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Das Lernvermögen der einzelligen Tiere

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Das Lernverm8gen der einzelligen Tiere. Ton

Professor Dr. Friedrich Alverdes, Direktor des Zoologischen Instituts der Universitat Nnrburgllahn.

Walirend man uni die Mitte des 19. Jalirliunderts das Gebaren der Tiere allzu sehr vermensclilichte, verfiel man etwa zur Zeit der Jahr- hundertwende ins andere Extrem: Man war von mancher Seite :LUS um den Kachweis bemuht, da13 - wenn nicht alle Tiere, so zum mindesten die niederen Tiere nichts als Automaten oder Maschinen seien. Dime Ansiclit ist jedoch in der Wissenschuft nicht durchgedrungen; denn je mehr man sich mit dem Gebaren der Tiere beschaftigte, um so mehr wurde inan inne, tlaS man es auch bei den niederen Tieren keineswegs mit Automaten ode? Haschinen zu tun hat. Miie in der menschlichen Paychologie die ,,Psycho- logie ohnc SeeleL' mfgegeben wurde, so bahnt sich bezuglicli der Tiere melir und mehr eine Auffassung an, die den Namen einer T i e r p s y c h o - 1 o g i e in Wahrheit verdient.

J e ferner uns ein Lebewesen in seiner Organisation steht, UM so schwieriger wird fiir uns ein Verstandnis und eine Dcutung seiner Lebens- iiuflerungen, und urn so mehr ist es uns erschwerq Versuchsbedingungen zu ersinnen, bei denen uns ein Tier in eeinem Gebaren das Maximum seiner Fahigkeiten zu zeigen vermag. Ungemein fremdartig sind ulis die Ein- zeller (Protisten); hier leistet eine einzige Zelle all das, was z. B. in unsereni inenschlichen Korper nur Billionen von Zellen auf Grund einer Arbeits- teilnng gemeinsam liervorzubringen vermogen. Man hielt ursprunglich die Protisten, da sie ,,nur aus einer einzigen Zelle bestehen", in jeder Be- eiehung fur aul3erordentlich primitiv; demgemii13 glaubte man auch, ein Gebaren, das iiber die allereinfachsten Funlitionen hinausgeht, von ihnen nicht erwarten zu kiinnen. Es gab um die Jahrhundertwende einige Bio- logen, die den Einzellern beinalie eine Art Mittelstellung zwischen Un- belebtem und Belebtem zuwiesen; es ist also keineswegs znviel gesagt, wenn ich behaupte, fur solche Biologen seien die Eiiizeller geradezu kleine Automaten gewesen.

Wird angegeben, der Protist bestunde ,,nur aus einer einzigen Zellc", SO ist er damit nur hociist unvollkommen gekennzeichnet; denn jede Pro- tietenzelle allein e r fd l t alle jene Funktionen, die zum Leben eines voll- stiindigen Organismus dazugehoren wie Erniihrung, Stoffwechsel, Be- wegung, Fortpflanzung usw.; im Vergleich hierzu sind die Zellen unserea Korpers und die der vielzelligen Tiere au13erst spezialisiert; ihnen kommen im Rahmen des Gesamtorganismus immer nur begrenzte und iiiemds all- seitige Leistungen zu: Die Muskelzellen bringen die Bewegungen hervor, die Darmzellen beteiligen sich an der Verdauung, die zentralen Impulse cntstehen in den Nervenzellen uncl werden durch sie den verschiedeneii liorperregionen zugeleitet usw. Mit der bereits genannten Auffassung, die

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Protisten seien kleine Automaten, litingt aufs engste die ltleinung zu- sammen, sie standen ihrer AuBenwelt niemals als aktive Individualitaten gegenuber, sondern sie seien immer nur der Spielball der Umwelt- bedingungen, indem ihr Gebaren allein von auDen und keinesfalls voii innen her geleitet wiirde. Nur langsam hat sic11 die entgegengesetzte An- sicht Bahn gebrochen, daI3 namlich such der Protist als Individualitat (als Subjekt) anzuerkennen sei und daI3 er ahnlich wie das hohere Tier sich in seinem Gebaren aktiv mit der AuBenwelt auseinandersetzt; nach dieser neuen Auffaesung wird der Protist also nicht immer bloI3 passiv durch die AuDenumstiinde liierhin und dortiiin gelenkt.

