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Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin Masterthesis freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades M. A. im Fach Klinische Sozialarbeit Das Fairkaufhaus in Berlin-Spandau Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten eines Beschäftigungsprojekts für psychisch kranke Menschen Betreuer Dr. Thomas Floeth Zweitkorrektor Prof. Dr. Karlheinz Ortmann Bearbeiter Klaus Otto Am Berlin Museum 3 10969 Berlin Matrikelnummer: 504010 Studiensemester: 10 Studiengang: Klinische Sozialarbeit Eingereicht am: 26.01.2009

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Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin

Masterthesis

freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades M. A.

im Fach Klinische Sozialarbeit

Das Fairkaufhaus in Berlin-Spandau

Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten eines Beschäftigungsprojekts

für psychisch kranke Menschen

Betreuer Dr. Thomas Floeth Zweitkorrektor Prof. Dr. Karlheinz Ortmann

Bearbeiter Klaus Otto Am Berlin Museum 3

10969 Berlin Matrikelnummer: 504010

Studiensemester: 10 Studiengang: Klinische Sozialarbeit

Eingereicht am: 26.01.2009

Vorbemerkung II

Vorbemerkung

Als selbständig tätiger Sozialarbeiter im Bereich der Eingliederungshilfen, hauptsächlich

nach §§ 53, 54 SGB XII, bin ich unter anderem tätig im Projekt Einzelfallhilfe der

Ginko gGmbH in Berlin-Spandau, teils mit Leitungsaufträgen. Bei den von mir dort

betreuten Klientinnen und Klienten habe ich verschiedentlich, zum Teil sehr intensiv,

über Jahre hinweg, miterlebt, in welchem Ausmaß eine sinnvolle Beschäftigung bzw.

Berufstätigkeit oder der Versuch der Anknüpfung an frühere Tätigkeiten deren

Wohlbefinden, Sinnerleben und soziale Integration zu beeinflussen vermag.

Der Aufbau des Fairkaufhauses gab dem Projekt Einzelfallhilfe die Chance, mit

einigen Klientinnen und Klienten dort anzudocken bzw. das Projekt Fairkaufhaus in

gemeinsame Überlegungen mit den Klientinnen und Klienten einzubeziehen, welche

Art von Beschäftigung am ehesten in Frage kommen könnte. Aus organisatorischen

Gründen lag es nahe und ergab sich durch Verhandlungen der Geschäftsführung mit

dem Bezirk, die Betreuung der Klientinnen und Klienten zu einem Teil über das Projekt

Einzelfallhilfe abzurechnen. So hat dieses Projekt anhaltend direkt oder indirekt mit

dem Fairkaufhaus zu tun (viele Klientinnen und Klienten dort haben aber nicht

gleichzeitig eine Einzelfallhilfe und laufen nur per Rechnungslegung anteilig über die

Einzelfallhilfe).

Meine Sympathie gilt dem Projekt mit seinen Möglichkeiten, innovative

Beschäftigungsangebote für die vom Arbeitsmarkt sonst vernachlässigte oder gar

aufgegebene Klientel chronisch psychisch kranker Menschen zu entwickeln und

bereitzuhalten. Diese Sympathie ermutigt(e) mich eher noch, genauer hinzusehen,

Gespräche (Interviews) zu führen, neugierig und interessiert zu bleiben. Aus Gründen

der gebotenen kollegialen Zurückhaltung und weil der Fokus der Arbeit nicht auf

Projektentwicklung liegt, beschränke ich mich auf Themen, die sich aus meiner

Beschäftigung mit dem Stellenwert von Arbeit in der Gesellschaft, den geführten

Interviews und der Eigendarstellung des Projekts ergeben. Dabei greife ich auch auf

religionswissenschaftliche Kenntnisse und Erkenntnisse zurück. In einem zweiten

Schritt werde ich im Rahmen einer Dissertation in einigen Punkten mehr in die Tiefe

gehen können, um manche Aspekte zu unterfüttern und zu erweitern.

Inhaltsverzeichnis III

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung ............................................................................................................................. II

Inhaltsverzeichnis ...................................................................................................................... III

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................... V

1 Einleitung ............................................................................................................................ 7

1.1 Zum Begriff Arbeit .......................................................................................................... 14 1.1.1 Bezüge zur Religion .............................................................................................. 16

1.1.2 Historische Bezüge ............................................................................................... 18 1.1.3 Aktuelle Bezüge ..................................................................................................... 21

1.2 Das Fairkaufhaus ............................................................................................................. 23 1.2.1 Anspruchsgrundlagen ........................................................................................... 24

1.2.2 Versorgungssituation im Bezirk .......................................................................... 25 1.2.3 Organisatorische und wirtschaftliche Grundlagen ........................................... 26

1.2.1 Entstehung des Fairkaufhauses ........................................................................... 30 1.2.2 Soziale Konzeptionierung .................................................................................... 31

1.2.3 Das Fairkaufhaus als soziales Experiment ........................................................ 35

2 Das Forschungsanliegen ................................................................................................. 38

2.1 Forschungsstand .............................................................................................................. 38 2.1.1 Methodenentscheidung ........................................................................................ 39

2.1.2 Sample ..................................................................................................................... 41 2.1.3 Durchführung ........................................................................................................ 42

2.2 Die Interviews .................................................................................................................. 42 2.2.1 Interview mit Herrn A. ......................................................................................... 44

2.2.2 Interview mit Frau B. ........................................................................................... 50 2.2.3 Interview mit Frau C. ........................................................................................... 56

2.2.4 Interview mit Herrn D. ........................................................................................ 63 2.2.5 Interview mit Herrn E. ......................................................................................... 70

2.2.6 Interview mit Frau F. ............................................................................................ 75 2.2.7 Interview mit der Leiterin des Fairkaufhauses, Katrin Faensen ..................... 82

2.2.8 Interview mit Ginko Berlin gGmbH Geschäftsführer Volker Schröder ...... 92 2.3 Vergleich der Interviews mit den Beschäftigten.......................................................... 95

a) Routine, Tagesablauf, Ordnung, Struktur, Regelmäßigkeit............................. 96 b) Pausen, Zeit, selbstbestimmte Zeit, Entlastung................................................ 96

c) Leistung, Leistungsfähigkeit und-grenzen, Kompetenzen, (Miss-)Erfolg .... 97 d) Lob, Anerkennung, Aufgabenzumessung, Wertschätzung ............................. 98

e) Gemeinschaft, soziale Regeln, soziale Unterstützung, Versorgung ............... 98 f) Normalität, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz..........................................100

g) Entertainment; Reden, Austausch, Ansprache, Aussprache .........................101 h) Gesundheit, Krankheit, Ressourcen, Limitierungen ......................................102

i) Toleranz, Verständnis, Akzeptanz ....................................................................105 2.4 Vergleich der Interviewgruppen Beschäftigte – Leitende ........................................105

Inhaltsverzeichnis IV

3. Folgerungen ....................................................................................................................108

3.1 Folgerungen, bezogen auf das Fairkaufhaus ..............................................................108 3.2 Folgerungen, bezogen auf die soziale Situation im Bezirk ......................................109

3.3 Folgerungen, bezogen auf die Fachdiskussion ..........................................................110 3.4 Fazit .................................................................................................................................111

Literaturverzeichnis ..................................................................................................................113

Anhang .......................................................................................................................................117

Eidesstattliche Erklärung .........................................................................................................118

Interview-Leitfaden ..................................................................................................................119

Transkripte.................................................................................................................................120

Transkriptionsregeln ................................................................................................................120 Interview-Transkript: Herr A..................................................................................................122

Interview-Transkript: Frau B. .................................................................................................132 Interview-Transkript: Frau C. .................................................................................................143

Interview-Transkript: Herr D. ................................................................................................154 Interview-Transkript: Herr E. .................................................................................................163

Interview-Transkript: Frau F. .................................................................................................173 Interview Transkript: Leiterin des Fairkaufhaus Katrin Faensen ......................................180

Interview-Transkript: Geschäftsführer Ginko Berlin gGmbH..........................................199 Dank ..........................................................................................................................................205

Abkürzungsverzeichnis V

Abkürzungsverzeichnis

BAR BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR REHABILITATION

Bay. LfU 2007 BAYERISCHES LANDESAMT FÜR UMWELT (Veranst.): Nachhaltigkeits-strategien im Gebrauchtmöbelsektor. Fachtagung am 23. Januar

2007. Augsburg (2007): BAYERISCHES LANDESAMT FÜR UMWELT.

FKH 2008 FAIRKAUFHAUS, Altonaer Straße 6-8, 13581 Berlin (2008): Begleitheft

zum Film auf CD: FAIK 230708 L5. Ein Stück Normalität zurückgewinnen. Berlin: docdata media GmbH – Freigabe –

04.08.2008.

FKH 1 Homepage des Fairkaufhauses: „Wir über uns: Presseerklärung zur

Eröffnung“ http://www.fairkaufhaus.de/index.php?idcat=64&sid=281fd4d96

64fee3ff76f5cfebb84f230; 26.01.09

FKH 2 Homepage des Fairkaufhauses: „Beschäftigung: Voraussetzungen“

http://www.fairkaufhaus.de/index.php?idcat=18&sid=281fd4d9664fee3ff76f5cfebb84f230; 26.01.09

FKH 3 Homepage des Fairkaufhauses: „Kaufhaus: Spenden“ http://www.fairkaufhaus.de/index.php?idcat=37&sid=281fd4d96

64fee3ff76f5cfebb84f230; 26.01.09

FKH 4 Homepage des Fairkaufhauses: „Wir über uns: Ziele und

Selbstverständnis“ http://www.fairkaufhaus.de/index.php?idcat=32&sid=281fd4d96

64fee3ff76f5cfebb84f230; 26.01.09

FKH 5 Homepage des Fairkaufhauses: „Beschäftigung: Was können Sie bei

uns tun?“ http://www.Fairkaufhaus.de/index.php?idcat=17&sid=281fd4d96

64fee3ff76f5cfebb84f230; 26.01.09

HrwG II CANCIK, Hubert; GLADIGOW, Burkhard; LAUBSCHER, Matthias

(Hrsg.) (1990): Handbuch religionswissenschaftlicher Grund-begriffe. Stuttgart: Kohlhammer.

MLR Bd. 1 AUFFARTH, Christoph (1999): Abendmahl – Guru. Stuttgart: Metzler (Metzler-Lexikon Religion, Bd. 1).

MLR Bd. 2 AUFFAHRT, Christoph; Imhof, Agnes (1999): Haar – Osho-Bewegung Stuttgart: Metzler (Metzler Lexikon Religion, 2).

MLR Bd. 3 AUFFAHRT, Christoph; Imhof, Agnes (2000): Paganismus- Zombie. Stuttgart: Metzler (Metzler Lexikon Religion, 3).

VI

RL Psycho

2008

BUNDESAUSSCHUSS DER ÄRZTE UND KRANKENKASSEN (2008):

Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-

Richtlinien) in der Fassung vom 11. Dezember 1998, veröffentlicht im Bundesanzeiger 1999; Nr. 6: S. 249. Zuletzt geändert am 24.

April 2008, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 118, S. 2902. In Kraft getreten am 8. August 2008.

Wegweiser 2005

BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR REHABILITATION: Wegweiser. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. 12., völlig neu

bearb. Aufl. (2005). Frankfurt am Main: Bundesarbeits-gemeinschaft für Rehabilitation.

WBC DREHSEN, Volker; HÄRING, Hermann, KUSCHEL, Karl-Josef; SIEMERS, Helge; in Zusammenarbeit mit BAUMOTTE, Manfred

(Hrsg.) (1995): Wörterbuch des Christentums. München: Orbis.

1 Einleitung 7

1 Einleitung

Psychisch kranke Menschen haben es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer. Gründe gibt

es viele: Arbeitgeber tun sich schwer damit abzuschätzen, auf welche Art, in welchem

Ausmaß und wie lange Beeinträchtigungen zu erwarten sind und Kompetenzen leiden

oder gelitten haben. Dies setzt voraus, dass Arbeitgeber grundsätzlich informiert und

bereit sind, psychische Erkrankungen als solche anzuerkennen. Der Gesetzgeber hält

Hilfen, aber auch Vorschriften bereit, die nicht so geläufig sind, wie etwa die von

Berufsgenossenschaften vermittelten Unfallverhütungsvorschriften und Arbeitsplatz-

Sicherheitsmaßnahmen. Das bedeutet Unsicherheit auf Seiten der Arbeitgeber und, weit

mehr noch, auf Seiten der Arbeitnehmer und Arbeits- oder Ausbildungssuchenden.

Doch Uninformiertheit und Verunsicherung durch den Krankheitsverlauf selbst sind

noch mildere Hindernisse. Psychisch kranke Menschen haben oft zusätzlich zu ihrer

Erkrankung damit zu tun, familiär oder im Bekannten- und Freundeskreis offenen oder

subtilen Vorurteilen, Ängsten, gefühlsmäßiger Ablehnung bis hin zu wirklicher

Tabuisierung zu begegnen. Tabuisierung aber bedeutet Voreinstellung,

Berührungsscheu, Vermeiden von Kontakt, soziale Ausgrenzung, bis hin zu irrationalen

Schuldzuweisungen. Stigmatisierung heißt die Sekundärerkrankung – es ist eine soziale

Erkrankung.

Eine ganze Gesellschaft tut sich schwer damit zu definieren, was das Besondere an

einer psychischen Erkrankung ist. Was körperliche Gesundheit ist, glaubt jeder zu

wissen. Seelische Gesundheit ist ein Begriff, der gesetzlich nicht definiert ist, der aber

nichtsdestotrotz gesellschaftlichen Maßgaben unterliegt und etwa von kulturellen

Prägungen und Deutungen, lebensweltlichen Ausformungen, dem Geschlecht,

soziologischen Parametern, vom Stand der mit der Gesundheit befassten

Wissenschaften und nicht zuletzt von familiären Systemen und individueller

Wahrnehmung beeinflusst wird. Die Übersetzung in die Sozialgesetzbücher greift auf

ein Negativum, den Begriff der Behinderung, zurück und stellt körperliche, geistige und

seelische Gesundheit dabei gleich. In § 2 (1) SGB IX heißt es:

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit

oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs

Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und

daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind

von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.

(Stascheit, 1173)

1 Einleitung 8

Da es jedoch keinen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, was seelische Gesundheit

ist und ambitionierte Definitionen bisher nicht breit kommuniziert werden, wirkt sich

der Begriff der Behinderung, bezogen auf seelische Gesundheit, stigmatisierend aus.

Etwas, von dem es nur einen negativen Begriff gibt, kann leicht mit allem Möglichen

aufgeladen werden, im Falle psychischer Erkrankungen bis hin zu religiösen Deutungen.

Diese Wirkweise ist auch zu erkennen im Bereich der überbetrieblichen Ausbildung

„sozial benachteiligter“, von „Lernbeeinträchtigung“ oder „Lernbehinderung“

betroffener Jugendlicher, die an einer überbetrieblichen Ausbildung teilnehmen wollen.

Ihre Teilhabe ist formalrechtlich nur um den Preis einer Stigmatisierung zu haben.

Da die Bereitstellung von Lehrstellen (..) grundsätzlich keine staatliche

Aufgabe ist, sind die verwaltenden Stellen verpflichtet, ihr Handeln in

besonderer Weise zu legitimieren. Sie erreichen dies nur dadurch, indem sie

den Jugendlichen einen ‚Devianzstatus’ zuschreiben. Die Stigmatisierung als

‚Benachteiligter’ ist somit zwingende Bedingung für staatliche Intervention

und Hilfe. Für die Jugendlichen eröffnen sich dadurch

Ausbildungsmöglichkeiten, doch sind ihre Beschäftigungschancen nach

Abschluß der Lehre begrenzt. (Ulrich o. J. [1998]: 8)

So, wie es etwa in der Einstufung als „geistig behindert“ bei Kindern mit

Autismusspektrumstörungen in der Schuleingangsuntersuchung geschehen kann (bzw.

im Vorfeld durch beobachtende pädagogische Fachkräfte in einer

Integrationskindertagesstätte), ‚müssen’ diese Jugendlichen einen ‚Stempel’ tragen, damit

sie überhaupt ein Anrecht auf eine adäquate Ausbildung bekommen. Das Problem, wie

Rechtssprechung normative Wirkungen erzeugt, indem sie diese gerade verhindern will,

kann hier nicht diskutiert werden. Aber die Auswirkungen von gesellschaftlich unklaren

Normen auf psychisch erkrankte Menschen sind doch näherer Betrachtung wert, hier

insbesondere im Bereich der Arbeit, und liegen dieser Untersuchung als Anfrage an den

Gegenstand mit zugrunde.

Ulrich spricht hinsichtlich „sozial benachteiligter“ oder Jugendlicher mit einer

„Lernbeeinträchtigung“ von Stigmatisierung „funktional als Bedingung und zugleich als

das Ergebnis eines Problemlösungsprozesses“. (Ulrich o. J. [1998]: 6) Leider ist es so,

dass bei psychisch erkrankten Menschen im Sinne der genannten Definition des SGB

IX der Problemlösungsprozess der Agentur für Arbeit und der Krankenkassen als

Leistungsträger einer zu erbringenden Psychotherapie im Rahmen der

psychosomatischen Grundversorgung nach den Psychotherapie-Richtlinien der

Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation (BAR) de facto bei der magischen Grenze

von drei Stunden täglicher Arbeitsfähigkeit endet. Paragraph 10 SGB I zur Teilhabe

1 Einleitung 9

behinderter Menschen beschreibt, indirekt, eher die Bedingungen für die medizinische

Rehabilitation für diesen Personenkreis. Denn es ist diesen Menschen ja gerade nicht

möglich, nach Nr. 3. dieses Paragraphen „einen ihren Neigungen und Fähigkeiten

entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern“ – daher ist dieser Platz „ihnen ... zu

sichern“. (Stascheit 2005: 43). Wer diesen Platz „ihnen“ sichert, wenn drei Stunden

täglicher Arbeitsfähigkeit nicht gegeben sind, bleibt unklar.

In mehrfacher Weise kann man von einer geradezu auffälligen Ausschließung von

Menschen sprechen, die im Sinne des § 2 (1) SGB IX durch ihre psychische Erkrankung

von einer Behinderung betroffen oder bedroht sind. Als Ziel der Leistungen zur

Teilhabe am Arbeitsleben fasst der Wegweiser Rehabilitation und Teilhabe behinderter

Menschen der BAR zusammen:

Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind bei behinderten oder von

einer Behinderung bedrohten Menschen, die auf dem allgemeinen

Arbeitsmarkt tätig werden können, darauf gerichtet, ihre Erwerbsfähigkeit

entsprechend ihren Neigungen und ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu

verbessern, herzustellen oder wieder herzustellen und ihre Teilhabe am

Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern (§§ 4 Abs. 1 Nr. 3 und 33 Abs.

1 SGB IX i. V. m. § 97 Abs. 1 SGB III). Behinderten Frauen sind dabei im

Erwerbsleben gleiche Chancen zu sichern (§ 33 Abs. 2 SGB IX). (Wegweiser

2005: 45)

Allerdings können Menschen mit einer seelischen Behinderung das Pech haben,

zunächst von einer kassenfinanzierten Psychotherapie ausgeschlossen zu werden, wenn

„zwar seelische Krankheit vorliegt, ein Behandlungserfolg aber nicht erwartet werden

kann, weil dafür beim Patienten die Voraussetzung hinsichtlich seiner Motivationslage,

seiner Motivierbarkeit oder seiner Umstellungsfähigkeit nicht gegeben sind oder weil die

Eigenart der neurotischen Persönlichkeitsstruktur des Patienten (gegebenenfalls seine

Lebensumstände) dem Behandlungserfolg entgegensteht“. (RL Psycho 2008: 10)

Möglicherweise kann die vom Gesetz erwünschte Teilhabe am Arbeitsleben weder

durch die allgemeinen noch die besonderen Leistungen, wie sie in § 98 SGB III

beschrieben sind, aufgrund des Zustands des „Patienten“ (!) erreicht werden. Dann

könnte es sein, dass im Sinne des Gesetzes seelisch behinderte Menschen die Wahl

haben zwischen gar keiner Teilhabe am Arbeitsleben und einer Werkstatt für behinderte

Menschen, wenn sie wegen „Art oder Schwere ihrer Behinderung nicht, noch nicht oder

noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt

werden können und deshalb am Eingangsverfahren bzw. am Berufsbildungsbereich

1 Einleitung 10

einer Werkstatt für behinderte Menschen teilnehmen (§ 136 i. V .m. § 40 SGBIX, § 102

Abs. 2 SGB III)“. (Wegweiser 2005: 45) Vernünftigerweise wird man versuchen, an

frühere Schulabschlüsse, Ausbildungen und berufliche Kenntnisse anzuschließen. Es ist

jedoch heikel, ob das gelingt bzw. wann die Tür verschlossen wird. Um den Konflikt zu

illustrieren: Ein ehemaliger Klient von mir, mit fast allen akademischen Weihen, sah sich

Jahre nach seiner psychotischen Erkrankung und nach Jahren der Arbeitslosigkeit bitter

degradiert, als er eine Eingangsmaßnahme zur Berufsförderung absolvieren sollte, „mit

Hauptschülern wieder die Schulbank zu drücken und Holzmännchen zu basteln“.

(Durch intensive sozialtherapeutische Arbeit in der Einzelfallhilfe gelang hier nach

Jahren eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt – leider kein repräsentativer

Ausgang.)

Es ist unschwer zu erkennen, dass eine grundsätzlich bedenkliche Bewertung von

Arbeit stattfindet, wenn etwa gefordert wird, „nach der Teilnahme am

Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen ... wenigstens ein

Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erzielen (§ 40 Abs. 1 Nr.

2 SGB IX)“. (Ebd.) Inmitten (oder noch am Anfang) einer Weltwirtschaftskrise, in der

unvorstellbare Summen im ‚Nichts’ verschwinden, nimmt sich eine solche Formulierung

im Gesetz zynisch aus. Sollte sich die „Auswahl der Leistungen“ zur Teilhabe am

Arbeitsleben nach „Eignung, Neigung, bisherige(r) Tätigkeit“ so leicht mit „Lage und

Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“ verrechnen lassen? (Vgl. § 33 Abs. 4 SGB IX,

Stascheit 2005, 1184) Der Begriff Arbeit im Verhältnis zum Begriff Teilhabe am

Arbeitsleben im Sozialgesetzbuch bleibt insgesamt schwammig und nahezu unseriös.

Daran ändern etwa die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV),

oder das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleich-

stellungsgesetz – BGG) nichts, so hilfreich sie im Einzelfall sein mögen.

§ 33 (1) SGB IX nennt die Ziele der „Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“:

„Zur Teilhabe am Arbeitsleben werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um die

Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend

ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen

und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.“ Absatz 6 präzisiert

medizinisch, psychologisch und pädagogisch (nicht jedoch sozialarbeiterisch!):

Die Leistungen umfassen auch medizinische, psychologische und

pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich

sind, um die in Absatz 1 genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und

1 Einleitung 11

Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre

Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere

1. Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und

Behinderungsverarbeitung,

2. Aktivierung von Selbsthilfepotentialen,

3. mit Zustimmung der Leistungsberechtigten Information und Beratung

von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen,

4. Vermittlung von Kontakten zu örtlichen Selbsthilfe- und

Beratungsmöglichkeiten,

5. Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen

Kompetenz, unter anderem durch Training sozialer und kommunikativer

Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen,

6. Training lebenspraktischer Fähigkeiten,

7. Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur

Teilhabe am Arbeitsleben,

8. Beteiligung von Integrationsfachdiensten im Rahmen ihrer

Aufgabenstellung (§ 110). (Stascheit 2005, 1184)

Es zeigt sich, dass eine ärztliche Psychotherapie im Rahmen der psychosomatischen

Grundversorgung nach den Psychotherapie-Richtlinien der BAR völlig überfordert ist,

soziale Unterstützungsleistungen wie sie hier genannt werden, auch nur wirksam

anzuempfehlen bzw. verantwortlich und kenntnisreich weiterzuleiten oder

verantwortlich mit Fach-Sozialarbeitern/innen oder Integrationsfachdiensten zu

kooperieren, unabhängig davon, ob ein „Patient“ compliant ist oder nicht. Der in den

Richtlinien dazu genannte Krankheitsbegriff, gekoppelt an den Anspruch ärztlicher

Deutungshoheit und Verfahrensdominanz, gibt das nicht her. Zum anderen ist die

Koppelung von Compliance in Verbindung mit der Zulassung zur Teilhabe am

Arbeitsmarkt ein Instrument, mit dem Teilhabe geradezu systematisch verhindert wird.

Es ist wahrscheinlich, dass psychotische Engführung bzw. Entgrenzung sich hier

phänomenal unreflektiert in institutionellen Vorschriften spiegeln.

Zwar nennen die Richtlinien im allgemeinen Teil „eine seelische Krankheit“ als

Voraussetzung für Psychotherapie, präzisieren „seelische Krankheit .. als krankhafte

Störung der Wahrnehmung, des Verhaltens, der Erlebnisverarbeitung, der sozialen

1 Einleitung 12

Beziehungen und der Körperfunktionen (kursiv KO.)“ und sagen: „Es gehört zum Wesen

dieser Störungen, dass sie der willentlichen Steuerung durch den Patienten nicht mehr

oder nur zum Teil zugänglich sind.“ Die Richtlinien konzedieren, dass „krankhafte

Störungen .. durch seelische oder körperliche Faktoren verursacht werden (können)“,

verstehen „seelische Strukturen ... als die anlagemäßig disponierenden und

lebensgeschichtlich erworbenen Grundlagen seelischen Geschehens (kursiv KO.)“, räumen

weiter ein, dass „auch Beziehungsstörungen .. Ausdruck von Krankheit sein (können)“,

um dann engzuführen, dass sie „für sich allein nicht schon Krankheit im Sinne dieser

Richtlinien (sind), sondern nur dann als seelische Krankheit gelten (können), wenn ihre

ursächliche Verknüpfung mit einer krankhaften Veränderung des seelischen oder

körperlichen Zustandes eines Menschen nachgewiesen wurde“. Das

Krankheitsgeschehen wird „als ein ursächlich bestimmter Prozess verstanden .., der mit

wissenschaftlich begründeten Methoden untersucht und in einem Theoriesystem mit

einer Krankheitslehre definitorisch erfasst ist“. Diese Theoriesysteme „müssen seelische

und körperliche Symptome als Ausdruck des Krankheitsgeschehens eines ganzheitlich

gesehenen Menschen wahrnehmen und berücksichtigen. Sie müssen den gegenwärtigen,

lebensgeschichtlichen und gesellschaftlichen Faktoren in ihrer Bedeutung für das

Krankheitsgeschehen gerecht werden.“ (Hervorhebungen KO.) (Vgl. RL 2008, 3 f)

Nun setzt eine solche Psychotherapie „eine ätiologisch orientierte Diagnostik voraus,

welche die jeweiligen Krankheitserscheinungen erklärt und zuordnet. ... Voraussetzung

ist ferner, dass der Krankheitszustand in seiner Komplexität erfasst wird ...“ (RL 2008:

5) Allerdings muss „die angewandte Psychotherapie .. in einer angemessenen Relation

zu Art und Umfang der diagnostizierten Erkrankung stehen“. (Ebd.) Die „Richtlinien“

bestätigen die soziale Dimension seelischer Erkrankungen, aber weisen schon in den

ersten Sätzen darauf hin, dass „Psychotherapie keine Leistung der gesetzlichen

Krankenversicherung (ist) und nicht zur vertragsärztlichen Versorgung (gehört), wenn

sie nicht der Heilung oder Besserung einer Krankheit dient. Dies gilt ebenso für

Maßnahmen, die ausschließlich zur beruflichen Anpassung oder zur Berufsförderung

bestimmt sind ...“ Es fragt sich, wie mit dem propagierten „ganzheitlichen“ ärztlichen

Zugriff die Ebenen zusammengeführt werden sollen, die hier getrennt werden. Die

beanspruchte Komplexität erforderte in jedem anderen medizinischen Setting bei

vergleichbarer Bedrohung der Gesundheit ein interdisziplinäres Vorgehen, bis hin zum

selbstverständlichen Einsatz anspruchsvollster Medizintechnik, ungeachtet der

Heilungsaussichten und Kosten. Hier stehen Kosten und berufsständische Ehre vor

ärztlichem Ethos im Vordergrund; dass es wirksamere ‚Sozialtechniken’ oder

wirksamere Settings über die in den „Richtlinien“ angeratenen und formal zulässigen

Interventionsweisen hinaus geben könnte, wird ausgeblendet.

1 Einleitung 13

Die „Richtlinien“ beschreiben also einen ‚State of the Art’, den einzuhalten die

näheren Ausführungsbestimmungen und Präzisierungen hinsichtlich der Gruppe

chronisch psychisch kranker bzw. seelisch behinderter Menschen verbieten. Die

„Richtlinien“ sind zum Begriff seelische Krankheit (nicht etwa Gesundheit) ähnlich

konfus und ungeordnet wie die Sozialgesetzbücher zum Begriff Arbeit und Teilhabe an

Arbeit. Seelische Krankheit soll „ganzheitlich gesehen“ werden, ärztliche Behandlung in

eins kausal und ‚all inclusive’ sein – und exklusives Heilprivileg bleiben. Sie

argumentieren im Einzelfall unreflektiert populär, betonen die Wichtigkeit sozialer

Bezüge und Einflussfaktoren und schließen diese ätiologisch zugleich ein und aus. Dazu

passt, dass das SGB IX im ersten Teil kein Leistungsgesetz ist, sondern gewissermaßen

eine Erklärung guter Absichten ohne die Handhabe, sie einzulösen; „das Gesetz enthält

vielmehr nur allgemeine Regelungen, die für alle Reha-Träger und für alle

Leistungsbereiche maßgeblich sind. An den unterschiedlichen Zuständigkeiten der

Leistungsträger und den unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen für Leistungen zur

Teilhabe ... hat sich damit nichts Entscheidendes geändert.“(Kievel 2005: 48) Die

Multiplikation solcher Unklarheiten mit den Psychotherapie-Richtlinien exkludiert

gesellschaftlich die Gruppe chronisch psychisch kranker bzw. seelisch behinderter

Menschen, Menschen mit einem (durchaus klinisch vielfältig behandelbaren)

Residualsyndrom und Menschen mit einer sogenannten Lernbehinderung (im

Wesentlichen Jugendliche, die leistungsrechtlich und ‚leistungsgerecht’ nach Lage des

Arbeitsmarktes später gerne auch umetikettiert und ‚versorgt’ werden als Menschen mit

einer geistigen Behinderung), stigmatisiert sie und hindert sie geradezu an der Teilhabe

am Arbeitsleben.

Die enge Koppelung von Inklusion und Exklusion, von gutem Willen und miserabler

Ausführung ist meines Erachtens ein deutsches Phänomen. Im „Land der Dichter und

Denker“ tut man sich besonders schwer, sozial greifbare, einlösbare Begriffe

auszugeben. So sind die Sozialgesetzbücher, soweit sie sich mit der Teilhabe am

Arbeitsleben befassen, ein Indikator dafür, dass gesellschaftlich der Begriff Arbeit

höchst ungewiss ist, ebenso der Begriff Gesundheit, vor allem seelische Gesundheit.

Historisch wirkt sicher nach, dass in der Zeit des Nationalsozialismus die Begriffe

extrem entstellt wurden und die geradlinige Einmündung von Begriffen in Bluttaten ein

Merkmal der Gesetze zur „Volksgesundheit“ war. Dennoch gibt es meines Erachtens

eine übergreifende Unklarheit in den westlichen Gesellschaften, was den Begriff Arbeit

betrifft. Mehr noch als beim Begriff Gesundheit (dessen kulturelle,

geschlechtsspezifische und individuelle Abhängigkeiten wenigstens in Fachkreisen

erhoben und besprochen werden), blenden ganze Gesellschaften systematisch aus, dass

1 Einleitung 14

Arbeit weder als industrielle Lohnarbeit noch im Dienstleistungssektor jemals wieder

flächendeckend vorhanden sein wird (solange es keine katastrophalen Entwicklungen

oder Kriege mit anschließenden ‚Wirtschaftswundern’ gibt), dass systematisch ganze

Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden müssen, damit es nach bisheriger

‚globalisierter’, hoch kompetitiver Logik weitergehen kann und dass überdies der

Umgang mit der technischen Entwicklung (nicht diese selbst) immer mehr soziale

Verlierer (und nicht etwa nur glückliche Konsumenten) schafft.

1.1 Zum Begriff Arbeit

Soziale Arbeit ist per Definition ein Rückbezug auf den Begriff Arbeit. Den Begriff

Arbeit zu füllen, sollte Soziale Arbeit als Wissenschaft in der Lage sein. Liest man

allerdings in anerkannten Standardwerken zur Sozialen Arbeit als Wissenschaft, etwa

Ernst Engelke: „Die Wissenschaft Soziale Arbeit“ (Engelke 2004), so erscheint Arbeit

als redundanter (und somit aufzuklärender) Begriff im Gefüge der Begründungslogik für

die Soziale Arbeit als Wissenschaft weder im Inhaltsverzeichnis, noch in Fußnoten oder

Anhängen. Einzig im ersten Kapitel des Teil 1 zieht Engelke aus dem Gleichnis vom

barmherzigen Samariter im Neuen Testament eine historisch-kritische (theologische)

Folgerung: „Als historisches Zeugnis für den Ursprung sozialer Berufe taugt dieses

Gleichnis .. wenig.“ (Ebd.: 41 ff) Hinsichtlich einer anderen, nach Ansicht Engelkes

geeigneteren Textstelle, „wenn man die Berufsgeschichte der Sozialen Arbeit mit

Ereignissen und Texten aus dem frühen Christentum verbinden will“, die „‘Einsetzung

der Sieben’ aus der Apostelgeschichte“, nennt der Autor eine karitativ-christliche

Dimension:

Die christliche Urgemeinde hatte mit der täglichen Unterstützung von

armen Gemeindemitgliedern eine von den Juden verschiedene Organisation

der Armenpflege eingeführt, da sie eine Gütergemeinschaft mit einer Art

Hilfswerk praktizierte. Die Hellenisten (nach Palästina zurückgekehrte,

zeitweilige jüdische Migranten ohne soziale Anbindung vor Ort; KO.)

problematisierten den Hebräern gegenüber, dass die Witwen von

Hellenisten ... benachteiligt würden. ... Die Situation war zum sozialen

Problem geworden. ... Das soziale Problem wurde organisatorisch, das heißt

in diesem Falle durch Arbeitsteilung, gelöst. (Ebd.: 42 f)

Arbeitsteilung aus karitativen Motiven als ‚Urbegriff’ Sozialer Arbeit ist natürlich

unzureichend. Es ist nicht die Aufgabe dieser Untersuchung, eine Begriffsgeschichte der

Arbeit oder auch nur der Sozialen Arbeit zu liefern. Theorie und Praxis sind aber, was

1 Einleitung 15

den Begriff Arbeit angeht, in der Sozialarbeitswissenschaft so ungleich gewichtet, dass

einige Bemerkungen dazu nötig sind. Es wird zu sehen sein, inwieweit meine

Interviewpartner thematisieren, was so fraglos scheint: die Bedeutung von Arbeit. Was

soziale Arbeit dann bedeutet, lässt sich meines Erachtens nicht bestimmen, ohne

Bedeutung und Wert von Arbeit zu reflektieren.

Ein Kompendium von verschiedenen, teils ambitionierten Ansätzen,

„Sozialarbeitswissenschaft“ als „Wissenschaft der Sozialen Arbeit“ zu bestimmen

(Mühlum 2004), verzeichnet ebenfalls keine eigenständige Auseinandersetzung mit dem

Begriff Arbeit. Der Verzicht auf das Selbstverständlichste ergibt leider nicht das

verständlichste „Selbst“ einer Wissenschaft im Zustand der Nachgeburt. Wovon nährt

sich also diese Wissenschaft? Etwa nicht zu einem guten Teil davon, die sozialen Folgen

von schlechter oder belasteter Arbeit, keiner Arbeit, zu wenig oder zu viel Arbeit, Arbeit

als Leid und als Selbstverwirklichung zu verstehen und sie helfend und handelnd, sozial

qualifiziert und qualifizierend in den Griff zu bekommen?

Zur (Vor-)Geschichte der Sozialen Arbeit zählt maßgeblich die „Arbeiterfrage“ im

19. Jahrhundert. „ ... im Zuge der Industrialisierung .. (wurde) die ‚Arbeiterfrage’ zur

sozialen Frage schlechthin.“ (WBC 1995: 86) Es ist wohl die historische Konkurrenz zur

Soziologie, zusammen mit immer neuen berufsständischen Sorgen und einem

„beschädigten Selbstverständnis“ in und nach der Zeit des Nationalsozialismus

(Geißler-Piltz, Mühlum, Pauls 2005: 131), die beigetragen hat, begriffliche Fragen

inkonsequent und unsystematisch zu behandeln. Allerdings ist es darüber hinaus doch

erstaunlich, mit welch rasanter Geschwindigkeit seit dem Ende der Ost-West-

Blockbildung der Begriff Arbeit an gesellschaftlicher Brisanz und ideologischer

Aufladung (vorerst) verloren hat. Angesichts der weltwirtschaftlichen Verwerfungen im

Gefolge der sogenannten Finanzkrise 2008 muss man mit Freud wohl bald mit einer

Wiederkehr des Verdrängten rechnen. Denn es ist ja nach wie vor ungeklärt, was der

Wert der Arbeit jenseits blanker Not und Existenzsicherung sein soll. Hat der Staat bei

fehlender Arbeit dann noch erzieherisch zu wirken? Die ausgefeilten Sanktionen in den

Sozialgesetzbüchern legen das nahe und unterstellen die Ungerechtigkeit, die

gesellschaftlich durch Verknappung der Arbeit produziert wird, als individuellen Makel

oder moralische Schuld. Ist Teilhabe am Arbeitsleben ein Menschenrecht? Dann dürfte

sozialrechtlich nicht sanktioniert werden, wenn einer nicht teilhaben kann – oder will.

1 Einleitung 16

1.1.1 Bezüge zur Religion

In den heutigen westlichen und zunehmend auch einigen nicht westlichen

Gesellschaften kennen wir die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, sie ist

auf der Ebene des Finanzkapitalismus etwa geradezu konstitutiv. Vorstellungen, dass

Geld ‚arbeitet’, sind Variationen von Paradiesgeschichten. Die Handhabung virtueller

Finanzströme hat, ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann, nicht selten

kultisch anmutende Züge. Finanzmanager sind ‚Götter’, sie fühlen sich in der Tat leicht

belästigt durch Konkretisierungen dessen, was ihre Grundlage bedeutet; demokratische

Anforderungen sind ‚Zumutungen’, der Lärm der Straße stört beim Jonglieren mit

esoterischen Abstraktionen. Wie religiöse Spezialisten, so müssen sich auch

Finanzmanager nur im Ausnahmefall rechtfertigen; ihr Tun ist der Vorstellungswelt und

Praxis der Laien zumeist entzogen. (Vgl. Kehrer, in: MLR Bd. 1: 86) Börsennachrichten

verweisen in der Art ritueller Inszenierungen immer auch auf ihr (kultisches) Zentrum,

die Anrufung der unbeschränkten Geldvermehrung, vulgo Neoliberalismus; sie erinnern

und mahnen die Gläubigen durch häufige Wiederholung (ein Merkmal kultischer

Praxis).

Es dürfte (zumindest populärer) Konsens sein, dass diese Art religiösen Handelns

nicht als Arbeiten im herkömmlichen Sinn aufgefasst wird, möglicherweise nicht einmal

von den Akteuren selbst. Den Begriff von Arbeit dieser Art religiöser Spezialisten dem

Begriff von Arbeit gegenüberzustellen, den Menschen haben, die etwa in einem

Sozialkaufhaus arbeiten, wäre gewiss eine eigene Untersuchung wert. Hier kommt es mir

auf den Hinweis an, dass es eine Gemeinsamkeit gibt in der Art der Erkrankung, die

von herkömmlicher Arbeit abhält. Der Ausdruck Besessenheit kennzeichnete und

stigmatisierte in früheren Zeiten psychisch kranke, sozial übermäßig abweichende oder

zuschreibungskranke, geächtete Menschen. Die religiöse Stigmatisierung abgezogen,

zeigt das Wort immerhin richtig an, dass manche Besetzungen problematisch, manche

problematisch, aber privilegiert sind; heißt: Man kann von Arbeit, deren Fehlen oder

Übermaß ‚besessen’ sein und jedenfalls ‚besessen’ von der Idee, Buchgewinne zu

erzielen und seien sie rein fiktiv. Das gesellschaftliche Pendant zu Stigmatisierung heißt

Überprivilegierung; für beides existiert weder Maß noch Rechtfertigung. Es handelt sich

meines Erachtens in beiden Fällen um soziale Erkrankungen. Ich untersuche diese

Erkrankungen indirekt, an Beispielen vom Umgang mit den Möglichkeiten von Arbeit,

vom anderen Ende der Skala her.

Es ist denkbar, dass etwa ein Klient mit einer ausgeprägten Suchtproblematik eher

der gesellschaftlichen (Sucht-)Logik von schneller Bedürfnisbefriedigung (Konsum)

1 Einleitung 17

folgt, deren Scheinhaftigkeit und Doppelbotschaft er aus individuellen Gründen nicht

genügend entgegensetzen konnte als jemand, der eine schwer zugängliche Form einer

Psychoseerkrankung entwickelt hat. Es könnte aber auch sein, dass im Einzelfall gerade

die ‚Flucht’ etwa in Alkohol ein unverstandenes Ressourcemerkmal darstellt, eben nicht

alle gesellschaftlichen Zumutungen mitzumachen. Menschen mit sozial auffälligen,

bizarren Psychosen haben zu anderen Zeiten und in anderen Kulturen teils eine religiöse

Deutung ihres Zustands genossen oder erlitten. So könnte man die Frage stellen, welche

Reibungsflächen bei unterschiedlichen psychischen Erkrankungen im Hinblick auf die

tatsächlichen arbeitsbezogenen und sozialen Anforderungen des Fairkaufhauses

entstehen und ob Verknüpfungen zum individuellen Status innerhalb des

Fairkaufhauses erkennbar sind.

In einer Gesellschaft, die Religion von Arbeit dem Schein nach abgekoppelt hat,

kehren die doppelt Ausgestoßenen- hier keine Arbeit, da keine psychische Gesundheit-

als Agenten eines kollektiven moralischen Gewissens, wieder – sie sind, meist ebenso

anonym, das Gegenstück zu den allmächtig zaubernden Finanzmanagern, ein Zerrbild

jener finanzreligiösen Spezialisten ‚under Cover’. Sie werden, um den Preis der

Stigmatisierung, für ihr Opfer, die Gesellschaft von ihren Zumutungen zu entlasten,

gefördert, ihre Arbeit wird subventioniert, gleichzeitig sanktioniert, und mit einem

Sonderstatus versehen, der dem schlechten Gewissen der Gesellschaft Rechnung trägt

und die Verleugnung des zugrundeliegenden Problems verbirgt, Arbeit anders als

religiös zu definieren (abzulesen an „Konsumparadiesen“, „Steueroasen“ und eben der

„Vertreibung aus dem Paradies“), zuzugeben, dass das Heil begrenzt ist (nicht genügend

Arbeitsplätze), der gesellschaftliche Status abhängig vom wirtschaftlichen, schlecht

kontrollierbar und zu einem Gutteil kontingent. Wirtschaftliche Crashs kommen da wie

gerufen, um wieder ‚Demut’ zu lehren, moralischen Triumph und öffentliche

Selbstbekenntnisse zu inszenieren; die Repolarisierung in ‚Gut’ und ‚Böse’ gelingt

jedenfalls, und gerade so wird das Gesamtsystem aufrechterhalten.

Arbeit als individuelle Lebensproblematik, als Freiheitsproblem bleibt

ausgeklammert; die gesellschaftliche Kränkung, nicht ‚normal’ arbeiten zu können, zu

dürfen, wird andererseits strikt individualisiert. Chronisch psychisch erkrankte

Menschen weisen durch sich selbst darauf hin: Das, woran sie erkrankt sind, könnte am

Ende verflochten sein mit dem, was gesellschaftlich geleugnet wird – die fragwürdigen

Bedingungen und unterschiedlichen Bewertungen von Arbeit. Ihr Wunsch, am

Arbeitsleben teilzuhaben, ist für die Gesellschaft potentiell bedrohlich. Also werden sie,

wenn in ihrem Fall schon keine direkten Sanktionen möglich sind, stigmatisiert mit

begrifflichen Mitteln. Die Ausgestoßenen bleiben in der Hölle (das Fegefeuer ist

1 Einleitung 18

neuerdings abgeschafft, ein Indiz mehr für gesellschaftliche Polarisierung). So nimmt es

nicht Wunder, wenn auf der Ebene von psychischer Erkrankung der Begriff Arbeit

nicht gesellschaftlich thematisiert wird, obwohl das Gegenteil der Fall sein müsste. Es

wird sich zeigen, ob etwa karitative Haltungen weiterführend sind.

1.1.2 Historische Bezüge

Historisch gibt es keinen einheitlichen Befund zur Arbeit als Begriff, noch nicht einmal

innerhalb relativ homogener Gesellschaften. Auch Religionen verhalten sich nicht

einheitlich und eindeutig dazu. „Obwohl Arbeit ein Konstituens menschlichen Daseins

in der Welt ist, ist die konkrete Arbeit in viele Abläufe eingebettet, die unterschiedliche

Bewertungen verständlich erscheinen lassen.“ (Kehrer, in: HrwG II 1990: 46) Arbeit als

die Anstrengung, existentiellen Nöten zu begegnen, scheint historisch stets gegeben;

allerdings wird sie „in der antiken Literatur ... nur gelegentlich in umfassendem Sinne

zum Gegenstand gemacht. Relativ häufig dagegen ist die differentielle Bewertung von

verschiedenen Formen von Arbeit, wobei in der Regel eine Höherbewertung von

Kopfarbeit gegenüber Handarbeit vorliegt“. (Ebd.) Eingangs lautete das Fazit der

Begriffssuche bei Ernst Engelke („Die Wissenschaft Soziale Arbeit“ 2/2004), dass der

Begriff Arbeit allenfalls als „Arbeitsteilung“ vorkommt. Gerade die bis heute

durchgängige Selbstverständlichkeit im lediglich „differentiellen“ Umgang mit dem

Begriff sollte stutzig machen. Im mittelalterlichen deutschen Sprachgebrauch bedeutet

„arbeit, arebeit, erebeit ... das durch arbeit zu stande gebrachte, erworbene“, aber auch

„mühe, mühsal, not, die man leidet od. freiwillig übernimmt; strafe; kindesnöte“. (Lexer

1989: 8) Arbeiten, „arbeiten, arebeiten, erbeiten“ bedeutet dem gegenüber „arbeiten, mit

anstrengung streben; tr. in arbeit bringen, bedrängen, plagen; in gebrauch haben,

gebrauchen; bearbeiten. – refl. sich mühen, anstrengen“ (Kursiv im Original) Ein

Arbeiter ist entsprechend ein „arbeiter, handwerker“. (Ebd.)

Günter Kehrer kommt auf Parallelen im Lateinischen zu sprechen, bezweifelt aber,

„ob aus diesen sprachlichen Tatbeständen eine ‚naturwüchsige’ negative Wertung von

Arbeit hergeleitet werden kann“. (Kehrer, in: HrwG II 1990: 46) Jedoch erstaunt seine

programmatische Übernahme des Marxschen Arbeitsbegriffs, der gerade selbst

„naturwüchsig“ und überdies zirkelschlüssig zweckfixiert (und darum heimlich

fremdbestimmt) daherkommt:

Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß,

worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat

1 Einleitung 19

vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine

Naturmacht gegenüber ... Er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen

Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt

und dem er seinen Willen unterordnen muß. (Karl Marx in „Das Kapital“,

zitiert nach Kehrer, in: HrwG II 1990: 45)

Damit ist „die menschliche Arbeit“ eben noch nicht „von jeder Form tierischer

Tätigkeit unterschieden, so sehr diese auch Natur verändern mag“. (Ebd.) Begriffe wie

„Naturstoff“ und „Naturmacht“ sind zumal historisch einzuordnen und in keiner

Wissenschaft ‚State of the Art’. Dennoch ist meines Erachtens der Gedanke, Arbeit als

„Prozeß zwischen Mensch und Natur“ zu betrachten, gegenüber eher technischen,

organisatorischen Definitionen ein zukunftsfähiger, humaner Gedanke – wenn er

ergänzt wird durch eine erweiterte Definition von „Stoffwechsel“ und die soziale

‚Natur’ des Menschen berücksichtigt.

Ich schlage vor zu sagen, dass Menschen durch Arbeit als einem vitalen humanen

Prozess mit unterschiedlicher Kontinuität Teil sind von und Anteil nehmen an

ökologischen, sozialen und symbolischen Ressourcen und gesellschaftlichen

Austauschprozessen, die sich als unterschiedlich kooperative oder kompetitive

Verhandlungen kennzeichnen lassen. Entsprechend schwanken Verursachung und

Bewertung (auch der ‚Geldwert’) des Tausches zwischen Nutzen, sozialer Anerkennung,

Sanktion und Zwang. Es ist offenzulassen, wer Erstverursacher von Arbeit ist

(‚Existenz’ per se? die ‚Natur’? das ‚Kapital’? die ‚Arbeiterin’/der ‚Arbeiter’?), in

welchem Lebensalter, mit welcher Intensität oder Effizienz, welche, in welchem

Ausmaß und mit welchen sozialen Rollen Arbeit direkt oder indirekt verrichtet wird.

Arbeiten lassen kann man immerhin nur andere Menschen, nicht aber Sachen oder

mythologisierende Fiktionen (zum Beispiel „Geldströme“). Daher ist es im Sinne

gerechter sozialer Verhandlungen zentral, Mit-Akteure fair, und, ökologisch zwingend,

Ressourcen nachhaltig zu behandeln. Wenn Arbeit primär sozial und ökologisch

definiert wird, ist der soziale und ökologische Mehrwert entscheidend, und ‚Gewinn’

eine gesamt-soziale und ökologische Kategorie, aus der sich Ökonomie „‘zwischen’

Nullsummenspielen und Win-Win-Situationen“ als Kooperationswettbewerb erst ergibt.

(Vgl. Seite „Coopetition“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 19.

Januar 2009, 03:04 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Coope-

tition&oldid=55511107 Abgerufen: 24. Januar 2009, 22:30 UTC.)

Bemerkenswert ist, dass aus heutiger, westlicher Sicht Fantasie ein erstrangiges

Produktionsmittel darstellt (hinsichtlich der Fiktionen des Geldmarkts, aber auch

1 Einleitung 20

medial). Wenn sie auch Arbeit schafft, sie erleichtert, vermittelt oder der Adaption von

Zumutungen dient, so ist sie doch zu unterscheiden von ihren möglicherweise sozial

relevanten und austauschfähigen Produkten. Meines Erachtens rührt die derzeitige

Verwirrung über „Realwirtschaft“ und deren Geldmarkt-Abstraktionen daher, dass

notorisch und gewinnbringend Produktionsmittel und Produkte verwechselt werden

(die zentrale Fiktion heißt, dass die Ressourcen endlos sind), nicht aber von

„postmodernen“ Paradigmenwechseln – diese sind selbst Teil des Problems. Der

eigentliche ‚Paradigmenwechsel’ wäre, Arbeit primär als soziales und ökologisches

Phänomen und erst deren Produkt als ökonomisches (interessenbewertetes) zu begreifen

und entsprechend zu behandeln, anstatt wie bisher soziale und ökologische

Auswirkungen nach der ökonomischen Berechnung (wenn überhaupt) zu bedenken.

Bisher galt: Erst kommt die Wirtschaft, dann kommen die Probleme. Offensichtlich

muss das Verhältnis umgekehrt werden. Hier liegt meines Erachtens eine vordringliche

Aufgabe der Sozialen Arbeit. Schneeballsysteme (etwa derart benutzte Hedgefonds) sind

unsozial, antiökologisch und desaströs. Unter dem Aspekt von Arbeit sind selbst Kriege

sozial und ökologisch unseriöse Schneeballsysteme, bei denen offenkundig nur Eliten

profitieren, die Opfer aber räumlich und nicht selten zeitlich versetzt werden. Nicht

umsonst konnte „die Verachtung nützlicher Arbeit (sich) im Militärwesen erhalten“.

(Kehrer, in: HrwG II 1990: 47) Wenn Soziale Arbeit sich weiter ernst nehmen will,

sollte sie auf diese Aspekte besser eingehen. Schneeballsysteme als Entropie von Arbeit

zwingen massenhaft zu gering(er) bewerteter Arbeit und erfordern diese in der Tat

existentiell. Sie sollten indes soziale Arbeit nicht erst ermöglichen.

Bis heute spürbare, bedeutsame ökonomische Entwicklungen verursachten die

auseinanderbrechenden feudalen Strukturen des Mittelalters und die massive

Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Sie ergaben einen „radikalen Wandel der

Arbeitsauffassung ... Das Aufkommen des Bürgertums als bestimmender Macht und das

Bewußtsein der absolutistischen Monarchen, daß der Reichtum eines Landes auf der

Produktivität der Bürger beruht, verhalf den Tugenden des Gewerbefleißes zu einer

bisher unbekannten Anerkennung“. (Ebd.) Zusammen mit der von Max Weber

beschriebenen Wirkung der reformatorischen Gedanken Luthers und Calvins entstand

eine spezifische Verflechtung von protestantischer Ethik und dem „Geist des

Kapitalismus“. (Vgl. Weber 2005) „Unbestreitbar ist, daß im 19. Jh. die evangelische

Theologie eine religiös begründete Pflicht zur Arbeit und ein in religiöse Dimension

reichendes Arbeitsethos formuliert.“ (Kehrer, in: HrwG II 1990: 50) Soziale Arbeit

scheint von dieser und karitativen Traditionen aus den Anfängen des Christentums

weitgehend geprägt zu sein – bis hin zur Aufgabe von Reflexion darüber.

1 Einleitung 21

Eine andere, von der Sozialarbeit vernachlässigte, derzeit nahezu ausgegrenzte

„Quelle des neuzeitlichen Arbeitsethos“ (vgl. Kehrer, in: Ebd.) ist die prophetische

Kritik der hebräischen Bibel, des „Alten“ und vom Christentum überwunden

geglaubten „Testaments“, wie sie besonders vom Propheten Amos in Amos 6, 1-6

(Kath. Bibelanstalt: 1043 f) berichtet wird. Hier verbindet sich pointierte Kritik an

müßigen Großgrundbesitzern in Städten, die Kleinbauern in ihre Abhängigkeit bringen

und Land anhäufen, mit „religiöse(r) Polemik gegen den Abfall von dem reinen

Jahweglauben. .. Indem – allerdings in unterschiedlicher Intensität – die Prophetie

antiköniglich und antibürokratisch ist, muß sie den sein Leben durch Arbeit fristenden

Landmann und Handwerker als Gott wohlgefällig wenigstens latent interpretieren. Von

dieser Grundlage erklärt sich auch das in den großen Weltreligionen singuläre Gebot des

Judentums, daß auch der Gesetzeslehrer einen Beruf erlernen solle, der ihn ernährt.“

(Kehrer, in: HrwG II 1990: 49) Wenn Übereinstimmung darin besteht, dass heutige,

‚heimliche’ Gesetzeslehrer kaum angefochten die erfolgreich gebliebenen Artisten der

Finanzmärkte und, in Symbiose, fürs Prominent sein berühmte Prominente sind, so

mutet die Forderung anhaltend revolutionär an. Die Folgen sozialer Ungerechtigkeit

werden hier nicht nur mutig benannt, sondern auch die ethischen Grundlagen

eingefordert. Entscheidend ist meines Erachtens, dass Ethik grundsätzlich, umfassend,

einverständlich und praktisch sein muss und nicht abgelöst werden kann vom Problem

der Gerechtigkeit. Dies betrifft offensichtlich in besonderem Maß den Bereich der

Arbeit – und die Soziale Arbeit.

1.1.3 Aktuelle Bezüge

Beispielhaft sei eine gängige, aktuelle Definition aus der Arbeitswissenschaft genannt,

um darauf zuzusteuern, welche Bedeutung eine Beschäftigung mit dem Begriff Arbeit

für das Verständnis der Beschäftigten im Fairkaufhaus haben könnte.

Unter Arbeit wird ein Tätigsein des Menschen verstanden, bei dem dieser

‚mit anderen Menschen und (technischen) Hilfsmitteln in Interaktion tritt,

wobei unter wirtschaftlichen Zielsetzungen Güter und Dienstleistungen

erstellt werden, die (zumeist) entweder vermarktet oder von der

Allgemeinheit (Steuern, Subventionen) finanziert werden’ (Stirn 1980).

Arbeit dient damit direkt oder indirekt zur Erhaltung der eigenen Existenz

oder der Existenz der Gesellschaft, soweit sie von der Gesellschaft

akzeptiert und honoriert wird. (Luczak 1993: 3)

1 Einleitung 22

Positiv fällt hier der Begriff Interaktion auf. Damit wird zwar nicht gesagt, dass Arbeit

ein (wie immer gearteter) Prozess sei, soziale Prozesse und die Kommunikation von

Mensch und Maschine sind aber eingeschlossen. Der autoritäre Gestus etwa der

Marxschen Definition von Arbeit (siehe oben) ist überwunden. Allerdings: Ganz

selbstverständlich (man bedenke das „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer

Arbeitsleistung“ in § 40 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX) geht Luczak mit Stirn davon aus, dass die

Zielsetzungen dieser „Interaktion“ wirtschaftliche zu sein haben, und zwar ohne

Einschränkung. Insofern ist der gesetzgeberische Vorbehalt „Mindestmaß“, bezogen auf

Zugangsvoraussetzungen zu einer Werkstatt für behinderte Menschen, ein nobles, aber

bezeichnendes humanitäres Zugeständnis. Die Definition umfasst folgerichtig die

fraglose Vermarktung von „Gütern und Dienstleistungen“, billigt aber Einschränkungen

zu („zumeist“). (Ebd.) Offen bleibt, ob dies an widrigen Marktbedingungen,

Ausschlüssen oder anderen Faktoren liegt. Problematisch erscheint auch der

ausschließliche Bezug auf die Existenzsicherung, der einen hohen moralischen Druck zu

erzeugen vermag, wenn man der Gemeinschaft ‚zur Last fallen’ muss und der

entsprechende Bewertungen zeitigen kann, wenn sich jemand kein schlechtes Gewissen

macht oder machen lassen will. Leider ist damit auch definitorisch ausgeschlossen, dass

die „Allgemeinheit“ andere als existentiell (gleichsetzt: ökonomisch) notwendige Güter

und Dienstleistungen finanziert oder subventioniert, und Subventionen von

Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung erscheinen bereits erfolgsabhängig,

erklärungs- und sanktionsbedürftig.

Eine ausgesprochene Schwäche zeigt Luczaks existentielle Zweckbestimmung der

Arbeit, „soweit sie von der Gesellschaft akzeptiert und honoriert wird“ (siehe oben) –

als ob es nicht übergenug kaum oder nur unter der Hand akzeptierte und honorierte,

ganze Segmente von tatsächlicher Arbeit und Dienstleistungen gäbe. Man denke nur

etwa an Schwarzarbeit („Schattenwirtschaft“) und Prostitution. Mit Luczaks dabei nach

existentieller Notwendigkeit zu fragen, bekommt einen überraschenden Beigeschmack.

Auch gibt es schlecht akzeptierte, aber fürstlich entlohnte Arbeit, etwa

Waffenproduktion und-handel, sowie teils (hoch-) angesehene, aber miserabel bezahlte

Arbeit. Man denke darüber hinaus an kreative und künstlerische Berufe, Übersetzer,

und, etwas Ansehen noch abgezogen, die eigene Zunft. Hier fließt eine antizipierte

gesellschaftliche Durchschnittsbewertung unmittelbar in die Definition ein.

Es wird deutlich, dass es von Nachteil ist, anderen Disziplinen die Definition von

Arbeit zu überlassen. Offensichtlich bezieht sich aber das SGB IX im ersten Teil eher

auf Definitionen wie die von Luczak als auf Äußerungen seitens der Sozialen Arbeit.

Nun zeichnet sich der Hintergrund ab, vor dem diese Untersuchung konzipiert ist. Mein

1 Einleitung 23

Interesse ist zu erfahren, ob sich irgendetwas von meinen Vorüberlegungen zum

Stellenwert von Arbeit in den Äußerungen meiner Interviewpartner und -partnerinnen

widerspiegelt, ob sich Zuschnitt, Konzept und Arbeitsweise des Fairkaufhauses in deren

Erleben zeigt – oder ob völlig andere Themen, Probleme und Wahrnehmungen

auftauchen. Dazu ist es nötig, zunächst das Fairkaufhaus vorzustellen, die

Besonderheiten im Bezirk zu nennen und auf seine singuläre Position im Berliner

Hilfesystem zu sprechen zu kommen.

1.2 Das Fairkaufhaus

Das Fairkaufhaus ist ein Gemeinschaftsprojekt von Die Brücke e. V. und Ginko Berlin

gGmbH in enger Kooperation mit dem DRK Kreisverband Spandau. Laut

Presseerklärung zur Neueröffnung am 14. September 2009 widmet sich

DIE BRÜCKE e.V. ... als gemeinnützige Organisation seit 1975 der

Wiedereingliederung psychisch kranker Erwachsener in den Alltag. Seit

1978 hat sie in Berlin-Spandau eine Reihe von Wohnprojekten für

psychisch kranke Menschen aufgebaut. Im Jahre 2001 hat sie diese

Aktivitäten auf eine 100%ige Tochter, DIE BRÜCKE gGmbH, übertragen. ...

GINKO Berlin gGmbH ist im Jahre 2003 als jeweils 50%ige Tochter des DIE

BRÜCKE e.V. und des DRK KV Spandau e.V. gegründet worden. Zu ihr

gehören mehrere Projekte für psychisch kranke Menschen in Berlin-

Spandau, darunter eine Beschäftigungstagesstätte, eine Kontakt- und

Begegnungsstätte, BEW, Einzelfallhilfe sowie ein Projekt für wohnungslose

Frauen. Beide Organisationen haben zur Realisierung dieses

Arbeitsprojektes gemeinsam die FAIRKAUFHAUS GBR gegründet. (FKH 1:

25.01.09)

Die Vereine und Gesellschaften sind gemeinnützig. Das Fairkaufhaus versteht sich als

„Beschäftigungsprojekt für psychisch kranke Menschen. Die allererste Voraussetzung

besteht darin, dass Sie (der Klient, die Klientin; KO.) wieder einer Beschäftigung

nachgehen wollen. Dies kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht waren Sie

einmal berufstätig und möchten wieder einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen.

Vielleicht möchten Sie sich auch weiter qualifizieren, bestimmte Fertigkeiten wieder

erlernen, in Kontakt mit Arbeitskollegen und Kunden treten, oder einfach nur ein wenig

Geld dazu verdienen. Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen werden die

Betreuungskosten vom Sozialhilfeträger übernommen.“ (FKH 3: 26.01.09)

1 Einleitung 24

1.2.1 Anspruchsgrundlagen

Das klingt weitgefasst und hat als Einladung an Klientinnen und Klienten

mitzuarbeiten, wie es aussieht, einiges Potential. Möglicherweise ist dies der Charme des

Anfangs, dem, wie jedem Anfang, ein „Zauber inne (wohnt)“, wie Hermann Hesse im

Gedicht „Stufen“ beschreibt. In diesem Fall gibt es aber „Anspruchsgrundlagen“, die

die weitgefasste Einladung mitsamt den eingangs skizzierten (gesellschaftlichen)

Widersprüchen zunächst ausblendet. Es fragt sich, ob die innewohnenden

Beschränkungen des Betriebs sich in den Aussagen der Interviewpartner wiederfinden

und in welchem Ausmaß die oft hinderlichen „entsprechenden Voraussetzungen“

praktisch umschifft werden können. Die Geschäftsführer geben auf der Homepage des

Fairkaufhauses und, etwas abgewandelt, im Begleitheft eines Films auf CD, das zum

Fairkaufhaus produziert wurde, eine Einschätzung dazu, wie sich nach die gesetzlichen

Anspruchsgrundlagen hinsichtlich der Teilhabe am Arbeitsleben auf die Klientel der

psychisch kranken Menschen auswirken:

„Unter den Bedingungen des heutigen Arbeitsmarkts haben diese (psychisch

kranke; KO.) Menschen kaum eine Möglichkeit, einer geregelten

sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen. Aufgrund ihrer

Krankheit sind sie meist auch nicht in der Lage, nach den Vorgaben der

JobCenter drei Stunden am Tag einer Beschäftigung auf dem allgemeinen

Arbeitsmarkt nachzugehen und fallen daher so oft aus deren Förder- und

Vermittlungsprogrammen heraus. ... Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes

beziehungsweise einer von vorne herein gescheiterten Berufsausübung fehlt

den psychisch kranken Menschen die Grundlage für eine sinnvolle

Beschäftigung und eine Tagesstrukturierung. Dies bringt die eminente

Gefahr einer weiteren Verschlechterung des Krankheitsverlaufs und

zusätzlicher sozialer Ausgrenzung mit sich. An dieser Stelle setzt das

FAIRKAUFHAUS an, indem es für den betroffenen Personenkreis

Beschäftigungsmöglichkeiten schafft, die individuell an die jeweiligen

Leistungsmöglichkeiten und auch an die Zuverdienstmöglichkeiten im

Rahmen der Sozialhilfe oder des ALG II (Hartz IV) angepasst sind.“ (FKH

1: 26.01.09)

Zentraler Bestandteil des Selbstverständnisses ist diesen Äußerungen zufolge, die

Beschränkungen der bzw. auf die Anspruchsgrundlagen konzeptuell zu durchbrechen.

An verschiedenen Stellen wird dazu Grundsätzliches gesagt und werden Angebote

formuliert. Als ein Ziel wird genannt, „einen Teil der hier arbeitenden Menschen

1 Einleitung 25

langfristig zu befähigen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden. Für

diejenigen, die diese Ziele nicht erreichen können, soll eine dauerhafte niedrigschwellige

Beschäftigung im FAIRKAUFHAUS möglich sein.“ (Ebd.) Das läuft auf eine

Doppelstrategie hinaus: Mit allen möglichen, teils noch zu entwickelnden Mitteln sollen

psychisch erkrankte Menschen in konkrete Tätigkeiten eingebunden, fachlich betreut

und gehalten und ihnen eine Teilhabe noch weit unterhalb der Ansprüche der Job-

Center an grundsätzlich arbeitsfähige Menschen angeboten werden, zum anderen sollen

sie möglichst doch befähigt werden, diese Hürde zu nehmen. Es stellt sich die Frage, ob

diese Spannung sich auch in den Äußerungen der Klientinnen und Klienten

wiederfindet und in den organisatorischen Abläufen sich auswirkt. Jedenfalls, so viel sei

vorweggenommen, scheinen Klientinnen und Klienten sich von dem angebotenen

Mehrwert, der sozialen Vorleistung, tatsächlich wertgeschätzt und angesprochen zu

fühlen – ihre Arbeitsleistung, ihr Bedürfnis nach einer eingebundenen, sinnvollen

Tätigkeit wird offenbar ernst genommen, unbeschadet der sozialrechtlichen Einstufung.

1.2.2 Versorgungssituation im Bezirk

Den seitens der Geschäftsführer im Begleitheft zum Film auf CD über das Fairkaufhaus

zitierten Angaben zufolge sind „etwa 400 000 bis 500 000 Menschen im erwerbsfähigen

Alter .. aktuell in Deutschland von schweren chronisch verlaufenden psychischen

Erkrankungen betroffen: Schizophrenien, Depressionen, neurotischen Störungen oder

Persönlichkeitsstörungen. Maximal zehn Prozent sind auf dem allgemeinen

Arbeitsmarkt voll- oder teilzeitbeschäftigt (inklusive Integrationsfirmen) und rund 20

Prozent verteilen sich auf berufliche Trainings- oder Rehamaßnahmen und

Hilfsangebote mit geringer Beschäftigung. Die Hälfte aller chronisch psychisch Kranken

ist ohne Arbeits- oder Beschäftigungsangebot, so der Zwischenbericht der

‚Bestandsaufnahme zur Rehabilitation psychisch Kranker’.“ (FKH 2008: o. A.) Bezogen

auf Berlin-Spandau errechnen sich „mit ca. 230.000 Einwohnern ... ca. 1150-1800

erwachsene Menschen“, die als „chronisch psychisch krank“ bezeichnet werden. (Ebd.)

