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ceo* Das Magazin für Entscheidungsträger. September 2009 Zukunftsdenken. Thomas Schmidheiny über Investitionen in bleibende Werte. Verantwortung. Professor Ernst Fehr über Voraussetzungen für faires Verhalten. Strategie. Martin Senn über den Wert von Disziplin und strukturierten Prozessen.

Das Magazin für Entscheidungsträger. September 2009 ... · sität St. Gallen, über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf sein Institut und den Wert gesellschaftlicher Verantwortung

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ceo*Das Magazin für Entscheidungsträger. September 2009

Zukunftsdenken. Thomas Schmidheiny über Investitionen in bleibende Werte.Verantwortung. Professor Ernst Fehr über Voraussetzungen für faires Verhalten.Strategie. Martin Senn über den Wert von Disziplin und strukturierten Prozessen.

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Herausgeber: PricewaterhouseCoopers AG ceo Magazin, Birchstrasse 160, 8050 Zürich

Chefredaktion: Alexander Fleischer, [email protected], Franziska Zydek, [email protected]

Creative Direction: Dario Benassa, [email protected]

Konzept, Redaktion und Gestaltung: purpur, ag für publishing und communication, zürich, [email protected]

Copyright: ceo Magazin PricewaterhouseCoopers.

Die von den Autoren geäusserten Meinungen können von jenen der Herausgeber abweichen.

Das ceo Magazin erscheint dreimal jährlich in deutscher, französischer und englischer Sprache. Auflage 26 000

Bestellungen von Gratisabonnementen und Adressänderungen: [email protected]

Litho/Druck: ud-print AG, Luzern. Papier: Magno Satin FSC, holzfrei, beidseitig gestrichen, halbmatt, hochweiss

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ceo/editorial 03

Die Krise zeigt ihr hässliches Gesicht. Nachdem lange zuerst die Finanzkrise unddann die Wirtschaftskrise für einen Grossteilder Bevölkerung der Schweiz abstrakt blieben, wird nun der Abschwung schmerz-haft real. Firmen strukturieren um odermüssen saniert werden, Menschen verlierenihre Arbeitsplätze, Saläreinbussen sind bei leitenden Angestellten der Regelfall.Angst, Sorge oder auch Wut sind die Reak-tionen. Emotionen, die bisher verborgenwaren, gelangen an die Oberfläche.Auch die Wirtschaft kann sich den Emotio-nen nicht entziehen. Sie sollte es wohl auchnicht. Denn sicher ist es richtig, Gefühle zuartikulieren und klar zu kommunizieren,besonders wenn es um so wichtigeEntscheidungen wie Umstrukturierungen,Stellenabbau und Entlassungen geht. Aberauch in einem übergeordneten Sinne wirddie Bedeutung von Emotionen in der Wirt-schaft immer deutlicher erkannt und auchakzeptiert. Das wissenschaftliche Infragestellen der Idee des Homo oeconomi-cus – des rein rational denkenden undhandelnden, nutzenorientierten Menschen –,die der Ökonomieprofessor Ernst Fehr mit

seiner Forschung an der Universität Züricheingeläutet hat, ist ein Zeichen dafür.

Die Welt wird von Emotionen regiert Die aktuelle Entwicklung hat den Menschen,seine Emotionen, Beweggründe, Motiva-tionen und seine ethischen Grundsätzewieder stärker in den Mittelpunkt des unternehmerischen Denkens und Handelnsgestellt. Denn dass rein rationale odermathematische Modelle für komplexeZusammenhänge wie das Finanzwesen ihreGrenzen haben, hat uns die Finanzkriseschmerzhaft vor Augen geführt. Wir habenauch gelernt, dass Anreizmodelle, die alleinauf persönlichen Profit zielen, nicht für nach-haltiges Wirtschaften sorgen. Doch was ist die Schlussfolgerung? Statt individuelleWahrnehmung und Emotionen zu verdrän-gen oder zu rationalisieren, kalkuliert mansie besser ein. Denn «weiche» Faktorenliefern zusammen mit «harten» Kennzahleneine verlässliche Basis für die Umsetzungder Unternehmensstrategie und die Steue-rung der Leistungserbringung. ThomasScheiwiller zeigt in einem Beitrag in unseremSpektrum auf, wie PwC mit dem kleinen,aber feinen ISG neue Wege geht bei derErfassung emotional verbundener menschli-cher Antriebskräfte. Emotionen sind stark. Und das gilt zumGlück ganz besonders für die positivenEmotionen. Davon, wie mit ihnen Grossesbewegt werden kann, legt diese Ausgabe

Die aktuelle Entwicklung hat den Menschen, seineEmotionen, Beweggründe, Motivationen und seineethischen Glaubenssätze wieder stärker in denMittelpunkt des unternehmerischen Denkens undHandelns gestellt. Auch die Wirtschaft kann sich denEmotionen nicht entziehen.

Dr. Markus R. Neuhaus CEO PricewaterhouseCoopers Schweiz

des ceo* Magazins gleich an mehreren Stellen Zeugnis ab. Der UnternehmerThomas Schmidheiny berichtet, warum ermit gutem Gefühl 160 Millionen CHF in dieZukunft der gehobenen Hotellerie imSarganserland investiert hat. Der CEO desGrand Resort Bad Ragaz, Peter. P. Tschirky,wiederum berichtet, dass man ein Unter-nehmen dieser Grösse und internationalenAusrichtung nicht führen kann, ohne aufseine Gefühle zu vertrauen.Ob positive oder negative Emotionen dieÜberhand gewinnen, hängt häufig nur vomBlickwinkel ab. Wir alle kennen das berühm-te Glas, das entweder halbvoll oder halbleergesehen werden kann. Häufig spielt diePerspektive, die eingenommen wird, einegrosse Rolle. Dazu nehmen zu Beginndieses Magazins vier Persönlichkeiten Stel-lung. Sie erklären, wie sie es handhaben mitder Balance zwischen Optimismus undPessimismus.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Markus R. Neuhaus

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ceo2/09. inhalt

Professor Dr. Susanne Suter, Präsidentin des Schweizerischen Wissenschafts- undTechnologierats, schreibt im ceo* Forum:«In der Bildungspolitik ist nebst Optimismusauch Realitätssinn gefragt.»

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Jean-Marc Bolinger, Managing Director von Eden Springs Schweiz, schreibt im ceo*Forum: «Es braucht Unternehmen mitSubstanz in ihren Dienstleistungen stattMarketing-Blabla.»

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Dr. Maja Storch, Inhaberin des Instituts fürSelbstmanagement und Motivation ZürichSMZ, schreibt im ceo* Forum: «Vorgesetztesollten dazu stehen, dass sie sich inschwierigen Situationen unwohl fühlen.»

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Andy Schmid, Profi-Handballer, schreibt im ceo* Forum: «Ich habe Vertrauen in die eigenen Stärken und glaube an eingutes Ende. Das mag optimistisch klingen, ist aber realistisch.»

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pwc spektrum

04 ceo/inhalt

Steuerstandort Schweiz: Die Schweizmuss ihre Steuerpolitik strategisch als Standortpolitik ausrichten. Gleichzeitigdarf unser Steuersystem nicht Anlass zuAusschluss- oder Retorsionsmassnahmengeben.

15Nichtfinanzielle Werte: Individualisierungist ein langfristiger Trend in der Wirtschaft.Mit einer neuen Methode lassen sich individuelle Wahrnehmungen und Emotio-nen zuverlässig und robust erheben.

18Nachhaltige Compliance: Zusätzlich zurRegelkonformität lässt sich Complianceals Teil des Opportunitätsmanagementsverstehen – als Chance, eine Kultur derIntegrität im Unternehmen zu verankern.

20Unternehmensführung: Die Finanzkrisegab Anlass, die Führungspraxis beiBanken kritisch zu untersuchen. DreiVerhaltensregeln lassen sich daraus ableiten: die Nähe zum Markt behalten, eine offene und kritische Firmenkultur pflegen und die Qualität von Daten und Annahmen hinterfragen.

23Service: Publikationen und Analysen.Abonnemente und Adressen.

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Titelbild: Cédric Widmer

«Ulysses», ein Leadership-Development-Programm von PwC. Eine Landwirtschaftsschule in 50 Ländern.

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Professor Ernst Mohr Ph.D., Rektor Univer-sität St. Gallen, über die Auswirkungen derWirtschaftskrise auf sein Institut und denWert gesellschaftlicher Verantwortung.

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dossier werte

Adrian Pfenniger, CEO Trisa AG, Triengen,über die besondere Pflege von Werten wie Menschlichkeit, Fairness, Anstand undRespekt.

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Martin Senn, Group Chief InvestmentOfficer (und designierter Chief ExecutiveOfficer) von Zurich Financial Services, über den Wert von Disziplin.

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Professor Dr. Ernst Fehr, Leiter des Instituts für Empirische Wirtschaftsfor-schung, Universität Zürich, über FairnessAltruismus und den Wert von Emotionen.

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Peter P. Tschirky, CEO Grand Resort BadRagaz AG, über wahren Luxus und dieKunst, eine Unternehmenskultur zu erarbei-ten, in deren Zentrum Wertigkeit steht.

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Thomas Schmidheiny, Unternehmer,über sein persönliches Engagement fürlohnende, langfristige Investitionen und dieErhaltung von Werten.

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Die aktuelle Entwicklung hat das Bedürfnis nach bleibenden Werten verstärkt. ImZentrum stehen vermehrt Fragen wie: Was ist wirklich wichtig? Was wird Bestandhaben? Antworten geben Persönlichkeiten der Schweizer Wirtschaftszene.

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forum1. realismus/optimismus

Susanne Suter: In der Bildungspolitik ist nebst Optimismus auch Realitätssinngefragt. Machbar und durchsetzbar ist der Kompromiss.

Prof. Dr. Susanne Suter, war zwischen 1994und 2008 Chefärztin der Kinderklinik desUniversitätsspitals Genf. Seit Anfang 2004berät sie als Präsidentin des Schweizeri-schen Wissenschafts- und Technologieratsden Bundesrat vor allem in Forschungs-,aber auch in Bildungsfragen.

Beruflich Karriere machen, eine Familiehaben, drei Kinder aufziehen und sich ineiner männlich dominierten Gesellschaftdurchsetzen, das verlangt zwangsläufig eineoptimistische Haltung. Ich bin Optimistin,kein Zweifel. Manchmal werde ich vonanderen Frauen gefragt: «Wie hast du dasgemacht?» Meine Antwort: «Ich will es nichtmehr wissen.» Jetzt ist der Druck weg: Seiteinem Jahr bin ich als Chefärztin derKinderklinik Genf pensioniert. Würde ich es noch einmal so machen? Ja,bestimmt. Mit Kindern umgehen stimmtauch optimistisch: Die Persönlichkeit vonKindern, gesunden und kranken, zu erfas-sen, zu fördern und deren positive Kräfte zumobilisieren, ist erfüllend. Auch bei Erwach-senen habe ich die Tendenz und den Willen,zuerst das Positive zu identifizieren. Jedeund jeder sollte das Beste aus sich machenkönnen. Die Pädiatrie – vor allem ein vonFrauen gewähltes Fach – eignet sich sehrgut, Frauen zu fördern: In Genf ist der Anteil

06 ceo/forum

an Professorinnen in der Pädiatrie markantgestiegen.Mein Amt als Präsidentin des Schweizeri-schen Wissenschafts- und Technologieratserlaubt mir, an der Schnittstelle zwischender akademischen und der politischen Welttätig zu sein, und zwar alle Wissenschafts-zweige einschliessend. Der Rat ist unab-hängig, vertritt keine Interessengruppen undverteilt auch keine finanziellen Mittel. In der Bildungspolitik ist, bedingt durch dasföderalistische System, nebst Optimismusauch Realitätssinn gefragt: Machbar unddurchsetzbar ist der Kompromiss. Derzeitist das neue Hochschulgesetz in parlamen-tarischer Vernehmlassung. Zwar sind dieMeinungen geteilt, wie die Hochschulland-schaft aussehen soll. Dennoch hoffe ich,dass die Leitidee des Gesetzes, nämlicheine grösstmögliche Autonomie der Hoch-schulen, zum Durchbruch kommt.Das Niveau von Bildung und Forschung inder Schweiz ist qualitativ gut, quantitativmüsste mehr getan werden. Die Schweizdarf nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen;andere Länder holen auf. Unbestritten ist,dass der Bedarf an wissenschaftlich Gebil-deten steigt, und es ist unübersehbar, wiesehr die Schweiz in gewissen Bereichen aufgut ausgebildete ausländische Arbeitskräfteangewiesen ist, etwa an der Spitze vonUnternehmen, im Lehrkörper von Hoch-schulen oder bei Ärzten in unseren Spitä-lern. Ich befürworte den Austausch von Wissenzwischen Ländern, die internationale Freizü-gigkeit von Wissen und Geist. Hier zeigtsich die Schweiz von einer ambivalentenSeite: Einerseits wollen gewisse politische

Kreise noch immer am «Sonderfall Schweiz»festhalten; andererseits hat die Schweiz ihreGrenzen für Spitzenkräfte geöffnet – undkönnte das auch noch mehr tun. Wenn ich drei Wünsche zugut hätte, wärees erstens die Hoffnung, dass es uns in derSchweiz gelingt, jedem Individuum die glei-chen Bildungschancen zu eröffnen. Zwei-tens wünsche ich mir, dass die Bedeutungder ersten drei bis vier Lebensjahre desMenschen für eines jeden Zukunft bessererkannt wird. Bis in die Mitte des 20. Jahr-hunderts hat die Wissenschaft die Erfor-schung des Kleinkindes sträflich vernach-lässigt, aber heute verfügen wir über vielWissen aus einer kindgerechten Forschung.Daraus folgt mein dritter Wunsch: Dieöffentliche Diskussion um die Förderungvon Kleinkindern soll basiert auf den Resul-taten der modernen Entwicklungsforschunggeführt werden; wir dürfen uns nicht mehran alte Klischees klammern und auch nichtglauben, wir könnten damit die Zahl zukünf-tiger Nobelpreisträger erhöhen. Was wiraber können: die Bildungschancen vonKindern aus bildungsfernen Familienverbessern. Da besteht noch eine Lücke inunserem Bildungssystem. //

Foto: Bertrand Cottet

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08 ceo/forum

forum2. realismus/optimismus

Jean-Marc Bolinger: Es braucht pragmatischenOptimismus und Unternehmen mit Substanz in ihren Dienstleistungen statt Marketing-Blabla.Dann sind die Chancen gross.

Jean-Marc Bolinger ist seit 2006 ManagingDirector bei Eden Springs Schweiz. EdenSprings liefert Trinkwassersysteme anUnternehmen und Private, beschäftigt euro-paweit 2650 Mitarbeitende und macht rund300 Millionen EUR Umsatz.