Ich darf fiir mich in Anspruch nehmen, da13 ich hinsichtlich der I n - f u s o r i e n (A u f g u 13 t i e r c h e n) eine derartige Ansicht bereits vor rund 15 Jahren vertreten habe. In der Folgezeit war ich bemuht, Ver- suchsbedingungen zu ersinnen, unter denen die Protisten uns moglichst hohe Leistungen zu zeigen vermogen; denn auch bei einem biologischeii Experiment hiingt die Antwort auf entscheidende Weise von der Art der Fragestellung ab. ZLI den hoheren Leistungen der Tiere gehort das L e r 11 e n. Voraussetzung fur jedes Lernen bildet das Vorhandensein eines G e d a c h t n i s s e s. Es ist bekannt, in welchem Grade z. B. Vogel mid Saugetiere uber ein Gedachtnis verfiigen. Die Fragestellung Iautete, ob auch die Protisten ein Gedachtnis besitzen; bislang war in dieser Hin- sicht nichts Sicheres bekannt. Lie6 sich die Frage bejahen, so brach damit das Vorurteil, die Protisten seien auI3erst primitive Wesen, endgiiltig zu- sammen.

Man konnte gegen diese Ausfiihrungen einwenden, inwieweit es iiber- haupt von Interesse sei, ob Protisten ein Gedachtnis besitzen oder nicht. Wird nicht bei derartigen Untersuchungen die Wissenschaft zum Selbst- zweck und Z L I ~ reinen Spielerei? Nun, von der Entscheidung einer solcheii Frage liangt weitgehend unsere Auffassung uber die gesamte belebte N a t u ab; denn es ist nicht gleichgiiltig fur unsere Anschauung von Welt und Leben, ob wir annelimen, daI3 es Tiere gibt, die im Grunde genommeii nichts als Automaten sind, oder ob wir anerkennen, da13 ein jedes Lebe- wesen - auch das sclieinbar einfache einzellige - sich als ,aktive Indi- vidualitat selbstandig mit seiner AuBenwelt auseinandersetzt, wobei es sich manche Gegebenheiten sogar gedachtnismaBig einpr8;gt.

Vor etwa 3 Jahren betraute ich einen meiner Schuler, F. B r a m - s t e d t , mit der Axfgabe, das Lernvermogen der Infusorien zu unter- suchen. Der uberwiegenden Mehrzahl der Biologen ware es wohl als niclit zu rechtfertigendes Wagnis erschienen, einem Studierenden die Anregung zu einer solclien Arbeit zu geben, weil sie das Thema fur aussichtslos ge- halten hatten. Jedoch glaubte ich auf Grund jener Vorstellungen, die ich mir iiber die Protisten durch jalirelange eigene Untersuchungen gebildet liatte, mit der Stellung dieses Themas auf dem rechten Wege zu sein. B r a m s t e d t kommt das Verdienst zu, mit groljer Selbstandigkeit und in hingebungsvollen Bemuhungen die Brauchbarkeit der ihm gewordenen Anregung dargetan ZU haben. ') Nachdein B r a m s t e d t seine Tatigkeit im hiesigen Zoologkchen Institut beendct lint, fuhrt H. S o e s t die Unter- suchungen a n Infusorien weiter; und obwohl seine Arbeit nocli nicht ab- geschlossen ist, liiI3t sicli schon jetzt sagen, daI3 seine Ergebnisse die B r a m s t e d t schen auf das Gliiclilichste erganzen. Im iibrigen erfahren in uiiserem Institut die Beobachtungen iiber das Lernvermogen der

') F. B r a m s t e d t , Dressnrversuche mit P a r a m e c i u m c a u d a t u m nnd S t y l o n y c h i a myt i ln s . Zeitschrift f . vergl. Physiologie 1935, Bd. 22.