Die Presseerklärung zur Veröffentlichung des Fairkaufhauses auf der Homepage wie

auch das Begleitheft zum Film erläutern den bedenklichen sozialen Sog, der sich durch

die Erkrankung selbst, die Schwierigkeiten am Arbeitsplatz bzw. bereits in der Schule

ergibt und der schwindenden Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu

sichern: „ Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes bzw. einer von vorn herein gescheiterten

Berufsausübung geht oft eine schwere Selbstwertkrise einher und den psychisch kranken

Menschen fehlt die Grundlage für eine sinnvolle Beschäftigung und

1 Einleitung 26

Tagesstrukturierung. Dies bringt die Gefahr einer weiteren Verschlechterung des

Krankheitsverlaufs und weiterer sozialer Ausgrenzung mit sich.“ Die Änderungen im

SGB XII und die „Reformen der Arbeitsmarktpolitik“ werden dafür kritisiert, dass sie

kein selbsterarbeitetes Plus „in Form von ‚zusätzlicher gemeinnütziger Tätigkeit’“ mehr

zulassen: „Entsprechende niedrigschwellige Beschäftigungsmöglichkeiten sind daher

entfallen. Dies halten wir für eine grobe Fehleinschätzung, die in keiner Weise den

Beschäftigungswünschen und -möglichkeiten psychisch kranker Menschen entspricht.“

(FKH 2008: o. A.) Dass die allgemeine Kritik konkret angebunden ist und das neue

Angebot unerwartete Wirkungen hervorzurufen vermag, zeigt neben dem medial

geschickt inszenierten „furiosen“ (ebd.), schlicht gelungenen Start folgender Umstand:

„Auch Klienten, die in den Wohnprojekten der BRÜCKE und bei GINKO betreut

werden, denen der Gedanke an Arbeit bisher fremd war, begannen, sich für eine

Beschäftigung zu interessieren konnten teilweise integriert werden. (sic!)“ (Ebd.) Die

derzeitige Zahl von etwa 40 psychisch kranken Menschen will man nach einer jetzt für

notwendig erachteten Phase der organisatorischen Stabilisierung um „wahrscheinlich

20-30 weitere Zuverdiener“ erweitern, die „hier einer sinnstiftenden Tätigkeit

nachgehen“. Die Geschäftsführer planen demnach, das „Modell eines

FAIRKAUFHAUSES in Kooperation mit anderen Trägern auf weitere Berliner Bezirke

auszuweiten.“ (Ebd.)

1.2.3 Organisatorische und wirtschaftliche Grundlagen

Die humanitären Überlegungen, die der Entwicklung des Fairkaufhauses zugrunde

liegen, gehen über sozialwirtschaftliche hinaus, bedürfen indes dennoch eines

organisatorischen und finanziellen Gerüsts. Im Rahmen einer Mischkalkulation aus

ökonomischen Sicherungen und gezielter Vorleistung des Trägers gelang es, unterstützt

durch wirksame mediale Aktionen, in relativ kurzer Zeit das Projekt anzuschieben und

Klientinnen und Klienten, Stellen und Ämter mit ungewöhnlichem Input an Ideen und

Motivation zu beeindrucken und anzustecken. Sicherlich wäre bei einem vorsichtigen

Gang durch die Instanzen über Jahre hinweg nicht dasselbe Maß an initialer

Durchschlagskraft herausgekommen. Soziales Unternehmertum lässt sich anscheinend

im Einzelfall doch mit hohen, aber noch erreichbaren Idealen verbinden. Laut den

Angaben aus der Presseinformation ist das Fairkaufhaus wie folgt finanziert:

1. Die Warenbeschaffung erfolgt überwiegend durch Spenden und

Wohnungsauflösungen. Aus dem Aufkommen der Altkleidersammlungen

1 Einleitung 27

des DRK Kreisverbandes Spandau e.V. werden dem FAIRKAUFHAUS die

benötigten Mengen an Altkleidung zur Verfügung gestellt. Die Efiba

entsorgt kostenlos das nicht verkaufbare Sammelgut. Dies erlaubt es uns

insgesamt, zu sehr niedrigen Einstandspreisen ein breites Warensortiment

zu präsentieren.

2. Ein Teil der Betriebskosten kann aus den Umsatzerlösen erwirtschaftet

werden.

3. Die Kosten für die Anleitung und psychosoziale Betreuung der

beschäftigten psychisch kranken Menschen werden im wesentlichen über

Leistungen der bezirklichen Eingliederungshilfe finanziert. Hierzu bestehen

entsprechende Verträge der beiden Betreibergesellschaften DIE BRÜCKE

gGmbH und GINKO Berlin gGmbH mit dem Land Berlin.

4. Durch Sponsoring und Fördermittel wird ein weiterer Teil der Kosten

abgedeckt. So bezuschusst das bezirkliche Bündnis für Arbeit und

Wirtschaft zwei kleinere Teilprojekte mit Mitteln des Lokalen Sozialen

Kapitals aus dem Europäischen Sozialfonds. (FKH 1: 26.01.09)

Meines Erachtens ist zur Aktivseite die hohe Motivation von Klientinnen und Klienten,

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu rechnen, ohne die das gesamte Projekt eine

Fehlkalkulation wäre. Es ist in der Tat zu fragen, ob es nicht letztlich die hier erfolgreich

geschlossene „Mentalitatslücke“ ist, der „Rest“, der beim modernen Service Engineering

in der Regel dadurch verbleibt, dass Unternehmer Kundennutzen und -bindung nicht

vollständig erfassen. (Vgl. Otto, in: MLR Bd. 1: 257) „Gesellschaftlich wird das Problem

einer Ethik erkennbar, mit deren Hilfe dieser ‚Rest’ jenseits von wirtschaftlichen

Zwängen begründet und balanciert werden kann. Bedürfnisse und Bedürftigkeit gilt es

in Einklang zu bringen.“ (Ebd.) Ein Risiko könnte, neben dem Problem der später zu

besprechenden Kostenübernahmen, darin bestehen, dass der Schwung des Anfangs

erlahmen muss und die nötigen Entwicklungs- und Konsolidierungsschritte dadurch

verzögert und gezielte Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Projektentwicklung zu

spät oder nicht konsequent genug umgesetzt werden könnten.

Betrieblich versuchen die Betreiber einen Spagat zwischen ausbaubaren, attraktiven

Dienstleistungen wie Wohnungsauflösungen oder Möbel- und Gerätetransport zum und

aus dem Fairkaufhaus, einem vielfältigen Konsumangebot in einladender Umgebung mit

Nachhaltigkeitsfaktor und dem beschriebenen sozialen Angebot an psychisch kranke

Menschen, die wieder arbeiten oder sich dem Thema Arbeit individuell und je nach

Kräften (erneut) annähern wollen. So werden auf der Konsumseite „(Trödel-)

1 Einleitung 28

Liebhaber, die gerne interessante Schnäppchen machen“, „Menschen, die sparsam und

umweltbewusst wirtschaften“ und „Menschen mit einem geringen Einkommen“ als

Kunden angesprochen, andererseits betont: „Das Warenangebot im Fairkaufhaus

besteht zu 95% aus Spenden. Damit wir diese Waren zu äußerst günstigen Preisen

anbieten können, sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Damit schaffen wir ein breites

Warensortiment für finanziell schwächere Menschen und bieten

Beschäftigungsgelegenheiten mit vielseitigen Qualifizierungsmöglichkeiten. (FKH 3:

26.01.09) Hier ist zweierlei Logik am Werk: Individuelle Verlockung und soziales

Verständnis, Kunden- und Konsumorientierung, die Wirtschaftlichkeit garantieren soll

und eine (in der Ansprache an die „Spender“) zugleich eher karitative Orientierung.

Bedenkt man, dass Sozialkaufhäuser nach Maßgabe öffentlicher Stellen in der Regel

‚wirtschaftlich arbeiten’ sollen und wollen, ahnt man den Druck, der zu diesem Spagat

zwingt. Sicherlich werden hier aber auch schlicht gesellschaftliche Verhältnisse

widergespiegelt – die eben widersprüchlich sind.

Das Bayerische Landesamt für Umwelt listet im Bericht zur Fachtagung am 23.

Januar 2007: „Nachhaltigkeitsstrategien im Gebrauchtmöbelsektor“ vorrangig die

ökonomischen Bezugspunkte auf (die in Abwandlungen wohl mehr oder weniger für alle

Sozialkaufhäuser gelten): Es geht dabei um „Vermeidung von Abfällen beim gut

erhaltenen Gebrauchtmobiliar“, als Teil der bayerischen „Abfallwirtschaft der letzten

dreißig Jahre .. eine Erfolgsgeschichte“ (Lottner, in: Bay. LfU 2007 : 3); Professoren der

Universität Augsburg geht es um ein „Pilotprojekt: Optimierung der Erfassung von

Gebrauchtmobiliar mit dem Ziel einer Erhöhung der Wiederverwendungsquote“

(Tuma, Uffinger, in: Ebd.: 23); die DEB-soziale Dienstleistungs gGmbH als Betreiber

von Gebrauchtwarenhäusern in Bamberg strebt „den Vollsortimenter zur

Produktlebensdauer-Verlängerung als Nischenmarkt der Marktwirtschaft an“ (Kreis-

Lechner, Müller, in: Ebd.: 38); die ecomoebel GmbH verspricht: „Neuer Schick für alte

Schätzchen“ (Faltz, in: Ebd.: 43); von einer (neuen) „Ästhetik des Wohnens (innerhalb

phantasiereich zusammengestellter Gebrauchtmöbel) spricht der Beitrag: „‘Möbel &

Mehr’ – ein Sozialkaufhaus der besonderen Art“ (Herzog, in: Ebd.: 47); schließlich

bespricht der Geschäftsführer des Wiener „sozialökonomischen Betriebs“ R.U.S.Z die

„gesellschaftspolitische Relevanz der neuen Dienstleistung Reparatur“ und beschreibt

die „rund 7000 (Stamm-)KundInnen des R.U.S.Z.“ als „zum größeren Teil ökologisch

und sozial motiviert (Nachhaltigkeits- und Charity-Effekt), obwohl immer wieder neue

Angebote für sozial Benachteiligte gelegt werden“. (Eisenriegler, in: Ebd.: 57)

Tatsächlich ist (in Bayern) auch eine Art karitativer ‚Mainstream’ zu verzeichnen,

wenn etwa „Karitativ-gemeinnützige Organisationen (KGOs) zur Weitervermitttlung

1 Einleitung 29

des gut erhaltenen Gebrauchtmobiliars“ nach dem Vorbild der NGOs (Non-

Government-Organisations) firmieren. (Vgl. ebd.: 63). Hier handelt es sich allerdings

nicht um sozialromantische Folklore, sondern um eine recht effiziente, fortgeschrittene

Variante eines Kooperationswettbewerbs von Anbietern verschiedenen

„Serviceleistungen aus einer Hand von einer ‚sozialen Einrichtung’“ mit Anschluss an

einen Dachverband, der Qualität und Kompetenzen überwacht – auf Berliner

Verhältnisse bezogen, ist dies aus verschiedenen Gründen wohl kaum übertragbar. (Vgl.

Uffinger, Tuma, in: Ebd.: 32 f)

Da diese Arbeit nicht zum Ziel hat, einen Überblick über Sozialkaufhäuser zu geben,

sei folgendes festgehalten: Es gibt ganz offensichtlich übergreifend ein großes Potential

für Dienstleistungen von sozialen Einrichtungen rund um die Themen ökologische und

soziale Nachhaltigkeit, inbegriffen Abfallvermeidung, Reparatur und Wiederverwendung

von Produkten, soziale Grundversorgung von Menschen mit geringem Einkommen,

niedrigschwellige Arbeitsplatzangebote, arbeitsweltorientierte Qualifizierung, das

‚Recycling’ brachliegender beruflicher und sozialer Kompetenzen, Beratung,

Kooperation mit Beratungsstellen und Ämtern und Vernetzung mit Gewerbebetrieben.

(Vgl. Keis-Lechner, Müller, in: Ebd.: 40 f) Auf die Arbeit des Fairkaufhauses bezogen,

sei hinzugefügt, dass es gerade der Aspekt der sozialen Nachhaltigkeit in einem ganz

speziellen Sinn ist, der das Fairkaufhaus von anderen Sozialkaufhäusern im Ansatz

unterscheidet. Eine Gesellschaft, die es sich leistet, auf Kenntnisse und Potentiale von

so vielen Menschen mit einer psychischen Erkrankung aus mutloser Konformität zur

Sozialgesetzgebung zu verzichten, verhält sich unklug, verschwendet humane

Ressourcen, ist gegenüber dem Begriff Arbeit besinnungslos und verhält sich im übrigen

ethisch fragwürdig und ökonomisch ineffizient.

Die Nachhaltigkeit von „Charity“-Konsum mag zweifelhaft sein – „Charity begins at

Home“ heißt es auch (etwa: „Das Hemd ist mir näher als die Hose“). Christliche Caritas

unterstützt durch kluges ‚Social Engineering’ immerhin Konsum als Basisversorgung

von Geringverdienern, Neuen Armen also; indes ist das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr

aufzuhalten, da es existentiell geworden ist. Interessanterweise taucht der existentielle

Aspekt von Arbeit, den es eben auch gibt, gerade dort auf, wo Wegwerfen ineffizient

wird: Wegwerfen von Sachen, Wegwerfen von sozialen Sicherheiten, Wegwerfen von

sozialen Imponderabilien – Menschen. Arbeit als niedrigschwellige Existenzsicherung

‚rentiert’ sich auch volkswirtschaftlich wieder. Den ‚Sexappeal’ sozialer und ethischer

Ressourcen gilt es indes erst noch zu entdecken; nicht nur Sachen, auch Menschen

wollen ‚wiederverwertet’ werden. Solange Arbeit nicht anders definiert wird, behalten

Caritas, ‚Charity’, Spendenbereitschaft ein hierarchisches Hautgout – nicht nur Loben,

1 Einleitung 30

auch Spenden kommt von oben. Teilhabe an Arbeit, egal welcher, bedeutet leider

(noch) nicht Anteil haben an gesellschaftlicher Anerkennung.

1.2.1 Entstehung des Fairkaufhauses

Grundsätzliche fachliche Überlegungen zum Stellenwert von Arbeit bei psychisch

kranken Menschen, durch langjährige Betreuungserfahrungen unterfüttert, und die

organisatorische Anbindung an das Deutsche Rote Kreuz mit der Möglichkeit, ohne

größeren Aufwand auf Kleiderspenden zurückgreifen zu können, führten im Träger zu

unterschiedlichen Überlegungen:

Neben kleinen internen Beschäftigungsprojekten wurde schon früh die Idee

eines Second-Hand-Ladens für Kleidung geboren. ... Aus dieser Idee

entwickelte sich in einer längeren Planungsphase das FAIRKAUFHAUS mit

einem erweiterten Warenangebot und einer Vielzahl unterschiedlicher

Arbeitsplätze. Durch Besuche einiger Sozialkaufhäuser im süddeutschen

Raum (in denen vorwiegend Langzeitarbeitslose arbeiten) wurden wir

angeregt, ein Gebrauchtwarenkaufhaus in Berlin aufzubauen. Es sollten

allerdings keine zeitlich befristeten Arbeitsplätze sein wie bei den

Beschäftigungsprogrammen der Bundesagentur für Arbeit und auch keine

Werkstatt für behinderte Menschen mit ihren relativ hohen Anforderungen

(mind. 30 Std/Wo und Beendigung der Maßnahme beim Überschreiten

bestimmter Fehlzeiten). Dies erschien uns für viele unserer psychisch

kranken Menschen ungeeignet. (FKH 4: 26.01.09)

Daher entstand der Wunsch, das Projekt möglichst flexibel zu gestalten, hinsichtlich

„den zu erwartenden Einschränkungen“, den Arbeitsbedingungen und der Arbeitszeit.

Im Fairkaufhaus gibt es „bedarfsorientierte Arbeitszeiten von 1 bis ca. 20 Std/Wo.

Dabei spielen sowohl die realen Leistungsgrenzen als auch die Obergrenze durch die

Zuverdienstmöglichkeiten der Einzelnen eine Rolle“. (FKH 2008: o. A.) Die

Beschäftigten müssen auch keine Angst haben, wegen Fehlzeiten ‚entlassen’ zu werden:

„Auch längere Fehlzeiten aufgrund der Erkrankung führen bei uns nicht zwangsläufig

zu einem Verlust der Beschäftigung. Wir sehen im Gegenteil gerade hier die

Notwendigkeit, den Menschen die Sicherheit zu geben, auch danach wieder einer

Tätigkeit nachgehen zu können.“ (Ebd.) Das Entgelt für die Arbeit orientiert sich an

anderen Zuverdienstprojekten, die insgesamt zuwendungsfinanziert sind und keine

Anstellungsverhältnisse bieten. Angestrebt wird im Fairkaufhaus, „einen Teil der hier

arbeitenden Menschen langfristig zu befähigen, entweder in Integrationsfirmen oder –

1 Einleitung 31

in Einzelfällen – auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine sozialversicherungs-

pflichtige Beschäftigung zu finden. Für diejenigen, die diese Ziele nicht erreichen

können, soll eine dauerhafte niedrigschwellige Beschäftigung im FAIRKAUFHAUS

möglich sein“. (Ebd.)

1.2.2 Soziale Konzeptionierung

Der konzeptuelle Ansatz des Fairkaufhauses ist als umfassend zu bezeichnen und kann

als Versuch angesehen werden, verschiedene soziale und ökologische Anforderungen in

einem Projekt miteinander zu verbinden bzw. verschiedenen Missständen zu begegnen:

„Die Zahl der Menschen mit einem geringen Einkommen nimmt seit einigen Jahren

deutlich zu. Durch die Reform der Sozialhilfe ist hier unseres Erachtens eine erhebliche

Versorgungslücke entstanden. Anders als früher gibt es keine zusätzlichen Beträge für

die Anschaffung und Reparatur von Hausrat, Kleidung und Wohnungseinrichtung. Dies

muss inzwischen aus einem völlig unzureichenden Pauschalbetrag finanziert werden.

Wir wollen auch dieser größer werdenden Bevölkerungsgruppe ermöglichen, sich die

notwendigen Dinge zu kaufen.“ (FKH 2008: o. A.) Ein Rabattsystem dient zum einen

der Kundenbindung und senkt die Kaufschwelle. Wenn Kunden einen entsprechenden

Bescheid zeigen (Arbeitslosengeld II, Rentenbescheid und ähnliches), können sie die

sogenannte Fairkaufcard beantragen.

„Mit der FAIRKAUFCARD erhalten Menschen mit geringen Einkommen einen

zusätzlichen Rabatt von 20 % auf die bereits niedrigen Verkaufspreise. So hoffen wir,

Menschen in einer sozial und finanziell schwierigen Lage bei der Beschaffung guter und

günstiger Ware zu helfen.“ (Ebd.) Der ökologische Gedanke, nachhaltige Produktion zu

befördern, findet seinen Ausdruck darin, gebrauchte Möbel, Bekleidung und Wäsche,

elektrische und andere Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Medien und Bücher,

Spielwaren usw. für weiteren Gebrauch fertig zu machen bzw. aufzuarbeiten. Gehörte

zu Secondhandangeboten in vergangenen Jahren oft noch das Flair, in der Art einer

charmanten Freizeitbeschäftigung attraktive, sonst schwer erreichbare Gegenstände zu

ergattern, teils auch der Ausdruck von Konsumkritik, so verweist heute das

zunehmende Angebot von Sozialkaufhäusern eher auf den Bedarf, mit knappen Mitteln

überhaupt am Warenumschlag teilzuhaben. Armut ist der Katalysator für

Sozialkaufhäuser und Gebrauchtwarenläden; „alternativ“ sein ging anders. „In

Deutschland leben heute 13 Prozent der Bevölkerung in Armut oder sind von ihr

bedroht. Ohne die staatlichen Transferleistungen wären es doppelt so viele.“ (Dritter

Armutsbericht der Bundesregierung, zitiert nach: Dreisbach, in: Menschen 1.2009: 31)

1 Einleitung 32

Die Diskussion um bedürftigkeitslegitimierten (beweispflichtigen ) Zugang zu diesen

Einrichtungen zeigt, es geht längst nicht mehr um Freizeit und ‚luxuriöse’ Inklusion

gewiefter Schnäppchenjäger, sondern um fehlende, über Armutsniveau bezahlte Arbeit

und das Paradox der sozialen Exklusion durch exklusive Legitimation Bedürftiger. (Vgl.

ebd.) Zweiklassenkonzepte werden gesellschaftsfähig, reale Integration zum Privileg von

Menschen, die (noch) Mindestanforderungen an körperlicher und seelischer Gesundheit

und Konsumfähigkeit erfüllen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Konzeptionierung

des Fairkaufhauses als sozial im eigentlichen Sinn des Wortes: auf die Gemeinschaft

(nicht lediglich auf Teilgruppen) bezogen. Ob ein (durch die Fairkaufcard) prämiierter

Zugang für Menschen mit geringem Einkommen bereits andere Kundengruppen

ausschließt, ist so lange eine akademische Frage, wie unter Integration allgemein noch

nicht soziale Parzellierung und Fixierung verstanden wird. Anders gesagt: ein offenes

Konzept wirkt tatsächlich integrativ, wenn es auch nicht soziale Unterschiede einebnet.

Die Selbstreferenz im Begleitheft zum Film auf CD über das Fairkaufhaus, die

„Einzigartigkeit des Fairkaufhauses“ bestehe „auch darin, dass erstmals in Berlin ein

Beschäftigungsprojekt für psychisch kranke Menschen in diesem Sektor entsteht, das

mit seiner Größe und seinem Ambiente eher an ein kleines Kaufhaus als an einen

Trödelladen erinnert“, ist daher weniger Beschwörung als (durchaus auch medial)

gelungene Inszenierung eines sozial und symbolisch wirksamen, integrativen Konzepts.

Es wird eine soziale Wirklichkeit geschaffen, in einer „hellen, freundlichen

Atmosphäre“, die nicht per se schichtspezifisch wirkt, sondern neben dem Waren- auch

ein soziales Angebot macht, sich „beim Stöbern und Kaufen wohl (zu) fühlen“ bzw. als

Mitarbeiter sich „positiv“ mit der eigenen Arbeitsstätte „identifizieren“ zu können. (Vgl.

FKH 2008: o. A.) Das ist in Berlin-Spandau ein Alleinstellungsmerkmal, nicht aber,

verglichen mit Sozialkaufhäusern in ganz Deutschland, von denen es „rund 250 ... nach

Schätzung von Experten mittlerweile ... (geben) soll“. (Dreisbach, in: Menschen 1.2009:

31)

‚Die meisten Sozialkaufhäuser versuchen, wie jedes andere Kaufhaus

auszusehen’, sagt Christian Jungk in seiner Funktion als Mitglied der

Geschäftsführung der ‚Werkstatt Frankfurt’, die ebenfalls ein großes

Second-Hand-Warenhaus betreibt. Denn häufig klinge das Wörtchen

‚sozial’ in den Ohren derjenigen, die auf diese Läden angewiesen seien, weiß

Gott nicht nach gesellschaftlicher Hilfestellung. ‚Oft zieht es der klassische

Hartz-IV-Empfänger vor, sich etwas Neues zu kaufen, und sei es ein

Sperrholzregal in einem Billigbaumarkt, statt ein gut erhaltenes gebrauchtes

1 Einleitung 33

Möbelstück. Auch das hat viel mit der Angst vor Stigmatisierung zu tun.’

(Ebd.)

Eben dieser Angst vor Stigmatisierung zu begegnen, zeichnet das Fairkaufhaus aus.

Nicht die großzügige Örtlichkeit noch Beschäftigungsbereiche und Angebote an Waren

und Dienstleistungen ergeben die singuläre Stellung dieses Sozialkaufhauses, sondern

die beherzten, niedrigschwelligen Angebote zur Teilhabe an Arbeit, die sie einer bereits

mehrfach stigmatisierten Gruppe von Menschen macht in Verbindung mit

kundenfreundlicher Präsentation und preiswerten Dienstleistungen. Die

Solidarisierungs- oder auch Distinguierungseffekte bei den Kunden gegenüber den im

Fairkaufhaus Beschäftigten wären gewiss eine eigene Untersuchung wert; sie können

hier nicht verhandelt werden. Arbeitsangebote werden potentiellen Beschäftigten auf

der Homepage des Fairkaufhauses in freundlichem Ton präsentiert. In der Rubrik „Was

können Sie bei uns tun?“ sind die Bereiche des Fairkaufhauses nach Tätigkeiten

geordnet. Einleitend heißt es: „Die vielen unterschiedlichen Arbeitsmöglichkeiten

ergeben sich aus den wichtigen Tätigkeiten, die für den Gesamtbetrieb des Kaufhauses

notwendig sind. Insgesamt versuchen wir Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, die Ihnen

Spaß machen können (Hervorhebung KO.), die Ihnen von Ihren persönlichen

Voraussetzungen her liegen und die Ihren eigenen Zielsetzungen bei der Teilhabe am

Arbeitsleben gerecht werden.“ „Spaß machen können“ klingt nicht nach fortgesetzter

Demütigung; auch nicht der Hinweis auf „Beratung und Unterstützung“: „Wichtig ist

uns, dass Sie mit keiner der Arbeiten alleine gelassen werden, dass immer ein

Ansprechpartner für Sie zur Verfügung steht, der Sie anleiten und beraten kann, und

den Sie in allen Fragen ansprechen können“. (FKH 5: 26.01.09) Diese bewusste

Ressourcenorientierung hat vermutlich einen Effekt auf die dort Beschäftigten. Ich

komme darauf zurück.

Ein anderer Effekt sei erwähnt, weil er den Fortbestand der Sozialkaufhäuser

insgesamt gefährden könnte: Zunehmend gibt es Ärger zwischen kommerziellen und

gemeinnützigen Anbietern von Secondhandwaren, bis dahin, dass ein Sozialgericht

demnächst über eben den fraglichen exklusiven Zugang für Bedürftige zu

Sozialkaufhäusern und ähnlichen Einrichtungen entscheiden soll. (Vgl. Dreisbach, in:

Menschen 1.2009: 34 f) Auch das Fairkaufhaus könnte, obgleich durch Leistungen aus

der Eingliederungshilfe zum Teil finanziert, durch eine Zugangsbeschränkung

möglicherweise wirtschaftlich gefährdet werden. Entscheidend wäre aber, dass durch

solcherlei praktizierte Zweiklassengesellschaft das Selbstverständnis des Fairkaufhauses

angegriffen würde, einen gerade auch sozial ressourcenorientierten Beitrag zur

Rehabilitation psychisch kranker Menschen zu leisten. Die neuen Sozialgesetzbücher

1 Einleitung 34

ermöglichen grundsätzlich Rehabilitation in vielen Fällen; sie lösen aber das

gesamtgesellschaftliche Problem nicht, Arbeit nicht-exklusiv zu definieren, sondern

verschärfen es, indem sie es verlagern. Die Vorteile der einen gesellschaftlichen Gruppe

sind so die Nachteile einer anderen. Auf der einen Seite werden Arbeitslose durch das

SGB II prekarisiert und sanktioniert, die Kollateralschäden und Krisenzeichen unter

Berufung auf das SGB IX dann auf der anderen Seite mit SGB III und SGB XII

bekämpft. Das leistet ‚Sozialneid’ (Ungerechtigkeit) und Stigmatisierung in der Tat

Vorschub. Eine Win-Win-Situation sieht anders aus.

„Das Sozialgesetzbuch II legt in Artikel 16 fest, dass Ein-Euro-Jobs nur gefördert

werden dürfen, wenn sie nicht in den Wettbewerb eingreifen. Außerdem sind

‚Zusätzlichkeit’ und ‚Öffentliches Interesse’ Ausschlusskriterien für eine Förderung

durch die Argen.“ (Ebd.; 34) Es ist klar, dass Sozialkaufhäuser trotz Förderung

wirtschaftlich nur überleben können, wenn sie ein Mindestmaß an wirtschaftlicher

Leistung, Attraktivität, Kundenfreundlichkeit und Effizienz vorweisen können. Dann

aber machen sie freien Anbietern Konkurrenz. S. Dreisbach zitiert „die Caritas in

NRW“:

‚Es gehört zum Selbstverständnis der Sozialkaufhäuser der Caritas, dass

durch dieses Angebot gerade keine weiteren Diskriminierungen für die

sowieso benachteiligte Personengruppe geschaffen wird (sic!). Offenheit für

alle und echte Marktnähe sind unverzichtbare Eigenschaften dieses

Angebotes.’ Sollte gerichtlich entschieden werden, dass geförderte

Sozialkaufhäuser nur noch an Bedürftige verkaufen dürfen, käme es nicht

nur zu einer Diskriminierung nachweislich Bedürftiger, sondern auch derer,

die ihre Bedürftigkeit nicht belegen können und dennoch unter der

Armutsgrenze leben. Denn all diesen Menschen wäre der Zutritt zu

Sozialkaufhäusern damit verwehrt. (Ebd: 35)

Offenbar sind sich die ausführenden Stellen, etwa das Fallmanagement in Berlin-

Spandau, über die Effekte der neuen Sozialgesetzgebung nicht so sicher. Sonst hätten

sie wohl nicht – zum Glück, und dankenswerter Weise – einer pragmatischen Lösung

zum Betrieb des Fairkaufhauses zugestimmt. Die Geschäftsführer können so mit ihrer

Doppelstrategie der sozialen und wirtschaftlichen Konzeptionierung und somit einer

Refinanzierung über die Eingliederungshilfe und über das Job-Center ihrerseits

pragmatische Lösungen im Betrieb anstreben. Es ist nicht zu sehen, wie eine nicht

stigmatisierende Teilhabe an Arbeit gelingen sollte, wenn den Adressaten der

Beschäftigungsangebote vermittelt wird, dass ihre Tätigkeiten doch lieber harmlose

1 Einleitung 35

Spielereien bleiben sollten, um die als höherwertig betrachtete Arbeit anderer auf dem

Ersten Arbeitsmarkt nicht zu gefährden.

1.2.3 Das Fairkaufhaus als soziales Experiment

Zunächst haben die Geschäftsführer sich offensichtlich an den bereits vorhandenen

Integrationsfirmen und Zuverdienstmöglichkeiten orientiert.

Arbeit und sinnvolle Beschäftigung haben für die meisten psychisch

kranken Menschen nach wie vor einen hohen Stellenwert. Fachlich ist

unumstritten, dass sich solche Beschäftigungen – wenn sie auf die

Beeinträchtigungen durch die Erkrankung Rücksicht nehmen –

stabilisierend auf den Gesundheitszustand auswirken, das Selbstwertgefühl

stärken und den Menschen das Gefühl geben, sich gesellschaftlich

anerkannt nützlich zu betätigen. Hierbei können sie auch fachliche und

soziale Fähigkeiten (wieder) erlernen. Als Alternativen zur Beschäftigung

auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurden (nicht nur) in Berlin eine Reihe

von Integrationsfirmen gegründet und niedrigschwellige

Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen, die die besonderen

Schwierigkeiten psychisch kranker Menschen berücksichtigen und eine

sinnvolle Beschäftigung und eine geregelte Tagesstruktur ermöglichen. Hier

werden sie unter fachlicher und sozialpädagogischer Anleitung an

Arbeitsprozesse herangeführt. Wir haben uns daher entschlossen, ein

solches Beschäftigungsprojekt aufzubauen. (FKH 5: 26.01.09)

Allgemeine, bereits zitierte Erwägungen zu den Wirkungen der geänderten

Sozialgesetzgebung in den letzten Jahren, sowie die Erfahrungen aus zwanzig Jahre Die

Brücke e. V.- Arbeit scheinen es den Geschäftsführern nahegelegt zu haben, die

Eintrittsschwelle in ein solches Beschäftigungsprojekt ungewöhnlich niedrig zu halten.

(Vgl. dazu später das Interview mit Ginko Berlin gGmbH Geschäftsführer Volker

Schröder) Der Anspruch, für die Gruppe chronisch psychisch erkrankter Menschen, die

durch die Lücken der Sozialgesetzbücher fallen, ein Netz bereitzuhalten, an dem diese

selbst mit knüpfen, ist hoch. Insofern darf (oder muss) das Fairkaufhaus als soziales

Experiment angesehen werden. Wenn hier im Kleinen gelingt, was individuell oft als

dornenreiches Dickicht erlebt wird, könnten Möglichkeiten sichtbar werden, die

allgemeinere Gültigkeit haben.

1 Einleitung 36

Aus Sicht der veröffentlichenden Geschäftsführer und wohl auch nach der

Erfahrung der im Fairkaufhaus gleichermaßen beschäftigten „sozialpädagogische(n)

Anleiter und Facharbeiter unterschiedlicher Berufsgruppen“ ist „unerlässliche

Voraussetzung für ein solches Arbeitsprojekt .. gute fachliche Anleitung und

sozialpädagogische Betreuung. Nur so können die ‚Zuverdiener’ die notwendigen

Fertigkeiten erlernen und bei auftretenden Schwierigkeiten beraten und unterstützt

werden“. (Ebd.) Die mit dem Beschäftigungsangebot angesprochenen Klientinnen und

Klienten werden so beschrieben: „Hin und wieder können sie ihre Leistungsfähigkeit

nicht realistisch einschätzen, sind möglicherweise übermotiviert und überfordern sich

oder überschätzen ihre tatsächliche Leistung. Im Umgang miteinander oder mit Kunden

gibt es immer wieder belastende Situationen, Konflikte, Unsicherheiten und Ängste.

Hier gilt es, gemeinsam mit ihnen eine realistischere Einschätzung zu entwickeln, auf

Signale zu achten, die auf eine Überforderung hindeuten, Pausen oder ggf. eine

Stundenreduzierung einzuplanen, belastende Erfahrungen zu besprechen, um eine

längerfristige Beschäftigung zu ermöglichen.“ (Ebd.) Zu beachten ist, dass in diesen

Text bereits die Betreuungserfahrungen aus ca. einjährigem Betrieb des Fairkaufhauses

eingegangen sind. Die Presseerklärung zur Eröffnung, die sich nach wie vor auf der

Homepage des Fairkaufhauses befindet, ist hier kürzer gefasst. (Vgl. FKH 1: 26.01.09)

Möglicherweise notwendig werdende interne Ablauf- und Strukturänderungen oder

Optimierungen entwickeln die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in engem

Zusammenhang mit den Möglichkeiten und Grenzen der Beschäftigten, aber auch

durch übergreifende Steuerungsinstrumente. Dazu zählt sicherlich der Bereich

organisierter Reflexion, mithin Dokumentation und fachlicher Austausch zwischen den

Fachkräften, den Fachkräften und der Leitung, sowie zwischen diesen, der

Geschäftsführung und dem Qualitätsmanagement. Der Anschluss an andere Projekte

des Trägers Ginko Berlin gGmbH ist über die Rechnungslegung für das Bezirksamt

hinaus auch für Klientinnen und Klienten gegeben, die zusätzlich vom Projekt

Einzelfallhilfe betreut werden, an den „Verbund Betreutes Wohnen“ oder die

Beschäftigungstagesstätte angeschlossen sind. Eine Finanzierung über die

Frauenwohnstatt, ein stationäres Übergangsheim nach § 67 SGB XII für Frauen und

ihre minderjährigen Kinder, oder die „Passage“, die ambulante Betreuungsleistungen

ebenfalls nach § 67 SGB XII anbietet, ist schwierig, da die betreffenden Leistungen

anderen Vorschriften des SGB XII oder SGB VIII nachgeordnet sind. Umgekehrt

werden einige Klientinnen und Klienten aus dem Projekt Einzelfallhilfe bei ihren

Schritten in Richtung Arbeitsleben darin unterstützt, im Fairkaufhaus einen Platz oder

ihren Weg zu finden. Einige dort Beschäftigte erhalten die Leistung Einzelfallhilfe durch

andere Träger, teils aus anderen Bezirken, oder durch Honorarkräfte direkt über das

1 Einleitung 37

Bezirksamt Spandau. Im Träger Ginko findet auf der Ebene der Projektleitungen

regelmäßiger Austausch in den vierzehntägigen trägerinternen „Steuerungsrunden“ statt.

Die Balance zwischen sehr konkreten, organisatorischen, wirtschaftlichen,

sozialarbeiterischen Anforderungen im laufenden Betrieb, dessen konzeptioneller

Weiterentwicklung und Festigung und der Reflexion und Dokumentation auf mehreren

fachlichen und hierarchischen Ebenen dürfte über den sozialen Erfolg des

Fairkaufhauses entscheiden – und mit darüber, ob das soziale Experiment Fairkaufhaus

in andere Bezirke übertragen werden kann. Die Frage der Finanzierung, d. h. derzeit der

Kostenübernahmen, steht über allem; dazu später.

2 Das Forschungsanliegen 38

2 Das Forschungsanliegen

Im Fairkaufhaus bestimmt sich der individuelle Wert der Arbeit für die dort

Beschäftigten sicher auch aus der dynamischen Wechselwirkung persönlicher,

erkrankungsbedingter Einschränkungen (hier insbesondere psychischer) mit der Art der

Beschäftigungsangebote, der sozialarbeiterischen Betreuung, der Qualität der Anleitung

und Einbindung und darüber hinaus der Anerkennung dieser Arbeit bzw. der

Akzeptanz ihres (teilweisen) Ausbleibens. Was Arbeit gesellschaftlich bedeutet, ist, wie

zu sehen war, alles andere als selbstverständlich und überdies nicht mit wenigen

Überlegungen darzustellen. Was es bedeuten könnte, im Fairkaufhaus zu arbeiten, soll

diese Untersuchung in einigen ersten Aufschlüssen skizzieren. Kontrastiert mit den

begrifflichen Vorüberlegungen und der (konzeptuellen) Präsentation des Fairkaufhauses,

kann dies nur bedeuten, sich der individuellen Wahrnehmung und Einschätzung der

dort Beschäftigten oder mit der Einrichtung professionell Befassten in Ausschnitten

anzunähern. Mir geht es darüber hinaus um klinisch-sozialarbeiterische Aspekte, um die

Frage, in welcher Weise Arbeits- und Beschäftigungsangebote Teil einer sozialen

Behandlung für mehrfach stigmatisierte, chronisch psychisch erkrankte Menschen sein

könnten, ohne jedoch im Detail sozialtherapeutische Fragen klären zu wollen.

2.1 Forschungsstand

Zu Sozialkaufhäusern gibt es noch keine umfassenden, systematisierenden

wissenschaftlichen Untersuchungen; einige Dissertationen zu einzelnen Aspekten bzw.

zu Aspekten einzelner Sozialkaufhäuser sind meines Wissens in Arbeit. Das Thema

findet jedoch aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen und ökonomischen Brisanz

öffentliche Resonanz. Mehrere Fernseh- bzw. Onlinebeiträge von Fernsehsendern

haben sich in den letzten Jahren mit Sozialkaufhäusern und Gebrauchtwarenläden

befasst, etwa das ZDF am 16.11.2005 in heute.de unter dem Titel „Shopping im

Sozialkaufhaus. Seit Hartz IV boomen in Thüringen die Billig-Läden“, am 01.07.2007

als „ZDF.reportage .. über das soziale Gewissen bei der Shopping-Tour“ mit dem Titel

„Große Sprünge für kleines Geld. Shoppen im Sozialkaufhaus liegt im Trend“; die

„FAKT-Reportage“ berichtete am 23.01.2006 über das „Stöberhaus“ in Erfurt und die

„Münchener Tafeln“; wie erwähnt befasst sich S. Dreisbach im Magazin der „Aktion

Mensch“ in der Nummer 1.2009 mit dem Thema Sozialkaufhäuser. Der wissenschaftliche

Zugang ist wenig beschritten.

2 Das Forschungsanliegen 39

2.1.1 Methodenentscheidung

Mittel der Wahl sind qualitative Interviews mit Klientinnen und Klienten, der Leiterin

des Fairkaufhauses, einem der beiden Geschäftsführer, sowie eine reflektierende

Gegenüberstellung des publizierten Anspruchs, wie er auf der Website des

Fairkaufhauses bzw. aus der Befragung der Leitung und der Geschäftsführung deutlich

wird, mit Ergebnissen aus den Interviews mit Klientinnen und Klienten. Auf die

Analyse des im Auftrag der Geschäftsführung des Fairkaufhauses gedrehten Films, im

letzten Quartal 2008 herausgebracht, verzichte ich, mit Ausnahme der schriftlichen

Angaben im bereits mehrfach zitierten Begleitheft zum Film auf CD, das sich inhaltlich

weitgehend mit den auf der Homepage des Fairkaufhauses veröffentlichten,

überwiegend detaillierteren Texten deckt. Ich verzichte darauf aus grundsätzlichen

Erwägungen, die sich auf die Schwierigkeiten beziehen, durch einen medialen Vorfilter

und die Situation als Auftragsarbeit hindurch mit geeigneten Methoden die darin

enthaltenen Äußerungen der Klientinnen und Klienten zu analysieren. Die dazu nötige

transdisziplinäre Diskussion (medienwissenschaftlich, sozialarbeiterisch,

sozialwissenschaftlich) kann hier nicht geleistet werden; die Begründung der

Sozialarbeitswissenschaft als Kulturwissenschaft steht aus.

Die hier praktizierte Methodologie ist heuristisch; sie besteht in einer dem

Gegenstand im Verlauf der Untersuchung und dem Fortgang der Interviews

wechselseitig angepassten Synthese aus text-, begriffs- und konversationsanalytischen

Elementen – hinsichtlich der Analyse der Begriffe mit religionswissenschaftlichem

Einschlag. Datenanalytisch beziehe ich mich mit meinem Forschungsinteresse auf das

qualitative Vorgehen, wie es die frühe Grounded Theory entwickelt hat

(GLASER/STRAUSS 1967), methodisch der darin gezeigten Bildung von Codes, deren

Verdichtung zu Themen und, gegebenenfalls, Leitthemen und Thesen, ohne mich einer

weiteren Ausdifferenzierungsweise zu verpflichten. Das von T. FLOETH entwickelte,

daran angelehnte „Rohdaten-Konzept“ sieht soziale Wirklichkeit als „immer

konstruiert“ an, „immer durch unsere Erfahrungen in der Vergangenheit vermittelt“,

fordert, dass „ein Beobachter seine eigenen Wirklichkeitskonstruktionen bei der

Beobachtung minimieren muß ... vielmehr (Daten; KO.) in ihrer jeweiligen Entwicklung

sammeln (wird). ... Das Ziel des Rohdatenkonzepts ist es, die Basis sozialer Realität zu

erreichen: den Zugang zu einer ‚natürlichen’ sozialen Situation finden! Sein Programm

bedeutet, einen möglichst offenen Zugang zum Feld zu wagen.“ (FLOETH o. J.: 1f [2004])

Meines Erachtens ist dabei nicht die Frage des Konstruktivismus als zugrundeliegende

philosophische Haltung entscheidend, sondern das systematische Bemühen um

Komplexität – „Vielfalt zu schaffen ist unser bedeutendstes analytisches Vorgehen“,

2 Das Forschungsanliegen 40

Reversibilität – „Die Rohdaten sind und bleiben die Basis der Analyse“ und

intersubjektive Kontrollierbarkeit mit der Möglichkeit der „Triangulation“, der

Verfahrens- und Perspektivenpluralität. (Vgl. ebd.: 3f) Für eine bedeutsame Trennlinie

zu Kunst und Religion halte ich, dass soziale Realität (auch soziale Realität als

ästhetische und/oder religiöse) sehr wohl als in der (und durch die) Situation konstruiert

betrachtet werden kann oder muss. Andererseits kommt es meines Erachtens der

Wissenschaft zu, diese Realität mit dem Wissen um die eigenen begrenzten Mittel zu

untersuchen, nicht sie (alternativ) zu begründen oder durch ihre Ausdeutung zu

überbieten.

Die (insbesondere interpretativ) sehr ausdifferenzierte Schulenbildung in der

Datenanalyse halte ich aus forschungspragmatischen und grundsätzlichen Erwägungen

mit G. KLEINING daher für überbewertet. (Vgl. KLEINING, IN: NADERER/BALZER

2007: 207-213) Die von ihm vertretene, „entdeckende“ methodologische Richtung

beschreibt KLEINING so: „Entdeckende (Hervorhebung im Orig.) Methodologien

optimieren die gegenstandsbezogene Vorgehensweise mit dem Ziel der Aufklärung des

Forschungsgegenstands. Sie versuchen, sowohl die Einseitigkeit der linearen, deduktiv-

‚naturwissenschaftlichen’ als auch die der induktiv-‚geisteswissenschaftlichen’

Verfahrensweise und auch die Spaltung in qualitative und quantitative Datenformen zu

überwinden.“ (Ebd.: 219) Nach KLEINING existieren dabei folgende Regeln:

(1) Offenheit der Forschungsperson: Sie soll ihre Meinung ändern, falls die Daten

dem entgegenstehen. ...

(2) Offenheit des Forschungsgegenstands: ... er kann sich im Verlauf der Forschung

ändern. ...

(3) Maximale strukturelle Variation der Perspektiven: Das ist die Regel zur

Datenerhebung. ...

(4) Analyse der Gemeinsamkeiten: Die maximal verschiedenen Daten werden

auf ihre Gemeinsamkeit hin untersucht. ... Wir lernen, dass die Welt aus

Differenzen besteht, und ‚sehen nicht den Wald vor lauter Bäumen’. Der

Forschungsverlauf wird durch das Dialog-Prinzip bestimmt. (Alle

Hervorhebungen im Original; ebd.: 215)

Als „Ziel der entdeckenden Forschung“ nennt KLEINING „in der Formulierung von

Ernst Mach ... die ‚Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und aneinander’ ... durch

die Regeln der maximalen Variation der Perspektiven und durch die Analyse auf

Gemeinsamkeiten stellen sich Validität und Reliabilität von selbst her. ... Bleiben

2 Das Forschungsanliegen 41

Abweichungen (von der 100 %-Regel oder der 0 %-Regel; KO.) übrig, ist die Analyse

noch nicht beendet und Analysierende haben die Aufgabe, das Gesamtbild so zu

verändern oder zu erweitern, dass sie integrierbar werden.“ (Ebd.: 219)

Hier soll indes keine abschließende Untersuchung, sondern ein Zwischenstand

präsentiert werden, der in der Form einer „Nachbereitung der Hauptuntersuchung“

gegebenenfalls eine „Sekundäranalyse“ ermöglicht. (Vgl. ebd.: 220)

2.1.2 Sample

Ohne zu viele Hinweise zu geben, lässt sich sagen, dass die mit der Leiterin des

Fairkaufhauses erörterte Zusammenstellung der befragten Klientinnen und Klienten,

drei Frauen, drei Männer, mit ihren unterschiedlichen Vorgeschichten (und auch das

Alter betreffend) durchaus einiges von der Spanne der dort Beschäftigten abbildet.

Menschen mit Komorbiditäten (zum Beispiel Suchtproblematiken), auch Lern- und

geistigen Behinderungen, sind im Fairkaufhaus ebenso tätig wie Menschen mit

‚normalen’, bürgerlichen Biografien, die in unterschiedliche psychische Erkrankungen

(mit unterschiedlicher Ausprägung) geraten sind. Ein vollständiges Sample hätte nach

KLEINING “mindestens 20 Einheiten für eine Methode“ erfordert. (KLEINING, in:

NADERER/BALZER 2007: 200) Für Art und Umfang dieser Untersuchung schien mir

dies nicht angemessen und hätte auch nicht der frühen Entwicklung des Fairkaufhauses

entsprochen, in dem organisatorische und warenwirtschaftliche Arbeiten den Alltag bis

in die einzelnen Tätigkeiten hinein dominieren. (Vgl. dazu später das Interview mit der

Leiterin des Fairkaufhauses, Katrin Faensen) Mir ging es mehr darum, einzelne

Wahrnehmungen von Klientinnen und Klienten mit der in Beobachtungen,

Befragungen und Texten zugänglichen und vorfindlichen Realität des Fairkaufhauses zu

kontrastieren und mit heuristischem Interesse immer wieder schnell vom Besonderen

ins Allgemeine und zurück in das soziale Gebilde „Fairkaufhaus“ mit seinen

Rahmenbedingungen, Möglichkeiten und Grenzen zu kommen.

KLEINING bezieht in den Sampleaufbau verschiedene Methoden ein „also ..

Befragungen, Beobachtungen oder die Analyse bereits vorhandener Texte etc.

Bestätigen sich Ergebnisse schon bei kleineren Samples, umso besser“. (Ebd.) Meine

Anwendung seiner Methodologie variiert vielleicht darin, Erkenntnisse und

Erkenntnisweisen einander bedingend, sich ergänzend und gegenseitig in Frage stellend

vielfältig zu assoziieren und zu (re-)kombinieren.

2 Das Forschungsanliegen 42

2.1.3 Durchführung

Im Rahmen eines trägerweiten (Ginko-)„Teamtages“ hatte ich zuvor die Gelegenheit,

mein Vorhaben den Kolleginnen und Kollegen und der Geschäftsführung vorzustellen.

So war es möglich, allgemein zu informieren, erste Fragen zu beantworten und die

Akzeptanz zu erhöhen. Die Auswahl der Klientinnen und Klienten geschah nach

mehrmaliger Rücksprache mit der Leiterin des Fairkaufhauses; sie richtete sich unter

anderem nach der Tagesform der Befragten, hatte aber zum Ziel, die größtmögliche

Breite an Wahrnehmungen und Voraussetzungen zu gewährleisten, auch wenn im Sinne

KLEININGS nicht von einem vollständigen Sample gesprochen werden kann. Es ging

mir bewusst um ein ‚Work in Progress’, eine erste Annäherung von verschiedenen

Seiten an ein komplexes soziales Gebilde. Vorüberlegungen wurden korrigiert, ergänzt

und erweitert durch Gespräche mit der Geschäftsführung, der Leiterin des

Fairkaufhauses, sowie mit Kolleginnen und Kollegen, deren Klientinnen und Klienten

aus dem Projekt Einzelfallhilfe auch im Fairkaufhaus angedockt sind oder waren. Sie

bleiben zu jedem Zeitpunkt korrigier- und erweiterbar.

2.2 Die Interviews

Das erste Klienten-Interview war zugleich ein Testlauf, der es mir ermöglichte, meinen

vorab skizzierten, zunächst sehr offenen Leitfaden weiter auszuarbeiten (siehe Anhang)

bzw. anhand der erhaltenen Antworten bisherige Fragen zu präzisieren, andere zu

verwerfen, und meine Fragetechnik zu erproben und zu überdenken. Ich habe dabei

versucht, möglichst offene Fragen beizubehalten, sowie einen offenen Ablauf, der vom

Interesse, der Tagesform und der Reaktionsweise der Befragten mit gestaltet wurde.

Wenn die Befragten mich nicht gleich verstanden, ausweichend reagierten, oder einfach

um einzelne Punkte individuell herauszuarbeiten, verlegte ich mich aufs zirkuläre

Fragen. Meine Schwerpunkte waren Fragen nach der persönlich empfundenen

Atmosphäre im Fairkaufhaus, die näheren Umstände des eigenen

Beschäftigungsverhältnisses, Fragen nach Erwartungen und Zufriedenheit bei der Arbeit

und mit den Kolleginnen und Kollegen, Fragen nach Ähnlichkeiten oder

Gemeinsamkeiten mit den anderen dort Beschäftigten, eher allgemein gehaltene Fragen

nach Problemen im Fairkaufhaus, Fragen nach berufsbezogenen Alternativen, Fragen

nach Status und beruflichem Selbstverständnis und, eingestreut, die Frage der

Bezahlung. Reihenfolge und Gewichtung (Nachfragen) variierten je nach

Interviewpartner. Die Schwerpunkte, die die einzelnen Klientinnen und Klienten dabei

für sich setzten (bzw. mir gegenüber), waren sehr unterschiedlich, ebenso wie deren

2 Das Forschungsanliegen 43

Vorgeschichte, aktuelle Belastung und lebensweltlichen Bezüge, die sich im Gespräch

zeigten. Meine zeitliche Vorgabe beim Interview orientierte sich an

Gesprächsbereitschaft, -fähigkeit und -bedarf der Befragten. Vor der Aufzeichnung

versicherte ich jeder Klientin und jedem Klienten, es liege ganz an ihnen, die Fragen so

zu beantworten, wie sie es für richtig hielten und gab vor, meiner Einschätzung nach

würden Fragen und Antworten 15 bis 25 Minuten dauern, jeder Zeitraum sei in

Ordnung. Ebenso gab ich die Zusicherung, teils wiederholt bei der Aufnahme, das

Gespräch könne durch den Interviewpartner bzw. die Interviewpartnerin jederzeit

unterbrochen oder abgebrochen werden, aus welchen Gründen auch immer. Fragen

nach einem Getränkewunsch (Wasser oder Kaffee) und die beiläufige Vorstellung des

technischen Geräts in der Art eines Smalltalks gingen ebenfalls voraus und hatten das

Ziel, vorhandene Aufregung abzumildern und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.

Zwei Interviews wurden im Büro des Projekts Einzelfallhilfe des Trägers (Ginko)

einzeln und weitgehend ungestört durchgeführt; beide Befragten wurden zum Zeitpunkt

des Interviews innerhalb des Projekts betreut, erhielten also Einzelfallhilfe und waren im

Fairkaufhaus angedockt. Sie wurden zunächst von den betreffenden Kolleginnen bzw.

Kollegen informiert, um ihre Zustimmung gefragt und an die danach verabredete

Situation herangeführt und mit ihrem nochmaligen Einverständnis in die

Interviewsituation übergeleitet und bis zum nächsten Treffen verabschiedet. Die

anderen vier Interviews mit Klientinnen und Klienten fanden nach ähnlicher

Vorbereitung (in diesem Fall durch die Leiterin des Fairkaufhauses) im Aufenthaltsraum

des Fairkaufhauses an zwei verschiedenen Terminen statt. Die Tür konnte dabei nach

Absprache mit den Befragten und deren vor der Tür arbeitenden Kolleginnen und

Kollegen meist geschlossen bleiben, sodass eine ‚interne’, dennoch ablenkungsarme

Atmosphäre möglich war. Das Interview mit der Leiterin des Fairkaufhauses, Katrin

Faensen, fand zuletzt am selben Ort statt (ebenfalls ohne andere Anwesende). Der

Geschäftsführer von Ginko Berlin gGmbH, Volker Schröder, wurde nach einer

vorläufigen Auswertung der bisherigen Interviews in der Geschäftsstelle des Trägers

interviewt. Die Datenanalyse der Interviews erfolgte von Hand, mit Ausnahme eines

Gegenchecks meiner Überlegungen durch programmgefilterte Worthäufigkeiten. Es

besteht daher nicht der Anspruch lückenloser, vollständiger Codierung. Mir ging es, im

Sinne KLEININGS, mehr um die übergreifenden, wesentlichen Gemeinsamkeiten in den

auftauchenden Themen.

Alle Interview-Transkripte befinden sich im Anhang. Der besseren Lesbarkeit wegen

und im Hinblick auf die von mir gewählte Methode der Auswertung habe ich mich dazu

entschieden, die Zitate aus den Interviews nicht einzeln zu belegen.

2 Das Forschungsanliegen 44

2.2.1 Interview mit Herrn A.

Zu Herrn A. bestand einiges Vorwissen aus Team- und Supervisionstreffen, das ich

nicht beiseite tun konnte und wollte. Seitens der Leiterin des Fairkaufhauses gilt er als

„guter Durchschnitt“, dem zugutegehalten wird, dass er auch mal einen Spaß versteht.

Das Interview mit Herrn A. zeichnete sich aus durch viele Pausen des Interviewpartners

auf Grund neurologischer Minderungen durch lange eingeübtes Spiegeltrinken, daher

häufige gesprächsunterstützende paraverbale Äußerungen meinerseits und – einige leise

Zwischentöne, denen ich erst im Lauf der Analyse auf die Spur kam. Zögern, Leiser

Werden der Stimme, längere Trinkpausen (Wasser!) nach für ihn selbst denkwürdigen

Äußerungen oder aus Verlegenheit, zustimmendes bis unsicheres kurzes Lachen sagten

teils mehr als mühsam gefundene Worte, ließen andererseits jedoch einigen

Deutungsspielraum. Auf einige Details kann deswegen nicht eingegangen werden, weil

die Anonymität sonst leiden oder der Charakter der Aufzeichnungen sich verändern

würde; schließlich ging es nicht um eine soziale Diagnose, und die Interviewsituation

war kein Assessment. Dessen ungeachtet ergeben sich natürlich genau an ‚vielsagenden’

Stellen Schnittpunkte zu sozialer Beratung und Behandlung, und die Analyse daraufhin

ergäbe ein noch differenzierteres Bild. Indes können die klinischen Möglichkeiten hier

nicht erörtert werden.

Einige Fragen kamen für diesen Interviewpartner wohl recht überraschend, und teils

galt es, aufkommendes Misstrauen zu entschärfen und durch Anschlussfragen das

Gelände zu sichern. Beispiel einer solchen Sequenz (verwendete Transkriptionsregeln

und -zeichen im Anhang):

I: Und wie fühlt sich das jetzt an im Fairkaufhaus? Ist das Ihr

Arbeitsplatz?

IP: *5* Wie jetzt?

I: Na ja, man kennt ja Berufe aller Arten, ‘ne?

IP: Ick find det schön da (betont).

I: Würden Sie sagen, ich gehe auf Arbeit, das ist mein Beruf?

IP: *8* [Trinkt] Det versteh’ ick jetzt nicht janz. *4* [Lacht]

I: Na, sagen wir mal, wenn Sie Schreiner sind, dann gehen Sie

morgens in die Werkstatt, Sie gehen auf Arbeit, Schreiner ist Ihr

Beruf.

2 Das Forschungsanliegen 45

IP: Mhm

I: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie jetzt so ‘ne Art

Lagerist. Und das ist jetzt meine Frage. Ist es für Sie so, ich bin

Lagerist, geh auf Arbeit, wenn ich ins Fairkaufhaus gehe. Ist das

so?

IP: Ich find det schön da (betont).

I: Mhm.

IP: Ne, zum Beispiel, ich ... #Mhm#

I: #Ja# Ist okay.

IP: Nein, ich find das schön.

I: Ja.

IP: Ich gehe gerne dahin. * Ja

I: Okay.

IP: Ja.

Hier war schwer zu entscheiden, ob eingeübte Verteidigungsmuster auf nur zu

erahnende (vielleicht frühere) Vorwürfe im persönlichen Umfeld und Ansprüche von

Stellen und Ämtern am Werk waren oder aber der Eigenschutz in einer sehr wohl

durchschauten, subjektiv gefährlichen Situation maßgeblich war, etwa nach der Abfolge:

‚Ich verstehe die Frage nicht oder nur zu gut; da ist jemand, der mich vielleicht

kontrolliert; ich will nicht, dass ich mir selbst ein Bein stelle; alles soll so bleiben, wie ich

es kenne.’ Andererseits könnte die ‚sture’ Betonung des „Schönen“ unter Umständen

auch ein Verweis auf bisherige bittere Erfahrungen und ‚hässliche’ berufsbiografische

Sequenzen sein. (Im Interview mit Frau B. tauchten ähnliche Muster auf, ich komme

darauf zurück.) Die Themen lassen sich in diesem Interview absteigend etwa so

gewichten: Aktuelle Tätigkeiten, Kompetenzen, (Ärger im) Fairkaufhaus-Alltag,

Kollegen, Perspektiven. Der Beschreibung der Tätigkeit fügte sich sogleich eine

grundlegende Unsicherheit über den Rang in der Arbeitshierarchie an, verbunden mit

handfester Verärgerung:

IP: Ich bin hier für Transport ja zuständig, ja?

I: Ja* Ja.

2 Das Forschungsanliegen 46

IP: Aber wir haben halt auch immer nur ... da können immer nur zwei

Leute mitfahren.

I: Mhm, mhm, mhm

IP: Und das kotzt mich immer an, wenn andere Leute sind.

Das wiederholte sich zwei Mal; auf die Frage „Was haben Sie stattdessen gemacht?“

druckste Herr A.: „andere Kleinigkeiten irgendwie, ... andere Sachen so kontrolliert und

... repariert und ... in den Laden gebracht. Ich weiß es auch nicht, wie ich das sagen soll.“

Er brachte sich selbst auf Linie: „Ja, ja, ja ich * bin ja eigentlich auch ... eigentlich, ich

mach das, was man mir sagt. Also ich mach eigentlich alles“. Eine Haltung der

(vielleicht sogar gepflegten) Angepasstheit, bis hin zum Ducken, die hier erkennbar

wurde, wechselte mit erstaunlich abgeklärten Einsichten über sich selbst und die eigene,

als benachteiligt empfundene Konstitution, „weil halt andere bevorzugt (betont) werden,

weil, die sind vielleicht ein bisschen kräftiger (deutlich betont) als ich, ja? Da ist ja klar,

dass * die mitgenommen werden und nicht ich. #*3*# Wenn Sie das verstehen, wie ich

das meine?“ Habe ich das verstanden, versteht das jemand? Vielleicht sind hier

Abgründe an Zurücksetzung und Kränkungen gemeint, die Herr A. übrigens nur im

angetrunkenen Zustand halbwegs durchblicken lässt. Der Mut selbst zu Andeutungen

geht ihm ab ohne ‚Spiegel’, da wird er ganz zugeknöpft.

Der ohnehin ‚mit gebremstem Schaum’ geführte Kampf um Rang und Position wird

durch erkannte eigene Grenzen noch mehr gebremst: „Auf mich ist vielleicht nicht so *

Verlass“, verbunden jedoch mit Scham und der indirekten Bitte um Schonung: „Ich

meine, die denken das, #*2*# schätze ich mal, aber gesagt haben sie es noch nicht.

#*2*# Das wäre noch schöner, wenn sie es sagen.“ Die Suche nach Kompetenzen bzw.

deren Präsentieren in einem Gespräch gestaltet sich für Herrn A. schwierig; er ist sehr

zufrieden, fast dankbar, als er nach einiger behutsamer Umkreisung der Frage, was er

denn gerne mache, selbst die Formel findet:

Ja. Na ja, so ... so ‘ne Art Lagerist oder so was. So was hat mich schon

immer interessiert, ja?

I: Ja. * Ja.

IP: Und so was mach ich immer total gerne (betont). Das ist schon seit

*4* Kindheitstagen. Ich hab damals ein Praktikum gemacht,

Schülerpraktikum. *2* Da war ich in so ‘n Extra-Supermarkt. * Da

habe ich auch Kisten geschleppt und ausgepreist oder

ausgepriesen. Weiß ick jetzt nicht.

2 Das Forschungsanliegen 47

I: Mhm. Mhm. Ja.

IP: Ja. *2* Da habe ich da halt auch halt *2* viel geschleppt und Regal

eingeräumt. Also so was mach ich gerne.

Ein „Lagerist“ also. Das ist charmant, bedeutet beruflich einen offenen Horizont, bringt

luftige Anklänge an Kindheitstage, hat bei geschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem

Ersten Arbeitsmarkt jedoch etwas Imaginäres, Flüchtiges (was zur Alkoholproblematik

passt), und ruft bei näherer Kenntnis der Person ein verwundertes Kopfschütteln über

die spezifische Mixtur aus rührend und erbärmlich hervor; authentische Erlebnisse von

sinnvoller Tätigkeit scheinen zuletzt in der Kindheit bzw. als ‚tüchtiger Junge’ bei einer

durch die Mutter vermittelten, die Zeit nach Beendigung der Schulzeit überbrückenden

Tätigkeit auf einem Großmarkt stattgefunden zu haben: „Da habe ich auch Kisten

geschleppt und umhergefahren mit so ‘ner Sackkarre und so. ... Und das war wunderbar,

die Arbeit.“ (5,19-5,22) Der Eindruck verstärkt sich, als es um eine frühere,

abgebrochene Berufsausbildung im Reha-Bereich der Agentur für Arbeit geht:

I: Was war das für eine Ausbildung, die Sie #[IP lacht]#da begonnen

haben?

IP: Na die war *3* ... also die war unten hier * im °, ja,-Institut * als

Ziergärtner, Bereich. Aber * leider * ohne Erfolg.

I: Mhm. Mhm Ja. Haben Sie das abgebrochen?

IP: Hmmm, abgebrochen nicht- #Nein?# Ich hab’s nicht * geschafft.

I: Mhm. Mhm

IP: Ich hab ... ich hab zwar alle Teile ... ich hab alle Teile bestanden

außer die Mündliche. * Und wenn ich die Mündliche nicht habe,

dann habe ich die ganze Prüfung nicht bestanden. * Es geht

eigentlich nur um die Mündliche. * Ansonsten habe ich alles

geschafft.

I: Mhm. Ja. Mhm.

IP: Ja.

I: Und das war #Ärgerlich? #

IP: #Scheiße#, wa?

I: Ja.

2 Das Forschungsanliegen 48

IP: Jo. Auf jeden Fall.

Erstaunlicherweise scheint Herrn A. heute egal zu sein, dass sein Ausbildungsabschluss

daneben ging: „hat mich sowieso nicht interessiert der Job“. Erst zum Ende der

Ausbildung hat er sich bemüht, dennoch einen Abschluss hinzubekommen:

IP: Deswegen habe ich mich auch rein jehangen und denn später- Am

Anfang war et mir vielleicht egal, ja? Aber irgendwann? Ne, ick

hab’s ja fast jeschafft.

I: Ja.

IP: Nur die Mündliche.

I: Ja.

IP: Weil, ich * kann ooch nicht so *2* ... na ja, weil ich nich’ so reden

kann irgendwie.

I: Im Fairkaufhaus gibt es keine Prüfungen. Kommt Ihnen das

entgegen?

IP: *2* Ja.

I: Mhm. Mhm

IP: Find ick jut. *2* Weil *, ich bin auch ... ick bin so ‘n Mensch, ich ...

ich kann das nicht ab (lauter) irgendwie geprüf-, äh Prüfungen.

Irgendwie kann ich das nicht hier, * irgendwie. * Ick kriege da,

weiß ich nicht, ich krieg irgendwie ‘ne Macke oder keine Ahnung.

Ich kann (betont) es nicht ab, Prüfungen.

Hier offenbart sich eine Verkettung unglücklicher Entscheidungen – von anderen. Seine

Motivation wurde nicht gefragt und nicht getroffen, die Ausbildung war ihm eher

zugewiesen. Die eigentlichen Schwierigkeiten (soziale Ängste; Redeangst,

Prüfungsangst) wurden nicht oder nur oberflächlich behandelt. Nun freut er sich, dass

er im Fairkaufhaus keine Prüfungen zu absolvieren hat; ein Indiz, nachzudenken über

Standards für bereits als ‚behindert’ klassifizierte Menschen. Möglicherweise macht das

Fairkaufhaus hier etwas grundlegend anders als andere Stellen. Herr A. erkennt

durchaus die Grenzen dessen, was er dort tun kann – weitere Möglichkeiten als die, die

er wahrnehmen kann, bieten sich ihm intern nicht. Aber es gefällt ihm, er möchte

bleiben.

2 Das Forschungsanliegen 49

Kolleginnen und Kollegen im Fairkaufhaus scheinen ihn eher als ‚Loser’ zu sehen. Das

korrespondiert natürlich mit seinem Ärger über (immer wieder) verpasste Chancen, sich

zu profilieren, tätig zu werden, ein ‚Kerl’ zu sein und Anerkennung zu erhalten. Auf der

anderen Seite zeigt er mit vielen entschuldigenden Gesten, einem defensiven

Gesprächsverhalten, einem vorsichtigen Feedback, dass er stets auf Sympathiesuche ist.

So steckt Herr A. zwischen Baum und Borke, will Keks und Schokolade, ahnt, dass er

kaum mehr als ein paar Krümel in die Hand nehmen oder bekommen wird, und weiß

nicht, über wen er sich mehr ärgern soll – über sich oder ‚die anderen’. Die Sucht hält

ihn im Gleichgewicht des Steckens, eine Art Galgenhumor hilft überleben und rettet

ihm Restsympathien.

