20
Humboldt Universität zu Berlin, Institut für Kunst- und Bildgeschichte Seminar: Partizipative Strategien in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts Dozentin: Dr. Katja Kwastek, SS 2012 Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von Kommunikation und Partizipation Von Teresa Reichert

Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

 

Humboldt Universität zu Berlin, Institut für Kunst- und Bildgeschichte

Seminar: Partizipative Strategien in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts

Dozentin: Dr. Katja Kwastek, SS 2012

Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von

Kommunikation und Partizipation

Von Teresa Reichert

Page 2: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

 

Inhalt

0. Einleitung 1

1. Das Essen in der Kunst- und Kulturgeschichte 1

2. Fallstudie: Daniel Spoerri und Gordon Matta-Clark 4

3. Exkurs: Nicolas Bourriauds Relational Aesthetics 10

4. Fallstudie: Rirkrit Tiravanija 11

5. Fazit: Fördert Essen im Kunstkontext Kommunikation u. Partizipation? 15

Liste der Illustrationen, Literaturverzeichnis 17

Page 3: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  1  

0.) Einleitung

Das gemeinsame Essen ist eines der ältesten Mittel für die Entstehung eines

Austauschs und einer Kommunikation innerhalb einer Gruppe von Menschen. In den

1960er Jahren wurde das Zusammenbringen von Menschen durch das Medium Essen

als Kunstform erkannt und in den 1990ern weitergeführt. Das Ritual des

gemeinsamen Essens wird von modernen und zeitgenössischen Künstlern als

Ausgangspunkt für ihre Werke verwendet. Innerhalb derer wird das Essen als Basis

für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium

angewendet, das eine Konversation und einen Austausch ermöglicht.

Innerhalb dieser Arbeit, werde ich anhand verschiedener Fallstudien erläutern, in

wiefern das Essen in der Kunst eine Kommunikation und eine Partizipation

ermöglicht. Einzelne Werke der Künstler Daniel Spoerri, Gordon Matta-Clark, und

Rirkrit Tiravanija werden detailliert betrachtet und im Kontext der Förderung von

Austausch und Partizipation der Besucher analysiert. Innerhalb der besprochenen

Werke verwenden die Künstler stets das Essen als Ausgangs- bzw. Mittelpunkt, die

Art der Verwendung variiert jedoch, weshalb sich ein Vergleich der Werke anbietet.

Des Weiteren werde ich verschiedene kunsttheoretische Abhandlungen über den

Dialog und Austausch in der Kunst diskutieren, mit einem Fokus auf Nicolas

Bourriauds „Relational Aesthetics“. Zunächst werde ich mich jedoch kurz auf die

Bedeutung des Essens in der Kulturgeschichte sowie auf die Verwendung des Essens

in der Kunstgeschichte beziehen. Dies dient der Erstellung eines kulturhistorischen

und theoretischen Rahmens, innerhalb dessen die Werke und die Thematik betrachtet

werden können. Schließlich komme ich auf die Ausgangsfrage zurück und werde

darstellen, ob die Verwendung von Essen im Kunstkontext tatsächlich eine

Kommunikation und Partizipation der Besucher fördert, und in welcher Form dies

geschieht.

1.) Das Essen in der Kunst- und Kulturgeschichte

Kulturhistorisch ist das Essen seit Jahrtausenden ein wichtiger Bestandteil der

menschlichen Kommunikation, des Gesprächs, des Zusammenkommens und des

Austauschs. Riten und Traditionen, die je nach Kultur und Region variieren, stellen

Page 4: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  2  

das gegenseitige Verständnis und den Respekt dar. Dabei kann die Art zu essen,

gehen, schlafen etc. auch eine Kultur von einer anderen unterscheiden. So beschreibt

die Kulturwissenschaftlerin Iris Därmann:

„Die institutionelle Verkörperung der Nahrungsaufnahme in Gestalt der Mahlzeit und Tischgemeinschaft fungiert [...] als Darstellungs- und Repräsentationssystem, das politische Verhältnisse, kulturelle Standards, religiöse Glaubensvorstellungen und soziale Wirklichkeiten inszenieren, transformieren und hervorbringen kann.“1

Nach dem französischen Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss sind diese

Unterschiede und Standards ein besonders wichtiger Bestandteil menschlicher Kultur.

Er bezeichnet die Zubereitung der Nahrung, das Kochen und Braten von rohem Essen

als Urritual, das den Menschen ausmacht.2 Mauss beschreibt die historisch-kulturelle

Art der Zubereitung, Teilung, Abfolge und Aufnahme der Nahrung als einen „fait

social total“, in welchem „soziale, [...] religiöse, ethische, sexuelle, [...]

verwandtschaftliche, [...] und ästhetische Dispositive aufeinander“ treffen.3 Des

Weiteren wird die Küche als ein „fait de civilisation“ beschrieben, als ein „Produkt

interkultureller Wechselwirkungen, Gabentäusche und Entlehnungen.“4

Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss legt besonderen Wert auf die

Reihenfolge und Darbietung der Mahlzeit und die damit verbundenen Gesten. Die

Arbeitsschritte vom Rohen, unverarbeiteten Essen über die verarbeite Mahlzeit, sei

sie gekocht, gebraten oder geräuchert, bis hin zum verfaulten Essen beschreibt nach

Lévi-Strauss den Weg des Menschen von der Natur zur Kultur.5

Der deutsche Soziologe und Philosoph Georg Simmel definiert ein geteiltes Mahl als