Wer in unserem Geschäft erfolgreich seinwill, braucht Optimismus und Realismus. Inder Mineralwasserbranche haben sichinnert zehn Jahren die Preise halbiert,während die Transport- und Materialkostenstark gestiegen sind. Wir verkaufen primäreine Dienstleistung und bringen Wasser indie Nähe der Leute. Das ist in der Schweizmit ihrem qualitativ meist einwandfreiem«Hahnenburger» an sich schon ein schwieri-ges Unterfangen. Man benötigt unserProdukt nicht zwingend, was wir liefern, ist Convenience und Effizienz für unsereKunden.Wie funktioniert unser Geschäftsmodell?Wir stellen Unternehmen unsere Wasser-spender – meist 19-Liter-Tanks, gefüllt mitMineralwasser aus unserer Quelle im Wallis– ins Büro oder ins Haus, holen leere Tankswieder ab und übernehmen die Wartung.Unsere Kunden erhalten alles aus einerHand. Geliefert wird in der Regel nicht aufBestellung, sondern nach einem festgeleg-ten Turnus. Das funktioniert so wie früherder Milchmann, was uns eine effizienteLogistik ermöglicht und die Anzahl gefahre-ner Kilometer reduziert. Dieses System istökologisch sinnvoll und ökonomisch überle-benswichtig. Unser Wasser reist maximal

300 Kilometer, denn jeder Kilometer mehrverringert die Rentabilität. Ausserdemvertreiben wir Frischwasserspender, diedirekt an eine Wasserleitung angeschlossenwerden. Das aufbereitete Trinkwasser lässtsich auch mit Kohlensäure anreichern. Mit25 000 Wasserspendern in 12 000 Unter-nehmen und Privathaushalten sind wirMarktführer in der Schweiz. Wir spüren die Krise umsatzmässig nochnicht, sind aber nicht immun. Wird beiZusatzdienstleistungen gespart, trifft unsdas. Wenn wir unsere Arbeit aber weiter gutmachen, bleibe ich optimistisch. Es gibtFirmen, die ihre Budgets zurückfahren undvon Mineralwasserflaschen auf Wasser-tanks oder Frischwasserspender umstellen,das sind für uns potenzielle neue Kunden.Die Alternative zum «Age of Less» ist janicht das «Age of Nothing». Die Welt gehtauch dieses Mal nicht unter, es kommt nichtzum Worst Case mit massenhaften Kündi-gungen unserer Verträge. Für unsere Kunden geht es um kleineBudgets, für deren Mitarbeitende hingegenist das Ganze ein Riesenthema: WennFirmen ihren Leuten sozusagen das Wasserabstellen, gehen die Wogen wochenlanghoch. Unternehmen unterschätzen teilweisedie Signalwirkung. Trinkwasser am Arbeits-platz ist eine extrem emotionale Sache, wieder Kaffeeautomat oder der Firmenpark-platz. Was wir bemerken, sind jedoch Verschie-bungen auf der Prioritätenliste. So rangiertedie Ökologie bis vor einem halben Jahrganz oben. Wir entwickelten zusammen miteinem Spin-off der ETH Lausanne und Part-nerfirmen eine Software, um die Ökobilanzeines Unternehmens in Echtzeit zu messen.

Der CO2-Ausstoss sollte ein Schlüsselindi-kator werden. Doch nun verlangen dieKunden im Wasserbereich nicht mehr dasökologischste, sondern vor allem das wirt-schaftlichste Produkt. Ökologie ist nur nochein Verkaufsargument, wenn es preislichdrin liegt. Schon bei 3 Prozent höherenKosten winken die Einkäufer ab. Persönlichbedauere ich das, geschäftlich ist es eineRealität: Wir können die Ökologie nicht vordie Wirtschaftlichkeit setzen. Trotzdem binich überzeugt: Unternehmen, die Ökologieund Ökonomie unter einen Hut kriegen,werden längerfristig gewinnen. Es braucht pragmatischen Optimismus undUnternehmen mit Substanz in ihren Dienst-leistungen statt Marketing-Blabla. Chancenund Opportunitäten erkennt nur, wer opera-tiv mittendrin steht und weiss: GeradeKrisen fördern es, ein Unternehmen neu zugestalten – und auch Fragen zu stellen, diebisher nicht gestellt wurden. Chefs sollen gegenüber ihren Mitarbeiten-den die Karten offen auf den Tisch legen.Die Leute wissen oft selber, dass restruktu-riert werden muss. Wer zu optimistisch ist,alles schönredet, verliert an Glaubwürdig-keit. Wird alles Negative einfach ausgeblen-det, passieren Fehler und man gefährdetdas Unternehmen. Bezogen auf unsereBranche: Wenn Mineralwasser in Flaschenzu viel kostet, setzen deswegen nicht alleKunden auf Hahnenburger. Dazwischenliegen unsere Chancen. //

Foto: Andri Pol

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10 ceo/forum

forum3. realismus/optimismus

Maja Storch: Vorgesetzte sollten dazu stehen, dass sie sich in schwierigen Situationen unwohl fühlen, und dies auch artikulieren.

Die Diplompsychologin Dr. Maja Storch,Inhaberin des Instituts für Selbstmanage-ment und Motivation Zürich ISMZ, hat mitFrank Krause das «Zürcher RessourcenModell» entwickelt. Es soll Menschenhelfen, immer öfter so zu handeln, wie siees wirklich wollen.

Es gibt zwei Formen von Optimismus. Dieeine ist die rosarote Brille, die nicht denRealitäten entspricht und in keiner Formzielführend ist. Mit unrealistischem Optimis-mus kann man kein Unternehmen leiten –schon gar nicht in Krisensituationen. WennChefs damit auftreten, durchschauen Mitar-beitende dies instinktiv und werten es zuRecht als Schönfärberei. Die zweite Form ist der gesunde, funktionaleOptimismus. Wer mit ihm agiert, ist Realistdurch und durch. Das menschliche Gehirnverarbeitet positive und negative Gefühle in zwei getrennten Systemen. Das gehörtsozusagen zu unserer biologischen Grund-ausstattung. Menschen mit gesundem,funktionalem Optimismus können positiveGefühle wie mit einem Regler höherschaltenund negative Gefühle zurückdrehen. Wie hilft nun diese Fähigkeit konkret einemVorgesetzten, der vor seine Leute hinstehenund unangenehme Dinge verkünden muss?Sie macht ihn authentisch! Ganz besonderswichtig ist Ehrlichkeit: Viele Unternehmens-leiter glauben, sie dürften ihre Besorgnisnicht offen zeigen. Dabei erwartet niemand,dass der Chef verkündet, alles werde gut,

wenn der Umsatz um 30 Prozent einge-brochen ist. Vorgesetzte sollten dazustehen, dass sie sich in schwierigen Situa-tionen unwohl fühlen, und dies auch artikulieren. Es ist immer ein Fehler, wenn nicht transpa-rent und zeitnah informiert wird. So entste-hen Gerüchte, Unsicherheit wird geschürt.Weil viele Chefs Angst davor haben, harteEntscheidungen offen zu kommunizieren,laufen zum Beispiel Entlassungen oft sehrverletzend für die Betroffenen ab. Richtigwäre, rechtzeitig und offen darzulegen,warum Entlassungen nötig geworden sind,und die einzelnen Entscheidungen mitgrösstem Respekt vor der Würde desEinzelnen zu kommunizieren. Beim Ausleseprozess für Führungspositio-nen setzen sich häufig Leute durch, die ich, salopp gesagt, dem Typ Rhinozeroszuordne. Das sind geborene Dickhäuter, diestressresistent sind und negative Gefühlestark herunterregulieren können. SolcheMenschen neigen nicht selten zur Selbst-überschätzung, es fehlt ihnen nämlich dieFähigkeit zur Selbstbeunruhigung. Wiejemandem, der mit der Badehose bekleidetim Schnee steht und die Kälte nicht spürt. Wer hingegen über gesunden, funktionalenOptimismus verfügt, hat diese Fähigkeit zurSelbstbeunruhigung: Negative Gefühle sindein inneres Alarmsystem, das dazu aufruft,den Verstand einzuschalten und heraus-zufinden, warum man so beunruhigt ist. Wirsind auf beide Fähigkeiten angewiesen: auf Selbstbeunruhigung und auf Selbstbe-ruhigung. Beunruhigung führt zu einer hormonellenUmstellung im Körper. Wir sind aber nichtdafür geschaffen, diesen Zustand auf Dauer

auszuhalten! Die Folge kann beispielsweiseein Burnout sein. Um belastende Gefühle zu regulieren, braucht es die Kunst desSelbstmanagements, die wir in unseremZürcher Ressourcen Modell in Kursen undCoachings vermitteln. Selbstmanagementist die Voraussetzung, um Ziele zu erreichenund optimal mit einer sich ständig verän-dernden Umgebung umzugehen.In unseren Kursen höre ich immer wieder,dass heute oft keine Zeit für gut überlegtesVorgehen und das Wechselspiel von Bauch-gefühl und Verstand bleibe. Chefs müsstenrasch entscheiden. Das sehe ich anders:Wer heute auf komplexe Fragen sofort die«richtige» Lösung weiss, der lügt. Wir sind bei komplexen Fragen nur in der Lage,möglichst klug zu entscheiden. Und dasbraucht Zeit und häufig mehrere Feedback-schleifen. Krisen bergen immer auch Chancen. Aberauch in diesem Bereich liegt es an denChefs, ihren Optimismus glaubwürdig zuvertreten. Eine positive Grundstimmunglässt sich nur auf der Haltungsebene erzeu-gen, denn über diese Ebene erreicht mandas limbische System – die Funktionsein-heit im Gehirn, die Stimmungslage undLeistungsbereitschaft reguliert. Nehmen wirals Beispiel Barack Obama und sein «Yes,we can». Unter dem Aspekt «Konkretes» istdies eine völlig inhaltsleere Aussage, unterdem Aspekt «Haltung» aber stärkt es denGlauben an sich selbst. //

Foto: Helmut Wachter

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12 ceo/forum

forum4. realismus/optimismus

Andy Schmid: Ich habe Vertrauen in die eigenen Stärken und glaube an ein gutesEnde. Das mag optimistisch klingen, ist aber realistisch.

Andy Schmid ist Profi-Handballer und trugmassgeblich dazu bei, dass der ZMC Amicitia Zürich in den beiden vergangenenJahren Schweizer Meister wurde. Seitdiesem Sommer spielt er für den dänischenSpitzenclub Bjerringbro-Silkeborg.

Ich bin Realist. Auch aus Selbstschutz. Sind die Erwartungen zu optimistisch, istdie Enttäuschung vorprogrammiert. VieleMenschen behaupten von sich, optimistischzu sein. Aber sind sie es wirklich? Kannjemand mit Haut und Haaren Optimist sein?Manchmal habe ich den Eindruck, dasssolche Menschen in einer Scheinwelt leben.Sie reden sich ein, dass alles klappen wird,was sie sich vornehmen, und fallen ausallen Wolken, wenn dem dann nicht so ist.Da bleibe ich lieber auf dem Boden.Im Spitzensport ist eine gute Vorbereitungentscheidend für den Erfolg. Wenn ichbeispielsweise nicht drei Mal die Woche imKraftraum war, fühle ich mich am Spieltagnicht stark genug. Natürlich ist auch diementale Vorbereitung enorm wichtig. Voreinem Spiel analysieren wir die Aufgabe, dieGegner, ich gehe im Kopf einzelne Spiel-situationen durch, Coach und Captainmachen sich Gedanken, welche Taktik zuwählen ist, wenn es beispielsweise fünfMinuten vor Schluss noch unentschieden

steht. Stimmt die Vorbereitung, kann ich einSpiel gelassen angehen. Ich weiss, dass ein Team dann schon verdammt gut seinmuss, um uns zu schlagen. Ich habeVertrauen in die eigenen Stärken und glaubean ein gutes Ende. Das mag optimistischklingen, ist aber realistisch.Handball ist ein Mannschaftssport. Wirgewinnen oder verlieren zusammen. Wennwir uns als Team stark und bereit fühlen,entsteht eine ganz spezielle Aura, die unsbeinahe unbesiegbar macht. Der Trainernimmt darauf gezielt Einfluss. EinzelneZweifler in der Mannschaft können durcheine optimistische Atmosphäre auchpersönlich an Stärke gewinnen. Das istnotwendig, um auch in internationalen Wettbewerben mitzuhalten. In der Schweizgab es während der vergangenen beidenJahre nur einen Verein, der es mit unsaufnehmen konnte. Aber gewisse Clubs,beispielsweise aus Spanien oder Deutsch-land, hätten uns vermutlich in zehn Spielenneun Mal geschlagen. Um gegen solcheGegner zu bestehen, sollte man ausnahms-weise auf eine zu realistische Betrachtungverzichten. Eine optimistische Scheinweltkann in solchen Situationen durchaus hilf-reich sein. Im Halbfinal des Europacupsgegen den spanischen Spitzenclub Vallado-lid hat das im Hinspiel gut funktioniert.Amicitia gewann mit vier Toren Unterschied.Für das Rückspiel waren wir dann wohl zuoptimistisch. Realistisch betrachtet, hatteValladolid im Hinspiel einfach einen sehrschlechten Tag – und trotzdem nur knapp

verloren. Der Optimismus vor dem Rück-spiel in Spanien wurde dann vor allem vonaussen an uns herangetragen: «Ihr packtdas», sagten die Fans – und die Pressesprach bereits vom Finale. Wir verloren dasRückspiel mit sechs Toren Unterschied und verpassten den Finaleinzug. Das wardie Realität.Momentan setze ich mir eher kurz- bismittelfristige Ziele. Ich würde gerne einmalfür ein Spitzenteam in Deutschland spielen– ein realistisches Ziel. Einige Vereine ausdem Mittelfeld der Handball-Bundesligahaben mir bereits Angebote gemacht, aberich will mich zuerst noch weiterentwickeln.Deshalb wechsle ich fürs Erste nach Däne-mark, in die drittbeste Liga Europas. Mirgefällt die Mentalität der Skandinavier unddie Art und Weise, wie sie Handball spielen.Schnell und technisch anspruchsvoll. Wennich mich in Silkeborg durchsetze – und daskann ich –, wird der Wechsel zu einem deut-schen Topclub gelingen. Die Voraussetzungdafür ist natürlich, dass ich gesund bleibe.In dieser Hinsicht bin ich weder optimistischnoch realistisch, sondern fatalistisch. //

Foto: Markus Bärtschi

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ceo2/09. pwc spektrum

Steuerstandort Schweiz: Balance zwischen Attraktivität und internationaler Akzeptanz. Seite 15

Nichtfinanzielle Werte: Die Erfassung und Berücksichtigung individueller Präferenzen erhöht den Unternehmenserfolg. Seite 18

Nachhaltige Compliance: Der erste Schritt zum Integritätsmanagement. Seite 20

Unternehmensführung: Lektionen aus der Finanzkrise. Seite 23

Service: Events, Publikationen und Analysen. Seite 25

14 ceo/pwc spektrum

Page 15: Das Magazin für Entscheidungsträger. September 2009 ... · sität St. Gallen, über die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf sein Institut und den Wert gesellschaftlicher Verantwortung

Steuerstandort Schweiz: Balance zwischenAttraktivität und internationaler Akzeptanz.Das Schweizer Steuersystem ist ins Fadenkreuz internationaler Kritik geraten. Dabei ist klar: Die Schweiz muss ihre Steuerpolitik strategisch als Stand-ortpolitik ausrichten und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts fördern. Gleichzeitig darf unser Steuersystem nicht Anlass zu Ausschluss- oderRetorsionsmassnahmen geben. Es muss international kompatibel sein.