Interessanterweise sieht Herr A. keine Gemeinsamkeiten zwischen sich und den

Kolleginnen und Kollegen im Fairkaufhaus. Das sind die, die „Tabletten nehmen“, in

die Nervenklinik müssen, von denen er sich abhebt, weil die „schlechter bestellt“ sind

als er. Wenn sie über ihn „reden“, was ihm nicht entgeht, geht ihm das dennoch „oft an

die Nieren“. Er nimmt Rücksicht, denn sie sind ja „schlimmer dran als ich. ... Und denn

ist es mir natürlich egal. [Leiser] und denn freu ich mich. ... Weil ich nicht so drauf bin.“

Rücksicht, Vorsicht (bis hin zur Ängstlichkeit), Anpassung, Schadenfreude und der

Triumph, irgendwie noch einmal ‚davongekommen’ zu sein, mischen sich. Hier, und

auch in anderen Interviews schien es mir am authentischsten zu werden, wenn die

Stimme leiser oder der Kopf gesenkt wurde, Verstummen erfolgte oder (nahezu)

unverständliches Murmeln. Auch Versprecher konnten sehr instruktiv sein. Auf die

Frage nach den Zukunftsperspektiven von Herrn A. entspann sich folgende Sequenz:

I: Können Sie sich denn vorstellen, da in einigen Monaten oder

vielleicht so gar in einigen Jahren auch noch zu arbeiten?

IP: *2* Beim Fairkaufhaus?

I: Ja.

IP: * Ich weiß ja gar nicht, ob ich da so lange * dableiben (betont) darf.

I: Wenn Sie dürfen?

IP: Ja. Ich meine, wenn ich jetzt nichts Besseres finden (betont) sollte.

Weil, ich hab mir ja so was denn in Anspruch genommen oder äh

Angriff. Nicht in Anspruch, in Angriff (betont).

I: Ja.

IP: *2* Dass ich mich irgendwo bewerbe.

2 Das Forschungsanliegen 50

I: Schon was Konkretes?

IP: Ja, irgendwas mit Lager.

I: Mit Lager-

IP: Oder vielleicht so ‘ne Fortbildung vom Arbeitsamt oder so.

I: Hm.

IP: Halt auch, dass man ein bisschen Geld kriegt.

I: Ja. Stört Sie das, dass Sie da eben recht wenig Geld bekommen?

IP: Jaaa. Ich hätte gerne mehr als nur achtzig oder neunzig Euro oder

hundert.

In Anspruch nehmen, in Angriff nehmen, dürfen ... es ist eine interessante Frage, wie

sich das ausschließen oder etwa ergänzen kann. Herr A. formuliert möglicherweise

unbeabsichtigt eine ganz grundsätzliche Schwierigkeit des Fairkaufhauses:

(Konditioniertes) ‚Anspruchs’-(Bedürftigkeits-)Verhalten versus Kompetenz-

(Bedürfnis)-Entfaltung. Es ist, wie eingangs zu sehen war, keine trägerspezifische,

sondern eine gesellschaftsbezogene Frage. Übrigens redet Herr A. von monatlichen

Zusatzeinkünften, die er in schlechten Phasen auch einmal um den Faktor Fünf

unterschreitet. Betrunken darf er dort nicht arbeiten, sonst wird er nach Hause

geschickt. Entsprechend selten taucht Herr A. dort auf.

2.2.2 Interview mit Frau B.

Frau B., eine Frau mittleren Alters mit einer leichten geistigen Behinderung, wurde

durch eine Kollegin aus dem Projekt Einzelfallhilfe, deren Klientin sie ist, bestens auf

das Interview vorbereitet. Dazu gehörte, dass sie möglicherweise allein mit mir in einem

Raum sitzen, meine Kollegin jedoch an ihrer Seite sein würde, wenn sie das in der

Situation wünschte. Frau B. war jedoch guten Mutes, geradezu munter, und

verabschiedete ohne zu zögern meine Kollegin, um mit mir das Interview (im Büro des

Projekts) zu führen. Auch hier gab es ein vergleichbares Vorwissen wie bei Herrn A. aus

Team- und Supervisionstreffen; Frau B. kannte mich bereits seit Längerem vom Sehen.

Frau B. hat lange in Behindertenwerkstätten oder -projekten gearbeitet und ist dem

Projekt Einzelfallhilfe seit Jahren bekannt.

2 Das Forschungsanliegen 51

Frau B. sprang fast zugleich zu meinen einleitenden Worten in Position, sprühte von

Anfang bis zum Ende vor Freude, am Fairkaufhaus teilzuhaben, mir dies mitteilen zu

können, und variierte nur wenig in der Wahl ihrer Worte, mit denen sie ihrer

Begeisterung Ausdruck verlieh. Es wirkte ein bisschen wie aufgesagt, jedenfalls vorher

überlegt und wohl sortiert, an manchen Stellen allerdings auch nahezu hermetisch, wie

wenn sie sich in ihrer Freude über ihren Platz und ihre derzeitige Tätigkeit im

Fairkaufhaus absichern wollte. Diese kurze Beschreibung könnte negativ klingen – in

der Tat ist aber häufige oder immer gleiche Wiederholung schlicht eine nützliche

Ressource für Frau B., um sich ‚im Plan’ und im Lot zu halten – bei gleichzeitiger,

konkreter und verständlicher Anleitung und Anerkennung des Erfolges offenbar

überaus stabilisierend. Sehr oft betonte Frau B., die Arbeit mache ihr „Spaß“, sie sei

„gut“, „sehr gut“, sie mache „wunder*bar (betont) Spaß“, es habe ihr „gleich gefallen“,

die anfängliche Aufbauarbeit sei ihr „Hobby“ gewesen, wobei sie im Kontext mehrfach

lachte. Alle Umstände, die ihre Freude einschränken würden oder könnten, relativierte

sie sogleich selbst, etwa in ihrem vorpreschenden Statement zu Beginn:

IP: Die Arbeit, die macht mir sehr Spaß.

I: Ja.

IP: Bügeln und Stehen. Manchmal mach ich Pause. Und wenn ich ...

Wenn ... wenn mir die Füße qualmen, dann setz ich mich erst mal

zehn Minuten hin (betont). Und * denn unterhalt ich mir mit die

Kollegen so. Und dann fragen sie mir, wie die Arbeit schmeckt.

Sage ich, gut.

I: Ja?

IP: Ja, die schmeckt sehr gut. Aber auch ein bisschen anstrengend.

Aber *2* ich bin’s schon gewohnt [betont]

Das „Stehen“ war keineswegs ironisch gemeint. Hier fasst Frau B. vielmehr am

deutlichsten die tatsächlichen Anstrengungen zusammen, die sie in ihrer Tätigkeit im

Fairkaufhaus erlebt, um dann, vielleicht eher mit den Worten anderer, sich in das

Stereotyp einzuordnen, sie sei es „schon gewohnt“. Sicherlich reagiert sie damit auch auf

Anfragen nach ihrer Leistungsfähigkeit und beugt mit der Schablone der Sorge vor

(auch ihrer eigenen), es könnte sie überfordern – eine nicht nur Frau B. wohl bekannte

Figur, einen Kompromiss zu finden zwischen Anforderungen, denen man sich aus

vitalen und auch aus Konkurrenzgründen gewachsen zeigen möchte, und möglicher

Überforderung. An einer anderen Stelle im Gespräch hielt sie es für ein „gutes

2 Das Forschungsanliegen 52

Zeichen“, demnächst einmal das Auspreisen der Waren, eine für sie neue Tätigkeit, zu

„probieren“. Frau B. hat also durchaus feine Antennen für Aufstiegschancen.

Die Struktur des Gesprächs deutet darauf hin, dass Frau B. wiederkehrende Abläufe,

Rhythmen, Tätigkeiten und eine fassbare ‚Normalität’, gerade auch mit anderen, in

einem Arbeitskontext, sehr wichtig sind, die Gleichförmigkeit, mit der sie betont, wie

wichtig ihr die Kollegen seien und wie gut sie sich mit ihnen verstehe, wie zufrieden alle

mit ihr seien, auch die Geschäftsführer (die immer wieder vorbeischauten), wie gut, dass

sie „unter Leute“ sei, dass sie sich mit allen „gut verstehe“, mit allen „klar“ komme,

„auch beliebt“ sei, und zwar „überall“; „sogar o hat gesagt, Mann, o, bist Spitze“. Der

Wunsch nach Anschluss und Geselligkeit dabei war unüberhörbar, bei näherem

Hinsehen aber nicht mehr ganz so ungebrochen. So fuhr Frau B., nachdem sie die Frage

beantwortet hatte, wie lange sie schon dabei sei („von Anfang an“) unvermittelt fort:

IP: Aber sonst macht mir die Arbeit * wunder [betont]*bar Spaß. Sie

sind mit mir zufrieden (betont). Und dann fragen sie, ob ... ob da ...

ob ich da stehen kann oder so, sage ich, ja (betont). Das geht.

I: Also man geht auf Sie ein. Man fragt nach, was ist.

IP: Ja.

I: Verstehe ich Sie da richtig, ja?

IP: Ja. Das geht wunderbar. Versteh mir mit meinen Kollegen sehr

gut.

I: Die Kollegen sind die wichtig?

IP: Auch (laut). Die Kollegen sind auch wichtig.

I: Auch. Okay.

IP: Ja.

I: Was ist denn am wichtigsten im Fairkaufhaus für Sie?

IP: Ähm, dass man Unterhaltung hat.

Das „Aber sonst“ bügelt vielleicht die erlebten (teils kritischen) Nachfragen der

Kolleginnen und Kollegen mit dem warmen Eisen der Zufriedenheit glatt (und könnte

ja meinen Nachfragen vorbeugen); dass „sie“, die Kolleginnen und Kollegen, zufrieden

mit ihr sind, trennt geschickt die Frage nach der eigenen Zufriedenheit mit ihnen vom

„Spaß“-Faktor, obschon beides in eins zu fallen scheint. Die „Kollegen“ aber sind

2 Das Forschungsanliegen 53

lediglich „auch“ wichtig. Zwar sind sie für das für Frau B. Wichtigste, die

„Unterhaltung“, unabdingbar. Es hat aber offenbar subjektiv Vorteile, soziale

Anerkennung von „Unterhaltung“ abzutrennen. Das eine kann, vor allem, wenn es

ausbleibt, verletzen, das andere scheint unentbehrlich; tatsächlich macht Frau B. sich

selbst unentbehrlich, in ihrer eigenen Ökonomie mindestens enttäuschungsresistent, mit

dem ‚Beschluss’, dass das Gespiegelte das Erwartete sei, denn auf Nachfrage bestätigt

sie schließlich, sie sei so etwas wie der „Sonnenschein“ des Betriebs. Das untergründige

Thema Angst, namentlich vor sozialem Ausschluss, scheint aber auch hier am Werk. Es

zeigt sich in abwehrbereiten Formeln, die stets ähnlich klingen: „Also ich lehne nix ab“;

auf die Frage nach der Bezahlung: „mir fehlt gar (betont) nix. * So dass ich

Beschäftigung habe, besser wie zu Hause rumsitzen“; auf die Frage nach Krankheit bzw.

Arbeitsausfall: „das ist bei mir ganz selten, dass ich krank- Überhaupt nicht. Ha’ ick

jesagt, wenn ich krank bin, nee, was soll ich zu Hause sitzen, ich geh was arbeiten. * So

ist es.“

Vielleicht dient dies neben dem Effekt, die eigene Position zu sichern, auch der

Abgrenzung gegen andere; die werden nämlich als Konfliktpartner (fast) nicht erwähnt:

„Ich komm da klar. Also ich brauch mich da rumärgern(sic!). Wenn mir irgendwas nicht

passen würde, würde ich allen die Meinungen sagen, und denn ist gut. Aber bei mir ist

so was nicht drinne. Also keine * passende Antwort oder so gibt es bei mir nicht.“ Und

die anderen, hatten andere schon mal Ärger mit ihr? Darauf Frau B.: „Nö. Gar keiner

(laut)“. Auch hier kann man die dahinter liegenden Probleme nur erahnen, die zu einer

solchen vorbeugenden Verteidigung führen, bei der es von Resistenz zu Renitenz nur

ein kleiner Schritt ist. Aber strammes Arbeiten, das Kokettieren mit der eigenen

Unentbehrlichkeit und der offensive Einsatz von geradezu unerschütterlicher

Liebenswürdigkeit sichern den eigenen Platz wirksam genug:

IP: .. Sie wollen mich auch gar nicht mehr hergeben. (laut).

I: Aha, aha.

IP: Hab zwar immer zu meiner Verkäuferin so im Spaß jetzt-, ich geh

jetzt, wa? Und da sagt sie, nein, du bleibst hier, Frau °.

I: Ja. [Lacht]

IP: Nee, weil ich so die Sachen sehr gut mache, Bügeln und so.

I: Ja. * Ja.

2 Das Forschungsanliegen 54

IP: Also sie sind mit mir * sehr (betont) zufrieden. Also die wollen

mich nicht mehr hergeben.

So folgt leichthin die Wirklichkeit dem Wunsch: „Ja, ich bleib dabei. Ich will gar nicht

mehr da weg.“ Die dazu nötige Diplomatie hat Frau B. im Gepäck. Angesprochen auf

das Verhältnis zur Leiterin betont sie: „Also sehr- * ich bin sehr zufrieden mit ihr. Auch

mit die anderen. ... Sind alle drei * alle drei sehr lieb. * Also, ich mach keine

Unterschiede. * Alle lieb zu mir.“ Mit den ‚anderen beiden’ meint Frau B. die

Geschäftsführer. Mit der Formulierung „ich mach keine Unterschiede“ hat sie das Heft

geschickt und fast unmerklich in ihre Hand zurückgenommen; so formuliert, scheinen

Leiterin und Geschäftsführer von ihrem Befinden (im doppelten Sinn) abzuhängen – ein

bemerkenswerter Bestandteil ihrer im Fairkaufhaus offenbar sehr erfolgreichen

Überlebensstrategie.

Frau B. gibt, durch ein kleines Missverständnis im Gespräch, entscheidende

Hinweise darauf, wie wichtig und überdies gesundheitsförderlich, sogar präventiv

wirksam der soziale Rang, die soziale Anerkennung in einem vitalen sozialen Kontext,

dem Arbeitsplatz, sein können:

IP: Bin auch beliebt, überall.

I: Mhm. Ist das wichtig für Sie, dass Sie beliebt sind?

IP: Jaa (laut). Sehr gut sogar.

I: Und ist es etwas, was Sie dort auch hält?

IP: Ja, das hält mich sehr fit. Muss ich sagen.

I: Das hält Sie fit. Und ist es vielleicht auch ein Grund, dass Sie

sagen, na, da möchte ich aber bleiben?

IP: Ja.

I: Ja?

IP: Das ist es.

I: Das ist einfach wichtig für Sie?

IP: Ja. Das ist für mich sehr wichtig.

I: Wenn’s nun eine andere Tätigkeit wäre, die Ihnen vielleicht nicht

so gut gefällt, aber alles andere wäre gleich?

2 Das Forschungsanliegen 55

IP: Ja, das wäre mir alles gleich.

I: Das wäre Ihnen egal?

IP: Ja.

I: Also, Hauptsache, Sie kommen dort gut aus?

IP: Ja.

I: Sie können mit denen dort sprechen? #Ja. # Sie haben ihren Platz?

IP: Ja.

I: Also so habe ich Sie verstanden.

IP: Ja.

I: Sie haben dort Ihren Platz. #Mhm. # Es geht Ihnen gut dort und

es gibt überhaupt keinen Grund, dass Sie woandershin #Nee. #

möchten?

IP: Sind alle mit mir zufrieden.

Das, was einen „hält“, Halt gibt und dabei bleiben lässt – soziale Anerkennung – hält

einen auch fit? Da ist es eher sekundär, wie die Arbeit beschaffen ist? Es ist möglich,

dass die durch Erziehung gemeinhin einseitig bestärkte weibliche Anpassungsfähigkeit

sowohl den Fokus mehr auf soziale Prämien lenkt, als auch besser ermöglicht, mit nicht

optimalen Arbeitsbedingungen zu Recht zu kommen, als dies bei der Erwartung, ein

‚ganzer Kerl’ zu sein und sich ‚nichts bieten’ zu lassen, der Fall ist. Das kann hier leider

nicht näher untersucht werden. Für unsere Zwecke halten wir fest: Der Zweck allein

hält einen nicht. Beim Thema Arbeitsumfeld bzw. dem Umgang mit Kolleginnen und

Kollegen wiesen Frau B.’s Äußerungen auf eingeübte, große Bescheidenheit, fast Demut

hin (wie oben gesehen: bisweilen mit Hintersinn). Sie wurde im Gespräch leiser, kaum

noch hörbar, bewies jedoch Sinn für den sozialen Schmierstoff Humor, gerade bei

schwierigen Hintergrundthemen, wie dem der Stigmatisierung:

I: Wie würden Sie das beschreiben, das Verhältnis zu Ihren Kollegen

und Kolleginnen? *4* Ist das gut?

IP: Ist gut.

I: Ist gut.

IP: Also, ich komm mit allen Kollegen * gut aus.

2 Das Forschungsanliegen 56

I: Okay. Die sind also alle so ein bisschen ähnlich wie Sie?

IP: Hm?

I: Sind die alle so ein bisschen ähnlich wie Sie?

IP: Ja.

I: Oder gibt’s da auch welche, die völlig anders sind, und wo Sie

denken #Nööö, alle so#, mit dem oder mit der #Nee# kann ich

eigentlich gar nicht #so sprechen# Die ham alle so, ne, so *2* so

eine ... so einmal wie ich- [Lacht]# #Was haben sie,

Entschuldigung?#

IP: Die ham auch so was wie ich so, detselbe-

I: Aha. Okay. Okay

IP: Ich komm sehr gut mit die aus. (leise). Also, * ich bin wie

(Unverständlich) mit die Kollegen. Wir machen unsere Witze,

arbeiten dabei. * Das ist immer-

Frau B. zeigt damit trotz Formulierungsschwierigkeiten einen nüchternen Blick auf ihre

besondere soziale Situation im Fairkaufhaus und ist offensichtlich in der Lage, diesen

mit Humor („Witze machen“) zu verbinden; für mich Hinweis auf eine routiniert

praktizierte, basale Form der Selbstreflexion, bei aller Zurückhaltung, die hier indes auch

mit Verlegenheit, Scham und gesellschaftlich eben mit Stigmatisierung verbunden sein

dürfte.

2.2.3 Interview mit Frau C.

Frau C. zeichnete sich aus durch eine vom ersten Moment an entgegenkommende,

kommunikative, zugewandte Art. Sie könnte genauso gut in einem beliebigen anderen,

‚normalen’ Arbeitskontext anzutreffen sein. Und in der Tat, im Lauf des Interviews

stellt sich heraus, dass sie über einige Berufserfahrung in der Filiale einer

Bekleidungskette verfügt und eine ‚gestandene’ Verkäuferin ist. Dort hat sie im Verkauf

gearbeitet „... und denn * Pullover eingeordnet. Im Lager habe ich auch gearbeitet. Die

Sachen aufgefüllt und, *3* ja, Kunden bedient“. Im Fairkaufhaus trägt sie anscheinend

ähnliche Verantwortung:

2 Das Forschungsanliegen 57

IP: Ich (betont) * preise aus. Mh. Ich mach die Preise, weil ich ja jetzt

durch (Früherer Arbeitgeber) so ein bisschen die Preise kenne,

auch jetzt zum Beispiel bei Markensachen oder so, ne, dass ich

denn die Preise mache denn. Dafür bin ich verantwortlich.

I: Ja.

IP: Mh.

I: Was gehört alles dazu?

IP: Da gehört auch dazu, also erst mal auspreisen und denn * auch

die Sachen einhängen. Aber man muss auch halt genau wissen

jetzt, * diese Firma, diese Firma, diese Firma (betont), weil es gibt

auch teure Sachen und mittlere Sachen und dann die billigen

Sachen, ne? Dass man sich so ein bisschen mit Marken auskennt.

I: Okay.

IP: Wenn jetzt irgendwie, weiß ich nicht, von (Markenname) oder so

ein Hemd reinkommt denn, dass man es dann höher * auspreisen

muss und so, ne?

I: Schätzen Sie die Preise ein?

IP: Ja.

I: Oder wer macht das?

IP: Mh. Ich und eine Kollegin. * Und auch um die Preise dann zu

vergleichen, gehen wir dann immer montags von hier aus * Preise

vergleichen in den Arkaden, damit wir so wissen, die (betont)

Firma hat die (betont) Preise, (Markenname) oder (Markenname)

hat die (betont) Preise. Damit wir denn so ungefähr so denn

wissen, wie hoch wir denn die Preise ansetzen denn, ne?

Deswegen. Und dennoch, ja, ab und zu denn, * wenn jetzt * an der

Kasse viel zu tun ist, helfe ich auch mit denn. Auch mit ein-, ja,

einpacken. Und jetzt soll ich demnächst auch an die Kasse wieder

kommen. Mach ich eigentlich nicht so gerne. Aber die haben

gesagt, dass ich dann wenigstens ein’ Tag an der Kasse bin denn,

ja? Bei mir ist es so, irgendwie, wenn jetzt die Kasse nicht oder so,

ne, das * ist für mich schon komisch denn. Obwohl auch Frau o

2 Das Forschungsanliegen 58

hat uns gesagt, es kann ja passieren (betont), ne? Aber irgendwie ist

es denn komisch, wenn jetzt die Kasse nicht stimmt oder so.

Das hört sich ziemlich professionell an – und ist es wohl auch. Fast spricht

Verwunderung aus Frau C.s Äußerungen über weniger ‚professionelle’ Maßstäbe, auch

was ihre eigene Verantwortlichkeit betrifft, etwa (unterstützend akzeptierte)

Kassenungenauigkeiten, vor denen sie sich anscheinend fürchtet. Damit sie sich weniger

fürchtet, soll Frau C. „wenigstens einen Tag“ (pro Woche) an die Kasse. Man kann

ahnen, welchen Druck an der Kasse Frau C. aus ihrer früheren Tätigkeit kennt.

Frau C. arbeitet professionell fünf Tage pro Woche, allerdings mit reduzierter

Stundenanzahl. Sie hofft auf den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen: „Wäre nicht

schlecht. Ja. Aber momentan denn, bleibe ich erst mal hier denn. Ich arbeite ja so drei

bis vier Stunden pro Tag denn. Das ist schon okay.“ Schließlich kommt sie auch noch

täglich anderen Aufgaben nach, zu denen sie sich verpflichtet fühlt: „Früher habe ich

auch fünf Stunden gearbeitet. Aber meine Kinder, die wohnen bei den Eltern, und

deswegen gehe immer dann nach Feierabend zu den Kindern denn jeden Tag. Helfe

auch bei Hausaufgaben und so, was ansteht, ne?“

Entsprechend ist das „Eingeteilt“ Werden für Frau C. von anhaltender Bedeutung:

„Bin ja auch zufrieden, dass- Wir wurden ja auch eingeteilt im Fairkaufhaus, ne? Jetzt

hat jeder sein *2*, ja, Aufgabengebiet denn.“ Zufriedensein hat etwas mit Eingeteilt

Werden zu tun; das könnte bedeuten, auf eine gewohnte, ‚normale’ Weise im

Arbeitsleben ernst genommen zu werden, jeder nach seiner Eignung: „Und hier unten, *

das wäre nichts für mich. Aber das ist ja gut, die einen * möchten unten bleiben, die

andern gehen nach oben in den Verkauf, ne?“ Frau C. ist „halt lieber so mit Kunden

zusammen“. So hat alles seine Ordnung. Überhaupt scheinen sich die

Arbeitsbedingungen und beruflichen Anforderungen – Korrektheit, Effizienz – für Frau

C. keineswegs simuliert, sondern sehr real anzufühlen. Auch die anleitende Kontrolle,

das genaue Bestimmen des Ausmaßes an Verantwortung und Rücksprachepflicht

gegenüber der nächst höheren hierarchischen Ebene, wie auf dem ersten Arbeitsmarkt,

gehören für sie (abgestuft) fraglos dazu und bedingen ihre Zufriedenheit am

Arbeitsplatz:

I: ... Für mich hört es sich so an wie, also dass Sie recht zufrieden

sind mit dem, was Sie tun.

IP: Ja.* Muss ich sagen.

I: Und wie (betont) Sie es tun auch?

2 Das Forschungsanliegen 59

IP: Ja.

I: Die Bedingungen?

IP: Glaube ich schon. Weil, im Verkauf ist Frau °, das ist unsere *

Leiterin im Verkauf. Und die ist auch zufrieden, ne, mit uns, dass

wir * auch auspreisen und so richtig (betont) auspreisen. Denn, was

sie jetzt auch sagen würde, ist so angemessen der Preis. Und wenn

man dann nicht ganz genau weiß jetzt, wie viel es kosten soll, jetzt

zum Beispiel bei Pelzmäntel oder so, ist ja Frau o denn für uns da,

ne? Denn fragen wir Frau o, was würden Sie jetzt sagen zu dem

Pelzmantel oder so. Die hilft ein’ schon dabei.

Überhaupt ist hier viel ‚Normalität’ im Spiel. Das betrifft Arbeitsklima, Kolleginnen und

Kollegen, Freude, Ärger miteinander, kleine Vorkommnisse am Arbeitsplatz, auch das

„Schwätzchen“, die „Tasse Kaffee“ oder die gemeinsame Zigarette vor Arbeitsbeginn

oder zwischendurch. Ich bekam den Eindruck, da könnte jemand genauso gut wieder in

den alten Beruf zurück:

I: Nun ist das ja bei Ihnen so, man könnte sagen, Sie möchten in

Ihren alten Beruf zurück. Auf-

IP: Hm.

I: Auf der andern Seite machen Sie durchaus ähnliche Dinge hier

#Mh. Richtig. # im Fairkaufhaus.

IP: Wenn man so überlegt, ja. Und die Aufgaben sind dann so- * so

ähnlich auch, ne?

I: Ja. Was ist der Unterschied zwischen hier und (Früherer

Arbeitgeber)?

IP: Na zum Beispiel, * also wenn’s mir zum Beispiel nicht so gut geht

oder so, mal eine Pause (betont) machen möchte, dann kann man

auch eine Pause machen denn, ne?

I: Ja. * Okay.

IP: Und *, na ja, die Ansprüche waren auch bei (Früherer

Arbeitgeber) ein bisschen höher denn, ne? Mit der

Kundenberatung und *, ja, und auch die Lagerarbeit, die jetzt gar

nicht hier ist, ne? Die ich jetzt gar nicht mache. *2* Ja, ist schon

2 Das Forschungsanliegen 60

etwas anderes denn. Und, wie gesagt, wenn’s ein’ nicht gut geht

„oder so, dann kann man Pause machen. Und bei (Früherer

Arbeitgeber) halt, weiß ich nicht, eine Pause denn, neun Stunden

durchgearbeitet denn, ist was anderes denn, ne, als jetzt hier die

drei, vier Stunden denn.

Das Thema Pausen öffnete den Zugang zu biografischen Informationen. „Auch wenn

man jetzt Probleme hat oder so, man kann ja auch die Leute denn ansprechen, ne?“

Außerdem räumte Frau C. ein: „... also neun Stunden würde ich auch nicht ganz

schaffen..“ Auf meine Frage nach ihrer Perspektive im Fairkaufhaus kam sie, nach

einem klaren Hinweis auf die große Bedeutung einer Tagesstruktur, recht unvermittelt

auf frühere Klinikaufenthalte zu sprechen:

IP: Kommt drauf an. Kann ich jetzt gar nicht so richtig sagen. Also

doch schon einige Zeit, dass ich hier noch weiterarbeite denn, ne?

Weil *2*- Aber es gefällt mir sehr gut (betont) im Fairkaufhaus. Wie

gesagt, früher denn *2* hat man auch länger denn gelegen (betont),

ne, und hat Fernsehen geguckt und * und jetzt hat man eine

Aufgabe, ne? Man muss aufstehen, zur Arbeit-

I: Das heißt, Sie waren #inzwischen also-#

IP: Ja. * Seit zwei-, 2005 war ich das letzte Mal in der Klinik gewesen.

Spuren von Stigmatisierung vermutete ich auch bei Menschen, für die das Fairkaufhaus

seit längerem Alltag ist. Eine Art Geständnisdruck konnte ich bei all den von mir

befragten Beschäftigten feststellen. Psychische Erkrankung als persönliche Schuld, die

Rechtfertigung braucht? Entweder wurde, wie hier, vorausgesetzt, dass ich ohnehin

schon das Meiste ‚wusste’, eine entsprechende Information den Charakter des

Persönlichen verloren hatte und zu jedem beliebigen Gesprächszeitpunkt

‚Eingeweihten’ gegenüber geäußert werden konnte, schlimmer vielleicht: musste, oder

der – hier durch die Erkrankung bedrohte und bereits mindestens einmal enteignete –

Selbstschutz kippte in eine Haltung, sich vorauseilend, pflichtschuldig oder routiniert

gläsern zu machen. Psychose als seelische Insolvenz, zu verbergen gibt es nichts mehr,

also folgt bei Nachfrage der Offenbarungseid? Jedenfalls ist der gesellschaftliche Druck,

sind die fragilen sozialen Grenzen gut zu spüren. Würde man von Herzkranken ein

Bekenntnis zum Verlust oder zur Existenz ihrer Gefühle erwarten? Andererseits kann

auch Stärke daraus erwachsen, die Dinge beim Namen zu nennen. Auf viel Verständnis

können psychisch erkrankte Menschen meist nicht hoffen. Frau C billigte mir offenbar

blanko einen Insider-Status zu und teilte mir umstandslos Art, Dosierung und

2 Das Forschungsanliegen 61

Nebenwirkungen ihres Medikaments mit. Mit offenen Geheimnissen, mit denen sie

leben können oder vor denen sie sich schützen müssen, haben Menschen in einem

solchen sozialen Kontext, wie es aussieht, in weit höherem Maß als in einem ‚normalen’

Betrieb zu leben.

Frau C. antizipiert ein weiteres Präjudiz einer aufgeklärten Gesellschaft: „... finde ich

gut, dass es so was überhaupt denn, ne, für uns psychisch Kranke denn * als

Einrichtung, ne- Ja.“ Können „die“ froh sein, die psychisch Kranken, dass es „so was

überhaupt...“?! Das ist gesellschaftlich knapp vor dem halb in Frage gestellten

Existenzrecht weggelobt. Ob die heimliche Botschaft der Umwelt, dass es zu realen,

ernst zu nehmenden Verteilungskämpfen nicht reichen darf, nicht reichen kann, diese

Selbstabwertung beeinflusst hat? Es ist ja nicht voraussetzungslos, dass Frau C.

Dankesschuld empfindet. Ich frage nach:

I: Fühlen Sie sich denn so (betont) hier? (psychisch krank, KO.)

Oder ist es was ganz Normales? Sie gehen einfach zur Arbeit.

#Ja# Wie fühlt sich’s an für Sie?

IP: Ganz normal, wenn ich jetzt zur Arbeit gehe oder #Wie eine

normale Arbeitsstelle?# (Unverständlich) Genau. Richtig. *2*

Muss ich sagen. Halt im geschützten Rahmen. Normale

Arbeitsstelle im geschützten Rahmen denn, ne?

Wieder schwenkt Frau C. zur Krankheit: „Muss ich ja auch sagen, die haben ja alle ein

anderes Krankheitsbild, ne? Und da merkt man das schon. Auch wenn- Man kriegt-

Man bekommt es ja mit, wenn wenn’s den Kollegen nicht gut geht oder so, ne? * Na ja,

das finde ich- Wenn ich das so mitbekomme, also finde ich jetzt nicht gut für mich,

weil, das zieht mich dann auch ein bisschen runter denn, ne?“ Sie zieht sich, auch auf

Anraten der betreuenden Fachkraft, dann schon mal zurück. Es gibt also einen

doppelten Echoeffekt, eine gegenseitige Verstärkung dadurch, „dass es für psychisch

Kranke ist“ wie Frau C. sagt, in der Motivation genauso wie in der Demotivation, in der

Solidarisierung („die die gleichen Medikamente nehmen wie ich“) ebenso wie in der

Entsolidarisierung („denn es ist auch anstrengend .., wenn’ s ein’ nicht so gut geht, und

denn * nur von der Krankheit geredet wird und so, das mag ich nicht, ne?“). Als ich

nachfrage, was sie dann wieder zur „guten Laune“ bringe (die sie im Gespräch

überwiegend ausstrahlt), wird Frau C. unerwartet ernst – und leise:

IP: *2* Na ja (leise). * Zur guten Laune bringen? *5* Na ja. (leiser).

2 Das Forschungsanliegen 62

I: Hier scheint es so was wie einen normalen Ablauf zu geben, der

Ihnen ganz gut gefällt.

IP: Genau. Ja.

I: Der geht ja auch weiter, nehme ich an.

IP: Mh. Richtig. *2* Und deswegen, also (leise). Nur wenn ich arbeite,

habe ich gute Laune. Wenn ich zu tun- und so, dann, ne?

Auch hier gilt, dass das kaum Gesagte und leise Geäußerte besonders ‚laut’ zur Kenntnis

genommen werden sollte. Frau C. hätte deutlicher nicht werden können.

Frau C. hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Widerspruch: „normales, in

Anführungszeichen, Kaufhaus“, wie ich es im Gespräch versuchsweise nenne, versus

„Einrichtung .. für psychisch Kranke“, wie Frau C. es dennoch nennt, nicht aufzulösen

ist innerhalb des Fairkaufhauses, weil er von außen herangetragen wird. Ich sage zu Frau

C., außen (am Fairkaufhaus) stehe doch nichts davon. Frau C. kontert: „Aber am Auto

steht’s dran. * Am Lieferauto steht dran für psychisch Kranke.“ Verstecken kann man

die Information nicht. Gesetzgeber und Kostenträger verlangen Transparenz. Kunden

und kommerzielle Konkurrenten könnten sich getäuscht fühlen. Segregation als

Bedingung für Integration. Die gesunden Kunden, die kranken Beschäftigten. Und

dazwischen ein Konzept der niedrigen Schwellen. Wer geht über welche Schwelle? Zu

welchem Preis? Frau C. spielt jedenfalls ihren „Bekannten und Verwandten“ gegenüber

mit offenen Karten: „... die wissen, dass es so eine Einrichtung ist für psychisch Kranke

... Und zu, weiß ich nicht, die ich nicht so gut kenne, sage ich auch, ich gehe arbeiten

denn, ne, im Fairkaufhaus.“ Das könnte ein Indiz dafür sein, dass der unverfängliche,

wortspielerische Name tatsächlich wenig stigmatisierend wirkt, anders wohl als

„Sozialkaufhaus“.

Am Ende des Interviews fasst Frau C. die Unterschiede selbst noch einmal zusammen:

„.. vielleicht sind die * doch die Ansprüche doch im normalen * Berufsleben doch schon

höher, denke ich mir denn, ne? Schon alleine auch wegen der Pause denn, ne? Man-

Früher hat man immer eingeteilt bekommen vom Chef, dann und dann machen Sie

Pause. Und, wie gesagt, wenn man ausgelaugt ist oder nicht so gut drauf ist, dann kann

sich auch hinsetzen, denn, ne?“

Dennoch fällt auf, in welchem Ausmaß Frau C. ihre Tätigkeit als normalen

Arbeitsplatz betrachtet; dazu steht in merkwürdigem Kontrast ihre (realistische)

Einschätzung der Bezahlung: „Ich find es * relativ wenig jetzt für die Arbeit, die wir

2 Das Forschungsanliegen 63

machen, auch.“ Das auf dem ersten Arbeitsmarkt vielfach praktizierte System

leistungsbezogener Zulagen, eine noch frische Neuerung im Fairkaufhaus, stellt

Gutscheine in Aussicht: „Wenn ich 20 Tage oder über 20 Tage arbeite, dann kriege ich

einen 30-Euro-Gutschein. ... Das find ich ganz gut. * Da kann man sich auch mehr

Sachen aus- * suchen und so, ne? Aber wenn ... wenn man so vergleicht gegen früher,

ne, auf dem normalen Arbeitsmarkt, * ist schon wenig Geld dann, ne? (leise)“ Frau C.

verstummt fast, die Beschämung ist umso lauter herauszuhören; Gerechtigkeit und

Würde der Arbeit sind indes kein internes, sie bleiben ein gesellschaftliches Problem.

Das Fairkaufhaus kann mit den inneren Widersprüchen der Gesellschaft nicht wie

außerhalb ihrer umgehen. Intern scheint das Prämiensystem, da es die

Zuverdienstgrenzen mildert, einigen Erfolg zu haben. Es fragt sich, welchen Anteil

soziale Prämierung daran hat, etwa, dass neben der Erfüllung kleiner materieller

Wünsche (Frau C. etwa spricht von Parfum) noch (auch, wieder) Leistungs- und

Wettbewerbswille, Ehrgeiz, soziale Wünsche und (Aufstiegs-)Chancen möglich sind und

dieses Streben ja durchaus beitragen kann, (wieder) auf den ersten Arbeitsmarkt zu

gelangen oder eben intern eine geeignete(re) Position oder Tätigkeit am Arbeitsplatz zu

erreichen. Vermutlich überwiegt hier der soziale Anteil der Prämie – das erklärte den

Widerspruch zwischen Kritik an der Bezahlung und Freude über die zusätzliche (eben

nicht nur finanzielle) Möglichkeit.

2.2.4 Interview mit Herrn D.

Herr D. ist, was man spontan eine Unternehmerpersönlichkeit nennen würde – wenn

man ihn an einem anderen Platz als diesem befragen würde. Im Verlauf des Interviews

fragte ich mich immer wieder, wie es zu bewerten sein könnte, dass Herr D. gerade hier

angekommen ist. Ich fragte mich, inwiefern der Ort, das Fairkaufhaus selbst,

‚Normalität’ produzieren kann oder diese doch eher imitieren oder simulieren muss.

Aber der Reihe nach:

Sehr zielstrebig und klar benennt Herr D. sein Anliegen, warum er hier ist. Dabei

macht er den Eindruck, stets in gehobener Betriebstemperatur zu laufen, wirkt

geschäftig, um nicht zu sagen gestresst, macht raumgreifende Gesten und scheint alles

um sich herum genau zu registrieren...

I: Gut, dann fangen wir an. Ich würde erst mal ganz allgemein

fragen, wie es Ihnen gefällt im Fairkaufhaus?

2 Das Forschungsanliegen 64

IP: Ganz gut. Dann sitze ich wenigstens nicht zu Hause rum und

habe Langeweile. Dadurch bin ich ja immer wieder in mein

Krankheitsbild zurückgefallen. Und dann laufend immer, ein

halbes Jahr, dreiviertel Jahr im Krankenhaus dann gewesen. Jetzt

habe ich Beschäftigung und * hab mich auch soweit

hochgearbeitet, dass ich in ° Straße jetzt noch Hausmeister mache

von °. Weil die gesehen haben, ich kann so viel.

Über die umstandslos gegebene Information zu früheren Krankenhausaufenthalten

hinaus (wobei hier in der Regel Aufenthalte in Nervenkliniken gemeint sind) erhalte ich

sehr schnell einen Hinweis auf seelische Engpässe. Herr D. hat die Tür zum

Aufenthaltsraum von sich aus einen Spalt offen gelassen. Jemand zieht sie von außen

zu, was wohl fürsorglich gemeint war. Außen hing ein Zettel mit Hinweis auf die

Interviews; die in der Nähe Arbeitenden hatte ich zuvor im kurzen Gespräch informiert,

sie hatten alle Verständnis, dass die Tür vorübergehend geschlossen bleiben sollte. Herr

D. reagierte kurz und heftig; ich bestätigte, dass die Tür offen bleiben könne. Herr D.

fasste sich sogleich wieder (nahm sich zusammen), brachte nur vielsagend hervor:

„Probleme!“ Ich bekräftigte, dass er an jeder Stelle das Gespräch unterbrechen und eine

Pause haben oder abbrechen könne. Herr D. schien aber sowohl die Pflicht, als auch

das Anliegen zu spüren, das Interview fortzusetzen; für den Rest des Gesprächs war er

ein sehr auskunftsbereiter, entgegenkommender Gesprächspartner und wirkte

zunehmend gelöst und fast froh sich mitzuteilen.

Herr D. veranlasste mich zu überlegen, was eigentlich Manager- oder

Leitungsqualitäten sind, wie diese und ob sie immer gut abgegrenzt werden können von

(selbst-)schädigenden Verhaltensweisen. Es war beeindruckend, wie Herr D. Beispiele

gab, was – ruck-zuck! – optimiert, welche Neuerungen ganz fix eingeführt werden

könnten, wenn man ihn nur machen ließe. „Nebenbei noch“ hieß seine Formel für

offenbar gern und freiwillig übernommene, zusätzlich Verantwortung, etwa „dann noch

eine Wand streichen“. Dabei wurde schnell klar, dass Herr D. keinesfalls blenden wollte,

eher noch mühsam Understatement betrieb:

I: Das heißt, Sie haben hier volles Programm?

IP: Ja. Deswegen.

I: Und auch eine zusätzliche Verantwortung.

IP: Ja.

I: Die haben Sie sich freiwillig geholt, ja?

2 Das Forschungsanliegen 65

IP: Ja. Die habe ich mir erarbeitet, so langsam, so nach und nach.

Angefangen als Transporter. Jetzt mach dann äh * die ganzen

elektrischen Geräte, nachgucken, ob sie funktionstüchtig- Lampen

und Plattenspieler und so was alles. Repariere, poliere auch mal,

wenn Messing reinkommt und so, um den Wert zu steigern und

so. Also das haben sie schon- Ist schon bemerkbar geworden, dass

es dann mehr macht. Ich hab auch schon mal einen Tisch, der

was- hier, wo sie gesagt haben, schmeißen wir in den Schrott, ich

sage, eh, den nehme ich mit, ich arbeite ihn auf. Ich zeige ihn mal,

wie er danach aussieht. Und das *[lacht] hat denn so gut

funktioniert, dass ich dann auch ab und zu mal so was mache.

Man konnte sehen, wie Herr D. beim Erzählen noch immer Freude daran hatte. Es lag

nahe anzunehmen, dass es dabei vorwiegend um soziale Anerkennung ging. Das genau

stellte sich jedoch als schwieriger Punkt heraus – weil Herr D. offensichtlich so viel

geschafft hat bisher in seinem Leben, dass Anerkennung für geringere oder kleinere

Arbeiten ihn nur zu streifen vermag, und weil er mit seinem Leistungsbegehren offenbar

heikle Fragen am Arbeitsplatz berührte:

I: ... Hilft Ihnen das, dass Sie einfach so mehr Anerkennung dann

bekommen, auch wenn Sie mehr leisten?

IP: Ähh, ja. Sagen wir mal mit- ja. Weil, ich weiß, was ich kann, und

kann auch denn zeigen, weil ich mal selbständig war, dass ich sagen

kann- Weil, ganz zum Anfang, wo ich herkam, ja, Sie waren mal

selbständig, Sie wollen- Sie können sich nicht unterordnen und, äh,

Sie wollen hier den Chef (betont) raushängen lassen und so. Ich

sage, nein, ich mach das, was ich kann und- und ich wische auch

Toiletten oder wische die Küche (betont), ist mir alles egal, sag ich,

Hauptsache ich habe Arbeit (betont) und mach was und so. Und

das wurde zum Anfang erst ein bisschen so skeptisch

aufgenommen. Aber mittlerweile sehen sie, ich mach das. Und

dadurch habe ich mich denn auch hochgearbeitet.

„Selbständig“, „unterordnen“, „Chef raushängen lassen“, „hocharbeiten“... Die

Gegensätze zu einer – erwarteten, geschuldeten? – eher demütigen Haltung des Geführt

Werdens, der Unterordnung könnten größer nicht sein. Natürlich werden hier soziale

Stereotypen (re-)produziert. Es ist nur schwer zu entscheiden, ob die Ähnlichkeit zu den

Leistungs-Stereotypen des Ersten Arbeitsmarkts der Vorteil oder der Nachteil dabei ist.

Schließlich geht es nicht um ideologische Fragen, sondern um individuelle

2 Das Forschungsanliegen 66

Rehabilitation, wobei die Frage einer gemeinsamen, konsensfähigen Arbeitsethik für die

Projektentwicklung sicherlich nicht nebensächlich ist. Interessant ist jedenfalls die

Wirkung auf das soziale Gefüge am Arbeitsplatz, die jemand wie Herr D. hervorruft.

Demut glaubte auch er beweisen zu müssen („ich wische auch Toiletten“), damit man

ihn aufsteigen ließ. Vielleicht brachte er unbeabsichtigt die alte Zwickmühle: Hierarchie

durch Kompetenz? – Kompetenz durch Hierarchie? zum Laufen, rief Fragen nach

Konkurrenz am Arbeitsplatz durch schieres Leistungsvermögen hervor, gleichzeitig

Ängste und Fürsorgepflicht (ihn vor Überforderung zu schützen). „... die Mitarbeiter

hier, die Festangestellten sagten auch schon, weil ich immer so viel aus zwei Sachen mal

eine wieder baue oder so. Und auch sehe, wo was ist und wo was verbessert werden

kann und so, auch ein paar Verbesserungsvorschläge bringe und so, was man eben

verbessern kann und so was alles (leise)“. Auch hier ist das Leise Werden wieder Indiz für

Heikles, für fragile Verhältnisse.

Ein geradezu existentielles Bedürfnis nach Beschäftigung bricht sich bei Herrn D.

Bahn, das er reflektieren, dem er jedoch nicht entkommen kann. Arbeiten dürfen!

Wunsch nach Weiterentwicklung! Suche nach Anstrengung! Dabei ist er nicht mehr der

Jüngste. Arbeit als Alternative zur Krankheit:

IP: Dann bin ich jetzt, also voriges Jahr noch im Krankenhaus

gewesen. Und wo ich rausgekommen bin, habe ich gesagt, so jetzt,

das war es jetzt und jetzt willst du nicht mehr ins Krankenhaus,

jetzt machst du irgendwas. Und dadurch bin ich denn hierher

gegangen.

I: Hilft Ihnen das hier, dass Sie eine Aufgabe haben, eine

Beschäftigung, #Ja# Regelmäßigkeit? #Ja, ja#

IP: Das ist * besser, als wenn ich zu Hause sitze und nicht weiß, was

ich machen soll. Das lenkt ein bisschen ab von den ganzen

anderen Problemen, was man so noch nebenbei zu laufen hat.

Und es funktioniert. Für Probleme gibt es „Ansprechpartner, die Festangestellten ... Da

brauch’ man bloß sagen, ich brauche mal jemand zum Sprechen, denn setzt man sich

hier- entweder hier rein oder im Büro oder irgendwo in eine Ecke, wo keiner mal

hinkommt, da kann man denn reden und * so.“ Herr D. ist sich sicher, dass das hilft:

„Das hilft mir sehr viel. Aber wenn ich dann in mir rein fresse wieder, dann *2* lande

ich wahrscheinlich wieder im Krankenhaus.“ Wie eine normale Arbeitsstelle fühlt es sich

dennoch für ihn nicht an:

2 Das Forschungsanliegen 67

IP: Nee, Beschäftigung. Eine reine Beschäftigung #Beschäftigung?#

nur für mich.

I: Also Sie würden einen Unterschied machen. Sie würden sagen,

vorher war ich auf Arbeit und jetzt mach #Genau# ich einfach

eine Beschäftigung. #Genau#

IP: Genau. Weil, vorher, wo ich- wo ich gearbeitet habe, war ich

Brigadier, also Vorgesetzter, oder die rechte Hand vom Chef. Und

dazwischen, davor, * bevor ich jetzt * krank geworden bin, habe

ich- war ich selbständig. Schlüsselfertige Häuser gebaut alleine *

mit 26 Angestellten. * Deswegen.

I: Ist dann der Unterschied einfach darin, ob Sie selbständig sind

oder eben nicht selbständig, angestellt, wie viel Sie zu sagen haben.

Was ist genau der Unterschied? Weil, arbeiten tun Sie ja.

IP: Ja. Arbeiten tu ich auf jeden Fall. Aber *2* für mich ist es- ist-

Hauptsache ich kann arbeiten. * Muss nicht rumsitzen. * Und kann

zeigen, ja, da, da wirst du noch gebraucht, da * ist noch- der was

gebrauchen kann oder helfen- Hilfe braucht oder so. Ansonsten *

würde ich wieder abfallen. Weil, das ist für mich * das A und O.

Ich hab mein Leben lang gearbeitet. Deswegen. Und das werde ich

immer weitermachen, solange ich noch kann.

I: Hat einen zentralen Stellenwert bei Ihnen – Arbeit?

IP: Ja. Wenn ich keine Arbeit habe, denn * fühle ich mich nicht wohl.

Fühle ich mich so hilflos und nutzlos und alles. * Deswegen.

Hier ergibt sich ein neuerlicher Hinweis auf die präventive Wirkung von Beschäftigung,

Tätigkeit, Arbeit, vielleicht aufsteigend in dieser Reihenfolge. Das Gefühl von

Degradierung ist bei Herrn D. unübersehbar. Beschäftigung ist unerlässlich, aber

‚normale’ Arbeit ist es noch nicht. Er hätte andere Pläne, aber: „... als Rentner (hier:

Erwerbsunfähigkeit; KO.) Kredit irgendwo zu kriegen für eine Selbständigkeit, ist so gut

wie machtlos (sic!)“. Machtlos fühlt sich Herr D. also; vielleicht tut es ihm gut, wenn er

durch kleine Unterschiede zu den anderen, verdient durch Leistung, wenigstens etwas

Anerkennung erntet: „... weil man mir auch freie (betont) Hand lässt, mit den Preisen

machen, Auspreisen. Auch mal den anderen sagen, ja, kommt eh, ihr sitzt jetzt eine

Stunde in der Küche, jetzt will- jetzt wollen paar andere in der Küche sitzen und die

2 Das Forschungsanliegen 68

wollen auch mal Pause machen. Und die mal aufjagen und rausschicken und so. Und da

fühle ich mich schon bestätigt ein bisschen.“

Andererseits gefällt es ihm, „dass hier solche Leute, die auch- die was zuverdienen

können oder möchten, auch die was ein bisschen kränker sind und so, dass die denn

hierher kommen können und ein paar Stunden arbeiten können. Auch wenn es

manchmal Stress gibt ... Weil, ich weiß ja auch, ich war ja auch nicht so wie heute drauf.

Ich war ja auch schon mal schlimmer drauf. Ich meine, umsonst bin ich nicht ein halbes

oder ein dreiviertel Jahr im Krankenhaus geblieben oder musste drinnen bleiben oder

so. Also daher sehe ich das schon ein. Weil nur durch so was kann man sich selbst- an

seine Grenzen kommen und zu zeigen, wie weit bin ich belastbar, wie weit bin ich nicht

belastbar“. Er berät sogar hin und wieder Kollegen, wenn sie Stimmen hören etwa, und

er scheint das gut hinzubekommen: „Er hat’s versucht und seitdem klappt das.“ Ein

Hinweis auf interne Synergieeffekte, die argumentativ gegen ein eventuelles „Ghetto“-

Argument stehen.

In (andere) Zuverdienstprojekte würde Herr D. nicht gehen: „Ähäh, da sind zu viel

kranke Leute, ähm *, die würden mich runterziehen. Damit- Die würden mich mit

runterziehen und denn würde ich wieder im Krankenhaus landen. Also das könnte ich

nicht.“ Herr D. scheint im Fairkaufhaus ein größeres Maß an Normalität verwirklicht zu

sehen (das, was es für ihn heißt: „weiterentwickeln und zeigen, was ich auch kann

(betont) und was in mir steckt“) – und weist indirekt darauf hin, dass es wohl individuell

unterschiedlich wahrgenommene Grenzen der Bündelung oder auch Intensität

psychischer Probleme auch an einem geschützten Arbeitsplatz wie diesem gibt.

Dennoch muss Herr D. Rücksicht nehmen auf die Einschränkungen anderer und die

Bedingungen der Finanzierung der Beschäftigung, die seinen Arbeitseinsatz zeitlich und

wohl auch inhaltlich beschränken. „Weil, wenn ich mit einhundert achtzig nach Hause

gehe und die gehen mit- mit neunzig nach Hause, weil sie ja auf dem Amt sind, auf dem

Arbeitsamt sind oder so, nur so viel zuverdienen dürfen, das würde denn * ein bisschen

Streitigkeiten geben, sagen wir mal so. Und das will man ja nun auch nicht, dass man

sich mit den Kollegen hier denn im Streit liegt.“ Wie die persönlichen, psychischen

Grenzen anderer ihn am Arbeitsplatz belasten, davon bekommt man eine Ahnung,

wenn Herr D. beschreibt, wie er sich von den anderen unterscheidet:

IP: Wie? * Ja, die meisten machen ihre Arbeit, bestehen auf ihre

Pausen. Und wenn ich sehe, da ist Arbeit, dann greife ich zu, auch

wenn es nicht mein- mein Bereich ist, dann fasse ich trotzdem mit

2 Das Forschungsanliegen 69

an und helfe und- und so. Und die andern eben, interessiert mich

nicht. So wie es schon war äh, wie ich denn gesagt hab, kommt

mal mit raus, da sind Spenden, eine Couch, eine Dreier-Couch,

eine Zweier-Couch, zeigen sie die Zigarette hoch, ja, wir machen jetzt

Pause (betont, laut). Und ich habe dann mir alleine mit- aus dem

Auto die Dreier-Couch auf den Krück- auf den Rücken (sic!)

gespannt und hab sie alleine rein gebracht in den Laden und so

was. Und das machen die andern eben nicht, was? Und ich kann ja

nicht den- den Kunden, wenn er schon eine Spende bringt, sagen,

na, warte mal zehn Minuten, die machen erst mal Pause. Denn

bringen uns die nie wieder was hier. Und wir leben ja davon.

I: Und wie geht’s Ihnen dabei, wenn so was passiert?

IP: Na, ein bisschen sauer bin ich denn, und * das sage ich dann aber

auch hier Frau °, Frau °, o , oder Frau ° oder so.

I: Bewegt sich dann was?

IP: Ja, na, * das wird dann in der nächsten Versammlung, wenn wir

hier wieder so eine Versammlung, jeden ersten Dienstag haben wir

Versammlung und jeden zweiten Dienstag hat die Sortierung

Versammlung hier, und da wird dann so was angesprochen, und

denn werden die Leute noch mal *2* extra hingewiesen drauf.

Herr D. ist vermutlich eine wichtige Stütze des laufenden Betriebs mit seinem Drang,

Verantwortung zu übernehmen, Unzulänglichkeiten anderer auszubügeln und kreative

Ideen gewinnbringend umzusetzen. Dass diese selbst geschulterte Verantwortung ihn

fast an „Krücken“ gehen lässt (nicht nur sinnbildlich, da er im Gespräch auch von

Wirbel- und Knieproblemen erzählt), zeigt der Versprecher. Andererseits ist eben diese

Verantwortungsübernahme in der Tat eine wichtige „Krücke“ für ihn. Die

widerstrebenden Impulse auszugleichen – gesundheitlicher Schutz durch reduzierte

Ansprüche, Prävention durch angenommene Herausforderungen, Abgrenzung zu den

anderen Beschäftigten – dürfte für Herrn D. wie für die ihn betreuenden Fachkräfte

nicht immer einfach sein.

Herr D. beschreibt plastisch, wie er bei einem Klinikaufenthalt gelernt hat, Wut,

Ärger und Enttäuschung („Stress .. durch meine Kinder und Exfrau und so was alles“)

bei sich zur Kenntnis zu nehmen und ein Ventil dafür zu finden (was ihm wohl völlig

fremd war): „... seitdem weiß ich, wenn ich mal auf hundertachtzig bin, dann setze ich

2 Das Forschungsanliegen 70

mich in mein Auto, fahr irgendwo ans Wasser oder in den Wald hin, wo kaum Leute

sind. Dann suche ich mir so ein’ Knüppel und dann schlage ich den auf die Erde, bis

der kaputt ist, bis ich richtig auspowert bin, und dann setze ich mich in das Auto, rauch

erst mal ganz in Ruhe eine und lass es erst mal so sacken und denn fahr ich nach Hause

und denn ist alles in Ordnung.“ Herr D. zeigt sich erleichtert darüber, dass man ihn im

Fairkaufhaus näher kennt und „schon ein bisschen einschätzen“ kann und bestätigt auf

Nachfrage, dass ihm das wichtig sei: „Ja. Weil, ich habe jahrelang immer rein gefressen,

rein gefressen und dadurch bin ich ja krank geworden, weil ich nie was gesagt habe. Das

musste man eben erst lernen. Und das habe ich jetzt geschafft (betont). [Lacht]“ Herr D.

ist sicherlich ein Beispiel für das (nicht immer so gelungene) Zusammenspiel geeigneter

ambulanter und stationärer Hilfen. Es gilt festzuhalten, dass erst das Fairkaufhaus ihm

ermöglicht hat, diese Konflikte sozial zu übersetzen und in eine Arbeitssituation

einzubetten, die Halt gibt und (zumindest einige) Freiheit der Entfaltung zulässt.

2.2.5 Interview mit Herrn E.

Herr E., ein junger Mann, kam auf die Eingangsfrage, wie es ihm im Fairkaufhaus

gefalle, stracks zu einer bemerkenswerten Definition (die ich hier kursiv wiedergebe):

„Gut. Die Arbeit macht Spaß, die Kollegen sind alle nett. Und *2* ähm *2* für mich ist

die * Arb- gehört Arbeit mit zur Therapie. Weil Tabletten alleine helfen nicht. Und die- Also

die Tabletten, die Arbeit im Fairkaufhaus * ähm *3* äh tut mir gut. Dadurch habe ich

einen strukturierten Alltag.“ Auch hier ist, neben der Definition in ihrer schlichten

Klarheit, der Versprecher interessant. Offenbar hilft beides gleich gut, ergänzt sich,

bedingt einander in der Wirkung: Hinweis darauf, dass auch Arbeit ‚Medizin’ sein kann.

Wie bereits zu sehen war, sind die Art und das Ausmaß der Arbeit (Tätigkeit,

Beschäftigung) dabei individuell von sehr unterschiedlicher Bedeutung. Von hoher

Bedeutung scheint dagegen wiederum die strukturierende, den Alltag rhythmisierende

Wirkung von Arbeit zu sein. Herr E. nennt dies auch „Routine“ und „der regelmäßige

Tagesablauf“.

Derzeit arbeitet Herr E. „im Kassenbereich und ... auch öfters im Transportbereich

bei den Möbeltransporten“. Herr E. hat vor Aufnahme einer Tätigkeit im Fairkaufhaus

„mal eine Ausbildung als Bürokaufmann begonnen. Bloß in der Zeit, wo ich 18, 19 war,

* wurde ich dann krank. Also ich- * Da hat die psychische Erkrankung angefangen. Und

ich musste die Ausbildung abbrechen. Man hat mir zwar gesagt, dass, wenn ich aus der

Klinik entlassen bin und es mir besser geht, dass ich die Ausbildung wieder beginnen

darf. Aber ständig, wenn ich zum Jobcenter gehe, heißt es, ich wäre noch nicht

2 Das Forschungsanliegen 71

arbeitsfähig, ich werde die ganze Zeit als arbeitsunfähig eingestuft. Und das versuche

ich- ganze Zeit wieder *2* in Ordnung zu bringen, indem ich hingehe und frage, wann

der nächste ärztliche Bericht bearbeitet worden ist.“. Das ist etwas, was Herrn E. sehr

beschäftigt, neben einer ganz anderen, existentiellen Sorge, wie sich später herausstellt:

IP: Ich war im September beim Ausländeramt, um meinen Aufenthalt

zu verlängern. Ich hatte all meine Papiere dabei * und hab die

vorgelegt, vorgezeigt. Und die Frau vom Ausländeramt meinte

einfach nur, dass sie meinen Aufenthalt nicht verlängern möchte.

Ich hab nie eine Straftat begangen. Ich hab keine, äh, Anzei-

Anzeige jemals bekommen. Ich bin in Deutschland geboren. Ich

kann meine eigene Landessprache nicht. Und das alles hat die

Sachbeit-,-bearbeiterin vom Ausländeramt nicht interessiert. Sie

meinte einfach nur, sie will- sie wird nicht meine

Aufenthaltsgenehmigung verlängern. * Und jetzt habe ich eine

Frist bis zum nächsten Jahr März bekommen, um zu erklären,

warum ich keine richtige Arbeite habe. Weil, sonst könnte es

passieren, dass ich abgeschoben werde.

Herr E. fühlt sich „einfach in der Situation vom Ausländeramt unfair behandelt“. Aber

das ist schon die distanzierte Zusammenfassung. Er sagt auch, er habe „einen richtigen

Schock“ und „ziemliche Angst deswegen“ bekommen. Die Arbeitskollegen würden ihn

aber, neben seinem Einzelfallhelfer, dabei unterstützen. Ich hake etwas leichtfertig nach:

„Sie könnten ja auch die deutsche Staatsangehörigkeit schon beantragt haben.“ Da klärt

mich Herr E. über die Kosten auf; es seien „fast .. fünfhundert Euro“, ein finanzielles

Problem also. Herr E. beansprucht „zumindest eine unbefristete Aufenthalts-

genehmigung. Aber es scheint nur wichtig zu sein, was man im Portemonnaie hat. ... Die

Leute achten gar nicht drauf, ob die Leute integriert sind in die deutsche Sprache oder

nicht“. Hier kommt aus berufenem Mund eine aufschlussreiche Kritik für alle, die sich

auf die einigende Kraft der deutschen Sprache berufen; tatsächlich benutzt Herr E. hier

‚Sprache’ und ‚Gesellschaft’ synonym.

Herrn E. wird offensichtlich die berufliche Rehabilitation sehr schwer gemacht; die

Zugangsberechtigung ist für ihn eine existentielle Frage. Bleibt er krank, bleibt er hier;

geht es ihm besser, wird er, wenn er keine feste Arbeit hat, abgeschoben – wie geht es

ihm dabei? Herr E. scheint es gewohnt zu sein, ohne Perspektive zu denken; ich frage:

„Bedrückt Sie das?“ Herr E. verneint und stimmt zu, er sei zuversichtlich, dass noch

einmal verlängert werde: „Ja. Ich denke schon.“ Ob dieser (nicht von ihm) verdüsterte

Horizont Einfluss darauf hat, dass er altersgemäße Wünsche („meinen Führerschein

2 Das Forschungsanliegen 72

machen“; „einmal im Jahr verreisen“) als „Wunschdenken“ betrachtet, „irgendwann

mal“? Herr E. ist ohne Arbeit und Absicht psychisch erkrankt; manche seiner

Arbeitsschwierigkeiten wären auch ohne psychische Erkrankung nicht außergewöhnlich:

Manchmal „hört der Spaß auf, weil man dann- weil’s dann so anstrengend ist, die Couch

bis zum vierten Stockwerk hochzutragen“. Eine Tätigkeit „mal als Küchenhilfe“ hat ihm

„auch Spaß gemacht“. Aber sie war ihm „körperlich zu anstrengend“.

Große körperliche Anstrengung wird nicht nur von den meisten jungen Menschen

nicht händeringend gesucht. Hier bekommen öffentliche Diskussionen oft Schlagseite,

und Schuldzuweisungen beweisen falschen Zungenschlag. Der Wunsch nach Opfern im

doppelten Sinn, nach Bestrafung, nach einer Art Rache (Arbeit als Strafe!) auf der

Habenseite, Demut, Ducken, altertümlich gesprochen: Dienstbotengesinnung mögen

dann die Reflexe auf der Sollseite sein; per Saldo eine negative gesellschaftliche Bilanz.

Dabei möchte Herr E. so gerne heraus aus der Abhängigkeit: „Ich würde am liebsten

eine Ausbildung machen oder versuchen, einen * nächst höheren Schulabschluss zu

machen, damit ich irgendwann mal eine Arbeit habe, von der ich alleine leben kann

ohne staatliche Hilfe.“ Wie viele junge Leute braucht Herr E. Hilfe dabei

herauszufinden, was er gut kann, was weniger gut: „Ich kann meine eigenen Stärken und

Schwächen nicht so gut einschätzen.“ Die Brötchen, die Herr E. backen kann, sind nur

etwas kleiner: „Hier durch die Arbeit habe ich öfters mal so kleine Erfolgserlebnisse....

Hierdurch kann ich erkennen, was ich besser kann und was ich nicht so gut kann.“

Bei Herrn E. ist es so, dass durch die Erkrankung seine „Nerven nicht so belastbar

sind wie bei jemand anderem“. Er merkt das beispielsweise an der Kasse, „wenn

irgendjemand sich beschwert“. Dann nimmt er das „viel zu ernst“. Entscheidend

wichtig ist wieder die „Pause“, das Heraustreten können aus der Situation: „... ich

versuche dann erst mal ruhig zu bleiben und geh- mach dann kurz eine Pause und rede

dann mit jemand darüber, damit ich das nicht ganze Zeit für mich behalte und denn

innerlich aufrege. Und meistens reicht das dann auch, wenn ich dann mit jemand über

die Situation reden kann.“ Der Unterschied zu allgemein empfohlenen, Dystress

vorbeugenden Übungen am Arbeitsplatz ist graduell, wie auch hinsichtlich sozialer

Kontakte kein prinzipieller Unterschied besteht zu ‚normalen’ Arbeitsplätzen. Herr E.

verdeutlicht dies mit einigen Äußerungen, ähnlich denen der anderen Befragten: „Man

kann nicht mit jedem * befreundet sein und sich gut verstehen. Mir ist es nur wichtig,

dass man wenigstens sich morgens sieht und sich begrüßt, das das reicht mir. Ich weiß,

man kann nicht mit jedem sich gut verstehen.“ „Probleme gibt’s bei jeder Arbeit.“ Das

kann als Common Sense bezeichnet werden. Darüber hinaus gibt Herr E. zu erkennen,

dass die soziale Anbindung im Fairkaufhaus für ihn wesentlich ist:

2 Das Forschungsanliegen 73

IP: Ich denk nie- irgendwie, oh nee, jetzt muss ich morgen arbeiten

gehen. So denke ich nicht. Im Gegenteil, ich freu mich drauf, weil

ich mich mit den Kollegen so gut verstehe und alles so

freundschaftlich abläuft. Deswegen denke ich nicht so, oh nee,

morgen muss ich arbeiten, sondern ich denke dann, * ähm, cool,

ich kann morgen wieder arbeiten und denn sehe ich wieder meine

Kollegen, kann im Pausenraum mit denen quatschen. Weil, wenn

ich zu Hause bin, bin ich *2* so gut wie immer alleine und * hab

niemanden, mit dem ich mich unterhalten oder so. Und hier ist es-

Hier bin ich- Fühl- Fühle ich mich nicht so allein wie zu Hause.

I: Und die Arbeit, die Sie machen, ist die auch wichtig für Sie? Oder

ist es Ihnen wichtig, überhaupt unter Menschen zu sein und ein

bisschen was zu tun?

IP: Beides.

Im Umkehrschluss hieße das, dass soziale Isolation Herrn E. krank machen würde. Im

Vergleich zu Herrn D. etwa legt dies nahe, die buchstäblich gesunde soziale

Orientierung nicht mutwillig durch eine schlechte soziale Behandlung zu gefährden –

Herrn E. also tunlichst nicht abzuschieben, sondern ihn bei der Integration in den

Arbeitsmarkt nachhaltig zu unterstützen. Die Bezeichnungsfrage seiner jetzigen

Tätigkeit – wie heißt die Arbeit mit Namen? – spielt auch bei Herrn E. eine Rolle:

I: Wie würden Sie das anderen beschreiben, wenn Sie Bekannten

erzählen, wo Sie hier sind, wo Sie arbeiten? Was sagen Sie dann?

IP: Mh. *6* Meine Verwandten wissen zwar, dass ich hier * arbeite,

aber *2* dafür eine Beschreibung hinzubekommen *, fällt mir

nicht- fällt mir nichts ein.

I: Na, wie erzählen Sie es #Das wäre natürlich cool, wenn ich#,

sagen Sie, ich geh zur Arbeit?

IP: Das wäre natürlich cool, wenn ich irgendwie eine bestimmte

Jobbeschreibung dafür habe, die sich denn auch noch wichtig

anhört, damit ich damit an- *2* Wissen Sie, was ich meine?

