnis war zu banal, als daß ich es für bare Münze genommen hätte. Aber es kam meinen Absichten entgegen.

»Ich liebe dich auch«, versicherte ich ihr treuherzig. »Aber unsere Liebe kann hier keine Erfüllung finden. Ich würde immer denken, daß Hunderte von Augen zusehen und Hunderte von Ohren zuhören würden. Gibt es nicht einen Platz außerhalb dieses Ortes, wo wir ungestört zusammen sein kön­nen?«

Einen Augenblick lang überlegte sie, dann sagte sie:

»Ja, meine Privatgemächer. Dort würden wir ungestört sein. Aber ich weiß nicht, ob die Posten uns hinauslassen werden.«

»Es kommt auf einen Versuch an«, erwi­derte ich. »Du mußt ihnen klarmachen, daß du deine Pflicht nur dann erfüllen kannst, wenn du auf meine Wünsche eingehst, Komm!«

*

Die Wachtposten am Ausgang des Para­dieses wollten uns zurückweisen. Aber die Varganin schaffte es tatsächlich, ihnen über­

zeugend klarzumachen, daß man im Interes­se der Sache des varganischen Volkes Rück­sicht auf meine Wünsche nehmen müsse.

Als wir die Posten passiert hatten, führte die Varganin mich zu einem Antigravlift in der anderen Schiffshälfte und schwebte mit mir neunzehn Decks höher. Sie hielt dabei meine Hand fest in der ihren, als fürchtete sie, mich zu verlieren.

Niemand begegnete uns unterwegs, was ich als günstigen Umstand registrierte. Vor einem Schott blieb die Frau stehen, drückte einen Kodeimpulsgeber dagegen und zog mich durch die Öffnung, als es aufgeglitten war.

Wir kamen in eine luxuriös eingerichtete Privatkabine, die groß genug und so kon­struiert war, daß man von einem Punkt aus immer nur jeweils ein Drittel des Raumes überschauen konnte. Ich sah eine erstklassi­ge Automatbar, einen Speiseautomaten, einen Fiktivspiegel, bequeme niedrige Ses­sel und Tischchen und ein riesiges Bett.

»Da wären wir, Atlan!« sagte die Varga­nin. Ihr Busen hob und senkte sich, und ihr Gesicht glühte.

Sie tat mir beinahe leid. Ich fühlte mich schuldbewußt, weil ich mit ihren Gefühlen spielte, ohne sie zu erwidern. Das ist immer eine schlimme Sache, und ich konnte sie tat­sächlich nur damit rechtfertigen, daß ich für Ischtar in Notwehr handelte.

»Wie heißt du eigentlich?« fragte ich. »Alkyara«, antwortete die Schöne. Ihre

Hände glitten liebkosend durch mein Haar, fuhren über den Nacken und den Rücken hinab.

»Bist du eine aktive Raumfahrerin?« er­kundigte ich mich.

»Selbstverständlich«, antwortete Alkyara. Dann runzelte sie die Stirn. »Warum bist du plötzlich so kalt, Atlan?«

Ich befreite mich von ihr. »Es tut mir leid, Alkyara«, erwiderte ich.

»Aber ich liebe dich nicht. Ich habe dich nur benutzt, um aus dem künstlichen Paradies zu kommen, da meine Freundin Ischtar von Magantilliken bedroht wird.«

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»Oh!« entfuhr es ihr. Sie wich zurück und starrte mich aus großen feuchten Augen an.

Ich seufzte. »Du bist schön und begehrenswert – und

das ist die Wahrheit, Alkyara. Aber ich kann nicht einmal an Liebe denken, wenn Ischtar in Lebensgefahr schwebt. Verzeih mir, aber ich muß dich fesseln, damit du nicht die Wa­chen alarmierst.«

Ich sah an ihrem Gesicht, daß sich in ih­rem Innern ein heftiger Kampf abspielte. Ih­re Augen spiegelten zuerst tiefe Enttäu­schung, dann die blinde Wut der Ver­schmähten. Danach setzte sich Resignation durch, gefolgt von einem Glitzern der Be­rechnung.

Ich wußte genau, was sie dachte, auch wenn sie es nicht offen aussprach.

»Ich verstehe dich, Atlan«, erklärte sie. »Und ich verspreche dir, daß ich die Wa­chen nicht alarmieren werde. Du brauchst mich nicht zu fesseln. Ich werde dir sogar helfen und dir verraten, auf welchem Wege du unbehelligt in das Schiff kommst, in dem Ischtar gefangengehalten wird.«

Im Klartext hieß das, daß sie alles unter­lassen wollte, was einer denkbaren späteren Romanze zwischen uns hinderlich gewesen wäre. Indem sie großzügig verzichtete und mir weiterhalf, hoffte sie, mich ihr gegen­über dankbar zu stimmen, so daß ich mich ihr verpflichtet fühlen würde.

Die Situation gestattete mir keine Skrupel. »Ich werde dir ewig dankbar sein, Alkya­

ra«, versicherte ich. »Wie komme ich an Waffen?«

Alkyara ging zu einem unsichtbar instal­lierten Einbauschrank und aktivierte den Öffnungsmechanismus. Ich folgte ihr vor­sichtshalber, denn ich konnte es mir nicht er­lauben, mich überrumpeln zu lassen.

In dem Schrank erblickte ich zwei gold­farbene Schutzanzüge, die zweifellos Alkya­ra gehörten. Ein Aggregattornister lag dar­unter, und in den Halftern eines Waffengür­tels steckten je eine Lähm- und eine tödliche Energiewaffe.

Aber es war auch ein Schutzanzug da, der

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nur einem männlichen Varganen gehören konnte.

»Er gehörte Vytron, einem ehemaligen Lebensgefährten«, erklärte die Varganin. »Er kam bei einem Unfall ums Leben.«

»Tut mir leid«, sagte ich und strich ihr dankbar übers Haar.

»Er war ein Scheusal«, gab Alkyara zu­rück. »Bitte, bediene dich!«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich streifte den Schutzanzug von Alkyaras Ver­blichenem über und schnallte mir auch das dazugehörige Flugaggregat, den Schutz­schirmprojektor und den Waffengurt um. Die Gürtelhalfter enthielten eine Lähmwaffe und einen Detonator. In einer Beintasche des Schutzanzugs entdeckte ich außerdem drei Wurfmesser – Waffen, die von Varganen normalerweise nicht benutzt wurden. Wahr­scheinlich hatte Alkyaras Verblichener sie irgendwann auf einem Primitivplaneten er­beutet.

Die übrigen Beintaschen füllte ich mit Energiemagazinen, die reichlich herumla­gen. Nach kurzem Überlegen steckte ich auch Alkyaras Waffen zu mir.

Anschließend erklärte und beschrieb die Varganin mir den Weg, wie sie es verspro­chen hatte. Ich erfuhr erstmals, daß es soge­nannte Kurzstreckenverbindungen gab, Langröhren, die jeweils fünf Doppelpyrami­denschiffe »übersprangen«, so daß man, be­nutzte man sie, durch jede Röhre zehn Durchschleusungsvorgänge vermeiden konnte.

»Ich danke dir, Alkyara«, sagte ich, nach­dem ich die gewünschte Information besaß.

»Was soll das?« fragte sie, als ich ihre Lähmwaffe aus meinem Gürtel zog.

»Nur zur Sicherheit – auch zu deiner«, antwortete ich und schoß.

Alkyara fiel stocksteif auf ihr breites Bett. Ich hoffte, daß sie meine Handlungsweise verstehen würde. Schließlich war es auch zu ihrem Besten, wenn sie nicht beschuldigt werden konnte, meine Flucht begünstigt zu haben. Niemand konnte ihr das vorwerfen, wenn sie nachwies, daß sie gelähmt gewesen

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und deshalb an der Meldung meiner Flucht gehindert war.

Anschließend verließ ich ihre Kabine. Niemand war draußen zu sehen. Ich schalte­te das Flugaggregat an und steuerte auf die Schiffssektion zu, in der sich der Anfang der ersten Kurzstreckenverbindung befinden sollte.

6.

Das Flugaggregat erlaubte mir nicht nur, die Langstreckenröhren optimal zu nutzen, es machte mich auch so schnell, daß die in den langen Röhren herrschende Kälte nichts anhaben konnte.

Es kam nur einmal zu einem Zwischen­fall. Das war, als ich die dritte Lang­streckenröhre betrat und mich zwei Varga­nen gegenübersah, die die gleichen goldfar­benen Schutzanzüge trugen, wie ich einen anhatte. Zuerst hielten sie mich offenbar für einen der ihren, doch dann sahen sie mein Gesicht und merkten, daß ich kein Vargane war.

Ohne zu zögern, zog ich eine Lähmwaffe und schoß sie nieder: Natürlich konnte ich sie nicht liegen lassen, denn wurden sie ent­deckt, würde es nicht lange dauern, bis die Varganen den richtigen Schluß daraus zo­gen.

Deshalb aktivierte ich die Antigravprojek­toren ihrer Tornisteraggregate, klemmte sie mir unter die Arme und schleppte sie ins nächste Schiff. Dort verstaute ich sie in ei­nem leeren Lagerraum, aktivierte von außen die Schottverriegelung und setzte meinen Weg fort.

Da die letzte Langstreckenröhre auf mei­nem Wege nicht direkt in dem Schiff mün­dete, in dem Ischtar gefangengehalten wur­de, mußte ich ein Schiff früher aussteigen.

Meine Befürchtung, in dem Schiff auf Varganen zu stoßen, bewahrheitete sich glücklicherweise nicht. Ich durchquerte den Hauptkorridor fliegend, verließ das Schiff durch die entgegengesetzte Schleuse und flog durch die letzte Verbindungsröhre.

Als sich das Außenschott meines Ziel­schiffs vor mir öffnete, erblickte ich sechs bewaffnete Varganen. Ich hatte mit Wacht­posten gerechnet und deshalb vorher den Druckhelm meines Schutzanzugs geschlos­sen, so daß mein Gesicht durch die Spiegel­reflexe der Klarsichtscheibe undeutlich ge­macht wurde.

Die Varganen schauten nur flüchtig zu mir. Von dieser Seite erwarteten sie offenbar keinen Gegner. Bevor sie ihres Irrtums ge­wahr werden konnten, hielt ich in jeder Hand einen Lähmstrahler und schoß.

Ich wußte, daß ich verloren war, wenn es nur einem der Männer gelang, seinen Ke­ruhm-Schutzschirm zu aktivieren. Und Isch­tars wegen durfte ich nicht unterliegen.

Vier Varganen kippten sofort steif um, die beiden anderen griffen zu meinem Glück zu­erst nach ihren Waffen, bevor sie an die Schaltungen ihrer Schutzschirme dachten. Damit war der Kampf auch schon entschie­den, denn bevor sie die Waffen aus den Gür­telhalftern gezogen hatten, wurden sie von der Lähmschockenergie meiner beiden Waf­fen getroffen.

Vielleicht hätte ich mir das Keruhm-Ag­gregat eines der Männer umschnallen sollen, aber ich wollte keine Zeit damit verschwen­den. Vielleicht befand sich Magantilliken bereits bei Ischtar. Jede Verzögerung konnte ihr zum Verhängnis werden. Deshalb öffnete ich das Innenschott und flog mit voll akti­viertem Flugaggregat in den Hauptkorridor ein.

Bevor ich ein Drittel der Strecke bis zur Mittelteileinschnürung des Doppelpyrami­denschiffs zurückgelegt hatte, hörte ich we­nige Türen weiter ein lautes Poltern und ent­deckte eine offene Tür.

Ich hielt darauf zu. Kurz darauf sagte eine Männerstimme auf

Varganisch: »Diesmal entkommst du mir nicht, Ischt­

ar!« Magantilliken! Ich wußte aus Erfahrung, daß der Henker

der Varganen mir kämpferisch überlegen

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war. Normalerweise wäre ich ihm aus dem Weg gegangen, denn ich bin kein Selbst­mörder. Aber jetzt und hier bedrohte Ma­gantilliken das Leben Ischtars. Da gab es für mich kein Halten mehr.

Ich riß den Detonator aus dem Gürtelhalf­ter, landete dicht vor der Türöffnung – und stand im nächsten. Augenblick dem Henker gegenüber.

Leider konnte ich nicht schießen, denn zwischen mir und Magantilliken stand Ischt­ar. Meine Geliebte hielt mit beiden Händen eine Stahlstange umklammert und war of­fenbar entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Aber ich wußte, daß sie gegen den Henker keine Chance hatte, zudem Magantilliken ebenfalls mit einem Detonator bewaffnet war.

Als Magantilliken mich sah, weiteten sich seine Augen vor Verwunderung.

Ischtar bemerkte es und zog offenbar den richtigen Schluß daraus. Jedenfalls warf sie sich zur Seite, so daß ich freies Schußfeld bekam. Aber der Überraschungseffekt, der mir vielleicht zu einem schnellen Sieg hätte verhelfen können, war dahin.

Magantilliken und ich feuerten gleichzei­tig, während wir aus der Feuerlinie des Geg­ners sprangen. Hinter mir zerfiel ein Teil der Korridorwand, während in Ischtars Gefäng­nis drei stählerne Tischbeine zerbröckelten.

Die Angst um Ischtar gab mir Mut genug, um sofort wieder hochzuschnellen und mich aus einer halben Drehung heraus ins Zimmer zu werfen, anstatt im Korridor eine Deckung zu suchen.

Damit hatte Magantilliken offenbar nicht gerechnet, denn sein nächster Schuß entlud sich wieder im Korridor.

Ich rollte mich herum und legte im Liegen auf den Henker der Varganen an. Magantil­liken stand, gegen Beschuß aus dem Haupt­korridor gedeckt, hinter der Seitenwand ei­nes Stahlschranks. Natürlich bemerkte er mich, aber er hätte es nicht mehr geschafft, seine Waffe auf mich zu richten und vor mir abzudrücken.