[email protected]

Der Druck verschiedener Staaten und inter-nationaler Organisationen auf die Schweizhat sich verstärkt. Zwar war das Bankge-heimnis für ausländische Steuerverwaltun-gen schon immer ein Stein des Anstosses,dies grundsätzlich aus ethischen als auchaus fiskalischen Gründen. Seit aber dieDefizite der Staatshaushalte infolge derFinanz- und Wirtschaftskrise ins Unermess-liche zu steigen drohen, überwiegen diehaushalterischen Gründe – auch wenn sienicht selten mit dem Argument der Steuer-gerechtigkeit begründet werden. DennStaatshilfen für Unternehmen und Konjunk-turprogramme zwingen die Finanzminister,alle Mittel zu mobilisieren, um Steuereinnah-men zu erzielen. Dies verschärft gleichzeitigden internationalen Steuerwettbewerb.So liegen die Fakten, und die Schweiz musseine Strategie entwickeln, um ihr Steuersys-tem der neuen Sachlage anzupassen. Dabeisteckt sie in einem gewissen Dilemma. Aufder einen Seite gilt es, die Attraktivität desStandorts Schweiz zu wahren, auf deranderen Seite müssen jene Regelungen, dieGrund zu Ausschluss- oder Retorsions-massnahmen geben, überarbeitet werden.Anders ausgedrückt: Die Schweiz musseine Balance finden zwischen der Standort-attraktivität und der Konformität mit interna-tional anerkannten Grundsätzen und Steu-erregimen. Dies verlangt eine aktive Politik,

die an klaren strategischen Zielen ausge-richtet ist und wirksam kommuniziert wird.

Informationsaustausch ja – automati-scher Informationsaustausch neinDas Communiqué, das die G-20 anlässlichihres Treffens Anfang April veröffentlichte,lässt keinen Zweifel aufkommen: «DieZeiten des Bankgeheimnisses sind vorbei.»Im Vorfeld des G-20-Gipfels hatte dieSchweiz erklärt, am Bankgeheimnis festzu-halten, sich jedoch damit einverstandenerklärt, Artikel 26 des OECD-Musterabkom-mens zur Vermeidung von Doppelbesteue-rung zu akzeptieren. Ziel dieses Schritts wares, nicht auf einer «schwarzen Liste» derOECD zu figurieren und den damit verbun-denen Imageschaden zu vermeiden. DasOECD-Musterabkommen beinhaltet Richtli-nien und Standards für die grenzüberschrei-tende Besteuerung, die weltweit als Basisfür zwischenstaatliche Doppelbesteue-rungsabkommen (DBA) gelten. Artikel 26regelt den Informationsaustausch zwischenden Steuerbehörden der OECD-Staaten.Konkret bedeutet der Entschluss desBundesrates vom 13. März dieses Jahres,dass die Schweiz künftig bereit sein wird,generell Amtshilfe in Steuersachen zu leis-ten, sofern im Einzelfall eine konkrete und

begründete Anfrage vorliegt. In der Praxisbedeutet dies, dass etliche DBA hinsichtlichdes Informationsaustauschs neu ausgehan-delt werden müssen. Diese Verhandlungenwurden in der Zwischenzeit konsequentvorangetrieben, und es liegen bereits para-phierte revidierte DBA vor. Und mehr werden bald dazukommen.Die Schweiz setzt damit ein Zeichen, dasssie ein höheres Mass an Steuertransparenzbefürwortet und den Informationsaustauschnach den Grundsätzen der OECD vorneh-men wird. Dieses Signal ist zum jetzigenZeitpunkt richtig. Ziehen in Europa dochauch Österreich und Luxemburg gleichzeitigmit. So versetzt sich die Schweiz nicht ineinen Nachteil. Auf der anderen Seite abergilt es, dem automatischen Informations-austausch (den das Musterabkommen nichtverlangt) einen Riegel vorzuschieben.«Fishing Expeditions», also allgemeineAnfragen eines Landes zu den Kontenseiner Staatsbürger, dürfen nicht erlaubtsein; denn sie verletzen den Schutz derPrivatsphäre, zu dem in der Schweiz einbreiter Konsens herrscht. Der Standpunkt der Schweiz mussdemnach lauten: Uneingeschränkte Konfor-mität mit den OECD-Regeln, damit aberauch ein ebenso klares Nein zum automati-schen Informationsaustausch. Erwähnens-wert in diesem Zusammenhang ist, dass derInformationsaustausch nur hinsichtlichnatürlicher Personen zu Kontroversen führt.Unternehmen sind aufgrund der Vorschrif-ten zu den Transfer-Pricing-Dokumentatio-nen ohnehin immer mehr zur Offenlegungverpflichtet und akzeptieren den vollenInformationsaustausch in Steuerverfahrenschon seit einiger Zeit. Dennoch hat die

SchweizSteuernAnsehen

Andreas Staubli, Leiter Steuer- und Rechtsberatung

ceo/pwc spektrum 15

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Debatte um den Informationsaustausch denRuf des gesamten Steuerstandorts belastet.Etwas anders gelagert ist der seit Jahrenanhaltende Steuerstreit zwischen derSchweiz und der EU. Die EU wirft derSchweiz vor, sie gewähre gewissen Gesell-schaftsformen über ihre Steuerregime ungerechtfertigte Steuerermässigungen,was einer wettbewerbsfeindlichen Subven-tionierung durch die öffentliche Handgleichkomme und somit gegen das Freihan-delsabkommen aus dem Jahr 1972verstosse. Konkret angesprochen ist dieBesteuerung von Holdings, Domizilgesell-schaften und sogenannten GemischtenGesellschaften.

Gleichheitsgrundsatz wahrenDie Schweiz widerspricht dieser Interpreta-tion dezidiert und vertritt den Standpunkt,dass das Freihandelsabkommen keineausreichende Grundlage für die Beurteilungder Schweizer Unternehmensbesteuerungbiete. Diese Schweizer Haltung kann nichtin Frage gestellt werden, war sie doch 1972allen Vertragspartnern explizit bekannt. Auch wenn die Argumentation der EUkonstruiert ist – die Frage nach der unter-schiedlichen Besteuerung von Steuerpflich-tigen besteht. Genau hier, in der Bevorzu-gung bestimmter Kategorien vonSteuerpflichtigen, liegt die Krux. Denn Steu-erregime gelten dann als problematisch,wenn sie unterschiedliche Massstäbe anle-gen. Wird eine Verwaltungsgesellschaft mitEinkünften aus ausländischen Einkunfts-quellen niedriger besteuert als eine Gesell-schaft mit inländischen Quellen, so brauchtdies eine differenzierte Begründung.Der Bundesrat stellt im Rahmen einerUnternehmenssteuerreform III Überlegun-gen an, wie diese Steuerregime weiter-entwickelt oder gar durch anders gestalteteRegime ersetzt werden könnten. Diskutiertwerden das generelle Verbot der Geschäfts-tätigkeit von Holdings (auch im Ausland,nicht nur in der Schweiz), gewisse Besteue-rung der Nebeneinkünfte der Holdinggesell-schaften, Anpassungen bei der Besteue-rung von Gemischten Gesellschaften mittelseines minimalen Besteuerungssatzes unddie Abschaffung des Status der Domizilge-sellschaften. Damit kommt die Schweiz denForderungen der EU entgegen. Auf deranderen Seite gilt es, dem zunehmendenSteuerwettbewerb Rechnung zu tragen.Andere europäische Länder versuchen mit

Spezialsteuerkonzepten mobile Unterneh-mensfunktionen anzuziehen (siehe Box).Der Schweiz stellt sich damit die Aufgabe,Besteuerungsformen zu finden, die kompe-titiv sind und zugleich aus Sicht der Steuer-gerechtigkeit begründet werden können. Um im internationalen Wettbewerb zubestehen, sind neue Modelle gefragt;Modelle, mit denen die Schweiz an Attrakti-vität gewinnt und gleichzeitig die Vorhaltun-gen von Drittstaaten ins Leere laufen lässt.Zu einer solchen Strategie gehört auch dieAbschaffung bestimmter Steuern und Abga-ben. Man denke etwa an die Emissionsab-gabe; diese Stempelabgabe auf dieAusgabe von Wertpapieren erschwert dieInvestition von Risikokapital in den Aufbauneuer Unternehmen. Die Schweiz ist eines

der letzten Länder, die eine solche Abgabekennen, Luxemburg hat sie zu Beginndieses Jahres abgeschafft. Auch im Bereichder Konzernfinanzierungen müssen diegeschäftsschädlichen Besteuerungsregelnbei der Verrechnungssteuer und den Stem-pelabgaben eliminiert werden, da sie sichnachteilig auf den Standort Schweiz aus-wirken. Eine Unternehmenssteuerreform, die aufeine solche Renovierung zielt, muss unbe-dingt breite politische Unterstützung finden.Vorteile für Unternehmen und vermögendePrivatpersonen stossen im derzeitigenUmfeld jedoch nicht ohne weiteres auf poli-tische Akzeptanz, obwohl sie gerade jetzt,

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Staat

Belgien

Irland

Luxemburg

Niederlande

Portugal

Spanien

Massnahme

«Excess profits»

80% Steuerabzug für Patenterträge

«Notional interest deduction»

«Non-trading branch»

80% Steuerabzug für Patenterträge

Abschreibung auf Goodwill

Steuerliche Behandlung von Zinsen

«Excess profits»

CV-/BV-Strukturen

Madeira

Abschreibung auf Goodwill

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da sie der Stärkung des Standorts Schweizdienen, zum Vorteil aller notwendig sind. DieLösung liegt in einer Kombination mit ande-ren steuerlichen Entlastungen, etwa imBereich der Familienbesteuerung, verbun-den mit einer überzeugenden Kommunikati-onspolitik. Die Attraktivität des StandortsSchweiz ist kein abstrakter Begriff, siefördert die volkswirtschaftliche Wertschöp-fung. Die Schweiz braucht Rahmenbedin-gungen, die es erlauben, dass hier ansäs-sige Unternehmen weiterhin in der Schweizproduzieren und Gewinn erzielen könnenund dass neue Unternehmen angezogenwerden. Der Anreiz zu Produktionsverlage-rungen in Niedriglohnländer wird auch künf-tig nicht schwächer. Der Standortwettbe-werb ist in vollem Gange. Sich dem einseitig

zu entziehen, brächte nur Nachteile für uns.Kein anderes Land hält sich zurück.Welchen Grundsätzen also sollte die Strate-gie der Schweizer Steuerpolitik folgen?Zwei Prinzipien sollten im Zentrum derNeuausrichtung stehen: die Attraktivität desStandorts und die Vermeidung vonAusschluss- oder Retorsionsmassnahmen.Die Schweiz sollte dem internationalenDruck nicht einseitig nachgeben, sondernihm aktiv begegnen. Und sie muss raschhandeln, denn der weltweite Druck, verbun-den mit Forderungen nach höherer steuerli-cher Transparenz und gleichmässiger höhe-rer Besteuerung, wird zu immer neuenForderungen führen.

FAZITDie öffentlichen Diskussionen umdas Schweizer Steuersystemhaben den guten Ruf des Stand-orts Schweiz beschädigt. Um dieReputation wiederherzustellen,muss die Schweiz überzeugendagieren, neue Konzepte entwickelnund diese wirksam vermarkten. Siemuss die Kommunikation sowohlmit der Öffentlichkeit als auch mitanderen Staaten intensivieren.Dazu gehört auch selbstbewuss-tes Auftreten; die neuen Realitätenaber zu verstehen und die notwen-digen und möglichen Schritte zuvollziehen.

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Kurzbeschreibung

Die belgischen Steuerbehörden gewähren in gewissen Fällen eine Steuerbefreiung von Gewinnen, die eine Gesellschaft nur aufgrund ihrerStellung innerhalb eines Konzerns erzielen konnte. Solche Gewinne sind nicht «at arm’s length» bzw. hätten von Einzelgesellschafteneben gerade nicht erzielt werden können. Sie entsprechen deshalb dem sogenannten Drittvergleich nicht und werden nicht besteuert.

80% der Erträge aus Patenten werden zum Abzug zugelassen, sofern die Erträge «at arm’s length» bemessen werden. Dies führt zu einereffektiven Besteuerung solcher Erträge von 6,8%.

Es wird ein Abzug für eine fiktive Zinszahlung auf dem Eigenkapital zugelassen.

Finanzierungsaktivitäten innerhalb einer Niederlassung («branch») können unbesteuert bleiben, sofern diese ein genügend «geringesProfil» aufweist (d.h. sehr limitierte Tätigkeit).

80% der Erträge aus Patenten sind zum Abzug zugelassen. Dies führt zu einer effektiven Besteuerung solcher Erträge von 5,7%.

«Prinzipal»-Strukturen: Bei Migration nach Luxemburg kann steuerlich ein Goodwill geltend gemacht und abgeschrieben werden(Verkehrswert, wird via Ruling festgehalten, handelsrechtlich nicht erfasst). Wird als «verdeckte Kapitaleinlage» behandelt. Dies führt zueiner effektiven Besteuerung von 2% bis 8%.

Die Niederlande sind bestrebt, konzerninterne Zinszahlungen steuerlich auszunehmen oder jedenfalls stark zu entlasten. EntsprechendePläne müssen zurzeit jedoch noch von der EU-Kommission «abgesegnet» werden.

Ähnliche Regelung wie in Belgien.

Gesellschaften, die selber grundsätzlich nicht der Besteuerung unterliegen («transparent» sind), werden für Zwecke des DBA mit den USAdennoch wie besteuerte Gesellschaften behandelt, sofern sie echten geschäftlichen Aktivitäten in den Niederlanden nachgehen. Sehrattraktiv für Holdinggesellschaften.

Gesellschaften, die im International Business Centre of Madeira registriert sind und Arbeitsstellen schaffen, zahlen eine reduzierteGewinnsteuer auf grenzüberschreitenden Transaktionen.

Nach Akquisitionen kann eine Gesellschaft eine Abschreibung auf dem Goodwill während 20 Jahren steuerlich geltend machen. DasRegime muss noch von der EU-Kommission bewilligt werden.

Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte: Auch EU-Staaten arbeiten mit steuerlichen Anreizen.*

* Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einen beispielhaften groben Überblick über bestehendevorteilhafte Steuerregime bieten.