Zeichen der Gastfreundschaft und der Möglichkeit, eine neue Beziehung unter

Fremden zu erstellen: „Dank des gemeinsamen Mahles erhalten öffentliche

Beziehungen den Status von verwandtschaftlichen Beziehungen, so dass einander

zuvor Fremde oder Feinde zu Brüdern werden, die sich gegenseitig Schutz für Leib

und Leben zusichern.“6 Besonders wichtig sind hier Gemeinsamkeit und

Zusammenhalt aber auch die Abgrenzung zu anderen. Die Ästhetisierung, Stilisierung

                                                                                                               1 Därmann 2011, S. 12 2 Siehe Därmann 2011, S. 11 3 Siehe Därmann 2011, S. 11 4 Siehe Därmann 2011, S. 12 5 Siehe Därmann 2011, S. 14 6 In: Därmann 2011, S. 20

Page 5: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  3  

und Regulierung der Nahrungsaufnahme sind als Zeichen von Kultur von hoher

Bedeutung: Die Nahrungsaufnahme erfolgt beispielsweise nicht nach dem

persönlichen Hungergefühl, sondern zu einer bestimmten, durch die Gesellschaft

festgelegten Zeit.7

In der heutigen Gesellschaft, in der ein gemeinsames Essen vermehrt schnellen

Snacks und Zwischenmahlzeiten gewichen ist, hat sich die Frage nach der beim Essen

entstehenden Gemeinschaft geändert. Jedoch könnte auch jene Vermehrung der

vereinzelten Nahrungsaufnahme gleichzeitig zu einer Zelebration des gemeinsamen

Essens, wenn es denn stattfindet, beitragen. So meint Därmann, dass wir während

eines gemeinsamen Essens Nahrung, Menge, Geschmack und „das Erlebnis des

Zusammenseins und unserer Unterhaltung“ teilen.8 Des Weiteren spricht Därmann

von der gemeinsamen Herkunft des Essens und des Sprechens in einem Anderen, da

beide im Kindesalter uns zunächst durch andere zugeführt wurden.9 Somit bleiben

jene Vorgänge des Essens und Sprechens nach Därmann stets auf das „Mitsein mit

Anderen“ bezogen.10

In der Kunst wird das Essen als Thematik schon seit den Anfängen der

Kunstgeschichte aufgegriffen und verwendet. Schon in den ägyptischen Pyramiden

wurden Wandmalereien gefunden, die Essensszenen abbildeten und Nahrungsmittel

wurden mit in die Gräber der Kaiser gelegt.11 Die direkte Verwendung von realen

Lebensmitteln in der Kunst wurde jedoch erst im 20. Jahrhundert populär. Davor kam

es vielfach zu Abbildungen: Die letzten 500 Jahre der Kunst sind geprägt durch

Stillleben mit exotischen Früchten und teuren Lebensmitteln, Darstellungen üppiger

Mahlzeiten, die von Personen in Gruppen verspeist werden, sowie Markt-,

Restaurant- und häuslichen Essensszenen. Die Darstellungen reichen von antiken

Wandmalereien über Giuseppe Arcimboldos menschlichen Portraits aus

Lebensmitteln und Hieronymus Boschs aufwändigen Szenen der Völlerei zu

Cézannes Obststillleben. Jedoch erst ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgte

die direkte Verwendung von Lebensmitteln als Material in der Kunst: „Erst im 20.

Jahrhundert wird der Lebensmitteleinsatz im Zuge der allgemeinen Öffnung auf neue                                                                                                                7 Siehe Därmann 2011, S. 19ff 8 Därmann 2011, S. 29 9 Därmann 2011, S. 30 10 Därmann 2011, S. 30 11 Siehe Beil 2002, S. 10

Page 6: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  4  

Materialien zu einem veritablen, heute gleichsam ubiquitären Ausdrucksmittel der

Kunst.“12 Innerhalb jener Lebensmittelkunstwerke sind besonders Salvador Dalís

Hummertelefon oder Joseph Beuys Fettecke und Honigpumpe zu erwähnen. Eher neu

seit Ende des 20. Jahrhunderts sind Ausstellungen und Events in denen für die

Besucher gekocht wird. Jene Entwicklung hat seinen Ursprung in Werken von

Künstlern aus den 1960er und 70er Jahren, wie ich an den Beispielen von Daniel

Spoerri und Gordon Matta-Clark erläutern werde. Das Kochen und Essen selber wird

innerhalb dieser Werke zur Kunstgattung. Das Besondere an der Verwendung von

echten Lebensmitteln als Kunstmaterial oder als gekochte Mahlzeit ist, dass hier die

Wahrnehmung des Besuchers über das visuelle hinausgeht und durch entstehende

Gerüche und Geschmäcke zu einer „ganzkörperlichen Eigenerfahrung“13 wird.

2.) Fallstudie: Daniel Spoerri und Gordon Matta-Clark

In den 1960er Jahren wurde besonders innerhalb der Fluxus-Bewegung die

Beteiligung des Besuchers an der Kunst essenziell.14 Dabei wurden dem Publikum

verschiedene Arten der Partizipation angeboten: Es wurde entweder zu einem

„teilnehmende[n], handelnde[n] und produzierende[n] Publikum bei diversen

Aktionen“, zu einem „Benutzer bereitgestellter Objekte und Situationen“ oder zu

einem „Ausführende[m] zuvor formulierter Handlungsanweisungen“.15 Der schweizer

Künstler Daniel Spoerri gehört mit der Begründung der „Eat Art“ zu der zweiten Art

der Partizipation: Bei ihm wird der Besucher innerhalb seiner Essensanordnungen zu

einem Benutzer bereitgestellter Objekte und Situationen. Der 1930 in Galati

(Rumänien) geborene Tänzer, Autor und Künstler beschäftigte sich in den 1960er bis