Deshalb warf er sich blitzschnell zu Bo-

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den. Mein Detonatorschuß entlud sich im Stahlschrank, der sich in lauter kleine Trüm­merstücke auflöste. Bevor ich die Schuß­richtung verändern konnte, war Magantilli­ken aufgesprungen und hatte sich durch die Türöffnung geworfen. Er rollte so schnell außer Sichtweite, daß der Schuß, den ich ihm nachschickte, nur ein kraterähnliches Loch in den Boden riß.

»Atlan!« rief Ischtar weinend. Sie wollte zu mir kommen, aber ich wink­

te sie mit einer herrischen Geste zurück. Ma­gantilliken war ein Gegner, der jede Blöße und jeden Fehler eines Gegners mit tödlicher Präzision für sich nutzte.

Ich warf Ischtar eine meiner Lähmwaffen zu, dann ging ich zu einem zweiten Stahl­schrank, zwängte mich zwischen ihn und die Wand und stemmte mich dagegen, bis er umkippte und polternd aufschlug. Ich lag bereits hinter ihm in Deckung, als Magantil­likens Detonator die Wand hoch über mir zertrümmerte.

Der Henker hatte gefeuert, während ein weiter Satz ihn an der Türöffnung vorbei­trug. Ich schnellte vorwärts und erreichte die Öffnung, als Magantilliken zwar schon wie­der gelandet war, die Waffe aber noch nicht in meine Richtung gedreht hatte.

Er war gezwungen, sich erst einmal eine Deckung zu suchen. Deshalb schoß ich nicht auf ihn, sondern auf die nächste Wandnis­che. Aber der Henker war so raffiniert gewe­sen, das vorauszusehen. Er sprang nicht et­wa in die betreffende Nische, sondern an die gegenüberliegende Korridorwand. Dort gab es zwar keine Deckung für ihn, aber er konnte auf mich schießen, bevor ich meine Zielrichtung geändert hatte.

Mir blieb weiter nichts übrig, als schleu­nigst wieder in Ischtars Gefängnis unterzut­auchen. Dadurch geriet Magantilliken aus meinem Blickfeld. Ich konnte es nicht wa­gen, den Kopf in den Korridor zu stecken, wenn ich ihn nicht verlieren wollte.

Damit stand die Auseinandersetzung un­entschieden, denn auch Magantilliken konn­te es nicht wagen, zu mir hereinzuschauen.

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29 Das Ende von Yarden

Und ein zweitesmal würde ihm der Trick mit dem Schuß aus dem Vorbeiflug nicht gelingen, das wußte er.

Im ersten Moment war ich erleichtert über die Lage, denn ich dachte, daß derjenige den Kampf gewinnen würde, der die besseren Nerven besaß und in seiner Deckung aus­harrte, bis der Gegner einen Fehler beging. Ich wußte, daß ich die Nerven nicht verlie­ren würde. Fartuloon hatte mich in dieser Beziehung unerbittlich trainiert.

Doch dann vernahm ich die Rufe anderer Varganen und wußte, daß meine Rechnung nicht aufging. Die Detonatorentladungen hatten offenbar die übrigen Varganen im Schiff alarmiert. Sie waren gekommen und würden zweifellos Magantilliken unterstüt­zen.

Ich brauchte sie allerdings nicht gleich zu fürchten, denn sie konnten nicht durch die Türöffnung hereinkommen; die ließ sich von einem Mann gegen eine ganze Hundert­schaft verteidigen. Aber früher oder später würden sie sich dazu entschließen, von meh­reren Seiten gleichzeitig durch die Wände zu brechen.

Wie der Kampf dann für Ischtar und mich ausgehen würde, daran gab es nicht den ge­ringsten Zweifel. Wir waren schon jetzt so gut wie tot, aber wir würden wenigstens zu­sammen sterben.

Nur Chapats Schicksal bereitete mir Kopfzerbrechen.

*

Mittels Zeichensprache gab ich Ischtar zu verstehen, daß sie unseren Sohn holen sollte. Sie begriff und entfernte sich in einen Ne­benraum, der ein Waschraum zu sein schien.

Ich hatte vor, sobald Ischtar und Chapat wieder bei mir waren, mit dem Detonator ein Loch in den Fußboden zu schießen, so daß wir in das Deck unter uns entkommen konnten.

Aber Magantilliken vermutete offensicht­lich, auf welchen Ausweg ich verfallen wür­de. Kaum waren Ischtar und Chapat bei mir,

da meldete er sich von draußen. »Es wäre sinnlos, durch eine Wand oder

durch den Boden ausbrechen zu wollen!« rief er. »Ich habe das Gefängnis einschlie­ßen lassen. Niemand kann entkommen.«

Ich überlegte, ob der Henker die Wahrheit sprach. Stimmte es, was er sagte, so mußte er meine Absicht sehr früh durchschaut ha­ben. Ebensogut aber konnte er bluffen. Ich entschloß mich, es darauf ankommen zu las­sen.

Mein Detonator riß ein klaffendes Loch in den Fußboden des Gefängnisses.

Sofort nach dem Schuß sprang ich beisei­te. Keinen Augenblick zu früh, denn dort, wo ich eben noch gestanden hatte, löste sich ein Teil des Fußbodens in einem Trümmer­regen auf.

Jemand hatte von unten mit einem Deto­nator geschossen. Damit stand es fest, daß Magantilliken nicht geblufft hatte. Unser Schicksal war besiegelt. Dennoch lächelte ich Ischtar aufmunternd zu.

»Kommen Sie heraus!« ertönte wieder Magantillikens Stimme. »Oder ich lasse von allen Seiten gleichzeitig das Feuer eröff­nen.«

Ich lachte grimmig. »Was hätten wir davon, herauszukom­

men?« »Ich würde Ihr Leben schonen, Atlan«,

antwortete Magantilliken. »Vielen Dank!« erwiderte ich sarkastisch.

»Leider muß ich Sie enttäuschen. Sie wer­den mich nicht lebend bekommen.«

»Ich verstehe Sie«, sagte der Henker. »An Ihrer Stelle würde ich genauso handeln. Ich hoffe, Sie haben einen schnellen Tod.«

Seine Stimme veränderte sich, als er schrie:

»Angriff von allen Seiten!« Ich schloß mit meinem Leben ab und be­

reitete mich darauf vor, möglichst viele Gegner mit in den Tod zu nehmen.

Im nächsten Moment brach die Hölle los. Ich wußte zuerst nicht, was überhaupt ge­

schah, denn das, was ich hörte und sah, ent­sprach nicht meiner Vorstellung von einem

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Großangriff der Varganen. Ein Knirschen, Knacken und Krachen er­

scholl von überall zugleich, schwoll zu ei­nem infernalischen Lärm an. Dann schwank­te der Boden. Ich sah, wie Ischtar mit Cha­pat in die Knie ging, hörte ein berstendes Geräusch und konnte gerade noch zur Seite springen, um einer hereinbrechenden Stahl­wand zu entgehen.

Plötzlich lag der Boden schief. Ich stürzte und rollte zu Ischtar und Chapat. Wir griffen beide nach unserem Sohn, hielten ihn fest und versuchten, ihn gleichzeitig mit unseren Körpern zu decken.

Durch das Krachen, Knirschen und Ber­sten ertönten gellende Entsetzensschreie und Hilferufe. Die Beleuchtung erlosch, dann trat Schwerelosigkeit ein.

Ischtar, Chapat und ich schwebten plötz­lich in der Luft. Zuerst hielt ich diesen Zu­stand für das Vorstadium des unvermeidlich erscheinenden Endes, doch dann merkte ich, daß der Ausfall der künstlichen Schwerkraft die Rettung war – jedenfalls fürs erste.

Als kurz darauf die Notbeleuchtung an­ging, entdeckte ich, daß die Decke des Ge­fängnisses sich gelöst hatte und nur noch an einem zirka meterlangen Streifen hing. Ohne den Ausfall der Schwerkraft wäre sie zwei­fellos herabgestürzt und hätte Ischtar, Cha­pat und mich erschlagen.

Ischtar blickte mich aus großen Augen an. »Was ist geschehen, Atlan?« fragte sie. »Keine Ahnung«, antwortete ich, schalte­

te mein Flugaggregat ein und brachte uns si­cher zu Boden. »Aber was auch immer ge­schehen ist, es hat uns vorerst vor Magantil­liken und seinen Helfern gerettet. Ich denke, sie haben zur Zeit Wichtigeres vor, als sich um uns zu kümmern. Wir schauen uns drau­ßen um.«

Ischtar hatte sich wieder gefaßt und fiel in die Rolle der geistig Überlegenen zurück, die sie mir gegenüber früher so gern gespielt hatte.

»Du hättest viel früher kommen sollen«, erklärte sie. »Warum hast du so lange ge­wartet?«

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Ich lachte humorlos. »Noch eine so dumme Frage, und du

kannst allein sehen, wie du zurechtkommst. Wenn du vernünftig bist, dann hältst du mit einer Hand Chapat und mit der anderen einen Tragriemen meines Aggregattorni­sters. Dadurch würdest du mir nämlich mehr Bewegungsfreiheit geben – für den Fall, daß wir angegriffen werden sollten.«

»Du vergißt, wer ich bin!« fuhr Ischtar hoch.

Aber sie befolgte meinen Rat. Als ich merkte, daß sie sich festhielt, steuerte ich auf den Korridor hinaus – oder vielmehr dorthin, wo früher ein durchgehender Haupt­korridor gewesen war.

Jetzt herrschte dort ein chaotisches Durcheinander von herabgesunkenen Deckensegmenten, umgestürzten Wänden und schwerelos umherschwebenden Ener­giewaffen. Die Männer, denen die Waffen gehört hatten, lagen wahrscheinlich tot unter den Trümmern.

Ich fragte mich, was diese Katastrophe verursacht haben könnte. Zielstrebig steuerte ich, den Trümmern ausweichend oder sie mit dem Detonator beseitigend, auf die Schleuse zu, durch die ich gekommen war.

Als wir das Innenschott erreichten, forder­te ich Ischtar auf, mit Chapat auf mich zu warten. Dann betätigte ich den Öffnungsme­chanismus des Schotts. Er funktionierte, was mich allerdings nicht wunderte, denn die au­ßen liegenden Schotte waren diejenigen Raumschiffsteile, die energiestark und am stabilsten gebaut wurden.

Die sechs Varganen, die ich überwältigt hatte, lebten noch. Sie waren allerdings noch immer gelähmt und schwebten mitten in der Schleusenkammer.

Ich flog zu einem der drei Bullaugen aus durchsichtigen Metallplastik und warf einen Blick nach draußen.

Was ich sah, verschlug mir im ersten Mo­ment den Atem.

Der gesamte Pulk war in Unordnung gera­ten. Verbindungsröhren hingen abgebro­chen, zusammengeknickt und verdreht her­

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um. Zwei Doppelpyramidenschiffe hatten sich aus dem Pulk gelöst und trieben steuer­los auf ein anderes Schiff zu, hinter dessen Bullaugen die Flammen von Bränden flackerten.

Weit entfernt mußte ein Schiff explodiert sein. Jedenfalls gab es dort eine riesige Lücke, und in dem angrenzenden Gewirr von Schiffen und Röhren hingen ausgeglüh­te Trümmerstücke.

Ich konnte mir nicht erklären, wie es zu einer derart verheerenden Katastrophe ge­kommen war. Doch das kümmerte mich am allerwenigsten. Ich verspürte plötzlich heiße Wellen der Angst, der Angst um Crysalgira und meine Freunde. Ebenso gut, wie offen­bar zahlreiche Varganen umgekommen wa­ren, konnte Crysalgira und meinen Freunden etwas, zugestoßen sein.

Ich kehrte zu Ischtar zurück und machte ihr klar, daß wir unser Schiff verlassen muß­ten, um nach der Prinzessin, nach Fartuloon, Eiskralle und Corpkor zu suchen.

Darüber, wie gering die Chancen waren, in dem chaotischen Durcheinander eine be­stimmte Person zu finden, sprach ich nicht.

*

»Meinst du nicht, daß unsere Freunde noch irgendwo in diesem Schiff sind?« frag­te Ischtar.

»Wissen kann ich es natürlich nicht«, er­widerte ich. »Aber wenn sie hier wären und überlebt haben, dann hätten sie das Chaos bestimmt genutzt, um sich Waffen zu be­schaffen. In dem Fall wären sie zuerst zu dir und Chapat gekommen. Da sie bisher nicht aufgetaucht sind, müssen die Varganen sie in ein anderes Schiff gebracht haben.«

Ich kehrte noch einmal in die Schleusen­kammer zurück, nahm einem der Gelähmten das Flugaggregat ab und schnallte es auf Ischtars Rücken. Dadurch wurden wir be­weglicher. Da Ischtar noch ihren goldfarbe­nen Raumanzug trug, würden wir uns auch durch Räume bewegen können, die ihre At­mosphäre verloren hatten. Es war schon ein

kleines Wunder, daß unser Schiff trotz der großen Verwüstungen nach außen hin dicht geblieben war.

Da die Schleusenkontrollen ausgefallen waren, zog ich die sechs Varganen vor­sichtshalber in den Hauptkorridor und ließ das Innenschott zugleiten.

Danach war das Problem zu lösen, wie wir Chapat gegen einen eventuellen Druck­abfall schützten. Ischtar bewies mir, daß ich noch längst nicht alle technischen Details der varganischen Raumanzüge kannte. Als ich mich nach ihr umdrehte, um das Problem mit ihr zu erörtern, hatte sie es bereits gelöst. Chapat befand sich in einer transparenten Ausbuchtung ihres Raumanzugs.

»Eine Hermetikblase«, erklärte Ischtar. »Sie dient eigentlich dazu, Lebensproben von fremden Planeten aufzunehmen und da­bei einen Austausch von Keimen zu verhin­dern.«

»Ist die Sauerstoffversorgung gesichert?« erkundigte ich mich, während wir unsere Druckhelme schlossen.

Als Ischtar bestätigte, aktivierte ich den Öffnungsmechanismus des Außenschotts. Wir hielten uns vorsichtshalber an Wand­griffen fest, um nicht in die Verbindungs­röhre gerissen zu werden, falls dort ein Va­kuum herrschte.

