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Das kleine Böhmerwald-Städtchen Ronsperg als Schauplatz eines faszinierenden Familienromans aus der Mitte Europas Von Bernhard Setzwein Manchmal sind es kindlich-naive Fragen, die etwas Entscheidendes anstoßen kön- nen. Jana Podskalská zum Beispiel hatte schon als kleines Mädchen, wenn sie mit ihrer Großmutter am verfallenen Schloss in Poběžovice vorbeikam, vor allem eine Frage, die sie interessierte: Welche Prinzessin hat hier einmal gewohnt? Mag sein, dass sie da sehr in der Vorstellungswelt von Kindheitsmärchen verfangen war. Trotzdem nennt Jana Podskalská noch heute diese Ursituation als entscheidende Antriebskraft für das, was sie später in die Wege leitete. Nämlich das Heben eines lokalgeschichtlichen Schatzes, der in dem kleinen Böhmerwaldstädtchen schon fast vergessen war. Die Menschen, die seit 1946 dort lebten und leben, waren teil- weise von weit her nach Poběžovice umgesiedelt worden. Sie bezogen dort voll- ständig eingerichtete Häuser, deren vormalige Bewohner, wie durch einen bösen Zauber, nahezu vollständig verschwunden waren. Eine Verbindung zu dem, was in dem Städtchen die Jahrzehnte und Jahrhunderte zuvor geschehen war, hatten sie nicht. Die Toten auf dem Friedhof waren für sie Wildfremde, was einen be- merkenswerten Umstand darstellt. Denn Heimat, sagen zum Beispiel Kulturwis- senschaftler, stellt sich ganz essentiell durch das Faktum her, dass an einem be- stimmten Ort die Lebenden über der Erde mit den Toten unter der Erde durch eine Vertikale der Emotionalität verbunden sind. Bei den Neu-Poběžovicern war das nicht der Fall, und für die Frage der kleinen Jana hatten sie offenbar auch keine ausreichende Antwort. Ronsperg, wie Poběžovice früher einmal hieß, war eine ausschließlich deutsch be- siedelte Stadt. Für deren Bewohner war der Mai 1946 der dunkelste, eisigste Wonnemonat ihres ganzen Lebens. Da nämlich erhielten sie einen schriftlichen Bescheid, der ihnen mitteilte, an welchem Tag, zu welcher Stunde sie sich im Gasthof „Hotel Hubertus“ in Ronsperg einzufinden hätten, pro Person dürfe nicht mehr als ein Handgepäck von 50 Kilogramm mitgenommen werden. Von der Sammelstelle weg ging es über die Grenze bei Furth im Wald nach Bayern, das Schicksal ihrer Vertreibung war damit besiegelt. Unter den Ronsperger Männern, Frauen und Kindern war damals auch der 16jährige Franz Bauer, Sohn eines 1

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Das kleine Böhmerwald-Städtchen Ronsperg als Schauplatz eines faszinierenden Familienromans aus der Mitte Europas

Von Bernhard Setzwein

Manchmal sind es kindlich-naive Fragen, die etwas Entscheidendes anstoßen kön-nen. Jana Podskalská zum Beispiel hatte schon als kleines Mädchen, wenn sie mit ihrer Großmutter am verfallenen Schloss in Poběžovice vorbeikam, vor allem eine Frage, die sie interessierte: Welche Prinzessin hat hier einmal gewohnt? Mag sein, dass sie da sehr in der Vorstellungswelt von Kindheitsmärchen verfangen war. Trotzdem nennt Jana Podskalská noch heute diese Ursituation als entscheidende Antriebskraft für das, was sie später in die Wege leitete. Nämlich das Heben eines lokalgeschichtlichen Schatzes, der in dem kleinen Böhmerwaldstädtchen schon fast vergessen war. Die Menschen, die seit 1946 dort lebten und leben, waren teil-weise von weit her nach Poběžovice umgesiedelt worden. Sie bezogen dort voll-ständig eingerichtete Häuser, deren vormalige Bewohner, wie durch einen bösen Zauber, nahezu vollständig verschwunden waren. Eine Verbindung zu dem, was in dem Städtchen die Jahrzehnte und Jahrhunderte zuvor geschehen war, hatten sie nicht. Die Toten auf dem Friedhof waren für sie Wildfremde, was einen be-merkenswerten Umstand darstellt. Denn Heimat, sagen zum Beispiel Kulturwis-senschaftler, stellt sich ganz essentiell durch das Faktum her, dass an einem be-stimmten Ort die Lebenden über der Erde mit den Toten unter der Erde durch eine Vertikale der Emotionalität verbunden sind. Bei den Neu-Poběžovicern war das nicht der Fall, und für die Frage der kleinen Jana hatten sie offenbar auch keine ausreichende Antwort.