80er Jahren vermehrt mit dem sozialen Austausch und den Überresten, die in

Situationen wie einem gemeinsamen Essen entstehen. Die Kunstgattung der Eat Art

wird als „Erweiterung der Objektkunst zur Aktionskunst“16 angesehen und beschäftigt

sich mit dem Essen als Ausgangs- oder Mittelpunkt des Werkes. Ein Großteil Spoerris

früher Werke entstanden beim Essen, wie z.B. die Idee des Theaterstücks „Ja, Mama,

                                                                                                               12 Beil 2002, S. 15 13 z.B. in Spoerris Restaurant oder in einer Kochaktion von Tiravanija. Siehe Beil 2002, S. 20 14 Siehe Feldhoff 2009, S.47 15 Feldhoff 2009, S. 47 16 Esterhazy 2001, S. 39

Page 7: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  5  

das machen wir!“: 1962 zeichnete Spoerri während eines Essens mit Freunden das am

Tisch entstandene Gespräch auf Tonband auf und verwandelte die wortgetreue

Abschrift in ein Theaterstück. Während der Aufführung spielten die Schauspieler im

1. Teil des Stückes das Drehbuch auf, währenddessen ein weiteres Tonband die

Gespräche der Schauspieler aufnahm. Der 2. Teil des Stückes bestand nun darin, die

gerade entstandene Tonaufnahme abzuspielen und von den Schauspielern

kommentieren zu lassen.17 In diesem Theaterstück wird also die während des Essens

entstehende Kommunikation als Kunstwerk verwendet.

Auch Spoerris bekannte „Tableu-pièges“ oder „Fallenbilder“ nehmen das Essen als

Ausgangspunkt. Jene zeigen die Überreste von Mahlzeiten, Banquetts und Events.

[Fig. 1] Nachdem ein Essen durch die geladenen Gäste beendet wurde, fixierte

Spoerri die Überreste – Teller mit Essensresten, Aschenbecher mit

Zigarettenstummeln, halbleere Bierflaschen – und hängte jene Konstellationen von

Alltagsgegenständen wie traditionelle Gemälde an die Wand.18 Obwohl die Werke

einen relativ zufälligen Augenblick festhalten, sind die Situationen in denen sie

entstanden inszeniert und im Vorfeld festgelegt.

Einen Schritt weiter mit der Verwendung von Essen und der Besucherpartizipation in

seinem Werk ging Spoerri mit der Eröffnung seines ersten Restaurants 1968 in

Düsseldorf. [Fig. 2] Das „Restaurant Spoerri“ servierte normales Essen in gehobenem

Ambiente. Die Speisekarte bot jedoch auch einige Überraschungen wie

                                                                                                               17 Siehe Wipplinger 2010, S.12 18 Siehe Anmann und Stutzer 2009, S.7

Fig. 1: Daniel Spoerri: Restaurant Spoerri, Düsseldorf, Tisch

Nr.2 (1968)

 

Page 8: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  6  

Hühnerembryos oder Scheiben von Elefantenrüssel.19 Das Restaurant war von Spoerri

als „kontinuierliches Multi-Media-Happening gedacht“20, die Wände waren mit

seinem Briefwechsel sowie einigen seiner Fallenbilder und Werken von Freunden

verziert. Nach einem Essen in dem Restaurant wurde es Gästen ermöglicht, die

Überbleibsel ihrer Mahlzeit auf eine Platte kleben zu lassen und für 1000 Mark zu

erwerben.21 Das Restaurant entwickelte sich zu einem großen Erfolg: Die Kochkünste

Spoerris wurden hoch gelobt und Besucher erschienen zahlreich. Doch das Restaurant

wurde bald mehr als nur ein Ort für kulinarische Erlebnisse, es entwickelte sich zu

einer „Begegnungsstätte“ und einem sich „alltäglich erneuernden Kunstwerk“22. Zwei

Jahre nach der Eröffnung, erweiterte Spoerri seine Räumlichkeiten und eröffnete

seine „Eat Art Gallery“ ein Stockwerk über dem Restaurant. Die Galerie, die Werke

von Künstlern zeigte, die Essbares als Kunstmaterial verwendeten, entwickelte sich

zusammen mit dem Restaurant zu einem Treff- und Austauschpunkt unter Künstlern.

Das Restaurant und die Galerie sind in dem Kontext der partizipativen Kunst

besonders daher von Bedeutung, weil sie „ihre Besucher zu Aktionen animierten“23.

Über Essangebote wird ein sozialer Austausch ermöglicht, wie wir ihn auch später bei

Gordon Matta-Clark und Rirkrit Tiravanija finden werden. Spoerri gab die Leitung

des Restaurants 1972 an seinen Geschäftsführer Carlo Schröter ab, welcher das Lokal

                                                                                                               19 Siehe Wipplinger 2010, S.19 20 Violand-Hobi 1998, S.58 21 Siehe Violand-Hobi 1998, S.58 22 Violand-Hobi 1998, S.58 23 Feldhoff 2009, S.48

Fig.  2:  Restaurant  Spoerri,  Düsseldorf,  Burgplatz  19  

Page 9: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  7  

bis zur Schließung im Jahr 1982 führte.24 Dies gab Spoerri die Gelegenheit an

anderen Orten als in Düsseldorf zu leben und zu arbeiten. Mit der Eröffnung seines