Es gab tatsächlich einen starken Luftzug. Doch er hörte bald wieder auf, und die Kon­trollen an meinen Schutzanzug bewiesen mir, daß der Luftdruck in der Röhre nur um ein Drittel unter den Normalwert abgesun­ken war. Offenbar war Luft durch einen Riß entwichen, und eine Reparaturautomatik hatte den Riß schnell wieder verschlossen.

Wir schalteten unsere Flugaggregate ein und flogen zum anderen Ende der Verbin­dungsröhre. Auch dort funktionierte der Schleusenmechanismus noch. Das Nachbar­schiff hatte keinen Druckabfall erlebt. Ischt­ar und ich klappten unsere Helme zurück. Sie rollten sich sofort wieder zu einer Art von Kragenwulst zusammen.

Wir standen im Hauptkorridor des Schif­fes und lauschten. Aus mehreren Richtungen

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waren Geräusche zu hören: Knacken und Knirschen, ein dumpfes Rumoren und plötz­lich auch die Entladungen von Energiewaf­fen.

Ischtar streckte einen Arm aus. »Dort wird offenbar gekämpft«, sagte sie.

»Sehen wir nach?« »Selbstverständlich«, antwortete ich.

»Das könnten unsere Freunde sein, die sich mit Varganen herumschlagen.«

Wir flogen etwa hundert Meter durch den Hauptkorridor, der in diesem Schiff frei von Trümmern war. Danach bogen wir nach rechts ab. Aber der Quergang, in den wir ka­men, war teilweise durch Trümmer blockiert: eingestürzte Deckenteile mischten sich mit nach außen gefallenen Wandseg­menten.

Ich mußte mehrmals den Detonator benut­zen, um die Hindernisse so zu zerkleinern, daß wir darüber hinwegfliegen konnten. Da­durch kamen wir langsamer voran, als wir gehofft hatten. Ich wurde unruhig, denn aus der Richtung, in die wir uns bewegten, er­tönten immer wieder die Entladungen von Energiewaffen. Vielleicht befanden, sich un­sere Freunde in höchster Gefahr. Falls ihnen Varganen gegenüberstanden, die mit Ke­ruhms ausgerüstet waren, mußten sie unwei­gerlich den kürzeren ziehen.

Die Angst um unsere Freunde ließ mich meinen Detonator rücksichtslos mit maxi­maler Leistung einsetzen, auch wenn dabei Seitenwände zerpulvert wurden und mögli­cherweise Varganen in Gefahr gerieten, die verletzt in Kabinen lagen. Aber wenn die Varganen keine Rücksicht auf uns nahmen, durfte ich auch keine Rücksicht auf sie neh­men.

Dadurch kamen wir wieder schneller vor­an. Ein Stück des Ganges war sogar frei von Trümmern, aber dann stießen wir auf eine Verteilerhalle, deren Decke von herabstür­zenden Aggregaten zerschmettert worden war. Die Aggregate mußten aus einem Ma­schinenraum gekommen sein. Sie hatten sich in der Verteilerhalle gestaut und ineinander verkeilt.

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Es hätte zu lange gedauert, alle diese schweren und massiven Maschinen mit dem Detonator zu zerstören. Deshalb feuerte ich auf den Boden, soweit er freilag. Es währte nicht lange, da gab er nach. Das Gewicht der Aggregate unterstützte den Vorgang noch. Polternd und krachend stürzte der Boden mitsamt den schweren Maschinen in die Tie­fe. Ich hörte, wie er weitere Decks durch­schlug und dann irgendwo zur Ruhe kam.

Wir wollten unseren Flug fortsetzen, da bemerkte ich ungefähr zweihundert Meter voraus einen weiteren Trümmerhaufen. Im nächsten Augenblick krachte es dort. Der Trümmerhaufen wurde erschüttert. Aber­mals krachte es.

Ich winkte Ischtar und bedeutete ihr da­mit, nach links in Deckung zu gehen. Dann stellte ich mich an der rechten Wand auf, zielte mit dem Detonator auf den Trümmer­haufen und rief auf Varganisch den Befehl, sich mit Namen zu melden.

Eine Weile blieb es still, dann antwortete eine Stimme auf Arkonidisch – eine Stim­me, die ich sogleich als die Fartuloons er­kannte: »Ich habe dich an der Stimme er­kannt, Atlan. Bist du allein?«

»Nein!« rief ich, grenzenlos erleichtert, zurück. »Ischtar und Chapat sind bei mir. Sind Corpkor und Eiskralle auch dort?«

»Nur Eiskralle«, antwortete mein Pflege­vater. »Corpkor hat als einziger von uns aus­brechen können. Ich dachte, er wäre zu dir durchgekommen.«

»Er muß verletzt sein«, gab er zurück. »Er schickte mir eine Nachricht, daß Ischtar in Gefahr sei. Wir müssen ihn suchen.«

»Klar, mein Junge«, erwiderte Fartuloon. »Haltet euch in Deckung. Wir werden den letzten Trümmerhaufen wegblasen. Freut mich, daß du heil und gesund bist, Atlan.«

»Alles klar!« bestätigte ich. »Fangt an!« Erneut krachten hinter dem Trümmerhau­

fen die Entladungen von Detonatoren. Mir wurde klar, daß es diese Geräusche gewesen waren, die Ischtar und ich für Gefechtslärm gehalten hatten.

Wenig später war der Weg frei. Wir konn­

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ten Fartuloon und Eiskralle begrüßen. Aber die Freude über das Wiedersehen hielt nicht lange an, denn noch wußten wir nicht, was aus Corpkor und Crysalgira geworden war.

»Wir haben keine Ahnung, wo Corpkor sich aufhält«, meinte mein Pflegevater. »Es wäre sinnlos, jedes Schiff nach ihm durchsu­chen zu wollen. Deshalb schlage ich vor, wir begeben uns zuerst dorthin, wo du die Prin­zessin verlassen hast, mein Junge.«

Ich nickte. Um Crysalgira machte ich mir tatsächlich

die meisten Sorgen. Corpkor würde sich eher allein helfen können. Ich nahm an, daß er uns durch die Valtoren irgendwann eine Botschaft schicken würde.

»Gehen wir!« sagte ich.

7.

Vargo hockte hinter den Kontrollen des Schiffes und drückte immer wieder eine be­stimmte Reihe von Schaltplatten.

Die Triebwerke des Raumschiffs arbeite­ten in kurzen, aber starken Schüben und ver­setzten die Doppelpyramide in halbkreisför­mige horizontale Schwingungen. Da dieses Schiff aus einem bestimmten Grund beson­ders fest mit den übrigen Schiffen des Pulks verbunden war, teilten seine Schwingungen sich dem gesamten Pulk mit.

Vargo kümmerte sich nicht um die Fol­gen, auch dann nicht, als eines der weit ent­fernten Doppelpyramidenschiffe aus unge­klärter Ursache explodierte. Verbissen setzte er seine Arbeit an den Schaltungen fort.

»Ich fange Notrufe auf«, meldete einer seiner Helfer, der vor dem Funkgerät saß. »In Schiff vierhunderteins und in Nummer zweihundertneunundsiebzig sind durch Hül­lenrisse und Druckverluste wahrscheinlich rund fünfhundert Personen umgekommen.«

»Dann werden die anderen sich jetzt vor­sehen«, erwiderte Vargo. Sein Gesicht war schweißbedeckt, und die Augen strahlten in irrem Glanz.

Erneut schwang das schwere Schiff nach Backbord aus. Auf den Bildschirmen der

Rundsichtgalerie war zu sehen, wie sich draußen eine mehrere Meter starke Zusatz-Verankerungsstrebe korkenzieherartig dreh­te, mehr und mehr zusammengeschoben wurde und plötzlich auseinanderflog.

»Endlich!« stieß Vargo hervor. »Allmählich lösen wir uns aus dem Pulk!«

»Die Opfer sind zu groß, Vargo«, warf ein anderer seiner Freunde ein. Er stieg über die sterblichen Überreste dreier Varganen, die beim Kampf um die Zentrale gefallen waren und blieb neben Vargo stehen. »Wenn ich gewußt hätte, welches Chaos wir auslösen, hätte ich dir abgeraten.«

»Der Umsetzer ist für unser Volk viel be­drohlicher als das Chaos, das wir anrichten, Apton«, entgegnete Vargo. »Wenn wir dafür sorgen, daß er nie wieder als Verbindung zwischen dem Mikrokosmos und dem Ma­krokosmos mißbraucht wird, können die Varganen endlich daran gehen, sich eine neue Zukunft aufzubauen. Bisher haben sie es unterlassen, weil sie sich einbildeten, in dem Gerät eine Rückversicherung zu ha­ben.«

»Wirst du den Umsetzer zerstören?« er­kundigte sich Apton.

»Selbstverständlich«, antwortete Vargo. »Aber ich will ihn nicht innerhalb der Eisi­gen Sphäre zerstören, weil ich nicht weiß, welche Folgen die Explosion für den Pulk haben würde. Möglicherweise bräche die Ei­sige Sphäre zusammen. Deshalb werden wir ihn nach draußen bringen – und deshalb müssen wir dieses Schiff vom Pulk lösen.«

Das Schiff schwang nach Steuerbord zu­rück. Wieder brach eine Verankerungsstrebe weg. Die beiden Verbindungsröhren, die das Schiff mit den beiden Nachbarschiffen ver­bunden hatten, waren gleich am Anfang der Aktion weggebrochen.

»Da treiben zwei Schiffe auf ein drittes zu, in dem offenbar Feuer ausgebrochen ist!« rief ein anderer Helfer.

Vargo richtete sich halb auf und blickte auf den Bildschirm, auf den der Mann deute­te. Seine Lippen preßten sich zusammen, als er sah, daß eine Kollision unvermeidlich

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war. Wie gebannt verfolgte er, wie sich die beiden Doppelpyramidenschiffe mit den Bugspitzen in die Backbordflanke des drit­ten Schiffes bohrten. Der Luftschwall, der aus der zerrissenen Außenhülle schoß, ge­fror sofort und verwandelte sich in Wolken leuchtender Eiskristalle.

Das gerammte Schiff brach wie im Zeitlu­pentempo in zwei Teile. Aus den Bruchstel­len schossen mehrere Gestalten, wirbelten umeinander und trieben dann nach allen Richtungen davon. Die drei Schiffe blieben nicht lange ineinander verkeilt. Sie drehten sich umeinander, dann lösten sie sich wieder und trieben auf andere Raumschiffe bezie­hungsweise Verbindungsröhren zu.

»Wir müssen etwas unternehmen, um die Leute in den Schiffen zu bergen«, sagte Ap­ton.

»Wir können nichts unternehmen, ohne unsere Kräfte zu verzetteln«, widersprach Vargo. »Früher oder später werden Kreton und Kandro genug Männer sammeln, um den Umsetzer zurückzuerobern. Außerdem glaube ich, daß die Schiffe bereits verlassen sind. Die Leute darin werden ihre Körper verlassen und sich die Körper konservierter Tropoythers irgendwo im Mikrokosmos an­geeignet haben.«

Wieder schaltete er – und wieder schwenkte das Schiff nach Backbord herum. Doch diesmal brach keine Verankerung. Da änderte Vargo sein Vorgehen. Er wartete das Ende der Backbordbewegung ab und schal­tete dann auf einen Vertikalschwenk.

Diesmal rissen gleich drei Verankerun­gen. Das Schiff pendelte nur noch an zwei besonders starken und elastischen Streben, die es von oben und unten faßten und mit zwei riesigen Speichenkränzen von Röhren verbanden, an denen insgesamt achtzehn weitere Doppelpyramidenschiffe verankert waren.

Vargo schaltete unermüdlich weiter. Er wußte, daß er gegen die Zeit kämpfte. Vor seiner Aktion gegen das Umsetzerschiff hat­te er erfahren, daß Kreton und Kandro, die beiden Räte der Varganen, nach ihm fahnde-

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ten, weil sie ihn für die Unruhen im Gefan­genenschiff verantwortlich machten.

Vargo hatte den Ausbruchsversuch der Gefangenen geschickt genutzt, indem er die kurze Zeitspanne, während der Kretons und Kandros Aufmerksamkeit auf das Gefange­nenschiff konzentriert war, für seinen Hand­streich gegen das Umsetzerschiff nutzte.

Inzwischen würden die beiden Räte wis­sen, daß er den Umsetzer in seine Gewalt gebracht hatte. Sobald sich die allgemeine Lage in der Eisigen Sphäre stabilisierte, würden sie gegen ihn vorgehen. Bis dahin mußte er verschwunden sein.

Und er mußte vorher sein Versprechen einlösen und die Gefangenen durch den Um­setzer in den Makrokosmos schicken …

*

Nachdem wir eine der Langröhren unan­gefochten passiert hatten, mußten wir fest­stellen, daß uns der weitere Gang über die Kurzstreckenverbindungen versperrt war.

Die nächste Langröhre wies einen klaf­fenden Riß auf, der sich über ihre gesamte Länge hinzog. In ihrem Innern herrschten dadurch Weltraumbedingungen, die für uns trotz der Raumanzüge absolut tödlich waren.

»Wir müssen den Weg durch die Schiffe und ihre kurzen Verbindungsröhren neh­men«, teilte ich meinen Gefährten mit.

»Hoffentlich finden wir genug intakte Röhren«, Warf Eiskralle ein.

»Notfalls müssen wir eben Umwege ma­chen«, erklärte Fartuloon.

»Ich bin nicht dafür, weiter blindlings los­zustürmen«, meinte Ischtar. »Wir wissen immer noch nicht, wodurch das Chaos aus­gelöst wurde. Ich schlage vor, daß wir in die Funkzentrale des nächsten Schiffes gehen und den Funkverkehr im Pulk abhören, da­mit wir endlich erfahren, was überhaupt ge­spielt wird.«

»Wenn die Funkzentrale von Varganen besetzt ist, müssen wir kämpfen«, wandte Fartuloon ein. »Dann merken die Varganen, daß wir noch leben und aktiv sind.«

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»Meine Leute werden nichts unterneh­men, solange das Chaos anhält«, entgegnete Ischtar. »Ich kann das behaupten, weil ich ihre Mentalität besser kenne als ihr.«

Fartuloon sah mich fragend an. Ich nickte. »Also gut«, sagte mein Pflegevater.