I: Ja.

IP: Aber mir fällt irgendwie- * Zuv- Ich sag dann, ich arbeite in einem

Zuverdienst.

2 Das Forschungsanliegen 74

I: Okay. Und sie hätten gerne eine andere Bezeichnung dafür, wo

auch der Wert ausgedrückt wird, das, was Sie tun?

IP: Mh.

I: Ja? Wo das dann auch nicht schräg rüberkommt, wenn Sie es

einem Bekannten erzählen, der Sie nicht so gut kennt und den Sie

nicht so gut kennen?

IP: Und denn sag ich, ich arbeite in einem Gebrauchtwarengeschäft.

Die Frage des sozialen Status – Bezeichnung, Entlohnung im Hinblick auf das Ansehen

der Arbeit – befindet sich, bei allem Einverstanden sein mit den Bedingungen, den

Gründen, dort ‚angedockt’ zu sein, bei Herrn E. offenbar im Schlummerzustand; ihre

Bedeutung wird möglicherweise reguliert im Verlauf der Zeit, durch Resignation, nicht

aber aufgehoben. Immerhin arbeitet Herr E. fünf Stunden täglich im Fairkaufhaus.

IP: Wenn’s nach mir ginge, würde ich noch viel länger arbeiten wollen.

Aber ich darf ja nur eine bestimmte Anzahl an Stunden arbeiten. *

Also wenn’s nach mir ginge, dann könnte ich auch an vier Tagen

sieben Stunden arbeiten.

I: Ja. Nun ist die Bezahlung hier natürlich nicht sehr hoch. Eins

zwanzig die Stunde. Stört Sie das? Ist das ein #Nein# Punkt?

IP: Ich kann zum Beispiel, wenn man * öfters arbeiten * geht, dann

kann man schon einige Sachen davon abbezahlen. Also von dem,

was ich verdiene, kann ich zum Beispiel meine Telefonrechnung,

meine Fahrkarte, *2* und die mei- Also ein paar Rechnungen kann

ich schon davon bezahlen.

Die geringe Bezahlung ist in Herrn E.s Wahrnehmung offenbar gerechtfertigt durch den

Status der Arbeit, den er akzeptiert, auch wenn er ihn gerne höher bewertet hätte und

mit einer anderen Bezeichnung („cool“) gerne „angeben“ würde. Das erscheint indes so

unerreichbar, dass er das Wort im Ansatz abbricht: „... an- *2* Wissen Sie, was ich

meine?“ Außergewöhnlich im Fairkaufhaus ist sicher, wie variabel die Arbeitszeit ist,

und wie individuell anpassbar: „Wenn ich am Wochenende auch arbeite, denn nehme

ich mir vielleicht dienstags und mittwochs frei, dann kann ich zum Beispiel Fußball

gucken, und denn- und am nächsten Tag ausschlafen so halt. * Weil diese- Weil,

Champions-League-Spiele sind ja immer später. Die sind ja immer *2* spät abends.“

Das würde sich wohl so mancher ‚normale’ Arbeitnehmer auch wünschen; es ist wie mit

der Anstrengung: in beiden Fällen ergeben sich aus Vorlieben oder Abneigungen allein

2 Das Forschungsanliegen 75

noch kein ‚Krankheitswert’. Herr E. ist sich sehr bewusst, woran es bei ihm hapert und

was ihm am meisten hilft:

I: Ich hab Sie gefragt, was zu Ihren Aufgaben gehört. Würden Sie

gerne noch andere Dinge hier übernehmen wollen?

IP: * Nee, ich bin mit den zwei Arbeitsbereichen, in denen ich *

eingeteilt bin, zufrieden.

I: Sehen Sie denn Fortschritte? Sie arbeiten hier, möchten aber

eigentlich gerne noch mal einen Beruf erlernen? Sehen Sie da

Fortschritte hier in Ihrer Arbeit?

IP: Ähm *2* ich bekomm dadurch so eine Routine. Ähm. Morgens

aufstehen, zur Arbeit gehen, den ganzen Tag durchhalten. Und ei--

Ich lerne auch einiges hier dazu. Ähm. * Besonders an der Kasse,

wenn man manchmal Kopfrechnen muss, dann *2*- Es bringt mir

schon- Es bringt mich schon weiter.

I: Was würden Sie sagen, was Ihnen am meisten hilft? Ist es die

Routine, dass man verlangt von Ihnen, Sie haben einen

regelmäßigen Tagesablauf?

IP: Der regelmäßige Tagesablauf. Wenn- Weil dann muss ich, wenn

ich zu Hause rumsitzen würde * mit meiner psychischen

Erkrankung, dann würde ich- Och, dann wäre ich bestimmt schon

*2* ein ziemlich zum- dann wäre ich bestimmt schon ziemlich zum

Drehtürpatienten geworden. Die Arbeit hilft mir wirklich * sehr

bei meiner * psychischen Erkrankung.

Herr E. gibt mit seinen klaren, reflektierten Äußerungen einige Hinweise auf die

Bedeutung, die Wertigkeit von Strukturen und Abläufen im Fairkaufhaus und deren

gesundheitsfördernde Wirkung.

2.2.6 Interview mit Frau F.

Frau F., eine junge Frau mit geistiger Behinderung, war sehr aufgeregt vor dem

Interview, weil sie „so etwas noch nie gemacht“ hatte. Daher fiel meine Einleitung

besonders geduldig und aufmunternd aus. Möglichst nebenbei schaltete ich das Gerät

ein und begann mit dem Interview. Frau F. gelang es, sich auf die Situation einzustellen.

2 Das Forschungsanliegen 76

Das Interview dauerte deutlich kürzer als die anderen; im Verlauf reduzierte ich die

Fragen und versuchte, stattdessen lieber einige Punkte herauszuarbeiten. Hinterher

entschuldigte sich Frau F. für ihre Aufregung und erklärte sie noch einmal damit, dass

sie „so etwas noch nie gemacht“ habe. Es war nicht ganz einfach für mich, ihrem

Erleben näher zu kommen; die ersten Fragen beantwortete sie rasch und ohne

nachzudenken:

I: Gehen Sie gerne hierher?

IP: Ja.

I: Wie kommt das? Ich meine, wie ist die Atmosphäre, wenn Sie so

reinkommen, wie fühlen Sie sich da?

IP: Super. Ausgeschlafen. Freue mich auf die Arbeit.

I: Wann beginnen Sie die Arbeit?

IP: Um neun.

I: Und wie ist es, wenn Sie die Tür aufmachen hier?

IP: Welche Tür?

I: Ist das- Hier oben, wo Sie eben reinkommen. Ist das eine Arbeit,

fühlt sich’s anders an? Wie fühlt sich das #Nein, ist ganz normal#

an. Ganz normal?

IP: Als wenn man arbeiten gehen würde, so fühlt sich’s an.

Ich hatte offensichtlich ebenso rasch, wie Frau F. antwortete, im Gespräch

dazuzulernen, um nicht gänzlich an der Oberfläche zu bleiben. Andererseits ermöglichte

gerade die sehr konkrete Ebene, auf der Frau F. zunächst antwortete, präziser zu

werden. Sie hatte recht, zur Tür hereinkommen kann im Fairkaufhaus mehreres

bedeuten, der Haupt- und Kundeneingang, der Mitarbeitereingang parterre, der Weg

eine Treppe tiefer in das Untergeschoss, wo Wäsche gewaschen, gebügelt und sortiert

wird oder noch, ebenfalls unten, eine (zweite) Tür zum Aufenthaltsraum – da der

Mitarbeitereingang oft offen steht, wäre sie auch als erste Tür zu verstehen... Ich musste

herausfinden, was „ganz normal“ bedeuten könnte, „als wenn man arbeiten gehen

würde“. War der Konjunktiv ein Hinweis darauf, dass Frau F. ihren Arbeitsplatz als

Möglichkeit, nicht als Wirklichkeit betrachtet und diese Möglichkeitsform für sie „ganz

normal“ ist, weil ihr andere Wirklichkeiten (der Erste Arbeitsmarkt) verschlossen

bleiben? Oder entsprach die Wortwahl einer Routine, die aufgrund der sicher

2 Das Forschungsanliegen 77

eingeschränkten Möglichkeiten Frau F.s nicht weiter auszudeuten ist? Das hieße, aus

Hochmut Erkenntnismöglichkeiten preiszugeben. Als Frau F. ihren bisherigen

beruflichen Werdegang schilderte, ergaben sich neue Hinweise:

I: Was haben Sie vorher gemacht?

IP: War in der ° Werkstatt. * ° straße.

I: Was haben Sie dort gearbeitet in der Werkstatt?

IP: War im Berufsbildungsbereich.

I: Also eine Ausbildung?

IP: Nee. Ganz normale Arbeit halt für- #Eine Arbeit?# Werkstatt für

Behinderte.

I: Und was haben Sie dort genau gemacht?

IP: Vorgelesen.

I: Den Kollegen, Kolleginnen?

IP: Ich. Weil, ich bin die beste Leserin.

I: Ja, ja. Ich meine, haben Sie den Kolleginnen und Kollegen #Ja,

Beschäftigten# vorgelesen?

IP: Habe ich Autoringe einsortiert, also diese schwarzen die- die ins

Auto reingehören, habe ich rein sortiert. Ja.

I: Das haben Sie dort gemacht in der °(Name der Werkstatt)?

IP: Ja.

I: Und was machen Sie hier?

IP: Wäsche sortieren, Wäsche aufhängen, Wäsche auspreisen. * Ja.

I: Machen Sie die Arbeit gerne?

IP: Ja.

I: Gibt es einen andern Bereich hier im Fairkaufhaus, wo Sie denken,

na da würde ich ja auch mal gerne reinschnuppern?

IP: Bügeln.

2 Das Forschungsanliegen 78

I: Bügeln?

IP: Bügeln.

„Ganz normal“ bedeutet für Frau F. also das Gewohnte, der Alltag in einer Werkstatt

für behinderte Menschen. Dass sie dort die Rolle der ‚Vorleserin’ hatte, kann Ausweis

einer dort überdurchschnittlichen Kompetenz sein; es könnte auch bedeuten, dass sie

ihre Aufgaben nicht kontinuierlich ausführen konnte und in diese Rolle abgeschoben

wurde. Bemerkenswert ist jedenfalls der Grund ihres Wechsels. Von ihrer Werkstatt

habe sie vom Fairkaufhaus erfahren: „Ich hab da gekündigt und wollte da irgendwann

wieder anfangen, weil’s mir zu Hause zu langweilig war, und denn haben sie mir so

einen Flyer vom Fairkauf- kaufhaus gegeben.“ Möglicherweise treffen beide

Erwägungen zu – Langeweile und Differenzen wegen der Leistung in der Werkstatt,

denn es handelt sich um eine bewusste Weiterempfehlung. Festzuhalten ist, dass es Frau

F. zu Hause „zu langweilig“ war. Ein Bedürfnis nach Abwechslung, Anregung und

gemeinsamem Tun bestand offenbar, ebenso wie nun konkrete Aufstiegswünsche:

Bügeln.

Frau F. hat im Fairkaufhaus aber durchaus auch Probleme; das zeigt ihre Reaktion

auf die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu Kolleginnen und Kollegen

im Fairkaufhaus:

I: Was würden Sie sagen, sind die Menschen, die hier neben Ihnen

arbeiten so ähnlich wie Sie oder sind die völlig anders alle oder

gemischt?

IP: Nee, anders.

I: Sind alle völlig anders?

IP: Ja. * Ich hab zum Beispiel morgens, wenn ich um neun hierher

komme, keine Lust den Laden zu putzen, die andern machen das

ohne Hilfe und ich brauch immer Hilfe und sage, was ich machen

soll oder nicht.

I: Und ticken die andern so ungefähr so ähnlich wie Sie oder sind

die vom ganz andern Stern?

IP: *3* Ich glaube, die ticken so wie ich.

Dass Frau F. „keine Lust“ hat, morgens „den Laden zu putzen“, macht sie in ihren

Augen „anders“. Die Frage aufs Exempel, wie denn die anderen „ticken“, beantwortet

2 Das Forschungsanliegen 79

sie dagegen identifikatorisch. Das deutet eher darauf hin, dass Frau F. ausgeprägt eigene

Vorstellungen von ihren Pflichten hat. In diese Richtung gingen Andeutungen der

Leiterin des Fairkaufhauses vorab. Immerhin arbeitet Frau F. „von neun bis vierzehn

Uhr“ – allerdings kommt es darauf an, „wie ich Lust habe gerade, ob ich früher gehe

oder ob ich später gehe. Kommt drauf an, wie ich gut gelaunt bin oder schlecht gelaunt

bin. Aber generell von neun bis vierzehn Uhr nur“. Man ahnt die Konflikte, aber: „Nee,

man hat Verständnis.“ In der Werkstatt, aus der sie kommt, „da durfte man eigentlich

nicht – nicht einfach nach Hause gehen. ... Da musste man bleiben.“ Die Frage, ob ihr

das entgegen komme, verstand Frau F. nicht, gab aber wiederum Hinweise darauf, wie

unterschiedlich der Umgang mit den einzelnen Beschäftigten ausfallen muss, um ihnen

gerecht zu werden und sie zugleich optimal zu fördern:

I: Und kommt Ihnen das entgegen, dass das hier so ist, dass man

mehr- Na wie soll ich’s sagen? Wie würden Sie es sagen? Was

macht man hier mehr als woanders? Nimmt man hier mehr

Rücksicht?

IP: *2* Ach so. Ja. Man hilft den andern auch.

I: Mhm. #Gegenseitig# Also das ist hier anders als #in der

°Werkstatt, ja# woanders. Und #Muss ich wirklich dazusagen#

kommt Ihnen das entgegen, brauchen Sie so was? Bräuchten Sie

nicht (betont) unbedingt? Sie könnten auch-

IP: Ich kann alleine arbeiten. Ich brauch eigentlich niemand anderen

an meiner Seite. * Ja.

I: Ist es denn angenehmer als in der ° (Name der Werkstatt)?

IP: Ja. Hier auf jeden Fall. Weil, hier kann man gehen und kommen,

wann man will. Hier kriegt man das Geld bar auf die Hand. So- so

bei der ° (Name der Werkstatt) war’s- kriegt man’s auf ein Konto

und alles (leiser).

Vielleicht hatte ich mich ungeschickt ausgedrückt. Jedenfalls war Frau F. nicht in der

Lage zu erkennen, dass man ihr im Fairkaufhaus offenbar sehr entgegenkommt, dass

man auf sie Rücksicht nimmt. Wohl aber erkannte sie dies in allgemeiner Weise klar als

eine der sozialen Grundregeln dort. Teils fordert sie offenbar Hilfe ein oder ist auf sie

angewiesen, dann wieder negiert sie ihren Bedarf: „Ich brauch eigentlich niemand

anderen an meiner Seite.“ Hier ist ein sozialtherapeutisch, klinisch zu behandelndes

Problem berührt, das nicht weiter erörtert werden soll (das aber durchaus ein Licht auf

2 Das Forschungsanliegen 80

die geforderte sozialarbeiterische Kompetenz und die diffizile Organisation der Arbeit

wirft). Indes ist noch der Aspekt herauszuheben, der die Bezahlung betrifft, den sie ja

im größeren Zusammenhang damit äußert, aus welchen Gründen sie zum Fairkaufhaus

gewechselt hat: Offenbar hatte Frau F. das bargeldlose Arbeitsentgelt in der Werkstatt

überfordert, da ist sie mehr für Reelles. Hier war wohl auch Scham mit im Spiel; Frau F.

wurde leiser, die Stimme verwaschen.

Ähnlich widersprüchlich verhält sich Frau F. zum Thema berufliche Perspektiven.

Zum einen äußert sie: „Ich suche im Moment gar nicht. Und mir gefällt es hier im

Moment am besten.“ Zum anderen möchte sie zwar nicht zurück in ihre alte Werkstatt,

wo man während der vorgeschriebenen Arbeitszeit „immer bleiben“ musste, wohl aber

in eine andere; dennoch sucht sie derzeit nicht: „... gibt kein’ Druck, jetzt zu suchen“.

Ihre Fähigkeiten glaubt sie im Fairkaufhaus einbringen zu können:

I: Was würden Sie sagen, Sie haben ja wie jeder bestimmte

Fähigkeiten. Können sie die hier einbringen?

IP: Also was ich gut kann?

I: Was Sie gut können, ja.

IP: Ja.

I: Ja? Oder gibt’s einen Bereich, wo Sie sagen, Mensch, kann ich

auch gut, kann ich hier gar nicht so einbringen?

IP: *3* Nee. Meine Fähigkeiten sind okay mit Wäscheaufhängen und

so, das kann ich alles.

I: Das finden Sie in Ordnung?

IP: Ist in Ordnung alles, ja.

I: Das heißt, Sie sind so einigermaßen zufrieden mit dem, was Sie

hier tun?

IP: * Mmh. Ja.

I: Gibt’s da auch Anerkennung? Sagt man Ihnen, hast du gut

gemacht, so was in der # Ja, kriege ich# Art. Ja? Ist das wichtig?

IP: Ist wichtig. Ja. * Wie, * ich hab letztes Mal * angeblich lustlos

(betont) gearbeitet, was gar nicht stimmte. Ich hab’s jedenfalls

nicht mitbekommen. Und jetzt hab ich ein Lob bekommen. Ja.

2 Das Forschungsanliegen 81

I: Und ist das anders als jetzt in der ° (Name der Werkstatt) oder was

Sie sonst erlebt haben? Einfach die Anerkennung?

IP: Ja.

Anerkennung heißt also das Schlüsselwort ihrer Zufriedenheit. Den Aufstiegswunsch

(„Bügeln“) hat sie bereits wieder vergessen. Nun taut Frau F. sichtlich auf. Ich versuche

herauszubekommen, ob die Höhe des Entgelts für sie etwas mit Anerkennung zu tun

hat: „Wie ist das mit der Bezahlung? Es sind 1,20 die Stunde. #Mhm# Manche

kommen damit sicher zurecht. Manche würden vielleicht sagen, na, ist ja bisschen

wenig, welche, die einen Beruf haben, würden vielleicht #Nee, kommt drauf an# sagen,

ich hab schon mal viel mehr verdient. #Na, kommt drauf an, wie-# Wie ist das für Sie?“

Das versteht Frau F. nicht – so viel Arbeit, soviel Geld, die Höhe spielt keine Rolle:

„Kommt drauf an, wie man halt arbeitet, ne? Wie viel Stunden man arbeitet. Dann zählt

man das später zusammen und so viel Geld kriegt man dann auch. ... So viel ich arbeite,

arbeite ich, und ... okay.“ Die Frage nach der Angemessenheit hat Frau F. nicht

verstanden oder sie spielt keine Rolle für sie, was in ihrem Horizont sicherlich

naheliegend ist. Soziale Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen scheint sie nicht zu

kennen; sie bestätigt, dass sie sich „ganz wohl“ fühle – außer, ein junger Mann, „wegen

dem kann ich nicht mal richtig arbeiten“. Ich frage sie, ob es dafür Lösungen gebe; Frau

F. bestätigt: „Ja, einfach mit der Chefin reden, * dass es nicht so weitergeht.... Das kann

ich locker, ja. * Bloß ich trau mich halt nicht...“ Ich empfehle ihr, „jetzt mal neben dem

Interview gesprochen“, es dennoch zu tun...

Noch an einer anderen Stelle scheint Frau F. wenige Ansprüche zu stellen, es ist die

Frage danach, die ich zum Schluss an sie richte, wie sie nach außen mitteilt, was sie hier

tut:

I: Wie erzählen Sie das Ihren Bekannten oder Freunden, Familie, wo

Sie hingehen, was Sie hier machen? Sagen Sie, ich gehe auf Arbeit?

Sagen Sie, ich gehe ins Fairkaufhaus? Was sagen #Ich geh zur

Arbeit, sage ich# Sie da? Gibt’s da Nachfragen?

IP: * Ja, wie lange ich immer arbeite.

I: Wie lange- * Und auch was? Was machst du da?

IP: Nee, das nicht. #Das nicht?# Nur, wie lange ich arbeite.

Man kann nur spekulieren, inwieweit Frau F.s Entwicklungsmöglichkeiten durch

notorisch geringe Ansprache und vielleicht Ansprüche in der Familie und wohl auch im

2 Das Forschungsanliegen 82

weiteren sozialen Umfeld limitiert wurden. Frau F. ist sicherlich ein Beispiel für die

Breite an Herausforderungen, die sich innerhalb des Fairkaufhauses dem betreuenden

Personal stellt, gleichzeitig Ressourcen orientiert, nicht überfordernd und doch

angemessen fordernd die Beschäftigten anzuleiten, so weit es geht, gewähren zu lassen

und bei Bedarf geeignet zu intervenieren – ein Beispiel möglicherweise auch dafür,

welche Ansprüche an Betreuung jemand zu entwickeln vermag, der persönliche

Ansprüche zu stellen nicht gewöhnt ist.

2.2.7 Interview mit der Leiterin des Fairkaufhauses, Katrin Faensen

Im Experten-Interview mit Katrin Faensen (Transkript im Anhang) war es zeitlich wie

inhaltlich möglich, etwas in die Tiefe zu gehen. Das Interview fand wiederum im

Aufenthaltsraum statt. Es wurde einige Male kurz unterbrochen, weil Frau Faensen

dienstlich reagieren musste. Mein Anliegen war, über vier Bereiche zu sprechen:

Klienten und Projekt bezogene Fragen, Fragen zum Alltag der Projektleiterin und

Fragen auf einer Metaebene. Es stellte sich schnell heraus, dass organisatorische,

administrative Fragen, die sich um Kostenübernahmen, Kontakte zu Stellen und

Ämtern (etwa Fallmanagement und Sozialpsychiatrische Dienste), den Behandlungs-

und Rehabilitationsplan (BRP), die Optimierung der Warenwirtschaft, sowie interne

Abläufe drehen, derzeit noch im Vordergrund stehen: „Im Augenblick hab ich

Baustelle, Administration und pädagogische Geschichten, weil die einfach stattfinden

müssen. Also es wird dauernd geklopft und es gibt einfach dauernd Gesprächsbedarf.“

Katrin Faensen würde „gerne mehr am Kaufhausalltag teilnehmen. Geht aber im

Augenblick nicht, weil noch viel nachzuholen ist an Kostenübernahme... und

organisatorischen Geschichten“. Dass sie (für den Bereich Warenwirtschaft) sich noch

eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter wünscht, ist bereits durch die

Gesprächssituation, die Unterbrechungen durch die Beschäftigten, nachzuvollziehen.

Auf meine Frage, wie die Abläufe verbessert werden könnten oder ob einfach (bedingt

durch die Aufbauphase) Dinge abgearbeitet werden müssen, kommt Katrin Faensen

rasch auf Qualitätsmanagement zu sprechen: „... ich bin mittlerweile ein QM-Fan

geworden, weil ich einfach sehe, was es bringt ... ich möchte gerne diese Prozesse

beschreiben und einen Leitfaden und Verfahrensbeschreibungen anfertigen, so dass

einfach jeder weiß: Welchen Stand haben wir gerade, was ist jetzt als Nächstes zu tun,

wie machen wir es überhaupt? So dass man nicht ... bei jedem Mal wieder überlegen

muss, was war jetzt eigentlich zu tun? ... im Augenblick wird halt hier Alltagsgeschäft

gemacht und das lässt nicht wirklich Zeit, um noch mal hinter die Kulissen zu gucken

und die Struktur zu betrachten.“

2 Das Forschungsanliegen 83

Ein anderer Bereich ist das „Pädagogische“, wie Katrin Faensen es nennt, „da sind

wir ganz gut dabei“. Aber auch hier „muss Struktur rein ... Wann wird ein Assessment

gemacht? Wer macht das mit wem? Wann wird’s wieder gemacht? Wie wird’s

ausgewertet? Und so weiter...“ Ein Dokumentationssystem gibt es bisher noch nicht,

desgleichen Arbeitsvereinbarungen mit Klientinnen und Klienten. Wiederholt tauchen

die Begriffe Struktur, strukturelle Klarheit auf – im Zusammenhang mit Problemen, die

eindeutig auch die Stärke des Fairkaufhauses ausmachen, der hohen Flexibilität der

Abläufe, die individuelle Anpassungen in hohem Maß einschließen, jedoch offenbar

auch die Frage nach Grenzen aufwerfen: Grenzen der Arbeitsleistung seitens bereits

Multitasking fähiger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Adaption unterschiedlichster

Ansprüche von Klientinnen und Klienten, Grenzen von Abläufen, von Effektivität,

aber auch von Rehabilitationsmöglichkeiten. An so ein Projekt werden, wohl

zwangsläufig, hohe Erwartungen herangetragen – von Menschen, die überall sonst

gescheitert sind, dass ‚alles’ möglich ist, von Institutionen und Kostenträgern, dass

eindeutige, schnelle Zuordnungen möglich sind. Die Erwartungen können zu genau

oder zu ungenau sein; was das Fairkaufhaus leisten kann, liegt wohl dazwischen. Im

Fairkaufhaus stellt sich ganz pragmatisch das Problem, „dass wir unwahrscheinlich viel

zu tun haben, um das aktuelle Tagesgeschäft gut laufen zu lassen. ... wir können keine

Eins-zu-Eins-Betreuung leisten oder ganz selten“.

Die entstehenden Konflikte zeigen auch, wie in einem Brennglas, kontroverse

gesellschaftliche Diskussionen. Das Ehrenamt etwa, oft hoch gepriesen, ist hier fehl am

Platz – solange damit gemeint ist, dass Klientinnen und Klienten mit Betreuungsbedarf

‚einfach so’ mitarbeiten können: „Wenn hier jemand ehrenamtlich arbeitet, was ich

begrüße, dann möchte ich ihn aber nicht noch betreuen müssen, weil er ein Klient ist ...

dann muss derjenige Erster-Arbeitsmarkt-fähig sein... ich kann natürlich nicht sagen, die

eine Klientin arbeitet hier ehrenamtlich und kriegt unsere Betreuungsleistung und muss

dafür nichts zahlen.“ Es ist im Einzelfall für Klientinnen und Klienten sicher hart, die

Bedingungen zur Kenntnis zu nehmen, die sich aus den Sozialgesetzbüchern ergeben,

sich einen Reim zu machen auf die Bezahlung, die sich an die Regelungen im

Zuverdienst anlehnt (Ein Euro zwanzig pro Stunde), nicht so viel arbeiten zu dürfen,

wie man eigentlich kann und möchte (da es Obergrenzen des Zuverdienens gibt), kein

Krankengeld zu bekommen (da das Projekt zuwendungsfinanziert ist), auch wenn man

sonst ‚immer da’ ist und anderes mehr. Andererseits ist es ein Kompliment an das

offene Konzept des Fairkaufhauses, dass solche Anfragen kommen.

2 Das Forschungsanliegen 84

Einige sehr konkrete Probleme, Klientinnen und Klienten betreffend, werfen sehr

grundsätzliche Fragen auf. Je nachdem, von welcher Seite ich komme, vom

Übergreifenden, der Metaebene her, oder von der Klientenseite, erhalte ich

verschiedene Antworten, die doch miteinander zu tun haben, etwa bei der Frage nach

der Berufs- oder Handlungsethik im Projekt: „... ich glaube, * dass .. die innere Haltung

des Fairkaufhauses ... auf der Webseite .. und von der inneren Haltung der beiden

Gründer-Geschäftsführer transportiert .. ist. ... Meine persönliche Haltung ist eine ganz

humanistische .. und integrative ... Es (die Haltung der Geschäftsführer; KO.) ist eine

von Toleranz geprägte, fördernde, nicht ausschließliche, sondern eher einschließende

Haltung. ... Formuliert ist sie ... nur so, wie sie .. auf der Webseite steht.“ Nach einer

kurzen Unterbrechung im Interview fasst Katrin Faensen zusammen: „... Berufsethik

hier ist sehr, sehr wichtig. Weil wir natürlich Menschen haben, die auf verschiedenste

Arten und Weisen beeinträchtigt sind. Und wenn wir jemanden haben, der zum Beispiel

psychotisch ist und einen aggressiven Schub hat und andere Leute beleidigt, dann ist es

auf der einen Seite wichtig, dem Einhalt zu gebieten, aber den Menschen nicht zu

verurteilen ... das ist ganz wichtig. Also dass wir mit einer Haltung rangehen, die einfach

sagt, okay, wir haben einen großen Teil, der oder den die Krankheit ausmacht...“

Andererseits scheinen Tagesgeschäft und -belastung einfach zu verhindern, eine

„Ethik der Umsetzung“, wie ich es im Gespräch nenne, etwa in einem Leitfaden

niederzulegen und zu systematisieren. Dass Ethik „eine große Rolle spielt .., praktisch

bei der Arbeit und bisher noch nicht so kommuniziert wurde“, bestätigt mir Frau

Faensen. Als Thema für interne Steuerungsrunden hält sie es indes für ein

„Luxusthema“, denn: „Das ist unausgesprochenes Gesetz“, keine „Baustelle“, wie sie

versichert, denn sonst „würde (es) sogar an erster Stelle stehen“. An dieser Stelle

verweist Katrin Faensen auf wöchentliche Fallsupervisionen und Teamsitzungen: „... da

herrscht ziemlich große Klarheit und Einigkeit, muss ich sagen, zu meiner Freude“.

Die Diskrepanz fällt auf. Immerhin wird im Fairkaufhaus durch eine solche ethische

Haltung, implizit oder explizit, auch Sinn erzeugt, darin stimmt Katrin Faensen mir zu.

Sie sieht es praktisch: „Zum einen ist es das Beschäftigungsprojekt für psychisch kranke

Menschen an sich, was diesen Sinn macht, und zum anderen sind es auch die dreißig

Prozent auf die sowieso günstigen Preise für Geringverdiener, im Kaufhaus ... wo auf

doppelte Weise ein Gemeinsinn für sozial schwache Menschen produziert wird. Und die

Menschen, die hier sind, produzieren diesen Sinn selbst, weil sie hier arbeiten. Und sie

arbeiten hier, weil es sie angezogen hat.“ Das, findet Frau Faensen, unterscheide sich

„mit Sicherheit massiv“ von der gängigen Arbeitsethik, weil „dieses Kaufhaus nicht aus

kommerziellem Blickwinkel gegründet worden ist, wie das zum Teil passiert, auch im

2 Das Forschungsanliegen 85

sozialen Bereich, sondern von ... gemeinnützigen GmbHs für psychisch kranke

Menschen, die auch mit den Kränksten zusammenarbeiten und für sie Anlaufpunkte

bieten“. Fehlende formale Sanktionen (beziehungsweise die Drohung damit) und

Befristungen, so, wie sie bei Mehraufwandsentschädigungs-Maßnahmen der Fall sind,

führen Katrin Faensen zufolge oft dazu, dass Menschen, im Unterschied zum

Fairkaufhaus, „durchgereicht“ werden: „... ich hab das noch nicht so sinnvoll erlebt wie

hier. .. Und die Klienten hier achten auch sehr darauf, dass das auch gefördert wird.“

Katrin Faensen sieht die Goldene Regel der Ethik am Werk, sie spricht von einem „Ich-

tu-was-für-dich-du-tust-was-für-mich-Gefühl .. oder Wir-tun-was-für-die-Gemeinschaft,

Wir-tun-was-Gutes“ Sie hält diese Regel für „unausgesprochen und .. doch irgendwo

bewusst tun wir hier alle was Gutes. ... Nicht nur meine Mitarbeiter für psychisch kranke

Menschen, sondern die psychisch kranken Menschen hier im Kaufhaus für die Kunden,

für sich, für die Welt“. Das ist, sonst ungesagt, ein hoher Anspruch, dessen

untergründige Vermittlung offenbar doch weiter reichende, praktische Folgen hat.

Über den Gedanken der Nachhaltigkeit, den Katrin Faensen „ziemlich wichtig“

findet, auf den sie gern auch „mehr Augenmerk“ richten würde, nähern wir uns erneut

den Themen Ethik und Sinn an. Ich frage:

I: Ist das jetzt ein produktbezogener Gedanke, ein ökologischer

Gedanke oder hat das auch was mit den Menschen zu tun? Man

könnte mit etwas Schärfe ja vielleicht sagen, dass Menschen .. auch

gerne entsorgt werden, am Rande stehen, und dass sie nicht, in

Anführungszeichen, wiederverwertet, also gebraucht werden in der

Gesellschaft. Das scheint ja hier anders zu laufen.

IP: Das ist der Sinn der Sache. Also, um wieder auf diesen Sinn, auf

den impliziten, zurückzukommen. Wenn ich keine Beschäftigung

habe und keine Arbeit und keine Tätigkeit, dann frage ich mich

natürlich auch, wo ist denn mein Sinn, ja? Und wenn ich etwas tun

kann, was Sinn macht, dann empfinde ich ja meine Tätigkeit auch

wieder als sinnstiftend. Und das macht was mit dem

Selbstbewusstsein. .. das macht was mit der Selbsteinschätzung

und mit dem Selbstwertgefühl. .. Wenn ich zu nichts nütze bin,

dann bin ich auch nichts wert, ja? Aber wenn ich was tue, was

anderen nützt, da kann ich mich ja wunderbar noch mal drüber

selbst definieren.

2 Das Forschungsanliegen 86

So konkret formuliert, findet sich das durchaus in den Aussagen der interviewten

Beschäftigten wieder; ich komme darauf zurück. Obwohl Katrin Faensen auf Nachfrage

bekräftigt: „Es ist das normale Leben hier“ gewinne ich doch den Eindruck, dass einige

Themen im Fairkaufhaus präsenter sind als anderswo, etwa soziale Regeln oder

(Grenzen der) Individualität. Im Hintergrund hatte ich mich gefragt, wie Hierarchien

und Regeln, wie Kontrolle oder ein Mindestmaß an Konformität in einem sozialen

Mikrokosmos wie diesem, mit der Besonderheit der psychischen Erkrankungen der

Beschäftigten, umgesetzt, welche Bezüge zum ‚normalen’ Arbeitsleben hergestellt

werden und wie sie sich zeigen. Wir kommen auf gesellschaftliche Veränderungen zu

sprechen. Katrin Faensen nennt „rote Ampeln“, die für sie überall erkennbar seien,

weist darauf hin, dass durch diese „Krise, die wir im Außen zurzeit erleben, ... wir hier

im Kaufhaus mehr zu tun bekommen. Und dann wird augenblicklich, glaube ich, sich

auch der Blickwinkel verschieben“. Diese „roten Ampeln“, Grenzen sich zu

„verzocken“, wie Katrin Faensen auch meint, seien im Fairkaufhaus frühzeitig

erkennbar: „.. wenn die Leute nicht mehr so viel Geld zum Ausgeben haben, dann

kommen sie hierher zum Einkaufen. ... Die Gebrauchtwarenbranche boomt seit

Jahren.“

Das wären an Kunden erkennbare Anzeichen, die allerdings – Thema Armut – ein

Projekt wie das Fairkaufhaus noch in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Die

Themen Gerechtigkeit, Partizipationschancen und Ressourcenzugriff kommen so

gesehen im Fairkaufhaus doppelt an; die hier Beschäftigten könnten auch als soziale

Avantgarde betrachtet werden, wenn klar wird, in welchem Ausmaß sie in der

Zusammenarbeit mit anderen, meist ebenso mehrfach aus der Bahn geworfenen

Menschen sie sich bemühen müssen, ganz unten in der gesellschaftlichen Rangordnung

wieder Fuß zu fassen. Sie bemühen sich in der Tat. Katrin Faensen attestiert den

Beschäftigten: „... ich finde das auch persönlich immer wieder sehr bewegend zu sehen,

was Menschen trotz psychischer Erkrankung für unglaubliche Erkenntnisfähigkeiten

haben und Leistungsbereitschaften und wie herzlich die sein können und wie- wie blöd

auch, ja? Aber das ist- das sind Menschen wie du und ich. Punkt.“ An einem

Opferstatus haben die Beschäftigten offenbar kein Interesse.

Das berührt Katrin Faensen zufolge auch die „Metaebene der psychischen

Erkrankung. .. Was bedeutet denn das? Also wo ist die Grenze? Und was ist gesund und

was ist krank und kann man einen Menschen als krank bezeichnen oder ist vielleicht nur

ein kleiner Teil des Menschen erkrankt .. ? Also in ihrer Kritikfähigkeit ... sind die

Menschen hier teilweise wesentlich gesünder als auf dem Ersten Arbeitsmarkt.“ Frau

Faensen stimmt mir zu dass das Thema Gesundheit, Krankheit „hier jeden Tag

2 Das Forschungsanliegen 87

verhandelt“ wird. Das wirft ein Licht auf möglicherweise krank machende Bedingungen

an vielen ‚normalen’ Arbeitsplätzen. Wenn es hier möglich ist, notgedrungen, Not

lösend im doppelten Sinn, permanent die Grenzen von ‚gesund’ und ‚krank’, von ‚Ich’

und ‚Wir’ zu verhandeln und sich mit der Frage zu beschäftigen, wie viel eine Einzelne,

ein Einzelner wirklich leisten kann, wie viel abverlangt, wie viel durch die Finger

gesehen werden kann und muss, bedeutet das im Umkehrschluss, dass Menschen an

wenig selbstbestimmten, regulären Arbeitsplätzen leiden, wenn sie in solche praktischen

Verhandlungen nicht eintreten können (die ja nicht per se leistungsmindernd sind), aus

Angst vielleicht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, sich einem existentiellen Druck

fügend, gehorchend, ohne zu ‚murren’?

Es ist sicher kein Zufall, dass Katrin Faensen in diesem Zusammenhang sich als

Leiterin positioniert. Bei soviel Verständnis für die Situation der Beschäftigten können

Grenzen nicht weit sein. Einige Grenzen sind von außen vorgegeben und können

innerhalb nur abgewandelt, nicht außer Kraft gesetzt werden, einige sind gegeben:

Ich glaube, wir sind alle nicht hundertprozentig davor geschützt, zu werten

und zu bewerten und uns zu positionieren im Vergleich mit anderen .. Und

ich finde, das muss auch manchmal sein. Also ich bin hier die Leitung. So.

... das bin ich einfach. Und gewisse Dinge hab ich zu entscheiden und zu

sagen. Trotzdem kann jeder Klient zu mir kommen und sagen, Frau

Faensen, ich hab mich gestern beleidigt gefühlt von Ihnen .. Und das finde

ich wichtig. Und natürlich bin ich gesünder oder habe mehr gesunde Anteile

als die Klienten, die hier arbeiten. Sonst wär’s nicht so, wie es ist. Das muss

man auch benennen. Also ich finde auch, man sollte vorsichtig sein, .. zu

sagen, wir sind alle Menschen und alle gleich und ihr kriegt halt nur weniger

Geld als ich oder so .. Sondern .. ich hab ja auch einen Vorbildcharakter.

Ich kann ja auch mal benennen, warum ich hier * an dieser Stelle sitze und

nicht an einer anderen und sagen, okay, dann guck mal, ich mach aber die

und die und die Arbeit und muss das und das ... entscheiden und ich kann

das und das ..., und das kannst du halt nicht oder können Sie halt nicht.

Aber das Menschliche, .. auf der Wertigkeitsebene möchte ich doch eine

Gleichheit herstellen oder die gleichen Möglichkeiten, die gleichen Rechte

und Pflichten auf der menschlichen Ebene. .. Die sind manchmal auch nicht

unbedingt gegeben, wenn jemand massiv psychisch eingeschränkt ist, muss

man auch sagen. Aber dann ist wieder dieses Nicht-Verurteilen. .. Steckt

ganz schön was drin.

2 Das Forschungsanliegen 88

In der Tat scheint „ganz schön was drin“ zu stecken; was hier verhandelt wird, sind

immerhin auch Legitimationsfragen. Dass sie so gestellt und erfahren werden können,

ist sicher eine Stärke des Fairkaufhauses – und eine Schwäche so vieler Arbeitsplätze auf

dem umkämpften Ersten Arbeitsmarkt. Frau Faensen spricht von sich als

„Vorbildcharakter“ und weist damit wiederum auf den ethischen Anspruch hin –

indirekt auch auf eine auffällige Leerstelle in ‚normalen’ Betrieben. Erwartet man da im

Ernst (noch) Vorbilder?

Ein heikler Punkt in der Struktur des Fairkaufhauses könnte die Frage sein, ob es

eine Art Zweiteilung gibt, eine (vielleicht problematische) Aufteilung in grundsätzlich

Zuverdienst oder sogar Erster Arbeitsmarkt fähige Klientinnen und Klienten und

diejenigen, die gerade einmal über die sehr niedrige Schwelle kommen, Betreuung

dringend brauchen und für die die Schwelle auch nicht höher sein dürfte. Das Konzept,

wie es beschrieben und veröffentlicht ist, legt dies nahe. In der Tat bestätigt Katrin

Faensen, es gebe „immer wieder mal“ Probleme dieser Art:

... es ist natürlich schwierig, (dass sich) alle in einem Ein-Euro-Zwanzig-

Topf .. befinden und zu sehen, da ist jemand, der ist einfach viel

leistungsfähiger als ich und .. dessen Arbeit wird ganz anders honoriert,

natürlich nicht im finanziellen Bereich, aber in den Rückmeldungen .. der

Arbeitsanleitung oder in den Aufgaben, die jemand bekommt. Und es ist

auch schwierig, dann ... ganz besonders, wenn Menschen hier sind, die

einen guten Überblick haben und die ... bis auf ihre psychische

Beeinträchtigung eigentlich Erster Arbeitsmarkt einsetzbar wären und die

dann vielleicht noch ... Führungskompetenz haben oder eine natürliche

Autorität, dann gibt es natürlich Schwierigkeiten. ... dann fragen die sich

natürlich auch, wo bin ich jetzt hier, wo gehöre ich jetzt hin. .. da gibt’s

immer wieder Identitätsprobleme hier. Aber ... es hält sich in Grenzen. Und

man kann ja auch darüber sprechen ... Man kann sagen, Sie sind einfach

wesentlich leistungsfähiger und trotzdem sind Sie hier, da müssen Sie

irgendwie mit klar kommen ... das können wir honorieren, indem wir ihnen

andere Aufgaben geben, aber andere Dinge sind uns nicht möglich ... Oder

indem man .. sagt, schauen Sie mal, wenn Sie diese Arbeit machen würden,

die Herr °der Frau Soundso macht, das würden Sie gar nicht schaffen.

Die Auskünfte, die ich von den befragten Beschäftigten erhalten habe, scheinen beides

zu bestätigen – dass es ein Problem sein kann, dass es aber auch im Einzelgespräch zu

behandeln und somit sozial zu handeln ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage

des Entgelts erneut. Von „finanzieller Anerkennung“ sprechen die Geschäftsführer,

2 Das Forschungsanliegen 89

Volker Schröder und Klaus Zindel, im Begleitheft zum Film auf CD. (FKH 2008: o. A.)

Von „finanziellen Leistungen“ spricht der Gesetzgeber hinsichtlich der

Integrationsprojekte, in Paragraph 132, SGB IX (denen das Fairkaufhaus zum Teil

ähnlich ist), meint damit aber „aus Mitteln der Ausgleichsabgabe Leistungen für Aufbau,

Erweiterung, Modernisierung und Ausstattung einschließlich einer

betriebswirtschaftlichen Beratung und für besonderen Aufwand“. (Stascheit: 1223) Die

Bezeichnung für die Leistungen der darin Beschäftigten werden in Integrationsprojekten

gewöhnlich „Aufwandsentschädigung“ genannt. Dazu zählen zum Teil Mittagessen und

Fahrtkosten. Von „Arbeitsentgelt“ spricht Paragraph 138, SGB IX, im Zusammenhang

mit der Rechtsstellung behinderter Menschen in Werkstätten für behinderte Menschen.

(Ebd.) Meine Vermutung ist, dass die soziale Anerkennung die finanzielle im ‚gefühlten’

Wert weit überwiegt, wenn auch die Frage einer (relativen) Verteilungsgerechtigkeit,

intern, im Vergleich untereinander, und die Frage, ob man sich in bescheidenstem

Ausmaß etwas zusätzlich davon leisten kann, nach meinen Befragungen keinen der

Beschäftigten kalt lässt.

Katrin Faensen bestätigt, dass der Wert der Arbeit sich auch über die Anerkennung,

den Stellenwert der Leistung im Gefüge des Fairkaufhauses widerspiegelt, und dass über

eine Abstufung nach Aufgaben Anerkennung „sichtbar“ werden kann. Vielleicht zeigt

sich hier ein weiteres Common-Sense-Phänomen: Über Geld muss man nicht so viel

reden, solange es eine festgeschriebene, relative Gerechtigkeit gibt, wobei für Frau

Faensen feststeht, dass „die Entlohnung unter aller Sau ist ... Das ist die gesetzliche

Regelung. Die Leute bekommen ihr Geld vom Staat dafür, dass sie krank sind ... Und sie

dürfen nicht mehr als so und soviel dazuverdienen, sonst müssen sie das Geld dem Staat

zurückzahlen“. Über soziale Anerkennung muss man – sicher nicht nur im Fairkaufhaus

– allerdings sehr wohl sprechen und verhandeln, und vielleicht ist gerade das ein Punkt,

der im Mikrokosmos Fairkaufhaus überdeutlich wird. Es geht hier sicher in besonderem

Maß darum, „die Waage zu halten“, wie Katrin Faensen sagt. Für entscheidend hält sie,

„dass man sagen kann, das ist mein Arbeitsplatz hier“. Da unterschieden sich andere

Zuverdienstprojekte und das Fairkaufhaus nicht so sehr. Von Klientinnen und Klienten

wird dies optimistischer bewertet; ich komme darauf zurück.

Überrascht hat mich die eindeutige Position hinsichtlich der Frage, ob das

Fairkaufhaus ein karitativer Betrieb sei. Aufgrund meiner Vorüberlegungen vermutete

ich, dass der Begriff hier ausgeblendet oder allenfalls verdeckt akzeptiert, nicht aber

offen benannt würde. In der Sozialarbeit wie der Sozialarbeitswissenschaft wird, wie

gesehen, weder der Begriff Arbeit noch generell die Herkunft von Handlungsmaximen

und -theorien aus religiösen Traditionen systematisch reflektiert. Die Konzeption der

2 Das Forschungsanliegen 90

Sozialen Arbeit als Handlungswissenschaft (vgl. Staub-Bernasconi 2007) aus diesen etwa

fußt durchaus auch auf dem christlichen Ideal tätiger Nächstenliebe (davon

beeinträchtigt sehe ich keinesfalls den hohen demokratischen Impetus dieses

Standardwerks der Sozialarbeit, Handlungen als Ver-Handlungen zu begreifen);

„Arbeit“ kommt folgerichtig (im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Theorie und

Praxis Sozialer Arbeit) auch hier als „Arbeitsteilung“ und Frage der (Geschlechter-)

Gerechtigkeit vor. (Vgl. ebd.: 95 f) Mich interessierten die Fußangeln, die sich aus

gesellschaftlicher (und eben leider auch sozialarbeitswissenschaftlicher) Abschottung

gegenüber dem Begriff Arbeit bis in ein soziales Projekt wie das Fairkaufhaus hinein

wiederfinden lassen. Um es kurz zu machen, Katrin Faensen missbilligte den Begriff

karitativ, da sie ein „Problem“ mit dem „religiösen Hintergrund“ habe, stimmte aber,

eine etymologische Erklärung anfügend, zu:

Nichtsdestotrotz sind wir natürlich eine karitative Einrichtung, auch wenn

ich das Wort nicht benutzen würde. Aber wenn man in die lateinische

Wurzel des Wortes geht, dann haben wir ... „carus“, das ist „lieb“ ... „To

Care“, zu jemandem lieb sein, für jemanden da sein oder helfen. Also hier

wird Fürsorge getragen. We Care for One Another.

Sich umeinander kümmern, füreinander Sorge tragen findet sich als religiös begründeter

Anspruch bereits in den frühen Schriften des Christentums wieder. Aus heutiger Sicht

sind mit der Frage der Fürsorge auch Geschlechterverhältnisse, Zuordnungen und

Zuschreibungen angesprochen. Katrin Faensen ist mit ihrem hohen Grad an sorgfältiger

Berücksichtigung sowohl konkreter, hoch individueller Umstände, als auch

gesellschaftlicher, arbeitsmarktbezogener Einflüsse, wie das gesamte Fairkaufhaus mit

seinem Konzept, sicher nicht repräsentativ für karitativ zudeckende Handlungsmuster.

Für mich ist hier jedoch ein starker Hinweis gegeben, dass praktische, ethische und

theoretische Überlegungen sich gerade nicht ausschließen, sondern im Gegenteil

gegenseitig bedingen und Folgen und Erfolg professionellen Handelns dimensionieren.

Die Ziele des Fairkaufhauses benennt Katrin Faensen so:

Die Ziele sind, möglichst vielen psychisch kranken Menschen einen

dauerhaften Beschäftigungsplatz zu bieten und diese Menschen in ihren

Kompetenzen und Performanzen zu stärken, zu fördern und zu fordern

und sie so weit mit ihrem Einverständnis und ihrem Wunsch zu bringen,

wie sie gerne kommen möchten und können. Zweites Ziel ist, so vielen

Kunden wie möglich, die Gelegenheit zu geben, hier gebrauchte, gute Ware

günstig einzukaufen, eventuell noch mal für einen Rabatt, über den man

sich .. unterhalten kann ... Im Augenblick ist er dreißig Prozent hier. Also

2 Das Forschungsanliegen 91

auch Geringverdienern die Möglichkeit zu geben, Ware von guter Qualität

hier zu erstehen. Und drittes Ziel, dazu beizutragen, dass Dinge, die

normalerweise auf dem Müll landen würden, wieder in einen Kreislauf

kommen der Weiterverwertung und Wiederverwertung. Und natürlich, dem

Bezirk dabei zu helfen, seine Klienten zu versorgen. .. das ist .. noch mal

eine andere Ebene.

Katrin Faensen beschreibt das Fairkaufhaus in Abgrenzung zu einer vorwiegend

karitativen Institution auf meine Nachfrage als „ungewöhnliches soziales Projekt und

eher ein lebender Organismus.“ Wie auch in Fragen der Berufsethik und ethischen

Grundsätze im Fairkaufhaus unausgesprochene, aber feststehende Grundsätze dennoch

ethische Grundsätze sind, so ist das das hier vertretene Menschenbild unschwer mit

dem biopsychosozialen Modell nach Uexküll und Wesiack zu vergleichen. (Vgl.

Uexküll/Wesiack 1996) Dennoch haben auch Passungsvielfalt und sozial experimentelle

Formen ihre Grenzen: Nicht jede Klientin, nicht jeder Klient kann hier aufgenommen

werden; ich frage nach Ausschlusskriterien:

.. von Anfang an (wurde) hier einfach jeder mit reingenommen und wir

(haben) jetzt ein paar Klienten, wo sich rausstellt, eigentlich geht das hier

nicht .. Und da musst du ja ständig dabei sein. .. wie viel Zeit bleibt dann

noch für die Arbeit, die getan werden muss im Tagesablauf und wie viel

Zeit bleibt noch für andere Klienten, die Arbeitsanleitung brauchen? Wir

haben sie noch nicht formuliert ... (die Aufnahmekriterien; KO.). Wir haben

alle was im Hinterkopf, wo wir sagen, also das geht eigentlich nicht, und wir

haben auch Klienten hier, die darunter fallen, aber wir würden jetzt auf

keinen Fall sagen, das ist hier nicht tragbar, das können wir nicht machen,

außer es ist also wirklich nicht tragbar .. Sondern wir achten jetzt eher bei

Neuaufnahmen oder -einstellungen darauf, dass uns nicht im Arbeitsablauf

behindert .. Oder nicht in einem Maße, was dann die anderen Klienten

beeinträchtigen würde.

Das sind jedoch für Katrin Faensen praktische Angelegenheiten, keine Fragen des

Konzepts: „... wir müssen jemandem sagen, okay, hier ist die und die Arbeit und bitte tu

die. Und dann muss er die tun können. Wenn er die nicht tun kann, sondern einen

Menschen neben sich braucht, der ihn dauernd kontrolliert und dauernd

Rückmeldungen gibt und mit ihm gemeinsam die Handgriffe macht, dann nimmt es

unwahrscheinlich viel Betreuungsleistung in Anspruch.“ Genau diese Art relativer

‚Normalität’ scheinen andererseits manche Klientinnen und Klienten zu schätzen, die

sich in (anders finanzierten) Zuverdienstprojekten schwertun, die Intensivbetreuung von

2 Das Forschungsanliegen 92

Klientinnen und Klienten personell leisten können und müssen: dort liegt der Fokus im

Hinblick auf die zu erbringenden Betreuungsleistungen eher auf Krankheit. Im

Fairkaufhaus scheinen sich Klientinnen und Klienten subjektiv mehr in der Schwebe zu

befinden zwischen betrieblichem Arbeitsalltag und betreuender Institution. Das ist

Chance und Risiko in einem. Ein Interview mit Volker Schröder, Geschäftsführer der

Ginko Berlin gGmbH Gesellschaft zur Integration und Kooperation – Die

Brücke/DRK Spandau sollte Aufschluss über Situation und Perspektiven des

Fairkaufhauses aus Sicht der Geschäftsführung bringen.

2.2.8 Interview mit Ginko Berlin gGmbH Geschäftsführer Volker Schröder

Das Interview mit Volker Schröder fand in der Geschäftsstelle des Trägers in seinem

Büro statt, eng getimt zwischen diversen Terminen. In der gebotenen Kürze versuchte

ich herauszufinden, welchen Erfolg, welche Wirkungen das Fairkaufhaus aus seiner

Sicht bisher hat, wie er die Kernideen des Fairkaufhauses formulieren würde, deren

praktische Umsetzung und die Gründe dafür, die Eintrittsschwelle für Klientinnen und

Klienten niedrig zu halten; ich fragte nach Grenzen der Teilhabefähigkeit, der

Gewichtung sozialer Unterstützung im Verhältnis zu ökonomischen Erfordernissen,

dem Qualifizierungspotential innerhalb des Fairkaufhauses, nach Kundenorientierung

und Marktnähe, Nachhaltigkeit, Kooperationen, Perspektiven und wünschenswerter

Unterstützung. (Transkript im Anhang)

Volker Schröder ist der „sicheren Überzeugung“, dass der „Bereich Arbeit für

psychisch kranke Menschen in den letzten zwanzig Jahren deutlich zu wenig beachtet

worden“ ist. Gründe sieht er in einer nicht zu Ende geführten Enthospitalisierung, die

neue (betreute) Wohnformen mit sich gebracht, die Notwendigkeit einer „sinnstiftenden

Tätigkeit“ aber vernachlässigt hat. Den „eigentlichen Wert“, das, was aus seiner Sicht

mit dem Fairkaufhaus erreicht werden soll, „möglichst individuelle

Beschäftigungsmöglichkeiten“, sowie „ein breites Spektrum .. an unterschiedlichen

Tätigkeiten“, sieht er „aktuell ... für dreiundvierzig Menschen“ geschaffen. Später im

Gespräch betont er die Qualifizierungsmöglichkeiten für die Beschäftigten: „Nicht jeder

kann kommen, wann er will, sondern das ist Teil dieser Qualifizierung, dieses

Qualifizierungsansatzes. Die Menschen wissen .. , wann sie gebraucht werden und wann

sie da sein sollen. ... dieses Unterscheiden zwischen Arbeit und Freizeit wieder als

erlebbare Dimension des Lebens, .. der Kontakt und .. die

Problemlösungsnotwendigkeiten in der Gruppe, sowohl im Team als auch in der

Gesamtgruppe. ... Das Sich-wieder-Einfinden in das Bewältigen von Aufträgen ... sind

2 Das Forschungsanliegen 93

die Hauptqualifizierungspunkte, die da aus meiner Sicht bei den Klienten im ganz

großen Umfang erfolgreich angegangen werden.“ Im Hinblick darauf habe man „aus

gutem Grund eine Fifty-Fifty-Personalbesetzung zwischen sozialarbeiterisch und

ergotherapeutisch ausgebildeten Mitarbeitern und Fachmitarbeitern ... gewählt“.

Nach der Umsetzung des Konzepts in die Praxis befragt, betont Volker Schröder

gleichermaßen, „das grundsätzliche Konzept funktioniert und (betont) die

Detailprobleme, die jeden Tag eine Rolle spielen, sind mindestens genauso groß wie

erwartet“.

Die besonders niedrige Schwelle, im Fairkaufhaus zu arbeiten, gebe es, im

Unterschied zu den für psychisch kranke Menschen überwiegend angebotenen

Werkstätten für behinderte Menschen, deshalb, weil „die Eingangsvoraussetzung,

mindestens dreißig, in Ausnahmefällen vielleicht auch zwanzig Stunden (Arbeit pro

Woche; KO.) für unseren Personenkreis aus meiner Sicht eine zu hohe (ist). Und das

war der Grund, warum wir gesagt haben, da muss etwas anderes her“. Volker Schröder

ist „fest davon überzeugt“, dass die im Fairkaufhaus Beschäftigten ihre Tätigkeit als

ihren Arbeitsplatz begreifen, „mit allen Identifikationsmöglichkeiten“, auch wenn das

Fairkaufhaus „keine Integrationsfirma im klassischen Sinne ist und die Plätze nicht vom

Integrationssamt gefördert werden“, es also auch keine Arbeitsverträge gibt. Eine untere

Grenze der Teilhabefähigkeit mag Schröder nicht nennen; er definiert die

auftauchenden Probleme mit besonders schwierigen Klientinnen und Klienten als „Teil

der Alltagsprobleme“, bestätigt die Herausforderung, mit dem vorhandenen

Personalschlüssel Organisation und Betreuung zu leisten, bekräftigt jedoch im Hinblick

auf die Anzahl der Beschäftigten, die betreut werden kann, der Aufwand lohne sich „an

der Stelle“.

Durch die „Kooperation mit dem Kreisverband (dem DRK Kreisverband Spandau;

KO.)“ sei durch die „Form“ des Fairkaufhauses aber noch ein anderes Ziel intendiert,

nämlich „möglichst viele Menschen mit dem Angebot zu erreichen, die sich sonst diese

Dinge nicht leisten könnten“. Damit meint Volker Schröder, dass „Ersatzbeschaffungen

heute nicht mehr sozialhilfefähig sind“ und „dadurch immer mehr Menschen in immer

schlechteren Wohnverhältnissen leben“. (Dies betrifft Möbel, Geräte und Bekleidung.)

Von, so Volker Schröder, „industriell“ betriebenen „Altkleider-

Vermarktungsstrategien“, setze sich das Fairkaufhaus jedoch „ganz bewusst“ ab.

Nachhaltigkeit verstehe er nicht nur als verlängerte Lebensdauer von Sachen und

Gegenständen, sondern man habe von Anfang an beabsichtigt, „mit dem Konzept so

2 Das Forschungsanliegen 94

seriös und plausibel umzugehen, dass wir eine nachhaltige Projektentwicklung

versuchen wollten sicherzustellen“.

Kooperationen gab und gibt es, wie Volker Schröder bestätigt, sei es als

„Anschubfinanzierung der Aktion Mensch, ... mit einem großen Berliner

Entsorgungsunternehmen, ... mit der EFIBA, dem ... Unternehmen, das die

Altkleiderweiterverwertung für das Deutsche Rote Kreuz übernimmt ... und durch

Berliner Kaufhäuser, die uns Einrichtungsgegenstände überlassen haben in der

Aufbauphase“. Richtungsweisend sei „die besondere Kooperation mit dem Roten

Kreuz“ speziell im Hinblick auf die Klientel psychisch kranker Menschen, die hier in

anderen Marktsegmenten stattfinde als den im SGB II vorgesehenen, meist

Mehraufwandsentschädigungs-Maßnahmen. Eine Übertragung des Konzepts in andere

Berliner Bezirke sei, „wenn wir unsere Prozesse alle gut im Griff haben“, durchaus

denkbar, sei es als ein „Franchise-System“ oder als „Kooperationsvereinbarung ... um

bestimmte Synergien zu nutzen“.

Angesprochen auf die ökonomische Sicherung des Betriebs, wird deutlich, dass

Kostenübernahmen doch ein heikler Punkt sind, auch wenn „das andere Konzept, ...

alle Sachkosten über die Verkäufe (zu) realisieren“, bereits aufgehe: „Es wird jetzt in der

nächsten Zeit sehr viel davon abhängen, ob es in diesem und mit den anderen Bezirken

gelingt, die Kostenübernahmekriterien für die Betreuungsaufwände vernünftig

hinzubekommen.“ Da gebe es „immer wieder und immer wieder neu Hakelungen und

unnötige Probleme, weil das Kaufhaus, so wie es funktioniert, nämlich, dass dort

stellvertretend Leistungen für andere vertragliche Leistungserbringer erbracht werden,

die dann von den andern Leistungserbringern bei Ginko und bei der Brücke in

Rechnung gestellt werden“, offenbar gewisse Verständigungsschwierigkeiten bei Stellen

und Ämtern bereite. Weil dadurch unnötig Arbeitskraft im Fairkaufhaus gebunden

werde, denke er darüber nach, eine „vertragliche Finanzierungsschiene, keine

Zuwendungsschiene“ aufzubauen. Bei einer Rückfrage zur Finanzierung, Tage nach

dem Interview, wurde deutlich, dass ein angrenzender Bezirk, aus dem einige

Klientinnen und Klienten kommen, sich aus grundsätzlichen Erwägungen neuerdings

weigere mitzufinanzieren. Dabei gehe es offenbar um Geld, um knappe Mittel. Die

Arbeit des Fairkaufhauses als solche werde überall anerkannt.

2 Das Forschungsanliegen 95

2.3 Vergleich der Interviews mit den Beschäftigten

Erstaunlich oft tauchte in den Interviews mit Klientinnen und Klienten ein Wort auf,

das in Schilderungen aus regulären Arbeitszusammenhängen möglicherweise nicht so

oft aufgetaucht wäre; zumindest hat es mich etwas überrascht: Es ist das Wort „ich“,

das unangefochten Spitzenreiter ist (845 Nennungen). Überrascht hat mich auch die

geringe Nennung des Wortes Problem, Probleme. Es tauchte nur 15 Mal auf. „Wenn“

wurde am zweithäufigsten verwendet (177 Nennungen), danach folgte „Arbeit“ (67),

„arbeiten“ (61), „können“ (53), „würde“ (39), „vielleicht“ (35), „anders“ (33),

„eigentlich“ und „doch“ mit je 31 Nennungen. Offenbar haben meine

Interviewpartnerinnen und -partner tatsächlich viel über sich gesprochen, über

Probleme eher andeutungsweise und vermittelt. Dass es viel um „Arbeit, arbeiten“ geht,

überrascht nicht; eine gewisse Tendenz zum Konditionalen, Konjunktivischen und zu

dezenten Einwänden und Bekräftigungen („eigentlich“; „doch“) ist dabei erkennbar.

Damit soll nichts bewiesen werden. Es ergeben sich jedoch kleine Hinweise auf Themen

und Tendenzen, die ich im Folgenden untersuchen möchte.

Folgende Themengruppen scheinen mir in der Zusammenschau (nach Codierung)

der Interviews mit den Klientinnen und Klienten allen gemein, feststellbar und

belegfähig (die Unterschiede dürften in den Einzelauswertungen sichtbar geworden

sein):

a) Routine, Tagesablauf, Ordnung, Struktur, Regelmäßigkeit

b) Pausen, Zeit, selbstbestimmte Zeit, Entlastung

c) Leistung, Leistungsfähigkeit, Leistungsgrenzen, Kompetenzen, (Miss-)Erfolg

d) Lob, Anerkennung, Aufgabenzumessung, Wertschätzung

e) Gemeinschaft, soziale Regeln, soziale Unterstützung, Versorgung

f) Normalität, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz

g) Entertainment; Reden, Austausch, Ansprache, Aussprache

h) Gesundheit, Krankheit, Ressourcen, Limitierungen

i) Toleranz, Verständnis, Akzeptanz

Natürlich überschneiden sich manche Themen und lassen sich genauso gut als

Unterthemen anderer Themen darstellen, etwa Entlastung hinsichtlich Zeitautonomie,

Gesundheit oder sozialer Unterstützung; soziale Beziehungen am Arbeitsplatz können

unterhaltsam sein, und anderes mehr.

2 Das Forschungsanliegen 96

a) Routine, Tagesablauf, Ordnung, Struktur, Regelmäßigkeit

Ganz überwiegend wurde deutlich, obschon in unterschiedlicher Formulierung, mit

unterschiedlichem Gewicht, dass die Verankerung in Abläufen, Routinen, in

wiederkehrenden Vorgängen mindestens wichtig ist und im Einzelfall (für Herrn D.

etwa) oberste, existenzielle Priorität hat. Je nach Persönlichkeit gibt es hier

Unterthemen, die lauten könnten: Anleitung („ich mach das, was man mir sagt“; Herr

A., ähnlich Frau B.), Herausforderung („mach ich eigentlich nicht so gerne, aber ...“;

Frau C.), Handlungs- und Gestaltungsmacht („Wenn ich keine Arbeit habe, denn fühle

ich mich ... so hilflos und nutzlos und alles“; Herr D.), Langeweile begrenzen und

Grundorientierung erhalten (bei Herrn E.; Frau F.). Natürlich überschneidet sich dieser

Punkt zu einem Teil mit dem Wunsch nach ‚Entertainment’ (siehe da). Gemeinsam ist

auf einer basalen, funktional-rhythmischen Ebene der dringende Wunsch nach

Gliederung des sonst ungebärdigen, chaotischen Übergewichts an Zeit oder auch Leere

und dem Druck, diversen sozialen Bedrohungen zu entkommen, etwa der Angst, für

andere unwichtig, bedeutungslos zu sein. Man könnte es formulieren als das

Grundbedürfnis, dass Zeit nicht rein quantitativ, inhaltsleer, sondern qualitätsbestimmt

sein solle, und es sind soziale Qualitäten, die hier erwünscht sind, freilich in individueller

Abstufung.

b) Pausen, Zeit, selbstbestimmte Zeit, Entlastung

Pausenzeiten wären ohne Weiteres dem vorgegangenen Punkt zuzuordnen – wenn nicht

aus den Interviews häufig und prominent das dringende Bedürfnis herausgeklungen

hätte, geradezu die Notwendigkeit, Pausen nach eigenem Gut-Dünken zu machen – hier

mit Bindestrich, um zu die enge Verbindung der eigenen, von anderen akzeptierten

Einschätzung mit der Wahl von Anzahl und Dauer der Arbeitsunterbrechungen

deutlich zu machen. Das steht sicher in Kontrast zu manchen bisherigen

Arbeitsverhältnissen, sofern vorhanden, die Vortäuschen von Disziplin, Betriebsamkeit

und Belastbarkeit oft weit mehr prämiieren. Hier ist das weniger möglich. Es würde

schlicht auffallen und den eigenen Arbeitsplatz gefährden, ständig Krisen durch eigene

Überforderung zu produzieren. Auch achten die anleitenden Fachkräfte darauf, dass

solche Tendenzen bei Einzelnen nicht dominieren. Umso notwendiger ist es, in diesem

Punkt authentisch zu bleiben. Natürlich kann auch dieser Raum, der dem Einzelnen

gegeben wird, als Spielraum verstanden werden, bei dem die anderen Verlierer sind.

Hier lohnt es sich nachzulesen, wie etwa Herr D. damit umgeht, wenn andere ‚Versteck’

spielen, in seinen Augen also exzessiv pausieren. Das Fazit heißt, Auseinandersetzung

2 Das Forschungsanliegen 97

mit Einzelnen, in kleineren Arbeitsgruppen und in Gesamt-Arbeitsbesprechungen

reguliert auf der Basis von Selbstverantwortung und Authentizität solche Probleme.