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niederen Tiere eine willkommene Erweiterung, indem F. D i l k begonnen hat, niedere Wurmer Iiierauf zu untersnchen.

Im Vorliegenden sei allein auf die B r a m s t e d t sclien Ergcbnisse eingegangen, wobei icli von seinen zahlreichen Versuclien nur die mesent- lichsten und wichtigsten nennen kann. Zunaelist untersuchte er das P a 11 - t o f f e 1 t i e r c 11 e n (P a r a m e c i u m). Dasselbe ist etwa 'la mm lang, befindet sich also an der Grenze der Sichtbarkeit. Seine Korperoberflache ist allseitig mit feinen und sehr beweglichen Wimperharchen besetzt ; diese sind zu mehreren Tausend vorhanden. Ihrer bedient sich das Tier, um im Wasser umlierzuschwimmen. B r a m s t e d t lief3 die Tiere in einem Wassertropfen scliwimmen, dessen eine HUfte beleuchtet und zugleich stark erwarmt war; die andere Tropfenlidfte dagegen bcfand sich im Dunlreln und \vies Zimmertemperatur auf. Unter gewohnlichen Urnstanden liil3t das Pantoffeltierchen den Unterscliied zwischen Hell und Dunkel vollig unbeachtet; es schwimmt also ohne Zogern vom Hellen ins Dunlrle und voni Dunklen ins Helle hinein. Bei den B r a m s t e d t sclien Ver- suchen dagegen herrschte in der hellen Tropfenlialfte eine hohe Tempe- ratur, und diese wirkt auf das Pantoffeltierclien stets abschreclrend; d a ein jeder Versuch 2 Stunden dauerte, mu.l3ten also die Tiere 2 Stunden lang in der dunklen und zugleich kuhlen Tropfenhalfte vcrbleiben und konnten nicht in die lielle Tropfenlidfte eindringen, weil diese zu warm war. Sie lerntcn in diesen Versuchen, d& Helligkeit mit Erwarniung und Dunkel- heit mit Kiihle verbunden war. Nnch Verlauf der 2 Stunden wurde die lielle Tropfenhalfte auf Zimmertemperatur abgekuhlt; infolgedessen besal3 jetzt der helle und der dunkle Bezirlr die gleiche Temperatur; die Tiere hatten jedoch gelernt, die Grenze vom Dunklen zum Hellen nicht zu uber- schreiten, wiilirend sie vor dem Versuch diese Grenzlinie stets unbeachtet lieBen. Nit anderen Worten, es war gelungen, sie darauf zu dressieren, die Helligkeit zu vermeiden.

Aber nicht nm. durch diese Versuche, sondern aucli noch auf andere Weisc lief3 sicli zeigen, daf3 das Pantoffeltierchen ein Qedachtnis besitzt. Unter gewohnliclien Umstanden schwimmt dieses Tier bald geradlinig und bald auf beliebig weiten Bogenba,hnen in seinem Wohngewasser umher. Bringt man dagegen ein Pantoffeltierchen fur 2 Stunden in ein kleines dreieckiges oder viereckiges GlasgefaS von etwa 1 em Kantenlange, so paf3t das Tier seine Schwimmbnbn dieser GefaSform melir und mehr an; und wenn man das Tier dann in ein grofieres GeFal3 iibertriigt, so nutzt es beim Schwimmen zunaclist nicht etwa den ihm dann zur Verfugung stehenden grofleren R a w ms, sondern es bewegt sich nur in einem drei- eckigen oder viereckigen Bezirk umher; und zwar ist dieser Bezirk nur YO