»Bringen wir es hinter uns.« Wir drangen in das nächste Schiff ein.

Der Hauptkorridor lag verlassen vor uns. Auch hier gab es Beschädigungen, aber sie waren im Vergleich zu dem Schiff, in dem ich gegen Magantilliken gekämpft hatte, mi­nimal.

Da Fartuloon und Eiskralle keine Flugag­gregate besaßen, mußten wir alle zu Fuß ge­hen. Wir traten so leise wie möglich auf, denn wir hatten kein Interesse daran, von Varganen entdeckt zu werden. Die Schwie­rigkeiten waren auch so groß genug.

Vor dem Schott der Funkzentrale stellten Fartuloon und ich uns mit gezückten Waffen auf. Eiskralle betätigte den Öffnungsmecha­nismus. Als die beiden Schotthälften zur Seite glitten, marschierte er seelenruhig durch die Öffnung.

Dadurch wurden die beiden Varganen, die an den Funkgeräten saßen, geistig überfor­dert. Sie starrten die – zugegebenermaßen – seltsame Erscheinung Eiskralles noch immer mit offenen Mündern an, als die Schüsse aus Fartuloons und meiner Lähmwaffe sie trafen und paralysierten.

Wir gingen in die Funkzentrale. Eiskralle postierte sich innen neben dem Schott, um zufällig hereinkommende Varganen sofort mit seinem Lähmstrahler unschädlich zu machen.

Ischtar begab sich zielstrebig an eines der Funkgeräte. Wir ließen sie gewähren, denn es war die Technik ihres eigenen Volkes, mit der sie sich natürlich besser auskannte als wir.

Nach wenigen Schaltungen ertönte klar und deutlich die Stimme eines Varganen.

»… sind festzunehmen oder zu töten«, sagte sie. »Ich wiederhole: Der Rebell Var­go hat zusammen mit einigen Verrätern das Schiff besetzt, in dem der Umsetzer unterge­

bracht ist. Dadurch, daß Vargo versuchte, das betreffende Schiff durch Schwenkmanö­ver aus dem Pulk herauszubrechen, versetzte er alle Schiffe und Verbindungsröhren in starke Schwingungen und löste eine Kata­strophe aus, der bereits viele Varganen zum Opfer fielen.

Ich fordere alle Varganen auf, mit voller Energie an der Beseitigung der Schäden zu arbeiten, die an ihren Schiffen aufgetreten sind. Wo die Schäden zu groß sind, müssen die Schiffe verlassen werden. Ausgebroche­ne Schiffe müssen auf jeden Fall wieder un­ter Kontrolle gebracht werden, damit es nicht noch mehr Zusammenstöße gibt. Auf keinen Fall dürfen noch mehr Varganen, die sich in Gefahr glauben, ihre Körper verlas­sen und Zuflucht in den Körpern gestorbener und konservierter Tropoythers suchen. Ich gebe zu bedenken, daß es für sie keine Rückkehr gibt, wenn ihre eigenen Körper mit ihrem Schiff untergehen.

Da anzunehmen ist, daß sich die gefange­nen Fremden und die Verräterin Ischtar mit Vargo verbündet haben, ordne ich an, daß auch gegen diesen Personenkreis vorzuge­hen ist. Ischtar, Crysalgira, Atlan, Fartuloon, Eiskralle und Corpkor sind festzunehmen oder zu töten. Hier sprach Kreton. Ich werde mich bald wieder melden.«

Ischtar schaltete das Funkgerät aus und blickte uns triumphierend an.

»Was habe ich gesagt!« rief sie. »Jetzt ha­ben wir die Informationen, die wir so drin­gend brauchen.«

»Jedenfalls wissen wir, daß Vargo das Chaos ausgelöst hat«, sagte Fartuloon be­dächtig. »Wahrscheinlich will er mit dem Umsetzerschiff aus der Eisigen Sphäre flie­hen. Ich frage mich, was dann aus uns wer­den soll. Wir sind auf den Umsetzer ange­wiesen, wenn wir in den Makrokosmos zu­rückkehren wollen.«

»Atlan kehrte schon einmal aus dem Mi­krokosmos in den Makrokosmos zurück«, warf Eiskralle ein. »Ohne einen Umsetzer zu benutzen.«

»Ich bin nicht sicher, daß ich damals in

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dem gleichen Mikrokosmos war wie heute«, erwiderte ich. »Außerdem denke ich, daß ich damals nur deshalb in den Makrokosmos zu­rückgeschleudert wurde, weil ich trotz des Verkleinerungsvorgangs meine ursprüngli­che Masse behielt. Dadurch blieb ich ein Fremdkörper in dem betreffenden Kontinu­um. Diesmal aber ist die Anpassung an den Mikrokosmos total. Ich fürchte, ohne Um­setzer geht es nicht.«

»Das denke ich auch«, sagte Ischtar. »Ich schlage vor, wir ändern unsere Marschrich­tung und versuchen, das Umsetzerschiff zu erreichen, bevor es ausbricht.«

»Nein!« erwiderte ich schroff. »Zu erst müssen wir alles tun, um die Prinzessin zu finden. Ohne sie gehe ich nicht durch den Umsetzer.«

Ischtars Augen funkelten mich zornig an. »Geh doch allein zu deiner Prinzessin,

wenn sie dir mehr bedeutet als ich!« fuhr sie mich an.

»Wenn sie mir mehr bedeutete als du, hät­te ich sie dann verlassen, um dich vor Ma­gantilliken zu schützen?« fragte ich ruhig.

Ich blickte Ischtar fest in die Augen, und nach einiger Zeit senkte sie beschämt den Kopf.

»Verzeih mir, Atlan!« bat sie leise. »Selbstverständlich müssen wir die Prinzes­sin suchen.«

»Danke«, erwiderte ich. »Vergessen wir das.«

*

Kreton schaltete das Funkgerät aus und wandte sich an Kandro.

»Hoffentlich werden meine Anordnungen und Ratschläge befolgt. Was meinst du?«

Kandro wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht, Kreton. In fast allen

Schiffen herrschen Panik und Hysterie. Wenn wir nicht bald entschlossen gegen Vargo vorgehen, bekommen wir die Lage nicht in den Griff.«

»Sollen vielleicht wir beide allein das Umsetzerschiff stürmen?« fragte Kreton bit-

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ter. »Bis jetzt hat sich nicht ein einziger Mann unserer Leibwache zurückgemeldet, und wir brauchen mindestens fünfzig Mann, um das Umsetzerschiff zurückzuerobern.«

Die beiden alten Männer saßen allein in der Funkzentrale ihres frei beweglichen Flaggschiffs. In der Steuerzentrale befand sich nur der Kommandant des Schiffes, ein Vargane mit dem Namen Naikondro, der früher – als noch alle Varganen im Makro­kosmos gelebt hatten – Oberbefehlshaber der varganischen Flotten gewesen war. Er galt noch immer als fähigster Raumpilot. Kreton und Kandro vertrauten darauf, daß er ihr Schiff vor Kollisionen bewahrte.

Als der Interkommelder ansprach, schal­tete Kandro das Gerät ein und meldete sich. Auf dem Bildschirm erschien das schmale, asketisch wirkende Gesicht Naikondros.

»Fünf Männer Ihrer Leibwache haben sich bei mir zurückgemeldet«, berichtete Naikondro. »Möchten Sie mit den Leuten sprechen? Sie wirken allerdings erschöpft.«

»Nein, danke«, entschied Kandro. »Die Männer sollen ihre Kabinen aufsuchen und sich ausruhen, damit sie frisch sind, wenn wir gegen Vargo losschlagen.«

»In Ordnung«, erwiderte Naikondro knapp und schaltete ab.

Kreton setzte zum Sprechen an, schwieg aber, weil in diesem Moment eine Kontrol­lampe an einem Funkgerät aufblinkte. Er ak­tivierte das Gerät. Auf dem Bildschirm war der Oberkörper eines Varganen in mittlerem Alter zu sehen.

»Hier spricht Lunkrin«, sagte der Varga­ne. »Schiff dreiundachtzig mit einer Besat­zung von fünfzehn Frauen und sieben Män­nern ist unter Kontrolle. Haben Sie Befehle für uns, Kreton?«

»Ja«, antwortete Kreton. »Manövrieren Sie Ihr Schiff an unser Flaggschiff heran! Aber passen Sie auf, daß Sie nicht mit steu­erlos treibenden Schiffen kollidieren! Und danke, daß Sie so umsichtig gehandelt ha­ben.«

»Wir haben nur unsere Pflicht getan«, er­widerte Lunkrin. »Befehl verstanden; wir

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kommen.« Kreton schaltete das Funkgerät aus. Auf

sein Gesicht stahl sich ein flüchtiges Lä­cheln.

»Allmählich fangen sich die Leute wie­der«, meinte er. »Vielleicht wird durch die Katastrophe der alte Kampfgeist wieder ge­weckt.«

»Hoffentlich«, sagte Kandro und deutete auf einen der Bildschirme, die die Umge­bung des Flaggschiffs zeigten. »Bisher rea­gieren die Leute noch ziemlich kopflos. Im­mer mehr Schiffe reißen sich los.«

Erneut flammte die Kontrollampe an Kre­tons Funkgerät auf. Diesmal meldete sich Schiff achthundertneunzehn mit einer Besat­zung von insgesamt hundertsechsundfünfzig Varganen, die die Kontrolle über ihr Schiff zurückgewonnen hatten. Kreton befahl ih­nen, ebenfalls das Flaggschiff anzufliegen.

Danach wandte er sich wieder Kandro zu. »Jetzt bin ich sicher, daß wir bald genug

Schiffe beisammen haben, um gegen Vargo vorzugehen. Es ist nicht weiter schlimm, wenn die Schiffe sich losreißen. Die Haupt­sache ist, daß ihre Besatzungen die Panik überwinden und die Schiffe unter ihre Kon­trolle bringen.«

Diesmal war es wieder der Interkommel­der, der ansprach. Kandro schaltete das Ge­rät sofort ein.

»Haben sich noch mehr Männer bei Ihnen gemeldet?« erkundigte er sich, als Naikon­dros Oberkörper auf dem Bildschirm zu se­hen war.

»Noch nicht«, antwortete Naikondro ton­los. »Und ich fürchte, das wird keine Rolle mehr spielen, Kandro. Die Automatortung hat angesprochen. Ich habe die Ergebnisse von der Positronik auswerten lassen. Offen­bar hat dieses Mal der Masseausgleich zwi­schen Mikro- und Makrokosmos nicht rich­tig funktioniert.«

»Was bedeutet das?« schrie Kandro auf­gebracht. »Drücken Sie sich deutlicher aus!«

»Die Ortung hat neue starke Einbrüche aus dem Makrokosmos angemessen«, er­klärte Naikondro mit unbewegtem Gesicht.

»Wahrscheinlich müssen wir die Ursache darin suchen, daß diesmal nicht die volle Zahl von zehntausend Kreuzfahrerschiffen erreicht wurde. Sollten die Einbrüche stärker werden, würde die Eisige Sphäre in Gefahr geraten.«

»Auch das haben wir nur Ischtar und die­sem Arkoniden zu verdanken!« tobte Kan­dro. »Wir hätten sie sofort auslöschen lassen sollen, als wir erfuhren, daß sie in den Mi­krokosmos gekommen waren.«

»Wir waren eben zu tolerant«, erwiderte Kreton. »Außerdem hofften wir, Atlan und Crysalgira für ein neues Aufleben unseres Volkes verwenden zu können. Damit ist es nun wahrscheinlich vorbei.«

»Neue starke Einbrüche!« meldete sich Naikondro aus dem Interkom. »Es scheint, als würde die Grenze zwischen Makro- und Mikrokosmos bald endgültig zusammenbre­chen.«

»Was können wir tun?« fragte Kandro rat­los.

»Sie müssen die Besatzungen aller Schif­fe auffordern, sich aus dem Pulk zu lösen und die Eisige Sphäre zu verlassen«, ant­wortete der Kommandant. »Falls die Eisige Sphäre verschlungen wird, können wir im­mer noch Planeten besiedeln.«

»Nein!« entschied Kandro. »Ich brauche die Schiffe noch, um den Umsetzer zurück­zuerobern. Wir warten ab, Naikondro.«

»Wie Sie befehlen!« erwiderte der Mann und schaltete ab.

8.

Nach vielen Umwegen erreichten wir endlich das Schiff, in dem Crysalgira und ich auf die Aufgabe, die die Varganen uns zugedacht hatten, vorbereitet worden waren.

Wir hatten großes Glück gehabt, denn das Schiff war nur noch durch eine einzige Röh­re mit dem Pulk verbunden. Wäre die letzte Röhre auch abgebrochen, hätten wir es nie­mals betreten können, denn der Flug durch den freien Raum innerhalb der Eisigen Sphäre wäre gleichbedeutend mit Selbst­

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mord gewesen. Das Innere des Schiffes bot einen schlim­

men Anblick. Überall lagen Ausrüstungstei­le und Aggregate herum. Zwei Varganinnen lagen ineinander verkrallt vor dem Innen­schott der Schleuse. Sie waren tot. Aus der Art ihrer Verletzungen schloß ich, daß es in dem Schiff eine kurze Phase der Schwerelo­sigkeit gegeben hatte, in der Varganen und Gegenstände durch die Gänge und Räume gesegelt waren. Als dann die Schwerkraft schlagartig wieder einsetzte, war alles hart zu Boden gerissen worden. Dabei hatten die beiden Varganinnen sich zu Tode gestürzt.

Als wir tiefer ins Schiff eindrangen, fan­den wir noch mehr Tote, vor allem aber zahlreiche Verletzte. Es handelte sich aus­nahmslos um junge Varganinnen und Varga­nen, wahrscheinlich solche, die als Partner für Crysalgira und mich ausersehen gewesen waren. Diejenigen, die unverletzt geblieben oder nur leicht verletzt waren, irrten ziel-und planlos umher.