Sanktionen wie Arbeitsplatzverlust (außer durch mit dem Arbeitsplatz unvereinbare,

heftige psychische Krisen) oder Abmahnungen bleiben aus; es gibt ja auch keine

Arbeitsverträge. Was riskiert wird, ist das gute oder erträgliche Einvernehmen mit

Arbeitskolleginnen und -kollegen und möglicherweise ein prüfendes Gespräch unter

vier Augen mit der Anleiterin, dem Anleiter oder der Gesamtleiterin, Frau Faensen.

c) Leistung, Leistungsfähigkeit und-grenzen, Kompetenzen, (Miss-)Erfolg

An dieser und der folgenden Themengruppe haben geschlechtsspezifische Einflüsse

sicherlich mehr Anteil als an den anderen, auch wenn diese hier mehr vermutet als

untersucht werden können. Meines Erachtens gibt es zwischen Leistung und

Anerkennung bei den befragten Frauen engere Wechselbeziehungen als bei den

Männern. Bei den Männern scheinen Leistungsfähigkeit und Kompetenz(en) eher an

Verantwortungsbereitschaft im Sinne von Aktiv-Zupacken-Können gekoppelt zu sein,

zuerst und vor allem bei schwerer, körperlicher Arbeit; clever zu sein geht auch, ist aber

mit weniger Anerkennung verbunden und hat bei mangelndem Erfolg schnell den Ruch

der Drückebergerei. Auch wenn bei zu viel körperlicher Anstrengung „der Spaß“

aufhört, wie bei Herrn E. und vermutlich auch bei dem eher schmächtigen Herrn A.,

(bei dem schwer zu entscheiden ist, ob er clever genug ist, zu wollen, aber nicht zu

‚dürfen’, weil andere kräftiger sind oder ob sich das ‚Wollen’ illusionär verselbständigt

hat), so ist doch Maßstab, ob ‚Mann’ sich dennoch aussetzt oder preisgibt, bis hin zum

‚Opfer’ der Gesundheit – weit mehr, als dies bei den Frauen der Fall ist. Diese knüpfen

Leistung mehr an Kooperation, gleichwertige, funktionierende Beziehungen, Ausdauer,

ihr emotionales Wohlbefinden, jemandem zu helfen oder Hilfe zu erwarten. Nachteile

gibt es dadurch auf beiden Seiten: Den Männern ist es nicht egal, wie sie bewertet

werden. Leistungsbewertungen werden eher (problematisch) stumm mit persönlicher

An- oder Aberkennung gleichgesetzt; Feinheiten gehen dadurch leicht verloren. Die

Frauen könnten vielleicht (noch) mehr, als sie selbst es für möglich halten oder glauben,

es für möglich halten zu dürfen. Das ist nun einige Deutung, eine Art Übersetzung

geschlechtsspezifischer Untertitel in den Interviews, freilich überprüft an den

Aufzeichnungen.

2 Das Forschungsanliegen 98

d) Lob, Anerkennung, Aufgabenzumessung, Wertschätzung

Einen Platz im Team haben, unentbehrlich sein, gebraucht werden (etwa Frau B.), eng

kooperieren und sich absprechen (Frau C.), empfänglich sein für „Lob“, sich viele

Gedanken machen um die Bewertungen durch andere (Frau F.), das sind traditionell

‚weibliche’ Themen. Nicht dass die Tradition hier zu bewerten wäre, sie findet sich

einfach in vielen kleinen Bemerkungen, Redeweisen (Bestätigung suchen, mehr in

Kontakt gehen), Gesten und eben Themen wieder. Das färbt die Bewertung der

Arbeitsleistung und schon die Erwartung solcher Bewertungen.

Die Redewendung „Loben kommt von oben“ scheint dagegen mehr auf die Männer

zuzutreffen, indem sie einen hier problematischen, hierarchischen Aspekt charakterisiert:

Herr D., der einfach ‚immer schon’ zu wissen scheint, was er leisten kann, und der nur

möchte, dass man ihn ‚machen’ lässt, Herr A., den es „immer ankotzt“, wenn „andere

Leute sind...“ (die ihm die Wurst von der Stulle ziehen, könnte man ergänzen), Herr E.,

der offenbar damit kämpft, dass er seine Stärken und Schwächen „nicht so kennt“, sich

möglicherweise nicht so kräftig, zäh, widerstandsfähig, robust und ausdauernd zeigen

kann, wie er das gerne hätte, andererseits dadurch imponiert, dass er klar und realistisch

benennt, was ihm bei seiner psychischen Erkrankung hilft („kleine Erfolgserlebnisse“) ...

Für die befragten Männer scheinen Aufgabenzugewinn und Arbeitserfolg eher ein

Hinweis auf Bewährung, auf Aufstiegschancen, also Statussymbol zu sein, die

Wertschätzung mithin in der Hierarchie am Arbeitsplatz verortet, bei den Frauen

winken eher verbesserte Beziehungen als eigentliche Leistungsprämie (Frau F.).

e) Gemeinschaft, soziale Regeln, soziale Unterstützung, Versorgung

Wie ein Abgleich dieser Themengruppe mit dem Interview mit Katrin Faensen, der

Leiterin des Fairkaufhauses, noch zeigen wird, sind hier viele Fragen berührt – das

Räderwerk des Fairkaufhauses, das heißt die organisatorischen Notwendigkeiten, das

Verhältnis von Individualität und Gemeinschaft, krankheitsbedingte Ausfälle und

Besonderheiten, Unterstützung hierin durch andere Beschäftigte, sowie durch die

anleitenden und betreuenden Fachkräfte, Versorgung mit sozialen ‚Basics’ wie

Aufmerksamkeit gegenüber Veränderungen von Personen und Verhältnissen,

Gerechtigkeit schaffen, Balance halten zwischen den unterschiedlichsten Ansprüchen,

damit insgesamt der Mikrokosmos Fairkaufhaus funktioniert – woran jeder Anteil hat.

Dafür gibt es soziale Regeln, die wichtig sind, weil sie immer wichtig sind, die sich jedoch

eher graduell, nicht grundsätzlich von denen ‚normaler’ Betriebe unterscheiden dürften,

2 Das Forschungsanliegen 99

ausgenommen, im positiven Sinn, einige ‚ungeschriebene Gesetze’ (dazu später); diese

regulieren die Temperatur des Umgangs miteinander auf eine spezifische Weise. Das

funktioniert auch anders herum: Herr A. ließ mit seinem Bekenntnis, auf ihn sei

„vielleicht nicht so Verlass“ durchblicken, dass er sehr wohl die sozialen Regeln am

Arbeitsplatz intus hat, gerade wenn er sich schämt, daraufhin angesprochen zu werden.

Insgesamt ist hier die soziale Gestalt angesprochen, wie sie durch die im

Fairkaufhaus Beschäftigten erkennbar und beschreibbar ist. Es gibt offenbar hoch

individuelle, von allen Befragten als eher zufriedenstellend erlebte Möglichkeiten,

Besonderheiten zu berücksichtigen. Keiner der Befragten äußerte grundsätzliches

Missfallen oder Missbehagen. Die fundamentalen Regeln, formuliert oder nicht, werden

offenbar nicht in Frage gestellt. So tauchte die Hausordnung in keinem Interview auf.

Dagegen fiel auf, dass jeder der Befragten seine persönliche Strategie entwickelt hat (und

diese aufrechterhält oder noch verfeinert), wie er oder sie mit Grenzen umgeht, die

nicht zu beeinflussen sind, der Tatsache nämlich, dass das Thema psychische

Erkrankung mit all seinen Facetten auch für die anderen Beschäftigten eine Rolle spielt.

Manchmal spielt es bei einem selbst oder bei anderen eine große Rolle, oder es gibt

allfällige, persönliche Dauerärgernisse, Divergenzen, Animositäten. Die Tagesform

eignet sich nicht immer gleich gut, mit den eigenen oder den Krisen anderer

umzugehen. Dann weicht man aus, zieht sich zurück, sucht das Gespräch mit einer

Fachkraft, legt eine Pause ein. Alle Befragten haben bestätigt, dass es ohne Weiteres

möglich sei, bei Bedarf mit den Fachkräften zu sprechen, um sich zu entlasten oder

etwas zu klären.

Die Toleranz gegenüber anderen dürfte hier höher liegen als im Durchschnitt, bei

gleichzeitiger Loyalität der Gemeinschaft gegenüber, die für einen auch da ist, wenn

man es selbst nötig hat. Sehr erstaunt hat mich Herr D., der trotz aller offensichtlichen

Kompetenzdifferenzen und subjektiv sicher berechtigten, wiederkehrenden Verärgerung

über die Unzulänglichkeiten von Kollegen, die gerade nicht zum Einsatz oder zur

Mitarbeit bereit oder fähig sind, diesen grundsätzlich viel Verständnis und Vertrauen

entgegen bringt. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Das muss man

den hier Beschäftigten nach meinem Eindruck nur selten sagen. Ein schwieriger Aspekt

scheint Versorgung bei gleichzeitig hohem Betreuungsbedarf zu sein. Es scheint einige

wenige Klientinnen und Klienten zu geben, die überdurchschnittlich intensiv versorgt

werden wollen oder müssen und die die heikle Frage nach ganz anderen Grenzen

aufwerfen, den personellen Grenzen des Fairkaufhauses.

2 Das Forschungsanliegen 100

f) Normalität, soziale Beziehungen am Arbeitsplatz

Das ist ein Punkt, der mich wirklich überrascht hat. Bei keinem der Befragten hatte ich

den Eindruck, dass ‚Normalität’ und soziale Beziehungen am Arbeitsplatz grundsätzlich

anders funktionierten als in anderen Betrieben. Eher fand ich ein gesteigertes, feines

Bewusstsein für übliche soziale Abläufe, einen wirklichen Common Sense, auch

hinsichtlich der Einschätzung von Freundschaften am Arbeitsplatz. Selbst Herr A. sah

hier völlig klar: „... es gibt immer welche, mit denen kann man gut (betont), mit den

anderen kann man eher nicht so gut.“ So oder ähnlich äußerten sich alle befragten

Klientinnen und Klienten. Meine Frage nach Gemeinsamkeiten mit beziehungsweise

Unterschieden zu den anderen Beschäftigten brachte zweierlei Strategien zutage: Die

einen nehmen das Fairkaufhaus so, wie es ist und betrachten es, mal freudig, mal

indifferent, mal eher resignativ als ihre Normalität, inklusive der Kolleginnen und

Kollegen, die man sich eben nie aussuchen kann, mit denen man aber teils auch reden

kann; das waren die weiblichen Befragten. Die anderen, die männlichen Befragten,

waren teils reserviert gegenüber einer zu tiefen Verpflichtung, hatten oder haben Pläne

oder hoffen auf noch ganz andere Möglichkeiten, zeigten sich aber einverstanden mit

der vorfindlichen Realität des Fairkaufhauses oder zumindest angepasst an sie.

Interessanterweise scheint es bei Gesprächen über die Erkrankung wiederum eher

weibliche und eher männliche Verhaltensweisen zu geben. Während Frau C. mit einer

Kollegin auch einmal über Medikamente spricht, setzt Herr A. sich von denen ab, die

„schlechter bestellt“ sind, weil sie „Tabletten nehmen“; Herr D. gibt, (erst) nachdem er

‚durch’ ist, auch Ratschläge.

Zum kleineren Teil gibt es Freundschaften am Arbeitsplatz. Fast alle sprachen aber

von einzelnen, eher als Kolleginnen oder Kollegen bezeichneten Personen, denen sie

sich näher fühlten als dem Gros, das sie mit mehr oder weniger Empathie oder Distanz,

teils als wirklich krank ihnen selbst gegenüber betrachten. Das halte ich indes für ein

Phänomen von geringer spezifischer Relevanz. In einem Unfallkrankenhaus etwa geht

es anderen stets noch schlechter, man möchte nicht in ihrer Haut stecken und auch

vielleicht nicht so viel zu tun haben mit ihrem Elend...

Insgesamt hörten die Beschreibungen des Fairkaufhauses sich für mich an wie

übliche Beschreibungen eines gewöhnlichen, in Fragen einer unausgesprochenen (aber

wohl ebenso verbindenden wie verbindlichen) Ethik eher ungewöhnlichen Arbeits-

platzes.

2 Das Forschungsanliegen 101

g) Entertainment; Reden, Austausch, Ansprache, Aussprache

Hier irritiert vielleicht der Begriff Entertainment, mit dem sich oft Anderes verbindet,

und näher liegt möglicherweise der Gedanke an soziale Beziehungen am Arbeitsplatz.

Ich habe diese jedoch bewusst von ‚Unterhaltung’ unterschieden, da mir im Lauf der

Untersuchung klar wurde, dass Unterhaltung, Anregung, Überraschungen, kleine

Ärgernisse und so weiter ein eigener, wichtiger Bereich im Fairkaufhaus sind. Allerdings

habe ich dafür den englischen Begriff Entertainment gewählt, da er einen doppelten Sinn

hat, was (um Vergebung!) ein Witz illustrieren soll:

Reminds me of a good Catholic joke we used to tell in former times... a

young man goes to confession and tells the priest, ‚I had impure thoughts...

five hundred times.’ The priest says, ‚Did you entertain them?’ The young

man says, ‚No, they entertained me!’ (Bill R.: http://www.blueoregon.com:

23.01.09)

Der anzügliche Aspekt ist hier nicht gemeint. Aber: Die sozialen Belastungen, die durch

die Krankheiten, Besonderheiten, Ausfälle und kleinen Verrücktheiten der anderen

entstehen, können einen, neben den eigenen Angewohnheiten, Schrullen und

Absonderlichkeiten (ggf. Symptomen), zwischenmenschlich ganz schön beschäftigen,

negativ und eben positiv, auch im Sinne von Innertainment (Unterhaltung, die im Kopf

entsteht), die wohl auch aktiv gesucht wird und schlicht bedeutet, dass

selbstverständlich auch in einem Betrieb für psychisch erkrankte Menschen Anregung

auf der Ebene von sozialen ‚Reflexen’ von grundlegender Bedeutung ist. Zuhause ist es

„langweilig“ (so zum Beispiel Herr E.). Konditionierte Reflexe verkümmern, wenn man

sie nicht unterhält. Das ist eine Erkenntnis, die ich vor allem Frau B. verdanke („besser

wie zu Hause rumsitzen“). Frau B. brachte mir überdies Aspekte von Resilienz ins

Bewusstsein, die in einem humorvollen Umgang mit den eigenen (begrenzten)

Möglichkeiten liegen: „Wir machen unsere Witze, arbeiten dabei.“ Aber auch jede Form

von Reden, Sprechen auf der Ebene von Smalltalk, Tratsch, einander zur Kenntnis

nehmen, sich gegeneinander abgrenzen durch kleine Gesten, Bemerkungen, Nähe- oder

Distanzsuche, Grüßen, in den Blick nehmen, kleinere Konflikte und die dazugehörigen

Klärungsversuche (bis zu einem gewissen Grad auch Aussprachen) möchte ich diesem

Themenfeld zuordnen, auch wenn dies nicht exakt den Transkripten zu entnehmen ist;

dies spiegeln jedenfalls auch meine Beobachtungen bei diversen Besuchen des

Fairkaufhauses wider.

2 Das Forschungsanliegen 102

h) Gesundheit, Krankheit, Ressourcen, Limitierungen

Wie zu erwarten, war das Thema Gesundheit für die Befragten von großer Bedeutung,

wenn es auch explizit wenig erwähnt wurde. Oftmals tauchten die beschriebenen,

konditionalen Zusammenhänge auf („wenn...“); natürlich wurde häufig von Arbeit

gesprochen; „vielleicht“ würden Dinge sich „doch“ anders entwickeln, „wenn...“, so in

etwa könnte man die Häufigkeiten paraphrasieren, sicher auch die beruflichen Wünsche

der Einzelnen, die wohl großenteils unerfüllt sind oder bleiben werden. Dazu passt, dass

die Begriffe Gesundheit und Krankheit (dieser etwas häufiger) wenig benutzt wurden.

Wenn es ohnehin schmerzlich ist, mit einer psychischen Erkrankung zu leben, sich

anderen kaum erklären zu können, stattdessen zusätzlich isoliert zu werden und darüber

hinaus auch keinen regulären Arbeitsplatz oder auch nur Minijob mehr zu bekommen,

auch wenn man ihn noch so gerne hätte und eigentlich auch dazu in der Lage wäre, dann

ist meines Erachtens nicht zu erwarten, dass die wunden Punkte gerne und in Fülle

offengelegt werden.

Andererseits finden sich sehr wohl starke Hinweise auf krank machende

Bedingungen an Arbeitsplätzen, darauf, dass kein Arbeitsplatz auch krank machen kann,

auf die folgenschwere Kränkung, dass Ressourcen bei den Menschen noch immer

vorhanden sind, aber gesellschaftlich nicht oder nie mehr wirklich abgerufen werden,

dass Limitierungen da sind, aber längst nicht in dem Maß, wie man sich das gemeinhin

vorstellen mag, dass im Gegenteil Limitierungen der Arbeitskraft von außen willkürlich

erscheinen (zum Beispiel Zuverdienstgrenzen) und die Betroffenen darunter leiden, in

einem Ausmaß als krank betrachtet zu werden, das ihnen nicht vernünftig erklärbar und

begründbar vorkommt, mit einem Wort, dass Stigmatisierungen vielfältigster Art die

Gesundheit ernsthaft beeinträchtigen und die Erkrankung verschlimmern, umgekehrt

soziale Unterstützung, (teils kleine) Verbesserungen am Arbeitsplatz Motivation und

Leistungserbringung deutlich erhöhen, Krankheiten vorbeugen oder direkt zur

Gesundheit beitragen können. Ich nenne (zum Teil erneut) die deutlichsten Hinweise:

– Nicht erkannte und/oder inadäquat behandelte soziale Ängste in der Ausbildung:

ich bin auch ... ich bin so ‘n Mensch, ich ... ich kann das nicht ab (lauter)

irgendwie geprüf-, äh Prüfungen. Irgendwie kann ich das nicht hier, *

irgendwie. * Ich kriege ja, weiß ich nicht, ich krieg irgendwie ‘ne Macke oder

keine Ahnung. Ich kann (betont) es nicht ab Prüfungen. (Herr A. freut sich,

dass es im Fairkaufhaus keine Prüfungen gibt.)

2 Das Forschungsanliegen 103

– Andere Tätigkeiten am Arbeitsplatz erhöhen die Zufriedenheit; auch einfache

Arbeitsplätze können abwechselnd gestaltet und Anreize gesetzt werden:

... wenn ich nicht stehen kann oder so, dann könnte ich auch mal oben die *

die Sachen auspreisen. Das werde ich auch zunächst auch mal probieren

(betont), das- mal- *2* für mich ein gutes Zeichen dann, * also die Sachen

aussortieren oder- ... Mal was anderes zu machen. So meine ich jetzt. (Frau

B. freut sich, dass es im Fairkaufhaus Abwechslung gibt.)

– Eine angemessen herausfordernde und Kompetenzen abrufende Tätigkeit bestätigt

die Selbstwirksamkeit, erhält die Handlungsfähigkeit und wirkt dadurch präventiv:

Nur wenn ich arbeite, hab ich gute Laune. (Frau C.)

– Eine als sinnvoll erlebte, regelmäßige Tätigkeit und das Gefühl, (noch oder wieder)

gebraucht zu werden, beugen Klinikaufenthalten wirksam vor:

... es gefällt mir sehr gut (betont) im Fairkaufhaus. Wie gesagt, früher denn

*2* hat man auch länger denn gelegen (betont), ne, und hat Fernsehen

geguckt und * und jetzt hat man eine Aufgabe, ne? Man muss aufstehen, zur

Arbeit ... Seit zwei, 2005 war ich das letzte Mal in der Klinik gewesen. (Frau

C. hat wieder in einen Lebens- und Arbeitsrhythmus gefunden)

Desgleichen Herr D.:

Dann sitze ich wenigstens nicht zu Hause rum und habe Langeweile.

Dadurch bin ich ja immer wieder in mein Krankheitsbild zurückgefallen.

Und dann laufend immer, ein halbes Jahr, dreiviertel Jahr im Krankenhaus

dann gewesen. Jetzt habe ich Beschäftigung ...

– Jemandem, der sein ganzes Leben lang gern gearbeitet hat, Arbeit zu verweigern, ist

bei weitgehend noch vorhandenen Fähigkeiten unmenschlich und gesundheitlich für

den Betreffenden höchst riskant:

Arbeiten tu ich auf jeden Fall. Aber *2* für mich ist es- ist- Hauptsache ich

kann arbeiten. * Muss nicht rumsitzen. * Und kann zeigen, ja, da, da wirst

du noch gebraucht, da * ist noch- der was gebrauchen kann oder helfen-

Hilfe braucht oder so. Ansonsten * würde ich wieder abfallen. Weil, das ist

für mich * das A und O. Ich hab mein Leben lang gearbeitet. Deswegen.

Und das werde ich immer weitermachen, solange ich noch kann. ... Wenn

ich keine Arbeit habe, denn * fühle ich mich nicht wohl. Fühle ich mich so

hilflos und nutzlos und alles. * Deswegen. (Herr D.)

2 Das Forschungsanliegen 104

– Fehlertoleranz und Gesprächsbereitschaft am Arbeitsplatz können einen hohen

gesundheitlichen Regulationswert haben:

Also *2* man kann mich schon ein bisschen einschätzen hier und ein

bisschen besser ... wenn ich mal auf hundertachtzig bin oder mal kurz- ...

Weil, ich habe jahrelang immer rein gefressen, rein gefressen und dadurch

bin ich ja krank geworden, weil ich nie was gesagt habe. Das musste man

eben erst lernen. Und das habe ich jetzt geschafft (betont) [Lacht]. (Herr D.)

– Ein motivierender Arbeitsplatz ist integraler Bestandteil der Behandlung psychischer

Erkrankungen und ermöglicht teils erst den Erfolg medikamentöser Behandlung:

Die Arbeit macht Spaß, die Kollegen sind alle nett. Und *2* ähm *2* für

mich ist die * Arb- gehört Arbeit mit zur Therapie. Weil Tabletten alleine

helfen nicht. Und die- Also die Tabletten, die Arbeit im Fairkaufhaus * ähm

*3* äh tut mir gut. Dadurch habe ich einen strukturierten Alltag. (Herr E.)

– Existentielle Bedrohungen sind keine Grundlage für berufliche Perspektiven:

jetzt habe ich eine Frist bis zum nächsten Jahr März bekommen, um zu

erkläre, warum ich keine richtige Arbeite habe. Weil- Sonst könnte es

passieren, dass ich abgeschoben werde. ... An dem Tag, wo ich dort war, *

da habe ich einen richtigen Schock bekommen. Ich hatte- Ich bekam

ziemliche Angst deswegen. (Herr E., in Deutschland seit seiner Geburt,

über einen Pflichttermin beim Ausländeramt)

– Soziale Anerkennung am Arbeitsplatz kann Leistungsbereitschaft und Zufriedenheit

auch bei Menschen mit geistiger Behinderung signifikant erhöhen:

I: Gibt’s da auch Anerkennung? Sagt man Ihnen, hast du gut

gemacht, so was in der # Ja, kriege ich# Art. Ja? Ist das wichtig?

IP: Ist wichtig. Ja. * Wie, * ich hab letztes Mal * angeblich lustlos

(betont) gearbeitet, was gar nicht stimmte. Ich hab’s jedenfalls

nicht mitbekommen. Und jetzt hab ich ein Lob bekommen. Ja.

I: Und ist das anders als jetzt in der °(Name der früheren Werkstatt)

oder was Sie sonst erlebt haben? Einfach die Anerkennung?

IP: Ja.

2 Das Forschungsanliegen 105

i) Toleranz, Verständnis, Akzeptanz

Das sind eigentlich Items, die quer zu den anderen verlaufen, so wie Kette und Schuss,

und Bestandteil jeder anderen Themengruppe sind. Ohne sie geht es nicht, sie ergeben

zusammengenommen ungefähr die ‚stille Ethik’ im Fairkaufhaus. Sei es, dass Herr A.

mit seiner leisen Nachfrage: „Wenn Sie das verstehen, wie ich das meine?“

widerspiegelt, dass er im Vertrauen auf Verständnis für sein Gefühl der Zurücksetzung

fragt, Frau B. freudestrahlend verkündet: „Sie wollen mich auch gar nicht mehr

hergeben!“, Frau C. von ‚ihrer’ Sozialarbeiterin den Tipp bekommt, sich

zurückzuziehen, wenn im Kollegenkreis gerade nur über Krankheit gesprochen wird, da

sie weiß, wie sehr Frau C. dadurch belastet wird, Herr D. einige turbulente Jahre in

Ginko-Projekten und jetzt im Fairkaufhaus hinsichtlich Konfliktbewältigung vielsagend

zusammenfasst: „Das musste man eben erst lernen. Und das habe ich jetzt geschafft!“,

Herr E. sich auf die Arbeit freut, „weil ich mich mit den Kollegen so gut verstehe und

alles so freundschaftlich abläuft“ und schließlich Frau F. feststellt, man habe

Verständnis, wenn sie einmal „schlecht gelaunt“ früher nach Hause gehe – es wird

deutlich, dass zur Toleranz seitens Fachkräften und Leitung, die sich offenbar auch auf

das Betriebsklima und den Umgang der Beschäftigten untereinander auswirkt,

Verständnis und schließlich Akzeptanz kommen.

2.4 Vergleich der Interviewgruppen Beschäftigte – Leitende

Die drei mit Abstand häufigsten Wörter in beiden Experteninterviews waren „wir“

(138), „nicht“ (132) und hier (111). Das entspricht in der Tendenz in etwa der

vorfindlichen Ethik („wir“), der Auseinandersetzung mit widrigen Umständen („nicht“),

dieses an einem bestimmten, sehr präsenten Ort („hier“). Man könnte annehmen, dass

die Perspektiven der Interviewgruppen von Grund auf verschieden sind. Indes

beschreibt schon die Worthäufigkeit eine Tendenz, die sich bei näherer Untersuchung

bestätigt, von Expertenseite am besten zu umschreiben mit dem Begriff Empathie.

Distanzierungen sind nicht zu erkennen, im Gegenteil eine hohe Bereitschaft, sich zu

fragen, in Frage stellen zu lassen und dies als Bestandteil der eigenen Arbeit zu begreifen

beziehungsweise zur bedarfs- und ressourcenorientierten Grundlage der Weiter-

entwicklung des Projektes zu machen. Außer Frage steht indes für Katrin Faensen und

Volker Schröder, dass die Beschäftigten sich an einem wirklichen Arbeitsplatz fühlen

und dass Nachhaltigkeit nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen sozialen

Aspekt hat, eine Frage von individuellen, vielfältigen Beschäftigungsangeboten ist und

2 Das Forschungsanliegen 106

zugleich einem gebrauchs- und erhaltungsorientierten, preiswerten Warenangebot für

Menschen mit geringem Einkommen dient.

Der ökologische Aspekt wird von den befragten Klientinnen und Klienten weniger

wahrgenommen. Für sie ist es eine Möglichkeit, preiswert an ihrem Arbeitsplatz

einzukaufen; die Tätigkeit steht bei allen im Vordergrund. Die Einschätzungen zum

Arbeitsplatz decken sich weitestgehend; die Begründung des Sinns der Arbeit wie von

Frau Faensen beschrieben, könnte auch von den Beschäftigten stammen, und

umgekehrt ist naheliegend, dass Frau Faensen den Aussagen der Beschäftigten

unmittelbar zustimmen würde. Hier ist eine gegenseitige Nähe gegeben, die nicht

selbstverständlich ist. Wie zu sehen war, differieren die Wahrnehmungen bei hohem

Betreuungsbedarf (Frau F.), was nicht weiter erstaunt. Die von Katrin Faensen

eingeräumte untere Grenze der Teilhabefähigkeit, für den Geschäftsführer, Volker

Schröder, Alltags- und Detailprobleme, nehmen die befragten Beschäftigten weniger

und eher indirekt wahr, etwa als Ärger über einzelne Kolleginnen oder Kollegen.

Andererseits profitieren natürlich einzelne Beschäftigte von der wirklich niedrigen

Schwelle, am Arbeitsleben im Fairkaufhaus teilzuhaben. So ist es im doppelten Sinne ein

praktisches Problem: vor Ort, in der Betreuung und konzeptuell, in der Vorhaltung

personeller Ressourcen. Von keiner Seite wird grundsätzlich in Frage gestellt, ob

Menschen mit exorbitant hohem Betreuungsbedarf über die Schwelle des

Fairkaufhauses treten dürfen, auch nicht von Beschäftigtenseite – im Gegenteil, alle

scheinen bereit zu sein, an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit zu gehen. Das kann

freilich in anderer Weise problematisch sein.

Große Übereinstimmung besteht auch im hohen Wert, der (Tages-)Abläufen,

Regelmäßigkeit und Strukturen zugemessen wird. Man hat den Eindruck, hier ziehen

alle am selben Strang. Ebenso ist die hohe Bedeutung von Pausen, Zeiten und

Gelegenheiten der Entlastung, des Rückzugs und des Ausscherens unumstritten. Die

unterschiedlichen Positionen innerhalb des Fairkaufhauses und der Aufgaben- und

Arbeitsgebiete, die Bandbreite an möglichen Beeinträchtigungen durch hoch variable

Auswirkungen der Erkrankungen und der dadurch verursachte Betreuungsbedarf der

Beschäftigten, erforderliche Interventionen seitens der Fachkräfte und gegebenenfalls

der Leitung, sowie organisatorische Notwendigkeiten bedingen, dass es dabei auch zu

Auseinandersetzungen kommt. Die Regeln, die dafür Geltung finden (müssen), sind bei

den Beschäftigten kein Gegenstand der Reflexion. Sie werden generell akzeptiert. Auf

Beschäftigtenseite stellen sich Konflikte und Probleme eher bedarfs- oder

bedürfnisbezogen dar, zu sehen in der hohen Bedeutung, die alle Befragten klärenden

Gesprächen, sozialer Unterstützung, Verständnis und Akzeptanz durch die Fachkräfte

2 Das Forschungsanliegen 107

zumessen. Dass fachlich gesehen der von Katrin Faensen genannte Bedarf an

Qualitätsmanagement, Leitfadenentwicklung und Ausdifferenzierung von Strukturen

und Warenwirtschaft besteht, findet auf Seiten der Beschäftigten (noch) keinen

Ausdruck. Offensichtlich aber gehen die Fachkräfte an die Grenze ihrer Belastbarkeit.

Auf den Aspekt des von mir so genannten ‚Entertainments’ näher einzugehen, würde

sich meines Erachtens aus zweierlei Gründen lohnen. Zum einen ist der

Motivationseffekt nicht zu verkennen, den ein in diesem Sinne munteres, ausgewogenes

Betriebsklima haben kann. Entsprechend demotivierend können gerade für die Klientel

psychisch beeinträchtigter Menschen unpassende Bedingungen oder (anderswo zu

vernachlässigende) atmosphärische Störungen am Arbeitsplatz sein. Nicht dass ich

annehme, dass die betreuenden und anleitenden Fachkräfte dafür keinen Blick hätten;

nach meinen Beobachtungen wird hier ebenso achtsam wie praktisch-vernünftig das

Tagesgeschäft gehandhabt. Mein zweites Argument ist, dass hier die Frage einer Ethik

der Umsetzung von Grundsätzen und Leitlinien berührt ist. Ich denke an ergänzende,

kreative Angebote, neben, zusätzlich und außerhalb der Arbeit. Es gibt für mich einfach

eine Reihe von Hinweisen aus den Interviews, wie hochgradig ansprechbar, aber auch

störanfällig die Beschäftigten durch soziale Mikrobewegungen, Anregungen und

Verhandlungen sein können. Die Frage der Finanzierung ist natürlich eine andere. Hier

allerdings wäre Ehrenamt unter Umständen sinnvoll. Vielleicht würde es auch schon

genügen, (Zeit-)Räume für spielerische, freizeitbezogene Aktivitäten zu eröffnen.

Im Wunsch nach angemessenen Leistungsmöglichkeiten besteht eine weitere, große

Übereinstimmung von Beschäftigten und Leitung. Die positiven gesundheitlichen und

gesundheitsförderlichen Auswirkungen einer sinnvollen, regelmäßigen Tätigkeit, die

Gewissheit eines Arbeitsplatzes, der damit verbundenen vitalen Anregungen und die

Erleichterung, das eigene Leistungsvermögen, die eigene Arbeitskraft einsetzen zu

können, werden von den Beschäftigten detailliert beschrieben und tendenziell sogar

noch höher eingeschätzt. Das ist von Seiten der Betroffenen klar und eindeutig

erkennbar.

3. Folgerungen 108

3. Folgerungen

Wie das Beispiel des Fairkaufhauses zeigt, stehen Leistungsbereitschaft, Motivation,

Arbeitsbefähigung, Arbeitsweise und Arbeitserfolg psychisch kranker Menschen denen

anderer gesellschaftlicher Gruppen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen prinzipiell

nicht nach. Die Betroffenen unterscheiden sich graduell, nicht kategorial von

Mitgliedern gesundheitlich anders oder nicht beeinträchtigter Gruppen. Nach Maßgabe

tatsächlicher psychischer und physischer Einschränkungen können Arbeitsangebote und

Belastungen am Arbeitsplatz auch in Arbeitsprojekten mit sehr niedrigen Schwellen und

Verpflichtungen wie dem Fairkaufhaus ohne immensen organisatorischen und

finanziellen Aufwand fachlich angepasst und gehandhabt werden. Die rehabilitativen,

therapeutischen und präventiven Effekte auf die von einer psychischen Erkrankung

betroffenen Beschäftigten sind signifikant. Klinikaufenthalte, Rezidive und

Chronifizierungen konnten im Einzelfall vermieden, reduziert oder gemildert werden.

3.1 Folgerungen, bezogen auf das Fairkaufhaus

(Noch) ohne es zu benennen, setzt das Fairkaufhaus wesentliche Elemente aus

Konzepten wie Social Support, Gesundheitsförderung und Sozialtherapie um (vgl.

Binner/Ortmann, in: Ortmann/Röh 2008: 75 ff) – teils mit Menschen, die in

Fachkreisen als „hard to reach“ gelten, insgesamt mit einer Gruppe von Menschen,

deren meist vorhandenen rehabilitativen Möglichkeiten, auf den Arbeitsmarkt bezogen,

vom Gesetzgeber limitiert und die in ihren lebensweltlichen Bezügen oft vielfach

stigmatisiert sind. Dies geschieht mit vergleichsweise geringen Mitteln, einiger

Kreativität und wohl auch unfreiwillig hohem bürokratischen Aufwand hinsichtlich der

notwendigen, da zuwendungsfinanzierten Kostenübernahmen. Meine Untersuchung

bestätigt in vollem Umfang den hohen individuellen und sozialen Wert von Arbeit,

einem Arbeitsplatz, einer sinnvollen, den Alltag strukturierenden Tätigkeit oder

zumindest einer sich wiederholenden, in einen sozial unterstützenden Kontext

eingebundenen Beschäftigung, auch und gerade für die Gruppe psychisch

beeinträchtigter Menschen. Einige Klientinnen und Klienten, die sozial bereits als

austherapiert und nur noch zu versorgen galten, haben das niedrigschwellige Angebot

ergriffen. Bei einigen ist vorstellbar, dass sie auf dem Ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß

fassen könnten. Für andere ist es die einzige Möglichkeit, dem Ziel einer Beschäftigung

wieder näher zu kommen.

3. Folgerungen 109

Der zweite Aspekt des Fairkaufhauses, Menschen mit geringem Einkommen am

Gedanken der Nachhaltigkeit orientierte, preiswerte und attraktive

Einkaufsmöglichkeiten in einem möglichst normalen Rahmen zu bieten, geht offenbar

auf. Auf die hier Beschäftigten bezogen, kann gegenüber den Kunden aufgrund des

einvernehmlichen Zwecks (auch die hier Beschäftigten profitieren von den geringen

Preisen und Zusatzrabatten) eher von Inklusion als von Integration gesprochen werden.

Ein Gefälle ist sicher noch vorhanden, aber mit dem betont ‚normalen’ Ansatz, dem

Verweben mit praktischen Anforderungen, die waren-, nicht krankheitsbezogen sind, ist

eine Angleichung wahrscheinlicher als mit gesetzlich geförderten Maßnahmen, die

deswegen oft scheitern oder erneut chronifizieren, weil sie mit speziellem, hoch

selektivem Zuschnitt gute Prognosen (Integrationserwartungen) der Förderfähigkeit

wegen festschreiben müssen und so ein Rezidiv erst hervorrufen. Das Fairkaufhaus hat

so eher die Chance, dem „Rehabilitationsparadoxon“ zu entkommen. (Vgl.

Zuverdiensthandbuch 2009: 4)

3.2 Folgerungen, bezogen auf die soziale Situation im Bezirk

Es fragt sich, ob die Strategie des Fairkaufhauses nicht in vielen Fällen im Bezirk (und

darüber hinaus!) der erfolgversprechendere Ansatz wäre. Das Angebot an Arbeits- und

Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klientel von Menschen mit psychischer

Erkrankung kann mit den bestehenden Zuverdienstprojekten, Werkstätten und

Einrichtungen nicht flächendeckend umgesetzt werden. Es passt auch längst nicht für

alle Betroffenen. Das Integrationsamt fördert über den Nachteilsausgleich (aufgrund der

„Minderleistung“) per angepasstem Arbeitsvertrag die Menschen, die das

„Rehabilitationsparadoxon“ aushalten und bereits ‚fit’ sind. Über eine aus formalen

Gründen eingeforderte Mindesteffektivität werden also unfreiwillig die weniger

‚zuverlässigen’, ‚disziplinierten’ oder eben berechenbaren Menschen, die dennoch auf

ihre Weise leistungsfähig und leistungsbereit sind, erneut stigmatisiert. Das hört sich ein

bisschen nach Köpenickiade an – umso unverständlicher, als eine bedarfsorientierte

Finanzierung (die allerdings zuverlässiger und schneller funktionieren müsste) nicht nur

erfolgversprechender, passender, ressourcenorientierter, sondern darüber hinaus auch

noch preiswerter ist, obschon man sich schämt, damit zu schachern. Der bestehende

Bedarf, die bestehenden Probleme können nicht wegkalkuliert, sondern nur formal

verschoben werden. Unauffindbar werden sie dadurch nicht. Flexibilität und

Versorgungsauftrag ließen sich indes mit Gewinn für alle Beteiligten koppeln.

3. Folgerungen 110

3.3 Folgerungen, bezogen auf die Fachdiskussion

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Integrationsfirmen e. V., Arbeitsgruppe Zuverdienst –

Niedrigschwellige Arbeitsangebote für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen,

hat jüngst ein „Zuverdiensthandbuch“ (BAGI 2009) herausgebracht, das Widersprüche,

(Fehl-)Entwicklungen und institutionelle Fallstricke von Integrationsfirmen beschreibt,

Position bezieht, Leistungsvereinbarungen in den Blick nimmt, juristische und

finanzielle Bedingungen erörtert und Musterkalkulationen vorstellt. Es ist die derzeit

aktuellste, praktischste systematische Zusammenstellung, die erhältlich ist und besticht

durch ihre pragmatische Grundhaltung: „Ein ‚Rezept’ haben wir nicht gefunden. Auch

muss vor Ort geklärt werden, was möglich ist und heftig mit den Leistungsträgern

verhandelt werden. Wir verstehen die Ergebnisse unserer Arbeit als Plattform der

weiteren Diskussion...“ (BAGI 2009: 2)

Auf die hier beispielhaft untersuchte Situation arbeitsbereiter Menschen mit einer

psychischen Erkrankung bezogen, sind die Autorinnen und Autoren (BLUM-LETTAU,

Ortrud; MEIERJOHANN, Claudia; RUFFERT, Lisa; SCHEYTT, Dieter; STORCK, Joachim;

ULRICH, Wolfgang), ähnlich dem Geschäftsführer des Fairkaufhauses, Volker Schröder,

der Meinung:

Trotz der Bedeutung von Arbeit hat die Entwicklung der Angebotsstruktur

zur beruflichen Integration von Menschen mit psychischen Erkrankungen

und Behinderungen mit der qualitativen und quantitativen Entwicklung der

Hilfesysteme in anderen Lebensbereichen (Wohnen, Freizeit,

Selbstversorgung etc.) nicht mithalten können. ... Gründe dafür sind, dass ...

kaum niederschwellige Angebote bestehen, die den besonderen

Bedürfnissen psychisch kranker Menschen entsprechen ... (BAGI 2009: 4)

Klar formulieren die Autorinnen und Autoren weiter: „Flexible, niederschwellige

Lösungen waren bislang von Leistungsträgern wenig gewollt und schon gar nicht

gefordert. ... Für die Leistungserbringer wiederum war es allemal einfacher und

lohnender ihre Angebote an den bestehenden, institutions- und maßnahmenbezogenen

leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen auszurichten.“ (Ebd.: 5) Es fehlt also nicht

das Geld, das fehlt immer, es fehlt der sozialpolitische Wille.

Zu beachten ist, dass sich das „Zuverdiensthandbuch“ am Gros der Projekte

ausrichtet, für die ökonomisch etwas strengere Anforderungen als die im Fairkaufhaus

gültigen beschrieben werden. Die Autorinnen und Autoren nennen folgende Kriterien:

3. Folgerungen 111

Es werden wirtschaftlich verwertbare Produkte oder Dienstleistungen

hergestellt bzw. erbracht. Mindestens die unmittelbaren Kosten der

Produktion bzw. der Dienstleistung und relevante Anteile der Entlohnung

der MitarbeiterInnen müssen erwirtschaftet werden. Der Erwerbscharakter

der Arbeit steht im Vordergrund. Die Qualität der Arbeit muss stimmen.

Die Entlohnung der Mitarbeiter ist gekoppelt an deren Arbeitsleistung

(Ebd.: 7)

So gesehen, wird erkennbar, dass das Fairkaufhaus die Schwelle noch niedriger gelegt

hat, als dies hier vorausgesetzt wird. Der Erwerbscharakter der Arbeit steht sicher bei

einem Teil der Beschäftigten im Fairkaufhaus im Vordergrund. (Über „gekoppelte

Entlohnung“ oder angemessene Bezahlung ließe sich dabei trefflich philosophieren.)

Die sozialen Effekte dürften indes bei einigen Beschäftigten überwiegen, auch oder

gerade dann, wenn sie der Meinung sind, sie gingen ‚normal’ zur Arbeit. Entscheidend

ist meines Erachtens, dass das von der Arbeitsgruppe Zuverdienst postulierte

„Normalisierungsprinzip“ (ebd.: 8) sich im Fairkaufhaus wiederfinden lässt. Indes

basiert es, wie gezeigt, eher umfassend auf Inklusion, nicht ‚nur’ auf „Integration in die

reale Arbeitswelt“ (ebd.). Indem es bewusst die Arbeitswelt übergreifende soziale Werte

schafft, weist das Fairkaufhaus über seinen Zuverdienstcharakter hinaus und wird das,

was deren Leiterin, Katrin Faensen, wie selbstverständlich von sich verlangt zu sein:

Vorbild.

3.4 Fazit

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich Menschen mit einer psychischen

Erkrankung für eine Gruppe von Personen halte, die das gleiche Recht auf Arbeit und

Ressourcen haben wie jeder andere auch, auch wenn ihnen dies gesellschaftlich nicht

und sozialrechtlich nur grundsätzlich, faktisch aber oft unüberwindbar verklausuliert

eingeräumt wird. Arbeitsgerechtigkeit, Teilhabemöglichkeiten können diesen Menschen

nicht vorenthalten werden, ohne dass die Gesamtgesellschaft, dass Kommunen, dass

Bezirke und Stadtteile sich selbst schaden. Wenn der Begriff Arbeit, so wie wir ihn

gemeinhin verwenden, die Gruppe der Menschen mit psychischen Erkrankungen

exkludiert, muss er revidiert werden. Auch wenn er bedingt für eine Integration taugt

und Rehabilitationsleistungen Menschen ermöglicht, die weniger vulnerabel sind, so

taugt er doch nicht dazu, Inklusion von Menschen mit weniger berechenbarer

Vulnerabilität zu ermöglichen. Arbeit, Leistung, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit

sind Ressourcen, die wir gleichberechtigt teilen, nicht privilegiert abteilen sollten. Für

3. Folgerungen 112

gesellschaftliche Ungleichgewichte gibt es keine medizinischen Gründe, wohl aber

soziale, ihnen zu begegnen. Zwischen Passung und Anpassung, zwischen Sachzwängen

und ökonomischer Fantasie, zwischen Selbstverantwortung und Fremdbestimmung gibt

es viele Möglichkeiten.

Literaturverzeichnis 113

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Anhang 117

Anhang

Eidesstattliche Erklärung 118

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass ich diese Masterthesis selbstständig ohne Hilfe

Dritter und ohne Benutzung anderer als der angegebenen Quellen und Hilfsmittel

verfasst habe. Alle den benutzten Quellen wörtlich oder sinngemäß entnommenen

Stellen sind als solche einzeln kenntlich gemacht.

Diese Arbeit ist bislang keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht

veröffentlicht worden.

Berlin, 26.01.09

Klaus Otto

Interview-Leitfaden 119

Interview-Leitfaden

– Begrüßung, Dank, Information über die Arbeit und das Interview und Erklärung

zum Datenschutz

– Wie gefällt es Ihnen im Fairkaufhaus?

– Gehen Sie gerne hin?

– Wie ist die Atmosphäre, wenn Sie zur Tür hereinkommen?

– Wie lange sind Sie dabei?

– Wie oft arbeiten Sie dort?

– Wie sind Sie zum Fairkaufhaus gekommen?

– Was war vorher?

– Ist es im Fairkaufhaus so, wie Sie es erwartet haben?

– Wie nutzen Sie das Fairkaufhaus?

– Finden Sie Ihre Interessen dort wieder?

– Können Sie sich mit Ihren Fähigkeiten dort (hier) einbringen?

– Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie dort (hier) tun?

– Würden Sie gerne noch was anderes tun?

– Können Sie sich vorstellen, in einigen Monaten/Jahren auch noch hier zu arbeiten?

– Optional: Möchten Sie gern in Ihren alten Beruf zurück?

– Optional: Möchten Sie gerne eine Umschulung machen?

– Optional: Würden Sie lieber gern im Zuverdienst arbeiten?

– Wie finden/empfinden Sie die Bezahlung?

– Würden Sie sagen," ich geh auf Arbeit", wenn Sie ins Fairkaufhaus gehen?

– Optional: Würden Sie sagen, das was ich dort mache, ist mein Beruf?

– Fühlen Sie sich wohl mit den Kolleginnen/Kollegen, die auch dort arbeiten?

– Gibt es Dinge, die Sie mit den Kolleginnen/Kollegen dort (hier) gemeinsam haben

oder sind die alle ganz anders gestrickt als Sie?

– Können Sie mit den Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeitern/der Leitung reden, wenn es

Probleme gibt?

– Gibt es etwas, was Sie gerne noch loswerden möchten, vielleicht zu den Mitarbeitern,

der Leitung, zum Ablauf, wie es dort (hier) zugeht?

– Noch maliger Dank, gute Wünsche und Verabschiedung

Transkripte 120

Transkripte

Transkriptionsregeln

Textverarbeitung: Word 2007 (kompatibel: Word 97-2003)

Schrift: Garamond 12

Rand: oben + unten: 2,5 cm; links: 3,5 cm; rechts: 3 cm

Zeilennummern: 5, 10, 15 etc. , jede Seite neu

Zeilenabstand: 1,5

Zeilenausrichtung: links

Seitenzahlen: oben rechts

Absatzformatierung: eingerückt 1 cm

Kopfzeile: Interview Code-Nr.

Interviewer: I:

Interviewpartner IP:

Verschriftung

Grundsätzlich wörtliche Transkription:

Die gesprochenen Worte werden in ein normales Schriftdeutsch übertragen. Dialekt wird ins

Hochdeutsche übertragen. Lautsprachliche Äußerungen wie "ähm" und "hm", die nicht direkt zum

Textinhalt gehören, werden weggelassen, so dass nach Transkription ein Protokoll des Inhalts in

bereinigtem bzw. angenähertem Schriftdeutsch vorliegt. Ein einleitendes „Hm, also...“ und Ähnliches,

ebenso Einschübe, z. B. „hab ich mich, äh, äh, angemeldet...“ u. ä. werden transkribiert.

Orthographie: bereinigt; Dialekt nur, wenn von Bedeutung

Interpunktion: konventionell

Pausen: * kurze Pause

*sec-Dauer* ab 1 sec (abschätzen)

Unverständliches: (Unverständlich)

Unsichere Transkription: (abc)

Laut: (mit Kommentar: laut, lauter, sehr laut)

Leise: (mit Kommentar: leise, leiser, sehr leise)

Betont: (mit Kommentar: betont, deutlich betont, sehr deutlich

Lacht: [Lacht]

Wortabbrüche: Abc-

Satzabbrüche: Abc-

Dehnung Vokale: „Jaa“=Ja (Beispiel)

Gleichzeitiges Sprechen: #abc#

Transkripte 121

Zahlen: ausgeschrieben; Jahreszahlen in Ziffern

Anonymisierung: Alle Namen mit °

(Vgl. Flick 2007: 382)

Transkripte 122

Interview-Transkript: Herr A.

I: So, Herr °, ich würde einfach gerne wissen, wie es Ihnen im Fairkaufhaus gefällt.

Na, vielleicht vorab kurz: Arbeiten Sie gerade dort, zurzeit?

IP: N- Nee, ich war- ich war die Woche nicht gewesen, nee.

I: Die Woche nicht.

IP: Also * vorher- ich war- Montag war ich da und Dienstag hatten wir ‘ne

Versammlung.

I: Mhm, mhm. Wann waren Sie denn zuletzt? #Und denn war ich#

IP: Also Montag * auf Arbeit und Dienstag #Dienstag dann, okay# die

Versammlung.

IP: Ja.

I: Also ungefähr eine Woche her, ein bisschen mehr, eineinhalb, ja?

IP: Na, jetzt, Mittwoch, Donnerstag, Freitag. Ja.

I: Ach so die gleiche Woche.

IP: War ich nicht. Ja, ja.

I: Gut. Ah ja, okay. Dann ist der Eindruck ja noch recht frisch.

IP: Mh.

I: Wie war’s denn *, das letzte Mal?

IP: *3* Äh *3* Montag, tja, *4*, ganz okay. Ich meine, hätte besser sein können.

I: Ja. Was hätte-

IP: Weil-

I: Ja?

IP: Ich bin hier für Transport ja zuständig, ja?

I: Ja. Ja.

IP: Aber wir haben halt auch immer nur- da können immer nur zwei Leute

mitfahren.

I: Mhm, mhm, mhm.

IP: Und das kotzt mich immer an, wenn andere Leute sind. #Mitfahren#

I: Das heißt, Sie konnten diesmal nicht mitfahren?

IP: Genau. So was- So was regt mich immer auf.

I: Okay. Ja.

IP: Das kotzt mich an.

I: Ja. Was haben Sie stattdessen gemacht?

IP: Jaa, ich hab *3* na so * andere Kleinigkeiten irgendwie. *4* Jaa. Was habe

gemacht? Na, mit nem andern Kollegen aus dem Laden haben wir halt so *5*

halt andere Sachen so kontrolliert und * repariert und- Ja, und dann, wenn’t allet

Transkripte 123

okay war, dann haben wir die in den Laden gebracht. Ich weiß es auch nicht, wie

ich das sagen soll.

I: Ja, ja. Gehört zu Ihren Aufgaben auch Aufbauen von Möbeln, so was? *3* Oder

was genau machen- #Ja, ja, ja#

IP: Ich * bin ja eigentlich auch- eigentlich ich mach das, was man mir sagt. Also ich

mach eigentlich alles. Ich meine, okay, es gibt auch andere Sachen, die kann ich

nicht machen, ja? Wie zum Beispiel Wäsche (betont) sortieren oder so.

I: Ja, ja,

IP: Weil das ist auch- da mit der Optik. Deswegen-

I: Ja, ja.

IP: Und- ja, okay. Ich meine, *3* Bügeln oder so mache ich auch nicht. Also das

geht eigentlich immer nur *2* um * Möbelschleppen * oder Aufbauen,

Abbauen.

I: Mhm. So körperliche Tätigkeiten? #Ja#

IP: Ja. Darum geht’s eigentlich Also ist natürlich-

I: Gut, Bügeln ist auch körperlich, aber ist nicht so Ihr Ding?

IP: Nein, auf keinen Fall. Das mache ja nicht mal zu Hause. [Lacht]

I: Okay. [Lacht]

IP: Ja. [Lacht] Ja, gut.

I: Mhm. Letztes Mal hat es Ihnen nicht so gefallen. Den Grund haben Sie gesagt.

IP: Montag. Jaaa.

I: Wie gefällt es Ihnen denn ansonsten so im Allgemeinen?

IP: *2* Auf Arbeit (lauter) gefällt mir schon da. #Mhm, mhm# Ja. Aber, wie gesagt,

* ist halt doch immer das Problem, weil- weil halt andere bevorzugt (betont)

werden, weil, die sind vielleicht ein bisschen kräftiger (deutlich betont) als ich, ja?

#Ja# Da ist ja klar, dass * die (betont) mitgenommen werden und nicht iche.

#Mhm, mhm# Wenn Sie das verstehen, wie ich das meine?

I: Ja. Ja. * #Tja. Ja-# Was würden Sie sich denn wünschen, was da anders sein

könnte bei dem Problem jetzt?

IP: *5* Tja. * Na, ja (lauter). *4* Dass ich halt vielleicht mitfahren kann. *2* Ja.

I: Dass Sie auf jeden Fall mitfahren können? Ist es das?

IP: Ja. *2* Ich meine, *3* darum habe ich* mich da ja angemeldet (betont). Bin ja

schon seit *2* seit 18.9. letztet Jahr, vier Tage nach der Eröffnung- #Mhm,

mhm# Seitdem bin ich da. Ja. Am Anfang ging’s ja auch.

I: Mhm, mhm. Und was ist jetzt anders im Vergleich zum Anfang?

IP: Ja, weil andere Leute kommen und weil die vielleicht kräftiger sind.

I: Mhm. Also es arbeiten mehr-

IP: Das ist meine (betont) Meinung.

Transkripte 124

I: Ja. Na, um die geht’s ja hier. #Mh# Klar. Jetzt arbeiten mehr Leute und das

heißt, dort gibt’s einfach auch mehr die für so ‘n Job zur Verfügung stehen, ja?

IP: Ja.

I: Mhm. Okay.

IP: Und außerdem, ja, okay, *3* vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich,

ähm, *2* halt *2* das- Wie nennt man dette? Äh, * kein Verlass so richtig auf

mich ist. Ja.

I: Mh.

IP: Auf mich ist vielleicht nicht so Verlass.

I: Ja. Sagen Sie das selbst oder wird Ihnen so was schon mal gesagt?

IP: *3* Ne. Hat mir noch keiner (betont) gesagt. Okay, die denken sich das vielleicht.

Aber, ne, sage ich von mir aus. Ja.

I: Ja. Ja.

IP: Ich meine, die denken das, #Mhm# schätze ich mal, aber gesagt haben sie es

noch nicht. #Ja. Okay# Das wäre noch schöner, wenn sie es sagen.

I: Ja. * Wie waren denn so Ihre Erwartungen #Mh, mh#, vier Tage nach der

Eröffnung, als Sie da zum ersten Mal hingegangen sind? Was haben Sie gedacht,

was wird Ihnen da so geboten, was können Sie da machen?

IP: *6* Pfff- Weiß ich jetzt nicht. * Kann ich nicht so sagen. * Ich meine, ich war

da- hier- ich war, ähm, *2* ich hab das hier auch hier * hier SPD, ja, in Spandau

hier irgendwo da. Sozialpsychiatrischer Dienst. #Ja# Die hatten #Ja# mir das

*2* gesagt damals.

I: Ja. Okay.

IP: Und deswegen bin ich einfach am achtzehnten dahin gegangen #Mhm# und

hab gesagt, ich möchte hier gerne arbeiten. Da haben die gesagt, was für ein

Bereich ich arbeiten möchte #Mhm, mhm# *2* Ja, und am nächsten Tag habe

ich da angefangen.

I: Mhm. Okay.

IP: Also ab achtzehnten.

I: Ja.

IP: Siebzehnten war ich dann da. Ja.

I: Ging’s Ihnen drum, einfach Arbeit zu finden, egal was das ist, oder haben Sie

sich gedacht, das ist jetzt was Spezielles?

IP: Ne, weil- ne, ich meine- *4* ne, wie gesagt, ich hab, ich meine- ich habe ja

gesagt, *3* ähm, * ich hab * gesagt, was ich, gerne machen möchte, was mich

interessiert, ja? #Mhm# Und * so wat * interessiert mich hier so

Möbelschleppen und so, ja?

I: Mhm. Ja.

Transkripte 125

IP: So was mach ich gerne.

I: Okay.

IP: Also hab ich denen das gesagt und- ja. #Mhm. Ja. Okay# Denn konnte ich da

anfangen. Also ich mach so was gerne.

I: Ja. Wenn ich jetzt sagen würde, Sie sind zufrieden, wenn Sie Möbel schleppen

können dort, wäre das richtig?

IP: *2* Ja, muss ja nicht Möbel sein.

I: Okay.

IP: Das ist dann vielleicht übertrieben. Aber, ich meine, kann auch Kisten oder, ach,

was weiß iche. Hauptsache so-

I: Also was hin- und her bewegen.

IP: Ja.

I: Was aufbauen, abbauen. Solche Dinge?

IP: Ja. Ja. Na ja, so- so ‘ne Art * Lagerist oder so was. So was hat mich schon immer

interessiert, ja?

I: Ja. Ja.

IP: Und so was mach ich immer total gerne (betont). Das ist schon seit *4*

Kindheitstagen. Ich hab damals ein Praktikum gemacht, Schülerpraktikum.

#Mhm# *2* Da war ich in so ‘n Extra-Supermarkt. Da habe ich auch Kisten

geschleppt und ausgepreist oder ausgepriesen. Weiß jetzt nicht.

I: # Ja.

IP: Ja. *2* Da habe ich da halt auch halt *2* viel geschleppt und Regal eingeräumt.

Also so was mach ich gerne.

I: Mhm. Mhm.

IP: So was gefällt mir.

I: Und kommt es jetzt Ihrer Vorstellung jetzt nahe, das Fairkaufhaus? Ist das so in

etwas das, was Sie erwartet haben, dass Sie dort, na ja, einfach so eine Art

Lagerist sind?

IP: Ja, ja. Nein, sonst wäre ich auch nicht mehr da.

I: Mhm. Okay, also Sie sind schon in gewisser Weise auch zufrieden?

IP: Ja.

I: Mhm.

IP: Und außerdem habe ich, ähm- *4* 98 war ich mit der Schule fertig, ja? Und

denn *4* es war also Juli 98 und denn *4* März 99 konnte ich erst mit meiner

Ausbildung anfangen. Habe da erst mal so ‘n Förderlehrgang für een Jahr und

dann * ein Jahr später Ausbildung. Und ich brauchte wat zur Überbrückung. *

Ja. * Und meine Mutter, ja, die hat da *2* hier, ähm, Beusselstraße gearbeitet in-

*

Transkripte 126

I: Großmarkt?

IP: Großmarkt. Das ist das, was mich auch interessiert. #Ja‘ Ne, jedenfalls- und da

*3* wollte sie sich gerne selbständig machen (lauter) und denn hat * sie sich

umgehört. Und, ja- und der hat mich denn eingestellt. Und denn konnte ich da

vier Monate arbeiten irgendwie. #Mhm, mhm# Da habe ich auch Kisten

geschleppt und umhergefahren mit so ‘ner Sackkarre und so.

I: Ja.

IP: Und das war wunderbar die Arbeit.

I: Mhm. Mhm.

IP: Wie gesagt, das ist das, was ich gerne mache.

I: Ja. Was war das für eine #[Lacht]#Ausbildung, die Sie da begonnen haben?

IP: Na die war- *3* Also die war unten hier im °, ja, Institut * als

Zierpflanzengärtner, #Mhm. Mhm# Bereich. Aber * leider * ohne Erfolg.

I: Haben Sie das abgebrochen?

IP: Hmmm, abgebrochen nicht, ne. Ich hab’s nicht geschafft.

I: Mhm.

IP: Ich hab- ich hab zwar alle Teile- ich hab alle Teile bestanden außer die

Mündliche. #Ja# Und wenn ich die Mündliche nicht habe, dann habe ich die

ganze Prüfung nicht bestanden. #Mhm. Mhm# Es geht eigentlich nur um die

Mündliche. #Mhm# Ansonsten habe ich alles geschafft.

I: Ja.

IP: Ja.

I: Und das war ärgerlich?

IP: Scheiße, wa?

I: Ja.

IP: Ja. Auf jeden Fall.

I: Mhm. Mhm. Würden Sie das denn gerne machen? Denken Sie manchmal dran,

dass Sie vielleicht jetzt schon gerne Ziergärtner wären?

IP: Ach, ne. Eigentlich ne. Hat mich sowieso nicht interessiert, der Job.

I: Mhm.

IP: Also, Zierpflanzengärtner hat mich nicht interessiert, ne?

I: Mhm.

IP: Aber ich hab mich trotzdem *3* dann * später rein gehangen. #Mhm, mhm#

Weil *3*, ich wollte (betont) ja die Prüfung schaffen.

I: Ja. Ja.

IP: Deswegen habe ich mich auch rein gehangen und denn später- #Mhm# Am

Anfang (lauter) war es mir vielleicht egal, ja? #Mhm# Aber irgendwann? Na ja,

ich hab’s ja fast geschafft.

Transkripte 127

I: Ja.

IP: Nur die Mündliche.

I: Ja.

IP: Weil, ich * kann ooch nich so *2* na ja, weil ich so reden kann, irgendwie.

I: Mhm. Im Fairkaufhaus gibt es keine Prüfungen. Kommt Ihnen das entgegen?

IP: *2* Ja. *2*

I: Mhm, mhm.

IP: Finde ich gut. *2* Weil *, ich bin auch- ich bin so ‘n Mensch, ich- ich kann es

nicht ab (lauter) irgendwie Prüf-, äh Prüfungen. Irgendwie kann ich das nicht

hier, * irgendwie. * Ich kriege da, weiß ich nicht, ich krieg irgendwie ‘ne Macke

oder keine Ahnung. Ich kann (betont) es nicht ab, Prüfungen. #Mhm. Mhm#

Ich meine *, gut, ja, gut, jetzt hatte ich ja nur *2* halt hier

Zierpflanzengärtnerprüfung. Vor allen Dingen hatte ich die ja oft genug- * Ich

hab die ja zweimal wiederholt oder so. #Mhm. Mhm# Aber ich war oft genug

*2* in der Prüfung.

I: Ja. Ja. Und fühlt sich das jetzt an im Fairkaufhaus? Ist das Ihr Arbeitsplatz?

IP: *5* Wie jetzt?

I: Na ja, man kennt ja Berufe aller Arten, ‘ne?

IP: Ich find das schön (betont) da.

I: Würden Sie sagen, ich gehe auf Arbeit, das ist mein Beruf?

IP: *8* [Trinkt] Das verstehe ich jetzt nicht ganz. [Lacht]

I: Na, sagen wir mal, wenn Sie Schreiner sind, dann gehen Sie morgens in die

Werkstatt. #Mh# Sie gehen auf Arbeit, Schreiner ist Ihr Beruf.

IP: Mhm.

I: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie jetzt so ‘ne Art Lagerist. Und das

ist jetzt meine Frage. Ist es für Sie so, ich bin Lagerist, geh auf Arbeit, wenn ich

ins Fairkaufhaus gehe. Ist das so?

IP: Ich find das schön (betont da).

I: Mhm.

IP: Na zum Beispiel, ich, ich, mh-

I: Ja, ist okay.

IP: Nein, ich find das schön. #Mhm#

I: Ja.

IP: Ich gehe gerne dahin.

I: Okay.

IP: Ja.

I: Wie ist das mit den Kollegen dort? Fühlen Sie sich wohl mit den Kollegen, die

auch dort arbeiten?

Transkripte 128

IP: *3* Tja. *3* Oahhh, es gibt einige, mit denen verstehe mich, ja.

I: Mhm.

IP: *4* Mh- (gedehnt) mit den rede ich aber eigentlich nur. Mit den andern rede ich

nicht.

I: Ja. Und ist es so im normalen Rahmen? Weil, es gibt ja immer welche, mit denen

kann man gut, mit den andern kann man eher nicht so gut.

IP: Ähm * und zwar *, ich meine, ich habe auch was mitgekriegt, ja, wenn die halt

zum Beispiel über mich reden (betont) und so. So was kriege ich mit. Oder, ich

meine, ich hab so was mitgekriegt und so was kann ich ja nicht ab. Denn kann

ich die Leute auch nicht leiden.

I: Ja. Das waren Kollegen dort?

IP: Ja. Dann sollen sie es- dann sollen sie es gefälligst draußen machen oder nach

Feierabend.

I: Mhm. *4* Konnten Sie das klären dann? Haben Sie die Kollegen drauf

angesprochen?

IP: Nein, hab ick nicht (leiser). Aber jedenfalls, tja, *2* das ist halt so (leise).

I: Ja.

IP: Ja. [Lacht]

I: Wie ist das mit den Mitarbeitern? Sind die ansprechbar für Sie, wenn Sie mal ein

Anliegen #Mitarbeiter?# haben, wenn’s Ihnen nicht so gut geht? Ja, die

Mitarbeiter und auch die Leitung. *2* Wie ist es da?

IP: *2* Na ja, einige, ja. Ja. Einige (lauter) Mitarbeiter. Nicht alle. Aber, wie gesagt,

*2* die, die halt- die über mich geredet haben oder irgendwie so, mit die rede ich

gar nicht. Ne.

I: Ja. Ich denke, das waren Kollegen?

IP: *2* Na, sind doch Mitarbeiter, oder? Oder?

I: Ja, sie sind natürlich auch Mitarbeiter, das stimmt, vom Fairkaufhaus, das ist klar.

Ich meine, dass die Leute dort, die Sozialarbeiter, es gibt ja einige Sozialarbeiter,

#Ach so, so die Chef und so# Sozialarbeiterinnen- Genau, und dann auch die

Chefin, die Frau o.

IP: Na, mit die (betont) *2*, ja, wenn ich was will, dann kann ich zu der hingehen. Ja.

I: Ja?

IP: Ja.

I: Mh. Okay. Gibt’s denn Dinge, wo Sie sagen, das habe ich mit den anderen, die

dort arbeiten, gemeinsam?

IP: *3* Dazu fällt mir nichts ein. Ne. * Keine (betont)Ahnung.

I: Mhm, mhm. Sind die alle ganz anders als Sie? So anders gestrickt, meine ich?

IP: *2* Ja. Pfff- *2* Ja, ich denke schon (betont).

Transkripte 129

I: Mhm, mhm.

IP: Ja, die sind halt anders.

I: Die sind anders. Mhm.

IP: Die haben halt auch andere Probleme (betont) als ich, #Ja# deswegen *6* mh,

sind die mir auch egal. Und ich weiß, dass die, ähm * schlechter bestellt sind als

iche. Also kann’s mir egal (betont) sein. #Mhm# Und dann *2* #Mhm, mhm#

sehe ich da drüber * #Ja# weg.

I: Ja. Ja.

IP: Aber trotzdem geht es mir oft- *3* oft an die Nieren. Ja.

I: Ja?

IP: Manchmal.

I: Das belastet Sie?

IP: Na, ich meine, wenn- * wenn man hier über mich schlecht redet.

I: Ach, das meinen Sie. Mhm. Aber wie die andern einfach so selber gestrickt sind?

IP: Ja, ich weiß das, dass die halt, ähm *2* schlimmer dran sind als ich.

I: Ja.

IP: *2* Ja, das weiß ick halt.

I: Okay.

IP: Und denn ist es mir natürlich egal (leiser). #Mhm, mhm# Und denn freu ick

mich. [Lacht] Weil # Das heißt# ich nicht so drauf bin. Genau.

I: Ja. Das heißt, Sie unterscheiden sich schon von den anderen?

IP: Ne, ich * ich muss ja keine Tabletten nehmen. #Mhm# Zum Beispiel.

I: Okay. Und die andern müssen das alle?

IP: Ja.

I: Mhm.

IP: Und ich war auch noch nie in der Nervenklinik oder so was.

I: Ja. Okay.

IP: Also *2* geht’s mir doch eigentlich besser (betont).

I: Mhm.

IP: [Lacht]

I: Okay. #Ja. [Trinkt]# Gibt es denn etwas, was Sie noch gerne loswerden

möchten zum Fairkaufhaus? Wie es dort zugeht, Ihre Kollegen, die obere Etage,

also Sozialarbeiterinnen, Chef, Chefin?