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Weiche FaktorenHarteFaktorenControlling

Thomas Scheiwiller, Globaler Leiter Nachhaltigkeitsberatung

Nichtfinanzielle Werte: Die Erfassung undBerücksichtigung individueller Präferenzenerhöht den Unternehmenserfolg.Individualisierung ist ein langfristiger Trend in der Wirtschaft. Mit einer neuen Methode lassen sich individuelle Wahrnehmungen und Emotionen zuver-lässig und robust erheben. Solche «weichen» Faktoren liefern zusammen mit «harten» Finanzkennzahlen eine verlässliche Basis für die Umsetzung derUnternehmensstrategie und die Steuerung der Leistungserbringung.

[email protected]

«Der Mensch steht im Mittelpunkt unsererOrganisation.» Diese oder ähnliche Aussa-gen finden sich in fast jeder Unternehmens-kommunikation. Dabei handelt es sichheute um mehr als ein Lippenbekenntnis.Zahlreiche Firmen haben erkannt, dassMenschen – seien es Kunden, Mitarbeiteroder andere Stakeholder – die wahren Wert-treiber sind, dass die finanzielle Perfor-mance lediglich das Resultat deren Wert-schöpfung ist. Auch Controller sind sichbewusst, dass der betriebswirtschaftlicheErfolg in erster Linie von der emotionalenBeziehung abhängt, die Menschen in undzu Unternehmen haben. «Emotionen sind wichtige Zukunftsindikato-ren, um die langfristige Entwicklung einerFirma, auch in finanzieller Hinsicht, beurtei-len zu können», erläutert Roman Kurmann,Finanzchef der Zürcher Privatbank BankClariden Leu. «Die Wahrnehmung vonKundenbedürfnissen jenseits der reinenProduktleistung und die Steuerung emotio-naler Treiber sind deshalb in einer immerstärker dienstleistungsorientierten Wirt-schaft von strategischer Bedeutung», führtKurmann aus.

Wandel des Menschenbildes in derÖkonomieParallel zu diesen Erkenntnissen in derUnternehmenspraxis lässt sich ein funda-mentaler Wandel im Menschenbild der Wirt-schaftswissenschaften beobachten. Dieempirische Ökonomie, allen voran der Leiterdes Instituts für Empirische Wirtschaftsfor-schung an der Universität Zürich, ProfessorErnst Fehr (siehe Interview Seite XX), stütztsich heute auf real existierende Menschen,deren Entscheidungen nicht nur vomVerstand, sondern auch von Gefühlenbestimmt werden. Bezeichnend für diesenTrend ist der Titel des Buchs von Uwe JeanHeuser: «Humanomics: Die Entdeckung desMenschen in der Wirtschaft».Unbestritten ist, dass jedes Unternehmenüber nichtphysische Quellen für den künfti-gen Erfolg verfügt. Solche sogenanntenintangiblen Werte sind vor allem das Wissender Mitarbeiter, die Loyalität der Kundenoder das Funktionieren der Ablauforganisa-tion.

Beispiel Mitarbeiter: Arbeitnehmer werdenvon verschiedenen Motivationen bewegt.Möglichst viel Geld zu verdienen ist einedavon. Der Arbeitsinhalt, die Weiterbildung,die Integration in das Team, die Karriere-chancen sind weitere wichtige Faktoren,welche die Loyalität, den Leistungswillenund die Einsatzfreude eines Mitarbeitersstark beeinflussen. Kennt ein Unternehmensolche individuellen Präferenzen, kann eszielgerichtet entsprechende Anreize setzen.Das Ergebnis sind eine höhere Mitarbeiter-motivation, eine bessere Unternehmensleis-tung und damit grössere Erfolgschancen imWettbewerb.Beispiel Kunden: Kunden können preis-oder qualitätsorientiert sein, sie könnenWert auf eine bestimmte Marke legen oderauf die persönliche Beziehung mit demKundenberater. Kostengetriebene Kundenlassen sich kaum von innovativen Lösungenüberzeugen; steht hingegen die Qualität imVordergrund, lassen sich Kunden nicht überPreisnachlässe binden. Vor allem im Busi-ness-to-Customer-Geschäft gilt es zuberücksichtigen, dass Verbraucher nicht inallen Produktsegmenten die gleichen Präfe-renzen haben. Unabhängige Studien zeigen,wie wichtig der Kontext für das Kaufverhal-ten ist: Manche Konsumenten kaufen imAlltag äusserst kostenbewusst ein; beiProdukten mit einem hohen sozioemotiona-len Prestigewert aber achten sie selten aufden Preis.

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Konsistente Messung individueller WahrnehmungenUnternehmen müssen die intangiblen Werteaufdecken und steuern, um ihre Leistungnachhaltig zu erhöhen. Die Problematik liegtdarin, dass Steuerung auch Erfassbarkeitvoraussetzt. Intangible Werte brauchennichtfinanzielle Masseinheiten. Die Indikato-ren, die dazu entwickelt wurden, sind aufZielgruppen ausgerichtet, und ihre Erhe-bung ergibt stets aggregierte Kennzahlen.Bislang mangelte es an Methoden, um dieErfassung von Performance-Indikatorensystematisch von der Zielgruppe insgesamtzu den einzelnen Personen herunterzubre-chen.Eine solche leistungsfähige Methode zurErmittlung individueller Wahrnehmungen hatnun das auf Sozialforschung und BusinessIntelligence spezialisierte ISG Institut (ISG)entwickelt. Das St. Galler Institut stützt sichdabei auf eigene Studien, die belegen, dassdas Verhalten von Menschen massgeblichvon komplexen motivationspsychologi-schen Faktoren wie Wertvorstellungen,Beweggründen und Einstellungen geleitetist.Gemeinsam mit PricewaterhouseCooperspasst das ISG diese robuste Messmethodikan unternehmensspezifische Herausforde-rungen an und implementiert sie in Unter-nehmen. Mit diesem neuen Ansatz lässtsich die individuelle Wahrnehmung konsis-tent und zuverlässig erheben. Entscheidendsind dabei drei Aspekte:– Die Methode ist robust, weil sie webba-sierte Techniken konsistent anwendet.– Gemessen werden subjektive Wahrneh-mungen, unabhängig davon, ob dieseobjektiv richtig sind.– Es werden individuelle Werte ermittelt,nicht Mittelwerte, die es in der Realitätmeist gar nicht gibt.Die webbasierten Techniken gewähren denbefragenden Unternehmen und demBefragten zeitliche Flexibilität und Anwen-derfreundlichkeit. Das Unternehmen kanndie Erhebung beispielsweise zur Vorberei-tung eines Kundengesprächs genau termi-

nieren. Der Kunde wiederum hat dieMöglichkeit, den Online-Fragebogen unab-hängig von Zeit und Ort auszufüllen. DiesesVorgehen erhöht auch die Rücklaufquote.Indem das Verfahren die individuelle Wahr-nehmung von Kunden, Mitarbeitern oderanderen Stakeholdern ermittelt, setzt es ander Quelle der Wertschöpfung an. DieBetrachtung beinhaltet zwei Dimensionen:Sie zeigt auf, wo die Präferenzen liegen undinwieweit das Unternehmen diese Präferen-zen innerhalb seines Wertmanagementsberücksichtigt.

Kongruenz von Mitarbeiter- und KundentypenDie Kenntnis individueller Präferenzen eröff-net neue Perspektiven für die Unterneh-mensführung und die Steuerung der Wert-treiber: Denn die ISG-Methodik ermöglicht,verschiedene Präferenztypen unter denMitarbeitern und den Kunden zueinander inBezug zu setzen. So lässt sich eine Kongru-enz von Mitarbeiter- und Kundentypenherstellen. Dies ist gerade in beratungsin-tensiven Branchen eine ideale Vorausset-zung, um die Bindung von Kunden und dieLoyalität von Mitarbeitern zu erhöhen. DieInformationen zu den individuellen Präferen-zen werden in einem Kennzahlen-Cockpitvisualisiert und mit Finanzkennzahlenkombiniert. Dadurch erhalten das strategi-sche Controlling und die Linienverantwortli-chen ein praxistaugliches Werkzeug für eineumfassende Betrachtung der Werttreiber.Die ISG-Methodik lässt sich auch auf dieErforschung anderer Stakeholder, etwa vonGeschäftspartnern und Lieferanten, anwen-den. Der Investor-Relations-Abteilung liefertsie ein Instrument, um die Zielvorstellungenvon Aktionären zu erfassen und einzuord-nen. Die differenzierte Kenntnis der Eigentü-merinteressen kann so in die Formulierungstrategischer Zielgrössen wie der Eigenka-pitalrendite oder der Dividendenpolitikeinfliessen.Mit dem neuen Ansatz ist ein Unternehmenin der Lage, die Ursachen tatsächlich zusteuern und nicht nur die Folgen zu beob-achten. Es erfährt beispielsweise, wie derUmsatz entsteht und was den einzelnenKunden zum Kauf motiviert. Es weiss, wiees Margen und Kosten steuern kann. Undes erkennt, über welche Anreize es deneinzelnen Mitarbeiter am besten motivierenkann. Dieses Wissen eröffnet entschei-dende Wettbewerbsvorteile.

FAZIT Neue webbasierte Techniken zurMessung intangibler Werte ermög-lichen es, nicht nur Mittelwerte fürAnspruchsgruppen zu ermitteln,sondern auch individuelle Wahr-nehmungen konsistent zu erfas-sen. Die einzelne Person rückt inden Fokus der Leistungssteue-rung. Diese Vorgehensweise wirddurch das neue Menschenbild derempirischen Ökonomie gestützt:Menschen entscheiden nicht nurrational, sondern auch emotional.

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[email protected]

Grosse strategische Risiken bestehen heutedarin, gegen regulatorische Vorschriftenoder interne Richtlinien zu verstossen.Renommierte international tätige Konzernehaben bereits für Schlagzeilen gesorgt, weilsie unlautere Praktiken bei der Auftragsak-quisition angewandt oder gegen den Daten-schutz verstossen haben. In Umfragen unterUnternehmensführern rangiert die Regel-konformität an erster Stelle der Geschäftsri-siken. Und dies zu Recht, denn Konflikte mitGesetzen und Vorgaben werden mit oftdrastischen Sanktionen geahndet undkönnen die Reputation eines Unternehmensin kürzester Zeit zerstören. In vielen Unternehmen wächst daher dasBewusstsein für Compliance. Dabei ist dieThematik ebenso vielschichtig wie derBegriff «Compliance» selbst. Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht – eineGoogle-Suche für «Definition Compliance»bringt rund 30 Millionen Treffer. Die Eidge-nössische Bankenkommission (EBK) erklärtin ihrem Rundschreiben vom 27.9.2006:«Als Compliance gilt das Einhalten vongesetzlichen, regulatorischen und internenVorschriften sowie die Beachtung vonmarktüblichen Standards und Standesre-

geln.» Diese Definition ist allerdings sehrallgemein gefasst, vor allem die Formulie-rung «marktübliche Standards» lässt Inter-pretationsspielräume offen.Compliance lässt sich aus verschiedenenBlickwinkeln betrachten. Meist wird sie, wie in der Definition der EBK, aus der Optikdes Risikomanagements gesehen. Ausdieser Sichtweise heraus sind Compliance-Themen zum Beispiel die Antikorruptions-gesetzgebung, das Wettbewerbsrecht (Anti-Trust) und zunehmend auch Frage-stellungen zu Umwelt, Gesundheit undSicherheit.

Verstösse kommen teuer zu stehenIn der Antikorruptionsgesetzgebung habendie EU, vor allem aber die USA Standardsgesetzt: Der «Foreign Corrupt Practices Act(FCPA)», der bereits 1977 in Kraft trat,untersagt Bestechung in allen Ländern, indenen diese unter Strafe steht, verlangt einevollständige und detaillierte Dokumentationzu allen Transaktionen sowie ein funktionie-

rendes Kontrollsystem. Das Strafmass, dasdie eingeleiteten Präventivmassnahmen unddie Schwere des Verstosses berücksichtigt,kann im Extremfall mehrere hundert Millio-nen Dollar betragen – ganz abgesehen vondrohenden Gefängnisstrafen für dieGeschäftsleitung.Die Anti-Trust-Bussgelder der EU liegen inder Regel zwischen 500 Millionen und einerMilliarde EUR. Im Mai 2009 verhängte dieEU-Kommission die bislang höchste Anti-Trust-Strafe: Gegen den Chip-HerstellerIntel sprach sie wegen Missbrauchs einermarktbeherrschenden Stellung ein Buss-geld von 1,06 Milliarden EUR aus. Diebisher höchste Gesamtstrafe wegen einesVerstosses gegen das Wettbewerbsrechterhielt jedoch Microsoft: Im März 2004wurde das US-Unternehmen zur Zahlungvon 497 Millionen EUR verurteilt; im Februar2008 verhängte die EU-Kommission einweiteres Bussgeld über 899 Millionen EUR,weil Microsoft die Vorgaben des Beschlus-ses von 2004 nicht eingehalten habe.Schweizer Unternehmen haben der Compli-ance mit der europäischen Anti-Trust-Gesetzgebung – schon der drastischenStrafen wegen – stets einen hohen Stellen-wert eingeräumt. Der Antikorruptionsge-setzgebung aber haben viele Firmen in denvergangenen Jahren weniger Beachtunggeschenkt. Zum einen liegt das an der inder Vergangenheit vergleichsweise geringenStrafhöhe, zum anderen fühlten sich die

Nachhaltige Compliance: Der erste Schrittzum Integritätsmanagement.Compliance wird meist aus der Perspektive des Risikomanagements gesehen.Zusätzlich zur Regelkonformität lässt sich Compliance aber auch als Teil desOpportunitätsmanagements verstehen – als Chance, eine Kultur der Integrität imUnternehmen zu verankern und sich so im Markt zu differenzieren.

RegelnRisikoReputation

Jürg Wyser, Leiter Compliance

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meisten Unternehmen vor den US-Behör-den sicher; sie sind an keiner US-Börsenotiert und glaubten nicht an die Durch-griffsmöglichkeiten der Justizinstanzen.Aber diese Argumente gelten nicht wirklich:Korruption ist ein Delikt im strafrechtlichenSinne; sie ist weder versicherbar nochabhängig davon, an welcher Börse oder obüberhaupt Aktien gehandelt werden. EineAnzeige wegen Korruption kann überall undjederzeit erfolgen. Zudem zeichnet sich inden USA ein Trend ab, das Strafmass zu

erhöhen und gravierende Konsequenzenaus solchen Verfehlungen zu ziehen. Sowurde Halliburton Anfang Februar 2009 zu einer Busse von 560 Millionen USDverurteilt.