Sie bedeuteten keine Gefahr für uns, des­halb lähmten wir sie nicht, sondern forderten sie nur energisch auf, sich um die Verletzten zu kümmern, die sich nicht selbst helfen konnten. Zuerst reagierten sie nicht, aber als wir damit drohten, alle Widerspenstigen zu erschießen, änderte sich das.

Selbstverständlich hätten wir niemanden getötet. Aber die Varganen standen unter Schockeinwirkung, und dagegen halfen nun einmal drastische Maßnahmen am schnell­sten.

Ich schickte Ischtar und Eiskralle zur Funkzentrale. Sie sollten sie besetzen und dafür sorgen, daß niemand über Funk aus­strahlen konnte, daß wir hier auf getaucht waren.

Fartuloon und ich eilten weiter in Rich­tung des künstlichen Paradieses, das sich in der anderen Schiffshälfte befand. Als wir das Verbindungsschott öffneten, stürzte uns eine Flut aus Schlamm, Pflanzenteilen und Geröll entgegen und begrub uns beinahe un­ter sich.

Wir wichen zurück, warteten, bis die Flut

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zur Ruhe gekommen war und drangen dann in das ehemalige Paradies ein.

Der Anblick übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Das Schiff mußte sich in der Phase der Schwerelosigkeit mindestens ein­mal um seine Längsachse gedreht haben. Diese Bewegung konnten den drehbar gela­gerten Anschlüssen der Verbindungsgänge nichts ausmachen. Hier hatte es dazu ge­führt, daß der gesamte künstlich aufgetrage-ne Boden mit allem darin verankerten Pflan­zenmaterial sowie alle Hütten und das Was­ser der Bäche und Seen in die Höhe ge­schwebt war.

Als dann die künstliche Schwerkraft wie­der einsetzte, war alles aus ziemlicher Höhe zurückgefallen. Es gab keine einzige Hütte mehr, keinen Baum und keinen Strauch, nur ein unbeschreibliches Konglomerat von Pflanzenteilen, Wasser, Erdreich, zersplitter­ten Holzteilen und den Leichen der Vargan­innen und Varganen, die sich zum Zeitpunkt der Katastrophe hier befunden hatten.

Aus dem Paradies war für sie eine Hölle geworden, die wahrscheinlich niemand überlebt hatte.

Auch Crysalgira nicht. Erschüttert stand ich vor dieser Kulisse

des Grauens. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich machte mir Vorwürfe, weil ich die Prinzessin nicht mitgenommen hatte, ob­wohl ich wußte, daß ich sie nicht an den Wachtposten vorbeigebracht hätte.

Wie lange ich so dastand, weiß ich nicht. Ich kehrte erst dann ins bewußte Leben zu­rück, als Fartuloon mir seine Hand auf die linke Schulter legte und fest zudrückte.

»Es tut mir leid, mein Junge«, sagte er mit belegter Stimme. »Aber du darfst dir keine Vorwürfe machen. Du darfst auch über dei­ner Trauer nicht die Lebenden vergessen. Wir alle brauchen dich, vor allem aber dein Sohn Chapat. Noch mehr aber braucht dich das Volk des Großen Imperiums. Du hast Pflichten, die schwerer wiegen als alle deine Gefühle.«

»Ich weiß, Fartuloon«, erwiderte ich mit einer Stimme, die mir fremd vorkam. »Aber

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ein Mann muß wenigstens für kurze Zeit trauern dürfen. Crysalgira da Quertamagin war eine gute und tapfere Frau, die alle Stra­pazen und Gefahren ertragen hat, ohne zu klagen und manchmal noch Kraft erübrigte, um mich wieder aufzurichten, wenn ich ver­zweifeln wollte. Sie möge in Frieden ruhen. Laß uns gehen.«

Ich wandte mich dem Ausgang zu und wollte gerade den ersten Schritt tun, als ich meinen Namen rufen hörte.

Es durchfuhr mich wie ein starker elektri­scher Schlag, denn die Stimme, die meinen Namen gerufen hatte, war die Stimme Crys­algiras gewesen. Ich erstarrte und spürte, wie das Blut aus meinem Gesicht wich.

Hatten wir alle, die wir uns für aufgeklärt und wissenschaftlich gebildet gehalten hat­ten, uns geirrt? War mit dem Tode des Kör­pers doch nicht alles vorbei? Lebte die Seele auf irgendeiner höheren Ebene weiter – und konnte sie von dort aus mit jemandem Ver­bindung aufnehmen, mit dem sie zu Zeiten ihrer körperlichen Existenz besonders eng verbunden gewesen war?

Das ist unlogisch! meldete sich mein Lo­giksektor. Vielleicht existiert nach dem Tode so etwas wie eine Seele weiter, aber sie kann sich niemals akustisch bemerkbar machen.

»Aber vielleicht telepathisch«, erwiderte ich unwillkürlich laut.

»Wovon sprichst du?« fragte Fartuloon. Seine Frage drang gar nicht richtig in

mein Bewußtsein, weil mein Logiksektor mir im gleichen Augenblick mitteilte, es hät­te sich nicht um Gedankenübertragung ge­handelt, sondern um das Hören einer wirkli­chen Stimme, die er Crysalgira zuordnete.

Da die Mitteilung von meinem Logiksek­tor kam, mußte ich sie glauben, so schwer mir das auch fiel. Im nächsten Moment hörte ich wieder meinen Namen rufen.

Ich umklammerte Fartuloons Arm. »Hast du sie gehört?« stammelte ich. Mein Pflegevater schluckte trocken. »Jemand hat deinen Namen gerufen«, er­

widerte er. »Eine Frauenstimme.« »Das war Crysalgira!« schrie ich.

»Crysalgira, wo bist du?« »Oben, über dir, Atlan!« kam die Ant­

wort. Ich legte den Kopf in den Nacken. Im

nächsten Augenblick hatte ich mein Flugag­gregat aktiviert und schoß förmlich auf die Stelle des ehemaligen Kunsthimmels zu, wo ich zwischen den Haltestreben für die Pro­jektoren eine weibliche Gestalt entdeckt hat­te. Im letzten Moment bremste ich ab, lande­te auf einer benachbarten Strebe und riß Crysalgira in meine Arme.

»Du zerdrückst mich ja!« protestierte die Prinzessin schweratmend, als ich meine Um­armung lockerte.

»Wie hast du es nur geschafft, die Kata­strophe zu überleben?« erkundigte ich mich.

Crysalgiras Augen verdunkelten sich, wahrscheinlich in der Erinnerung an das Schreckliche, das sich hier abgespielt hatte.

»Als die künstliche Schwerkraft ausfiel, rechnete ich mir aus, was passieren mußte, wenn sie plötzlich wieder einsetzte«, ant­wortete sie leise. »Ich stieß mich mit den Füßen von einer schwebenden Hütte ab und segelte hier herauf. Hier brauchte ich mich nur noch festzuhalten, um nicht in die Tiefe zu stürzen, als die Schwerkraft wiederkam. Aber ich fürchtete schon, niemand käme, um mich aus meiner Lage zu befreien.«

Ich strich ihr übers Haar, während ich sie mit der anderen Hand festhielt, damit sie nicht doch noch in die Tiefe stürzte.

»Du wußtest, daß ich kommen würde«, erklärte ich.

»Ja, Atlan«, erwiderte sie und lächelte plötzlich. »Und ich war gerührt über den Nachruf, den du für mich gesprochen hast.«

»Schamlose!« sagte ich scherzhaft dro­hend. »Ich war in tiefer Trauer, und du hast hier oben gesessen und dich über meine Grabrede amüsiert!«

»Da konnte ich mich noch nicht darüber amüsieren«, entgegnete die Prinzessin ernst. »Der Schock hatte mir die Stimme verschla­gen, und ich kämpfte die ganze Zeit über darum, sie zurückzuerhalten, bevor ihr die Halle verließet. Es war schrecklich.«

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»Aber jetzt ist alles wieder gut«, sagte ich. »Halte dich an den Gurten meines Flug­aggregats fest! Ich bringe dich auf festen Boden zurück.«

*

Corpkor erwachte, weil eine nasse Schnauze ihm übers Gesicht fuhr. Er lächel­te, denn er erkannte sofort den Valtor Rinec­co.

»Hast du mich gefunden, alter Freund«, flüsterte er. »Wie geht es dir?«

Er runzelte die Stirn, als ihm etwas ein­fiel. Der Valtor hätte sich bestimmt nicht zu ihm gewagt, wenn die Varganen, die ihn aus dem eisigen Weltraum geborgen hatten, bei ihm gewesen wären.

Er strich dem Tier behutsam mit der Hand über den Kopf. Dabei entdeckte er auf dem Handrücken die furchtbaren Eisnarben, die die Kältestrahlung der Eisigen Sphäre ihm zugefügt hatte.

»Wenn ich am ganzen Körper so entstellt bin, wird jede Frau bei meinem Anblick schreiend das Weite suchen«, stellte er mit ironischem Lächeln fest.

Danach wollte er sich aufrichten. Doch das ging nicht. Corpkor tastete um sich und bemerkte, daß er mit breiten Riemen an ein Pneumobett gefesselt war. Erst danach sah er, daß der Raum, in dem er sich befand, in wüster Unordnung war. Zwei Schränke la­gen halbzertrümmert auf dem Boden. Eine Wand des Raumes war völlig verschwun­den, und in der Zimmerdecke klaffte ein breiter Spalt.

»Was hat sich hier abgespielt?« dachte der Tiermeister laut.

Er löste die Gurte, die seinen Oberkörper ans Bett fesselten. Dann beugte er sich weit vor und löste die um die Beine gelegten Gurte. Der Valtor hüpfte vom Bett auf den Boden, turnte auf einem der Schränke herum und kehrte aufs Bett zurück.

»Willst du mir irgend etwas mitteilen?« fragte Corpkor.

Er schwang sich behutsam aus dem Bett

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und entdeckte, daß er nur leichtes Unterzeug trug. Wieder sprang Rinecco auf den umge­stürzten Schrank, kehrte zu Corpkor zurück und blickte ihn aus seinen schwarzen Knopfaugen an.

Der Tiermeister ging zu dem Schrank, bückte sich und packte die Oberkante. Er wollte das Möbel aufrichten aber in halber Höhe brach es vollends auseinander. Da­durch kam der Raumanzug zum Vorschein, den Corpkor bei seinem selbstmörderischen Ausflug in die Eisige Sphäre getragen hatte.

Er erschauderte bei der Erinnerung an die grauenhafte Kälte.

»Immerhin hat mir der Anzug das Leben gerettet«, meinte er. »Offenkundig willst du, daß ich ihn wieder anziehe, mein kleiner Freund. Ich werde nicht den Fehler begehen, deine Intelligenz zu unterschätzen.«

Er barg den Raumanzug vollends aus den Schranktrümmern und streifte ihn sich über. Ein kurzer Check-up bewies ihm, daß alle Systeme einwandfrei funktionierten. »Was nun?« wandte er sich an den Valtor.

Rinecco eilte zum Schott, richtete sich dort auf und blickte zu Corpkor zurück.

»Ich soll also diese Kabine verlassen«, dachte der Tiermeister laut. »Wenn ich nur wüßte, was sich hier abgespielt hat. Es sieht aus, als wäre etwas mit unserem Schiff pas­siert, wie?«

Rinecco gab einen schrillen Pfeiflaut von sich.

Corpkor lächelte, ging zum Schott und betätigte den Öffnungsmechanismus. Die beiden Schotthälften öffneten sich knir­schend einen Spalt breit, dann blieben sie stecken.

»Unser Schiffchen hat ganz schön was ab­bekommen«, sagte Corpkor und spähte hin­aus auf den Korridor.

Er sah, daß es sich um einen schmalen Nebenkorridor handelte, dessen Decke sich so weit gesenkt hatte, daß sie nur noch knapp einen Meter über dem Boden hing. Hinter ihm pfiff Rinecco. Kurz darauf tauch­ten acht Valtoren im Korridor auf. Ihre Schnauzen waren rot verschmiert. Corpkor

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mußte gegen eine Übelkeit ankämpfen, als er ahnte, was das bedeutete. Aber er dachte niemals daran, Zorn über Tiere zu empfin­den, die doch nur ihrer Natur gehorcht hat­ten.

Dennoch dauerte es eine Weile, bis er sei­ne Stimme wiederfand.

»Schauen wir uns also draußen um, Ri­necco!« sagte er und zwängte sich durch den Spalt.

Die Valtoren setzten sich unter Rineccos Führung in Bewegung. Sie liefen nach links, also wandte sich der Tiermeister ebenfalls nach links. Als er in einen Quergang einbog, änderte sich das Bild. Hier war die Decke teilweise ganz eingestürzt. Außerdem wirkte der ganze Gang irgendwie verdreht.

Corpkor schaute weg, als er unter den Trümmern die sterblichen Überreste zweier Varganen erblickte. Er kam jedoch nicht umhin, über die Trümmer zu steigen, denn die Valtoren hielten nicht an.

Nach ungefähr einer halben Stunde müh­seligen Kletterns blieben die Tiere vor ei­nem Schott stehen, dessen farbige Symbole es als Zugangsschott zu einem Schleusen­hangar auswiesen.

»Was soll ich hier?« fragte sich Corpkor. »Vargos Helfer hätten mich doch nicht im Raumanzug hinausgeschickt, wenn es im Schiff ein Beiboot gegeben hätte.«

Dennoch öffnete er das Schott. Es funk­tionierte besser als das der Kabine.

Sprachlos starrte der Tiermeister auf das kleine tropfenförmige Beiboot, das zwischen den abgebrochenen Magnetankern auf der Backbordseite lag. Die Steuerkanzel war ge­öffnet, und im vorderen der beiden Sitze hing die schlaffe Gestalt eines Varganen in den Anschnallgurten.

Corpkor eilte zu dem Mann und sah, daß er bei Bewußtsein war. Er schien jedoch in­nere Verletzungen davongetragen zu haben, denn ein Blutsturz hatte das gesamte Vor­derteil seiner Raumkombination rot gefärbt.

»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« er­kundigte sich Corpkor.