Ronsperg, wie Poběžovice früher einmal hieß, war eine ausschließlich deutsch be-siedelte Stadt. Für deren Bewohner war der Mai 1946 der dunkelste, eisigste Wonnemonat ihres ganzen Lebens. Da nämlich erhielten sie einen schriftlichen Bescheid, der ihnen mitteilte, an welchem Tag, zu welcher Stunde sie sich im Gasthof „Hotel Hubertus“ in Ronsperg einzufinden hätten, pro Person dürfe nicht mehr als ein Handgepäck von 50 Kilogramm mitgenommen werden. Von der Sammelstelle weg ging es über die Grenze bei Furth im Wald nach Bayern, das Schicksal ihrer Vertreibung war damit besiegelt. Unter den Ronsperger Männern, Frauen und Kindern war damals auch der 16jährige Franz Bauer, Sohn eines

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Kleinökonomen aus der Mariengasse. Im Frühjahr 2015 kehrt er zum wiederhol-ten Male in seine alte Heimat zurück, diesmal auf Einladung von Jana Podskalská, die mittlerweile als Tourismus-Fachfrau Angestellte der Gemeinde ist. Die beiden haben einen Altersunterschied wie von Enkel-Generation zu Großeltern-Genera-tion. Jana könnte also noch einmal ihre Frage stellen: Welche Prinzessin hat ein-mal im Ronsperger Schloss gelebt? Bei Franz Bauer wäre sie damit sicherlich an der richtigen Adresse. Es dürfte kaum einen zweiten Menschen geben, der so viel weiß über Ronsperg wie er. Fern der Heimat, als Vertriebener in Bamberg lebend nämlich, arbeitete er jahrelang als Herausgeber an einer vollständigen Ortschronik der Stadt Ronsperg. Selbstverständlich spielt darin auch das Schloss und seine Herrschaft eine wichtige Rolle. Damit er unter anderem von all dem erzählt, hat Jana Podskalská Franz Bauer eingeladen. Und vielleicht auch deshalb, damit sie ihm zeigen und berichten kann, wie es in Poběžovice vorangeht. Mit dem Erhalt des Schlosses, mit den Wiederaufbauplänen einer Synagoge und überhaupt mit ih-rer Idee einer Begegnungsstätte Ronsperg/Poběžovice.

Deren Zentrum und Gravitationsmitte müsste unbedingt das Schloss sein. Wenn es nur nicht in so einem furchtbaren Zustand wäre. Seit Jahrzehnten steht es leer und verfällt, und vielleicht wäre es schon unrettbar verloren, wenn es Jana Pod-skalská und ihre Helfer nicht gäbe. Sie nämlich waren es, die die Sache buchstäb-lich selbst in die Hand nahmen. Und zwar in Form von Maurerkelle und Schaufel, Schubkarre und Mörtelmaschine. Man lud ein zu einem Sommer-Workcamp und viele junge Leute kamen. Sie alle packten an und verrichteten die dringlichsten Si-cherungsmaßnahmen, damit es nicht mehr länger in das Gebäude hineinregnete und besonders einsturzgefährdete Stellen gestützt wurden. Denn in der Zwischen-zeit war Jana und ihren Helfern längst klar geworden, welch außergewöhnlicher Ort das Ronsperger Schloss war. Und auch die Stadtväter schlossen sich nach und nach dieser Meinung an. Im Jahr des EU-Beitritts von Tschechien, 2004, stimmte man sogar dem Anbringen einer Gedenktafel am Schlosstor zu, auf der seither zu lesen steht: „Im Ronsperger Schloss lebte Richard Coudenhove-Kalergi, Vater des Gedankens des geeinigten Europas“.