Restaurants begann für Spoerri jedoch eine neue Phase, in der er sich vermehrt für die

Inszenierung seiner Arbeit interessierte.25 Er fing an, Events und Bankette zu

veranstalten, welche als Basis und Kern seines damaligen Werkes fungierten. Ein

Beispiel ist hier „L’enterrement du tableau piège“ aus dem Jahr 1983, in welchem bei

einem großen Bankett nach dem Hauptgang die Tafel samt Geschirr und Überresten

der Mahlzeit in einen Graben versenkt und begraben wurde.26 Hier, wie auch in

anderen seiner Werke27, ist die Partizipation der Besucher von höchster Bedeutung für

die Funktion des Werkes. Jedoch sind die Kommunikation und der Austausch, welche

durch das gemeinsame Essen der sich teils unbekannten Gäste fast automatisch

entstehen, auf den Endprodukten (den eingefrorenen Überresten der Mahlzeit oder

z.B. dem im unterschiedlichen Graswuchs sichtbaren Graben) nur noch zu erahnen.

Das Objekt, in welcher Form es letztendlich erscheinen mag, wird zum Zeugnis der

vergangenen Ereignisse.

Auch der amerikanische Künstler Gordon Matta-Clark eröffnete drei Jahre nach

Spoerri ein Restaurant, welches neben einem relativ normalen gastronomischen

Betrieb, auch als Kunstwerk im Allgemeinen, als Plattform für die Entstehung von

Werken sowie als Treffpunkt und Ort des Austauschs unter den Besuchern verstanden

werden kann. Der 1943 in New York geborene und 1978 am gleichen Ort verstorbene

Künstler ist besonders für seine destruirende Arbeitsweise bekannt. Architektonische

Objekte und ganze Häuser wurden zerteilt, zerstückelt oder in Teilen präsentiert.

Beispiele bekannter Werke sind z.B. „Splitting“ aus dem Jahr 1974, für das Matta-

Clark ein leerstehendes und zum Abriss freigegebenes Wohnhaus genau in der Mitte

zerteilte und zu beiden Seiten leicht nach außen gekippt präsentierte. Ein anderes

Werk ist „Bingo“ (1974), für welches die Außenfassade eines Einfamilienhauses

komplett abgetrennt wurde, so dass die inneren Etagen, Treppen und Räume sichtbar

                                                                                                               24 Siehe Violand-Hobi 1998, S. 64 25 Siehe Esterhazy 2001, S. 39 26 Siehe Esterhazy 2001, S. 39 27 Ein Beispiel sind Spoerris „riche et pauvre-Banketts“ (Erstaufführung 1980), in denen durch Würfelwurf zufällig ausgewählt wird, welcher der Gäste ein aufwändiges Essen der „reichen“ oder ein einfaches Essen der „armen“ serviert bekommt. Siehe auch Esterhazy 2001, S. 39

Page 10: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  8  

wurden. Innerhalb des Essenskontextes sticht jedoch vor allem Matta-Clarks

Restaurant „Food“ hervor. Der Künstler eröffnete das Restaurant 1971 im New

Yorker Bezirk SoHo zusammen mit der Tänzerin Caroline Gooden und drei weiteren

Mitgliedern des Kollektivs „Anarchitecture“.28 [Fig. 3]

Der Künstler beschrieb das Projekt als Treffpunkt, sowie als konzeptuelles und

performatives Kunstwerk: „Food was a meeting place, a business and a conceptual

work of art. [...] This was a restaurant that was also a performance area. We would put

on shows and create food theater.“29 Während seiner zweijährigen Existenz fungierte

das Restaurant als Kooperative, in der bildende und darstellende Künstler, Musiker

und Filmemacher zusammenarbeiteten. Einmal die Woche an dem sogenannten

„guest chef day“ wurde ein Künstler eingeladen das Menü zu entwerfen und zu

kreieren – es kochten u.a. Robert Rauschenberg und Donald Judd.30 Das Restaurant

bot Künstlern und Besuchern die Gelegenheit sich aktiv einzubringen, performativ zu

entfalten und mit Hilfe des Essens und Trinkens in den Räumen zusammenzusitzen

und ein Gespräch, einen Austausch und Ideen zu entwickeln.31 Auch die Räume

selber wurden in Kunstwerke verwandelt, beispielsweise in Matta-Clarks „Cutting

Pieces“. Für jene Werke schnitt der Künstler Stücke aus der Wand des Restaurants

heraus, welcher er später als architektonische Skulpturen in Ausstellungen

präsentierte (z.B. „Bronx Floors: Threshole“ 1972).

                                                                                                               28 Siehe Moure 2006, S. 13 29 Gordon Matta-Clark in: Moure 2006, S. 13 30 Siehe Moure 2006, S. 12: „The restaurant functioned as a cooperative with the participation of artists, musicians, filmmakers, photographers, dancers, sculptors, painters; and every week (guest chef day) an artist was invited to design and cook a menu.“ 31 Siehe Diserens 2003, S. 44f

Fig. 3: Matta-Clarks Restaurant „Food”

Page 11: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  9  

Beide Künstlerrestaurants, Matta-Clarks „Food“ und Spoerris „Restaurant Spoerri“

sind prominente Beispiele der Erzeugung einer Kommunikation und Partizipation der