Die blutleeren Lippen des Mannes beweg­

ten sich, aber er brachte keinen Ton heraus. Der Tiermeister wußte, daß der Pilot ein

Todgeweihter war. Er überlegte, wie er ihm die letzten Minuten etwas erleichtern konn­te. Doch völlig ohne medizinische Hilfsmit­tel war das nicht möglich, und wenn er den Verletzten bewegte, bereitete er ihm nur weitere Qualen.

Der Sterbende hob eine zitternde Hand und deutete nach vorn, wo die Instrumente des Beiboots waren. Bevor Corpkor sehen konnte, wohin der Vargane zeigte, fiel die Hand wieder herab.

Der Tiermeister beugte sich über den Pi­loten und sah, daß er tot war. Er drückte ihm die Augen zu, dann versuchte er, die letzte Handbewegung zu rekonstruieren. Er kam zu keinem konkreten Ergebnis. Aber unge­fähr in der Gegend, in die der Mann zu zei­gen versucht hatte, befanden sich die Schal­tung und das Multikontrollinstrument des Autopiloten.

Corpkor überschlug die Wahrscheinlich­keit, daß der Vargane ihm hatte mitteilen wollen, der Autopilot sei auf ein bestimmtes Ziel eingestellt. Er kam zu dem Resultat, daß er eigentlich nichts anderes gemeint ha­ben konnte.

Der Tiermeister beschloß, es zu riskieren. Er zog den Toten aus dem Sitz und schloß

ihn in einem Ausrüstungsschrank ein, damit die Valtoren nicht an ihn heran konnten. Da­nach bedeutete er seinen kleinen Begleitern durch Pfiffe und Gesten, den Hangar zu ver­lassen.

»Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder«, sagte er, obwohl er es für unwahr­scheinlich hielt.

Nachdem das Innenschott des Hangars sich geschlossen hatte, kletterte Corpkor in den Pilotensitz, schloß das Kanzeldach und checkte die Systeme des Beiboots durch. Sie waren im großen und ganzen in Ordnung. Corpkor öffnete das Außenschott mit der eingebauten Fernsteuerungsanlage, dann schaltete er die Triebwerke ein.

Das Beiboot glitt schlingernd über den Boden, richtete sich in die normale Lage auf

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und schoß hinaus in die Eisige Sphäre …

*

Wir hatten das Schiff mit dem zur Hölle gewordenen Paradies beinahe überstürzt wieder verlassen, weil die Gefahr bestand, daß mit der letzten intakten Verbindungs­röhre die letzte Verbindung zum Pulk abriß.

Nachdem wir drei Schiffe durchquert hat­ten, die schwerste Verwüstungen aufwiesen und in denen sich offenkundig niemand auf­hielt, gerieten wir in ein fast unbeschädigtes Doppelpyramidenschiff. Wir mußten sofort in einen Nebengang ausweichen, weil es weiter vorn im Hauptkorridor von Varganen wimmelte.

Hinter der Biegung hob Ischtar die Hand. »Halt!« sagte sie. Wir blieben stehen und blickten die Var­

ganin fragend an. Crysalgira beherrschte sich gut, dennoch konnte sie vor mir ihre Ei­fersucht auf Ischtar nicht ganz verbergen. Ich fragte mich, warum Crysalgira eifer­süchtig war, denn sie liebte ja den Sonnen­träger Chergost. Doch dann verdrängte ich diesen Gedanken wieder.

»Im Schiff herrscht Alarmzustand«, er­klärte Ischtar. »Die Besatzung sucht ihre Stationen auf. Das bedeutet meiner Meinung nach, daß das Schiff sich mit voller Absicht aus der Verbindung mit dem Pulk löst und vielleicht die Eisige Sphäre verlassen will.«

»Dann kämen wir nicht an den Umsetzer heran«, stellte Fartuloon trocken fest.

»So ist es«, erwiderte Ischtar. »Deshalb müssen wir die Kontrolle über das Schiff an uns reißen. Wir warten, bis sich alle Besat­zungsmitglieder auf ihren Stationen befin­den, dann besetzen wir die Zentrale und ak­tivieren die Notverriegelungen für alle Schotte, so daß die Besatzung in ihren Sta­tionen gefangen ist.«

Der Vorschlag war gut und logisch durch­dacht, so daß sich eine Debatte erübrigte. Wir stimmten einhellig zu. Dann warteten wir, bis es im Schiff still geworden war.

Als wir in den Hauptkorridor zurückkehr-

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ten, lag er verlassen vor uns. Wir eilten in die Richtung, in der sich die Hauptzentrale befand. Auf halbem Wege verriet uns das Rumoren der Triebwerke, daß das Schiff da­bei war, von den Verbindungen zum Pulk abzulegen. Der Boden erzitterte unter der Kraftentfaltung, die sich vollzog.

»Ich gehe zuerst hinein!« erklärte Ischtar, als wir vor dem Panzerschott der Zentrale standen.

»Aber nicht mit Chapat!« widersprach ich und deutete auf die Aufwölbung der Herme­tikblase, unter der mein Sohn friedlich schlummerte.

»Ich kann Chapat ja solange nehmen«, sagte Crysalgira.

Ischtar warf der Prinzessin einen Blick zu, in dem ungezügelte Mordlust funkelte.

»Niemals!« fauchte sie. »Dann nehme ich Chapat«, warf Eiskralle

ein, der ebenfalls merkte, wieviel Zündstoff in der Luft schwebte.

»Einverstanden«, sagte Ischtar. Sie öffnete die Hermetikblase, nahm Cha­

pat heraus und reichte ihn Eiskralle, der das Kind zärtlich auf die Arme nahm. Es war schon ein eigenartiger Anblick, wie der Mann, dessen Griff andere Lebewesen in Eis verwandeln konnte, meinen Sohn behutsam auf den Armen trug. Aber ich bangte keinen Augenblick um Chapat, und auch Chapat schien sich bei Eiskralle wohl zu fühlen.

Wir verteilten uns schweigend. Während Eiskralle sich notgedrungen im

Hintergrund hielt, stellten Fartuloon und ich uns links und rechts des Schotts auf. Ischtar stellte sich genau vor die Mittelfuge, und Crysalgira kniete mit schußbereitem Lähm­strahler schräg hinter ihr.

Als Ischtar den Öffnungsmechanismus betätigte, hielt ich den Atem an. Es konnte immerhin sein, daß die Zentralebesatzung den Mechanismus von innen gesperrt hatte.

Aber das Schott öffnete sich sofort. Hochaufgerichtet schritt Ischtar in die

Zentrale, ganz die stolze und arrogante Gol­dene Göttin, als die sie mir zuerst begegnet war.

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Ich nickte meinem Pflegevater zu. Wir folgten ihr und sicherten Ischtar nach links und rechts ab. Crysalgira übernahm die Rückendeckung, während Eiskralle draußen die Entwicklung abwartete.

Die acht Varganen in der Zentrale waren so überrascht, daß keiner von ihnen nach der Waffe griff. Drei von ihnen bemerkten uns erst, als Ischtar mit befehlsgewohnter Stim­me erklärte, daß sie das Kommando über das Schiff übernähme.

»Nehmen Sie die Hände über die Köpfe, verlassen Sie Ihre Plätze, ohne die Schalt­pulte zu berühren und legen Sie sich flach auf den Boden, Gesicht nach unten!« befahl ich.

Die Varganen gehorchten. Crysalgira und ich paßten scharf auf, als Fartuloon ihnen die Waffen abnahm. Als sie flach auf dem Boden lagen, traten unsere Lähmstrahler in Aktion. Es war die einfachste Lösung des Problems, uns gegen unerwünschte Aktivitä­ten abzusichern.

Ischtar saß bereits vor dem Hauptkontroll­pult und aktivierte die Notverriegelungen, als Eiskralle mit Chapat die Zentrale betrat. Auch das Zentraleschott verriegelte sich elektronisch.

Ischtar aktivierte die Interkomverbindun­gen zu allen Stationen. Auf den kleinen Mo­nitoren waren die Mitglieder der Besatzung zu sehen. Da sie auf ihren Bildschirmen nur Ischtar, also eine Varganin, sehen konnten, drückten ihre Mienen größtenteils Verständ­nislosigkeit und Verwunderung aus.

»An alle!« sagte Ischtar. »Ich bin Ischtar, und ich habe das Kommando über dieses Schiff übernommen. Jeder bleibt auf seiner Station. Selbstverständlich habe ich sämtli­che Stationskontrollen auf die Zentrale ge­schaltet. Betrachten Sie sich als unter Arrest stehend. Niemandem wird ein Leid gesche­hen, es sei denn, er würde unvernünftig han­deln.«

»Darf ich etwas sagen, Kommandantin?« fragte ein Vargane. Ich sah ihn sprechen. Es war ein Mann mittleren Alters, der sich in der Ortungszentrale befand und dort offen­

bar der Chef war. »Sprechen Sie!« forderte Ischtar ihn auf. »Die Grenze zwischen Makro- und Mi­

krokosmos ist erneut aufgebrochen«, erklär­te der Vargane. »Es hat starke Energieein­brüche von drüben gegeben. Die Eisige Sphäre ist in Gefahr. Deshalb wollten wir, wie viele andere auch, fliehen. Es wäre auch im Interesse Ihrer eigenen Sicherheit, wenn Sie die Eisige Sphäre so schnell wie möglich verlassen würden.«

»Ich danke Ihnen«, erwiderte Ischtar. »Wir können zwar die Eisige Sphäre nicht sofort verlassen, da wir noch etwas zu erle­digen haben. Aber ich verspreche Ihnen, daß Sie, sobald unsere Aufgabe erfüllt ist, die Kontrolle über das Schiff zurückerhalten werden und daß es Ihnen dann freistehen wird, wohin Sie fliegen.«

Sie schaltete die Sprechverbindung ab. Nur die Bildschirme blieben eingeschaltet. Dadurch konnten wir ständig sehen, was die eingeschlossenen Besatzungsmitglieder ta­ten.

Ischtar wandte sich um und blickte uns an.

»Das war keine gute Nachricht«, sagte sie leise. »Wenn wir Vargo und den Umsetzer nicht bald finden, werden wir für immer im Mikrokosmos bleiben müssen, fürchte ich.«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, Vargo schnell zu finden«, erklärte Fartuloon und ging auf das Funkgerät der Zentrale zu. »Wir müssen einen Funkspruch aussenden, der so verschlüsselt ist, daß nur Vargo weiß, daß er von uns kommt.«

Ischtar überlegte nur kurz, dann erwiderte sie:

»Einverstanden, Fartuloon. Bitte, fassen Sie den Funkspruch ab.«

9.

Corpkor hatte den Druckhelm seines Raumanzugs geschlossen, denn die Kälte­strahlung der Eisigen Sphäre machte sich schon wieder unangenehm bemerkbar. Ein kleines Beiboot isolierte eben nicht so gut

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wie ein großes Raumschiff. Aufmerksam verfolgte der Tiermeister

den Kurs, den der Autopilot steuerte. Es war kein gerader Kurs, denn immer wieder tauchten Doppelpyramidenschiffe auf, denen die Antikollisionsautomatik des Autopiloten ausweichen mußte.

Nach einiger Zeit stellte Corpkor trotz al­ler Ausweichmanöver fest, daß das Beiboot ungefähr zur Mitte des Pulks flog. Er hoffte, daß es sein Ziel erreichte, bevor er erfroren war.

Immer mehr frei bewegliche Doppelpyra­midenschiffe begegneten dem Tiermeister. Sie taumelten nicht steuerlos durch die Eisi­ge Sphäre wie die ersten Schiffe, denen das Beiboot ausgewichen war. Vielmehr schie­nen sie von ihren Besatzungen zielstrebig auf die leuchtende nebelhafte Hülle von Yarden gesteuert zu werden. Es sah aus, als wollten sie die Eisige Sphäre verlassen.

Corpkor konnte sich das nicht erklären – bis sein Beiboot einen Sektor erreichte, in dem die Lücke im Pulk bis an die gegen­überliegende Grenze des Pulks reichte. Durch die Lücke hindurch erblickte Corpkor den Ausschnitt einer gezackten, sich ständig verformenden Linie, aus der ein rötliches Glühen brach.

Der Tiermeister wußte nicht, worum es sich handelte, aber er ahnte, daß das Phäno­men ein Kontinuumsriß war, durch den Energien aus einer anderen Existenzebene in den Mikrokosmos brachen. Er besaß keine Erfahrung mit solchen Dingen, aber er konn­te sich vorstellen, daß jeder Kontinuumsriß bedrohliche Folgen für alles hatte, was sich in seiner Nähe befand.

Die Beobachtung des Phänomens be­schäftigte ihn so stark, daß er erst merkte, daß das Ziel erreicht war, als sein Beiboot in einen erleuchteten Schiffshangar schwebte. Hinter ihm schloß sich das Außenschott.

Corpkor öffnete das Kanzeldach, kletterte hinaus und zog seine Waffe. Er wußte nicht, ob ihn in diesem Schiff Freunde oder Feinde erwarteten, und er wollte nicht in eine Falle stolpern.

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Nach kurzer Zeit glitt das Innenschott auf. Ein einzelner Vargane war davor zu sehen. Er hielt keine Waffe in den Händen und blickte sich suchend um.

»Vinlan?« rief er fragend. Corpkor trat aus seiner Deckung. Die

Waffe behielt er in der Hand, aber er hielt die Hand gesenkt.

»Wenn Vinlan der Name des Piloten war, dann ist Vinlan tot«, sagte er auf Varga­nisch.

Der Vargane musterte Corpkor argwöh­nisch.

»Haben Sie ihn getötet?« »Es war ein Unfall«, erklärte der Tiermei­

ster. »Ich kam erst dazu, als der Pilot schon im Sterben lag. Mein Name ist Corpkor.«

»Ich weiß«, erwiderte der Vargane. »Man sagte mir, daß Sie an den Eisnarben zu er­kennen sind. Ich heiße Apton. Vargo erwar­tet Sie in der Zentrale. Er hatte Vinlan mit dem Beiboot geschickt, um Sie zu holen.«

Corpkor schob seine Waffe ins Gürtel­halfter zurück und folgte Apton in die Hauptzentrale des Schiffes.