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Es war nämlich so: Die Prinzessin, die einmal in diesem Schloss gelebt hatte, war gar keine Prinzessin. Sondern vielmehr ein kleines, junges, 26-jähriges Japaner-Mädchen, bürgerlichen Standes sogar, obwohl ihr Vater, ein Antiquitätenhändler in Tokio, behauptete, er stamme von dem uralten japanischen Schwertadel der Sa-muraikrieger ab. Jedenfalls lernte sie in ihrer Heimatstadt einen Bediensteten der Botschaft des Habsburgerreiches kennen, Heinrich Graf von Coudenhove-Kalergi. Man heiratete schließlich, was an sich schon eine Sache beträchtlicher diplomati-scher Verwicklungen war, angeblich wurde der Fall sogar dem japanischen Kaiser vorgelegt. Es kamen zwei erste Kinder zur Welt, Buben, Johann und Richard. Dann passierte etwas, was so nicht vorgesehen war im Lebensplan des nur halb-seitig jungen Paares – als sie sich kennenlernten, war Heinrich 32, Mitsuko 17. Der Graf erhielt Nachricht aus dem alten Europa, dass er schleunigst nach Hause kommen müsse und das väterliche Erbe antreten. Es bestand neben dem Ronsper-ger Schloss auch noch aus dem nahegelegenen verlassenen Kloster Pivoň samt Klosterbrauerei sowie Schloss Ottensheim an der Donau und einigen Besitzungen in den ungarischen Karpaten. Trotz größter Unlust musste die junge Familie schließlich nachgeben und aufbrechen zu einer Schiffsreise nach Europa. Ein frü-hes Beispiel, wie Globalisierung die Menschen in Bewegung setzt.

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Barbara Coudenhove während ihres Besuches in Poběžovice im März 2014, an ihrer Seite Jana Podskalská, die sich um den Erhalt des Schlosses kümmert.

Es heißt immer wieder, Mitsuko sei die erste Japanerin überhaupt gewesen, die es durch eine solche Einheirat nach Europa verschlagen habe. Eine entsprechende Sensation war ihr Auftauchen im abgelegenen Böhmerwaldstädtchen Ronsperg. Spalier stand man bei der Ankunft der neuen Herrschaft. In einer Kutsche langten die beiden kleinen Buben an, jeder mit einer japanischen Kinderfrau, allesamt in Kimonos gekleidet. Man stelle sich nur einmal die Gesichter der Böhmerwäldler vor. Überhaupt trafen hier zwei denkbar konträre Welten aufeinander: die rein bäuerlich geprägten Ronsperger und der kosmopolitisch geprägte Graf mit seiner japanischen Ehefrau. Heinrich Coudenhove-Kalergi war vor seiner diplomati-schen Japan-Mission schon in der halben Welt unterwegs gewesen. In Konstantin-opel zum Beispiel war er auch eingesetzt und rettete dort einem Mann das Leben, dessen Familie im Gefolge des von den Türken betriebenen Armenier-Genozids ausgelöscht wurde. Babik hieß der Mann und wurde zum unzertrennlichen Leib-diener des Grafen. Nicht nur nach Japan, auch nach Ronsperg begleitete er ihn und lief selbst dort weiterhin in seiner Armeniertracht herum, mit Fes auf dem Kopf und Krummdolch im Leibgürtel. Als er starb, wollte er unbedingt neben sei-nem Herrn, dem längst schon verstorbenen Grafen Heinrich, auf dem Ronsperger Friedhof begraben werden und trat deswegen extra noch zum römisch-katholi-schen Glauben über. Soviel zur bereits angesprochenen Vertikale zwischen den Lebenden und den Toten.

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Die Weltläufigkeit hatte nicht nur zur Folge, dass der Graf über ein Dutzend Spra-chen beherrschte, er kam auch mit sämtlichen Weltreligionen in Kontakt. Da er ein überaus belesener Mensch war, hortete er eine immense Bibliothek an, in der vor allem religiöse Schriften eine bedeutende Abteilung bildeten. Nachdem er sich in Ronsperg niedergelassen hatte, 37jährig, begann er noch einmal ein Stu-dium an der Prager Universität im Fache der Semitischen Philosophie, und um-ringt von seinen Bücherschätzen schrieb er bereits 1901 in der Ronsperger Schlossbibliothek eine Arbeit, die die Irrationalität aller antijüdischen Affekte be-weisen sollte. Das Buch erschien später, nachdem es Sohn Richard zu Ende ge-führt hatte, unter dem Titel „Antisemitismus. Von den Zeiten der Bibel bis zu Ende des 19. Jahrhunderts“ und gilt als einer der frühesten und wichtigsten Bau-steine einer Antisemitismusforschung.

