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Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie Das Infrarotspektrum von Natriumchlorosulfat und die Kraftkonstanten der lonen [SO,Cl]-, [SO,F]- und [SO,S]'- Von E. STEGER und I. C. CICBEA sowie A. FAUIKI Mit 1 Abbildung Inhaltsubersicht Das Infrarotspektrum von NaS0,CI im festen Zustand wird aufgenommen. Kraftkon- stanten fur die Ionen S0,CI-, SO,F- und S0,S2- werden berechnet unter der Annahme des Allgemeinen Valenzkraftfeldes, indem ein Minimumsprinzip zur Gewinnung der Wechselwirkungskonstanten benutzt wird. Summary The IR spectrum of NaS0,Cl in the solid state is investigated. Force constants for the ions S0,Cl-, S0,F- and SO,Sa- are calculated assuming the general valence force field and applying a minimum principle to obtain the interaction constants. Katrium- und Kaliumchlorosulfat sind von GILLLESI~ bnd ROBINSON 1) fur die RaMaN-Spektroskopie dargestellt und gelost in Dimethylsulfoxid untersucht worden. Das Infrarotspektrum ist fur die Salze [ (CH3),N] [S03C1] und [PCl,][S03C1] bekannt 2). Da durch Versuche von LEHMANN und Mitarb. 3) Natriumchlorosulfat in reiner Form zuganglich wurde und unb zur Verfugung gestellt worden war, nahmen wir das Infrarotspektrum der festen Substanz auf ; denn es erschien noch unsicher, ob nicht etwa Losungsmittel- oder Kationenbanden bei den nngefiihrten friiheren Shudien gestort haben. An die Untersuchungen schlosseri sich Kraftkonstantenberechnungen nach l) R. J. GILLESPIE u. E. A. ROBIMON, Canad. J. Chem. 40, 644 (1964). 2, T. C. WADDINQTON u. F. KLANBERC, J. chem. Soc. [London] 1960, 2339. ,) H.-A. LEHMANN, C. RINQEL u. V. K~LTZSCII, Z. Chem. 5, 313 (1965). Z. anorg. allg. Chemie. Bd. 350. 15

Das Infrarotspektrum von Natriumchlorosulfat und die Kraftkonstanten der ionen [SO3Cl]−, [SO3F]− und [SO3S]2−

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Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie

Das Infrarotspektrum von Natriumchlorosulfat und die Kraftkonstanten der lonen [SO,Cl]-, [SO,F]- und [SO,S]'-

Von E. STEGER und I. C. CICBEA sowie A. FAUIKI

Mit 1 Abbildung

Inhaltsubersicht Das Infrarotspektrum von NaS0,CI im festen Zustand wird aufgenommen. Kraftkon-

stanten fur die Ionen S0,CI-, SO,F- und S0,S2- werden berechnet unter der Annahme des Allgemeinen Valenzkraftfeldes, indem ein Minimumsprinzip zur Gewinnung der Wechselwirkungskonstanten benutzt wird.

Summary The IR spectrum of NaS0,Cl in the solid state is investigated. Force constants for the

ions S0,Cl-, S0,F- and SO,Sa- are calculated assuming the general valence force field and applying a minimum principle to obtain the interaction constants.

Katrium- und Kaliumchlorosulfat sind von G I L L L E S I ~ bnd ROBINSON 1)

fur die RaMaN-Spektroskopie dargestellt und gelost in Dimethylsulfoxid untersucht worden. Das Infrarotspektrum ist fur die Salze [ (CH3),N] [S03C1] und [PCl,][S03C1] bekannt 2). Da durch Versuche von LEHMANN und Mitarb. 3) Natriumchlorosulfat in reiner Form zuganglich wurde und unb zur Verfugung gestellt worden war, nahmen wir das Infrarotspektrum der festen Substanz auf ; denn es erschien noch unsicher, ob nicht etwa Losungsmittel- oder Kationenbanden bei den nngefiihrten friiheren Shudien gestort haben. An die Untersuchungen schlosseri sich Kraftkonstantenberechnungen nach

l) R. J. GILLESPIE u. E. A. ROBIMON, Canad. J. Chem. 40, 644 (1964). 2, T. C. WADDINQTON u. F. KLANBERC, J. chem. Soc. [London] 1960, 2339. ,) H.-A. LEHMANN, C. RINQEL u. V. K~LTZSCII, Z. Chem. 5, 313 (1965). Z. anorg. allg. Chemie. Bd. 350. 15

226 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 350. 1967

den1 Kopplungsstufen-Verfahren4)5) an. Dabei wurden zum Vergleich die Daten uber S0,F- 6, und S,0,2-7) einbezogen.