Besucher mithilfe des Mediums Essen. Ihr Ziel war es, das echte Leben in die Kunst,

also „art into life“32 zu bringen. Wenn wir die Restaurants als Kunstwerke betrachten,

können wir behaupten, dass sie ohne die Besucherpartizipation nicht funktioniert

hätten. Ob nun ein Besucher bereits partizipiert indem er als zahlender Gast des

Restaurants eine Mahlzeit zu sich nimmt, ist jedoch fraglich. Der enge Kontakt

zwischen Künstlern und Gästen wird durch die gemeinsamen Mahlzeiten sowie die

genau definierten Räumlichkeiten ermöglicht. Auch kann so ein Gespräch entstehen,

welches beispielsweise Spoerris Fallenbilder oder Matta-Clarks Haus-Serien nur

bedingt ermöglichen. Des Weiteren beschränken sich beide Künstler nicht auf das

einfache Servieren von Mahlzeiten einer Speisekarte. Spoerri bietet seinen Gästen ein

Restaurant, das fast vollständig aus Kunstwerken besteht, und ermöglicht durch seine

Galerie eine Verbindung des Gastronomiebetriebs mit dem Kunstkontext. Besonders

wichtig ist in Spoerris Restaurant auch die Möglichkeit, die beendete Mahlzeit in ein

persönliches Kunstwerk verwandeln zu lassen. Hier entsteht nicht nur eine direkte

Kommunikation zwischen Besucher und Künstler, auch partizipiert der Besucher

direkt an der Entstehung des Werkes. In Matta-Clarks Restaurant hingegen

verwandelt sich das Restaurant durch die ständige Anwesenheit und Partizipation von

Künstlern aus den verschiedensten Bereichen in ein sich stets veränderndes Gesamt-

Kunstwerk, welches durch den Besucher nicht nur aus sicherer Distanz betrachtet

werden kann: Durch die Aufnahme der von Künstlern gekochten Mahlzeiten und das

Involvement in die performativen Kunstwerke, entsteht, wie auch bei Spoerri, ein

direkter Kontakt zwischen Besuchern und Künstlern.

Das beide Künstler ihre Lokale nach nur wenigen Jahren wieder verließen weist

jedoch daraufhin, das ein solch enger Kontakt und eine fortwährende Kommunikation

und Partizipation zwischen Besucher, Künstler und Werk wohl stets nur temporär

möglich ist. Des Weiteren benötigen jene Werke genau definierte Räume für die

Erstellung der sozialen Interaktionen.

                                                                                                               32 Siehe Lee 2000, S. 72

Page 12: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  10  

3.) Exkurs: Nicolas Bourriauds Relational Aesthetics

Um die innerhalb der Fallstudien besprochenen Kunstwerke in einen Rahmen fassen

zu können, werde ich nun einige Theorien ansprechen und mich dabei konkret auf

Nicolas Bourriauds Relational Aesthetics beziehen. Kunst mit einem Interesse für

soziale und kollektive Interaktionen, die einen Austausch, eine Kommunikation und

eine Besucherpartizipation fördern möchte, war besonders in den 1960er Jahren und

dann wieder Ende des 20. Jahrhunderts beliebt. Jene letzteren Werke und Künstler

wurden von dem französischen Kurator und Kritiker Nicolas Bourriaud unter dem

Begriff der „relational aesthetics“33 zusammengefasst. Homi K. Bhaba hingegen

prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „conversational art“ während Tom

Finkelpearl sich auf „dialogue-based public art“ bezog.34 Der amerikanische

Kunsthistoriker Grant Kester benutzt den Ausdruck „dialogical“, meist übersetzt als

„Dialogische Kunst und Dialogische Ästhetik“35. Kester beschreibt jene dialogischen

Werke der 1960er und 1990er Jahre so, dass ihr theoretischer Rahmen und ihr Ziel

sich nicht mehr auf ein Objekt konzentrieren, sondern auf die Beschaffenheit und die

Art des verbalen, dialogischen Austauschs selber: „If the evaluative framework for

these projects is no longer centered on the physical object, then what is the new locus

of judgement? It resides in the condition and character of dialogical exchange

itself.“36

Nicolas Bourriauds „Relational Aesthetics“ beschreibt künstlerische Werke, die auf

Kommunikation und Austausch basieren. Als Beispiele werden die Künstler Rirkrit

Tiravanija, Pierre Huyghe, Liam Gillick und andere genannt. Der Ausgangspunkt der

Kunstwerke sind dabei zwischenmenschliche Beziehungen und ihr sozialer Kontext:

„[…] an art that takes as its theoretical horizon the sphere of human interactions and

its social context, rather than the assertion of an autonomous and private symbolic

space [...]“37. Das gemeinsame Kochen und Essen wird dabei als ein Mittel für die

Entstehung von Beziehungen und Austausch unter den Besuchern genannt. Ein

weiteres genanntes Mittel ist z.B. das gemeinsame Lachen. In diesem Zusammenhang

beschreibt Bourriaud das Werk „Turkish Jokes“ von Jens Haaning aus dem Jahr 1994.                                                                                                                33 Siehe Bourriaud 1998/2006, im Original “Esthétique relationelle” 34 Siehe Kester 2005, S. 79 35 Siehe Feldhoff 2009, Anmerkung 420, S. 139, und Kester 2005, S. 79 36 Kester 2005, S. 80 37 Bourriaud 1998/2006, S.160

Page 13: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  11  

Hier werden auf einem öffentlichen Platz in Dänemark über Lautsprecher Witze auf

türkisch erzählt. Nur eine bestimmte Gruppe Menschen kann durch ihre

Sprachkenntnisse bzw. Herkunft jene Witze verstehen. Durch das gemeinsame

Lachen kann es zu einer Identifizierung und es zu einer gesprächsfördernden

Situation kommen.38 Besonders wichtig innerhalb jener Werke ist die entstehende

Gemeinschaft, derer die Besucher bzw. Zeugen der Werke zeitweise Teil werden. So

beschreibt die Kunsthistorikerin Claire Bishop:

„(..) the audience is envisaged as a community: rather than a one-to-one relationship between work of art and viewer, relational art sets up situations in which viewers are not just addressed as a collective, social entity, but are actually given the wherewithal to create a community, however temporary or utopian this may be.“39

4.) Fallstudie: Rirkrit Tiravanija

Diese Kreation einer temporären und teils utopischen Gemeinschaft ist besonders

innerhalb der Werke Rirkrit Tiravanijas von Bedeutung. Der thailändische Künstler

wurde 1961 als Sohn thailändischer Diplomaten in Buenos Aires geboren. Er wuchs

in Argentinien, Thailand, Äthiopien und Kanada auf und pendelt heute zwischen

Chiang Mai (Thailand), New York und Berlin. Diese internationale, fast nomadische

Lebensweise erklärt viele seiner Werke, die sich ständig verändern und Platz für

Ungeplantes erlauben. Viele von ihnen, besonders die frühen Werke auf die ich mich

innerhalb dieser Arbeit im Besonderen beziehen werde, sind wandelbar, transportabel

und können an den verschiedensten Orten aufgebaut und nachgebildet werden.

Tiravanija ist ein Performance- und Aktionskünstler, der besonders für seine

Kochaktionen bekannt ist. Jene Aktionen funktionieren stets mit alltäglichen

Gegenständen sowie einer direkten Partizipation der Besucher. In Galerien und

Museen in Asien, Europa und Amerika bereitet der Künstler in verschieden

aufgebauten Ausgangssituationen Mahlzeiten zu und serviert diese an die Besucher,

bzw. erlaubt ihnen sich selbst zu bedienen. Eine bekannte Installation ist Untitled

1992 (Free) (1992), die innerhalb einer Solo-Ausstellung in der 303 Gallery in SoHo

stattfand. [Fig. 4] Dort stellte Tiravanija alle Möbel der Galerie, einschließlich der

Büroräume, in den Ausstellungsraum und bot den Besuchern selbstgekochten                                                                                                                38 Siehe Bourriaud 1998/2006, S. 162 39 Bishop 2004, S. 54

Page 14: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  12  

thailändischen Curry gratis an. Gezeigt wurden auch die Zutaten und die

Abfallprodukte, die nach dem Kochen übrigblieben. Der Besucher kann so die

Arbeitsvorgänge des Kochens und des Kunstgeschehens beobachten, wodurch sich

eine neue Beziehung zwischen Künstler, Gallerist und Besucher etablieren kann.40

Die Galerie wurde während der Ausstellung zu einem sozialen Treffpunkt und viele

Besucher kamen regelmäßig vorbei. Wie wichtig das Publikum für diese Arbeit ist,

wird auf den Labels sichtbar gemacht, wo als eine der verwendeten Materialien des

Werkes „lots of people“ vermerkt ist. Es geht um die Förderung einer

Kommunikation unter den Besuchern und darum, dass sie Teil des Werkes werden.

Das Essen fungiert als Mittel zum Zweck: „[...] the involvement of the audience is the

main focus of his work: the food is but a means to allow a convivial relationship

between audience and artist to develop.“41

Ein weiteres Werk Tiravanijas mit dem Titel Untitled (Tomorrow is another day)

(1996) bestand aus einer Reproduktion seines New Yorker Apartments in Echtgröße

im Kölnischen Kunstverein. [Fig. 5 und 6] Die hölzerne Konstruktion beinhaltete

neben allen Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen eine funktionierende

Küche und ein Badezimmer und war 24 Stunden täglich für Besucher geöffnet. Hier

ist das gemeinsame Essen in der Küche nur eines von vielen Mitteln der Förderung

eines Austauschs untereinander. Das Private der Räume in diesem öffentlichen

                                                                                                               40 Siehe Bishop 2004, S. 56 41 Bishop 2004, S.56

Fig. 4: Rirkrit Tiravanija: Untitled (Still), 303 Gallery, New York (1992)

Page 15: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  13  

Kontext ist von besonderer Bedeutung, es kreiert eine entspannte Atmosphäre, in der

sich die Besucher austauschen und einbringen können.

Nach Kester, sind Tiravanijas Installationen besonders durch jene neu kreierten

Räume interessant, die sich zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen Raum

bewegen: „His installations transgress divisions between the public and the private

through the creation of „parallel spaces“ in which he assembles temporary cafés,

dining rooms, and playhouses in galleries and museums.“42 Jene letzte Bemerkung ist

von besonderer Bedeutung. Tiravanija installiert seine Werke nicht in Parks oder auf

Straßenfesten, sondern in Museen und Galerien. Die Frage ist jedoch, ob Tiravanija

den Kunstkontext für die Entfaltung der Bedeutung seiner Werke braucht. Natürlich

könnte er auch außerhalb des Kunstkontextes beispielsweise auf einem Straßenfest

thailändischen Curry gratis an Besucher verteilen – auch hier würde eine

Kommunikation und ein Austausch zwischen den Besuchern entstehen. Das Problem

befindet sich auf anderer Ebene. Nach Kester werden Tiravanijas Werke als

Möglichkeiten gefeiert, durch die Kunst institutionelle und kulturelle Grenzen zu

überschreiten und utopische Orte zu kreieren, in denen ein freier und offener

Austausch ermöglicht wird.43 Jedoch ist Tiravanijas Werk nur innerhalb eines

bestimmten Ortes, eines abgetrennten Raums erfolgreich und von Bedeutung:

Innerhalb des Kunstvereins wurde das Werk sehr gut angenommen, die

Besucherzahlen waren hoch, der erwünschte Austausch fand statt44 und die Presse

                                                                                                               42 Kester 2004, S.104 43 Kester 2004, S. 105: „His works are celebrated as embodiments of art’s power to transcend institutional and cultural boundaries and to create a utopian space of free and open exchange.“ 44 Z.B. Kurator Udo Kittelmann: „[...] the installation offered an impressive experience of togetherness to everybody.“ In: Bishop 2004, S. 68

Fig. 5 und 6: Rirkrit Tiravanija: Untitled (tomorrow is another day), Kölnischer Kunstverein (1996), l: Außenansicht, r: Installationsansicht, innen

Page 16: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  14  

feierte das Werk als „model of intercultural exchange“45. Jedoch zur selben Zeit, als

dieses Werk 1996 im Kölner Kunstverein ausgestellt wurde, kam es zu einer

Räumung eines durch Obdachlose genutztes Gebiet in der Nähe der Ausstellung. Die

Werke sind utopisch und können bzw. wollen die Welt nicht verbessern, sie sind sich

deren aber bewusst. Jedoch ist es gerade jener etwas naive Wunsch der Utopie, der

am schärfsten kritisiert wird. So stellt sich hier die Frage: Zwischen wem wird eine

Kommunikation ermöglicht – und wird sie anderen verwehrt? Claire Bishop

hinterfragt die „Demokratie“ des kreierten Austauschs innerhalb solcher Werke. Sie

meint:

„[...] the relations set up by relational aesthetics are not intrinsically democratic, as Bourriaud suggests, since they rest too comfortably within an ideal of subjectivity as whole and of community as immanent togetherness. There is debate and dialogue in a Tiravanija cooking piece, to be sure, but there is no inherent friction since the situation [...] produces a community whose members identify with each other, because they have something in common.“46

Sie identifiziert die Besucher als Kunstliebhaber, die das Interesse an der Kunst als

gemeinsamen Nenner haben, wodurch ein Austausch sehr leicht entstehen kann.

Genau jenes Problem der Demokratie des erzeugten Austauschs ist von hoher

Bedeutung innerhalb jener, auf Austausch und Kommunikation basierender Werke.

Jener Austausch und jene Beziehungen die einen Dialog ermöglichen werden, u.a.

von Bourriaud, als demokratisch und daher positiv angesehen.47 So erkennt auch

Feldhoff die „Problematik ein- und ausschließender Mechanismen künstlerischer

Projekte, die sich als offene, demokratisch strukturierte darstellen [...].“48 Ein

Austausch und eine Kommunikation wird zwar ermöglicht – aber nur innerhalb einer

sehr begrenzten Gruppe. Andererseits würde ich behaupten, dass das Essen, als so

zentraler Teil unser aller Leben, hier ein sehr guter Ausgangspunkt für die

Kommunikation darstellt. In diesem Sinne ist Tiravanijas Werk erfolgreich, es kreiert,

durch verschiedene Mittel wie z.B. das Essen, einen Dialog und Austausch unter den

Besuchern. In Wiefern dadurch kulturelle Grenzen überschritten werden und die

Hierarchie z.B. zwischen Künstler, Besucher und Galerist herabgesetzt wird, ist eine

andere Frage.

                                                                                                               45 Siehe Kester 2004, S. 105 46 Bishop 2004, S. 67 47 Siehe Feldhoff 2009, S. 144 und Bishop, S. 65 48 Feldhoff 2009, S. 144

Page 17: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  15  

6.) Fazit - Fördert Essen im Kunstkontext Kommunikation und Partizipation?

Die Kreation eines Dialogs ist das Zentrum vieler Künstler und Kunst-Kollektiven

geworden. Die verwendeten Mittel variieren – Beispiele sind Tanzklassen oder

nachbarschaftliche Hilfsangebote – das Ziel ist dasselbe. Diese Künstler etablieren

den Rahmen, den Kontext, die Situation für die Herstellung von Kommunikation und

Partizipation innerhalb verschiedener Gruppen: „They are context providers rather

than content providers“49. Innerhalb dieses Rahmens können Konversation und

Kommunikation entstehen und eine Partizipation kreiert werden. Wie die

Kommunikation letztendlich zustande kommt, hängt von verschiedenen Faktoren und

Mitteln ab. Das Essen ist sicher nicht das einzige Mittel, es ist jedoch, durch seine

Bedeutung über politische, religiöse und kulturelle Grenzen hinweg, ein einfaches

und erfolgreiches Vehikel. Kester stellt fest, dass Kunstwerke, deren Ziele die

Entstehung eines Dialogs, eines Austauschs und einer Partizipation sind, einen

gemeinsamen Nenner brauchen, auf den Künstler und Besucher sich einigen können,

durch welchen die Teilnehmer sich verständigen und ein Gefühl der Gemeinsamkeit

entwickeln können: „Dialogical practices require a common discursive matrix

(linguistic, textual, physical, etc.) through which their participants can share insights,

and forge a provisional sense of collectivity.“50 Jene diskursive Gemeinsamkeit kann

beispielsweise ein gemeinsames Essen bilden. Ein Dialog ermöglicht einen

Austausch, er ermöglicht es, die Sichtweise anderer kennenzulernen und Neues zu

lernen. Die Partizipation wird hier zu etwas Sozialem: Das Ziel der partizipativen