Höchstwahrscheinlich hat Graf Heinrich während der Abfassung dieser Schrift auch mit dem Ronsperger Rabbi darüber gefachsimpelt, die beiden waren sehr gut bekannt, ja wohl befreundet. Jedenfalls schenkte der Graf der Ronsperger Jüdi-schen Gemeinde fast alle seine Judaica-Bücher. Dieser wichtige Teil seiner Bibli-othek verschwand spurlos, nachdem man auch in Ronsperg anfing, die Juden zu verfolgen und zu deportieren, die Synagoge verwüstete und das Hab und Gut der Juden in alle Windrichtungen zerstreute. (An dieser Stelle hat Franz Bauer eine interessante Anekdoten beizutragen: Während der Reichspogromnacht in Ronsperg sollen nämlich ein paar besonders schöne Einrichtungsgegenstände aus jüdischen Haushalten in solche eifriger Nazi-Anhänger „gewandert“ sein. In den Tagen danach markierten auf das Straßenpflaster gestreute Sägespäne die Wege, die dieses Diebesgut genommen hatte.)

Mit der fast vollständigen Auslöschung der jüdischen Gemeinde ist ein weiteres faszinierendes Kapitel der Stadtgeschichte betroffen und zu einem bestürzenden Ende gebracht worden. Denn Ronsperg war jahrhundertelang eine Art jüdischer Wallfahrtsort. Grund dafür war das zu jeder jüdischen Kommunität gehörende Ri-tualbad, die sogenannte Mikwe. Der in Ronsperg schrieb man nämlich eine wun-dertätige Heilkraft zu, die vor allem bei Frauen gewirkt haben soll, bei denen sich kein Kindersegen einstellen wollte. Aus ganz Europa sei man dieser Mikwe we-gen nach Ronsperg gekommen. Aber nicht nur Frauen, auch Männer. Es heißt, der berühmte Rabbi Baal Schem Tov, Begründer des Chassidismus, soll 1743/44 über dreihundertmal in das Wasser der Ritualquelle untergetaucht sein. Als Beleg geis-terte 1927 ein wiederaufgetauchter kreisrunder Stein mit schwer entzifferbarer In-

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schrift durch Europas Zeitungen, der sogenannten Baal-Schem-Stein, der im Vor-raum zur Mikwe in das Bodenpflaster eingefügt war. Aber all das ist ja längst ver-schwunden, die Mikwe, ihr Vorraum, der Stein, ja die ganze Synagoge, die über diesem Ritualbad errichtet war. Sie wurde nach 1939 abgerissen, das darunter lie-gende Kellergewölbe mit der Mikwe durch eine Betonplatte verschlossen. – Auch in diesem Fall folgte jahrzehntelanges Schweigen und Vergessen, schließlich war man sich gar nicht mehr sicher, ob die Mikwe überhaupt noch existiert. Gelegent-liche jüdische Pilger aus den USA führte ein früherer Grundstückseigentümer zu einem „Ersatzbad“ und machte sie glauben, sie stiegen jetzt in dieselbe Quelle wie schon Baal Schem Tov. Mittlerweile ist nicht nur die Mikwe wieder eindeutig ausgemacht und lokalisiert, es besteht sogar das Vorhaben, mit Spendengeldern jüdischer Kreise aus Tschechien und ganz Europa über der Ritualquelle wieder eine Synagoge zu errichten.