Bussgelder und ReputationsverlustAuch ist es ein Irrtum anzunehmen, nurinternationale Konzerne seien von drasti-schen Bussgeldern betroffen. Die Summe,zu der beispielsweise Intel verurteilt wurde,entspricht gut 4 Prozent des Firmenumsat-zes (die EU kann bis zu 10 Prozent desUmsatzes an Bussgeldern verhängen). Fürkleinere Unternehmen können die Strafen

noch schmerzhafter sein. Es gibt Beispielevon mittelständischen Unternehmen, beidenen sich die Bussgelder für Korruptionund der operative Schaden auf einen drei-stelligen Millionenbetrag addieren.Nicht «compliant» zu sein, kann ein Unter-nehmen teuer zu stehen kommen. DerSchaden beschränkt sich nicht nur aufBussgelder, sondern beinhaltet auch einen

Nutzen

• Klärung von Meinungsverschiedenheiten• Nachträgliche Bewirtschaftung ernsthafter

Risiken• Reaktion auf die Nichtbeachtung oder

Verletzung von Regeln

Nutzen

• Vorbeugung• Umfassendes Management der

Compliance-Risiken • Schutz der verantwortlichen Personen

Nutzen

• Positive Effekte für die Reputation des Unternehmens

• Strategie zur Differenzierung am Markt• Erfüllung der öffentlichen Erwartungen

Unternehmen, die sich ausschliesslich darauf konzentrieren, Fragen der Compliance im Rahmen des Risikomanagements anzugehen, handeln stets reaktiv. Hingegen bietet ein umfassendes Integritätsmanagement die Chance, sich am Markt zu differenzieren. Ein erster Schritt dorthin ist die nachhaltige Verankerung derCompliance in der Unternehmenskultur.

Vom Risikomanagement zum Integritätsmanagement.

Treiber

• Compliance-Risiken • Bindung von Kunden, Lieferanten

und Geschäftspartnern

Treiber

• Gruppendruck durchvergleichbare Unternehmen

• Öffentliche Erwartungen

Treiber

• Chancen nutzen• Kundenbeziehungen/Produktmarketing

positiv beeinflussen

RISIKOMANAGEMENT

INTEGRITÄTSMANAGEMENT

Compliance Nachhaltige Compliance

Nachhaltigkeit

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Reputationsverlust. Zudem drohen Gefah-ren, die von Lizenzverlusten über Marktaus-schlüsse und Gewinnabschöpfung bis hinzu Haftstrafen für die Verantwortungsträgerreichen. Allein die Tatsache, dass ein Unter-nehmen in ein Verfahren verwickelt ist, kannzu einem Markteinbruch führen, dennKunden und Lieferanten gehen auf Distanz.Auch haben die Behörden die Möglichkeit,ein Unternehmen zu verpflichten, einCompliance-Programm auszuarbeiten unddauerhaft umzusetzen. Die Qualität desProgramms wird dabei von den zuständigenInstanzen kontrolliert.Die Integration der Compliance in dasunternehmensweite Risikomanagement istheute für alle Unternehmen unverzichtbar.Die Bedeutung der Compliance-Risikenhängt dabei weniger von der Art derGeschäftstätigkeit als vielmehr vom Gradder internationalen Verflechtung der Wert-schöpfungskette ab. Nicht von ungefähr hatdas Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)seinen Leitfaden «Korruption vermeiden –Hinweise für im Ausland tätige SchweizerUnternehmen» auf solche Firmen abgestellt,die stark im Ausland exponiert sind.

Interne Verhaltensnormen zählenNeben der Risikoperspektive gibt es aberauch eine zweite Sichtweise, der zufolgeCompliance nicht nur formale Regelkonfor-mität ist – sondern auch Teil des Opportuni-tätsmanagements. Aus dieser Optik istCompliance eine Sache der Einstellung, derAuthentizität und der Unternehmenskultur.Erst wenn die Compliance eine nachhaltigeKomponente erhält und zu einem Integri-tätsmanagement entwickelt wird, gelingt es,nicht nur Schaden abzuwenden, sondernauch dauerhaft Wert zu schaffen.Der Ansatz hierzu liegt in einer integriertenSichtweise von Compliance, Unterneh-

menskultur und Nachhaltigkeit. Im Rahmenihrer Coporate Governance, aber auch ihrerMarkenpolitik geben sich fast alle Unterneh-men Werte vor, mit denen die Unterneh-menskultur zum Ausdruck kommen soll.Diese Werte werden in einen Code ofConduct übersetzt, in dem Verhaltensregelnfür verschiedene Bereiche vorgegeben sind.Meist deckt der Code of Conduct ein brei-tes Spektrum ab, das über den Umgang mitThemen wie Bestechung oder Kinderarbeitbis hin zu Umweltfragen reicht. Aus diesenLeitlinien werden Managementprozesseabgeleitet, die über Kontroll- und Korrektur-mechanismen die Einhaltung der Verhal-tensnormen sicherstellen sollen. Ob dieWerte und Verhaltensregeln auch wirklichverinnerlicht werden, ist eine andere Frage.Die Vorschriften des Sarbanes-Oxley Actzum Code of Conduct haben der unterneh-mensinternen Regelkonformität nicht unbe-dingt einen Nutzen gebracht: Wenn leitendeAngestellte gezwungen werden zu unter-schreiben, dass sie den Kodex verstandenund ihre Mitarbeitenden entsprechendunterrichtet haben, wird dieser leicht zueiner formalen Angelegenheit – obwohl derKodex doch im Unternehmen «gelebt»werden sollte. Die nachhaltige Compliancenicht nur gegenüber den externen Regulie-rungs- und Gesetzesvorschriften, sondernauch gegenüber den internen Verhaltens-normen ist der entscheidende Schritt hin zueinem Integritätsmanagement.

Kompromisslose KonsequenzEs gibt einige Unternehmen, die schonheute den Begriff der Integrität jenem derCompliance vorziehen. Doch bei einemAuswechseln der Begriffe allein sollte esnicht bleiben: Integritätsmanagementheisst, die Werte des Unternehmensauthentisch zu leben und integer zuhandeln. Auch in dieser Hinsicht gibt der«tone at the top», die Vorbildfunktion derUnternehmensleitung, den Weg vor. Unter-nehmen, die bereits in Verfahren verwickeltsind oder waren, dürften nur dann in derLage sein, ein Integritätsmanagementumzusetzen, wenn sie Konsequenz an denTag legen. Im Extremfall heisst dies, dasFehlverhalten von Entscheidungsträgernkompromisslos zu ahnden.

Mit einem konsequenten Integritätsmanage-ment können sich Unternehmen strategischdifferenzieren, die Erwartungen ihrer Stake-holder erfüllen und so ihre Reputation posi-tiv beeinflussen. Eine solche Kultur mindertdie Compliance-Risiken systemisch. ImÜbrigen bringt es meist keinen Vorteil, mitunlauteren Praktiken Marktanteile gewinnenzu wollen. Die Erfahrung von PwC zeigt,dass die Mehrzahl jener Transaktionen, diemit Bestechung verbunden waren, insge-samt betrachtet keinen finanziellen Vorteilbrachten.

FAZITDie Compliance birgt zahlreicheGefahren, aber auch Chancen. Vorallem Verstösse gegen die Antikor-ruptionsgesetzgebung, gegen dasWettbewerbsrecht und gegenUmweltauflagen können drasti-sche Strafen zur Folge haben. DerSchaden aus Gesetzes- undRegelverstössen ist für Unterneh-men und Verwaltungsräte nurschwer zu reparieren. Unterneh-men, die dagegen gewappnet seinwollen, empfiehlt sich, die Compli-ance nachhaltig zu verankern, eineauf Integrität ausgerichtete Unter-nehmenskultur zu entwickeln unddie Werte authentisch vorzuleben.Wer dies tut, verfügt über ein wich-tiges Differenzierungsmerkmal imMarkt.

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GovernanceKulturGewinn

Matthias Memminger, Wirtschaftsberatung Financial Services

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[email protected]

Die Ursachen der Finanzkrise sind vielfältig;systemische Faktoren wie mangelhafteRegulierung oder eine Notenbankpolitik deslockeren Geldes schufen die Voraussetzun-gen. Entscheidend für die Schieflage vielerBanken waren aber auch institutsspezifi-sche Gründe, etwa Entscheidungenaufgrund falscher Annahmen oder ein unzu-längliches Risikomanagement. Gerade ausden internen Unzulänglichkeiten können dieUnternehmen Lehren ziehen, denn dieselassen sich – anders als die systemischenFaktoren – direkt beeinflussen. Wenn manuntersucht, was wirklich falsch gelaufen ist,stösst man auf drei altbekannte Entschei-dungsfallen: Hybris (Selbstüberschätzung),Groupthink (Gruppendenken) und blindesVertrauen in die Qualität von Informationenbzw. Annahmen.

Hybris: der Ikarus-EffektEs ist frappierend, dass gerade Firmen, diezu den erfolgreichsten zählten, einen beson-ders jähen Fall erleben. Royal Bank of Scot-land, UBS, AIG zählten sicher zu den ange-sehensten Vertretern ihrer Branche. Vom

Erfolg euphorisiert, verschrieben sie sichimmer ehrgeizigeren Wachstumszielen, diesie zwangsläufig in Bereiche jenseits ihrerKernkompetenz brachten. So konntenmanche Unternehmen bald die Risiken derneuen Geschäftsfelder nicht mehr realis-tisch einschätzen und sind wie Ikarus, derübermütig zu nahe an die Sonne flog, tiefgestürzt.Langfristig erfolgreiche Manager wisseneinen solchen Ikarus-Effekt zu vermeidenund der Hybris gegenzusteuern: Sie zieheneine Gruppe von möglichst unabhängigenVertrauten zur Entscheidungsfindung heran,die ihnen direktes und offenes Feedbackgeben und so den Bezug zur Realität desMarktes wahren helfen. Erfolgreiche Bankentreffen ihre strategischen Entscheidungenzudem mit sehr viel «business sense» undunter sorgfältiger Abwägung der Risiken.Ein gutes Beispiel ist der CEO von J.P.Morgan, Jamie Dimon. Entscheidungen tref-

fen Dimon und sein Team auf der Basisausführlicher Management-Reports, diejeden Geschäftsbereich abdecken. AlsDevise gilt: Wenn die Daten zeigen, dass einGeschäft riskanter ist, als es die Margenrechtfertigen, steig aus! Als Ende 2006 dieKosten für Credit Default Swaps (ein Instru-ment, das pikanterweise J.P. Morgan erfun-den hatte und eine Art Versicherungsprämiegegen Zahlungsausfall darstellt) in die Höheschossen, signalisierten die Daten denAusstieg aus dem Geschäft mit minderwer-tigen Collateralised Debt Obligations (CDO).Dimon gab die Order zum Verkauf, obwohler für diese Entscheidung von seinen Wett-bewerbern belächelt wurde und einige«Stars» unter seinen Investment-Bankernkopfschüttelnd J.P. Morgan verliessen.

Groupthink: die Gefahr der KonformitätNach der desaströsen Entscheidung zurInvasion der Schweinebucht beauftragteder damalige US-Präsident John F.Kennedy den Psychologen Irving Janis mitder Untersuchung der Gründe für dieseFehlentscheidung. Janis kam zu dem Resul-tat, dass sich wegen der dominantenPersönlichkeit Kennedys keiner seiner hochqualifizierten Berater («the best and thebrightest») traute, sich während derEntscheidungsfindung kritisch zu äussern.

Unternehmensführung: Lektionen aus derFinanzkrise. Die Finanzkrise gab Anlass, die Führungspraxis bei Banken intensiv und kritisch zu untersuchen. Drei grundlegende Verhaltensregeln für gute Entscheidungen lassen sich daraus ableiten: die Nähe zum Markt behalten, eine offene und kritische Firmenkultur pflegen und die Qualität von Daten und Annahmen hinterfragen.

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Alle Banken haben mit der Qualität vonDaten, Annahmen und Informationen zukämpfen. Gut geführte Banken sind sichjedoch sehr bewusst, dass die DatenSchwächen haben. Sie reagieren darauf,indem sie kreative und teils sehr aufwändigeLösungen zur Verbesserung der Datenquali-tät suchen. Zum anderen kalibrieren sie dieEntscheidungen, um die mindere Qualitätder Daten zu kompensieren.

Eine Kultur des Austauschs schaffenBei den Annahmen sieht die Lage ähnlichaus. So haben Banken, die in der Kriseschlecht abgeschnitten haben, zumeist nurein Risikomodell, nämlich «Value at Risk»(VaR) verwendet. Hierbei ergaben sich zweiSchwachstellen. Zum einen werden Im VaR-Modell jene Positionen nicht mit einbezo-gen, die über Hedging abgesichert oderversichert sind. Da bis zu zwei Drittel derPositionen abgesichert waren und dieseAbsicherungen in der Krise zum grossen Teilausfielen, hat die betroffene Bank immer nurdie Spitze ihres Risiko-Eisbergs gesehen.Zum anderen benötigt VaR Zeitreihen vonmindestens 20 bis 30 Jahren, damit dieExtrapolierung des Modells genügend Auf-und Abschwünge berücksichtigt. Für dieSubprime-Instrumente gab es aber nur Zeit-reihen von 4 bis 6 Jahren, die zudem nureinen Aufschwung und keinen Abschwungabdeckten. Die Prognosen des Modellswaren deshalb viel zu optimistisch. EinigeBanken verstanden diese Schwachstellender Annahmen und steuerten gegen, indemsie zusätzlich Modelle verwendeten, die allePositionen (auch die abgesicherten) analy-sierten und zudem mit StresstestsAbschwünge simulierten. Diese Beispielehaben für alle Managemententscheidungenjenseits von Risikomodellen Gültigkeit: Manmuss die Qualität der Informationen undAnnahmen verstehen und hinterfragen. Undman sollte sich in der Regel nicht nur aufeine Quelle verlassen, sondern mehrereverwenden und die Ergebnisse zueinanderin Bezug setzen.Ein Modell kann immer nur so gut sein, wiedie Daten und Annahmen, die in dieseseinfliessen. Sind diese unzulänglich, kannauch das Ergebnis nur unzulänglich sein –

wie es der Spruch aus der IT-Welt «garbagein, garbage out» bestens veranschaulicht.Die zitierten Studien, aber auch Gesprächevon PwC mit Verwaltungsräten undGeschäftsführungen zeigen, dass Finanzin-stitute strukturelle und kulturelle Vorkehrun-gen treffen können, um künftige Krisen zumeistern. Die Basis für eine erfolgreicheUnternehmensführung bieten ausgereifteManagement-Informationssysteme, markt-gerechte Risikomodelle und ausgewogeneGovernance-Strukturen. Hinzu kommt eineKultur, die Raum lässt für den Austauschverschiedener Meinungen, sei es innerhalbdes Unternehmens, sei es mit externenSpezialisten.

FAZITWill man Lehren aus den Turbulen-zen des vergangenen Jahresziehen, lohnt sich ein Blick auferfolgreiches und weniger erfolg-reiches unternehmerischesHandeln. Dabei kristallisieren sichessentielle Punkte heraus: Gover-nance und Führungspersonenprägen die Unternehmenskultur.Relevante und qualitativ gut aufbe-reitete Daten, kombiniert mit Infor-mationsflüssen aus der gesamtenOrganisation, erleichtern ebensodie Entscheidungsfindung wie eineargumentative Diskussionskultur.