IP: Eigentlich * ist alles ganz okay (betont) da. Na, ick meine, das ist *3* jut, ähm

*5* manche Mitarbeiter hier, die, mhm- * Die haben- *3* Kann auch

vorkommen, dass die auch mal ‘nen schlechten Tag haben und so. Und dann

schnauzen sie einen voll (betont), aber * da steh ich auch drüber. Also, #Mhm#

Transkripte 130

*2* wenn denn- Wenn mich einer anschnauzt, ja, sage ich mal, dann schnauze

ihn auch an.

I: Mhm.

IP: Also ich hab damit kein Problem, also. * Pfff-

I: Okay. Das fällt jetzt nicht aus dem Rahmen, nein?

IP: Ne. Und wenn- Und wenn, dann doch, dann * gehe ich halt zum *2*

Mitarbeiter, irgendeiner von den Chefs da, da.

I: Ja.

IP: Und sag denen dann, dass, dass mir das nicht passt und so, ja? #Ja# Ansonsten-

*2* #Mhm# Kein Problem.

I: Mhm.

IP: Ja.

I: Können Sie sich denn vorstellen, da in einigen Monaten oder vielleicht sogar in

einigen Jahren auch noch zu arbeiten?

IP: *2* Was, beim Fairkaufhaus?

I: Ja.

IP: * Ich weiß ja gar nicht, ob ich da so lange * dableiben (betont) darf.

I: Wenn Sie dürfen?

IP: Ja. Ich meine, wenn ich jetzt nichts Besseres finden (betont) sollte. #Mhm# Weil,

ich hab mir ja so wat denn in Anspruch genommen oder, äh Angriff. Nicht in

Anspruch, in Angriff (betont) [Lacht].

I: Ja.

IP: *2* Dass ick mich irgendwo bewerbe. *2* #Schon was Konkretes?# Aber- Ja,

irgendwat mit Lager.

I: Mit Lager.

IP: Oder vielleicht so ‘ne Fortbildung vom Arbeitsamt oder so.

I: Mhm, mhm.

IP: Halt ooch, dass halt man ein bisschen mehr Geld kriegt.

I: Ja. Stört Sie das, dass Sie da eben recht wenig Geld bekommen?

IP: Jaaa. Ich hätte gerne mehr * als nur achtzig * oder neunzig Euro oder hundert.

I: Im Monat?

IP: Mhm. Okay. Ich meine, dafür müsste ick ooch, ähm, jeden Tag arbeiten gehen.

Vier Stunden am Tag. * #Mhm, mhm# Mache ick ja eh nich.

I: Mhm.

IP: Ich glaube, letzten Monat war ick fünf Tage.

I: Ja. Ja.

IP: Gut, da ging’s mir auch nicht so gut, ja. Am An- (sehr laut) #(Unverständlich)#

Tschuldigung, am Anfang *2* letztes Jahr, da, * da war ich * ja, da war ick * oft

Transkripte 131

(betont)- #Mhm# Gut, da waren auch die andern Typen noch nicht da, ja? *2*

Und da hatte ick * über siebzig Euro (betont). * Und jetzt komme ich höchstens

auf zwanzig (betont) Euro. #Mhm, mhm# Von mir aus dreißig. Keine Ahnung.

#Mhm, mhm# Ja.

I: Ja.

IP: Det wollt ick so (leise).

I: Also wenn es sich ergibt, wenn Ihnen das gelingt, dann würden Sie gerne

irgendwo im Lager arbeiten, gern ein bisschen mehr arbeiten und auch mehr

Geld bekommen?

IP: Jaa. Oder ‘ne Fortbildung. Ja. Genau.

I: Okay.

IP: So, wie mein Kumpel macht.

I: Ja.

IP: Da kann ich doch auch rüber, zweihundert Euro oder so.

I: Ja. *2* Sollte das nicht klappen, wär’s für Sie eine Möglichkeit, weiter im

Fairkaufhaus zu arbeiten?

IP: Jaja. Ja. * Ich meine, ich bin auch gerne da. So ist es ja nicht.

I: Mhm. * Wie ist denn so die Atmosphäre dort für Sie, wenn man reinkommt, wie

fühlt sich das an?

IP: Ach eigentlich- ne, die sind alle schon ganz schön nett.

I: Mhm.

IP: Auf jeden Fall.

I: Mhm, mhm.

IP: Und, wie gesagt, ich kenne auch da * also zwei drei Leute, mit den * besseren-

mit den hab ich besseren Kontakt- *2* #Ja# So.

I: Okay. Herr ° ich danke Ihnen sehr.

Transkripte 132

Interview-Transkript: Frau B.

IP: Die Arbeit, die macht mir sehr Spaß.

I: Ja.

IP: Bügeln und Stehen. Manchmal mach ich Pause. Und wenn ich- Wenn- wenn mir

die Füße qualmen, dann setzt ich mich erst mal zehn Minuten hin (betont). Und

* denn unterhalt ich mir mit die Kollegen so. Und dann fragen sie mir, wie die

Arbeit schmeckt. Sage ich, gut.

I: Ja?

IP: Ja, die schmeckt sehr gut. Aber auch ein bisschen anstrengend. Aber *2* ich

bin’s schon gewohnt [betont]

I: Seit wann sind Sie denn dabei?

IP: Seit * seiiit * warte mal *3* seit *3* April oder so.

I: Seit April?

IP: So April, Mai.

I: Ah ja.

IP: Also bald zwei Jahre da drinne. Also *3*-

I: Na, zwei Jahre nicht ganz. Ein Jahr besteht das jetzt, glaube ich.

IP: Ja, ein *2* ein- wären dieses Jahr zwei.

I: Ja. Genau.

IP: Aber sonst macht mir die Arbeit * wunder [betont]* bar Spaß. Sie sind mir

zufrieden (betont). Und dann fragen sie, ob- * ob da- ob ich da stehen kann oder

so, sage ich, ja (betont). Das geht.

I: Also man geht auf Sie ein? Man fragt nach, was ist?

IP: Ja.

I: Verstehe ich Sie da richtig, ja?

IP: Ja. Das geht wunderbar. Versteh mir mit meinen Kollegen sehr gut.

I: Die Kollegen, sind die wichtig?

IP: Auch (betont). Die Kollegen sind auch wichtig.

I: Auch. Okay.

IP: Ja.

I: Was ist denn am wichtigsten im Fairkaufhaus für Sie?

IP: Ähm, dass man Unterhaltung hat.

I: Ja.

IP: Und dass man *3*, mh, die Sachen aufhängt. Das macht Spaß (leise).

I: Ja. Also Ihre Tätigkeit dort?

IP: Die Tätigkeit macht mir sehr *3* Spaß.

I: Sie sind bei der, verstehe ich es richtig, Wäschepflege, oder was ist das genau?

Transkripte 133

IP: Das ist in ° straße, da beim Bügeln so.

I: Beim Bügeln?

IP: Bügeln. Oder ich mache noch Sortierung mit.

I: Ja. Ist es das, was Sie gerne machen?

IP: Ja (laut). Das mach ich gern.

I: Okay. Also keine anderen Wünsche?

IP: Nee, nur Bügeln und-

I: Das ist es genau, ja?

IP: Ja (laut). Bügeln mache ich gerne (leise).

I: Wie ist es denn für Sie so, wenn Sie reinkommen ins Fairkaufhaus? Wie ist die

Atmosphäre, wie sind die Mitarbeiter dort?

IP: Sehr gut. Sie sind sehr lieb zu mir und fragen auch immer, ob es- ob- ob mir die

Arbeit gefällt. Sage ich, ja (laut). Das ist okay. Ich komme mit den Kollegen klar.

I: Und wenn’s mal ((Telefon klingelt)) irgendein Problem gibt.

IP: Dann geht man zum- zum Chef, ähm *2* ((Telefon klingelt)) zum Chef da- zum

Chef oder zu einer Verkäuferin und so ((Telefon klingelt)), wenn’s mal viel wird.

I: Und können Sie dann so ein Problem auch richtig besprechen, ist das möglich?

IP: Ja. ((Telefon klingelt)).

I: Kann gelöst werden?

IP: Kann gelöst werden. Wenn mir das zu viel wird, dann muss ich auch Bescheid

sagen. Aber bis jetzt war es noch nicht so viel.

I: Wenn Ihnen die Arbeit zu viel wird oder ein bestimmtes Problem?

IP: Nee, wenn mir die Arbeit (betont) zu viel wird. Dann kann ich Bescheid sagen.

I: Ja.

IP: Dann geht es auch. Aber-

I: Wie oft gehen Sie denn hin pro Woche?

IP: Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag. Mitunter werd’ ich auch

Sonnabend gebraucht, manchmal auch.

I: Ja?

IP: Aber nicht jeden Sonnabend. * Wenn mal wirklich ((Telefon klingelt)) aus-

I: *10* Diese Telefone, gut. Meins hat sich auch gleich ausgeklingelt. *10*

IP: Mh. ((Telefon klingelt))

I: Wie sind Sie denn zum Fairkaufhaus gekommen?

IP: Ähm, zu dem Fairkaufhaus *- Da habe ich mir das angeguckt (betont) erst mal,

bin ich dahingegangen.

I: Auf Empfehlung? Wie haben Sie davon erfahren?

IP: Durch o. o hat mich dahin gebracht. Und # Frau °?# hat mir das- Ja. Und hat

gesagt, ich sollte mir das mal angucken.

Transkripte 134

I: Ja.

IP: Und dann bin ich hingegangen und da hab- hat’s mir gleich gefallen. Gleich am

Anfang #Auf Anhieb?#

IP: Anhieb, #Ja?# ja.

I: Also fanden Sie die Atmosphäre-

IP: Sehr gut.

I: Sehr gut, ja?

IP: Hm. Sehr gut.

I: Okay. * Mhm. *3* Gut. Ihre Aufgaben dort haben wir schon besprochen oder

gibt’s noch was zu ergänzen? Sie bügeln-

IP: Bügeln und Zusammenlegen, alles. Wäsche- * Was Sommersachen in Kartons

und so.

I: Also auch einsortieren?

IP: Einsortieren die Sachen * für Sommer und Winter.

I: Okay.

IP: Ja. Manchmal #Aussortieren auch?#. Aussortieren manchmal mach ich auch-

Ähm, * wenn meine Kollegen das waschen, dann mach ich das in den Trockner

(laut) rein und denn * wird das aussortiert und denn wird’s gebügelt.

I: Ja, ja. Okay. *5* Wir unterbrechen jetzt mal ganz kurz, weil die Frau o- ((3

Minuten Unterbrechung für ein Bürotelefonat)) So, Frau o, wir machen weiter

nach der kurzen Unterbrechung durch das Telefonat.

IP: Ja.

I: Sie haben schon gesprochen über das Fairkaufhaus, dass es Ihnen dort sehr

gefällt.

IP: Ja.

I: Finden Sie denn Ihre ganzen Interessen dort wieder oder könnten Sie sich auch

noch was anderes vorstellen, was Sie dort machen. #Ich könnte auch was

anderes machen. Also wenn man *2* Auspreisen zum Beispiel, den *2* den-

Wenn man auspreisen tut-#

I: Die Wäsche ausbreiten?

IP: Ja. Das könnte ich auch machen.

I: Ja.

IP: Und dann könnte ich alles zusammenlegen.

I: Das würden Sie auch gerne mal tun?

IP: Das mach ich auch.

I: Hm.

IP: Das würde ich auch fertig kriegen. Also sie sind mit mir sehr zufrieden.

Transkripte 135

I: Ja. Können Sie das sagen, dass Sie auch mal gerne was anderes tun würden,

#Jaa#. Geht das? Ja? Und hört man dann auf Sie, oder?

IP: Ja.

I: Ja, doch.

IP: Ich würde alles machen, wenn meine Chefin- Verkäuferin sagt, Frau o, Sie

können auch mal was anderes. Würde ich auch machen.

I: Ja. Das ist das eine.

IP: Also ich lehne nix ab.

I: Das andere ist ja, dass Sie sagen würden, jetzt möchte ich aber mal gerne

Wäsche ausbreiten.

IP: Ja. Würde #Statt bügeln# würde ich auch- würde ich auch.

I: Das können Sie auch sagen?

IP: Ja.

I: Ja?

IP: Oder wenn- wenn ich nicht stehen kann oder so, dann könnte ich auch mal

oben die * die Sachen auspreisen. Das werde ich auch zu- * nächst auch mal

probieren (betont), das mal *2* für mich ein gutes Zeichen dann, * also die Sachen

aussortieren oder-

I: Warum ist das ein gutes Zeichen?

IP: Mal was anderes zu machen. So meine ich jetzt.

I: Ah ja, gut. Und Sie freuen sich, dass das möglich ist?

IP: Ja.

I: Ja.

IP: Bin sehr zufrieden.

I: Mhm. Also ist das Fairkaufhaus so, wie Sie es erwartet haben?

IP: Ja (laut).

I: Ja?

IP: Sehr gut.

I: Konnten Sie überhaupt irgendwas erwarten? Sie kannten es ja gar nicht. Sie

wussten ja gar nicht, was auf Sie zukommt?

IP: Nee, das hab ich ja erst (betont) zu erfahren bekommen.

I: Ja. Was haben Sie sich denn so gedacht, was das ist, was die da so machen?

IP: Erst mal, wo *, äh, wo wir da angefangen (betont) haben, haben wir erst mal *

auch Fenster putzen müssen.

I: Ja, ja.

IP: Haben wir- Da war ich auch bei beim Putzen. Beim Malern war ich bei. * Ah ja,

da sah das aus wie Kraut und Rübe, da hab ich auch geholfen beim Malern, beim

Saubermachen, alles.

Transkripte 136

I: Sie haben sich einfach rein gestürzt in die Arbeit?

IP: Ja.

I: Haben Sie gedacht, da kommt noch was anderes?

IP: Na ja, so- so hab ich mir festgestellt, ja? Aber * am Anfang gemalert und

saubergemacht. Jeder (laut) hat was zu tun gehabt, gewischt mal. Äh, also es war

mein Hobby. [Lacht]

I: Ja.

IP: Jaha. [Lacht]

I: Und hat Sie das gestört, dass am Anfang so ein bisschen Aufbauarbeit #Nö#

war.

IP: Nö, hat mir überhaupt (betont) nicht gestört. Ich hab- ich hab mich gefreut, dass

ich Arbeit (betont) hatte.

I: Okay. Ist denn das so was wie ein Beruf, was Sie da jetzt machen, für Sie?

IP: Sehr gut. Also *2* so, dass man unter- unter Leute ist. Also das ist für physisch

(sic!) Kranke doch, so, also-

I: Gut, das ist ja auch denkbar, dass man ein Hinzuverdienst macht, oder?

IP: Ja. So eine Art- #Einfach in einem Beruf arbeitet, oder stundenweise# Ja, so- so

was ist es.

I: Das ist für Sie vergleichbar?

IP: Ja.

I: Hm.

IP: So gut.

I: Und was ist denn der Unterschied zwischen, sagen wir mal, Fairkaufhaus und

Zuverdienst?

IP: Ist doch ein bisschen Unterschied. Das ist ein Kaufhaus (betont) und das ist ein

Zuverdienst (betont), ein bisschen anders.

I: Was genau ist das anders?

IP: Bloß dass das ein Kaufhaus (betont) ist und das andere ist, ähm, Zuverdienst, wo

* wo man *3* alles Mögliche so, komm ich jetzt nicht so-, äh, machen kann, so

abziehen und so (leise).

I: Und was ist Ihnen lieber.

IP: Im Kaufhaus (laut).

I: Im Kaufhaus. [Lacht]

IP: Kaufhaus. Sie wollen mich auch gar nicht mehr hergeben (laut).

I: Aha, aha.

IP: Hab zwar immer zu meiner Verkäuferin so im Spaß jetzt, ich geh jetzt, wa? Und

da sagt sie, nein, du bleibst hier, Frau o.

I: Ja. [Lacht]

Transkripte 137

IP: Nee, weil ich so die Sachen sehr gut mache, Bügeln und so.

I: Ja, ja.

IP: Also sie sind mit mir * sehr (betont) zufrieden. Also die wollen mich nicht mehr

hergeben.

I: Wie ist das mit der Bezahlung? Sie bekommen ja doch- Ja, ein bisschen was

bekommt man.

IP: Ja.

I: Nicht sehr viel. Spielt das eine große Rolle?

IP: Nee. Für mich schon nicht. Manchmal * bin ich zufrieden. Und dann gibt’s ein

Gutschein.

I: Hm. Also Ihnen fehlt nichts?

IP: Nee. Mir fehlt gar (betont) nix. * So, dass ich Beschäftigung habe, besser wie zu

Hause rumsitzen.

I: Ja. Na klar. Waren Sie denn früher mal in einem Beruf tätig?

IP: Jaaa. Da war ich * auch mal *2* in andern, ähm, * in Wedding.

I: In Wedding?

IP: Hab ich da drei- fast 30 Jahre (betont) gearbeitet.

I: Was haben Sie da gemacht?

IP: In Lebensmittelabteilung hatte ich gearbeitet und auch Metall (betont) und * alles

Mögliche.

I: Und was war das genau, was Sie dort getan haben?

IP: Äh, Lebensmittelabteilung im Wedding.

I: Im Wedding.

IP: Mh.

I: War es ein Lebensmittelgeschäft?

IP: Nee, das war erst unten Lebensmittel, und denn ist es nachher oben da *2*

zweiten Stock so, war Metall und so.

I: Ja. Ach so. [GERÄUSCH, jemand schaut zur Tür herein, kurzer Dialog

(unverständlich)]

IP: Das war gut.

I: Mh. *10* Gut. Also ich setze dann noch mal an. Sie würden also sagen, ich gehe

ins Fairkaufhaus, ich gehe auf Arbeit?

IP: Ja.

I: Ja? Das ist für Sie so, ich gehe auf Arbeit, wenn Sie dort hingehen #Ja, das ist

für mich okay# Gut.

IP: Sehr gut (leise).

I: Sie haben jetzt schon einiges erzählt, was ich so in meinem Fragenkatalog mir

auch schon notiert habe.

Transkripte 138

IP: Mh.

I: Kommen wir vielleicht noch mal auf die Sozialarbeiter dort, auf die Leitung.

Kommen sie mit denen zurecht?

IP: Ja (laut). Ich komme mit alle klar. Also wenn ich- #Sie haben auch schon gesagt,

wenn irgendwas ist, kann ich das besprechen# Dann kann ich zu meiner *

Verkäuferin, sind ja drei Stück, kann ich hin. Wenn ich irgendein Problem hab,

kann ich auch hingehen, sage, das kann ich nicht, dann * mach ich was anderes

(leise). Also bis jetzt bin ich ganz schön- Habe ich immer Bescheid gesagt, wenn

irgendwas ist. Also sind mit mir sehr zufrieden.

I: Gibt’s denn so Dinge, die mit Ihren Kollegen, Kolleginnen dort gemeinsam

haben?

IP: Jaaa. Wir unterhalten uns viel.

I: Ja?

IP: Wir kommen auch gut aus.

I: Haben Sie gemeinsame Themen?

IP: Mh?

I: haben Sie gemeinsame Themen, dass Sie über ähnliche Dinge * gerne sprechen?

IP: Jaa.

I: Oder ist das verschieden einfach?

IP: Ist verschieden so. Verschiedene Sachen manchmal. * Also ich komm mit die

Kollegen klar. Wir machen dann Witze (betont).

I: Ja, ja.

IP: Ja, das macht-

I: Wie würden Sie das beschreiben das Verhältnis zu Ihren Kollegen und

Kolleginnen? *4* Ist das gut?

IP: Ist gut.

I: Ist gut.

IP: Also, ich komm mit allen Kollegen * gut aus.

I: Mhm. Okay. Mhm. Die sind also alle so ein bisschen ähnlich wie Sie?

IP: Hm?

I: Sind die alle so ein bisschen ähnlich wie Sie?

IP: Jaa.

I: Oder gibt’s da auch welche, die völlig anders sind, und wo Sie denken #Nööö,

alle so#, mit dem oder mit der #Nee. Die ham alle so ne so *2* so eine- so

einmal wie ich- [Lacht]# kann ich eigentlich gar nicht so sprechen * Was haben

Sie, Entschuldigung?

IP: Die ham auch so was wie ich so, dass detselbe

I: Aha. Okay. Okay

Transkripte 139

IP: *5* Ich komm sehr gut mit die aus. (leise). Also, * ich bin wie (Unverständlich)

mit die Kollegen. Wir machen unsere Witze, arbeiten dabei. * Das ist immer-

I: Hm.

IP: Hm?

I: Mhm. Mhm. Gibt’s dann, also können Sie sich vorstellen, dass Sie in einigen

Monaten oder vielleicht sogar in einigen Jahren dort auch noch arbeiten?

IP: Jaaa.

I: Ja?

IP: Ja.

I: Das ist so was, wo Sie sagen, da bleib ich dabei?

IP: Ja, ich bleib dabei. [Lacht]Ich will gar nicht mehr da weg.

I: Gar nicht besser vorstellbar, ne?

IP: Nee, ich möchte da * in dem Kaufhaus bleiben. Bleibe ich auch.

I: Okay. *3* Gibt es dann etwas zum Fairkaufhaus, was Sie noch gerne sagen

würden, was für Sie dort was Besonderes ist oder * was vielleicht nur auf Sie

zutrifft?

IP: Hmmm. *2* Hm. * Nichts weiter so.

I: gibt’s irgendwelche Dinge, über die Sie sich auch schon mal geärgert haben?

IP: Nö. Ich hab nicht überhaupt noch nicht geärgert.

I: Noch kein einziges Mal? #Gar-#

IP: Nein (betont) . Ich komm da klar. Also ich brauch mich da rumärgern. Wenn mir

irgendwas nicht passen würde, würde ich allen die Meinungen sagen, und denn

ist gut. Aber bei mir ist so was nicht drinne. Also * keine passende Antwort oder

so gibt es bei mir nicht.

I: Das heißt, Sie sind einfach schlagfertig oder Sie sagen gleich-

IP: Ich sag das so, wie es ist dann.

I: Ja.

IP: Also *2* gutes Herz.[Lacht]

I: Das kriegen Sie dann auch so raus und die andern hören das. Und dann #Ja# *

ist wieder gut.

IP: Ja. Ja, ich sag es so, wie das ist.

I: Mhm. Mhm, mhm. Hatten andere schon mal Ärger mit Ihnen?

IP: Nö. Gar keiner (laut).

I: Keiner?

IP: Keiner (laut).

I: Dann sind sie ja so was wie der Sonnenschein des Betriebs?

IP: Ja! [Lacht]

I: Mhm.

Transkripte 140

IP: [Trinkt] So ist das.

I: *3* Jaa, Frau °

IP: Bin auch beliebt, überall.

I: Mhm. Ist das wichtig für Sie, dass Sie beliebt sind?

IP: Jaa (laut). Sehr gut sogar.

I: Und ist es etwas, was Sie dort *2* auch hält?

IP: Ja, das hält mich sehr fit. Muss ich sagen.

I: Das hält Sie fit. Und ist es vielleicht auch ein Grund, dass Sie sagen, na, da

möchte ich aber bleiben?

IP: Ja.

I: Ja?

IP: Das ist es.

I: Das ist einfach wichtig für Sie?

IP: Ja. Das ist für mich sehr wichtig.

I: Wenn’s nun eine andere Tätigkeit wäre, die Ihnen vielleicht nicht so gut gefällt,

aber alles andere wäre gleich?

IP: Ja, das wäre mir alles gleich.

I: Das wäre Ihnen egal?

IP: Ja.

I: Also, Hauptsache, Sie kommen dort gut aus?

IP: Ja.

I: Sie können mit denen dort sprechen. #Ja# Sie haben ihren Platz.

IP: Ja.

I: Also so habe ich Sie verstanden.

IP: Ja.

I: Sie haben dort Ihren Platz. #Mh# Es geht Ihnen gut dort und es gibt überhaupt

keinen Grund, dass Sie woandershin #Nee# möchten.

IP: Sind alle mit mir zufrieden.

I: Hm.

IP: Auch der Herr ° ist mit mir * zufrieden.

I: Wer bitte?

IP: Hier- von- Herr ° und Herr-

I: Ach, der Herr °?

IP: Ja, der ist mit mir sehr zufrieden.

I: Das sind die Geschäftsführer. Haben Sie mit den beiden schon mal persönlich

gesprochen? Bei der Eröffnung, oder-

IP: Jaaa (betont). Na, guten Tag, und guten Weg!

I: Ja?

Transkripte 141

IP: Ja.

I: Lassen die sich manchmal blicken?

IP: Ja, manchmal im Kaufhaus. Wenn sie Zeit haben, kommen sie * öfters mal

vorbei. Das machen Sie.

I: Ja, und-

IP: Und dann fragt er immer, na, Frau o, wie geht’s denn. Sag ich, sehr gut.

I: Aha. Und wie finden Sie das, dass der Geschäftsführer Sie mal fragt, wie es

Ihnen geht?

IP: Sehr gut. * Find ich sehr toll.

I: Wäre das woanders auch so? Was glauben Sie?

IP: Ähhh, ich glaube nicht so. [Lacht]

I: Also ist das Fairkaufhaus schon was #Besonderes# #Für mich ist es was

Besonderes# Ehrlich. Sehr gute Sachen.

I: Ja, es gibt ja auch andere Projekte, wo man manchmal arbeiten könnte, ‘ne?

IP: Mh. Aber (betont) ich hab mich entschieden, dazubleiben.

I: Das war richtig ‚ne Entscheidung von Ihnen? Und die haben Sie schon früh

getroffen?

IP: Ja. Sogar o hat gesagt, Mann, o, bist Spitze.

I: Na, Mensch.

IP: Sogar o hat mich gelobt schon. Sogar die andere o.

I: Ja. #Mhm# Das freut ein’ doch.

IP: Ja, ja. Das freut mich wirklich, #Ja, na klar# dass es so geklappt hat.

I: Was würden Sie machen, wenn’s das Fairkaufhaus nicht gäbe?

IP: *3* Ähhhm, *4* denn * müsste ich mich mit abfinden. Aber ich kann (betont) es

nicht.

I: Sie können sich gar nicht mehr vorstellen, dass es das nicht gibt, nein?

IP: Nee. Könnte mir nicht mehr ohne das Kaufhaus vorstellen. Weil ick mir so

eingearbeitet hab, dass ich da jar nicht mehr weg will.

I: Ja, Sie gehen ja auch oft hin.

IP: Ja. Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag, vier Tage in der Woche.

I: Ja. Und wenn Sie mal krank sind, ist das ein Problem?

IP: Denn ruf ich an. Aber das ist bei mir. #Sie rufen einfach an# Aber das ist bei

mir ganz selten, dass ich krank bin. Überhaupt nicht. Ha’ ick jesacht, wenn ick

krank bin, nee, was soll ich zu Hause sitzen, ich geh was arbeiten. * So ist es.

I: Mhm, wenn’s einem gut gefällt, dann geht man auch gerne hin und möchte,

wenn man krank ist, auch möglichst bald wieder hin.

IP: Na ja, klar, #Mhm, mhm# so ungefähr ist es. #Mhm, mhm# So ungefähr ist es.

Transkripte 142

I: Gut, ich frag Sie noch mal, Frau o, möchten Sie noch irgendwas sagen zum

Fairkaufhaus, zu den Mitarbeitern, Kollegen, Kolleginnen, zur Leitung, Frau o-

#Frau o-# Deshalb frage ich Sie noch mal. Genau.

IP: Frau o ist sehr nett und lieb zu mir immer. #Ja# Und dann fragt sie immer, wie

es mir geht, ob es mir gut geht. Sage ich, ja (betont), mir geht’s gut, Frau o.

Denn- denn wird sie mich immer sagen, ist ja gut, machen Sie weiter so, Frau o.

I: Mhm, mhm. Und wie ist das Verhältnis. Sie ist ja Chefin dort. Das wird sich

#Das Verhältnis ist zu uns sehr gut. Also sehr *- ich bin sehr zufrieden mit ihr.

Auch mit die anderen#

I: Mh.

IP: Sind alle drei. * Alle drei sehr lieb. * #Mhm, mhm# Also, ich mach keine

Unterschiede. * Alle lieb zu mir.

I: Ja. Ja. Okay. Gut Frau o, dann danke ich Ihnen sehr herzlich für Ihre Mitarbeit

hier.

IP: Ja.

I: Ja?

IP: Mhm.

I: Und dann schalte ich das Gerät jetzt ab.

Transkripte 143

Interview-Transkript: Frau C.

I: Also, Frau o, ich bedanke mich bei Ihnen schon mal sehr herzlich, dass Sie das

mitmachen. #Mhm# Wie ich gesagt habe, das geht um eine wissenschaftliche

Abschlussarbeit. #Ja# Alles, was sie sagen, wird nicht weitergegeben, #Mhm#

wird anonym verwendet, ja?

IP: Mhm. Gut.

I: Und Sie brauchen keine Sorge haben, dass das in falsche Hände gerät.

IP: Okay. Alles klar.

I: Mhm Ich fang einfach mal damit an zu fragen, wie es Ihnen im Fairkaufhaus

gefällt?

IP: Sehr gut. Gefällt mir gut, ja. *2* Doch, man ist so, man hat eine Aufgabe, ne?

#Mhm# Also ist ja so ähnlich wie im Arbeitsleben denn. #Mhm# Man muss ja

frühmorgens raus, ne, und dann zur Arbeit. * Das ist schon ganz gut so. Dann

kommt man wieder ein bisschen ins Arbeitsleben rein denn #Mhm#, ne?

#Mhm, mhm# Gefällt mir gut im Fairkaufhaus.

I: Sie gehen also gerne hier #Ja# her?

IP: Mh. #Mhm# Ich geh gerne hierhin.

I: Wie ist es, wenn Sie zur Tür reinkommen? Wie ist die Atmosphäre für Sie?

IP: Nett, ja. * Komm in die Tür rein und denn * sind die Kollegen da, auch oben in

der Küche denn. #Mhm, mhm# Denn halten wir ein kleines Schwätzchen, dann

trinken wir ein Kaffee oder rauchen eine denn, ne? #Ja# Ist nett, die

Atmosphäre.

I: Ja.

IP: Mh.

I: Ja. Ja. Okay. Wie lange sind Sie jetzt dabei?

IP: Ein Jahr.

I: Mhm. Fast von Anfang an.

IP: Von Anfang an #Von Anfang an#, ja. Da war der Laden noch gar nicht fertig

gewesen. #Ja# Da mussten wir dann alles machen, bügeln, Wäsche machen

#Mhm# und *2*, ja, mitgeholfen denn-

I: Das heißt, Sie haben hier richtig mit Aufbauarbeit #Ja, richtig# geleistet.

IP: Ich bin mit die Erste gewesen, die mit dabei war #Mhm, mhm# denn.

I: Eine Pionierin.

IP: [LACHT].

I: Wie sind Sie denn zum Fairkaufhaus gekommen?

IP: Durch Die Brücke. Da hatten wir mal so * eine Informationsveranstaltung,

#Mhm# glaube ich, #Mhm, mhm# war das. * Und durch meine

Transkripte 144

Sozialarbeiterin, die hat auch gesagt, Mensch, und Verkauf, und das wäre doch

was für Sie und so. #Ja# Weil, ich hab ja früher auch im Verkauf gearbeitet,

Textilbranche, #Mhm, mhm# und das wär schon- würde sie gut finden, wenn

ich jetzt hier arbeiten würde denn.

I: Ah ja. Mhm, mhm. Sie haben gerade gesagt, Sie haben vorher im Textilbereich

gearbeitet. #Ja# Was haben Sie da genau gemacht?

IP: Bei (Früherer Arbeitgeber). #Ja# Kennen Sie das?

I: Ja.

IP: Da habe ich gearbeitet. Ja. * Also auch im Verkauf (betont) #Ja# und denn *

#Mhm# Pullover eingeordnet. Im Lager habe ich auch gearbeitet. Die Sachen

aufgefüllt und *3* ja *2* Kunden bedient

I: Mhm, mhm. *2* Was gehört hier zu Ihren Aufgaben?

I: Ich (betont), preise aus. Mhm. Ich mach die Preise, weil ich ja jetzt durch

(Früherer Arbeitgeber) so ein bisschen die Preise kenne, auch jetzt zum Beispiel

bei Markensachen oder #Mhm# so, ne, dass ich denn die Preise mache denn.

#Mhm, mhm# Dafür bin ich verantwortlich.

I: Ja.

IP: Mh.

I: Was gehört alles dazu?

IP: Da gehört auch dazu, also erst mal auspreisen #Mhm# und denn * auch die

Sachen einhängen #Mhm, mhm#. Aber man muss auch halt genau wissen jetzt,

* diese Firma, diese Firma, diese Firma (jeweils betont), weil es gibt #Mhm# auch

teure Sachen #ja# und mittlere Sachen und dann die billigen Sachen, ne? Dass

man sich so ein bisschen mit Marken auskennt.

I: Okay.

IP: Wenn jetzt irgendwie, weiß ich nicht, von (Markenname) oder so ein Hemd

#Mhm, Mhm# reinkommt denn #Mhm#, dass man es dann höher * auspreisen

muss und so, ne?

I: Schätzen Sie die Preise ein?

IP: Ja.

I: Oder wer macht das?

IP: Mh. Ich und eine Kollegin. * Und auch um die Preise dann zu vergleichen,

gehen wir dann immer montags #mhm, mhm# von hier aus * #Mhm# Preise

vergleichen in den Arkaden, #Mhm, mhm# damit wir so wissen, die Firma hat

die (betont) Preise, (Markenname) oder (Markenname) hat die (betont) Preise.

Damit wir denn so ungefähr so #Mhm# denn wissen, wie hoch wir denn die

Preise ansetzen denn, ne? #Mhm, mhm# Deswegen. Und dennoch, ja, ab und

zu denn, * wenn jetzt * an der Kasse viel zu tun ist, helfe ich auch mit denn.

Transkripte 145

#Mhm# Auch mit ein-, ja, einpacken. #Mhm, mhm# Und jetzt soll ich

demnächst auch an die Kasse wieder kommen. #Ah, ja# Mach ich eigentlich

nicht so gerne [lacht]. Aber die haben gesagt, dass ich dann wenigstens ein Tag

an der Kasse bin denn, ja? Bei mir ist es so, irgendwie, wenn jetzt die Kasse

nicht stimmt oder so, ne, das * ist für mich schon komisch denn. #Mhm, mhm#

Obwohl auch Frau o und so hat uns gesagt, es kann ja passieren (betont), ne? Aber

irgendwie ist es denn komisch, wenn jetzt die Kasse nicht stimmt oder #Mhm,

mhm# so.

I: Ja, ja.

IP: Das ist mein Aufgabengebiet. Ja.

I: Mhm. * Wie kann ich das verstehen? Wie nutzen Sie das Fairkaufhaus hier, diese

Möglichkeit? Als Arbeitsstelle?

IP: Ja, schon als Arbeitsstelle.

I: Mhm. Wie viel arbeiten Sie hier?

IP: Fünf Tage.

I: Fünf Tage?

IP: Fünf Tage, ja. Von Montag bis * Samstag. Mittwoch nicht, weil wir da immer

Aktivitäten haben von der Brücke, so Ausflüge oder Essen oder Frühstück, ne?.

Aber * ist ja schon so ähnlich jetzt vielleicht, * dass man mal später irgendwie

doch vielleicht mal auf den * ersten Arbeitsmarkt wieder arbeiten kann.

Manchmal #Haben Sie Hoffnung auf den ersten Arbeitsmarkt

zurückzukehren?#-

IP: Wäre nicht schlecht. Ja. Aber momentan denn, bleibe ich erst mal hier denn. Ich

arbeite ja so drei bis vier Stunden pro Tag denn. Das ist schon okay.

I: Ist das der Rahmen, mit dem Sie klarkommen?

IP: Ja.* Früher habe ich auch fünf Stunden gearbeitet. Aber meine Kinder, die

wohnen bei meinen Eltern, und deswegen gehe immer dann nach Feierabend zu

den Kindern denn jeden Tag. Helfe auch bei Hausaufgaben und so, was ansteht,

ne?. Denn jetzt so fünf Stunden oder so mache ich dann nicht mehr, weil ich

denn auch zutun habe denn, ne, nach der Arbeit zu den Kindern und-

I: Ja. Ja. * Finden Sie Ihre Interessen im Fairkaufhaus wieder?

IP: Ja. * Doch. * Bin ja auch zufrieden, dass- Wir wurden ja auch eingeteilt im

Fairkaufhaus, ne? Jetzt jeder sein * , ja, Aufgabengebiet denn. Zum Beispiel ich

bin mit einer Kollegin jetzt auspreisen oder mal Kasse, dann unten die Büglerin,

oben der Verkauf, ne? Also hier unten würde ich nicht gerne arbeiten, muss ich

sagen. Ich bin halt lieber so mit- mit Kunden zusammen und so, ne?

I: Ja, ja.

Transkripte 146

IP: Und hier unten, * das wäre nichts für mich. Aber das ist ja gut, die einen *

möchten unten bleiben, die andern gehen nach oben in den Verkauf, ne?

I: Mhm. Genau. Für mich hört es sich so an wie, also dass Sie recht zufrieden sind

mit dem, was Sie tun.

IP: Ja.* Muss ich sagen.

I: Und wie Sie es tun auch?

IP: Ja.

I: Die Bedingungen?

IP: Glaube ich schon. Weil, im Verkauf ist auch Frau °, das ist unsere * Leiterin im

Verkauf. Und die ist auch zufrieden, ne, mit uns, dass wir * auch auspreisen und

so richtig (betont) auspreisen denn, was sie jetzt auch sagen würde, ist so

angemessen der Preis. Und wenn man dann nicht ganz genau weiß jetzt, wie viel

es kosten soll, jetzt zum Beispiel bei Pelzmänteln oder so, ist Frau ° denn für

uns da, ne? Denn fragen wir Frau °, was würden Sei jetzt sagen zu dem

Pelzmantel oder so. Die hilft einem schon dabei.

I: Ja. * Wie würden Sie das Verhältnis beschreiben, so-

IP: Mit Frau °?

I: Frau °

IP: Sehr gut. Ich versteh mich sehr gut mit ihr, * muss ich sagen.

I: Die Kollegen und Kolleginnen?

IP: Auch gut. * Ab und zu haben wir mal einen- eine dabei, da, na ja, da gibt’s

manchmal so- schon so * ab und zu Streitereien oder so denn. * Auch zwischen

den Kolleginnen oder so.

I: Ja. Belastet Sie das?

IP: Hm?

I: Belastet Sie das?

IP: Eigentlich nicht, weil ich ja eigentlich nicht davon betroffen bin denn, ne? Und

wenn denn, denn klär (betont) ich auch die Sache, wenn irgendwas ist oder so,

ne, mit den Kollegen. Und du hast ja das gesagt oder du hast gelästert oder sonst

was. Dann schnappe ich mir die Kollegin und rede darüber denn, ne?

I: Ja. Können Sie sich Hilfe holen, wenn das nötig #Na klar# wäre.

IP: Geht man auch zu Frau ° runter und sagt, das und das ist, und-

I: Also Frau ° würde bereit sein und #Genau# Frau ° #Jetzt auch Frau- Frau °, ist

ja hier unten#. Ja.

IP: Und auch, wenn ich so was habe gehe ich eigentlich als erstes zu Frau °, muss

ich sagen. * Weil, die ist ja auch für uns zuständig denn, ne?

I: Okay.

Transkripte 147

IP: Hab ich gesagt, also, mit Frau ° verstehe ich mich auch sehr gut. Gibt’s keine

Probleme irgendwie.

I: Ja.

IP: * Ja.

I: Würden Sie gerne noch andere Dinge hier tun im Fairkaufhaus?

IP: *3* Ja. Eig- *3* Ich bin zufrieden eigentlich mit dem Auspreisen denn und mit

dem Einhängen. * Aber, wie gesagt, ähm, *2* bei mir ist das so, ich würde gerne

oben bleiben, * ne? Wie gesagt, hier unten, das wäre nichts für mich. Kein Licht,

nix, und bügeln und- mhmh (verneint).

I: Nun ist das ja bei Ihnen so, man könnte sagen, Sie möchten in Ihren alten Beruf

zurück. Auf #Hmm# Auf der andern Seite machen Sie durchaus ähnliche Dinge

hier #Mh. Richtig# im Fairkaufhaus.

IP: Wenn man so überlegt, ja. Und die Aufgaben sind dann so * so ähnlich auch,

ne?

I: Ja. Was ist der Unterschied zwischen hier und (Früherer Arbeitgeber)?

IP: Na zum Beispiel, * also wenn’s mir zum Beispiel nicht so gut geht oder so, mal

ne Pause (betont) machen möchte, dann kann (betont) man auch eine Pause

machen denn, ne?

I: Ja. Okay.

IP: Und *, na ja, die Ansprüche waren auch bei (Früherer Arbeitgeber) ein bisschen

höher denn, ne? Mit der Kundenberatung und *, ja, und auch * die Lagerarbeit,

die jetzt gar nicht hier ist, ne? Die ich jetzt gar nicht mache. *2* Ja, ist schon

etwas anders denn. Und, wie gesagt halt, wenn’s einem nicht gut geht oder so,

dann kann man Pause machen. Und bei (Früherer Arbeitgeber) halt, weiß ich

nicht, eine Pause denn, neun Stunden durchgearbeitet denn, ist was anderes

denn, ne, als jetzt hier die drei, vier Stunden denn.

I: Das heißt, Sie hatten dort eine #höhere-# Vollzeitstelle?

IP: Ja. * Und als ich denn (gedehnt) *2* meinen ersten Sohn bekommen habe, *

habe ich noch als Aushilfe bei (Früherer Arbeitgeber) auch * weitergearbeitet

dann, ne?

I: Ja.

IP: Das habe ich auch gemacht. In (Früherer Arbeitgeber) habe ich auch noch

gearbeitet gehabt als Aushilfe. * Das hat sich so ein bisschen denn- Mein Mann

hat sich denn ums Kind gekümmert. #Mhm, mhm# *2* Ja. Aber, wie gesagt, es

ist halt- mehr ein geschützter Rahmen denn, ne?

I: Ja. Ja.

IP: Auch wenn man jetzt Probleme hat oder so, man kann ja auch die Leute denn

ansprechen, ne? Wie Frau ° oder Frau ° oder Frau °.

Transkripte 148

I: Ist das der Grund, diese Möglichkeit, sich auszuruhen und dass man einfach

jemand ansprechen kann, #Ja# wenn’s einem nicht so gut geht #Mhm#, dass

Sie vielleicht lieber hier arbeiten?

IP: Im Moment schon.

I: Im Moment ja.

IP: Im Moment noch, ja. *2* Das muss ich sagen. Auch, wie gesagt, ich schätze, also

neun Stunden würde ich auch nicht ganz schaffen. * Ja, weil das ist * schon ganz

schön denn.

I: Welchen Zeitrahmen stellen Sie sich vor? Wie lange möchten Sie hier arbeiten,

so wie Sie jetzt denken?

IP: Ich will noch einige Zeit hier arbeiten denn.

I: Mhm. Wochen, Monate, Jahre?

IP: Kommt drauf an. [Lacht] Kann ich jetzt gar nicht so richtig sagen. Also doch

schon einige Zeit, dass ich hier noch weiterarbeite denn, ne? Weil *2*- Aber es

gefällt mir sehr gut (betont) im Fairkaufhaus. Wie gesagt, früher denn *2* hat

man auch länger denn gelegen (betont, gedehnt), ne, und hat Fernsehen geguckt

und * und jetzt hat man eine Aufgabe, ne? Man muss aufstehen, zur Arbeit

#Das heißt, Sie waren inzwischen arbeitslos?# Ja. * Seit zwei, 2005 war ich das

letzte Mal in der Klinik gewesen.

I: Ja.

IP: Dann habe ich jetzt nicht gearbeitet. * Und vor einem Jahr habe ich hier

angefangen denn, ne? Aber, *2* finde ich gut, dass es so was gibt überhaupt

denn, ne, für uns psychisch Kranke denn * als Einrichtung, ne? *3* Ja.

I: Fühlen Sie sich denn so (betont) hier? Oder ist es was ganz Normales? Sie gehen

einfach zur Arbeit? #Ja# Wie fühlt sich’s an für Sie?

IP: Ganz normal, wenn ich jetzt zur Arbeit gehe oder so #Wie eine normale

Arbeitsstelle?# Genau. Richtig. *2* Muss ich sagen. Halt im geschützten

Rahmen. Normale Arbeitsstelle im geschützten Rahmen denn, ne?

I: Da würden Sie merken, dass es * ein bisschen anders ist als #Ja, auch an den

Kollegen auch# bei (Früherer Arbeitgeber)? Auch von den Kollegen?

IP: Muss ich ja auch sagen, die haben ja alle ein anderes Krankheitsbild, ne? Und da

merkt man das schon, ne. Auch wenn- Man kriegt- Man bekommt es ja mit,

wenn- wenn’s den Kollegen nicht gut geht oder so, ne? * Na ja, das finde ich-

Wenn ich das so mitbekomme, also finde ich jetzt nicht gut für mich, weil, das

zieht mich dann auch ein bisschen runter denn, ne? Jetzt, wenn ich höre, jaa,

und sie suchen einen Platz im Krankenhaus, der geht’s nicht gut und so. Das

zieht mich schon ein bisschen runter, muss ich sagen.

I: Und was bringt Sie dann wieder * zu ‘ner guten Laune?

Transkripte 149

IP: *2* Na ja (leise). Zur guten Laune bringen? *5* Na ja (noch leiser). [Kurzes

Lachen]

I: Hier scheint es so was wie einen normalen Ablauf zu geben, der Ihnen ganz gut

gefällt.

IP: Genau. Ja.

I: Der geht ja auch weiter, nehme ich an.

IP: Mhm. Richtig. *2* Und deswegen, also (leise). Nur wenn ich arbeite, habe ich

gute Laune. [Lacht] Wenn ich zu tun habe und so, denn, ne?

I: Ja, auf der normalen Arbeitsstelle * bekommt man nicht immer mit, wie es

andern geht.

IP: Richtig.

I: Man soll’s nicht erfahren. Vielleicht will man’s manchmal auch nicht erfahren.

IP: Ja, ja. Richtig. Aber hier bekommt man’s halt mit, ne? Weil, die Kollegen sind ja

auch unterschiedlich, ne? Die einen sind gut drauf, die anderen sind mal nicht so

gut drauf, und- Das bekommt man schon mit.

I: Ja. *3* Okay. *6* Sie würden schon sagen, ich gehe gerne hierher?

IP: Ja.

I: Das ist meine Arbeit.

IP: Hm.

I: Ich gehe auf Arbeit. Wie sagen Sie das?

IP: Ja, ich geh gerne hier, auch um meine Kollegen zu sehen. Mit einer Kollegin bin

ich * sehr gut befreundet.

I: Ja.

IP: Die preist auch mit mir aus. Das macht Spaß. Auch, weiß ich nicht, wenn man

irgendwas zu quatschen hat oder so, ne, dann reden wir auch da drüber, ne? Das

ist gut.

I: Und wenn Sie Bekannten erzählen, wohin Sie gehen, sagen Sie denn nur, ich geh

auf Arbeit?

IP: Ne, ne. Also auch meine Eltern, meine Kinder und so, die wissen es, dass es für

psy- psychisch Kranke auch ist, ne?

I: Jemand, der es nicht weiß, was sagen Sie dem?

IP: *3* Also die Bekannten und Verwandten von mir, die wissen, dass es so eine

Einrichtung ist für psychisch Kranke, muss ich sagen. Und zu, weiß ich nicht,

die nicht so gut kenne, sage ich auch, ich gehe arbeiten denn, ne, im

Fairkaufhaus. Aber sag auch nicht, dass es für psychisch Kranke ist oder so

denn, ne? Das brauch ja auch denn- Also die ich da nicht so kenne, ne, das

brauchen die ja auch nicht unbedingt wissen denn. So bin ich dann auch. Aber

Transkripte 150

so die Verwandten und Bekannten wissen schon (gedehnt) * Bescheid *, dass ich

denn * für psychisch Kranke denn-

I: Also das ist ja erst mal auch ein normales, in Anführungszeichen, Kaufhaus.

IP: Ja. Eben.

I: Man kommt rein, man kauft Dinge #Eben. Genau# Es gibt auch

Gebrauchtwarenhäuser anderswo, ja, #Ja# Second-hand-Sachen, alle

Richtungen.

IP: Richtig. Ja. *2* Das stimmt. *2* Aber es steht ja hier dran, dass es für psychisch

Kranke ist. [Lacht]

I: Ne, das sollte wohl auch nicht..

IP: Das steht aber dran. Auch im Flyer, ne, dass es-

I: Aber es steht außen nicht dran, meine ich.

IP: Aber am #Es steht einfach dran „Fairkaufhaus“# Aber am Auto steht’s dran. *

Am Lieferauto steht dran #Ach so# für psychisch Kranke.

I: Ehrlich gesagt, habe ich da noch nicht genau drauf geschaut #Mhm# Stört Sie

das?

IP: Nö, eigentlich nicht. Ich meine, * ich bin ja momentan wirklich stabil. Weil, das

letzte Mal war ich, kann ich ja erzählen, 2005 im Krankenhaus gewesen. Aber es

hing damit zusammen, dass eine Trennung vom meinem Mann *2*- Da hatte

ich den Zusammenbruch. Dachte immer, ich schaffe es, ich schaffe es. Aber *

denn habe ich es doch nicht geschafft, denn.

I: Ja.

IP: Und das kam alles aufeinander zu. Und ich hab auch wenig geschlafen (betont,

gedehnt) gehabt und so. Und irgendwann hat mein- Der Körper nicht mehr

gemacht denn, ne? * Tja. Und denn musste ich in die Klinik. [Lacht] * #Mhm.

Okay# Aber, wie gesagt, seit 2005 oder so * kein Rückfall, gar nichts. * Weil, ich

nehme ja auch ein gutes Medikament, muss ich sagen. Das macht zwar dick,

aber ist gut. * [Lacht] #Mhm, mhm# Das (Name des Medikaments), kennen Sie

bestimmt auch, ne?

I: Damit kommen Sie gut zurecht.

IP: Komm ich sehr gut mit zurecht. #Mhm. Okay# Davor war’s ein bisschen

schwierig gewesen, da hatte ich noch zweihundert morgens, aus dem Bett dann

zu kommen, weil es ja so müde (betont) macht denn, ne? Denn wurde reduziert

letztes Jahr, 100 Milligramm weniger, und seitdem komme ich gut, äh, aus’m

Bett, ne, und * das klappt ganz gut. Außer dass man dicker geworden ist, ne?

I: Ja. * Jetzt würde ich Sie gerne noch was fragen #Ja# zu den Kollegen und

Kolleginnen, sind bei Ihnen Kolleginnen, oder?

IP: Kollegen und Kolleginnen.

Transkripte 151

I: Beides?

IP: Beides. * Ja.

I: Gut. Gibt’s Dinge, wo Sie sagen, das habe ich mit denen gemeinsam?

IP: *2* Ja. Doch, einige Sachen schon. Vor allem die dann auch- Wir unterhalten

uns auch darüber, ne? Und die die gleichen Medikamente nehmen wie ich. Sind

einige Kollegen auch. * Und da gibt’s schon Ähnlichkeiten denn zwischen uns.

Zum Beispiel, weiß ich nicht, der eine wird müde und der andere wird auch

müde, und *2* die Kollegen kamen- * kommen auch gut mit dem Medikament

zurecht, ne?

I: Achten Sie da drauf? #Doch# Ist das so ein Thema?

IP: Ja, ab und zu schon denn. Wenn wir jetzt * oben sitzen, im Raucherraum, reden

wir doch schon ab und zu * darüber, ne? [Es klopft an der Tür]

I: Okay. Es hat geklopft. #[Lacht]# Wir waren kurz- Ich glaube, das hat sich

geklärt.

IP: Ja.

I: *10* Gut, Sie würden also nicht sagen, dass die alle völlig, die Kollegen,

Kolleginnen, völlig anders gestrickt sind als Sie?

IP: Nö. Gibt’s schon #Dass es gewisse Ähnlichkeiten gibt#- Gibt’s gewisse

Ähnlichkeiten. Ja. Wie auch gesagt, die andern sind * fit. Dann gibt’s welche, die

nicht so gut drauf sind, ne? Das ist schon unterschiedlich zwischen den

Kolleginnen. Aber man weiß es auch. Der ist heut vielleicht nicht so gut drauf.

Und, wie gesagt, man merkt ja auch, dass- * #Mhm# Seit einem Jahr arbeite ich

ja hier, merke ich auch, die Kollegen sind stabil, ne? * #Mhm, mhm#

Deswegen.* Also ich arbeite lieber mit den Kollegen, die dann auch stabil sind,

muss ich sagen. #Mhm# *2* Das mach ich denn- Denn es ist auch anstrengend

denn, wenn’s ein nicht so gut geht, und denn * nur von der Krankheit geredet

wird und so, das mag ich nicht, ne? Dass die denn, ja, und das und hier und- Das

find ich nicht so toll. Dann zieh ich mich auch ein bisschen zurück, muss ich

sagen, wenn’s mir zu viel wird denn, ne? Denn das Nur-über-die-Krankheit-

Reden und „Es geht mir so schlecht“ und so, ne, das ist nicht so-

I: Können Sie das dann, sich zurückziehen?

IP: Ja. *2* Dann sage auch oder stehe auf und sag, ich muss nach vorne arbeiten

gehen oder so, wenn’s- das- * Das finde ich nicht so toll #Und das ist ein

Vorteil#

I: So habe ich Sie vorhin verstanden, dass Sie sich dann auch mal zurückziehen

können. # Zurückziehen. Ja, ja. Klar#

Transkripte 152

IP: Ich meine, man hat ja auch eigene Probleme und jetzt noch die andern

Probleme von den andern (betont) und wie gesagt, ja, da zieh ich mich dann auch

zurück, muss ich sagen.

I: Und das akzeptieren die andern dann?

IP: Ja, klar.

I: Okay.

IP: Hatte ich auch meiner Sozialarbeiterin gesagt, ich kenn- die kennt mich ja auch

schon sehr gut und die hat auch gesagt, wenn’s * denn so ist, dass die Ko-, ähm,

Kollegen über die * Krankheit reden oder so, da hat sie auch gesagt, ja dann *

ziehen sich am besten zurück, Frau °, ne, wenn so was ist. Weil Sie weiß ja auch,

das zieht mich auch teilweise runter denn, ne? Oder man wird dran erinnert. Ja,

du warst auch im Krankenhaus gewesen, und- Mhm.

I: Ja. Sie werden ja auch noch auf eine ganz andere, sehr praktische Weise erinnert,

dass es keine normale Arbeitsstelle ist, #Mhm# die Bezahlung. #Mhm# Wie

finden Sie das?

IP: * Ich find‘s * relativ wenig jetzt für die Arbeit, die wir machen, auch. *2* Aber

so- *2*, ist okay. Na, eins zwanzig denn, jetzt kriegen wir dann auch die

Gutscheine dazu denn, wie viel Tage wir gearbeitet haben. Wenn ich 20 Tage

oder über 20 Tage arbeite, dann kriege ich 30-Euro-Gutschein. Ist neu (betont).

#Mhm# Seit zwei Monaten, glaube ich.

I: Ja.

IP: Das find ich ganz gut. * Da kann man sich auch mehr Sachen aus- * suchen und

so, ne? Aber wenn- wenn man so vergleicht gegen früher, ne, auf dem normalen

Arbeitsmarkt, * ist schon wenig Geld dann, ne? #Mhm# Ich meine auch, wir

leisten ja auch viel, ne? Ist ja manchmal so (leise). Wie gesagt, man macht

manchmal die gleiche Arbeit wie draußen (betont) denn, ne, im Verkauf auch. Ist

schon wenig. Aber jetzt gibt’s ja zum Glück die Gutscheine noch dazu. [Lacht]

I: Wäre das ein Grund für Sie, wo Sie sagen würden, ich möchte jetzt einfach mal

mehr verdienen?

IP: Mhm. Im Moment noch nicht. *2* Auch das Geld, was ich dann bekomme

denn, das gebe ich dann auch für mich aus, ne? Weil, ich hab ja gearbeitet die

ganze Zeit, dann * gönne ich mir mal, weiß ich nicht, ein gutes Parfüm oder so

davon, ne? * Aber es ist ungewohnt, für so wenig Geld zu arbeiten, ne? * Wie

gesagt, wenn man- Auch meine Schwester und so, was die die Stunde verdienen,

das ist schon * ein Unterschied denn, ne?

I: Und wie empfinden so die Wertschätzung, nach außen, in der Familie zum

Beispiel? Wenn Sie sagen #Ja#, ich arbeite da. #Ja# Und die wissen ja auch, was

Sie bekommen,# Ja# eins zwanzig die Stunde.

Transkripte 153

IP: Also schon einige Bekannte sagen auch von mir, oh, eins zwanzig und- Aber,

wie gesagt, die sind * gesund, ne, und arbeiten in Gastronomie oder

Textilbranche und so, ne? * Kann man nicht vergleichen. Ich meine, die arbeiten

auch neun Stunden. * Und vielleicht sind die * doch die Ansprüche doch im

normalen * Berufsleben doch schon höher, denke ich mir denn, ne? Schon

alleine auch wegen der Pause denn, ne? Man- Früher hat man immer eingeteilt

bekommen vom Chef, dann und dann machen Sie Pause. Und, wie gesagt, wenn

man ausgelaugt ist oder nicht so gut drauf ist, dann kann sich auch hinsetzen,

denn (leise), ne?

I: Okay. *3* Ja, wir sind ziemlich am Ende dieser Fragen, die ich mir notiert hatte.

Gibt’s etwas, was Sie gerne noch loswerden möchten?

IP: Nö, eigentlich nicht. Mhmh (verneint). * Gibt’s nichts.

I: Okay, dann bedanke ich mich noch mal sehr herzlich, Frau °.

IP: Jaa (laut), gern geschehen. [Lacht]

Transkripte 154

Interview-Transkript: Herr D.

I: Wir haben ca. 20 Minuten- wird es dauern. Wenn Sie weniger sagen möchten,

völlig in Ordnung, wenn Sie ein bisschen mehr sagen möchten, auch völlig in

Ordnung. Ich habe einige Fragen notiert. Dann bedanke ich mich erst mal sehr

herzlich, Herr, dass Sie dazu bereit sind, mir ein Interview zu geben für eine

Abschlussarbeit an der Fachhochschule. Alles, was Sie sagen, wird, wenn’s

verwendet wird, ganz anonymisiert verwendet. Da steht dann nirgendwo, Herr

hat aber gesagt. Ja?

IP: Ja, ja. [Lacht]

I: Sondern es geht einfach darum, dass ich ein bisschen erfahre, das kann ich,

indem ich Mitarbeiter hier befrage.

IP: Genau.

I: Gut, dann fangen wir an. Ich würde erst mal ganz allgemein fragen, wie es Ihnen

gefällt im Fairkaufhaus?

IP: Ganz gut. * Dann sitze ich wenigstens nicht zu Hause rum und habe

Langeweile. Dadurch bin ich ja immer wieder in mein Krankheitsbild

zurückgefallen. Und dann laufend immer, ein halbes Jahr, dreiviertel Jahr im

Krankenhaus dann gewesen. Jetzt habe ich Beschäftigung und * hab mich auch

soweit hochgearbeitet, dass ich in ° straße jetzt noch Hausmeister mache von

Ginko. Weil die gesehen haben, ich kann so viel- * und daher-

I: ° straße ist die geplante Wohnung für-

IP: Na ist jetzt- ist schon.

I: Ist schon für Obdachlose, ne?

IP: Ist schon. Ab dem Sechzehnten. #Oder eben, damit sie nicht mehr obdachlos

sind# Genau. Da mach ich jetzt Hausmeister und maler und renoviere und so.

(Geräusch; Tür wird von außen zugezogen) Hey! (laut)

I: Machen Sie ruhig wieder auf. Das ist in Ordnung.

IP: Nicht zumachen! (laut) Probleme. [Keucht]

I: Nein, ist völlig in Ordnung, ja? Völlig in Ordnung. Wir können übrigens auch

gerne eine Pause machen. Wenn Sie sagen, nach fünf Minuten, jetzt will eine

Pause, ist auch kein Thema.

IP: Nein, nein, ist schon klar #Ja?#, das sage ich dann auch schon.

I: Okay. Gut. Gehen Sie gerne hierher?

IP: Ja. Ich bin heute schon, obwohl wir erst um neune eigentlich anfangen, um halb

neun schon hier gewesen. Weil, die ersten Spenden kamen, habe ich gleich mit

abgenommen und alles. [Lacht] Deswegen. Mache auch- So wie morgen, habe

ich eigentlich bis vierzehn Uhr und bleib dann aber bis sechzehn Uhr, weil wir

Transkripte 155

im Laden dann noch eine Wand streichen und so. Das mache ich dann nebenbei

noch. Und so. Also- [Lacht]

I: Das heißt, Sie haben hier volles Programm?

IP: Ja. Deswegen. [Lacht]

I: Und auch eine zusätzliche Verantwortung.

IP: Ja.

I: Die haben Sie sich freiwillig geholt, ja?

IP: Ja. Die habe ich mir erarbeitet, so langsam, so nach und nach. Angefangen als

Transporter. Jetzt mach dann äh * die ganzen elektrischen Geräte, nachgucken,

ob sie funktionstüchtig, Lampen und Plattenspieler und so was alles. Repariere.

Poliere auch mal, wenn Messing reinkommt und so, um den Wert zu steigern

und so. Also das haben sie schon- Ist schon bemerkbar geworden, dass es dann

mehr macht. Ich hab auch schon mal einen Tisch, der was hier, wo sie gesagt

haben, schmeißen wir in den Schrott, ich sage, eh, den nehme ich mit, ich arbeite

ihn auf. Ich zeige ihn mal, wie er danach aussieht. Und das *[Lacht] hat denn so

gut funktioniert, dass ich dann auch ab und zu mal so was mache.

I: Ah ja. Ah ja. Hilft Ihnen das, dass Sie einfach so mehr Anerkennung dann

bekommen, auch wenn Sie mehr leisten?

I: Ähh, ja. Sagen wir mal mit ja. Weil, ich weiß, was ich kann, und kann auch denn

zeigen, weil ich mal selbständig war, dass ich sagen kann- Weil, ganz zum

Anfang, wo ich herkam, ja, Sie waren mal selbständig, Sie wollen- Sie können

sich nicht unterordnen und, äh, Sie wollen hier den Chef (betont) raushängen

lassen und so. Ich sage, nee (betont), ich mach das, was ich kann und- und ich

wische auch Toiletten oder wische die Küche (betont), ist mir alles egal, sag ich,

Hauptsache ich habe Arbeit (betont) und mach wat und so. Und das wurde zum

Anfang erst ein bisschen so skeptisch aufgenommen. Aber mittlerweile sehen

sie, ich mach das. Und dadurch habe ich mich denn auch hochgearbeitet.

I: Haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihre Fähigkeiten hier einbringen können?

IP: Ja. * Ja, eindeutig. Weil, das hätte sonst der Transporter noch machen müssen,

und der hat immer schon genug so zu tun. Und dem nehme ich ja die Arbeit ab,

in dem ich gezeigt habe, dass ich das, Elektrik, alles kann und so und daher.

I: Gibt’s etwas, was Sie zusätzlich noch gerne tun würden?

IP: [Lacht] Zusätzlich hier tun würde. Ja. Klar. #Ja?# Ja, ich würde gerne den

Transporter fahren, aber das aus rechtlichen Gründen nicht, weil * ich ja nur

Zuverdiener oder Aufwandsentschädigung oder wie man das hier nennt mach

und * das finde ich eigentlich ein bisschen schade. Weil, ich bin zwar Rentner,

aber * äh verminderte Erwerbsunfähigkeitsrente. Aber daraufhin kann ich sagen,

okay, äh, ich hätte gerne für Dreihundertvierzig Euro Job, was ich noch zu

Transkripte 156

verdienen dürfte, mitgemacht, was? Und nicht für eins zwanzig bloß gearbeitet.

Weil, die Mitarbeiter hier, die Festangestellten sagten auch schon, ich müsste

eigentlich am Umsatz mitbeteiligt werden, weil ich immer so viel aus zwei

Sachen mal eine wieder baue oder so. Und auch sehe, wo was ist und wo was

verbessert werden kann und so, auch ein paar Verbesserungsvorschläge bringe

und so, was man eben verbessern kann und so was alles (leise).

I: Stört Sie die Bezahlung?

IP: Nö. Komme ja so auch- mit meiner Rente so bin ich ja auch vorher

klargekommen und habe ja jetzt noch das durch den Hausmeister, da verdiene

ich ja auch noch mal. Also * stehe schon ganz gut da (betont).

I: Es könnte ja auch sein, #Aber-# dass es natürliche Grenzen gibt von Arbeit.

Ich habe jetzt gefragt, ob Sie gern noch mehr übernehmen würden.

IP: Ja.

I: Andersrum ist ja auch denkbar. Oder nach Tagesform vielleicht auch, ja?

IP: Ja, ich würde gerne * mehr arbeiten. Aber das geht, weil die andern nur so und

viel, ja, offiziell darf man nur fünf Stunden am Tag. Und was drüber ist, dann

kann es schon wieder Komplikationen geben mit den andern, die was ja auch

bloß- also Aufwandsentschädigung kriegen. Weil, wenn ich mit einhundert

achtzig nach Hause gehe und die gehen mit- mit neunzig nach Hause, weil sie ja

auf dem Amt sind, auf dem Arbeitsamt sind oder so, nur so viel zuverdienen

dürfen, das würde denn * ein bisschen Streitigkeiten geben, sagen wir mal so.

Und das will man ja nun auch nicht, dass man sich mit den Kollegen hier denn

im Streit liegt. Ja, der darf so viel arbeiten, ich darf nicht so viel arbeiten und so.

Und daher-

I: Wie lange sind Sie jetzt dabei?

IP: Ich bin ungefähr seit Februar oder März dieses Jahr.

I: Und wie sind Sie dazu gekommen?

IP: Na, ich war in der Achenbachstraße, äh, äh-

I: Im Treffpunkt.

IP: Treffpunkt. Genau. Und da habe ich dann gehört, dass sie hier so was

aufgemacht haben. Vorher war ich schon in der Friedrichstraße in der BTS

(Beschäftigungstagesstätte; KO.) und da war ja unten im Keller der Laden. Aber

da war hier noch nicht spruchreif so genau. Dann bin ich jetzt, also voriges Jahr

noch im Krankenhaus gewesen. Und wo ich rausgekommen bin, habe ich

gesagt, so jetzt, das war es jetzt und jetzt willst du nicht mehr ins Krankenhaus,

jetzt machst du irgendwas. Und dadurch bin ich denn hierher gegangen.

I: Hilft Ihnen das hier, dass Sie eine Aufgabe haben, eine Beschäftigung, #Ja#

Regelmäßigkeit?

Transkripte 157

IP: Ja, ja. Das ist * besser, als wenn ich zu Hause sitze und nicht weiß, was ich

machen soll. Das lenkt ein bisschen ab von den ganzen anderen Problemen, was

man so noch nebenbei zu laufen hat.

I: Wenn’s mal von der Tagesform, kommt das vor, dass Sie einfach mal sagen, ich

habe einen Hänger, ich will jetzt nicht.

IP: Och, das kommt selten vor.

I: Kommt selten vor.

IP: Ja. Aber hier hat man ja auch Ansprechpartner, die Festangestellten, die man

ansprechen kann, wenn man Probleme hat oder so #Die können Sie

ansprechen?# Ja, ja. Jederzeit. Da brauch man bloß sagen, ich brauche mal

jemand zum Sprechen, denn setzt man sich hier- entweder hier rein oder im

Büro oder irgendwo in eine Ecke, wo keiner mal hinkommt, da kann man mit

denen reden und * so.

I: Hilft Ihnen das denn weiter?

IP: Ja. Das hilft mir sehr viel. Aber wenn ich dann in mir rein fresse wieder, dann

*2* lande ich wahrscheinlich wieder im Krankenhaus.

I: Haben Sie das Gefühl, man passt hier auch so ein bisschen auf Sie auf?

IP: *3* Nnnjaaa.