Und trotzdem: Es beschleicht einen ein zwiespältiges Gefühl. Ist das nicht alles müßig und kommt viel zu spät? Eine jüdische Gemeinde gibt es in Ronsperg nicht mehr, und dass sie sich wieder bildet, dafür sieht man nicht die geringsten Anzei-chen. Die Stadt hat eh schwer zu kämpfen, man wundert sich, womit sie eigentlich Steuereinnahmen generieren will. Gleichzeitig gäbe es horrende Herausforderun-gen. Eine wirklich grundlegende Sanierung des Schlosses, wer soll sie bezahlen? Und selbst wenn sie mit Fremdmitteln und beispielsweise europäischer Hilfe ge-länge: Was würde man an diesem so abgelegenen Ort mit einem wie neu erstrah-lenden Schloss machen? Interessierte Kulturtouristen anziehen? Wie es sie jetzt

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schon hin und wieder nach Ronsperg verschlägt. Darunter erkennbar immer wie-der auch Japaner. In ihrem Heimatland nämlich ist Mitsuko ungefähr so populär wie bei uns die Sissi. Auch sieht man ihr Leben als ähnlich unglücklich verlaufen an, wie das der Gemahlin des österreichischen Kaisers. Ihre Heimat hat Mitsuko nie mehr wieder gesehen. Weil ihr Ehemann Heinrich plötzlich und überraschend mit nur 41 Jahren verstarb, stand sie plötzlich da als Verwalterin eines beträchtli-chen Besitzes und allein erziehende Mutter von sieben Kindern. Denn zu den bei-den „Japanern“ Johann und Richard, die noch in Tokio zur Welt kamen, stellten sich fünf weitere Geschwister in Ronsperg ein: Gerolf, Elisabeth, Olga, Ida und Karl. Jedes dieser Kinder machte einen bemerkenswerten Lebensweg. Man könnte sich gewissermaßen ein Schloss vorstellen mit sieben Ausstellungsräumen, analog den sieben Kapiteln eines Romans (mit Prolog und Epilog, die den Eltern Hein-rich und Mitsuko gewidmet sein könnten), und alles zusammen ergäbe einen ziemlich dickleibigen Roman, der eine höchst exemplarische, ungemein faszinie-rende Familiengeschichte aus der Mitte Europas erzählen würde.

Darin käme zum Beispiel Ida Görres vor. Unter dem angenommenen Namen ihres Ehemanns Carl-Josef Görres kennt man das zweitjüngste der sieben Geschwister am ehesten. Sie veröffentlichte eine Vielzahl theologischer Bücher und gilt als wichtige Stimme der katholischen Bewegung. Gerolf heiratete eine Gräfin Pálffy und gründete in Prag eine Familie, die 1945 auf ziemlich dramatische Weise ver-trieben wurde und das Land verlassen musste. Zu Fuß schlug man sich von der Hauptstadt an der Moldau bis an die böhmisch-mühlviertlerische Grenze durch. Mitgelaufen ist damals auch die 14jährige Tochter Barbara Coudenhove-Kalergi, später in Österreich sehr bekannt geworden nicht nur als „roten Gräfin“, die mit dem Reformkommunisten Franz Marek verheiratet war, sondern auch als Osteu-ropa-Korrespondentin des ORF. Die 82-jährige Grande Dame der österreichischen Publizistik besuchte 2014, anlässlich einer Lesetour aus ihren Memoiren „Zu-hause ist überall“, Schloss Ronsperg und wurde von einer restlos begeisterten Jana Podskalská empfangen, die es sich in ihrem Leben nicht hätte träumen lassen, tat-sächlich noch einmal mit einer Verwandten jener „Prinzessin“ in Kontakt zu kom-men, von der sie gerne mehr erfahren hätte. Mittlerweile war es allerdings so, dass die geschichtsbegeisterten Leute, die sich um das Schloss Ronsperg kümmern, da-runter auch Leute aus Bayern, schon so viel bei ihren Recherchen in Erfahrung gebracht hatten, dass Frau Coudenhove aus Wien völlig baff einräumen musste: „Sie erzählen mir ja mehr über meine Familie, als ich selber weiß.“ Das Engage-ment der jungen Leute beeindruckte sie jedenfalls sichtlich. „No, die Jana“, rief sie ein ums andere Mal aus.