Janis bezeichnete dieses Phänomen als«Groupthink», als den Druck zum konfor-men Denken in Organisationen. Als proba-tes Mittel empfahl er damals unter anderemeinen «Advocatus Diaboli» (ein Konzept, dasmehrere hundert Jahre zuvor vom Vatikanerfunden worden war) zu ernennen, um dieKonformität in der Entscheidungsfindung zudurchbrechen.Ein positives Beispiel dafür, wie manGroupthink aktiv minimiert, gibt wiederumJamie Dimon: Der CEO von J.P. Morganstützt sich auf ein Führungsteam ausWeggefährten, langjährigen Mitarbeitern derBank und neu angeheuerten Experten. Erermuntert die Manager zum Widerspruchund zwingt sie zu überzeugenden Argumen-ten. Bei Besprechungen lässt sich Dimonauf Debatten ein und diskutiert über diver-gierende Sichtweisen. Goldman Sachswiederum ist dafür berühmt, dass sichNachrichten von Problemen wie ein Blitz bisins Management verbreiten. Ein solchrascher Informationsfluss ist möglich, weildie Firmenkultur Mitarbeiter nicht sanktio-niert, wenn sie Probleme identifizieren,sondern sie eher Probleme bekommen,wenn sie diese bewusst verbergen.

Qualität von Daten und Annahmen:«garbage in, garbage out»Die Senior Supervisory Group hat einenBericht zum Risikomanagement von elfweltweit führenden Banken vor der Kriseveröffentlicht. Darin stellt das Gremium ausverschiedenen Aufsichtsbehörden unteranderem fest, dass die Qualität von Datenund Annahmen, die in Risikomodellenhinterlegt waren, nicht immer den Gegeben-heiten des Marktes entsprochen hätten.Auch der Informationsfluss sei ein entschei-dender Faktor für die Funktionsweise desRisikomanagements gewesen. Nicht beiallen untersuchten Instituten sei sicherge-stellt gewesen, dass die richtigen Informa-tionen zeitgerecht an die Geschäftsleitunggelangt seien.

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Retail & Consumer Worlds.

«Retail & Consumer Worlds» ist ein interna-tionaler elektronischer Newsletter, welcherhalbjährlich ein Update über die Entwicklun-gen und die aktuellen Themen in der Detail-handels- und Konsumgüterindustrie gibt.Der von PricewaterhouseCoopers Schweizherausgegebene Newsletter behandeltneben den weltweiten Aspekten auchlandesspezifische Themen und richtet sichdamit an Entscheidungsträger von nationa-len und internationalen Unternehmen in derDetailhandels- und Konsumgüterindustrie.Weitere Informationen finden Sie unterwww.pwc.ch/r&cworlds, wo Sie denNewsletter auch gleich abonnieren können.

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Events, Publikationen und Analysen.

Events

PwC Energieforum 2009Am jährlichen PwC Energieforum werden die Brennpunkte und Herausforderungen imschweizerischen Energiemarkt vorgestellt und diskutiert. Die Themen in diesem Jahr:Netz- und Anreizregulierung sowie Resultate aus der neuen PwC-Studie zum Energie-markt Schweiz.Zürich Oerlikon, Mittwoch, 23. September 2009Für Information und Anmeldung: [email protected], Tel. 058 792 18 30

Total Tax Contribution – Welchen Beitrag leisten grosse Unternehmen zur Finanzierungder Schweiz?An dieser kostenlosen Vorabendveranstaltung werden die Ergebnisse der gemeinsamenUmfrage von economiesuisse und PwC zur Total Tax Contribution (TTC) der grösstenSchweizer Unternehmen vorgestellt. TTC erfasst – über die Gewinnsteuern hinaus – sämt-liche Steuerzahlungen eines Unternehmens. Präsentiert werden die Resultate der erstenUmfrage nach der TTC-Methodik in der Schweiz. Zürich, Dienstag 27. Oktober 2009Für Information und Anmeldung: [email protected], Tel. 058 792 44 96

Managing Through the DownturnA survey of how Swiss companies are facing the current crisis

www.pwc.ch/confidence

Brazil’s retail and consumer sector well set to ride out the economic crisis

Leserservice:Die Autorinnen und Autoren der Fachthemenstehen für ein weiterführendes Gesprächgerne zur Verfügung (die E-Mail-Adresse istjeweils angegeben). Eine umfassende Über-sicht der Publikationen von PwC finden Sie unter: www.pwc.ch. Bestellungen von PwC-Publikationen und Abonnemente oderAdressänderungen: [email protected] Fax 058 792 20 52.

Abonnemente:ceo, das Magazin für Entscheidungsträgervon PricewaterhouseCoopers erscheintdreimal jährlich (deutsch, englisch, franzö-sisch). ceo kann kostenlos abonniertwerden. Bitte die gewünschte Spracheangeben: [email protected]: PricewaterhouseCoopers, ceoMagazin, Birchstrasse 160, 8050 Zürich.

Wirtschaftskrise.

Schweizer Unternehmen bereiten sichgezielt auf die Rezession vor, z.B. mitKostenmanagement im Personalbereichdurch Frühpensionierungen oder Entlassun-gen mit Reduktion der Fixkosten und alter-nativen Strategien. Kleinere Firmen spürenden erhöhten Druck seitens der Bankenweniger als grössere; alle Unternehmenbeobachten eine Verschlechterung derZahlungsmoral. Dies sind die wichtigstenErgebnisse der Studie «Impact of theeconomic crisis on Swiss companies/Mana-ging Through the Downturn» von PwC, bei welcher Antworten von 91 SchweizerUnternehmen ausgewertet wurden.www.pwc.ch/medien

Juni 2009

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Rechnungslegung und Revision.

In der regelmässig erscheinenden Publika-tion «Disclose» von PricewaterhouseCoo-pers werden die wichtigsten Aspekte vonkomplexen Rechnungslegungs- und Revisi-onsthemen verständlich dargelegt. DasMagazin hilft Führungspersönlichkeiten, denÜberblick in diesem sehr dynamischenUmfeld zu behalten. Im Fokus der aktuellenAusgabe stehen unter anderem die Finanz-krise und ihre Auswirkungen auf Verwal-tungsräte, auf Pensionskassen und auf dieJahresrechnung. «Disclose» finden Sie unterwww.pwc.ch/disclose. Bei [email protected] können Siegedruckte Exemplare bestellen.

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Was zählt ist,was bleibt.Die aktuelle Entwicklung hat dasBedürfnis nach bleibenden Wertenverstärkt. Im Zentrum stehen vermehrtwieder Fragen wie: Was ist wirklichwichtig? Was wird Bestand haben? Inmanchen Unternehmen und Institutio-nen werden Kursänderungen vorge-nommen – viele fühlen sich jedoch inihrer bisherigen Haltung bestätigt.

Thomas Schmidheiny investierte 160 Millionen CHF in das Grand ResortBad Ragaz und setzte dabei konse-quent auf das Beste vom Besten. Er ist überzeugt: «Das Interessante istder Werterhalt.»

Ernst Fehr, Leiter des Instituts fürEmpirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich, forscht überden Wert von Emotionen.

Martin Senn, Group Chief InvestmentOfficer (und designierter CEO) vonZurich Financial Services, hat Werte wie Disziplin, klare Philosophie undsystematische Prozesse verinnerlichtund liegt damit richtig.

Für Adrian Pfenniger wiederum,Chef des Triengener BürstenherstellersTrisa, ist es die Pflege von Werten wieMenschlichkeit, Anstand und Respekt,die einem Unternehmen gerade inKrisenzeiten die nötige innere Stabilitätverleiht.

Und für Ernst Mohr, Rektor derUniversität St. Gallen, hat die gesell-schaftliche Verantwortung einen besonderen Stellenwert.Texte: Corinne Amacher, René Bortolani, Samuel Dubno, Iris Kuhn-Spogat, Franziska Zydek

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Einfach «Wow!» Der Unternehmer Thomas Schmidheinyüber sein persönliches Engagement für dasGrand Resort Bad Ragaz, über lohnende langfristige Investitionen und die Erhaltung von Werten. Fotos: Cédric Widmer

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Herr Schmidheiny, Ihr Vater hinterliessIhnen unter anderem die Grand HotelsBad Ragaz. Als er 1991 starb, waren Sie46 Jahre alt. Was empfanden Sie, als Sie eines der renommiertesten Hotel-unternehmen der Schweiz erbten?Ich war schon viel früher in Bad Ragazdabei – genau genommen seit meinem 28.Lebensjahr. Der Verwaltungsrat der Hotelswar der erste, in den mein Vater mich dele-gierte. Das war 1973; ich kam gerade ausMittelamerika zurück, wo ich bei Apasco,der mexikanischen Tochterfirma vonHolcim, meine Sporen abverdient hatte.

Nahmen die Hotels in Bad Ragaz inner-halb Ihrer Familie eine besondere Stel-lung ein?Ja, das kann man sagen. Mitte der 50erJahre des letzten Jahrhunderts schloss sich eine Gruppe von Ostschweizer Unter-nehmerfamilien zusammen, um die Ther-malbäder Bad Ragaz, deren Haupthotel Quellenhof teilweise abgebrannt war, neu zu eröffnen. Diese Familien wollten etwasfür den Kanton und die Region tun. Damals

herrschten fast depressive Zustände imSarganserland. Viele Unternehmen warenweggezogen oder mussten schliessen. Der Wille, etwas zur Gesundung der Regionbeizutragen, begründete unser Engage-ment. Da war von Anfang an eine grosseAffinität vorhanden. Aber natürlich wäre esunmöglich gewesen, etwas gegen denWunsch der Kunden, des Marktes, anzu-bieten.

Ihr Trumpf war die Quelle?Nicht nur. Klar, wenn man mit grossenResorts konkurrieren will, braucht manetwas Spezielles. Das ist bei uns dasWasser. Die Quelle von Bad Ragaz gehörtdem Kanton, und wir sind die Nutzer. Esgibt einen Vertrag, der, glaube ich, im Jahr2067 ausläuft. Doch die ganze Region, dieBündner Herrschaft mit ihren Weingütern,rundet das Bild ab. Sie ist nicht städtisch,aber attraktiv für das, was wir dort anbieten:Entschleunigung, Kuren, Rehabilitation. Nur waren damals die Hotels teilweise hoff-nungslos veraltet und die Therme entsprachin keiner Weise einer modernen Kuranstalt.

Um die Qualität des Angebots zu stei-gern, mussten Sie investieren.Vor rund 15 Jahren haben wir in drei Phasendas Wesentliche erneuert: das Hotel HofRagaz, das Wellness-Center und die öffent-lichen Thermalbecken. Ursprünglich wargeplant, auch den Quellenhof zu renovieren.Das Hotel war aber – wie auch der HofRagaz – etwa zu einem Drittel denkmalge-schützt. Das Bauwerk war nach über 100Jahren baufällig, der Zahn der Zeit hatteden Strukturen stark zugesetzt. Da reifte derEntschluss, das Hotel abzubrechen und neu aufzubauen.

Wie wurde der Bau finanziert?Wir schlugen den Aktionären eine Kapitaler-höhung vor. Nur ein Teil hat mitgemacht.Unser Anteil wuchs aufgrund unseres finan-ziellen Engagements auf rund 50 Prozent.Der Quellenhof wurde dann in Rekordzeitgebaut: Abbruch 1995, Wiedereröffnung am

31. Oktober 1996 nach nur 22 MonatenBauzeit! Eine Meisterleistung!

Sie haben das Hotel im ursprünglichenStil wiederaufgebaut – warum?Natürlich gab es Ideen, etwas völlig Neues –zum Beispiel einen Glasbau – zu realisieren.Dennoch haben wir, hauptsächlich ausDenkmalschutzgründen, entschieden, dasHaus im klassischen Look wiederaufzu-bauen. Der Erfolg gab uns recht: Die Quali-tät, der Innenausbau, die Infrastruktur –alles stimmte. Unsere Gäste waren begeis-tert. Darauf aufbauend, entstand die Vision,eines der führenden Resorts in Europa zuwerden.

Dieser Schritt wurde in den letzten zweiJahren mit dem Ausbau der Grand HotelsBad Ragaz zum Grand Resort Bad Ragazvollzogen.Zuerst haben wir uns für ein B-Casinobeworben und die Lizenz erhalten. BadRagaz hatte notabene eines der erstenCasinos der Schweiz. Das Casino wurde einunwahrscheinlicher Erfolg! Die Einnahmenaus dem Spielgeschäft tragen heute zurFinanzierung des weiteren Ausbaus bei …

… der mit 160 Millionen CHF veran-schlagt wurde. Eine grosse Investition indie Zukunft. Welche Strategie liegtdiesem Schritt zugrunde?Wir fragten uns, wie das Resort noch wach-sen könnte, und kamen zum Schluss, dass

Zum Vermögen gehörenauch Herz und Engage-ment. Und damit eineStrategie langfristigerfolgreich ist, müssenEffizienz, Stabilität undReputation dazukommen.Dies sind Werte, die ichmeinen Kindern weiter-geben möchte.

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es im Quellenhof zwar viel Verkehrs- undRestaurationsfläche gibt, aber zu wenigewirklich grosszügige Zimmer. So entstandein Turm von 36 Metern Höhe, ausschliess-lich mit Suiten.

Völlig neu gebaut wurde auch die TaminaTherme.Da wir in den Bädern im Laufe der Zeitimmer weniger Eintritte verzeichnen konn-ten, waren wir in Zugzwang. Wir haben unsetwa 20 konkurrierende Anlagen in Europaangeschaut – und unsere Therme völlig neugebaut. Mit der heutigen Lösung sind wir,meiner Meinung nach, wieder an der Spitzemit dabei. Die Architektur, die wir gewählthaben, wird meines Erachtens Geschichteschreiben.

Wie gross war Ihr persönliches Engage-ment während des Umbaus?Ich war ein- bis zweimal pro Monat vor Ort.Das war und ist schön investierte Zeit. EinHotelbau hat etwas Faszinierendes; mankann sehen, wie etwas wächst, wie Zimmerstrukturiert werden, und man ist immerpersönlich involviert – zum Schluss denktman sogar über die Farbe der Vorhängenach.

Und Ihr finanzielles Engagement?Die Grand Resort Bad Ragaz AG zählt mitt-lerweile rund 700 Aktionäre. Unser Anteil alsHauptaktionär stieg auf etwa 75 Prozent.

Was ist Ihre Motivation für diese Investi-tion?Ich bin ein bodenständiger Mensch, derKanton St. Gallen ist mein Heimatkanton,und wir haben – wie schon gesagt – als

Familie entschieden, Bad Ragaz zu fördern.Wir fühlen uns dem Tal, in dem wir aufge-wachsen sind, verpflichtet und verbunden.Ich habe ja auch in Heerbrugg die familien-eigenen Weinberge restrukturiert. Dortproduzieren wir unterdessen anerkannt guteWeine.