I: In dem Sinne, dass man einfach so die Antennen draußen hat?

IP: Ne.

I: Das nicht?

IP: Ne. Das Gefühl habe ich nicht, muss ich ehrlich sagen, im Gegenteil.

I: wie fühlt sich das an? Wie eine normale Arbeitsstelle für Sie?

IP: *2* Nee, Beschäftigung. Eine reine Beschäftigung #Beschäftigung# nur für

mich.

I: Also Sie würden einen Unterschied machen. Sie würden sagen, vorher war ich

auf Arbeit und jetzt mach #Genau# ich einfach eine Beschäftigung. #Genau#

IP: Genau. Weil, vorher, wo ich- wo ich gearbeitet habe, war ich Brigadier, also

Vorgesetzter, oder die rechte Hand vom Chef. Und dazwischen, davor, * bevor

ich jetzt * krank geworden bin, habe ich- war ich selbständig. Schlüsselfertige

Häuser gebaut alleine * mit 26 Angestellten. [Lacht] * Deswegen.

I: Ist dann der Unterschied einfach darin, ob Sie selbständig sind oder eben nicht

selbständig, angestellt, wie viel Sie zu sagen haben? Was ist genau der

Unterschied? Weil, arbeiten tun Sie ja.

IP: Ja. Arbeiten tu ich auf jeden Fall. Aber *2* für mich ist es- ist- Hauptsache ich

kann arbeiten. * Muss nicht rumsitzen. * Und kann zeigen, ja, da da wirst du

noch gebraucht, da * ist noch- der was gebrauchen kann oder helfen- Hilfe

braucht oder so. Ansonsten * würde ich wieder abfallen. Weil, das ist für mich *

Transkripte 158

das A und O. Ich hab mein Leben lang gearbeitet. Deswegen. Und das werde ich

immer weitermachen, solange ich noch kann.

I: Hat einen zentralen Stellenwert bei Ihnen Arbeit?

IP: Ja. Wenn ich keine Arbeit habe, denn * fühle ich mich nicht wohl. [Lacht] Fühle

ich mich so hilflos und nutzlos und alles. * Deswegen.

I: Finden Sie das eigentlich, so wie es ist in der Gesellschaft, gut geregelt? Es

könnte theoretisch ja auch anders sein.

IP: Det is- Anders wäre es besser. Immer das Geld. Überall wird gespart, immer

überall wird gespart. * Und die aber wat dann wirklich noch können (betont)-

Wenn ich denn sehe hier zum Beispiel hier die, was hier rumlaufen, die Autos

kontrollieren, ob sie ein Parkzettel äh drin haben oder nicht, die sind gesund,

laufen da lang äh- Das ist so was, äh da könnte ich immer aus der Haut fahren.

Oder- Oder irgendwo anders * Kontrolle machen oder so. Da könnte ich aus

der Haut fahren. Gesunde Leute, die was- so was machen. Und unsereiner *, der

ist zwar äh körperbehindert, also * eingeschränkt, so wie bei mir durch das Knie

und äh * fünfter Halswirbel und ein Bandscheibenvorfall und so, aber äh * wir

können so was auch machen, aber wir kommen an so was nicht ran (betont) . Ja,

Sie sind nicht voll einsatzfähig. Ich meine, sollen sie doch lieber vier von uns da

einstellen, die was da die Straße lang laufen, als äh gesunde (betont) Leute, die

können doch woanders arbeiten. Und das ist, was mich eigentlich * auf

hundertachtzig bringt.

I: Okay. Mhm. Ähm. * Haben Sie andere Pläne noch als hier das Fairkaufhaus?

Oder würden Sie sagen, hier bleibe ich, hier ist mein Platz?

IP: Ja, vorläufig erst mal hier bleiben und- Ich hab zwar andere Probleme, also

andere * Vorstellungen noch, aber * das lässt sich alles nicht so umsetzen. Ich

würde gerne wieder selbständig mich machen, muss ich jetzt so-.

I: Also wenn Sie könnten, dann würden Sie?

IP: Ja. Aber als Rentner Kredit irgendwo zu kriegen für eine Selbständigkeit, ist so

gut wie machtlos. Da sträuben sie sich, warum auch immer, die Banken. [Lacht]

I: Nun wär’s auch denkbar, dass Sie zum Beispiel irgendwo einen Zuverdienst

machen?

IP: Äh Zuverdienst * würde ich nicht (betont) mehr machen. Würde ich nicht mehr

machen. Da habe ich- Das habe ich schon ein paarmal hinter mir und-

I: Können Sie sagen, warum, was ist der Unterschied zu hier?

IP: Äh, äh, da sind zu viel kranke Leute, ähm *, die würden mich runterziehen.

Damit- Die würden mich mit runterziehen und denn würde ich wieder im

Krankenhaus landen. Also das könnte ich nicht.

Transkripte 159

I: Das heißt, wie fühlt sich’s hier an, wenn Sie hier reinkommen? Ist hier eine

normale Arbeitsatmosphäre? Wie ist das?

IP: Sagen wir mal so, ich- ich werde hier ein bisschen besser anerkannt als die

anderen, was hier so rumlaufen und was hier unten arbeiten oder im Laden sind,

weil man mir auch freie Hand (betont) lässt, mit den Preisen machen, Auspreisen.

Auch mal den anderen sagen, ja, kommt eh, ihr sitzt jetzt eine Stunde in der

Küche, jetzt will- jetzt wollen wir andere in der Küche setzen und die wollen mal

auch Pause machen. Und die mal aufjagen und rausschicken und so. Und da

fühle ich mich schon bestätigt ein bisschen, also-

I: Ist es die Anerkennung- #Genau# ist der eigentliche Unterschied?

IP: Genau.

I: Und die würden Sie, wenn ich Sie richtig verstehe, im Zuverdienst so nicht

bekommen?

IP: Nee. Und * weil die andern denn *, wie soll ich sagen, die andern sind denn *4*-

hätte ich mich jedes Mal mit in der Wolle. Sagen wir mal so. Weil, und da würde

ich auch beim andern Zuverdienst würd ich auch, glaube ich, gar nicht

reinpassen, weil, da könnte ich mich nicht weiterentwickeln und zeigen, was ich

auch kann und was in mir steckt.

I: Das können Sie hier? #Ja. Mhm#

IP: Ja. Deswegen.

I: Würden Sie sagen, Sie sind im Grunde so gestrickt wie die andern hier oder sind

Sie ganz anders als die Kollegen hier?

IP: Anders. Anders. [Lacht]

I: Wie? Können Sie das #Wie?# beschreiben?

IP: Wie? * Ja, die meisten machen ihre Arbeit, bestehen auf ihre Pausen. Und wenn

ich sehe, da ist Arbeit, dann greife ich zu, auch wenn es nicht mein- mein

Bereich ist, dann fasse ich trotzdem mit an und helfe und- und so. Und die

andern eben, interessiert mich nicht. So wie es schon war äh, wie ich denn gesagt

hab, kommt mal mit raus, da sind Spenden, eine Couch, eine Dreier-Couch, eine

Zweier-Couch, zeigen sie die Zigarette hoch, ja, wir machen jetzt Pause (betont,

laut). Und ich habe dann mir alleine mit- aus dem Auto die Dreier-Couch auf

den Krück- auf den Rücken gespannt und hab sie alleine reingebracht in den

Laden und so was. Und das machen die andern eben nicht, was? Und ich kann ja

nicht den- den Kunden, wenn er schon eine Spende bringt, sagen, na, warte mal

zehn Minuten, die machen erst mal Pause. Denn bringen uns die wieder was

hier. Und wir leben ja davon.

I: Und wie geht’s Ihnen dabei, wenn so was passiert?

Transkripte 160

IP: Na, ein bisschen sauer bin ich denn, und * das sage ich dann aber auch hier Frau

°, Frau °, o, oder Frau ° oder so.

I: Bewegt sich dann was?

IP: Ja, na, * das wird dann in der nächsten Versammlung, wenn wir hier wieder so

eine Versammlung haben, jeden ersten Dienstag haben wir Versammlung und

jeden zweiten Dienstag hat die Sortierung Versammlung hier, und da wird dann

so was angesprochen, und denn werden die Leute noch mal *2* extra

hingewiesen drauf. Wenn ich denn so das gesagt habe, so wie es ist, dass die

dann aufstehen und die Zigarette mal aus der Hand legen, und dann wenigstens

die zwei Couches von das von das- einmal ein Stück über die Bordsteinkante

rüber tragen und dann hinten im Lager reinzustellen, das ist ja wirklich nicht

schwer, dann können sie weiter gehen und rauchen und so.

I: Also ist dieser Dienstag da eine nützliche Sache, um einfach wieder auf eine

Spur zu kommen #Ja# miteinander

IP: Genau.

I: Okay. * Nun haben Sie von sich aus schon einiges gesagt, das ist gut so.

Deswegen, ich schaue jetzt hier gerade einen Moment nach. *10* Nein, dann

frage ich Sie jetzt einfach: Gibt’s etwas, was sie jetzt gerne von sich aus noch

zum Fairkaufhaus sagen würden, so Ihre ganz persönliche Sichtweise? Oder

Dinge, die Ihnen sehr gut gefallen, die Ihnen gar nicht gefallen.

IP: Na ja, was soll ich jetzt sagen. Dass es mir gefällt, dass hier solche Leute, die

auch- die was zuverdienen können oder möchten, auch die was ein bisschen

kränker sind und so, dass die denn hierher kommen können und ein paar

Stunden arbeiten können. Auch wenn es manchmal Stress gibt. Aber eben- Das

ist eben- #Also da haben Sie schon-# das Problem.

I: Da haben Sie schon auch ein Einsehen?

IP: Ja, natürlich. Weil, ich weiß ja auch, ich war ja auch nicht so wie heute drauf. Ich

war ja auch schon mal schlimmer drauf. Ich meine, umsonst bin ich nicht ein

halbes oder ein dreiviertel Jahr im Krankenhaus geblieben oder musste drinnen

bleiben oder so. Also daher sehe ich das schon ein. Weil nur durch so was kann

man sich selbst- an seine Grenzen kommen und um zu zeigen, wie weit bin ich

belastbar, wie weit bin ich nicht belastbar. Schaffe ich bloß drei Stunden, schaffe

bloß zwei Stunden oder schaffe ich fünf Stunden und so. Und ob ich vier Tage

arbeite oder drei Tage arbeite oder zwei Tage. * Und dann kann man auch mal

selbst testen, wie weit man gehen kann, was man ja im normalen Arbeitsleben ja

nicht kann. Da muss man rein und muss man die Stunden ab- durchziehen und

* wenn man das nicht schafft, fliegt man. Und das ist eben hier nicht.

Transkripte 161

I: Also weil Sie wissen, dass das auch ganz anders sein kann #Ja# und dass Sie

selber auch schon in einer ganz anderen Lage #Genau# waren #Genau#, haben

Sie Verständnis.

IP: Ja. Da war ich ja in der °Werkstatt, die Malergruppe, einen °Laden habe ich

aufgemacht mit, Malergruppe. Da hatte ich äh *2* 20 Leute unter mir, die habe

ich eingeteilt auf mehrere Baustellen in Berlin-(Bezirksname) und so. Und da

hatte ich auch den Status schon äh, kann man sagen, wie ein Meister. [Lacht] Äh

Einplanung und * Materialeinkauf. Und ich hatte dann schon- von °Werkstatt

hatte ich denn schon ein eigenes Konto, wo ich denn abbuchen lassen konnte,

wenn ich Farbe kaufen musste oder so und so was alles. Also die hatten mir da

schon voll vertraut und so (leise) und deswegen. Weil sie gesehen haben, * ich

bringe es und kann es und schaffe es auch.

I: Ja, so habe ich Sie verstanden, dass es einfach, auch wenn hier Kollegen,

Kolleginnen sind, die Ihre Probleme haben #Ja#, dass Sie einfach #Genau#

Ihre Verantwortung, Ihren Bereich haben #Genau# und-

IP: Und deswegen. Also das ist schon * angebracht, dass ich weiß-

I: Ja, es könnte auch sein theoretisch, dass ein das stört, dass anderen es dann

schlecht geht oder dass man denkt, na, Mensch, was sind das für Kollegen, die

könnten doch helfen und solche Dinge

IP: Nee, das ist nicht. Also * ich würde mir dann auch nicht mit- manchmal

unterhalte ich mich mit welchen, wenn so wie o, und dann ein bisschen

schlechter drauf ist. Jaaa, „kann man da was machen“, oder „ich habe da

Schmerzen“ oder „mir geht’s nicht gut. Was kann man dagegen machen“, so

wie-, ja, hier, ° oben. Ja, äh: * „Ich höre laufend Stimmen. Was kann ich dagegen

machen. Ich kriege Angst dabei“, und so. Dann habe ich ihm erklärt eben,

versuch doch mal ein bisschen Fernsehgucken oder Spazierengehen und * was

angucken, und denn sagen, die Stimmen haben mir nichts zu sagen, und denn,

äh, versuche es mal so- Er hat’s versucht und seitdem klappt das. #Das heißt,

Sie können-# Habe ich auch paar Ratschläge gegeben.

I: Genau. Sie können auch beraten.

IP: Ja, genau.

I: Gibt Ihnen das dann auch was, wenn Sie sehen #Ja#, ich kann auch jemand da

#Ja, natürlich# wirklich beraten.

IP: Genau. Ich hab’s ja jahrelang auch nicht gewusst, dass- dass man so was kann.

Ich habe immer gedacht, na wenn die andern mir erzählen, ja, wenn ich so

ausflippe, äh nimm doch mal einen Knüppel und geh in den Wald und hau ihn

gegen die Bäume. Ich sage, sind die nicht ganz echt in der Birne, wenn mich da

einer sieht, die sperren mich ein. Na, und denn hat mir das- in der (Name

Transkripte 162

Krankenhaus) hat mir dann ein Arzt gesagt, wo ich dann auch mit einem

Patienten zusammengeraten bin. Nehmen Sie sich irgendwas und lassen Sie Ihre

Wut raus. Na ja, und denn habe ich gesagt, wie, wenn ich hier rumrenne, da sind

noch ein paar Häuser, die was- besetzt sind, die rufen dann an und dann werde

ich hier abgeholt oder was mit der Zwangsjacke. Na ja, und dann hat sie gesagt,

nein, das machen Sie machen mal und dann geht das schon. Und seitdem weiß

ich, wenn ich mal auf hundertachtzig bin, dann setze ich mich in mein Auto,

fahr irgendwo ans Wasser oder in den Wald hin, wo kaum Leute sind. Dann

suche ich mir so ein Knüppel und dann schlage ich den auf die Erde, bis der

kaputt ist, bis ich richtig auspowert bin, und dann setzte ich mich in das Auto,

rauch erst mal ganz in Ruhe eine und lass es erst mal so sacken und denn fahr

ich nach Hause und denn ist alles in Ordnung.

I: Ist das hier anders, dass Sie hier dann doch ein paar Dinge besprechen können,

auch mit Kollegen, mit der Leitung #Ja# hier?

IP: Ja. Auf jeden Fall, weil das geht nicht so dicht an mir ran. Ich lass es

nicht so d- dicht an mir rankommen. Weil ich sage, bis dahin und nicht mehr

(betont). Ansonsten ziehe ich mich ein bisschen zurück von der Arbeit. Kann

man ja, indem man sagt, okay äh, geh mal heute statt vier Stunden bloß noch

zwei Stunden und lasst mich in Ruhe. Dann lassen sie mich auch in Ruhe oder

so. Und man ist ja nicht jeden Tag gleich drauf und so. Man hat ja auch seine

eigenen Probleme, weil man ein bisschen Stress hatte und durch meine Kinder

und Exfrau und so was alles (leiser) kocht das dann doch manchmal ein bisschen

höher, als man denkt.

I: Aber das ist dann, wenn ich Sie richtig verstehe, doch ein Unterschied, ne? #Ja#

Dass hier einfach die Sozialarbeiter, Sozialarbeiterinnen wissen, so was kann sein

#Ja# und damit rechnen auch und vielleicht besser einsortieren können oder

wie würden Sie das beschreiben?

IP: Ja, auf jeden Fall bei Frau °, die kennt mich ja schon von der (Soziales Projekt),

also die kennt mich schon von vorher, bevor der Laden war, von der (Soziales

Projekt), da war ich fast zwei Jahre, und jetzt hier ein Jahr. Und von der ° straße

und so kennen mich auch viele und so, die hier was arbeiten. Also *2* man kann

mich schon ein bisschen einschätzen hier und ein bisschen besser a- anders-

bisschen rege, wenn ich- wenn ich mal auf hundertachtzig bin oder mal kurz-

I: Und das ist Ihnen auch wichtig?

IP: Ja. Weil, ich habe jahrelang immer rein gefressen, rein gefressen und dadurch bin

ich ja krank geworden * , weil ich nie was gesagt habe. Das musste man eben

erst lernen. Und das habe ich jetzt geschafft (betont). [Lacht]

I: Okay. Gut. Dann bedanke ich mich noch mal sehr herzlich Herr °, ich denke-

Transkripte 163

Interview-Transkript: Herr E.

I: Herr °, ich mach ne wissenschaftliche Abschlussarbeit im Fach Klinische

Sozialarbeit und interessiere mich einfach für dieses Fairkaufhaus. Ich arbeite in

der Einzelfallhilfe, die auch zu Ginko gehört. * Ja. Kenne hier die Kollegen so

ein bisschen. Und habe die Frau ° einfach gefragt, wen ich nach ihrer Meinung

interviewen kann, und dann kam sie gleich auf Sie. Ich freue mich sehr, dass Sie

dazu bereit sind.

IP: Danke.

I: Also alles, was Sie jetzt hier sagen, ist jetzt für mich und meine Abschlussarbeit.

Wenn ich das verwende, dann nur so, dass ich Ihren Namen nicht sage.

IP: Okay.

I: Also ganz anonym.

IP: Das ist gut.

I: Anders geht’s nicht.

IP: Okay.

I: Denn es gibt ja den Datenschutz, zu Recht. Ich frag Sie mal ganz allgemein. Wie

gefällt es Ihnen im Fairkaufhaus hier?

IP: Gut. Die Arbeit macht Spaß, die Kollegen sind alle nett. Und *2* ähm *2* für

mich ist die * Arb- gehört die Arbeit mit zur Therapie. Weil Tabletten alleine

helfen nicht. Und die- Also die Tabletten, die Arbeit im Fairkaufhaus * ähm *3*

äh tut mir gut. Dadurch habe ich einen strukturierten Alltag.

I: Mhm. Mhm. Was haben Sie denn vorher gemacht Herr °?

IP: Ähm vorher- Wie, wie vorher?

I: Bevor Sie im Fairkaufhaus hier gearbeitet haben.

IP Vorher habe ich * in einem anderen Zuverdienst gearbeitet und wurde von

einem anderen Träger betreut. Und- Aber ich bin von dort weggezogen und bin

denn bei der- Wurde denn angefangen, von der Brücke betreut zu werden.

I: Ja. Ja. Wie alt sind Sie jetzt, Herr °?

IP: Dreiundzwanzig.

I: Mhm. Haben Sie eine Berufsausbildung gemacht vorher?

IP: Ich habe mal eine Ausbildung als Bürokaufmann begonnen. Bloß, in der Zeit,

wo ich 18, 19 war, * wurde ich dann krank. Also ich- * Da hat die psychische

Erkrankung angefangen. Und ich musste die Ausbildung abbrechen. Man hat

mir zwar gesagt, dass, wenn ich aus der Klinik entlassen bin und es mir besser

geht, dass ich die Ausbildung wieder beginnen darf. Aber ständig, wenn ich zum

Jobcenter gehe, heißt es, ich wäre noch nicht arbeitsfähig, ich werde die ganze

Zeit als arbeitsunfähig eingestuft. Und das versuche ich, ganze Zeit wieder *2* in

Transkripte 164

Ordnung zu bringen, indem ich hingehe und frage, wann der nächste ärztliche

Bericht bearbeitet worden ist.

I: Ja. * Ja. * Ja. * Das heißt, Sie würden eigentlich gerne woanders arbeiten?

IP: Ich würde am liebsten eine Ausbildung machen oder versuchen, einen * nächst

höheren Schulabschluss zu machen, damit ich irgendwann mal eine Arbeit habe,

von der ich alleine leben kann ohne staatliche Hilfe.

I: Ja. Ja. Haben Sie da eine bestimmte Idee, was Sie gerne machen möchten?

IP: Ähm ich * hab noch keine * richtige genaue Vorstellung von dem, was ich später

mal machen möchte. Ich habe schon mal- Ich hab den- Ich hab schon mal im

Bürobereich gearbeitet. Aber ich hab auch schon mal was in der Gastronomie

gemacht. Ich bin mir halt noch nicht ganz sicher. Ich * bin mir nicht * darüber

klar, was ich gut kann und was ich nicht so gut kann. Ich kann meine eigenen

Stärken und Schwächen nicht so gut einschätzen.

I: Okay. Können Sie das hier rausfinden? Was meinen Sie?

IP: Ähm * Hier durch die Arbeit habe ich öfters mal so kleine Erfolgserlebnisse. *

Ähm *3* Äh * Hier kann ich- Hierdurch kann ich erkennen, was ich besser kann

und was nicht so gut kann.

I: Mhm. Mhm *3* Wenn Sie hier reinkommen, wie fühlt sich das für Sie an,

morgens zu Arbeitsbeginn? Ist das so, wie wenn Sie auf Arbeit gehen?

IP: Also mir macht das so Spaß, ich bin genauso gern * hier wie zu Hause.

I: Ist für Sie-

IP: Wenn das die Frage beantwortet #ein anderes Zuhause?# Ähm, nein. Wie kann

ich das am besten beschreiben? Ich bin einfach hier gerne auf der Arbeit. Mhm.

Ja. #Meine-#

IP: Ich denk nie irgendwie, oh nee, jetzt muss ich morgen arbeiten gehen. So denke

ich nicht. Im Gegenteil, ich freu mich drauf, weil ich mich mit den Kollegen so

gut verstehe und alles so freundschaftlich abläuft. Deswegen, denke ich nicht so,

oh nee, morgen muss ich arbeiten, sondern ich denke dann, * ähm, cool, ich

kann morgen wieder arbeiten und denn sehe ich wieder meine Kollegen, kann

im Pausenraum mit denen quatschen. Weil, wenn ich zu Hause bin, bin ich *2*

so gut wie immer alleine und * hab niemanden, mit dem ich mich unterhalten

oder so. Und hier ist es- Hier bin ich- Fühl- Fühle ich mich nicht so allein wie zu

Hause.

I: Und die Arbeit, die Sie machen, ist die auch wichtig für Sie? Oder ist es Ihnen

wichtig, überhaupt unter Menschen zu sein und ein bisschen was zu tun?

IP: Beides.

I: Beides. Mhm. Was arbeiten Sie denn gerade hier?

Transkripte 165

IP: Ich bin *2* zurzeit im * Kassenbereich und ich bin auch öfters im

Transportbereich bei den Möbeltransporten.

I: Ja. Mhm. Gibt’s etwas, was Sie lieber tun?

IP: Äh bei den Möb- Die Möbeltransporte machen wir zwar am meisten Spaß, aber

* ähm * ist halt dann- Der Spaß hört dann auf, wenn jemand zum Beispiel eine

Couch bestellt und im vierten Stockwerk ohne Fahrstuhl wohnt. Dann hört der

Spaß auf, weil man dann- Weil’s dann so anstrengend ist, die Couch bis zum

vierten Stockwerk hoch zu tragen. Oder wenn man jemand etwas spenden

möchte, dann vier Stockwerke runterzutragen. Weil, die meisten Häuser haben

keine Fahrstühle.

I: Und können Sie da ((Es klopft an der Tür)) im Bürobereich anschließen

[GERÄUSCH], das, was Sie schon getan haben- Augenblick. ((Gespräch)). Jetzt

habe ich selber den Faden verloren. Wissen Sie es noch?

IP: Ich hab- Wollt auch gerade fragen, wo wir stehen geblieben waren.

I: Gut, wir tasten uns wieder ran. Was mich interessiert, ist, ob Sie Ihre Interessen

hier wiederfinden. Genau, ich hatte gefragt, ob Sie Ihren Bürobereich hier

anschließen können mit der Kasse, interessiert Sie das noch? Machen Sie das

gerne?

IP: Der Kassenbereich macht mir auch Spa- Spaß. Ähm * Wie meinen Sie jetzt die

Frage dann? Ich hab Sie nicht #richtig verstanden#

I: #Nein, es könnte ja sein#, dass Sie, ja dass Sie hier eine Vorliebe haben und

sagen, ich hab zwar mal im Büro gearbeitet, aber jetzt möchte ich zum Beispiel

ins Lager und vielleicht auch mal eine Ausbildung machen, die mit Lager zu tun

hat.

IP: Ach so, andere Interessen meinen Sie? Also ich hab schon öfters mal als

Küchenhilfe gearbeitet, bevor ich hier gearbeitet hatte, und da hat man- Das hat

mir auch Spaß gemacht. Aber es ist halt ziemlich anstrengend. Ähm. * Ich hatte

manchmal eine Schicht von sechzehn, siebzehn Uhr bis zwei Uhr morgens. Und

danach war ich froh ähm * äh, mich endlich mal wieder hinsetzen zu können,

weil die Füße tun einem die ganze Z- Man muss die ganze Zeit in Bewegung

bleiben. Man kann sich nicht hinsetzen, * äh, und *2* das das war wir zu viel.

Das war mir körperlich zu anstrengend.

I: Ist das hier anders im Fairkaufhaus?

IP: Ja (betont). Es wird drauf geachtet, dass wir uns nicht zu (betont)

überanstrengen. Wenn wir uns- * Wir können jederzeit eine Pause machen,

wenn wir * irgendwie *2*- Wenn wir überarbeitet sind und- * Und ich hatte

noch nie das Gefühl, dass mir etwa Arbeit aufgetragen worden ist, die ich nicht

bewältigen konnte.

Transkripte 166

I: Haben Sie das Gefühl, dass Sie, wenn Sie mal eine Pause brauchen, die auch

machen können ohne schlechtes Gewissen?

IP: Ja (betont) . Ich frag vorher Bescheid und dann sagt man mir *2* ähm, meistens

immer okay, dass ich eine Pause machen kann. Also-

I: Okay. Gut. Gibt es manchmal Probleme? Und können Sie die dann besprechen

#Also-# hier auf der Arbeit, also arbeitsbezogene Probleme oder auch #mit

Kollegen?#

IP: #Also, es gibt schon manchmal# Kunden an der Kasse, die sehr anstrengend

sind, wo meine Nerven nicht so belastbar sind wie bei jemandem anderen. Wenn

irgendjemand sich beschwert, dann nehme ich das * viel zu ernst und reg mich

dann auf. Aber ich versuche dann erst mal ruhig zu bleiben und geh- mach dann

kurz eine Pause und rede dann mit jemandem darüber, damit ich das nicht ganze

Zeit für mich behalte und denn innerlich aufrege. Und meistens reicht das dann

auch, wenn ich dann mit jemand über die Situation reden kann.

I: Mhm. Okay. *3* Haben Sie es * erwartet, dass es so ist im Fairkaufhaus, wie es

hier ist?

IP: *3* Ähm, * ich * kannte das Fairkaufhaus schon, bevor es eröffnet hatte. Weil,

es gab vorher ein kleineres Geschäft, das war der Anfang vom Fairkaufhaus, und

da habe ich schon mitgemacht. Und da-

I: Das heißt, wie lange sind Sie schon dabei?

IP: *2* Ähm, zwei Jahre.

I: Also ein Jahr hat es, glaube ich, auf. Aber Sie meinen davor?

IP: Nein, ich meine jetzt- Zwei Jahre meine ich * mit dem- wenn die Zeit mit dem

kleinen Laden-

I: Mit dem Kellerraum?

IP: Mit dem Kellerladen, da war- #Da waren Sie schon so lange dabei?# Ja. Wenn

man die Zeit noch dazuzählt #Natürlich#, ansonsten zwei Jahre.

I: Dann sind Sie ja #Ich weiß, das Fairkaufhaus hat erst-# von der ersten Stunde

an dabei gewesen. #Mhm, mhm# Und dann können Sie eigentlich ganz gut

beurteilen, wie das nun geworden ist. Jetzt haben Sie einen anderen Eindruck als

jemand, der #dazukommt#

IP: #Also bei den Renovierungsarbeiten#, da war ich nicht so optimistisch, weil *2*

alles so *2* lange gedauert hat, bis der Laden fertig war. Ich war nämlich

zwischendurch mal *3* fast drei Monate in der Klinik. Als ich zurückkam,

dachte ich so, boah, der Laden ist bestimmt fertig. Da ist bestimmt alles fertig

renoviert. Und als ich zurückkam, * da war’s noch nicht mal farb-, da war’s noch

nicht mal fast fertig.

Transkripte 167

I: Und dann zur Eröffnung und wie es jetzt aussieht, haben Sie da was

wiedergefunden von den Ideen, die Sie hatten, wie das aussehen könnte?

IP: Ähm *2* Ideen, ne- Nein, nicht.

I: Sie haben einfach gewartet, wie das dann wird?

IP: Wie kann ich- Wie, wie meinen Sie das jetzt?

I: Na, es kann ja sein- Nein, ich dachte gerade, Sie haben-, Sie hatten einfach von

Anfang an den Einblick, ja, #in die Planung-#

IP: #Ob ich Ideen eingebracht# habe, meinen Sie, #oder?#

I: #Ja. Haben# Sie selber Ideen eingebraucht hier?

IP: Nein. Ich hab einfach die * ähm die Arbeit gemacht, die mir aufgetragen worden

ist. Also ich- So kreativ bin ich nicht, dass mir irgendwelche Sachen einfallen.

I: Mhm. Mhm. Gut. *5* Fühlen Sie sich denn mit den Kolleginnen, den Kollegen

hier wohl, die hier #Ja, sehr# arbeiten. Ja?

IP: Sehr.

I: Würden Sie sagen, die sind so ähnlich wie Sie? *3* Oder sind die ganz anders?

IP: Pff- *3* Mh. Ähm. Pff-*2* Ab und- äh* gewisse- Bei gewissen Sachen sind

vielleicht ähnliche Interessen, aber ansonsten- *4* Nein, kann ich nicht genau

beantworten. Ich * weiß es nicht.

I: Gibt es manche Kollegen, Kolleginnen, wo Sie sagen, na, wir sind so ähnlich

gestrickt?

IP: Ich (gedehnt)- * ähm- Bei manchen Kollegen ist es * so, dass vielleicht *2*

ähnliche Erlebnisse waren.

I: Mhm. Okay. Und gibt es auch Kollegen, wo Sie nicht rankommen, wo Sie sagen,

die verstehe ich nicht so ganz, die arbeiten zwar hier, aber die verstehe ich nicht

so ganz?

IP: Okay. Man kann nicht mit jedem * befreundet sein und sich gut verstehen. Mir

ist es nur wichtig, dass man wenigstens sich morgens sieht und sich begrüßt,

das- das reicht mir. Ich weiß, man kann nicht mit jedem sich gut verstehen. Ich

*2* hab besonders *2* eine Person, mit der es- * ich kenn eine Person

besonders, mit der ich- mit der es ziemlich anstrengend ist, sich zu verstehen.

Also da gebe ich mir ständig Mühe (betont), um ein *2* ähm *- um ein gutes

Arbeitsklima zu bekommen. Aber * es klappt nie.

I: Mhm. * Sind Sie mit dem Konflikt alleine oder können Sie das mit jemand

besprechen hier?

IP: * Es gibt ein, zwei Leute, die das so ähnlich sehen wie ich, mit denen kann ich

darüber reden.

I: Mhm. Okay. *2* Also, wie würden Sie sagen? Ist so wie bei jeder anderen

Arbeitsstelle auch?

Transkripte 168

IP: Ja (betont). Probleme gibt’s bei jeder Arbeit.

I: Ja. Genau. Mit manchen kann man, mit manchen kann man nicht.

IP: Hm.

I: Mhm. Okay. *10* Ich hab Sie gefragt, was zu Ihren Aufgaben gehört. Würden

Sie gerne noch andere Dinge hier übernehmen wollen?

IP: * Ne, ich bin mit den zwei Arbeitsbereichen, in denen ich * eingeteilt bin,

zufrieden.

I: Sehen Sie denn Fortschritte? Also, Sie arbeiten hier, möchten aber eigentlich

gerne noch mal einen Beruf erlernen? #Mhm# Sehen Sie da Fortschritte hier in

Ihrer Arbeit?

IP: Ähm *2* ich bekomm dadurch so eine Routine. Ähm- Morgens aufstehen, zur

Arbeit gehen, den ganzen Tag durchhalten. Und ei- Ich lerne auch einiges hier

dazu. Ähm- * Besonders an der Kasse, wenn man ma- manchmal Kopfrechnen

muss, dann *2*- Es bringt mir schon- Es bringt mich schon weiter.

I: Was würden Sie sagen, was Ihnen am meisten hilft? Ist es die Routine, dass man

verlangt von Ihnen, Sie haben einen regelmäßigen Tagesablauf?

IP: Der regelmäßige Tagesablauf. Wenn- Weil dann muss ich, wenn ich zu Hause

rumsitzen würde * mit meiner psychischen Erkrankung, dann würde ich- Oah,

dann wäre ich bestimmt schon *2* ein ziemlich zum- dann wäre ich bestimmt

schon ziemlich zum Drehtürpatienten geworden. Die Arbeit hilft mir wirklich *

sehr bei meiner * psychischen Erkrankung.

I: Mhm. Okay. Mhm. Und, * fühlen Sie sich unterstützt hier in Ihrer psychischen

Erkrankung?

IP: Ja (betont). Wenn’s mir mal nicht so gut geht, dann kann zu einem *

Angestellten gehen und darüber reden. Und außerdem hab ich ja noch meine

Einzelfallhilfe.

I: Ja. *3* Was würden Sie sagen, gibt’s da Gemeinsamkeiten in der Einzelfallhilfe

und im Fairkaufhaus? Hat das eine was mit dem anderen zu tun oder ist das

völlig voneinander getrennt.?

IP: *3* Mhm. Ich weiß nicht, ob ich’s richtig verstanden hab. Aber * ähm-

I: Kommt Ihr Einzelfallhelfer oder-helferin manchmal auch hierher?

IP: Ja (betont).

I: Mhm. Okay. Und können Sie da auch Dinge besprechen, die hier sind?

IP: Ja (betont).

I: Mhm. Gut. * Wie würden Sie das anderen beschreiben, wenn Sie Bekannten

erzählen, wo Sie hier sind, wo Sie arbeiten? Was sagen Sie dann?

IP: Mh. *6* Meine Verwandten wissen zwar, dass ich * hier * arbeite, aber *2* dafür

eine Beschreibung hinzubekommen *, f- f- fällt mir nicht- fällt mir nichts ein.

Transkripte 169

I: Na, wie erzählen Sie es #Das wäre natürlich cool, wenn ich#, sagen Sie, ich geh

zur Arbeit.

IP: Das wäre natürlich cool, wenn ich irgendwie eine bestimmte Jobbeschreibung

dafür habe, die sich denn auch noch wichtig anhört, damit ich damit an- *2*

Wissen Sie, was ich meine?

I: Ja.

IP: Aber mir fällt irgendwie- * Zuv- Ich sag dann, ich arbeite in einem Zuverdienst.

I: Ja. * Okay. Und sie hätten gerne eine andere Bezeichnung dafür, wo auch der

Wert ausgedrückt wird, das, was Sie tun?

IP: Mhm.

I: Ja? Wo das dann auch nicht schräg rüberkommt. * Wenn Sie es einem

Bekannten erzählen, der Sie nicht so gut kennen und den Sie nicht so gut

kennen?

IP: Und denn sag ich, ich arbeite in einem Gebrauchtwarengeschäft.

I: Mhm. Mhm. Okay. Wie viel arbeiten Sie am Tag?

IP: Ähm. Ich arbeite fünf Stunden immer oder #Jeden Tag?#, jeden Tag.

I: Samstag auch?

IP: Ab und zu. Aber dafür- dafür mache ich immer so einen Freizeitausgleich. Wenn

ich am Wochenende auch arbeite, denn nehme ich mir vielleicht dienstags und

mittwochs frei, dann kann ich zum Beispiel Fußball gucken denn- und am

nächsten Tag ausschlafen, weil- * Weil diese- Weil Champions-League-Spiele

sind ja immer später. Die sind ja immer *2* spät abends.

I: Ja. Und sind fünf Stunden genug, zu viel oder zu wenig?

IP: Wenn’s nach mir ginge, würde ich noch viel länger arbeiten wollen. Aber ich

darf ja nur eine bestimmte Anzahl an Stunden arbeiten. * Also wenn’s nach mir

ginge, dann könnte ich auch an vielen Tagen sieben Stunden arbeiten.

I: Mhm. Ah ja. Mhm. Nun ist die Bezahlung hier natürlich nicht sehr hoch. Eins

zwanzig die Stunde. Stört Sie das? Ist das ein #Mh- Nein# Punkt?

IP: Ich kann zum Beispiel, wenn man * öfters arbeiten * geht, dann kann man schon

einige Sachen davon abbezahlen. Also von dem, was ich verdiene, kann ich zum

Beispiel meine Telefonrechnung, meine Fahrkarte, *2* und die mei- Also ein

paar Rechnungen kann ich schon davon bezahlen.

I: Mhm. Mhm. Mhm. * Okay. *3* Können Sie sich vorstellen, wenn nichts anderes

möglich wäre, dass Sie dann hier bleiben im Fairkaufhaus und hier einfach

weiterarbeiten?

IP: Wenn nichts- * Wenn sich nichts anderes ergibt, dann schon. *3* Sie haben ja

vorhin gefragt, ob ich mit den Eins zwanzig zufrieden bin. Okay (betont). Ich

bin in der jetzigen Situation damit zufrieden. Aber irgendwann mal möchte ich

Transkripte 170

mir auch ein paar Wünsche erfüllen. Ich möchte mal- *2* Ich möchte- * Das ist

nur ein Wunschdenken. Ich möchte mal so viel verdienen können, dass ich

meinen Führerschein machen kann. Dass ich mal für- vielleicht mal ein Jahr-

Einmal im * Jahr verreisen kann. Oder dass- dass ich *, wenn ich * irgendwo *

einen Einkaufsbummel mache, dann, dass ich nicht jeden Cent zweimal (betont)

umdrehen muss. Deswegen (betont). * Und außerdem wäre es gut, wenn ich eine

eigene Arbeit hätte, äh richtige Arbeit hätte, weil ich dann auch denn * weniger

Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung hätte, weil #Ist das ein Problem bei

Ihnen?# ja, weil ich keine richtige Arbeit habe, wollte man mir den Aufenthalt

nicht verlängern.

I: Mhm. Mhm. Sind Sie hier in Deutschland geboren, aufgewachsen?

IP: Ja, ich bin hier in Deutschland geboren. Es ist #Aber trotzdem gibt’s Probleme

mit dem Status?# Darf ich ganz schnell erklären- erklären, #Natürlich# wie das

passiert ist? Ich war im September beim Ausländeramt, um meinen Aufenthalt

zu verlängern. Ich hatte all meine Papiere dabei * und hab die vorgelegt,

vorgezeigt. Und die Frau vom Ausländeramt meinte einfach nur, dass sie meinen

Aufenthalt nicht verlängern möchte. Ich hab nie eine Straftat begangen. Ich hab

keine, äh, Anzei- Anzeige jemals bekommen. Ich bin in Deutschland geboren.

Ich kann meine eigene Landessprache nicht. Und das alles hat die Sachbeit-

bearbeiterin vom Ausländeramt nicht interessiert. Sie meinte einfach nur, sie

will- sie wird nicht meine Aufenthaltsgenehmigung verlängern. * Und jetzt habe

ich eine Frist bis zum nächsten Jahr März bekommen, um zu erklären, warum

ich keine richtige Arbeite habe. Weil- Sonst könnte es passieren, dass ich

abgeschoben werde.

I: Hm- * Wie fühlen Sie sich dabei?

IP: An dem Tag, wo ich dort war, * da habe ich einen richtigen Schock bekommen.

Ich hatte- Ich bekam ziemliche Angst deswegen. *4* Aber- *

I: Ja?

IP: Jetzt * hilft mir- hilft mir meine Betreuerin dabei. Ich bekomme auch noch

Unterstützung von der Immigrationshilfe. Und hier, die Arbeitskollegen haben

mir- helfen mir auch dabei.

I: Mhm. Das genau wäre jetzt meine Frage gewesen, wer Ihnen dabei helfen kann.

IP: Mh. Ich fühl mich einfach in der Situation vom Ausländeramt unfair behandelt.

I: Mhm. *6* Mich überrascht es, da Sie hier geboren sind, dass das überhaupt noch

ein Thema ist.

IP: Mich überrascht das auch.

I: Mhm. *3* Sie könnten ja auch die deutsche Staatsangehörigkeit schon beantragt

haben?

Transkripte 171

IP: Ich (betont) wollte die mal beantragen. Aber der- der ganze Antrag und die G- *

äh, die Bearbeitungsgebühr kommen auf fünfhundert Euro. Also die

Ausbürgerung beim Konsulat- Die verlangen auch so ca. zweihundert,

zweihundertfünfzig Euro dafür. Die Bearbeitung für den deutschen Pass, die

kosten auch noch mal zweihundert Euro. Und denn komme ich fast auf

fünfhundert Euro. [Hustet]

I: So dass das ein finanzielles Problem ist. *4* Mhm.

IP: Ich hab gehört, in anderen Ländern ist es automatisch so, dass man die

Staatsbürgerschaft bekommt, wenn man in dem Land geboren ist. Aber-

I: In Deutschland kann man es auf jeden Fall beantragen. Aber, wie Sie sagen, es

kostet Geld. *2* Mhm.

IP: Wenn ich schon keine- keinen deutschen Pass bekommen kann, dann will

zumindest eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. [Hustet]Aber es scheint

nur wichtig zu sein, was man im Portemonnaie hat. Okay, ich- Wenn ich das als

Ausländer sage, dann hört sich’s vielleicht komisch an. Aber * ähm *3*, ob die

Leute in- äh, äh, ob die, die- Die Leute achten gar nicht drauf, ob die Leute

integriert sind in die deutsche Sprache oder nicht. Die interessieren sich

anscheinend nur, was die Leute im Portemonnaie haben. Wenn die Leute genug

Geld haben und arbeiten gehen, dann ist es denen auch egal, ob jemand nur ein,

zwei Sätze Deutsch sprechen kann, und nicht lesen und schreiben kann. [Hustet]

Wissen Sie, worauf ich hinaus will?

I: Sie finden das nicht in Ordnung?

IP: Ja. Weil, ich kannte mal jemanden, der konnte kaum Deutsch sprechen und hat

im Unterricht nicht mal richtig lesen und schreiben können und der hatte einen

deutschen * Pass. Und womit der sein Taschengeld verdient hat, möchte ich

lieber nicht sagen. Aber *4*- Wis- Wissen Sie, warum ich meine, dass es so

unfair ist?

I: Mhm. Mhm, mhm. Fühlen Sie sich denn als Ausländer- hier geboren, und Sie

sprechen kein Türkisch, habe ich das richtig verstanden?

IP: Ja.

I: Ist es dann für Sie korrekt, wenn Sie sagen, ich bin Ausländer, sie kennen doch

gar nichts anderes?

IP: *5* Ähm, schwierig. Ähm *2* Einerseits bin ich *3* Türk- ähm von der

Staatsbürgerschaft türkisch. * Andererseits bin ich hier geboren und- *2* Ähm-

*3* Aber ich habe mich an die deutsche Kultur angepasst und kenn- kenn es

nicht anders und hätte Schwierigkeiten *2* mit meiner- *3* ähm, * Herkunft.

[Hustet]

Transkripte 172

I: Spielt das im Moment eine große Rolle bei Ihnen, dieses Problem, #Mh# das ist

ja- nein?

IP: Mir ist es eigentlich egal, welche Nationalität ich (betont) habe oder welche

Nationalität andere haben.

I: Nein, so meinte ich es jetzt nicht. Sondern, im März bereits wird da noch mal

drüber entschieden, das ist ja nicht sehr lange hin #Mh#. Spielt das jetzt eine

Rolle für Sie, wie Sie sich hier fühlen im Fairkaufhaus? Bedrückt Sie das?

IP: Ähm, * mhmh (verneint). Nein.

I: Sind Sie zuversichtlich, dass das noch mal verlängert wird?

IP: Ja. Ich denke schon.

I: Gibt es etwas, was Sie gerne noch aus Ihrer Sicht so mit Ihren Erfahrungen zum

Fairkaufhaus sagen würden? Was vielleicht auch nicht jedem auffällt?

IP: Mir fällt jetzt nichts ein.

I: Okay. Dann bedanke ich mich noch mal sehr herzlich bei Ihnen, Herr °

IP: Okay.

I: Wünsche ihnen alles Gute.

IP: Ich hoffe, ich konnte alle Fragen beantworten.

I: Haben Sie selbst noch Fragen?

IP: Nein.

I: Mhm.

IP: Okay.

I: Dann vielen Dank, ja?

Transkripte 173

Interview-Transkript: Frau F.

I: Erfahrungsgemäß- In den ersten paar Minuten denkt man noch dran und dann

vergessen Sie dieses Ding, ja, wirklich. Es ist nicht anders, als wenn wir ganz

ohne das Gerät miteinander sprechen. Ich sage es trotzdem ganz offiziell, das

würde ich auch ohne das Gerät sagen. Noch mal vielen Dank, dass Sie bereit

sind #Ja, kein Problem# für das Interview. Finde ich sehr schön. Dass es für

eine Abschlussarbeit ist, habe ich Ihnen gerade gesagt, in Klinischer Sozialarbeit.

Was ich auch noch mal sagen möchte, ist, dass nichts hier irgendwie

weitergegeben wird.

IP: Gut.

I: Das Interview wird nicht weitergereicht an andere. Ich will natürlich was von

Ihnen wissen. Aber das, was ich wissen möchte, kommt hinterher in die Arbeit

anonym rein.

IP: Gut. Okay.

I: Da steht dann Frau °, sondern Frau XY. [Lacht] Und wenn’s sein muss, ändert

man auch ein paar Dinge noch. Damit nicht jeder sofort weiß, wer das ist.

IP: Okay.

I: Das ist immer so, ja? Gut. Ich fange einfach mal ganz allgemein an. Wie gefällt

es Ihnen im Fairkaufhaus?

IP: Das gefällt mir super.

I: Ja? Gehen Sie gerne hierher?

IP: Ja.

I: Mhm. * Wie kommt das? Ich meine, wie ist die Atmosphäre, wenn Sie so

reinkommen, wie fühlen Sie sich da?

IP: Super. Ausgeschlafen. Freue mich auf die Arbeit.

I: Wann beginnen Sie die Arbeit?

IP: Um neun.

I: Und wie ist es, wenn Sie die Tür aufmachen hier?

IP: Welche Tür?

I: Ist das- Hier oben, wo Sie eben reinkommen. Ist das meine Arbeit, fühlt sich’s

anders an? Wie fühlt sich das #Nein, ist ganz normal# an. Ganz normal?

IP: Als wenn man arbeiten gehen würde, #Okay# so fühlt sich’s an.

I: Okay. Wie lange sind Sie jetzt schon dabei?

IP: Paar Monate.

I: Geht’s noch ein bisschen genauer?

IP: Sieben Monate circa.

Transkripte 174

I: Sieben Monate? Dann sind Sie ungefähr dazugekommen, wo das eigentlich

schon so fertig aufgebaut war?

IP: Mhm. Genau.

I: Was haben Sie vorher gemacht?

IP: War in der °(Name der früheren Werkstatt)-Werkstatt. * ° straße.

I: Was haben Sie dort gearbeitet in der Werkstatt?

IP: War im Berufsbildungsbereich.

I: Ah ja. Ah ja. Also eine Ausbildung?

IP: Nee. Ganz normale Arbeit halt für- #Eine Arbeit# Werkstatt für Behinderte.

I: Okay. Okay. Und was haben Sie dort genau gemacht?

IP: Vorgelesen.

I: Den Kollegen, Kolleginnen?

IP: Ich. Weil, ich bin die beste Leserin.

I: Ja, ja. Ich meine, haben Sie den Kolleginnen und Kollegen vorgelesen #Ja,

Beschäftigten#

IP: Hab ich Autoringe einsortiert, also diese schwarzen Teile, die- die ins Auto

reingehören, habe ich rein sortiert. Ja.

I: Das haben Sie dort gemacht in der °(Name der früheren Werkstatt)?

IP: Okay.

I: Und was machen Sie hier?

IP: Wäsche sortieren, Wäsche aufhängen, Wäsche auspreisen. * #Mhm, mhm# Ja.

I: Machen Sie die (betont) Arbeit gerne?

IP: Ja.

I: Mhm. Okay. Gibt es einen andern Bereich hier im Fairkaufhaus, wo Sie denken,

na da würde ich ja auch mal gerne reinschnuppern?

IP: Bügeln.

I: Bügeln? Mhm.

IP: Bügeln.

I: Und geht das im Moment nicht oder ist

IP: Nein, im Moment nicht. Aber sonst, wenn mal keiner da ist, dann mach ich das.

I: Dann machen Sie das. Mhm. Können Sie solche Wünsche auch äußern? #Ja#

Den Mitarbeitern gegenüber #Ja# oder Frau ° gegenüber #Kann ich# Mhm.

IP: Dann sagen sie „ja, wenn ein Bügelplatz frei ist“, zum Beispiel, kann ich

dahingehen * und bügeln.

I: Mhm. Mhm. Das Verhältnis zu Kollegen, Kolleginnen hier, wie würden Sie das

beschreiben?

IP: Na, mit manchen vertrage ich mich nicht so wirklich, aber * ist ja normal im

Leben, ne? Man verträgt sich ja nicht mit allen.

Transkripte 175

I: Mhm. Mhm. *3* Was würden Sie sagen, sind die Menschen, die hier neben

Ihnen arbeiten, so ähnlich wie Sie oder sind die völlig anders alle oder gemischt?

IP: Nee, anders.

I: Sind alle völlig anders?

IP: Ja. * Ich hab zum Beispiel morgens, wenn ich um neun hierher komme, keine

Lust den Laden zu putzen [lacht], die andern machen das * ohne Hilfe und ich

brauch immer Hilfe und sage, was ich machen soll oder nicht.

I: Ja. Ja. * Und ticken die andern so ungefähr so ähnlich wie Sie oder sind die von

einem ganz anderen Stern?

IP: *3* Ich glaube, die ticken so wie ich. [Lacht]

I: Mhm. Okay. *3* Wie haben Sie denn erfahren vom Fairkaufhaus?

IP: Na, durch meine Werkstatt. Ich hab da gekündigt und wollte da irgendwann

wieder anfangen, weil’s mir zu Hause zu langweilig war, und denn haben sie mir

so einen Flyer vom Fairkauf- kaufhaus gegeben. Ja, und dann habe ich hier

angerufen und hab ein Vorstellungsgespräch gehabt, und die haben mich

angenommen.

I: Dann ging das ja recht flott.

IP: Ja.

I: Mhm. Was haben Sie gedacht, was hier so auf Sie zukommt?

IP: *2* Hab mir schon so was Ähnliches gedacht, mit Wäsche und * Bügeln und so.

Ja.

I: Das heißt, das ist ungefähr so, wie Sie erwartet haben?

IP: Ja. Kann man sagen.

I: Mhm. Mhm. Okay. * Wie nutzen Sie denn die Möglichkeiten hier? Sie sagen, Sie

fühlen sich, wie wenn Sie auf Arbeit kommen, morgens. Wie lange arbeiten Sie

denn jeden Tag?

IP: Von neun bis vierzehn Uhr.

I: Jeden Tag? Montag bis Freitag.

IP: Na, kommt drauf an, wie ich Lust habe gerade. Ob ich früher gehe oder ob ich

später gehe. Kommt drauf an, wie ich gut gelaunt bin oder schlecht gelaunt bin.

[Lacht] Aber generell von neun bis vierzehn Uhr nur.

I: Ja. Ah ja. Und ist das möglich, wenn Sie mal schlecht gelaunt sind, dass Sie dann

sagen, heute geht’s nicht mehr?

IP: Dass ich dann nach Hause gehe?

I: Mhm.

IP: Ja. * Kann ich sagen.

I: Können Sie das sagen oder besprechen?

IP: Mhm.

Transkripte 176

I: Gibt’s dann Ärger oder hat man Verständnis?

IP: Nee, hat man Verständnis.

I: Mhm. Okay. Und ist das anders als jetzt verglichen mit der ° (Name der

früheren Werkstatt) zum Beispiel?

IP: *3* Ne, da durfte man nicht- nicht einfach nach Hause gehen.

I: Da musste man bleiben.

IP: Da musste man bleiben.

I: Okay. Und kommt Ihnen das #Außer einem ging’s jetzt nicht gut oder so, ist ja

klar, der durfte der nach Hause #Bei Krankheit?#, aber- Ja, genau bei

Krankheit.

IP: Weil, jetzt nicht mal, wenn man irgendwas vergessen hat oder so, dass man nach

Hause darf. Hier darf man das ja.

I: Und kommt Ihnen das entgegen, dass das hier so ist, dass man mehr- Na wie

soll ich’s sagen? Wie würden Sie es sagen? Was macht man hier mehr als

woanders? *4* Nimmt man hier mehr Rücksicht?

IP: Ach so. * Ja. Man hilft den andern auch (betont).

I: Mhm. Also das #Gegenseitig# ist hier anders als #In der ° Werkstatt, ja#

woanders. Und #Muss ich wirklich dazusagen# kommt Ihnen das entgegen,

brauchen Sie so was? Bräuchten Sie nicht unbedingt? Sie könnten auch-

IP: Ich kann alleine arbeiten. Ich brauch eigentlich niemand anderen an meiner

Seite. * #Okay. Okay# Ja.

I: Ist es denn angenehmer als in der °(Name der früheren Werkstatt)?

IP: Ja. Hier auf jeden Fall. Weil, hier kann man gehen und kommen, wann man will.

Hier kriegt man das Geld bar auf die Hand. So- so bei der ° Werkstatt kriegt

man’s auf ein Konto und alles (leiser).

I: Ja. Ja. Also, Sie haben dort ja gearbeitet in der ° (Name der früheren Werkstatt),

Sie sind auch in der Lage, dort zu arbeiten, aber hier finden Sie es angenehmer?

Verstehe ich Sie #Hier finde ich’s angenehmer. Ja# da richtig?

IP: Ich will nicht mehr in die ° Werkstatt zurück. [Lacht]

I: Sie würden nicht mehr zurückgehen?

IP: Ne. * Ich würde gern ° (Name einer anderen Werkstatt), ° (Straßenname) *

arbeiten.

I: Als was bitte?

IP: ° (Straßenname), ° (Name der früheren Werkstatt), äh ° (Name der anderen

Werkstatt).

I: Und gibt’s da Chancen?

IP: * Bis jetzt nicht. [Lacht] Weil, weil, weil ich’s, ehrlich gesagt, noch nicht hab

auszuprobieren.

Transkripte 177

I: Mhm. Mhm. Was glauben Sie, wie lange möchten Sie hier bleiben? Schon mal

drüber nachgedacht?

IP: Ja. Also so lange, bis ich eine neue Arbeit gefunden habe.

I: Suchen Sie denn im Moment?

IP: Ich suche im Moment gar nicht. [Lacht] Und mir gefällt es hier im Moment am

besten und ich will erst mal nirgendwo anders hin.

I: Ja. Gibt keinen Druck, jetzt zu suchen?

IP: Mhmh (verneint).

I: Okay. Mhm. Was würden Sie sagen, Sie haben ja wie jeder bestimmte

Fähigkeiten. Können sie die hier einbringen?

IP: Also was ich gut kann?

I: Was Sie gut können, ja.

IP: Ja.

I: Ja? Oder gibt’s ein Bereich, wo Sie sagen, Mensch, kann ich auch gut, kann ich

hier gar nicht so einbringen?

IP: *3* Nee. Meine Fähigkeiten sind okay mit Wäscheaufhängen und so, das kann

ich alles.

I: Das finden Sie in Ordnung?

IP: Ist in Ordnung alles, ja.

I: Das heißt, Sie sind so einigermaßen zufrieden mit dem, was Sie hier tun? *

IP: Mhm. Ja.

I: Gibt’s da auch Anerkennung? Sagt man Ihnen, hast du gut gemacht, so was in

der Art #Ja, kriege ich. [Lacht]# Ja? Ist das wichtig?

IP: Ist wichtig. Ja. * Weil, * ich hab letztes Mal * angeblich lustlos (betont) gearbeitet,

was gar nicht stimmte. Ich hab’s jedenfalls nicht mitbekommen. Und jetzt hab

ich ein Lob bekommen. Ja. [Lacht]

I: Und ist das woanders, Entschuldigung, anders als jetzt in der °(Name der

früheren Werkstatt) oder was Sie sonst erlebt haben? Einfach die Anerkennung?

IP: Ja.

I: Ja? * Okay. *4* Wie ist das mit der Bezahlung? Es sind eins zwanzig die Stunde.

#Mhm# Manche kommen damit sicher zurecht. Manche würden vielleicht

sagen, na, ist ja bisschen wenig, oder welche, die einen Beruf haben, würden

vielleicht #Nee, kommt drauf an# sagen, ich hab schon mal viel mehr verdient.

#Na, kommt drauf an, wie-# Wie ist das für Sie?

IP: Kommt drauf an, wie man halt arbeitet, ne? Wie viel Stunden man arbeitet.

Dann zählt man das später zusammen und so viel Geld kriegt man dann auch.

I: Das ist eher kein Thema für Sie?

IP: Nee.* So viel ich arbeite, arbeite ich, und- #Ist okay, so wie es ist, ja?# Mhm.

Transkripte 178

I: Okay. Mhm. *3* Mit den Kollegen und Kolleginnen, das habe ich schon so ein

bisschen angesprochen. Sie scheinen sich ganz wohl zu fühlen. Habe ich Sie da

richtig verstanden?

IP: Ja. Stimmt.

I: Gibt’s welche, wo sie sagen, das belastet mich, so wie die sich verhalten, oder-

IP: Ja.

I: Ja?

IP: Mhm. * Eine (betont) Person jedenfalls.

I: Eine Person. Würden Sie sagen, das war woanders auch so, da gab’s auch schon

mal jemand. #Nein, nein. Mhmh (verneint)# Das nicht.

IP: Nur hier.

I: Und was ist das Besondere daran? Was vermuten Sie?

IP: * Bitte?

I: Na ja, dass es hier so jemand gibt, der Sie * besonders belastet? Sie müssen keine

Namen nennen.

IP: Ist ein junger Mann, sag ich mal so.

I: Mhm. * Können Sie darüber sprechen, wenn’s da jetzt ein Problem im

Zusammen damit gibt? Können Sie da #Mit der gleichen Person?# die Betreuer

ansprechen?

IP: Die Betreuer ja, aber nicht die Person, die lässt nicht mit sich reden.

I: Ja. Okay. Und ist es so, dass Sie das richtig stört?

IP: Ja. * #Okay# Wegen dem kann ich nicht mal richtig arbeiten.

I: Mhm. Gut. Gibt’s da Lösungen dafür?

IP: Ja, einfach mit der Chefin reden, * dass es nicht so weitergeht.

I: Mhm. Aber das können Sie?

IP: Das kann locker, ja. * #Okay. Gut# Bloß ich trau mich halt nicht, weil ich

Angst habe, dass der irgendwas tut, ne, wenn er es rausbekommt. Wenn ich-

dass ich mit Frau ° gesprochen habe-

I: Nun ja. Also jetzt mal etwas neben dem Interview gesprochen. Die Möglichkeit

hat natürlich jeder und jede hier, mit der Leitung oder hier mit den Mitarbeitern,

den Betreuern zu sprechen, ja, und natürlich auch im Vertrauen, und das wissen

auch alle anderen. Sie können ja sonst was besprechen. Wenn die Tür zu ist- Das

Mikro ist da nicht an. #[Lacht]# Ja?

IP: Ja.

I: Ja? Okay. *3* Gibt’s vielleicht irgendetwas, was Ihnen einfällt, was Sie so im

weitesten zum Fairkaufhaus-, was Sie noch gerne loswerden möchten?

IP: Nee. Also ich hab nichts mehr.

Transkripte 179

I: Wie erzählen Sie das Ihren Bekannten oder Freunden, Familie, wo Sie hingehen,

was Sie hier machen? Sagen Sie, ich geh auf Arbeit? Sagen Sie, ich gehe ins

Fairkaufhaus? Was sagen #Ich geh zur Arbeit, sag ich# Sie da? Gibt’s da

Nachfragen?

IP: * Ja, wie lange ich immer arbeite.

I: Wie lange. Und auch was? Was machst du da?

IP: Ne, das nicht. #Das nicht?# Nur, wie lange ich arbeite.

I: Mhm. Okay. *5* Gut, dann würd ich sagen, das war’s. Noch mals vielen Dank

#Ja#, dass Sie mitgemacht haben, ja? Alles Gute hier für Ihre weitere Arbeit.

IP: Danke.

I: Dann schalte ich aus.

IP: Ja.

Transkripte 180

Interview Transkript: Leiterin des Fairkaufhaus Katrin Faensen

I: Okay, °, vielen Dank noch mal, dass Du das mit mir machst. Das wird jetzt ein

Experteninterview und natürlich unterscheidet sich das auch hier von dem

anderen Frage-Interview für die Klienten, die ich da ausgeheckt habe. Ich würde

dich gern zu vier verschiedenen Dingen was fragen. Vielleicht unterbrechen wir

einfach auch nach ein, zwei Punkten. Das sind Formalien, Klienten- und Projekt

bezogene Fragen, Fragen zu deinem persönlichen Alltag. Und hier habe ich das

mal versuchsweise eine Metaebene genannt, ja Das gibt sicher viel Stoff. Und

dann müssen wir mal sehen, ob die Zeit reicht. Die Abrechungsmodalitäten für

die Klienten, wie viel hast du damit zu tun?

IP: Ähm. Na, das ist mein Haupt- im Augenblick ist das mein Hauptarbeitsbereich.

Also gucken, für wen sind Kostenübernahmen da, wo kriegen wir Kosten-

Übernahmen her für die, für die keine da sind. Wo docken wir sie an? Das ist im

Fairkaufhaus ein bisschen komplizierter, alldieweil wir nicht direkt abrechnen

können, weil wir kein Leistungstyp sind. Sondern wir müssen das, was wir hin an

Betreuungsleistungen erbringen, über entweder Die Brücke oder Ginko

abrechnen. Das ist in Spandau mit dem Fallmanagement und sozialpsychia-

trischen Dienst so eingetütet (betont). Aber es ist nicht immer ganz einfach. Vor

allem wenn die Klienten bei anderen Trägern schon angedockt sind oder in

anderen Bezirken wohnen. So.

I: Wie hoch ist der Anteil derer, die woanders angedockt sind?

IP: Ich würde sagen, vielleicht * zehn Prozent. Zehn, fünfzehn Prozent.

I: Und der Anteil dieser Abrechnungsgeschichten, also bei dir hört es sich so nach

so ungefähr achtzig Prozent an? Was würdest du sagen?

IP: Na ja, also ich, ähm- ich muss in die Wege leiten, wie das dann hinterher

gemacht wird, ja? Also ich- schreibe auch den BRP-Teil, Beschäftigung und

Arbeit, kommuniziere mit dem Fallmanagement, mit den Trägern, bei denen wir

die Klienten letztendlich andocken, also mit der Einfallhilfe oder mit dem VBW,

bei der Brücke. Ähm, * also die Verantwortung, dass das läuft, liegt bei mir.

I: BRP schreiben nicht Mitarbeiterinnen zum Teil?

IP: Hier?

I: Ja.

IP: Auch zum Teil. Ja. Also wenn (betont), dann Herr ° oder Frau °, sind ja die

geschulten pädagogischen * Mitarbeiter.

I: Ist das Verhältnis für dich, so wie es ist, okay? Verhältnis von Formalien und

sonstige Arbeit, auf die wir noch kommen?

Transkripte 181

IP: *5* Ja. Ich würde gerne mehr am Kaufhausalltag teilnehmen. Geht aber im

Augenblick nicht, weil noch viel nachzuholen ist an Kostenübernahme,

Eintütungen und * organisatorischen Geschichten, ja? Wenn das alles mal

beschrieben ist und wenn das alles mal * in * geregelten Bahnen läuft, dann kann

es sein, dass ich auch mehr am Kaufhausalltag teilnehme. Dann muss ich aber

auch noch mal gucken, wie ich mich da rein finde bei den verschiedenen

Verantwortungsbereichen, die die Mitarbeiter (betont) jetzt haben so, ja? Also,

ähm, *2* das ist spannend. Aber so wie es im Augenblick ist, bin ich mir ein

bisschen zu viel im Keller, ja?

I: Ja. Okay. Äh, das heißt, die Ressourcen reichen im Moment hauptsächlich dafür

und- #Für *2* Administration# mehr Arbeitszeit. Künstlich verdoppeln kann

man nicht, ja? Also hauptsächlich Administration #Genau# *2* Wie könnte

man diese Abläufe verbessern? Muss da einfach Zeit vergehen und die Dinge

abgearbeitet werden, die sich nun mal angehäuft haben?

IP: Es muss vernünftig beschrieben werden. Also bin ich denn- ich bin echt ein-

mittlerweile ein QM-Fan geworden, weil ich einfach sehe, was es bringt, ja? Ähm

äh ich * möchte gerne diese Prozesse beschreiben und einen Leitfaden und

Verfahrensbeschreibungen anfertigen, so dass einfach jeder weiß: Welchen Stand

haben wir gerade, was ist jetzt als Nächstes zu tun, wie machen wir es

überhaupt? So dass man nicht von- von- also bei jedem Mal (betont) wieder

überlegen muss, was war jetzt eigentlich zu tun, so, ja? Also das, ähm- das ist mir

wichtig. Und hinzukommt ja, dass dieses Warenwirtschafts-System, was wir hier

haben, noch nicht so läuft, wie das die Geschäftsführung gerne wollte, dass es

läuft. Das ist auch noch mal was, was so als Nächstes auf der Aufgabenliste

steht, ja? Ähm, und, glaube ich, dass- dass es ganz wichtig ist, dass die

Mitarbeiter auch wissen (betont), wann sie was zu tun haben und was überhaupt

alles zu tun ist so, ja? Also im Augenblick wird halt hier Alltagsgeschäft gemacht

und das lässt nicht wirklich Zeit, um noch mal hinter die Kulissen zu gucken

und die Struktur zu betrachten. Ähm. * Und, ich glaube, das ist wichtig (betont),

dass jeder Mitarbeiter, der hier ist, auch * eine Ahnung von der Struktur der

Dinge hat.

I: Das sind ja schon drei große Bereiche, ne? Das Administrative, ja-

(Unterbrechung *5*). Ja, mir wurde #Drei große Bereiche#, gerade klar, dass es

drei große Säulen sind, das Administrative, das Pädagogische, im weitesten Sinn,

also Klientenbetreuung, die Einzelgeschichten und -schicksale, wie immer,

Biografien, ja, und dann natürlich auch die Warenwirtschaft. Wie sollte das

Verhältnis deiner Meinung nach sein, idealer (betont) Weise, was deine (betont)

Arbeit betrifft?

Transkripte 182

IP: Idealerweise sollte das ein Drittel, ein Drittel, ein Drittel sein. * So. Das wäre

schön. Also das würde mir auch Spaß machen, ne? Im Augenblick hab ich

Baustelle, Administration und (betont), pädagogische Geschichten, weil die

einfach stattfinden müssen (betont). Also es wird dauernd (betont) geklopft und es

gibt einfach dauernd (betont) Gesprächsbedarf. Und was das Warenwirtschaft-

liche angeht, da komm ich im Augenblick gar nicht hinterher. Also * das- Ich

werd nächsten Dienstag nach Bonn fahren in dieses andere Kaufhaus und mir

da dieses Warenwirtschaftssystem, was wir auch (betont) haben, in * sehr guter

Funktion, also die müssen das sehr (betont) gut umgesetzt und eingesetzt haben,

werde ich mir angucken, so dass ich das dann auch * langsam angehen kann.

I: Mhm. *3* Das hörte sich gerade einfach nach sehr viel an und-

IP: Ist viel.