Experimentelles Natriumchlorosulfat zersetzt sich leicht nach NaS0,CI + H,O -+ NaHSO, + HCI. Die

Herstellung der Paraffinolsuspension und ihre Praparation zwischen KBr- und KRS 5- Scheiben wurde deshalb im Trockenkasten durchgefuhrt. Von 400-1800 em-' wurde mit dem UR 10 des VEB Carl Zeiss Jena registriert. I m Bereich von 300-400 cm-l diente der

D

Bbb. 1. Infrarotspektren von NaS0,Cl. Sus- pensionen inparaffinol, erganzt durch Anwendung von Tripen als Suspendie- rungsmittel. a ) reines Priiparat von3), b) nach Einwirkung von atmospha- rischer Feuchtigkeit, c) NaHSO, zum Vergleich

4, A. FADINI, Z. angew. Math. Mechan. 44, 506 (1964); 45, T29 (1965); Programm d. wissenschaftl. Jahrestagung der Gesellschaft fur Angewandte Mathematik u. Mechanik in Wien April 1965, S. 48; Abstracts of Papers, presented to the 8th European Congress on Molecular Spectroscopy. Copenhagen, August 1965, 6.337; Z. Naturforsch. 21 a, 426 (1966); Dissertation (TH Stuttgart); W. SAWODNY, A. FADINI u. K. BALLEIN, Spectrochim. Acta [London] 21,995 (1965); J. GOUBEAU, Angew. Chem. 78,665 (1966).

5, H. SIEBERT, Anwendungen der Schwingungsspektroskopie in der Anorganischen Chemie (Anorganische und allgemeine Chemie in Einzeldarstellungen 7 ) Berlin-Gottingen- Heidelberg 1966, S. 33, 69.

6, H. SIEBERT, Z. anorg. allg. Chem. 2'89, 15 (1957). 7, H. SIEBERT, Z. anorg. allg. Chem. 275, 210, 225 (1954).

E. STEGER u. I. C. CIUREA, Das Infrarotspektrum von Natriumchlorosulfat 227

Spiegelmonochromator SPM 2 vom gleichen Betrieb mit einem CsJ-Prisma zur Unter- suchung; als Scheibenmaterial eignete sich dabei wieder KRS 6. Fur die durch Eigenab- sorption des Paraffinols gestorten Bereiche wurde Tripen als Suspendierungsmittel einge- setzt. I n Abb. 1 ist neben dem Spektrum von reinem NaS0,Cl (a) das der gleichen Probe (b) wiedergegeben, nachdem die Scheiben kurz aufgeklappt und damit die suspendierten Teilchen einige Sekunden dcr Atmosphiire ausgesetzt worden waren. Zum Vergleich ist noch das Spektrum von NaHSO, (c) angegeben. Aus (b) ist crsichtlich, wic durch die ein- tretende Hydrolyse die Banden, die vom NaS0,CI herruhren, an Intensitat verlieren und dafur nun die Absorptionen des NaHSO, erscheinen. Es zeigt sich dabei wieder, wie emp- findlich die Infrarotspektroskopie bei der anorganisch-priparativen Chemie zur Beurteilung der Reinheit feuchtigkeitsempfindlicher Substanzen arbeitet.

Deutung des Spektrums Nach dem Infrarotspektrum der kristallinen Substanz (Abb. 1; Tab. 3 )

mussen wir sbarke Wechselwirkung zwjschen mindestens 2 Anionen in der Elementarzelle neben der gewohnlich eintretenden Synimetrieerniedrigung im Vergleich zur freien Molekel annehmen. Die Entartungsaufspaltungen werden als Wellenzahldifferenzen von 2 2 cm-l fur die Deforniationsschwin- gung und von 43 C I X L - ~ fiir die Valenzschwingung aus den Spektren abgelesen (Na,SO, : 20 bzw. 35 cm-I *), P0,S-Salze : 25- 30 bzw. 20 cm-l9)). Die Korre- lationsaufspaltungen betragen durchschnittlich 12 cm-l, in ehenfalls guter fjbereinstinimung mit sonst,iger Erfahriing6). Wir ordnen im Gegensatz zu den bisherigen Bearbeitern die Deforniationsschwingungen umgekehrt zu; es werden ja bei XY0,-Molekeln die antisymmetrischen Deform Aa t' icns- schwingungen a.uch sonst unterhalb der symmetrischen gefunden10).