Das Grand Resort Bad Ragaz wurde imJuni in wirtschaftlich schwieriger Zeiteröffnet. Macht Sie das nervös?Es braucht schon etwas mehr, um michnervös zu machen! Aber aus zwei Gründenbin ich zuversichtlich: Erstens leisten unserManagementteam und alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hervorragende Arbeit,zweitens sind wir – in Bezug auf unsereAngebote und das Profil unserer Zielgrup-pen breit aufgestellt. 40 bis 50 Prozentunserer Gäste kommen aus der Schweiz,etwa 30 Prozent sind Deutsche, der Restverteilt sich auf andere Nationen. Wir habeneine relativ starke Kundschaft aus demGolfsegment – und das MedizinischeZentrum bietet hervorragende Leistungenim Therapiebereich. Damit profitieren wirvon den Bedürfnissen und Ansprücheneiner älter werdenden Gesellschaft – mitdem Swiss Olympic Medical Center aberauch vom Megatrend Sport und Fitness.Sicher wird auch uns die Wirtschaftskrisetangieren. Schlussendlich aber kommen wirmit einem Produkt auf den Markt, daseinfach «Wow!» ist. Das ist ein grosser Wett-bewerbsvorteil.

Sie besitzen Hotels, bauen Wein an,sammeln Kunst. Offensichtlich sind Sieden schönen Dingen des Lebens zugeneigt?Jein. Natürlich ist es schön, Kunst zu be-sitzen. Ich geniesse dieses Privileg. DasFaszinierende am Wein, aber auch an derHotellerie ist, dass hier – mehr als anderswo– ein Produkt mit persönlichem Engage-ment verbunden ist. Aber bei allem, was ichtue, muss das Ideelle und das Betriebs-wirtschaftliche im Gleichgewicht sein. DasInteressante ist der Werterhalt. Für uns ist die Grand Resort Bad Ragaz AG eineGeschäftseinheit, die nach betriebswirt-schaftlichen Regeln geführt wird.

Was bedeutet Ihnen Geld?Im Prinzip ist es für mich ein Massstab fürdie Leistung, die man erbringt. Ich hatte dasGlück, dass ich von meinem Vater die Betei-ligung der Familie an Holcim bekommenhabe und das Unternehmen über 20 Jahrelang erfolgreich in die Expansion führenkonnte. Das Vermögen der Familie ist zumgrossen Teil noch immer in Holcim inves-tiert. Zum Vermögen gehören auch Herzund Engagement. Und damit eine Strategielangfristig erfolgreich ist, müssen Effizienz,Stabilität und Reputation dazukommen.Dies sind Werte, die ich meinen Kindernweitergeben möchte. //

«Bei allem, was ich tue,muss das Ideelle und dasBetriebswirtschaftliche im Gleichgewicht sein. Die Grand ResortBad Ragaz AG ist eineGeschäftseinheit, die nach betriebswirt-schaftlichen Regelngeführt wird.»

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Luxus als Ware oderwahrer Luxus.160 Millionen CHF kosteten der Um- undAusbau des Grand Resort Bad Ragaz. Einewegweisende Investition in die Zukunft. Doch die Bereitstellung finanzieller Mittel alleingarantiert noch nicht den Erfolg, findet CEO Peter P. Tschirky.

Fotos: Cédric Widmer

Der Penthouse Floor im neu erbautenSuiten-Turm des Grand Resort Bad Ragazist 560 Quadratmeter gross, etwa so weitläufig wie ein Tanzsaal. Die Einrichtungist von erlesenem Geschmack – alles vom Besten, Feinsten und Teuersten: dieZimmerböden aus Nussbaumholz, dasriesige Bett, die Satinbettwäsche und dasexklusive Daunenset, das Licht im Bade-zimmer, das von Swarovski-Kristallen reflek-tiert wird, der Whirlpool und die finnischeSauna und der über dem Bett in der Deckeversteckte Flat-TV. Was sich der Gast hier für 12 000 CHF pro Nacht leistet, ist,kein Zweifel, Luxus pur.Der Luxus, der einen umhüllt wie ein Mantelaus Cashmere, sobald man das Geländedes Resorts betritt, ist die Ruhe. In einemLiegestuhl im Park unter einem 100 Jahrealten Baum der Stille zu lauschen ist Balsamfür die Seele. Auch die Lage der Wohlfüh-loase am Fusse der Bündner Herrschaft mitBlick auf die Alpen ist im besten Sinne

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Weisstannentals, «wo alle Tschirkysherkommen» und wo er als Bergbauernbubaufwuchs. Anfang der 80er Jahre arbeiteteTschirky als Hotelmanager für die Sheraton-Gruppe im Königreich Bahrain, dem Insel-staat am Persischen Golf. Der damaligeEmir Scheich Isa, dessen Vertrauen ergewinnen konnte, beauftragte den Schwei-zer mit der Renovation seiner Palastanla-gen. So wurde Tschirky auch Bauexperte.Genau diese Mischung aus Bau- undGastronomiekompetenz war in Bad Ragazgefragt, als der Aus- und Umbau der GrandHotels in Bad Ragaz geplant wurde (sieheauch das Interview mit dem Mehrheitsaktio-när Thomas Schmidheiny). 160 MillionenCHF sind unterdessen in den Bau desTurms mit 56 Spa-Suiten, in den Umbauund die Renovation der beiden Hotels Quellenhof und Hof Ragaz, in das neueMedizinische Zentrum und in die neueTamina Therme investiert worden. Das neueMedical Health Center, dem auch das

Swiss Olympic Medical Center angeschlos-sen ist, bietet Rehabilitation und Präventionauf höchstem Niveau an. Es steht auchPatienten, die nicht im Resort absteigen, zur Verfügung; sie steuern die Hälfte desUmsatzes bei. Von den Hotelgästenkommen rund 30 Prozent aus therapeu-tisch-medizinischen Gründen nach Ragaz.Das Durchschnittsalter der Gäste beträgt59,6 Jahre – und die Verjüngung der Kund-schaft ist auch in Bad Ragaz ein Thema.Tschirky hat dazu eine pragmatische Auffas-sung: «Die Demografie verspricht enormeZuwachsraten bei dieser Zielgruppe – undausserdem wachsen immer neue alteMenschen nach.»

Eine Reise in die ZukunftDie «innere» Umwandlung der Grand HotelsBad Ragaz zum Grand Resort Bad Ragaz

therapeutisch – weitab vom Lärm derStädte und doch so schnell erreichbar: eine Autostunde von Zürich, zweieinhalbStunden von München, drei Stunden vonMailand. «Luxus», sagt schliesslich Peter P.Tschirky, «ist dort, wo ich mich wohl fühle.Und auf ein Hotel bezogen: wo der Gastfindet, was er sucht.» Tschirky, 57, ist seit Juni 2006 CEO derGrand Resort Bad Ragaz AG. Nach 30Jahren im Ausland ist der Manager heimge-kehrt in die Nähe des Sarganserländer

«Der schönste Hoch-glanzprospekt ist wertlos,wenn die Atmosphärenicht stimmt. Für ein Hausunserer Positionierung istdie beste Werbung Mund-zu-Mund-Propaganda.»

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für die 55+ Generation plante Tschirkybereits vor Baubeginn als «Zukunftsreise»,die er zusammen mit seinem Führungskreis,dem 62 Mitarbeitende angehören, unter-nahm. In ganztägigen Seminaren wurde aufden Anspruch und das Ziel vorbereitet, das führende Resort seiner Art in Europa zuwerden. «Es ging um das Erarbeiten einerumfassenden Kultur», sagt Tschirky, «beider das Schlüsselwort Liebe ist.» Gemeintist die Liebe zum Detail – und die Fähigkeit,sich in andere Menschen hineinzuversetzen.«Wir wollen sicherstellen, dass Interesse,Fürsorge und Respekt das Handeln unsererMitarbeitenden bestimmen, und nichtGleichgültigkeit und Egoismus.»

Jedes Mitglied der Führungscrew ist dafürverantwortlich, seinen Mitarbeitenden die inden Seminaren erarbeiteten Ergebnisse der«Zukunftsreise» zu vermitteln. Die Abteilung«Business Excellence» wertet Feedbacksder Gäste aus und versucht mit diversenanderen Tools zu überprüfen, ob die Bemü-hungen um diese besondere Kultur Früchtetragen. «Ihr Haus hat eine Seele», schriebein Gast. Ein anderer notierte: «Meine Frauund ich reisen sehr viel. Wir kennen keinanderes 5-Sterne-Hotel, in dem Mitarbei-tende so freundlich und hilfsbereit sind.»Diese Aussagen zeigen Tschirky, dass erund sein Team auf dem richtigen Weg sind. Zusätzlich zur «Zukunftsreise» stellteTschirky während des Umbaus den ganzenBetrieb auf ein ISO-zertifiziertes Manage-mentsystem um. Auch dies eine Vorberei-tung auf die neue Grösse des Resorts undein weiterer Schritt in Richtung Exzellenz:

«Wir haben gewusst, dass wir nach demUmbau nicht mehr das gleiche Unterneh-men sein werden wie vorher», sagt Tschirky.«Nun kann man in solch einer Situationtäglich predigen: ‹Das machen wir inZukunft anders.› Aber dies birgt die Gefahr,dass letztendlich alles beim Alten bleibt,weil die Gewohnheiten stärker sind.» ImRahmen der Umstellung auf ISO-Normensei hingegen kein Stein auf dem anderengeblieben – das Neue habe unwiderruflichEinzug gehalten. «Dieser Schritt brauchteWille, Mut und Demut», zieht der CEOBilanz. «Er hat uns viel gebracht, aber auchviele Nerven gekostet.»

Den Quantensprung geschafft550 Gäste kann das Resort heute aufneh-men. Sie werden von 682 Mitarbeitendenbetreut. Operationell wird das Unternehmen

«Wir wollen sicherstellen, dass Interesse, Fürsorge und Respekt das Handeln unserer Mitarbeiter bestimmen, und nicht Gleichgültigkeit und Egoismus.»

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von der Resort-Leitung (RL) geführt, bei derTschirky den Vorsitz hat und der die vierGeschäftsleiter der Bereiche «GrandHotels», «To B. Wellbeing & MedicalHealth», «Business & Events» und «Golf»angehören sowie der CFO, der Director ofMarketing & Sales und der Leiter der Infra-struktur. Die RL versammelt sich einmal imMonat; mit den Geschäftsleitern trifft sichTschirky an wöchentlichen oder 14-tägli-chen Jours fixes. Einmal im Monat kommtauch der Führungskreis zusammen. DerVerwaltungsrat mit dem IndustriemanagerWilly Kissling als Präsidenten und ThomasSchmidheiny als Vizepräsidenten zeichnetfür die Strategie. «Wir haben unsere Vision umgesetzt undden Quantensprung zum führenden Well-being & Medical Health Resort in Europageschafft», sagte VR-Präsident Kisslinganlässlich der Eröffnung. Gleichwohl

tangiert die gegenwärtige Wirtschaftskriseauch Bad Ragaz – weniger bei der Bele-gung der Zimmer, sondern in den Restau-rants. «Der Gast konsumiert weniger», sagtTschirky, «beim Pro-Stuhl-Umsatz verzeich-nen wir einen Rückgang von 18 Prozent.»Dieser Trend habe sich schon früh im Jahr2008 abgezeichnet, bevor die Finanzkrisefür alle spürbar ausbrach. Mit Anpassungender Menü- und Weinkarten wird unter ande-rem versucht, den Umsatz wieder anzu-kurbeln. Diese Feinarbeit sei, sagt Tschirky,reinste Psychologie. Überhaupt habe die Führung eines Resortsdieser Grösse und Exklusivität nebstManagement-Know-how viel mit Intuition zutun. «Durch Wahrnehmung merkt man»,sagt Tschirky, «was man verändern muss.»Auf seinen endlosen Rundgängen durchsResort spürt der Chef seinen Gefühlennach. Ein gewisses Unwohlsein angesichtseiner bestimmten Situation kündet ihmzweifelsfrei an, dass man hier einen Zacken

zulegen muss. Und Gefühl sei schliesslichauch der Treiber, der Gäste dazu bringe,überhaupt nach Bad Ragaz zu kommen:«Der schönste Hochglanzprospekt ist wert-los, wenn die Atmosphäre nicht stimmt. Für ein Haus unserer Positionierung ist diebeste Werbung Mund-zu-Mund-Propa-ganda», sagt Tschirky. «Wenn jemand inseinen Kreisen erzählt, er habe sich bei unsrundum wohl gefühlt.»Drei Ziele hat sich der CEO gesetzt:«Erstens will ich, dass wir die 160 investier-ten Millionen als Return erwirtschaftenkönnen. Zweitens möchte ich für unsereKunden das beste Hotel der Welt sein. Unddrittens wünsche ich mir, dass mein Namein Bad Ragaz für ein gutes und erfolgrei-ches Management steht.» Der Zeitrahmenfür das Erreichen dieser Ziele: 2011. //

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Nur das Beste: 160 Millionen CHF wurden in den Umbau und die Renovationder Hotels Quellenhof und Hof Ragaz, einen Turm mit Spa-Suiten, das neueMedizinische Zentrum und in die neue Tamina Therme investiert.

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«Menschen haben ein tief verankertesBedürfnis, anderen gute oder schlechte

Absichten zuzuschreiben»,

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sagt Professor Ernst Fehr, Leiter des Instituts für Empirische Wirtschafts-forschung an der Universität Zürich und erster Ökonom, der mit dem renommierten Marcel-Benoist-Preis ausgezeichnet wurde.Foto: Tom Haller

Professor Fehr, kurz gefragt: Was forschen Sie?Wir verfolgen eine breite Palette von Fragen: Wie funktionierenArbeitsmärkte, wie gestaltet man optimale Anreize für Mitarbei-tende und Manager, wie entstehen Hierarchien in Unternehmen,welche Rolle spielt die Reputation für die Funktionsweise vonMärkten? Neben diesen ökonomischen Fragen beschäftigen wiruns auch mit der Frage, welchen Einfluss nichtökonomische Faktoren wie Fairness oder soziale Normen auf das Wirtschafts-leben und dessen Akteure haben. Sind das biologische Faktorenoder sind das kulturelle Faktoren, und falls es kulturelle Faktorensind, was genau an der Kultur ist es? Das Forschungsprogramm istunterdessen sehr erfolgreich. Heute gehört die Universität Zürichim Bereich der experimentellen Wirtschaftsforschung und derNeuroökonomik weltweit zu den führenden Zentren.

Was interessiert Sie derzeit besonders?Neuerdings interessieren uns die biologischen Grundlagen wirt-schaftlichen Handelns. Wir machen Genetikstudien oder untersu-chen, welche Hirnprozesse altruistischem oder egoistischemVerhalten zugrunde liegen.

Wie gehen Sie dabei vor?Die Teilnehmer eines Experiments werden in unserem Computer-labor interaktiv vernetzt und vor ökonomische Situationen gestellt.Sie müssen innerhalb klarer Regeln Entscheide treffen. Das könnensehr einfache Experimente sein, wie das Ultimatumspiel, aber auch komplizierte Marktexperimente mit komplexen Trading Rules.

Was ist das Ultimatumspiel?Im Ultimatumspiel erhält ein Teilnehmer, nennen wir ihn TeilnehmerA, einen Geldbetrag und kann entscheiden, wie viel er davon Banbieten will. A macht ein Angebot und B hat nur die Wahl, dasAngebot anzunehmen oder abzulehnen. Die beiden verhandelnnicht. Wenn B das Angebot annimmt, erhalten beide ihren Betrag,wenn B ablehnt, erhalten beide nichts.