I: Nach zwei Stellen. So ungefähr. #[Lacht]# Derzeit.

IP: Kann ja das Interview in Kurzform mal meinen Chefs vorspielen. [Beide lachen]

Nee, das wissen die, #Das Interview wird# also es ist wirklich-

I: Es wird abgesegnet, ne? #Ja# Ja, klar.

IP: Nee, das ist viel. Es ist wirklich viel. Ja.

I: Mhm. Mhm *4* Okay, also welche Ressourcen du dir zusätzlich wünschst, hat

sich daraus eigentlich schon indirekt ergeben. Das eine muss abgearbeitet sein.

Dann gibt’s hoffentlich (betont) mehr Zeit für die anderen beiden Dinge, das

Pädagogische und die Warenwirtschaft.

IP: Mhm. Also mit dem Pädagogischen, würde ich sagen, sind wir ganz gut * dabei.

Auch da muss Struktur rein, ja? Wann wird ein Assessment gemacht? Wer macht

das mit wem? Wann wird’s wieder gemacht? Wie wird’s ausgewertet? Und so

weiter, und so fort. Ähm *2* und äh- ja, wie gesagt, diese

Warenwirtschaftsgeschichte, da *2*- das ist mir auch wichtig, dass das noch

anläuft. Ähm, welche Ressourcen wünsche ich mir zusätzlich? Ich hätte gerne

noch einen Mitarbeiter, * Mitarbeiter, Mitarbeiterin. Mhm.

I: Äh, gibt’s eine Dokumentation. Du sagst also, Warenwirtschaft wäre ja auch ein

Bereich, den man auch dokumentieren, buchhalterisch bewältigen muss, ja, und

natürlich auch alles, was mit Assessment, Klientendokumentation zu tun hat. Du

hast vom Leitfaden gesprochen, den du entwickeln möchtest.

IP: Ja, das ist alles- passiert so langsam. Ich muss ja selber erst mal durch die ganzen

Prozesse durchsteigen (betont), ne? Muss mir erst mal erarbeiten, wie- wie laufen

die überhaupt und wo hakt es und wo könnte man es besser machen und wo ist

es vielleicht sehr gut. Ähm-

Transkripte 183

I: Gibt es denn irgendeine Art von Doku-System im Moment? #Ne. Also

natürlich#, also über die Anspruchsgrundlagen hinaus, die ja bearbeitet werden

müssen, Anträge schreiben etc., ja, und mit Bezirken sprechen notfalls.

IP: Nein. Gibt’s nicht. Gibt’s nicht. Also es wird einfach irgendwie gemacht (betont)

und ähm * beschrieben ist es bis jetzt nicht, ja?

I: Okay. * Was passiert, wenn einem Klienten, der hier mitarbeitet, die

Finanzierung verwehrt wird?

IP: *3* Das haben wir noch nicht gehabt bzw. haben jetzt einen Fall, wo es

eventuell sein könnte (betont). * Dann müssen wir gucken. Also * theoretisch ist

es so, dass dieser Klient dann hier nicht (betont) arbeiten kann. Weil (betont) wir

nicht für eine (betont) Leistung Geld verlangen können und für die gleiche

Leistung bei einer anderen Person nicht. Also das entbehrt jeglicher gesetzlicher

Grundlage. Das heißt, wir müssen, müssten diesem Klienten dann die

Beschäftigung hier im Fairkaufhaus leider (betont) verweigern aus diesen

Gründen. Ähm. Wobei * ähm * das hier in Spandau, wenn wirklich Bedarf

besteht, eigentlich nicht der Fall sein kann (betont). Ja? Ähm. Außer * die

Klienten * machen nicht mit bei diesem Prozess, der- Sie müssen einen Antrag

stellen und Unterlagen einreichen usw. Ähm. Oder (betont), was die andere Seite

ist, sie haben sehr viel Geld (betont), dann müssten sie die Leistungen selber

zahlen, ja?

I: Gibt es da ein Beispiel?

IP: Da haben wir auch eine Klientin und- Also gerade diese beiden Fälle sind im

Augenblick bei mir auf dem Tisch (betont) und da müssen wir gucken, wie

machen wir das. Also, * ähm, *2* äh, ist sie bereit, ihr *- ihr Geld * in nützliche

Dinge anzulegen, um dann das finanziert zu bekommen, oder, äh, ist sie bereit,

diese Finanzierung zum Teil selbst zu zahlen, oder ist beides nicht der Fall?

Dann können wir sie hier nicht tragen.

I: Die Alternative wäre was? Ehrenamt, oder?

IP: Ja (laut), hier eben nicht. Also das ist- Da haben wir heute auch drüber

gesprochen. Ähm. * Ich * krieg hier keine strukturelle Klarheit hin, wenn ich

solche Ausweichmöglichkeiten anfangen, ja? Wenn hier jemand ehrenamtlich

arbeitet, was ich begrüße (betont), dann möchte ich ihn aber nicht noch betreuen

müssen, weil er ein Klient ist, ja? Also wenn hier jemand ehrenamtlich arbeitet,

dann ist das ganz toll, aber dann muss die Arbeit gesehen werden, dann muss

derjenige * Erster-Arbeitsmarkt-fähig sein, ja? Also ich kann natürlich nicht

sagen, die eine Klientin arbeitet hier ehrenamtlich und kriegt unsere

Betreuungsleistung und muss dafür nichts zahlen. Gut, kriegt dafür hier auch

keine ein Euro zwanzig die Stunde, aber es steht ja in keinem Verhältnis, ja?

Transkripte 184

I: Ließe sich das im Einzelfall so genau trennen? Gespräche, die man hat,

Betreuungsleistung?

IP: Ließe sich das im Einzelfall genau trennen? Ja (betont) . Das ließe sich trennen.

Indem man *- indem man *2* eine Verhältnismäßigkeit anstrebt, ja? Ich

unterhalte mich selbstverständlich (betont) mit meinen Kollegen auch (betont),

wenn die Probleme haben oder die sich mit mir, wenn ich Probleme hab, ja?

Aber in welchem Verhältnis steht das zum- zur Arbeit und beeinträchtigt das die

Arbeit, ja? Also wenn es die Arbeit * nicht (betont) oder nicht in größerem Maße

beeinträchtigt, dann ist es ein Privatgespräch und dann ist es auch eine

Rollenklarheit, ja?

I: Mhm. Okay. Könnte man so was auch in einem Leitfaden festhalten #Klar#,

dass jeder das nachvollziehen kann?

IP: Ja, ja. Sicher. Ja. (leise)

I: wir sind jetzt schon sowieso in den Bereich Klienten übergeschwenkt. Ähm, ja,

ich frage jetzt einfach mal etwas provokativ. Gibt es hier oder gäbe es hier so

was wie typische oder idealtypische Klienten? #Fürs Fairkaufhaus?# Welche

passen gut hierein #Ja. Okay# in dieses Kaufhaus?

Ähm, ja, okay. Hier passen gut Klienten rein, die *7* auf dem Weg sind

sozusagen, ja? Also *3* Schau, wir haben hier * äh * im Augenblick * bis zu 45

Klienten, also die gerade hier im Fairkaufhaus regelmäßig herkommen. Die sind

natürlich nicht alle gleichzeitig da, ja? Und wir haben fünf Mitarbeiter. So. * Wir

haben *2* das Problem, * dass wir * unwahrscheinlich viel zu tun haben, um das

aktuelle Tagesgeschäft * gut laufen zu lassen. Ähm *2* und *2* wir können

keine Eins-zu-Eins-Betreuung leisten * oder * ganz selten. Also wir müssen

jemandem sagen, okay, hier ist die und die Arbeit und bitte tu die. Und dann

muss er die tun können. Wenn er die nicht tun kann, sondern einen Menschen

neben (betont) sich braucht, der ihn dauernd kontrolliert und dauernd

Rückmeldungen gibt und mit ihm gemeinsam die Handgriffe macht, dann

nimmt es unwahrscheinlich viel Betreuungsleistung in Anspruch.

I: Das kann hier nicht (betont) geleistet werden?

IP: Das kann hier nicht, äh nicht bei allen Klienten #Oder im Ausnahmefall#-im

Ausnahmefall geleistet werden.

I: Wäre so was wie Arbeitsassistenz möglich? Das würde natürlich eine andere

Anbindung, auch ans Arbeitsamt voraussetzen.

IP: Arbeitsassistenz?

I: Mhm.

IP: Was verstehst du darunter?

Transkripte 185

I: Menschen mit einer Behinderung können unter Umständen Arbeitsassistenz

beantragen, sind andere gesetzliche #Ja# Anspruchsgrundlagen #Ach so#

IP: Genau, Hamburger Modell oder so. Die haben so was. Genau. Ähm * äh wenn

der Arbeitsassistent mit hierher kommt, dann können wir darüber reden. Und

wenn wir das machen müssen, nein (betont), ja? Also-

I: Ja. * Es gibt ja diese Zweiteilung, wenn ich es richtig verstanden habe, ein

Konzept aus Zuverdiener und Menschen, die einfach Betreuung brauchen. Im

Konzept steht’s so drin, auf der Homepage auch. Dass einfach ein Teil davon

vielleicht zuverdienstfähig wird, ja, und der andere Teil ist permanent auf

Betreuung angewiesen.

IP: Hm.

I: Ist diese Zweiteilung, die man da so raus hören könnte, ist das hier spürbar?

Gibt es #Ja# Ja?

IP: Ja. Also wir haben durchaus Klienten, die * ähm *3*- die *, ja, vielleicht einfach

hier bleiben werden. Wer weiß, ja? Ähm * und wir haben genauso auch Klienten,

wo relativ klar ist, das wird eine Durchgangsstation sein hier auf dem Weg weiter

(betont), ja? Beides ist möglich.

I: Okay. Ist das ein Problem unter Umständen oder ein Thema für die Klienten,

die hier arbeiten?

IP: Immer mal wieder, ja? Also * es ist natürlich schwierig (betont), *2* alle in einem

Ein-Euro-Zwanzig-Topf *2* sich zu befinden und zu sehen, da ist jemand, der

ist einfach viel leistungsfähiger als ich und wird- dessen Arbeit wird ganz anders

honoriert, natürlich nicht im finanziellen Bereich, aber in den Rückmeldungen

von der Arbeitsanleitung oder in den Aufgaben, die jemand bekommt. Und es

ist auch (betont) schwierig, * dann *- we- also ganz besonders, wenn Menschen

hier sind, die einen guten Überblick haben und die * 3* jetzt, sagen wir mal, bis

auf ihre psychische Beeinträchtigung eigentlich (betont) Erster Arbeitsmarkt

einsetzbar wären und die dann vielleicht noch, wenn’s ganz schlimm kommt, äh

irgendwie Führungskompetenz haben oder eine natürliche Autorität, dann äh *

gibt es natürlich Schwierigkeiten. Also da- Weil, die sehen was, dann- die

müssen- die leiten natürlicher Maßen andere an (betont), ja? Und dann fragen die

sich natürlich auch, wo bin ich jetzt hier, wo gehöre ich jetzt hin. Und da gibt’s

immer wieder * ja, so * äh * Identitäts*probleme (betont) hier, ja? Aber es ist-

*Ich denke, es hält sich in Grenzen so. Und man kann ja auch darüber sprechen,

ne? Also- ja. Man kann sagen, guck mal, Sie sind einfach wesentlich leistungsfähiger

(betont) und trotzdem (betont) sind Sie hier, da müssen Sie irgendwie mit

klarkommen so, ne? Ähm * das können wir honorieren, indem wir ihnen andere

Aufgaben geben, aber andere Dinge sind uns nicht möglich, so, ne? Oder * ähm

Transkripte 186

*, ja. * Genau (leise). Oder indem man halt sagt, *2* schauen Sie mal, wenn Sie

diese Arbeit machen würden, die * Herr °der Frau Soundso macht, das würden

Sie gar nicht schaffen.

I: Der Wert der Arbeit spiegelt sich dann doch über die Anerkennung wider, die es

auch hier gibt? Der gesellschaftliche Stellenwert auch, was jetzt

Führungskompetenz angeht, wenn man das so honoriert, so wie du eben gesagt

hast?

IP: Na, das ist schwierig (betont) hier, ne? Wir können natürlich nicht einen (betont)

oder zwei oder drei, die sich hervortun, * 4* in die- mit in die Anleitungsebene

rein nehmen. Das geht nicht. Also da haben wir- hat o heute Morgen so schön

gesagt, haben wir keine strukturelle Klarheit mehr, ja? * Selbstverständlich zeigt

sich das, * was Leute können (betont), in dem, was sie tun (betont) und von uns

zu tun bekommen, ja? Also ich würde jetzt nicht sagen, wir geben dem einen

mehr Anerkennung als dem andern. Aber in den * übertragenen Aufgaben wird

es dann natürlich (betont) sichtbar.

I: Ich meinte diese Art von Anerkennung, dass man einfach das abstuft nach

Aufgaben, ja?

IP: Genau. Ja, das zeigt sich. Ja, ja.

I: Ist das für manche Klienten ein Problem, die gerne mehr würden, aber aus

psychischen Gründen gehindert sind?

IP: Interessanterweise (betont) habe ich das bis jetzt * sehr (betont) wenig

wahrgenommen. Also * die *- die Menschen, die hier arbeiten, die arbeiten hier,

weil sie * äh psychisch krank sind, und sie wissen das auch. Das heißt, es gibt

viele, die auch ganz genau wissen, wo ihre leistungsfähigen Grenzen sind, ja?

Das ist bewundernswert. Also das- *- Es gibt leider auch viele, die sich viel zu

gering (betont) schätzen und die viel mehr (betont) könnten so, ne? Und da sehe

ich dann auch unsere Aufgabe, da Türen zu öffnen und- und mit Aufgaben, die

man überträgt, zu zeigen, gucken Sie mal, Sie können hier ganz andere Dinge, ja?

Aber ähm, so dass man sagt, ich- also dass Klienten da sind, die sagen, ich bin

verzweifelt darüber, dass ich nicht mehr kann (betont) und ich würde so gerne, *

hab ich jetzt so (gedehnt) noch nicht wahrgenommen. Das sind eher so, dass

man sich weniger (betont) zutraut, dass sie sich weniger zutrauen.

I: Mhm. Mhm. Okay. *3* Gibt es denn so was wie Ausschlusskriterien für

Klienten, wo ihr sagt, können wir nicht, auch wenn wir hier für psychisch kranke

Menschen das anbieten?

IP: Ja. * Ähm. Da sind wir gerade so am *3*- am Rum Eiern, [lacht] ja? Weil

(gedehnt), äh, von Anfang an hier einfach jeder mit reingenommen wurde und

wir jetzt ein paar Klienten haben, wo sich rausstellt, eigentlich geht das hier

Transkripte 187

nicht, ja? Und da musst du ja ständig dabei sein. Und wie viel Zeit bleibt dann

noch für die Arbeit, die getan werden muss im Tagesablauf und wie viel Zeit

bleibt noch für andere Klienten, die Arbeitsanleitung brauchen? Ähm. Wir

haben sie noch nicht formuliert, sagen wir so. Wir haben alle was im Hinterkopf,

wo wir sagen, also das geht eigentlich nicht, und wir haben auch Klienten hier,

die darunter fallen, aber * wir würden jetzt auf keinen Fall sagen, das ist hier

nicht tragbar, das können wir nicht machen, außer es ist also wirklich nicht

(betont) tragbar, ne? Sondern wir achten jetzt eher bei Neuaufnahmen oder -ein-

stellungen darauf, dass uns nicht im- im Arbeitsablauf behindert, ja? Oder nicht

in einem Maße, was dann die anderen Klienten beeinträchtigen würde.

I: Würdest du sagen, das ist ein praktisches Problem oder ist das Konzept da

möglicherweise noch nicht scharf?

IP: *2* Nein, das ist ein praktisches Problem. Das ist ein praktisches Problem. Man

muss einfach gucken, wie die Leute- wie die Leute einzusetzen sind. Und

jemand, der also floride psychotisch ist, * äh ist auch (betont) psychisch krank.

Und, ähm * zählt auch zu unserem * äh- zu unserer Zielgruppe (betont)

sozusagen, ja? Trotzdem- Also es gibt Leute, die laufen hier mit ‘ner Psychose,

mit ‘ner akuten durch die Gegend und sind mehr oder weniger arbeitsfähig

(betont), weil sie wissen, was mit ihnen los ist. Und es gibt Leute, die müssen wir

einfach aufgrund von Aggressivität (betont) und Nichtansprechbarkeit, müssen

wir die nach Hause schicken, ne? Genauso wie zum Beispiel Konsum von

Suchtmitteln oder so. Aber das steht auch in der Hausordnung. Ja. Nee, das ist-

würde ich nicht als konzeptuelles Problem * erkennen (leise).

I: Wie erfahren die Klienten davon, dass bestimmte Dinge gehen oder nicht gehen,

Suchmittel (unverständlich) oder Aggressivität?

IP: Das sind allgemein bekannte Regeln. Das ist-

I: Wer gibt die bekannt?

IP: Ähm. Wir haben eine Hausordnung formuliert, die noch als Entwurf in dem

Akten- in dem Aktenordner Fairkaufhaus, Öffentlichkeit* sich befindet. Ähm.

Die wird aber allgemein kommuniziert, wenn Leute hier eingestellt werden und

aufgenommen werden.

I: Im Einzelgespräch wird das vermittelt.

IP: Genau. Genau. Und, ähm, * äh angedacht ist, die irgendwann mal zu publizieren

und von allen auch unterschreiben zu lassen, ne?

I: Also eine Arbeitsvereinbarung in dem Sinne gibt es derzeit nicht?

IP: Nein (betont)

I: Mhm. Okay.*4* Ich würde jetzt gern mal so auf die Ebene des

sozialpädagogischen oder eben Handlungswissens gehen. Gibt es da so- ist das

Transkripte 188

so ein implizites Netz? Das schwirrt einfach rum, das sagt einem die

Berufserfahrung, wie man mit bestimmten Menschen umgeht? Tauscht ihr euch

da aus, hab ihr bestimmte Grundsätze in der Arbeit oder was? Geht auch

vielleicht auch ein bisschen die Frage in Richtung Leitfaden-

IP: Mh. Ähm. *3* Also *2 ähm, ich glaube, * dass hauptsächlich die innere Haltung

* von der Beschreibung (betont) des Fairkaufhaus, die auch auf der Webseite ist

und von der inneren Haltung der beiden Gründer-Geschäftsführer *

transportiert worden ist. Die zwei sozialpädagogischen Mitarbeiter, die hier

angestellt sind, waren vorher bei Brücke und Ginko beschäftigt und haben auch

eine innere Haltung mitbekommen. * Die zwei nicht (betont)* pädagogischen

Mitarbeiter, die hier sind, gehen da mit, in Anführungszeichen, gesundem

Menschenverstand ran. Was sich manchmal *2* nicht deckt (betont), aber sehr

gesund (betont) ist. Ja? [Lacht] Also ich bin ganz froh darüber. Äh * Meine

(betont) persönliche Haltung ist eine *2* ganz humanistische (betont), ja, und

integrative * und die *- also ich denke, ich bin hier, weil ich diese Haltung auch

verkörpere und lebe und deswegen auch hier eingestellt- also deswegen hier

eingestellt bin (leise). Ähm. * Es ist eine von Toleranz geprägte, fördernde, nicht

ausschließliche, sondern eher einschließende Haltung, die mir sehr gut gefällt. Ja.

Formuliert ist sie nicht. Also nur so, wie sie im- auf der Webseite steht.

I: Das hört jetzt so an, wie wenn Berufsethik oder überhaupt eine Handlungsethik,

allgemeine Ethik doch eine sehr große Rolle spielt hier, praktisch bei der Arbeit,

und bisher noch nicht so kommuniziert wurde.

IP: Ja. (schnell) So kann man das ganz gut zusammenfassen. Beziehungsweise, ich

muss natürlich sagen, das weiß (betont) gar nicht unbedingt, ja? Denn * ich

(betont) bringe das mit, ja? Und das war insofern auch kein Thema bei meiner

Einstellung, weil wir einfach eine Wellenlänge hatten, wenn ich das mal so

formulieren darf. Was hier- * Wie die anderen hier eingestellt worden sind und

was hier kommuniziert worden ist in dem Zusammenhang, das weiß ich nicht,

ja?

I: (Unterbrechung *60* durch einen Beschäftigten) Gut. Pause beendet, geht

weiter.

IP: Gut. Rolle der ethischen #Ja# also der Berufsethik hier- ist sehr, sehr wichtig.

Weil wir natürlich Menschen haben, die auf verschiedenste Arten und Weisen

beeinträchtigt sind. Und äh * wenn wir jemanden haben, der zum Beispiel *

psychotisch ist und einen aggressiven Schub hat und * andere Leute beleidigt

(betont), dann ist es auf der einen Seite wichtig, dem Einhalt zu gebieten, aber

den Menschen nicht zu verurteilen, ja? Und das ist ganz wichtig. Also dass wir

mit einer Haltung rangehen, die einfach sagt, okay, wir haben einen großen Teil,

Transkripte 189

der einfach die Krankheit ausmacht oder den die Krankheit ausmacht. Und alles,

was sich in diesem Rahmen abspielt, das ist einfach nicht zu verurteilen, ja?

I: *5* Das hört sich so an, wie wenn das ausbaubar wäre, für mich. Also ein

Konzept systematisch umsetzen. Leitfaden, Strukturen schaffen. Es gibt ja

vielleicht- Kannst du kurz sagen, ob, inwieweit bei Treffen in der

Steuerungsrunde etc. solche Fragen berührt werden? Das sind ja eigentlich

praktische Fragen. Es gibt eine Ethik, die ist zwar nicht festgeschrieben, die

könnte noch mehr kommuniziert werden, die gibt es aber. Und dann gibt’s

natürlich unmittelbar die Ebene der Umsetzung.

IP: Also *3*, ehrlich gesagt, das ist Luxus für mich im Augenblick, ja? Also das ist

wirklich- Das ist ein Luxusthema. Ich bin froh, dass es hier läuft (betont) * ähm-

I: Du hattest das zu Anfang gesagt, mit deiner derzeitigen Arbeitsbelastung

#(lacht)#, dass es gut vorstellbar #Ja# ist. Ist es denn generell für dich ein

Luxus oder würde das #Überhaupt nicht# oder würde das eigentlich

dazugehören?

IP: Das gehört dazu, natürlich. Ja, ja. Das gehört dazu. Es würde sogar an erster

Stelle stehen, wenn ich das Gefühl hätte, es wäre hier eine Baustelle in dem

Bereich. Ist aber nicht. Also die Mitarbeiter, die ich hier habe, da brauche ich mir

keine Sogen zu machen. Das ist unausgesprochenes Gesetz, ja? Also es ist

schön. Und wir unterhalten uns natürlich darüber. Wir gehen auch in

Supervision mittlerweile, in Fallsupervision, und haben ein- wöchentlich Teams,

in denen wir austauschen, wie wir mit wem warum wie umgehen möchten. Und,

ähm * da herrscht ziemlich (betont) große Klarheit und Einigkeit, muss ich sagen,

zu meiner Freude.

I: Mhm. Okay. Mhm. * Hier wird da so eine Art, wenn man diese Ethik

weiterspinnt, so eine Art Sinn erzeugt, oder geht das jetzt zu weit?

IP: Ne.

I: Das geschieht eher implizit, wenn ich dich richtig verstehe?

IP: Ja.

I: Wird dieser Sinn in der Art und Weise erzeugt, wie man miteinander umgeht?

IP: Auch.

I: Oder von Fall zu Fall? Beides? Auf andere Weise noch?

IP: * Ähm.

I: Was man anbietet möglicherweise?

IP: Was man anbietet?

I: Was man im Einzelnen konkret anbietet zu tun, zum Beispiel #Ja#, das wäre ja

auch denkbar, dass man auf erkennbare Bedürfnisse ein ganz spezielles Angebot

macht #Ja# für ein

Transkripte 190

IP: - Ja, das versuchen wir. Das versuchen wir, ja? Also, ähm *2* bzw. ich (betont)

versuche das. Und so wie ich das mitbekomme bei meinen Kollegen, versuchen

die das im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch, ja? Also ich auch im Rahmen

meiner Möglichkeiten, das wird jetzt nicht irgendwie * einen Unterschied

darstellen müssen oder so (leise) *2* Wir- Also diese- dieser Sinn wird im

allgemeinen Umgang miteinander transportiert, implizit. * Explizit natürlich

dann, wenn jemand da raus fällt, ja? Dann, äh- dann gibt’s ein Gespräch und

dann wird gesagt, hör mal, so wollen wir hier aber nicht miteinander umgehen,

ne, oder das können Sie sich aus dem und dem Grunde bitte nicht erlauben

(betont). Und * das passiert zum Großteil auch untereinander, unter den

Klienten untereinander. Ich habe festgestellt, anders als in der Sucht-, ich

komme aus dem Suchtbereich, dass die Menschen hier * durchaus * vehement

*2* ihre * Wahrnehmung (betont) vertreten können, ja? Also dass sie wirklich

ankommen und sagen, was Sie gestern gesagt haben, das hat mich verletzt

(betont). Das kenn ich überhaupt nicht, ja? [Lacht] Also da- Ich war-

I: Du kennst das von Klienten nicht.

IP: Nee. * Also nicht in dem- in der Offenheit und in dem * Sich-Selbst-Vertrauen,

ja? Also da bin ich erstaunt (betont). Das find ich- Ich find es gut. Ich mach das

auch (betont). Ähm. *2* Und ich äh- Ich schätze das. Also dass man so

miteinander umgeht, ja? Und das- Das möchte ich auch gerne. Also ich bitte da

auch um Rückmeldung, auch wenn jemand mit * meiner Art und Weise nicht

zufrieden ist oder so. Und das- Ähm. Das passiert dauernd. Das sind so Tür-

zwischen Tür und Angel Interventionen, die nie länger als *4*, na maximal

(deutlich betont) eine halbe Stunde dauern, ja? Also meistens ist es irgendwie-

sind es drei, vier Sätze zwischen Tür und Angel, dass man kurze Rückmeldungen

gibt, positive wie auch kritische.

I: Wir kommen jetzt allmählich auf diese Metaebene. Was würdest du sagen,

nehmen die Klienten daran teil, diesen Sinn zu produzieren? Wie würdest du

das, wie könntest du das nennen? Wie sieht es für dich aus? Es wird Sinn

produziert, sagst du, hier. Steckt da ein möglicherweise auch unausgesprochenes

Leitbild dahinter, wo du möglicherweise annimmst, Klienten haben ähnliche

Ziele oder denken oft in ähnlicher Weise, so oder so müsste ein Betrieb, eine

Gesellschaft funktionieren?

IP: Ja. * Ähm. * Also * das sind zwei verschiedene Ebenen hier. Zum einen ist es

das Beschäftigungsprojekt für psychisch kranke Menschen an sich, was diesen

Sinn macht, und zum anderen sind es auch die dreißig Prozent auf die sowieso

günstigen Preise für Geringverdiener, im Kaufhaus (betont), ja? Ähm. Äh, wo auf

doppelte Weise * ein Gemeinsinn * für sozial schwache Menschen produziert

Transkripte 191

wird. Und die Menschen, die hier sind, produzieren diesen Sinn selbst, weil sie

hier arbeiten (betont). Und sie arbeiten hier, * weil es sie angezogen hat. Ich

glaube, dass nicht jeder das formulieren könnte. Aber dass es * auf diese beiden

Arten, also mit * diesen beiden Voraussetzungen ist es möglich, * hinter diesem

Projekt zu stehen, jedem, der hier arbeitet. Und, ich glaube, das passiert auch

ziemlich viel.

I: Unterscheidet sich das von der gängigen Arbeitsethik, so wie es einem aus der

Agentur für Arbeit vielleicht entgegenkommt?

IP: Mit Sicherheit. (deutlich betont) Das unterscheidet sich mit Sicherheit (betont) und

es unterscheidet sich mit Sicherheit massiv (betont). * Erstens, * weil dieses

Kaufhaus nicht aus kommerziellem Blickwinkel gegründet worden ist, wie das

zum Teil passiert, auch im sozialen Bereich, sondern von zwei *2* langjährig

(betont) in Berlin existierenden gemeinnützigen GmbHs für psychisch kranke

Menschen, * die auch mit den Kränksten zusammenarbeiten * und für sie

Anlaufpunkte bieten. *3* Und zum anderen *3*, weil *- weil wir auch kein

befristetes Projekt sind, ja? Also weil hier wirklich der- die Möglichkeit besteht,

so lange hinzugehen, wie es für den Einzelnen wichtig ist, ja? Es ist keine- also

von- Wenn wir uns soziale Projekte mit Ein-Euro-Fünfzig-Maßnahmen vom

Jobcenter angucken, also diese MAE-Maßnahmen, ja? Die sind auf ein halbes

Jahr befristet. Die sind (betont) zwar in gemeinnützigen Organisationen, aber *

man geht dahin und man weiß, in einem halben Jahr ist die Sache gegessen oder

man kriegt eine Verlängerung, dann dauert es ein Jahr. * Und leider (betont) sind

die Menschen da oft- die werden durchgereicht, ja? Und, ähm *3* ich hab das *

noch nicht (betont) so sinnvoll erlebt * wie hier. Ja. Und die Klienten hier achten

auch sehr drauf, dass*2*, dass das auch * gefördert (betont) wird. Also manchmal

* bis hin zu, jetzt muss man aber bremsen, weil- Durch tragen wollen wir die

sozial Schwachen dann auch nicht so, ne? Also manchmal wäre es den Leuten,

auch den Kunden hier am liebsten, sie müssten gar (betont) nichts bezahlen, so,

ne? Ähm. Und das-

I: Aber es gibt auch Grenzen der Umsetzung dieses Gemeinsinnes?

IP: Ja. Ja. Ja, ja. *2* Natürlich (betont). Ähm, in dem * Moment, wo es anfängt, dem

Projekt zu schaden, müssen wir natürlich sagen, halt. Und das fängt überall da

an, wo keine Klarheit mehr herrscht, ja? Also wo ein Mitarbeiter oder ein, also

ein Zuverdiener zu einem Kunden sagt, na ja, gar kein Problem, das machen wir

schnell, gehen wir in den Keller und dann gucke ich mal für Sie-, dann mach ich noch

einen Preis (betont nuschelnd). So was in der Richtung, ne? Also * äh * das- das

entsteht aus so einem Ich-tu-was-für-dich-du-tust-was-für-mich-Gefühl, ja, oder

Wir-tun-was-für-die-Gemeinschaft, Wir-tun-was-Gutes? Das ist hier- Es wird

Transkripte 192

unausgesprochen und- aber doch irgendwo bewusst tun wir hier alle was Gutes.

Na, nicht nur- Nicht nur meine Mitarbeiter für psychisch kranke Menschen,

sondern die psychisch kranken Menschen hier im Kaufhaus für die Kunden, für

sich, für die Welt. So, ja?

I: Worum geht’s da? Ist das Solidarität? Geht’s in diese Richtung? Ist das, sind das

allgemeine Handlungsmaximen?

IP: Worum geht’s wo? Bei diesem #wenn du sagst#, wir tun was Gutes.

I: Wir tun was für diese Welt. #Ja# Wir tun was Gutes. #Ja#

IP: Ja, das ist völlig konkret. Also wir- wir holen Sachen, die Leute nicht mehr

brauchen, ab und verkaufen die weiter. Also die landen nicht auf dem Müll

(betont). Wenn die noch gut sind, dann werden die wiederverwertet #Das wäre

der Nachhaltigkeitsgedanke?# Genau. Genau.

I: Wie wichtig ist der deiner Einschätzung nach?

IP: Ich finde den ziemlich wichtig, ja? Ähm. *3* In dem anderen Kaufhaus, in dem

ich gearbeitet habe, hatten wir tatsächlich ein- Wir standen im Abfallkalender *

der als Werbung hatte- die haben uns da reingeschrieben von der Gemeinde.

Ähm. Hier ist es so, dass wir *4*- dass wir den Bereich auf den Gebraucht- auf

den Gebrauchtmöbeln zum Beispiel und auf der Entsorgung nicht so groß ist,

weil wir die Kapazität nicht haben, ja? Also wir haben *3*- Wir haben einen

Fahrer oder ein- zwei Fahrer, die die Autos fahren können und die haben immer

zwei Leute, mit denen- die sie mitnehmen können, beziehungs- ein oder zwei

Leute. Und insofern ist die Personalkapazität, die sich um dieses

Recyclinggeschichte (betont) tatsächlich kümmern kann, was die Möbel (betont)

angeht, relativ klein. Aber in * die, äh- die Gebrauchtwaren * ist eine- Also auch

die Bekleidung ist natürlich ein einfach- das ist das, was das Kaufhaus ausmacht,

ne? Ja? Also da könnte man meines Erachtens schon auch noch mal * mehr

Augenmerk drauf * richten.

I: Ist das jetzt ein produktbezogener Gedanke, ein ökologischer Gedanke oder hat

das auch was mit den Menschen zu tun? Man könnte * mit etwas Schärfe * ja

vielleicht sagen, dass Menschen ja auch gerne entsorgt werden, am Rande

stehen, und dass sie nicht, in Anführungszeichen, wiederverwertet, also

gebraucht werden in der Gesellschaft. Das scheint ja hier anders zu laufen.

IP: Das ist der Sinn (betont) der Sache. Also, um wieder auf diesen Sinn, auf den

impliziten, zurückzukommen. * Wenn ich keine (deutlich betont) Beschäftigung

habe und keine (betont) Arbeit und keine Tätigkeit, dann * frage ich mich

natürlich auch, wo ist denn mein Sinn, ja? Und wenn ich etwas tun kann, was

Sinn macht, (betont) dann empfinde ich ja meine Tätigkeit auch wieder als

sinnstiftend (betont). Und das macht was mit dem Selbstbewusstsein. Und das

Transkripte 193

macht was mit der- mit der Selbsteinschätzung und mit dem Selbstwertgefühl

(betont), ja? Wenn ich zu nichts nütze bin, dann bin ich auch nichts wert, ja?

Aber wenn ich was tue (betont) was anderen nützt, (betont), da kann ich mich ja

wunderbar (betont) noch mal drüber selbst definieren.

I: Wie schwer ist das, gegen den gesellschaftlichen Trend, der ja anders lautet, hier

anzukämpfen? Ist das hier spürbar? Ist es eine Insel der Seligen?

IP: [Lacht] Ne, überhaupt nicht. Es ist das normale Leben hier. Ich * weiß nicht, ob

der gesellschaftliche Trend anders lautet. Also was ich im Augenblick beobachte,

ist eine- * eine langsame, aber kontinuierliche Verschiebung (betont). Also

vielleicht bin ich auch bloß heilloser (betont) Optimist und Idealist und will nichts

anderes sehen. Aber * was ich außen im Augenblick sehe, ist überall rote

Ampeln, so geht’s nicht weiter. Halt, hier, da müssen wir Einhalt gebieten! Wir

können nicht mehr uns verzocken (betont)! Wir können nicht den Leuten soundso

viel Geld zahlen! Und * was aus dieser Krise, die wir im Außen zurzeit erleben,

erwachsen wird, ist, dass wir hier (einzeln deutlich betont) im Kaufhaus mehr zu

tun bekommen. Und * dann wird augenblicklich, glaube ich, sich auch der

Blickwinkel verschieben.

I: Warum nimmst du an, dass ihr dann mehr zu tun bekommt?

IP: Na, wenn die Leute nicht mehr so viel Geld zum Ausgeben haben, dann

kommen sie hierher (betont) zum Einkaufen. Also *2*, ne? Die

Gebrauchtwarenbranche boomt seit Jahren.

I: Wäre das auch ausbaubar, jetzt auch organisatorisch, hier?

IP: Also meines Erachtens könnte man in absehbarer Zeit noch drei weitere solcher

Kaufhäuser in Berlin aufmachen. Nachfrage und Personal (deutlich betont) ist

genügend (deutlich betont) vorhanden.

I: Speziell für psychisch-kranke Menschen oder überhaupt?

IP: Speziell für psychisch-kranke Menschen. Wie, die Nachfrage, meinst du, oder?

I: Jaa. Also drei weitere Kaufhäuser mit diesem Konzept oder überhaupt

Sozialkaufhäuser?

IP: Nein (laut), mit diesem Konzept. Mit diesem Konzept. MAE-Maßnahmen gibt’s

*2*, glaube ich, genug.

I: Was unterscheidet das genau von MAE-Maßnahmen, von Zuverdienst, was ihr

hier tut?

IP: Also vom Zuverdienst *3* unterscheidet es sich gar nicht so sehr. Das ist bloß

eine Finanzierungsgeschichte, ja? Weil, auch im Zuverdienst haben die Leute

unbefristete * Arbeitsbeschäftigungs- also Beschäftigungsmöglichkeiten, ist es

diese unbefristete Geschichte. Dieses *2*- Ja, das- das macht’s aus, dass man

sagen kann, das ist mein Arbeitsplatz hier, ja? Auch wenn die Entlohnung *3*

Transkripte 194

unter aller Sau ist. [Lacht] Ja, meine Güte, so ist halt- so ist halt- so ist es halt.

Das ist die gesetzliche Regelung (betont). Die Leute bekommen ihr Geld vom

Staat dafür, dass sie krank (betont) sind, wofür sie auch, Gott, darf ich ja gar

nicht anfangen- Und sie dürfen nicht mehr als soundso viel dazuverdienen,

sonst müssen sie das Geld dem Staat zurückzahlen. Wir (betont) haben unsere

Entlohnung von ein Euro zwanzig die Stunde darauf ausgelegt, was auch der

Zuverdienst zahlt. Und es wird schwierig, das groß zu erhöhen, selbst wenn wir-

also selbst wenn wir jetzt hier ein Mordsgeschäft machen würden und jedem drei

Euro die Stunde zahlen könnten (deutlich betont), ja, dann können die aber nur

noch fünf Stunden die Woche herkommen, weil sie dann über der

Zuverdienstgrenze liegen, ja? Also es geht darum, die Waage zu halten. Das- Es

gibt Leute, die möchten gerne dreißig Stunden die Woche hier sein. Dann

dürfen die nicht mehr verdienen, weil, sonst dürfen sie nicht mehr hier sein,

sonst machen wir uns strafbar (betont).

I: Würdest du dir das gerne anders wünschen?

IP: Natürlich. Natürlich, würde ich mir das gerne anders wünschen. Aber das sind

wieder- also das sind wieder *2*- Das ist wirklich Sozialpolitik, ja? Also wo

(betont) ist denn die Grenze des Geringverdienens, ja? Kann man denn wirklich

sagen, jemand ist nicht arbeitsfähig und ihm dann nix bezahlen für die Arbeit,

die er tut? Kann man denn wirklich ähm, *2* jemandem- Das ist die andere

Seite- Kann man denn wirklich jemandem, der nicht arbeitet (betont), so viel Geld

bezahlen, wie jemandem- jemandem, der irgendwie Kloputzen geht? Also das ist

ja genauso. Ich hab ja- Als ich angefangen hab, diese Arbeit zu machen und in

Gebrauchtwarenkaufhäusern zu arbeiten, ohne eine Berufsausbildung zu haben,

da habe ich teilweise weniger Geld gehabt, bezahlt (deutlich betont) für meine

feste Arbeitsstelle, als die Klienten, mit denen ich zu tun gehabt hab. So. *2*

Also da stimmt was hinten und vorne nicht. Muss man schon so sagen.

Metaebene- [Lacht]

I: Wir sind mitten auf der Metaebene, offensichtlich, ja. [Lacht] *4* Du hast es

eigentlich schon ein paar Mal angesprochen, trotzdem jetzt noch mal so direkt

gefragt: Wie würdest du aus deiner Sicht die Ziele des Fairkaufhauses

beschreiben?

IP: Mhm. * Die Ziele sind, möglichst vielen (betont) psychisch kranken Menschen

einen dauerhaften Beschäftigungsplatz zu bieten. Ähm, und diese Menschen in

ihren Kompetenzen (betont) und Performanzen (betont) zu stärken, zu fördern und

zu fordern und sie so weit mit ihrem Einverständnis und ihrem Wunsch zu

bringen, wie sie gerne kommen möchten und können. Eins. Zwei: Ähm *3*-

Zweites Ziel ist, * so vielen Kunden (betont) wie möglich, die Gelegenheit zu

Transkripte 195

geben, hier gebrauchte gute Ware günstig einzukaufen, eventuell noch mal für *

einen Rabatt, über den man sich auch unterhalten kann, wie hoch der sein kann,

soll. Im Augenblick ist er dreißig Prozent hier. Also auch Geringverdienern die

Möglichkeit zu geben, Ware von guter (betont) Qualität * hier zu erstehen * Und

*2* drittes Ziel, dazu beizutragen, dass *5* Dinge, die normalerweise auf dem

Müll landen würden, * wieder in einen Kreislauf kommen der Weiterverwertung

und Wiederverwertung. *4* So. *4* Ja. *3* Und natürlich * dem * Bezirk dabei

zu helfen, seine Klienten zu versorgen. Also das ist ja auch noch mal eine andere

Ebene-

I: Dein Organisationsverständnis kam vorher einige Male durch. Was würdest du

sagen? Ist das Fairkaufhaus, ist das eher so ein lebender Organismus, ist das eher

so ne karitative Institution, ist das ein gewöhnliches oder vielleicht ein

ungewöhnliches Projekt, soziales Projekt? #[Lacht]# Was ist es für dich?

IP: Das Fairkaufhaus ist ein ungewöhnliches soziales Projekt und eher ein lebender

Organismus. * Ja. Und in- In deiner Fragestellung und in meiner Antwort

erkenne ich mich (deutlich betont) unheimlich (betont) wieder. Also es *2* berührt

mich gerade, mhm. Ja.

I: Es gibt ja nicht selten so eine karitative Einstellung in der sozialen Arbeit

überhaupt, dass * die Grundlage eigentlich wenig verhandelt wird. * Manchmal

gibt es eine sehr spezifische Ethik in Projekten. * Dennoch, was würdest du

sagen, spielt das eine Rolle dieses, jemandem dienen, für jemand da sein?

IP: Phrrrrr (missbilligend)

I: Das hat tatsächlich eine religiöse Herkunft. #Ja, ne? # Es kommt aus der

Nächstenliebe.

IP: Ja.

I: Aus der christlichen #Ja# Tradition. Spielt das eine gewisse Rolle hier noch?

IP: Mh? Also es spielt natürlich (betont) eine Rolle, dass wir für jemanden da (betont)

sind, also- Aber das-

I: Ist es der richtige Ansatz?`

IP: Klar (laut). Ja (betont) Ja, natürlich. Also ich finde, Menschen sollten füreinander

da sein * und füreinander einstehen, und *2* das ist schon was, was ich auch

teilweise *4* vermisse (betont). Also nicht unbedingt hier (betont). *2* Immer

wieder. Sowohl hier als auch * im Kontakt nach außen oder privat, wie auch

immer, in dieser Welt (betont) Ähm, ich hab immer so ein Problem mit diesem

„karitativ“, ja? Also äh-

I: Welches Problem genau?

IP: Das- Dieser religiöse Hintergrund, ja? Der- Den hab ich hier nicht, und das ist

gut. Nichtsdestotrotz sind wir natürlich eine ka-ri-ta-tive Ein-richtung (einzeln

Transkripte 196

betont), auch wenn ich das Wort nicht benutzen würde. Aber wenn man *-

[lacht] wenn man in die lateinische Wurzel des Wortes geht, dann haben wir ja- *

das ist „carus“, das ist „lieb“, ja? To care. Zu jemandem lieb sein, für jemanden

*, ja, * für jemanden da sein oder helfen (betont). Und das- Ja. Also hier wird *2*

Fürsorge getragen. Hier wird- We care for one another.

I: Wenn ich dich richtig verstehe, aber ohne den Anspruch, also für jemanden da

sein, kann auch was Wohlfahrtsmäßiges haben, dass man also eine Hierarchie

herstellt? Das hat sich für mich jetzt alles nicht so angehört. Außer die

Hierarchie, die natürlich durch die Anspruchsgrundlagen und das Amtliche,

Formelle gegeben ist.

IP: Ja. Also genau. Ich glaube, das- das beinhaltet manchmal auch dieses Karitative.

Sogar wir * gesunden, heilen Menschen, wir kümmern uns um die armen

Kranken, so? * Sehe ich hier nicht. * Nö. *2* Nö, ist sehr- Finde ich sehr gesund

hier. Die Frage habe ich mir noch gar nicht gestellt. Na ja, so ist es immer wieder

feststellen und das- Also ich finde das auch persönlich (betont) immer wieder sehr

*2* bewegend (betont) zu sehen, was Menschen trotz psychischer Erkrankung für

unglaubliche Erkenntnisfähigkeiten (betont) haben und Leistungsbereitschaften

(betont) und wie herzlich (betont) die sein können und wie- wie blöd auch, ja?

Aber das ist- das sind Menschen wie du und ich. Punkt.

I: Das heißt, da kommt im Grunde genommen ganz normal was zurück.

IP: Ja. Ja. *2* Mh. * Und- Also häufig äh kommen Dinge zurück, die uns ja alle * die

uns ja alle auch *2* auf einer anderen Ebene fordern. Also das ist auch was, was

ich echt gerne (betont) mag. Das ist jetzt die Metaebene der psychischen

Erkrankung, ja? Was bedeutet denn das? Also wo ist die Grenze? Und was ist

gesund und was ist krank und kann man einen Menschen als krank bezeichnen

oder ist vielleicht nur ein kleiner Teil des Menschen erkrankt und-? Ist ganz

spannend, ja? Also ich- Ich empfinde- Also in ihrer Kritikfähigkeit (deutlich

betont), ja, also Kritik zu geben, (betont) sind die Menschen hier teilweise

wesentlich gesünder als auf dem Ersten Arbeitsmarkt.

I: Würdest du sagen, genau das wird, ohne dass man das natürlich so thematisieren

würde unbedingt, das wird hier verhandelt jeden Tag? Dass einfach- #Wo

Gesundheit ist und wo Krankheit? Ja# es eben nicht-

IP: Das wird jeden Tag hier verhandelt.

I: Dass es nicht einseitig ist, sondern dass es eine Geschichte ist, wo auch was

zurückkommt.

IP: Ja, ja. (betont) Auf jeden Fall. Dem kann man sich nicht entziehen, wenn man

hier arbeitet.

Transkripte 197

I: Na, das Bild nach außen mag vielleicht sich ein bisschen anders darstellen. Das

Bild in der Öffentlichkeit ist ja eben sehr oft *2*, na ja, mit diesem Karitativ-

Wohlfahrtsstaatlichen #Ja# verbunden, ja? Das heißt, also für mich dann

beobachte ich einfach manchmal so eine Hierarchie #Ja#, die sich da mit

transportiert und- Ja.

IP: Ich glaube, wir sind alle nicht hundertprozentig davor geschützt, zu werten und

zu bewerten und äh * uns zu positionieren im Vergleich mit anderen, ja? Und äh,

*2* ähm, ich finde, das muss auch manchmal sein. Also ich bin hier die Leitung.

So. Ja? Und das bin ich einfach. Und äh gewisse Dinge hab ich zu entscheiden

und zu sagen. Trotzdem kann jeder Klient zu mir kommen und sagen, Frau

Faensen, ich hab mich gestern beleidigt gefühlt von Ihnen, ja? * Und, ähm *4*

das finde ich wichtig, ja? Und natürlich bin ich gesünder oder habe mehr

gesunde Anteile als die Klienten, die hier arbeiten. Sonst wär’s nicht so, wie es

ist. Das muss man auch benennen (betont). Also ich finde auch, man sollte

vorsichtig sein äh, irgendwie zu sagen, wir sind alle Menschen und alle gleich

und * äh * ihr kriegt halt nur weniger Geld wie- als ich oder so, ja? Ähm *3*

Sondern- Also ich hab ja auch ein Vorbildcharakter. Ich kann ja auch mal

benennen, warum ich hier * an dieser Stelle sitze und nicht an einer anderen und

sagen, okay, dann guck mal, ich mach aber die und die und die Arbeit und muss

das und das und das entscheiden und ich kann das und das und das, und das

kannst du halt nicht oder können Sie halt nicht. * Aber das Menschliche (betont),

also * auf der *2*, tja, *2* auf der Wertigkeitsebene (betont), möchte ich doch *

eine *4* ähm eine Gleichheit herstellen oder eine ähm *- die gleichen

Möglichkeiten (betont), die gleichen * Rechte und Pflichten auf der menschlichen

(deutlich betont) Ebene. So. Die sind manchmal auch nicht unbedingt gegeben,

wenn jemand massiv psychisch eingeschränkt ist, muss man auch sagen. Aber

dann ist wieder dieses Nicht-Verurteilen.* Ha! *2* Steckt ganz schön was drin.

[Lacht]

I: *10* Ich sehe gerade, einige Punkte habe ich etwas anders bereits angesprochen.

IP: Mh.

I: Es gibt ja schon eine Form von sozialer Kontrolle hier. Du hast davon

gesprochen, dass du eben doch die Leitung bist. Dass man schon unterscheiden

kann, wie gesunde Anteile sich auswirken, praktisch, und dass es da eben doch

Unterschiede gibt. Es führt auch kein Weg dran vorbei gegenüber Ämtern,

gegenüber Außenfinanzierung usw., alles formale Dinge, muss man in

irgendeiner Form eine Kontrolle haben. Wie findet diese soziale Kontrolle hier

statt?

Transkripte 198

IP: *7* Ähm *4* Das müsstest du etwas genauer eingrenzen. Also * Kontrolle *3*

gegenüber Ämtern, wie- Das verstehe ich nicht.

I: Na, ich nähere mich dem selber gerade an. *3* Wenn ich es richtig verstehe, ich

formuliere es mal von mir aus, dann- Diese nötige Form sozialer Kontrolle,

damit das hier eben auch läuft #Mh, mh# als Institution, als Einrichtung,

geschieht sehr viel über persönliche Gespräche?

IP: Mh.

I: Zum Teil zwischen Tür und Angel, zum Teil nur wenige Sätze.

IP: Mh.

I: Sehr vielfältig und * eben auf mehreren Ebenen.

IP: Nichtsdestotrotz gibt es Regeln (betont), die sind auch klar formuliert und die

sollte auch jeder wissen (betont). Und wenn man sich da nicht dran hält (betont),

dann * äh muss man auch gucken, wie man damit umgeht. (Durch die Tür ein

Mitarbeiter: „Die Leute wollen Pause machen!“) Ja.

Transkripte 199

Interview-Transkript: Geschäftsführer Ginko Berlin gGmbH

I: Wir springen gleich rein. Vielen Dank für Deine Bereitschaft, mir ein paar

Fragen zum Fairkaufhaus zu beantworten. Welche Wirkung, welchen Erfolg hat

das Fairkaufhaus bisher – ich springe jetzt wirklich mittenrein – auf die

Situation im Bezirk? Welche Auswirkungen sind erkennbar bisher?

IP: Erkennbar ist, dass wir es aktuell mit dem Kaufhaus geschafft haben, für

dreiundvierzig Menschen individuell zugeschnittene Arbeitsmöglichkeiten zu

schaffen. Ein Gutteil davon sind Menschen, die auch bisher schon von Ginko

und von der Brücke betreut wurden. Es gibt aber auch einen Anteil von

Menschen, der entweder aus anderen Bezirken kommt oder aber von anderen

Trägern betreut wird. Äh (gedehnt), aus meiner sicheren (betont) Überzeugung ist

der Bereich Arbeit für psychisch kranke Menschen in den letzten zwanzig Jahren

*2* deutlich zu wenig *2* beachtet worden. Dass, was *2* vor vielen Jahren

über die Enthospitalisierung geschaffen wurde, dass die Menschen nämlich aus

den Kliniken entlassen wurden oder weitestgehend, hat * nur den ersten Schritt

dargestellt. Der zweite Schritt, dass Alleine-Wohnen oder Ambulant-Betreut-

Werden, nicht ausreicht, sondern dass zum Gesamten einer menschlichen

Persönlichkeit eben auch eine sinnstiftende Tätigkeit (betont) gehört, ist vielleicht

damals äh, weil der erste (betont) Schritt schon so groß war oder aus welchen

Gründen auch immer, nicht ausreichend beachtet worden, und deswegen, äh, ist

das jetzt hier ein Teil des zweiten Schrittes, wo wir einen kleinen Beitrag zu

leisten, und das ist für mich ein großer Erfolg.

I: Wie würdest du die Kernideen formulieren, die hinter dem Fairkaufhaus stehen?

IP: Möglichst individuelle Beschäftigungsmöglichkeiten, entweder in Kontakt mit

Kunden an der Kasse, im Verkauf, oder aber für den, der diesen Kontakt

entweder nicht oder noch nicht kann, auch etwas weiter zurück, im Lager, beim

Waschen, bei dem verschiedenen Sortiergelegenheiten, oder aber wenn

körperliche Aktivität eine Rolle spielen sollte, beim Transport, beim Liefern.

Also die * äh ein breites Spektrum haben an unterschiedlichen Tätigkeiten, die

(betont) jeweils auf die Person zugeschnitten, äh * dort beschaffen sein sollten.

I: Was würdest Du sagen, funktioniert das Konzept in der Praxis?

IP: Das Geschäft- Ich will noch eine Ergänzung machen. Das ist gerade der (betont)

Wert, den für mich das Kaufhaus nach innen hat, also der eigentliche (betont)

Wert. Wir haben diese Form, auch eine Kooperation mit dem Kreisverband,

aber noch aus einem anderen Grund gewählt. Weil über dieses Modell

Sozialkaufhaus (betont) eben nach außen (betont) hin auch noch intendiert ist, *

möglichst * viele Menschen mit dem Angebot zu erreichen, die sich sonst diese

Transkripte 200

Dinge nicht leisten könnten. Ich bin fest davon überzeugt, dass gerade durch die

Gesetzesänderung im Sozialgesetzbuch, dass nämlich *2* Ersatzbeschaffungen

heute nicht mehr sozialhilfefähig sind, sondern durch diesen leicht erhöhten

Sozialhilfesatz quasi included sein sollten, dass dadurch immer mehr Menschen

in immer schlechteren Wohnverhältnissen leben. Und das Kaufhaus ist in seiner

Gesamtkonzeption auch ein (betont) * Moment *, dagegen (betont) etwas zu tun.

Aber jetzt noch mal die zweite Frage?

I: Das war die Frage danach, ob du den Eindruck hast, dass dieses Konzept in der

Praxis funktioniert?

IP: Das grundsätzliche Konzept funktioniert und (betont) die Detailprobleme, die

jeden Tag eine Rolle spielen, sind *2* mindestens genauso groß wie erwartet.

I: Woher kommt die Idee, die Schwelle für eine Beschäftigung im Fairkaufhaus so

deutlich niedrig zu halten?

IP: Weil, ein Gutteil des vorhandenen Angebotes besteht aus Werkstätten für

behinderte Menschen. Und das, was nicht nur in Berlin, sondern bundesweit

aktuell und seit einigen Jahren diskutiert wird, ist, dass die Zugangsschwelle zu

dem Bereich der WFBM zu hoch angesetzt ist. Zumindest (betont) für den

Bereich äh Menschen mit einer psychiatrischen Beeinträchtigung. Es gibt- seit

zwei, drei Jahren gibt’s in Berlin auch spezialisierte WFBM für den

Personenkreis, über den wir hier reden. Ähm. Die haben versucht, darauf

Rücksicht zu nehmen. Aber die Eingangsvoraussetzung mindestens (betont)

dreißig, in Ausnahmefällen vielleicht auch zwanzig Stunden ist für unseren

Personenkreis aus meiner Sicht (betont) eine zu hohe. Und das war der Grund,

warum wir gesagt haben, da muss etwas anderes her.

I: Ich habe gehört, ein Klient oder eine Klientin hat eine Anfrage gemacht wegen

Krankengeld. Das hat mich zu der Überlegung geführt, dass- sozusagen,

begreifen die Menschen, die dort tätig sind, die Arbeit, die Tätigkeit als ihren

Arbeitsplatz. Sonst würden solche Anfragen vermutlich nicht kommen.

IP: Ich bin fest davon überzeugt. Und ich will auch sagen, dass ist *2*, obwohl

keine Integrationsfirma im klassischen Sinne ist und die Plätze nicht vom

Integrationssamt gefördert werden, weil das würde das Konstrukt nicht

aushalten, bin ich fest davon überzeugt, dass die Menschen es als ihren

Arbeitsplatz mit allen Identifikationsmöglichkeiten verstehen, und ich glaube,

das ist auch gut so.

I: Gibt es eine untere Grenze der Teilhabefähigkeit? Organisatorisch, also nach

innen, und ökonomisch, vom Betrieb aus?

IP: Na, das gehört natürlich zu einem Teil der Alltagsprobleme (betont), von denen ich

gerade gesprochen habe. Dass es viel leichter wäre, um einen Betrieb Kaufhaus

Transkripte 201

mit sechsundvierzig Stunden Öffnungszeiten (betont) in der Woche und allem, was

dazugehört, diese Öffnungszeiten sicherzustellen, aufrechtzuhalten, wenn man

zwanzig Mitarbeiter mit jeweils dreißig Stunden beschäftigen würde, die dann

auch alle kämen. Es ist natürlich organisatorisch, betreuungstechnisch, ich sage

mal, in Achtsamkeit sein für * im Moment dreiundvierzig Menschen, von denen

einige vielleicht nur vier Stunden in der Woche kommen, viel aufwändiger,

erfordert viel mehr, zum Teil auch bürokratischen äh Überblick und Hilfsmittel,

das alles im Auge und im Griff zu halten, als wenn ich’s mit weniger Menschen

mache. Dennoch, glaube ich, lohnt sich der Aufwand an der Stelle.

I: Wir würdest Du die Gewichtung beschreiben? Hier soziale Unterstützung im

Fairkaufhaus, andererseits ist eine ökonomische Sicherung des ganzen Betriebs

natürlich notwendig. Wie ist das zueinander gewichtet derzeit?

IP: Das Kaufhaus ist zu Beginn als ein Drei-Jahres-Experiment gestartet. Wir sind

jetzt ungefähr in der Mitte dieses Experimentes angekommen. Es wird jetzt in

der nächsten Zeit sehr viel davon abhängen, ob es in diesem und mit den

anderen Bezirken gelingt, die Kostenübernahmekriterien für die

Betreuungsaufwände vernünftig (betont) hinzubekommen. Das andere Konzept,

was heißt, wir wollen alle Sachkosten über die Verkäufe realisieren, das haben

wir schon hinbekommen. Das heißt, wenn dies Erstgenannte auch funktioniert,

glaube ich, dass das Fairkaufhaus eine lang andauernde kontinuierliche

Einrichtung * sein und werden kann.

I: Welches Qualifizierungspotenzial siehst Du bei Klienten und bei Mitarbeitern,

Mitarbeiterinnen?

IP: *4* Bei Klienten halte ich es für enorm, einerseits in der fachlichen

Qualifizierung in Bezug auf bestimmte Tätigkeiten, andererseits, und vielleicht

sogar vor allen Dingen (betont), aber gerade bei diesem Personenkreis in der

Qualifizierung wieder regelhafte Beschäftigung, zumindest mit, deswegen

behandeln wir es auch genau so, zumindest mit dem Impetus, auch erwartet zu

werden. Nicht jeder kann kommen, wann er will, sondern das ist Teil (betont)

dieser Qualifizierung, dieses Qualifizierungsansatzes. Die Menschen * wissen

auch, wann sie gebraucht werden und wann sie da sein sollen. Äh. Also dieses

Zuverlässigkeit Übende, dieses regelmäßig-, dieses Morgens-Aufstehen und

wissen, wohin- wo werde ich erwartet, wohin * gehe ich jetzt. Äh, dieses

Unterscheiden zwischen Arbeit und Freizeit wieder als erlebbare Dimension des

Lebens, die- der Kontakt und auch die Problemlösungsnotwendigkeiten in der

Gruppe, sowohl im Team als auch in der Gesamtgruppe. Das sind ja große *

Gruppen von Menschen, die da miteinander zu tun haben. Das Sich-Wieder-

Einfinden in das * Bewältigen von Aufträgen, von natürlich zugeschnittenen,

Transkripte 202

überschaubaren, aber von Aufträgen. Das alles, glaube ich, sind die

Hauptqualifizierungspunkte, die da aus meiner Sicht bei den Klienten im ganz

großen Umfang erfolgreich angegangen werden. Und bei den Mitarbeitern, wir

haben ja aus gutem Grund eine ähm Fifty-Fifty-Personalbesetzung zwischen

sozialarbeiterisch und ergotherapeutisch ausgebildeten Mitarbeitern und

Fachmitarbeitern (betont), was Verkauf und Transport angeht, gewählt, und ich

glaube, dass da auch beide (betont) Mitarbeitergruppen voneinander und von der

Erfahrung des jeweiligen Anderen enorm profitieren können.

I: Welche Rolle spielt Kundenorientierung? Welche Rolle spielt Marktnähe?

IP: Wir bewegen uns, das war ungewohnt und neu und eine spannende

Herausforderung, mit dem Kaufhaus in einem *2* Markt. *2* Und dieser Markt

heißt Secondhandbranche und dieser Markt ist deutschlandweit verhältnismäßig

groß. Man spricht, glaube ich, von 1,8 Milliarden oder so. Und stark umkämpft.

*2* Es gibt *2*, nicht nur in Berlin, Mitbewerber. Es gibt gigantische Altkleider-

Vermarktungs-Strategien. Zum großen Teil eher industriell, von- wovon wir uns

ganz bewusst abgrenzen. Ähm. Aber auch hier in Berlin gibt es eine Reihe von

guten * sowohl privatwirtschaftlichen als auch gemeinnützigen Second-hand-*

Läden, die sicherlich ihre Berechtigung haben, aber mit denen wir uns

auseinander zu setzen haben.

I: Welche Rolle haben Nachhaltigkeitsüberlegungen gespielt, als es um das

Konzept des Fairkaufhauses ging?

IP: Nachhaltigkeit hat ja verschiedene Dimensionen. Nachhaltig im Sinne der *

Überzeugung, dass wir in einer Gesellschaft leben, wo Dinge viel zu schnell von

Menschen, die sich das leisten können, wieder für immer und ewig entsorgt

werden und eben nicht (betont) so lange gebrauchs- gebraucht werden, wie sie

gebrauchsfähig sind. Da wollen wir was entgegensetzen, und das hat was mit

Nachhaltigkeit zu tun. Und nachhaltig auf der anderen Seite heißt natürlich auch,

dass wir von Anfang an versucht haben, mit dem Konzept so seriös und *

plausibel umzugehen, dass wir eine nachhaltige Projektentwicklung versuchen

wollten sicherzustellen.

I: Sind Kooperationen eigentlich denkbar mit Wirtschaftsbetrieben, mit anderen

Projekten?

IP: Wir hatten und haben eine Reihe von Kooperationen. Wir hatten eine * für die

Entwicklungsphasen eine Anschubfinanzierung der Aktion Mensch. Wir haben

eine Kooperation mit einem großen Berliner Entsorgungsunternehmen. Wir

haben eine Kooperation mit der EFIBA, dem *2* marktwirtschaftlich, nicht

gemeinnützigen Unternehmen, dass die Altkleiderweiterverwertung für das

Deutsche Rote Kreuz übernimmt. Äh. * Und wir hatten eine ganze Reihe von

Transkripte 203

kleineren und größeren, ich sage mal, Sponsoring-Situationen durch Berliner

Kaufhäuser, die uns Einrichtungsgegenstände überlassen haben * in der

Aufbauphase. Weitere Kooperationen sind aus meiner Sicht * durchaus

wünschenswert.

I: Ist das Fairkaufhaus als Pilotprojekt geeignet in Berlin, so wie es jetzt ist?

Gegebenenfalls, was fehlt dazu? Wo ist es jetzt schon richtungweisend?

IP: Ich glaube, dass das Kaufhaus für den Personenkreis, chronisch psychisch

kranke Menschen, etwas Neues darstellt. Auch in dieser besonderen

Kooperation mit dem Roten Kreuz. Ich glaube, * dass die meisten anderen

Sozialkaufhäuser bundesweit, zumindest die, die ich überblicke, zwar vielleicht

immer wieder auch mit psychisch Kranken, in der Regel (betont) aber sich * auf

einem ganz anderen Marktsegment bewegen, nämlich äh Bereich des SGB II

sich aufhalten mit MAE, mit § 16, und, und, und. Äh. Das ist hier was

Besonderes an dieser Stelle und äh da ist es, glaube ich, richtungweisend. Wir

haben *2*, ohne da jetzt in Eile zu sein, vor *, ab einem Zeitpunkt, ab dem wir

sagen und glauben, dass wir unsere Prozesse (betont) alle gut im Griff haben und

soweit sicher sind, dass das Konzept gut und sicher funktioniert, dass man es

auch weitergeben könnte, durchaus vor, in Berlin zu prüfen (betont) , mit welchen

Kooperationspartner und in welcher Form (betont), das kann ein Franchise-

System sein, das kann eine Kooperationsvereinbarung sein, kann man

Fairkaufhäuser auch in anderen Stadtteilen * einrichten, *2* um bestimmte

Synergien zu nutzen, gemeine Werbung, gemeinsame Auftritte, äh gemeinsame

breitere Öffentlichkeit, gemeinsame * Sortier-, Wasch- und Verkaufsevents, und,

und, und. Also, * da sind wir dabei.

I: Was wäre an institutionellen Hilfen, Unterstützungen von Ämtern oder aus d er

Sozialpolitik wünschenswert, um die eigenen Ziele noch besser verwirklichen zu

können?

IP: Es gibt relativ neu aus der Ecke der Bundesarbeitsgemeinschaft *2* Arbeit * für

diesen Personenkreis ein Papier, nennt sich „Handbuch Zuverdienst“, in dem

sich einige Leute mal zusammengesetzt haben, und zwar auch Leute, die aus

dem zuwendungsgeförderten Zuverdienstbereich kommen, um mal

aufzuschreiben, was bräuchte es, um so etwas wie eine eigene

Finanzierungsschiene, und zwar eine vertragliche Finanzierungsschiene, keine

Zuwendungsschiene, aufzubauen. Da stehen ganz vernünftige Sachen drin, in

die Richtung es gehen könnte. Aktuell, ich habe das gerade schon mal erwähnt,

gibt es immer wieder und immer wieder neu Hakelungen und unnötige *

Probleme, * weil das Kaufhaus, so wie es funktioniert, nämlich, dass dort

stellvertretend Leistungen für andere vertragliche Leistungserbringer erbracht

Transkripte 204

werden, die dann von den andern Leistungserbringern bei Ginko und bei der

Brücke in Rechnung gestellt werden. Das erfordert eine gewisse Beweglichkeit,

das nachzuvollziehen, und die ist eben nicht zwingend überall vorhanden. Und

deswegen gibt’s da aus meiner Sicht, jetzt nach über einem Jahr, immer noch viel

zu viele Nachfragen, Rückfragen, Anfragen, wie ist es denn nun richtig. Und das

zieht Arbeitskraft im Kaufhaus ab, die eigentlich sinnvoller für die Betreuung

und Anleitung Verwendung finden könnte.

I: Volker, ich danke dir sehr für das Gespräch und für Deine Unterstützung

meiner Arbeit.

IP: Gerne.

Transkripte 205

Dank

Ich danke allen, die mich bei meiner Arbeit direkt oder indirekt unterstützt haben,

insbesondere:

– Herrn Dr. Thomas Floeth für die Annahme der Betreuung der Arbeit, lange nach

seiner Verpflichtung, und für sein Geschick, mit mir das Thema einzukreisen

– Herrn Prof. Dr. Karlheinz Ortmann für Langmut und Zuversicht

– den ehemaligen Kommilitoninnen des Studiengangs für fortgesetzte Ermunterung

– meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Projekt Einzelfallhilfe für ihr Verständnis

und ihre Unterstützung

– der Leiterin des Fairkaufhauses, Katrin Faensen, für ihr Entgegenkommen, ihr

Interesse an meiner Arbeit und ihre große Bereitschaft, auf Orts-, Termin- und

Interviewwünsche einzugehen

– dem Geschäftsführer von Ginko Berlin gGmbH, Volker Schröder, für

unkomplizierten Support, Auskunftsbereitschaft und zusätzliche Hinweise

– und nicht zuletzt meiner Frau und meinen Kindern für ihre Geduld.