Die beiden Absorptionen bei 600 und 640 cm-' konnte man ebensogut als Folge einer EntartDngsaufspaltung bezeichnen, doch ist hier auch die Mitwirkung einer Kombinations- schwingung 220 + 392 cm-' moglich. Mit Grundschwingungen und Entartungsaufspaltun- gen allein ist die Zahl der im Bereich der SO-Deformationsschwingungen liegenden Banden nicht erklarbar. Fur eine FERMI-Resonanz ist gleiche Rasse der Ober- und der Grundschwin- gung erforderlich. Das ist gegeben, denn die fur die freie Molekel entartete Schwingung 9 SO, zerfallt. weil C,, an nicht 3zihligen Untergruppen nur C, und C, hat, unter Bildung mindestens einer totalsymmet,rischen Komponente. Bei der Symmetrie C,, der freien Mole- kel ware die FERMI-Resonanz dann deshalb nicht moglich, weil 220 + 392 zur Rasse E gehort.

Es ist nun klar, daI3 WADDINGTON und KLANBERC~) bei ihren Salzen eine Komponente von S,, SO, irrtumlich fur v SCI genommen haben. DaB wir die von GILLESPIE und ROBIN- SON an der Losung bei 416 em-' gefundene Frequenz bei 392 cm-, messen, ist wieder ein Beispiel fur die noch unerklarte Beobachtung, daB im Gegensatz zu den hohen Frequenzen die tiefen eine Erniedrigung beim ubergang zum festen Zustand zeigen").

8) E. STEGER u. W. SCHMIDT, Ber. Bunsenges. physik. Chem. G8, 102 (1964). O ) E. STEGER u. K. MARTIN, Z. anorg. allg. Chem. 308, 330 (1961); 322, 215 (1963).

10) H. SIEBERT, 1. c . ~ ) , S. 70. 11) W. G. FATELEY, I. MATSUBARA u. R. E. WITKOWSKI, Spectrochim. Acta [Lon-

don] 20, 1461 (1964). 15*

228 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chem'ie. Band 350. 19G7

Einige schwache Absorptionen sind in Tab. 1 nicht mit verzeichnet, vgl. Abb. 1. Soweit ihre Int-ensitiit mit zunehmender H,O-Aufnahme abnimmt, mussen es Kombinations- und Oberschwingungen sein (z. B. 729 cm-l), sofern aber die Absorption zunimmt, erste Anteile von Hydrogensulfat (z. B. Schultern bei 1019,1170 cm-l). An der fast mittelstarken, breiten Bande bei 857 em-' sind in erster Link Kombinationsschwingungen (GO0 + 220, 530 + 312 usw.) und in geririgem MaBe die Zersetzungsvorgange (v S-OH) beteiligt.

Tabelle 1 I n f r a r o t s p e k t r u m v o n NaSO,Cl, G r u n d s c h w i n g u n g e n u n d i h r e Kr is ta l l fe ldaufspa l tungen

Wellenzahlen cm-1

392 531,536 st 652, 559 s t GO0 b, sst 640 b. sst

1062 sst ; 1100 ss 1250, 1275 sst 1300. 1312 sst

Zuordnung

Hraftkonstantenberechnungen Die Berechnung von Kraftkonstanten und Normalkoordinaten muide

fur das Chlorosulfat,ion und zuni Vergleich fiir das Fluorosulfat und Thio- sulfat nach dem , ,Kopplungsstufenverfahreii" ausgefiihrt. Dabei r i d das Yroblem der Erniittlung von Kraftkonst,anten und Wechsehvirkungskon- stanten, dereii Anzahl die der vnrhandenen Bestimmungsgleichungen iiber- steigt, dadurch losba,r gemach t , daC3 man die Konstanten des vollstandigen Potentialansatzes mit Hilfe einer Mininiumsbedingung &us den Nllhernngs- werten herleitet, die bei Vernkchlassigung aller Schwingungskopplungen an- gebbar sincl.

Die folgenden geometrischen Daten und Wellenzahlwerte werden verwendet : Bindungs- Iangen'z): S-C1 = 1,99 A ; S-F = 1,5G A ; S-S = 1,97 A; S-0 = 1,44 (in S0,CI- und S0,F-) und 1,48 A (in SSOi-). Zwischen allen vier Bindungen des Zentralatoms wurden Tetraederwinkel (109' 28') angenommen. Die G- und F-Matrizen nach WILSOX finden sich bei7)9). In Symmetriekoordinaten wurden die Losungen der Tab. 2 und 3 erhalten.