Vargo drehte sich mit seinem Sessel her­um, als Corpkor die Zentrale betrat.

»Ich bin froh, daß ich wenigstens Sie an Bord holen konnte«, sagte er. »Die Eisige Sphäre ist vom Untergang bedroht. Entwe­der finden wir Ihre Freunde schnell oder überhaupt nicht mehr.«

»Ich habe den Kontinuumsriß gesehen«, erwiderte Corpkor. »Außerdem konnte ich beobachten, daß viele Schiffe den Pulk ver­lassen.«

»Sie fliehen aus der Eisigen Sphäre«, er­klärte Vargo.

Er runzelte die Stirn, als der Interkom an seinem Schaltpult ansprach. Als er das Gerät einschaltete, tauchte auf dem Bildschirm der Oberkörper eines anderen Varganen auf.

»Was gibt es, Kyldron?« fragte Vargo un­gehalten.

»Die Strukturschleuse ist zusammenge­brochen, Vargo«, teilte Kyldron mit unbe­wegtem Gesicht mit. »Kein Schiff kann die Eisige Sphäre mehr verlassen.«

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45 Das Ende von Yarden

Vargo brauchte einige Zeit, um diese Mit­teilung geistig zu verarbeiten.

»Das ist schlimm«, sagte er tonlos. »Ist die Ursache bekannt?«

»Nein«, antwortete Kyldron. »Möglicherweise brach die Strukturschleuse zusammen, weil sehr viele Schiffe sie gleichzeitig passierten. Es kann aber auch sein, daß Einwirkungen aus dem Makrokos­mos den Zusammenbruch verursachten.«

»Danke!« sagte Vargo und schaltete den Interkom ab.

»Bedeutet das, daß alle Varganen, die sich noch innerhalb der Eisigen Sphäre befinden, in ihr gefangen und mit ihr zum Untergang verurteilt sind?« erkundigte sich Corpkor.

»Nein«, antwortete Vargo. »Wir Varga­nen können unsere Körper verlassen und un­seren Geist in anderen Körpern ansiedeln, die auf den Planeten des Mikrokosmos le­ben. Dennoch ist es schlimm. Unser Volk wird aufhören, ein Volk zu sein.«

Wieder meldete sich Kyldron über Inter­kom.

»Ich habe eine Funkbotschaft aufgefan­gen, die vielleicht für uns bestimmt ist«, be­richtete er.

»Lesen Sie vor!« befahl Vargo. »Diejenigen, die einem Freund etwas an­

vertrauten, was er zu Freunden brachte, sind beweglich und warten auf den Ruf, der ih­nen ihr Ziel nennt«, las Kyldron vor.

»Das sind die Gefangenen!« rief Vargo. »Kyldron, haben Sie das Schiff angepeilt, das die Funkbotschaft ausstrahlte?«

»Ich habe es angepeilt und halte es im Su­cher fest«, antwortete Kyldron.

»Fliegen Sie unser Schiff hin und koppeln Sie es mit dem anderen Schiff!« befahl Var­go. »Aber beeilen Sie sich. Wenn Kreton und Kandro merken, daß wir unsere Position verändern, werden sie vermutlich nicht län­ger zögern und losschlagen.«

»Ich werde mich beeilen, Vargo«, erwi­derte Kyldron und schaltete ab.

*

»Das Umsetzerschiff nimmt Fahrt auf!« rief Kreton. »Vargo will offenbar fliehen!«

»Er kann nicht fliehen, denn die einzige Verbindung zur Außenwelt, die Struktur­schleuse, ist zusammengebrochen«, erwider­te Kandro. »Wenn Vargo das noch nicht weiß, wird er es spätestens dann bemerken, wenn er vergeblich nach der Strukturschleu­se sucht.«

»Vargo muß etwas anderes vorhaben«, meinte Kreton. »Er entfernt sich nicht auf dem kürzesten Wege aus dem Pulk, sondern steuert sein Schiff tiefer in den Pulk hinein. Ich fürchte, er hat Kontakt zu den ausgebro­chenen Gefangenen aufgenommen und will sie an Bord nehmen.«

Der Interkommelder summte. Kandro schaltete das Gerät ein und er­

blickte auf dem Bildschirm das Gesicht des Schiffskommandanten.

»Gibt es etwas Neues, Naikondro?« fragte er.

»Allerdings«, antwortete der Komman­dant. »Die Kommandanten der elf Schiffe, die wir inzwischen um uns sammeln konn­ten, haben angefragt, wie lange sie noch hierbleiben müssen. Ihre Besatzungen for­dern die Genehmigung, ihre Körper und die Eisige Sphäre verlassen zu dürfen.«

»Abgelehnt!« entgegnete Kandro schroff. »Das habe ich bereits erklärt«, erwiderte

Naikondro. »Aber falls die Leute durch neue stärkere Einbrüche aus dem Makrokosmos in Panik geraten sollten, werden sie eigen­mächtig handeln. Sie wissen genauso wie ich, daß wir nicht in der Lage sind, Bewußt­seinsinhalte aufzuhalten.«

»Das ist mir klar«, gab Kandro zu. »Wir müssen den Leuten etwas zu tun ge­

ben, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen«, warf Kreton ein. »Ich denke, wir haben inzwischen genug Schiffe und Män­ner, um das Umsetzerschiff angreifen zu können.«

Kandro überlegte nur kurz, dann meinte er:

»Ich sehe ein, daß wir handeln müssen. Naikondro, ich übergebe Ihnen hiermit den

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Oberbefehl über unseren Verband. Veranlas­sen Sie alles Nötige, damit das Umsetzer­schiff wieder in unsere Gewalt kommt.«

»In Ordnung, Kandro«, erwiderte Naikon­dro. »Ich melde mich wieder, sobald wir uns dem Umsetzerschiff auf Gefechtsdistanz ge­nähert haben.«

Kandro schaltete den Interkom aus und wandte sich wieder an seinen Kollegen.

»Ich verspüre wenig Lust, meinen Körper aufzugeben«, sagte er gedehnt.

Kreton lächelte verstehend. »Ich auch nicht, Kandro. Aber die einzige

Alternative dazu wäre, mit Hilfe des Umset­zers in den Makrokosmos zu gehen. Ich wundere mich eigentlich, daß noch keiner der übrigen Varganen auf den gleichen Ge­danken gekommen ist und die Benutzung des Umsetzers gefordert hat.«

»Darüber bin ich froh«, entgegnete Kan­dro. »Wenn wir das ganze Volk mitnehmen würden, würden auch alle Probleme mit in den Makrokosmos kommen. Das aber würde unseren persönlichen Interessen zuwiderlau­fen. Ich bin dafür, nur den Rest unserer Leibgarde mitzunehmen.«

»Einverstanden«, sagte Kreton. »Vielleicht sollten wir auch Naikondro mit­nehmen.«

Kandro hob die Hände in einer abwehren­den Geste.

»Nein, das nicht! Naikondro ist ein guter Mann und hat uns immer treu gedient. Aber wenn ich ihn mit unserer kleinen Gruppe in den Makrokosmos mitnehmen würde, ergä­be sich eine völlig andere Situation als hier. Naikondro würde uns sehr bald entmachten und die Führung der Gruppe übernehmen.«

»Das ist nicht sicher«, entgegnete Kreton. »Aber das Gegenteil ist auch nicht si­

cher«, erklärte Kandro. »Akzeptiert«, sagte Kreton. »Aber wir

müssen wachsam sein, denn wenn Naikon­dro etwas merkt, läßt er vielleicht uns zu­rück und geht allein in den Makrokosmos.«

Unwillig blickte Kandro auf den Inter­kom, der sich erneut meldete. Nur zögernd schaltete er das Gerät ein.

H. G. Ewers

»In Sektion acht sind zwei Tote gefunden worden«, meldete Naikondro. »Beide wur­den mit einem Nadelstrahler erschossen.«

»Ein Mord in unserem Schiff?« fragte Kandro entsetzt. »Haben Sie eine Ahnung, wer der Mörder sein könnte?«

»Nein«, antwortete Naikondro. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Die

Lippen bewegten sich, brachten aber nur ein paar gurgelnde Laute hervor. Dann kippte Naikondro aus dem Aufnahmebereich.

An seine Stelle trat wenig später ein ande­rer Vargane.

»Magantilliken!« rief Kandro. Der Henker der Varganen blickte finster

in das Aufnahmegerät. »Tod allen Varganen!« sagte er. Dann

schaltete er den Interkom aus.

*

Magantilliken nahm die Hand vom Inter­kom, drehte sich um und musterte Naikon­dros Leichnam.

»Es war ein schneller und schmerzloser Tod«, flüsterte er heiser. »Ich begreife nicht, daß ich mich nicht früher an den Auftrag er­innert habe, alle Varganen hinzurichten. Viel zu lange bin ich nur einer kleinen Grup­pe nachgejagt. Doch jetzt kenne ich meinen wahren Auftrag, und ich werde nicht eher ruhen, als bis er erfüllt ist.«

Er lächelte kalt, als die Alarmsirenen im Schiff aufheulten.

»Das wird euch auch nicht retten«, flü­sterte er.

Mit federnden Schritten verließ er die Steuerzentrale und blickte sich auf dem Hauptkorridor um. Niemand ließ sich blicken.

Magantilliken eilte zu den Unterkünften der Leibwache des Rates. Er wußte, daß er zuerst die erfahrenen Kämpfer ausschalten mußte, bevor er zur Hinrichtung von Kandro und Kreton schreiten konnte. Die beiden Rä­te konnten ihm nicht gefährlich werden. Aber im Grunde genommen konnte niemand ihm gefährlich werden, denn er war der

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Henker, vor dem alle zitterten. Er öffnete das erste Kabinenschott und

war aus dem Blickfeld der Insassen ver­schwunden, bevor die beiden Schotthälften auseinandergeglitten waren.

»Wer ist das?« rief jemand von drinnen. Magantilliken wartete geduldig ab. Als

ein Mann auf den Korridor trat, hob er die Waffe, aber er schoß noch nicht.

Der Mann erblickte ihn und wurde blaß. »Was soll das, Magantilliken?« fragte er

gepreßt. »Sag deinem Kameraden, er soll heraus­

kommen!« befahl der Henker. »Ich bin schon da!« sagte der zweite Ka­

binenbewohner, trat auf den Korridor und schoß.

Doch da hatte Magantilliken schon seine Position gewechselt. Der Schuß des Leibgar­disten traf nur die Korridorwand. Aber Ma­gantillikens Schuß traf den Mann mitten ins Herz. Bevor er zusammenbrach, lebte auch der andere Gardist nicht mehr.

Magantilliken wandte sich ungerührt ab und öffnete die nächste Kabinentür. Diesmal trat er nicht beiseite, sondern feuerte, sobald sich die beiden Schotthälften einen schma­len Spalt breit geöffnet hatten.

Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Die beiden Bewohner hatten ihn mit schußberei­ten Waffen hinter dem Schott erwartet. Nur waren sie nicht so skrupellos wie er gewe­sen, sondern hatten offenbar gehofft, ihn zum Aufgeben zwingen zu können. Sie star­ben, bevor sie Zeit fanden, ihren Irrtum zu erkennen.

Magantilliken wirbelte herum, als er hör­te, daß sich links von ihm ein anderes Schott öffnete. Er lag flach auf dem Boden, als je­mand aus der betreffenden Kabine blind in den Korridor schoß. Dann sprang ein Leib­wächter in weitem Satz aus der Kabine auf den Flur. Er starb, bevor seine Füße den Bo­den berührten. Gleichzeitig mit ihm war der zweite Kabinenbewohner in den Flur getre­ten. Er feuerte auf Magantilliken, verfehlte ihn aber knapp, weil der Henker nach vorn gesprungen war. Bevor er ein zweites Mal

schießen konnte, starb auch er. Die übrigen Leibwächter handelten end­

lich gemeinsam. Sämtliche Schotte der be­wohnten Kabinen öffneten sich, und aus den Öffnungen schlug dem Henker ein wahrer Feuersturm entgegen.

Aber Magantilliken hatte sich dicht an die linke Korridorwandung gepreßt. Von dort aus feuerte er schräg in die offenen Kabinen hinein, während er sich vorwärts schob. Da die Leibwächter nicht wagten, ihre Kabinen zu verlassen, konnten sie nicht gezielt auf ihn feuern. Magantilliken dagegen traf wie­der und wieder. Das Feuer der Leibgardisten wurde schwächer.

Der Henker bemerkte nicht, daß sich weit hinter ihm das Schott der Funkzentrale ge­öffnet hatte. Er hätte sich auch nicht darum gekümmert, denn er wußte, daß sich in der Funkzentrale nur Kandro und Kreton befan­den, und er hielt die beiden Männer für zu senil, als daß er sie als ernstzunehmende Gegner betrachten konnte.

Zweifellos stimmte seine Einschätzung. Er hatte nur nicht daran gedacht, daß pani­sche Furcht alle Hemmungen über den Hau­fen werfen kann.

Kandro und Kreton zögerten nicht einen Augenblick, dazu waren sie viel zu veräng­stigt. Sie schalteten ihre Energiestrahler auf Dauerfeuer und schossen pausenlos in die Richtung, in der Magantilliken stand.

Ihre Hände zitterten zwar, aber da Magan­tilliken sich ungedeckt in ihrer Schußlinie befand, besagt das bei der enormen Energie­entfaltung ihrer Waffen überhaupt nichts. Als sie ihr Feuer einstellten, herrschte im hinteren Drittel des Korridors eine wahre Höllenglut.

Vom Henker der Varganen blieb nicht einmal ein Häufchen Asche übrig …

*

»Einzelnes Schiff nähert sich uns von Backbord«, meldete Fartuloon, der die Or­tungskontrollen des erbeuteten Schiffes be­setzt hatte.