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Barbara Coudenhove-Kalergi wollte auch deshalb unbedingt einmal nach Ronsperg, weil sie als Kind, als ihre Eltern noch in Prag lebten, seltsamer Weise nie hierher gekommen war. Sie hatte immer nur Geschichten von dem etwas ver-rückten Onkel Hansi gehört, der ein recht wunderliches Leben „da hinten“ im Böhmerwald in seinem Schloss führe. Nachdem er der Älteste war, war es klar, dass er der neue Herr auf Schloss Ronsperg werden würde – niemand konnte da-mals, Anfang der 1920er Jahre wissen, dass er auch der letzte sein würde. Er war frisch verheiratet, mit Lilly Steinschneider aus Budapest, Tochter einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die ihrerseits eine hochinteressante Person gewesen sein muss. Sie gehörte zu den frühesten „Aviatikerinnen“, also Flugpionierinnen, und machte als zweite Frau überhaupt im gesamten Habsburgerreich einen Pilotenschein. Ein wenig ähnelt ihr Schicksal das ihrer Schwiegermutter Mitsuko. Auch sie ließ sich, wie die Japanerin einst von Heinrich, nun von Hansi in das Provinznest Ronsperg „entführen“. Überdies, hört man, verbot ihr der Gatte vom Zeitpunkt der Heirat an, weiter ihrem Hobby, der Fliegerei, nachzugehen. Die Ehe scheint keine recht freudvolle gewesen zu sein. 12 Jahre dauert es, bis die einzige Tochter Marina zur Welt kam. In den folgenden Jahren flüchtete Lilly immer öfter aus Ronsperg und irgendwann verschwand sie mit ihrer Tochter ganz aus dem Böhmerwald. Einer-seits soll Hansi ein rechter Schürzenjäger gewesen sein, andererseits spürte die Halbjüdin vielleicht auch den immer aggressiver werdenden Zeitgeist. Jedenfalls heißt es irgendwann, sie habe jetzt einen festen Wohnsitz in Italien, Hansi hielt aber trotzdem weiterhin loyal zu ihr, eine Scheidung kam lange Zeit für ihn nicht in Frage. Erst etliche Jahre nach Kriegsende, da lebte er schon völlig verarmt in Regensburg, ist von einer zweiten Ehefrau die Rede. Es war dies die Chefsekretä-rin des Intendanten vom Stadttheater.

„Verlassen“, wenn man so will, von seiner Ehefrau Lilly, verfiel Graf Couden-hove jedoch damals in Ronsperg in den späten 1920er und 1930er Jahren keines-wegs in Trübsinn. Vielmehr lebte er in vollen Zügen seine exzentrische Ader aus. Er nahm bauliche Veränderungen am Schloss vor, der noch heute weithin sicht-bare quadratische Turm stammt zum Beispiel von ihm. Er lud immer wieder Künstler ein, ganze Monate, ja Jahre lang bei ihm zu leben. Einmal beauftragte er einen gewissen Willi Russ, Keramikkünstler aus dem Egerland (das sogenannte Schokoladenhaus in Wien stammt von ihm!), einen überlebensgroßen Kachelofen zu bauen, der niemand anderen darstellen sollte, als den Schlossherrn selbst, im bodenlangen Morgenmantel. Dieses frühe Beispiel eines Pop-art-Kunstwerkes soll in ganz Westböhmen Tagesgespräch gewesen sein. Genau wie das zweifarbige Kabriolett-Auto, in dem sich der Graf herumchauffieren ließ, die rechte Seite war

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gelb lackiert, die linke rot, so dass man von zwei Wägen ausgehen musste, sah man das Gefährt von nur einer Straßenseite. Es waren dies übrigens die Wappen-farben der Coudenhoves, die es dem Grafen besonders angetan hatten. So grün-dete und sponserte er den Fußballclub Ronsperg, allerdings mit der Auflage, dass sie in seinen Farben auflaufen müssten. Ein erstaunliches Engagement für einen Grafen, galt doch Fußball damals noch als indiskutable Rauferei von ein paar Pro-leten. Ein Aristokratensport wäre allenfalls Tennis gewesen.