Kunstwerke ist die Entstehung einer Gemeinschaft, der Integration der Kunst im

täglichen Leben.51

Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die Werke nur im Kunstkontext

und in klar definierten Räumen oder Orten funktionieren können, oder ob sie in einem

weniger definierten Zusammenhang, beispielsweise in einem öffentlichen Stadtpark,

ebenso erfolgreich wären. Die Kreation des Dialoges könnte durchaus, je nach

Gestaltung des Raumes bzw. der Installation, gleichermaßen funktionieren. Dabei ist

es irrelevant, ob es sich bei den Besuchern um Kunstliebhaber oder um Obdachlose

auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit handelt. Problematisch wird es erst, wenn                                                                                                                49 Kester 2005, S.76 50 Kester, 2005, S. 84 51 Siehe Bishop 2006, S. 10 - 12

Page 18: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  16  

der Kontext, in dem die Werke stattfinden, Situationen unterbricht, wie z.B. die

regelmäßige Ausgabe des gekochten Essens an bestimmte Personengruppen

verhindert oder nur eine gewisse Anzahl Leute an vorgeschriebenen Zeiten des Tages

zulässt.

So kann zusammenfassend gesagt werden, dass ein Bereitstellen von Essen innerhalb

eines Kunstwerkes bzw. einer Kunstinstallation durchaus zur Förderung eines

Dialoges beitragen kann. Es handelt sich dabei jedoch nicht unbedingt um einen

vollkommen demokratischen Austausch ohne Zulassungsregelungen. Auch der Inhalt

des Austauschs wird durch das Essen nicht festgelegt. Dies ermöglicht Künstlern, das

Essen in ihren Werken als Instrument für die Erstellung eines Gesprächs zu

verwenden und danach jenen Austausch durch andere Mittel, wie z.B. Performances

in eine bestimmte Richtung zu lenken. Das Essen ermöglicht also einen offenen

Austausch, ebenso kann eine natürliche Besucherpartizipation durch das

Zusammensitzen und gemeinsame Essen entstehen. Gleichzeitig ist das Essen

effektiver als andere Vehikel, da es über Sprach- und Ländergrenzen sowie Kulturen

hinausgeht und ein gemeinsames Verständnis ermöglicht. Dies wiederum bietet eine

gute Basis für die Kreation von Austausch, Gespräch und Partizipation der Besucher.

Page 19: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  17  

Liste der Illustrationen:

- Fig. 1: Aus: Anmann und Stutzer 2009, S. 25

- Fig. 2: Aus: Violand-Hobi 1998, S. 57

- Fig. 3: Aus: http-//www.artnet.com/Magazine/FEATURES/ (28.09.2012)

- Fig. 4: Aus: Bishop 2005, S. 117

- Fig. 5: Aus: Bishop 2005, S. 118

- Fig. 6: Aus: Bishop 2005, S. 119

Literaturverzeichnis:

-­‐ Anmann, Katharina und Stutzer, Beat: Gefrorene Momente – Daniel Spoerris

Fallenbilder im Dialog mit Judith Albert, David Claerbout, Caro Niederer,

Beat Streuli, Jeff Wall. Heidelberg 2009.

-­‐ Beil, Ralf: Künstlerküche – Lebensmittel als Kunstmaterial von Schiele bis

Jason Rhoades. Köln 2002.

-­‐ Bishop, Claire: Antagonism and Relational Aesthetics. In: October

110, Herbst 2004, Seiten: 51-79. USA 2004.

-­‐ Bishop, Claire: Installation Art. London 2005.

-­‐ Bishop, Claire (Hrsg.): Participation. London 2006

-­‐ Bourriaud, Nicolas: Relational Aesthetics. Dijon 1998/2006.

-­‐ Därmann, Iris: Kulturtheorien – zur Einführung. Hamburg 2011.

-­‐ Diserens, Corinne (Hrsg.): Gordon Matta-Clark. London/New York 2003.

-­‐ Esterhazy, Ewa: Eat Art! In: Schweizer Monatshefte, 81. Jahr, Heft 5, Zürich:

2001.

-­‐ Feldhoff, Silke: Zwischen Spiel und Politik – Partizipation als Strategie und

Praxis in der bildenden Kunst. Berlin: 2009.

-­‐ Kester, Grant: Conversation Pieces – Community and Communication in

Modern Art. Los Angeles und London 2004.

-­‐ Kester, Grant: Conversation Pieces – The Role of Dialogue in Socially-

Engaged Art. In: Kucor, Zoya und Leung, Simon (Hrsg.): Theory in

Contemporary Art since 1985. Oxford 2005.

Page 20: Das Essen in der Kunst als Mittel zur Förderung von ...€¦ · für einen interkulturellen Austausch und als allgemein verständliches Medium angewendet, das eine Konversation und

  18  

-­‐ Lee, Pamela M.: Objects to be destroyed - The Work of Gordon Matta-Clark.

Cambridge, USA 2000.

-­‐ Lemke, Harald: Die Kunst des Essens – Eine Ästhetik des kulinarischen

Geschmacks. Bielefeld 2007.

-­‐ Moure, Gloria: Gordon Matta Clark - Works and selected writing. Barcelona

2006.

-­‐ Obrist, Hans-Ulrich und Tiravanija, Rirkrit: The Conversation Series. Köln:

2010.

-­‐ Violand-Hobi, Heidi E.: Daniel Spoerri – Biographie und Werk, München

1998.

-­‐ Wipplinger, Hans-Peter (Hrsg.): Daniel Spoerri – Ein Augenblick für eine

Ewigkeit. Nürnberg 2010.