grof3 wie jenes Dreieck oder Viercck, in dem es sich zuvor 2 Stunden lang befand. Das Pantoffeltierchen hat sicli also walirend jener 2 Stunden die hetreffenden Raumformen gedaclitnisrnafiig eingepriigt; es ist auf diese Formen dressier!, worden. Das Erlernen von Raumformen stellt eine bzi weitem hohere Leistung dar als die einfaclie gedachtnismaflige Ver- kniipfung der beiden Reizpaare Helligkeit und Warme bezw. Dunkellieit und Kalte. Wie beim Pantoffeltierchen sich im einzelnen ein solches Er- lcrnen vollzieht, ist uns einstweilen unbekannt. Doch 1aBt sich aus dem Umstand, da13 wir uns bislang nicht vorstellen konnen, auf welche Weise sich ein Pantoffeltierchen Raumformen einpragt, kein wie immer gearteter Einwand gegen diese Versuche herleiten; denn das Ergebnis, da13 das P:mtoffeltierchen die genannten Raumformen kennenlernt, ist vollig sicher- gestellt.

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B r a m s t e d t zog auch nocli ein anderes Infusor, das M u s c h e 1 - t i e r c h e n (5 t y 1 o n y c h i a), ZLI seinen Untersuchungen lieran. Dieses Tier schwimmt im Gegensatz zurn Pantoff eltierchen nur selten; meist lauft es unter Wasser mittels seiner Wimperharchen auf einer Unterlage umher. Wie das Pantoffeltierchen lMt auch das Muscheltierchen unter gewohn- lichen Umstanden den Unterschied zwischen Hell und Dunkel unbeschtet; es geIang aber auf zweierlei Weise, das Muscheltierchen auf die Ver- rneidung der Helligkeit zu dressieren. Das Muscheltierchen schreckt vor einer rauhen Unterlage zuriick und bevorzugt eine glatte Unterlage. Des- halb m d e der Wassertropfen, in dem sich die Versuchstiere befanden, auf einer Glasplatte ausgebreitet, die zur einen HiLlfte rauh und zur anderen Halfte glatt war; der rauhe Teil war beleuchtet, der glatte blieb im Dunkeln. Wurde diese Glasplatte nach 2 Stunden gegen eine durchweg glatte Glasplatte ausgewechselt, so zeigte sich, dafi die Tiere auf das Ver- nieiden der Helligkeit dressiert waren; denn sie schraken zuriick, wenn d i e aus dem Dunkel an die Grenze zum Hellen kamen, trotzdem die Unter- lage jetzt gleichmafiig glatt war. Dasselbe Ergebnis liefi sich erzielen, wenn von vornherein eine glatte Glasplatte geboten wurde; nur wurde diese Glasplatte jedesmal durch Klopfen erschiittert, sowie ein Versuchs- tier vom Dunkeln her die Grenze zum Hellen zu iiberschreiten begann. Auch bei dieser Dressurmethode lernte das Muscheltierchen bald, den hellen Dopfenbezirk zu vermeiden; es betrat spater langere Zeit hindurcli diesen Teil des Tropfens nicht mehr, selbst wenn dann nicht mehr geklopft wurde.

Wir ersehen am all diesen Versuchen, dal3 nicht nur die hoheren Tiere, sondern auch die Infusorien zu lernen vermogen. Darnit ist das Vor- urteil, wir hatten es bei den Einzellern mit sehr primitiven Wesen zu tun, endgultig uberwunden. Wie in der Tierpsychologie iiberhaupt, so liegt auch hinsiclitlich der Infusorien die Hauptschwierigkeit immer darin, Ver- suchsbedingungen zu finden, die der Organisation der betreffenden Tierart angemessen sind; nur wenn dies gelingt, darf man hoffen, die Leistungs- fghigkeit der Tiere in vollem Umfange ergriinden ZLI konnen.