Während also Hansi das absolut exzentrische Leben eines Dandys in Ronsperg führte und übrigens 1938 auch, mitmarschierend beim Sudetendeutschen Freicorps, den Anschluss des Sudetengaus ans Deutsche Reich feierte, überlegte sein Bruder Richard, mit dem er während der Kindheit ein Herz und eine Seele gewesen war, schon frühzeitig, Europa zu verlassen. Er tat dies dann auch, 1938, zusammen mit seiner Ehefrau Ida Roland, die unter diesem Namen eine berühmte Schauspielerin in Wien gewesen war. Auch sie – nach der Terminologie der Nazis – eine Halbjüdin wie Hansis Ehefrau Lilly. Die Roland übrigens gab den Schau-spielerberuf ganz „freiwillig“ auf. Sie wollte nämlich ihren Richard unterstützen bei seiner Idee einer Paneuropa-Bewegung. Sie tat das nicht nur, indem sie sämtli-che Büroarbeit für ihn erledigte, auch ihr großes schauspielerisches Können setzte sie durchaus gewinnbringend ein, etwa bei allen Formen diplomatischer Banketts oder auch beim Berliner Paneuropa-Kongress 1930, wo sie Victor Hugos „Rede über Europa“ hochdramatisch zum Besten gab.

Zu diesem Zeitpunkt existierte die Paneuropa-Union schon 8 Jahre lang. 1922 rief Richard Coudenhove sie ins Leben. Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges, in den weder er noch Hansi, sondern nur Bruder Gerolf einrücken musste (sowie Li-lly als Krankenschwester, obwohl sie so gerne Kampfpilotin geworden wäre, was für Frauen nicht möglich war), hatte ihn dermaßen erschüttert, dass er fieberhaft nach einer politischen Lösung für die Zukunft suchte. Sein Plan war schließlich, für einen Zusammenschluss der einstigen Kriegsgegner in einer Form von „Verei-nigte Staaten von Europa“ zu werben … man nennt daher die Paneuropa-Union gerne den frühesten Vorläufer der EU-Idee, auch wenn es da einige entscheidende Abweichungen gibt. Der demokratische Grundgedanke stand bei dem Aristokra-ten Coudenhove zum Beispiel nicht unbedingt an erster Stelle. Viel lieber schwadronierte er von einem „Zufallsadel“, der die Geschicke dereinst lenken werde. Nichtsdestotrotz: Die Überwindung der uralten Feindschaften etwa zwi-schen Frankreich, England und Deutschland hielt er für das Allerdringlichste, sonst werde es zu einer Neuauflage des Ersten Weltkrieges kommen, meinte er

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schon Anfang der 20er Jahre in prophetischer Weise. Die Nazis übrigens verboten bereits 1933 die Paneuropa-Union des in ihren Augen „Mischlings“ Richard Cou-denhove. Über Zwischenstationen flohen der Graf und seine Frau schließlich ins amerikanische Exil.

Derweil sein Bruder Hansi in Ronsperg sich äußerst indifferent, um es milde zu sagen, gegenüber den braunen Machthabern verhielt. In Berlin im „Hotel Kaiser-hof“ soll er teure Partys für sie geschmissen haben, später redete er sich heraus, er habe das ja nur getan, um sie in Eulenspiegel-Manier zu verulken. Seine Nichte Barbara Coudenhove meint, für einen strammen Nazi sei er schon deshalb völlig unbrauchbar gewesen, weil er viel zu dekadent und dandyhaft war. Wie auch im-mer: Nach Kriegsende wurde er von den Tschechen verhaftet und in das Sammel-lager Chrastavice nahe Taus/Domažlice gebracht, wo grauenhafte Zustände ge-herrscht haben müssen. Es gibt darüber nur wenige, spärliche Quelle, deren Be-schreibungen jedoch lassen an Gulag und Todeslager denken. Dass Hansi dem noch einmal entrinnen konnte, hat er seinem Bruder Richard zu verdanken. Vom fernen Amerika aus intervenierte er bei den neuen politischen Herren des sich for-mierenden tschechoslowakischen Staates … er kannte sie noch von seinen Paneu-ropa-Verhandlungen her. Schließlich ließ man Johann Graf Coudenhove laufen und er rettete sich, so schnell es ging, nach Bayern.

Dort strandete er in Regensburg, wo er in den 1950er und 60er Jahren zu einem stadtbekannten Original wurde. Er war der komplett verarmte „Graf Hansi“, dem von seinem alten Leben nur so viel geblieben war: ein seine Umgebung stets er-heiternder Hang zur Exzentrik sowie ein kleines Köfferchen, das er dem Verneh-men nach immer bei sich trug. Es enthielt alles, was er an Hab und Gut nach der Vertreibung aus Ronsperg noch besaß.

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