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»Das könnte das Schiff mit dem Umsetzer sein«, meinte Ischtar. »Ich werde dennoch vorsichtshalber den Schutzschirm aktivie­ren.«

Ich sagte nichts dazu. Zwar wußte ich, daß der Schutzschirm eines Varganenschiffs so stark war, daß wir Arkoniden nur davon träumen konnten, gleichwertige Schutzschir­me zu besitzen. Aber ich konnte mir vorstel­len, daß die Angriffswaffen varganischer Raumschiffe der arkonidischen Technologie gleich weit voraus waren. Inwieweit der Schutzschirm eines Varganenschiffs vor ih­nen schützte, war mir unbekannt. Wahr­scheinlich aber bot er nur bedingt Schutz ge­gen das Feuer mehrerer Einheiten.

Ich hatte das Funkgerät besetzt und sah deshalb als erster, daß uns jemand anfunkte. Die Kontrollen zeigten, daß es mittels stark gebündeltem Richtstrahl geschah. Für mich war das der Beweis, daß wir von Freunden angerufen wurden, die nicht wollten, daß ihr Funkspruch von anderen Schiffen aufgefan­gen wurde.

Ich schaltete das Funkgerät ein und richte­te die Sendeantenne genau auf den Sektor des anfliegenden Schiffes, in dem sich – wie bei allen Varganenschiffen – die Funkzen­trale befand.

Auf dem Bildschirm des Geräts tauchte der Oberkörper eines Varganen auf. Am Ge­sicht erkannte ich Vargo. Aber der alte Var­gane zeigte keine Spur mehr von der ruhigen Gelassenheit, die er bei unserem ersten Ge­spräch zur Schau getragen hatte. Seine Ge­sichtszüge waren verzerrt, und die Augen flackerten.

»Sie sind es also doch!« stieß er hervor. »Wir befinden uns alle hier, und das

Schiff ist unter unserer Kontrolle«, erwiderte ich. »Aber was ist mit Ihnen los? Sie zittern ja.«

»Die Eisige Sphäre ist verloren!« stieß Vargo hervor. »Immer mehr Varganen las­sen ihre Körper im Stich und wechseln in andere Körper auf Planeten des Mikrokos­mos über, weil die Strukturschleuse Yardens zusammengebrochen ist.«

H. G. Ewers

Ich brauchte einen Augenblick, um diese Nachricht zu verdauen. Das Schicksal, das den Varganen bevorstand, erschütterte mich, obwohl sie uns gegenüber keine Skrupel ge­kannt hatten.

»Aber es gibt doch den Umsetzer«, sagte ich schließlich. »Er böte den Varganen doch die Möglichkeit, in den Makrokosmos über­zuwechseln.«

»Das ist es ja, was ich fürchte«, erwiderte Vargo. »Die anderen Varganen könnten ver­suchen, den Umsetzer zurückzuerobern. Das aber muß verhindert werden. Niemals wie­der dürfen Varganen in den Makrokosmos gelangen.«

Ischtar war herangekommen und stellte sich neben mich, so daß Vargo sie sehen konnte.

»Auch ich nicht?« fragte sie. »Sie sind eine Ausnahme, denn Sie gehö­

ren zu den Varganen, die sich schon vor lan­ger Zeit entschlossen hatten, im Makrokos­mos zu bleiben«, antwortete der alte Wis­senschaftler. »Ich bitte Sie, Ihren Schutz­schirm auszuschalten, damit wir ankoppeln können. Uns bleibt nicht viel Zeit, Sie durch den Umsetzer zu schicken. Wahrscheinlich bereiten Kreton und Kandro bereits den An­griff vor. Sie haben elf andere Schiffe um ihr Flaggschiff versammelt.«

»Ich desaktiviere unseren Schutzschirm«, erklärte Ischtar und ging zu ihrem Platz zu­rück.

»Kommen Sie sofort herüber, wenn wir angelegt haben«, sagte Vargo noch, bevor er die Verbindung unterbrach.

Nachdem Ischtar unseren Schutzschirm ausgeschaltet hatte, ging alles sehr schnell. Das Umsetzerschiff legte an und fuhr eine Röhre aus, die sich gegen unsere Haupt­schleuse preßte.

Ischtar setzte sich mit dem Varganen aus der Ortungszentrale in Verbindung. Sie un­terrichtete ihn über den neuesten Stand der Dinge und versprach ihm, die Notverriege­lung so auf Automatik zu schalten, daß sie nach einer Zeitspanne rückgängig gemacht wurde, die ich als eine Stunde Arkonzeit er­

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rechnete. Anschließend verließen wir das Beute­

schiff. Es gab nichts, was uns hier hätte hal­ten können. Außerdem brannte ich darauf, endlich wieder in mein normales Universum zurückzukehren und meinen Kampf gegen Orbanaschol wieder aufzunehmen.

Als wir die Zentrale des Umsetzerschiffs betraten, hatte es sich bereits von unserem Beuteschiff gelöst. Aber Vargo und seine Helfer wirkten so aufgeregt, daß wir beinahe vergaßen, Corpkor zu begrüßen.

Ich sah, daß der Tiermeister furchtbare Narben an den sichtbaren Körperstellen hat­te, kam aber nicht dazu, nach der Ursache zu fragen, denn Vargo erklärte, wir wären von zwölf Raumschiffen eingekreist worden.

Kurz darauf sprach das Funkgerät an. Vargo schaltete es erst ein, nachdem mei­

ne Freunde und ich aus dem Bereich der Bil­derfassung getreten waren. Dennoch konn­ten wir auf dem Bildschirm den Varganen Kandro sehen und seine Stimme hören.

»Sie werden bemerkt haben, daß Ihr Schiff umzingelt ist, Vargo«, sagte Kandro. »Es gibt keine Möglichkeit für Sie, zu ent­kommen. Aber wenn Sie mir Ihr Schiff und den Umsetzer innerhalb einer Zeiteinheit un­beschädigt übergeben, werde ich auf eine Bestrafung verzichten. Antworten Sie!«

»Ich sehe ein, daß meine Lage aussichts­los ist«, erwiderte Vargo. »Die Übergabe kann in einer Zeiteinheit in der Zentrale des Umsetzerschiffes stattfinden.«

»Es ist gut, daß Sie so vernünftig sind, Vargo«, meinte Kandro. »Kreton und ich werden pünktlich zur Stelle sein.«

Vargo schaltete das Funkgerät ab und wandte sich wieder an uns.

»Kommen Sie!« sagte er. »Der Umsetzer ist auf Personendurchgang geschaltet. Sie werden im Makrokosmos herauskommen, das verspreche ich Ihnen.«

Wir folgten ihm schweigend. In mir tobten die unterschiedlichsten Ge­

fühle. Ich hatte in diesem Mikrokosmos so viele Abenteuer erlebt, daß mir bei dem Ge­danken, ihn sang- und klanglos zu verlassen,

ganz eigentümlich zumute war. Aber Vargo drängte.

Wir kamen nicht einmal dazu, den Umset­zer selbst zu sehen. Vargo führte uns ledig­lich in eine Halle, auf die der Projektor des Geräts justiert war, wie er erklärte.

Kaum hatten wir uns in dem markierten Wirkungskreis aufgestellt, als der alte Var­gane auch schon in eine Nische trat, in der eine Schaltkonsole zu sehen war.

»Leben Sie wohl!« sagte er und drückte einige Tasten.

Ich wollte mich bedanken, doch da setzte die Wirkung des Umsetzers bereits ein. Die Konturen der Halle und Vargos verschwam­men. Ich spürte Ischtars Hand in meiner und dachte noch, was uns wohl drüben erwartete, dann wurden wir in einen Strudel dimensio­nal übergeordneter Energien gezogen …

*

Vargo beobachtete mit unbewegtem Ge­sicht, wie die Frauen und Männer in der Hallenmitte in dem Energiewirbel versan­ken, den der Umsetzer projizierte.

Er unterdrückte einen Anflug von Weh­mut und richtete seine Aufmerksamkeit auf das was er als nächstes zu tun gedachte. Vargo beabsichtigte nicht, ebenfalls in den Makrokosmos zu gehen. Er wollte abwarten, bis er sicher sein konnte, daß der Umsetzer niemals mehr mißbraucht werden würde.

Zielstrebig ging er zum Kraftwerksteil des Geräts, das er einst konstruiert hatte, um Forschungsexpeditionen in den Makrokos­mos zu ermöglichen. Er hatte nie geglaubt, daß sein Umsetzer mißbraucht werden konn­te, bis es dann geschehen war. Von diesem Zeitpunkt an war es mit dem Volk der Var­ganen abwärts gegangen. Aber auch über andere Völker war viel Unheil gebracht wor­den.

Das sollte ein für allemal ein Ende haben. Vargo schloß die Geräte, die er beim Kraft­werksteil bereitgestellt hatte, an die Energie­versorgung an und gab dem Aktivator einen Kode ein. Danach kehrte er in die Zentrale

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des Schiffes zurück. »Ich werde den Umsetzer zerstören, so­

bald das Ultimatum der Räte abgelaufen ist«, teilte er seinen Helfern mit. »Bitte, bringen Sie sich vorher in Sicherheit.«

»Was wird aus Ihnen, Vargo?« erkundigte sich Apton. »Werden Sie ebenfalls in einen Körper außerhalb der Eisigen Sphäre über­wechseln? Werden wir uns irgendwann wie­der begegnen?«

»Das weiß ich noch nicht«, antwortete der Wissenschaftler. »Ich werde mich erst im letzten Augenblick entscheiden. Viel Glück, meine Freunde.«

Nacheinander verabschiedeten sich seine Helfer. Anschließend suchten sie Kabinen auf, um sich in völliger Abgeschiedenheit auf die Übernahme fremder Körper vorbe­reiten zu können.

Vargo aber blieb vor dem Funkgerät sit­zen. Kurz bevor das Ultimatum abgelaufen war, schaltete er es ein.

*

»Können wir kommen, Vargo?« fragte Kandro, leicht verwundert darüber, daß der Wissenschaftler sich vor Ablauf des Ultima­tums noch einmal über Funk gemeldet hatte.

Vargo lächelte undefinierbar. »Sie können kommen«, antwortete er.

»Allerdings werden Sie dann sterben, denn ich habe vor, den Umsetzer zur Explosion zu bringen. Dabei wird das Schiff zweifellos auch zerstört werden.«

Kandro fuhr zusammen. »Das können Sie nicht tun, Vargo!« rief

er beschwörend. »Wir werden gemeinsam in den Makrokosmos gehen. Dort bauen wir uns eine neue Zukunft auf. Wir werden Ih­nen jeden Wunsch erfüllen, den Sie äußern.«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Vargo. »Ich bin in der glücklichen Lage, mir mei­nen größten Wunsch selbst erfüllen zu kön­nen. Das Gerät, das ich einst konstruierte und das soviel Unheil über uns und andere Völker brachte, wird aufhören zu existie­ren.«

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Fassungslos starrten Kandro und Kreton auf den Bildschirm des Funkgeräts, der dun­kel geworden war.

»Er hat einfach abgeschaltet«, sagte Kan­dro.

»Rufen Sie ihn an!« drängte Kreton. »Wir müssen ihn von seinem verrückten Plan ab­bringen!«

»Ich fürchte, er wird sich durch uns nicht beeinflussen lassen«, erwiderte Kandro. Dennoch schaltete er am Funkgerät.

»Dann schicken wir ein Enterkommando hinüber!« erklärte Kreton.

»Zu spät!« sagte Kandro tonlos. Kreton sah, daß sein Kollege auf den

Steuerbordbildschirm blickte. Als er seinem Blick mit den Augen folgte, packte ihn eisi­ges Entsetzen.

Die Außenhülle des Umsetzerschiffs bläh­te sich auf, riß an unzähligen Stellen. Blau­weiße Glut schlug von innen durch die Risse und verschlang das Umsetzerschiff inner­halb weniger Augenblicke.

Als Kreton sich nach Kandro umwandte, sah er nur noch den leblosen Körper im Ses­sel hocken. Er beugte sich zu ihm hinüber und erkannte an den wohlbekannten Anzei­chen, daß Kandros Körper sich in jenem Zu­stand der Starre befand, der sich einstellte, wenn ein Vargane eine Bewußtseinstelepor­tation in einen fremden Körper unternahm.

Der eigene Körper blieb dabei am Leben. Nur wurden seine Lebensfunktionen auf ein kaum noch meßbares Minimum reduziert, aber immerhin nur soweit, daß der Besitzer, wenn er zurückkehrte, sein normales Leben wieder aufnehmen konnte.

Aber diesmal würde Kandros Bewußtsein nicht zurückkehren, wußte Kreton.

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und musterte nacheinander die Bildschirme der Rundsichtgalerie. Kreton erschrak nicht, als er entdeckte, daß der Strukturriß an der Grenze zum Makrokosmos sich rasend schnell vergrößerte und daß die aus ihm her­vorbrechende rötliche Glut die Eisige Sphä­re fast erreicht hatte.

Yarden würde untergehen – und mit Yar­

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den würde auch die Macht der Tropoythers innerhalb des Mikrokosmos erlöschen. Was mit der Grenze zwischen Mikro- und Ma­krokosmos geschehen würde, wußte Kreton nicht. Er wußte nur, daß es niemals wieder jene Kreuzzüge nach Yarden geben konnte.

Als die Ausläufer, der fremdartigen Glut die Eisige Sphäre erreichten, flammte die nebelartige Hülle grell auf. Das Leuchten spiegelte sich auf den Hüllen zahlloser Raumschiffe, die verlassen durch den Raum trieben. Inzwischen mußten alle Varganen aus ihren Körpern geflohen sein.

Kreton dachte daran, daß es für ihn höch­ste Zeit wurde, sich ebenfalls in einen Kör­

per außerhalb von Yarden zu flüchten. Aber er tat es nicht. Es erschien ihm sinnlos, wei­terzuleben, wenn das Volk der Varganen zerstreut und die Macht der Tropoythers für alle Zeiten gebrochen war.

Als die Eisige Sphäre unter dem Ansturm der fremden Energie zerriß, traf ein Schwall tödlicher Kältestrahlung das Schiff Kretons. Der letzte Bewohner der Eisigen Sphäre starb im gleichen Augenblick wie Yarden.

ENDE

E N D E