Aus der Tab. 3 kann nuch entnommen werden, welche Wellenzahlwerte fur S0,CI-, S03F- und S0,S2- fur die Berechnungen verwendet wurden. Fur S0,Cl- warde auch mit der Zuordnung 8, SO, = 535 cm-', 8,, SO, = 585 em-' gerechnet. Man erhalt an Haupt- kraftkonstanten f,, = 2,75, f,, = 8,52 und f,, = 1.31; also nur fur die Deformationskraft- konstante eine geringfugige Bnderung. ~-

12) Tables of Interatomic Distances and Configurations of Molecules and Ions, London 1958.

E. STECER u. I. C. CIUREA, Das Infrarotspektrum von Natriumchlorosulfat 229

I 8,44 -0,02 1 8,71 0,21 I sym. 1,52 sym. 1.88

~~ ~ --I e , T,83 -0 , l l -0,002 8,99 -0.12 0,05

0,84 -0,02 1 1,03 0,OO 1 sym. 0,25 sym. 0,68

Tabelle 2 R e s u l t a t e f u r d i e K r a f t k o n s t a n t e n i n S y m m e t r i e - K o o r d i n a t e n n a c h d e m , ,Kopp lungss tu fenve r fah ren"

7,41 0,08 sym. 2,00

6.83 --0,10 0,Oj 0,8G 0 , O O

sym. 0,35

1195 o,594 ~ 0,275 i 0,131 535 0,004 1 0,995 1 0,001 120') 0,000 , 0,002 0,998

I I 0,671 0,000 Of329 i 8 6 I 0,561 I 0,070 0,369 446 , 0,767 I 0,000 ~ 0,233 0,084 1 0,670 , 0,246 1082 1 0,174 I 0,541 I 0,285 I 995 0,101 1 0,576 0,323 0,192 0,013 1 0,795 566 , 0,080 , 0,001 0,919 669 I 0,170 1 0,039 0,701

I 1287 I o,j44 1 0,264 0,192 1132 1 0,568 0,288 o,144 592 1 0,005 0,988 I 0,007 1 541 0,006 1 0,994 , 0,000 409 1 0,001 0,005 0,994 335 0,001 , 0,002 0,998

Tabelle 4 B i n d u n g s k r a f t k o n s t a n t e n v o n S0,CI- i m V e r - g le ich z u d e n e n von S0,F- u n d S03Sz-

1 S0,CI-

fsx fso

fso fgolsx

f,, nach SIEBERTS Regel

2,76 8,03 0,03 0,20

2,G9 I

S0,F-

4,G6 8,90 0,03

- 0,09

S 0 . p

2,94 7,02 0,08 0.19

Die Erhohungen von fscl und fss gegenuber den Kraftkonstanten der idealen Einfachbindungen (definiert durch SIEBERTS Regel 13)) muesen als

13) H. SIEBERT, Z. anorg. allg. Chem. 873, 170 (1953).

230 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 350. 1967

eine gewisse Einbeziehung der SC1- hzw. BS-Bindung in die rriesoniere Be- teiligung an den n-Bindungen des S-Atoms betrachtet werden. Sie ist fur S20?j- schon von SIEBERT angenommen worden'). Fur das analoge PO& ist eine Berechnung anzufiihren, nach der die Ausdehnung des niesomeren Bindungsausgleichs auf die P-S--Bindung auszubleiben scheintg).

Pie Kraftkonstantc f,, wird erniedrigt gefunden. Es stehen sich damit die Formulierungen

(vgl. 1 4 ) gegenuber. Das befestigt die Vorstellung voii der Rolle der n-Elek- tronen, denn Fluor als Element der zweiten Periode kann sie nicht mehr aufnehmen. Eine Erniedrigung von f,, unter den Wert der Einfachbindung kann so verstanden werden, da13 das elektrmegative Fluor entweder die sp3-Hybridisierung start oder zu einer schon fast ionogenen Bindung AnlaR gibt. Die in1 iibrigen feststellbars Zunahme von f,, niit der Elektronegativitat des Substituenten entspricht der oft nachgewiesenen For- derung der d-Elektronenbindungen bei Elemcnten der 3 . Periode durch elelitronegative Nachbaratome 15).

Herrn Prof. Dr. H.-A. LEHMANN, Direktor des Instituts fur anorganische und anor- ganisch-technische Chemie der Technischen Universitiit Dresden, danken wir fur die Uberlassung des Natriumchlorosulfates.

14) E. STEGER u. K. MARTIN, Z. anorg. allg. Chem. 3?3, 108 (1963). 15) H. SIERERT, 1. c . ~ ) , S. 99.

Dresden, Institut fiir Spczielle analytische Chemie der Technisclien

S t u t t g a r t , Lehrstuhl fiir Technische Mcchanik der Technischen Hoch- Universitat ,

schiilc.

Bei dcr Redaktion eirigegangen a m 11. August 19GCi.