Wie sind die Ergebnisse?Viele bieten 50 Prozent der Summe an, weil sie ein solches Angebot für fair halten und damit rechnen, dass es angenommenwird. Risikofreudigere Spieler versuchen mit einem aggressiveren,also einem niedrigeren Angebot besser abzuschneiden. Je einseitiger allerdings das Angebot von A ist, desto grösser ist dieWahrscheinlichkeit, dass B es ablehnt. Die Bereitschaft von B,unfaire Aufteilungen abzulehnen, obwohl er danach gar nichtserhält, diszipliniert A und trägt dazu bei, dass fairere Vorschlägegemacht werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Testpersonen Btiefere Beträge eher akzeptieren, wenn die Rollenverteilung nichtdurch Münzwurf, sondern aufgrund eines Leistungstests erfolgt ist. Oder wenn ein Zufallsmechanismus A vorschreibt, welchenBetrag er B zu offerieren hat.

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Das Spiel zeigt also, dass sich die Testpersonen nicht soverhalten, wie sich der als Homo oeconomicus definierte Wirtschaftsmensch verhalten würde?Das stimmt. Die Homo-oeconomicus-Annahme ist insofern verletzt,als B bereit ist, auf Geldbeträge zu verzichten, um Teilnehmer A für ein niedriges Angebot zu bestrafen. Das ist weder rational nocheigennützig. Der Homo oeconomicus würde nicht so handeln. DasResultat dieses Experiments hat die Ökonomen überrascht. Abervermutlich nur die Ökonomen. Jedem mit etwas sozialer Intuitionund gesundem Menschenverstand ist klar, dass ein Spieler nichtjeden lausigen Betrag akzeptieren wird, wenn ein anderer Spielerdadurch unverhältnismässig viel mehr erhalten würde.

Welcher Menschentyp löst denn Ihrer Meinung nach den Homooeconomicus ab?Ein bunterer, vielfältigerer Menschentyp. Einer der zwar ein hohesMass an Rationalität besitzt, aber auch von Emotionen geleitetwird, die für Entscheidungsprozesse nicht immer optimal sind. Esist ein Mensch, der auch irrationales Verhalten an den Tag legt.Einer, der unter gewissen Voraussetzungen bereit ist, sich fair zuverhalten und zu kooperieren, auch wenn die Kooperation etwaskostet und nicht in seinem eigenen materiellen Interesse liegt. Ichsage nicht, der Mensch sei ein Heiliger, der sich immer altruistischverhält. Im Gegenteil. Eigennutz bleibt ein wichtiges Motiv, abereben nicht das einzige.

Wann sind die Menschen – auf die Wirtschaft oder den Berufs-alltag bezogen – fair oder altruistisch beziehungsweise eigen-nützig?Wir können das Erreichen von Fairnesszielen oder altruistischenZielen als Güter betrachten. Eine Person, der Fairness sehr wichtigist, «kauft» sich Fairness mit fairem Verhalten und teilweisemVerzicht auf materiellen Wohlstand. Wenn die Kosten für fairesVerhalten zu hoch sind, dann «kauft» niemand mehr dieses Gut ein.Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es eine Präferenz fürfaires Verhalten gibt. Wenn Schokolade teurer wird, kaufen dieLeute nicht weniger davon, weil sie keine Lust mehr auf Schoko-lade haben, sondern weil die Schokolade eben teurer ist. DieUnterscheidung ist übrigens nicht immer einfach: Wenn ein Unter-nehmer seinem Geschäftsführer freiwillig eine Gewinnbeteiligunggibt, kann das ein altruistisches Motiv sein oder aus Eigennutzpassieren, weil der Unternehmer glaubt, damit den Geschäftsführerfür die Zukunft zu motivieren.

Braucht es Ihrer Meinung nach überhaupt Anreizsysteme, umLeute zu motivieren?Bei Anreizsystemen stellt sich immer die Frage, was sie anreizenwollen. Häufig wird das Falsche angereizt. Menschen sind auchbereit, etwas zu tun, ohne dass sie dafür separat entschädigtwerden. Materielle Anreize können freiwillige Kooperation zerstö-ren. Ein Job besteht in der Regel aus vielen Aufgaben. Wenn sichdie Zielerfüllung nur bei wenigen Aufgaben messen und anreizenlässt, kann es besser sein, auf Anreize zu verzichten. Setzt einUnternehmen Anreize für Aufgaben, deren Erfüllung messbar ist,konzentrieren sich die Mitarbeitenden hauptsächlich auf dieseAufgaben und vernachlässigen andere. Das ist das bekannte Multi-Tasking-Problem. Ein Beispiel dafür ist die Bezahlung desManagements nach absoluten Aktienkursen. Das ist meines Erach-tens ein schlechtes Anreizsystem.

Weshalb?Das absolute Niveau des Aktienkurses ist ein schlechter Leistungs-indikator. Es wird von Faktoren bestimmt, die ein Manager nichtbeeinflussen kann. Wieso soll das Management an einer Wertstei-gerung des Unternehmens teilhaben, die eintritt, weil die Konjunk-tur gut ist? Das ist ja nicht der Verdienst des Managers. Das giltauch umgekehrt: Wieso soll ein Manager dafür bestraft werden,dass die Konjunktur schlecht läuft? Das ist unsinnig. Als Massstabwäre der Aktienkurs relativ zu einem Vergleichsindex geeigneter.Der Anreizmechanismus sollte so sein, dass jene Komponenten,auf welche der Manager keinen Einfluss hat, für seine Entlohnungnicht relevant sind.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Verantwor-tung in der Wirtschaft?Der Begriff Verantwortung ist eng mit moralischen Urteilenverknüpft. Es ist interessant, dass es den Begriff Verantwortung inden Wirtschaftswissenschaften nicht gibt. Sie finden den Begriff

«Setzt ein Unternehmen Anreize fürAufgaben, deren Erfüllung messbar ist,konzentrieren sich die Mitarbeitendenhauptsächlich auf diese Aufgaben undvernachlässigen andere. Das ist dasbekannte Multi-Tasking-Problem.»

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in keinem Lehrbuch. In einer idealen Marktwirtschaft spielt Verant-wortung jedoch eine zentrale Rolle. Im Ultimatumspiel beispiels-weise macht entweder Spieler A einen Vorschlag, wie das Geldaufzuteilen sei, oder ein Zufallsmechanismus. Die Reaktionen vonSpieler B fallen unterschiedlich aus. Wenn Spieler A einen unfairenVorschlag macht, wird er viel häufiger abgelehnt, als wenn derselbeunfaire Vorschlag von einem Zufallsmechanismus kommt. Daszeigt, dass die Menschen ein tief verankertes Bedürfnis haben,anderen gute oder schlechte Absichten zuzuschreiben und sie fürdiese Absichten verantwortlich zu machen. Wobei dies in bildungs-fernen Schichten weniger verbreitet zu sein scheint als in hohenBildungsschichten.

Im Labor weiss die Testperson, ob die Verteilung durch einenMenschen oder das «System» geschieht. Ist diese Unterschei-dung in der Realität nicht viel schwieriger?Ja, in der Praxis ist das häufig vermischt. Wenn ein Manager eineLohnerhöhung verhindern will, sagt er: «Ich habe keine Wahl, dieUnternehmensergebnisse lassen das nicht zu.» Die Aussage «Ichhabe keine Wahl» heisst, dass ich für meine Entscheide nichtverantwortlich bin. Wenn ich eine Wahl hätte, wäre ich verantwort-lich. Es ist ein Unterschied, ob ein Mensch etwas tut oder derMarkt. Wenn ein Geschäftspartner die Rechnungen nicht bezahlt,lässt sich die Verantwortung klar zuweisen. Wenn der Preis einerAktie sinkt, kann man nicht einfach die anderen Kapitalmarktteil-nehmer dafür verantwortlich machen. Das macht es oft schwierig,psychologische Prozesse in der Realität wissenschaftlich zu unter-suchen.

Kann unter diesen Umständen verloren gegangenes Vertrauenüberhaupt wiederhergestellt werden – und wenn ja, wie?Märkte und Marktakteure können selbst Vertrauen herstellen. Dasist überall dort der Fall, wo es um Vertrauen in Individuen geht. Ich weiss, ob ein Vertragspartner zuverlässig ist oder nicht. Dasregelt der Markt weitgehend von selbst. Einzelne Akteure habenVertrauen geschaffen, indem sie Verantwortung übernommen undeinen Teil ihrer Entschädigungen zurückbezahlt haben. Aber wennes um das Systemvertrauen geht, regelt das der Markt nicht vonselbst. Da muss der politische Akt erfolgen. Der staatliche Eingriff,um der UBS unter die Arme zu greifen, war sehr wichtig für dasSchweizer Finanzsystem. Wenn man die Aktienkursentwicklung derjüngeren Vergangenheit anschaut, scheinen die Anleger wiedermehr Vertrauen zu haben.

Galt nicht in der klassischen Lehre, dass das Gemeinwohlmaximiert wird, wenn die Märkte frei sind und jeder versucht,seinen persönlichen Nutzen zu maximieren?Das ist die Ideologie, welche um die klassische Lehre gewobenwird. Das entspricht aber weder den Tatsachen noch dem vorherr-schenden Lehrbuchwissen. Die Volkswirtschaftslehre gibt ganzklare Bedingungen an, wann Märkte effizient sind und wann nicht.Wenn externe Effekte vorhanden sind, beispielsweise bei vielenUmweltgütern wie saubere Luft oder saubere Seen, sind dezen-trale freie Märkte nicht mehr effizient. Wenn ich mit meinen Produk-tionsaktivitäten das Flusswasser dreckig mache oder die Luftverschmutze, ist die Kostenwahrheit nicht gegeben. Die Umweltge-setzgebung in der Schweiz ist ein Beispiel dafür, dass der Staateingreift, weil diese Märkte nicht effizient sind. Die traditionelleVolkswirtschaftslehre hat einen sehr wissenschaftlichen und völligunideologischen Zugang zu diesem Problem. Es gibt Umstände, da ist der Markt das bessere System, und es gibt Umstände, indenen es einer Regulierung bedarf.

Welche Umstände sind das zum Beispiel?Ein gutes Beispiel sind die Finanzmärkte. Dort bestehen enormeInformationsasymmetrien. Die eine Marktseite kennt sich häufigbesser aus als die andere. In solchen Situationen mit asymmetri-scher Information besteht die Gefahr, dass einzelne Akteure über-vorteilt werden. Es ist deshalb notwendig und sinnvoll, dass derStaat immer dort Instrumente bereitstellt, wo starke Informations-asymmetrien existieren. Aber die staatlichen Eingriffe beginnen jabereits bei der Vertragsdurchsetzung! Ich kann vor Gericht dieDurchsetzung eines Vertrages einklagen. Das ist eine elementarerechtliche Voraussetzung für das Funktionieren von Märkten.

Sie meinen Rechtssicherheit als Form der Regulierung?Wenn private Akteure Verträge, die sie freiwillig eingehen, besserdurchsetzen können, ist das eine positive Form der Regulierung.Sie ermöglicht es den Privaten, Tauschgewinne besser auszu-schöpfen. Die Idee, dass Märkte komplett unreguliert effizient funk-tionieren, hat nie gestimmt. //

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«Spitzenleistungen erbringt man aufDauer nur, wenn man sich wohl fühlt»,

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dossier + + + + + + + + + soziales unternehmertum

sagt Adrian Pfenniger, Chef des Triengener Bürstenherstellers Trisa. Er ist überzeugt, das die besondere Pflege von Werten wie Menschlichkeit, Fairness, Anstand und Respekt dem Unternehmen gerade in Krisenzeiten die nötige innere Stabilität verleiht. Foto: Tom Haller

Jedes Jahr nach der Generalversammlungmacht Trisa-Chef Adrian Pfenniger einenbesonderen Rundgang durch sein Unter-nehmen. Zusammen mit der Geschäftslei-tung geht er durch Fabrikhallen und Büro-räume und verteilt Couverts mit wertvollemInhalt. In den Umschlägen befindet sichGeld – Bargeld, exakt abgezählt –, das derChef den Mitarbeitenden persönlich über-gibt. Es ist die Erfolgsbeteiligung fürs abge-laufene Geschäftsjahr. 2008 betrug sie 6,5Prozent des Grundlohns, vom Maschinen-arbeiter bis zum Verwaltungsrat. Pfennigerhält auch im Zeitalter des elektronischenZahlungsverkehrs an dem Ritual fest. DieÜbergabe gibt ihm Gelegenheit, den Ange-stellten zu danken und an der Basis denPuls zu nehmen.Den Begriff «Bonus» vermeidet er geflis-sentlich, denn Trisa hat finanzielle Anreizeeingeführt, lange bevor sie in Mode undspäter auch in Verruf kamen. Seit 1964 lässtder Bürstenhersteller die Mitarbeitenden am Jahresergebnis teilhaben. Wurden siedamals als «Kommunisten» verhöhnt, refe-riert Pfenniger heute an Hochschulen über

sein partizipatives Führungsmodell, das erals den «grössten Erfolgsfaktor» des Unter-nehmens bezeichnet. Jeden Monat erhaltendie Mitarbeitenden Rechenschaft über denGeschäftsgang und die damit verbundeneErfolgsbeteiligung. «Es ist ein gutesFührungsinstrument», sagt Pfenniger, «allekönnen sehen, ob die Richtung stimmt.»

Zu Bestleistungen anspornenDie Methode ist aus der Not entstanden.Anfang der 60er Jahre experimentierte Adrians Vater Ernst Pfenniger mit neuenManagementmodellen, um die angeschla-gene Firma vor dem Kollaps zu retten. DerPatron investierte in neue Fabrikhallen undentwickelte ein System, um das Team zuBestleistungen anzuspornen. Dazu führte er nicht nur die Erfolgsbeteiligung ein,sondern machte die Mitarbeitenden auch zuAktionären und damit zu Unternehmern. 30 Prozent der Trisa-Aktien sind seither imBesitz der Mitarbeitenden, 70 Prozent gehö-ren der Familie Pfenniger. Wer ins Unter-nehmen eintritt, erhält nach einem Dienst-jahr eine Trisa-Aktie geschenkt, die lautPfenniger aber «nicht als Anlagevehikelgedacht ist, sondern als Billett zum Mitre-den an der Generalversammlung und imVerwaltungsrat». Wer das Unternehmenverlässt, dem wird die Aktie zum Steuerwertabgekauft. So kommt es, dass an der Generalver-sammlung des Bürstenherstellers ein grös-serer Aufmarsch herrscht als an der Jahres-

versammlung von manchem börsenkotier-ten Konzern. Nach einer starken Expansi-onsphase zählt die Gruppe heute über 1000 Angestellte, davon 750 am Hauptsitzin Triengen. Unabhängig vom Wachstumgelten immer noch die Werte, die seit ehund je gelebt werden – mit einem Unter-schied: Nun sind sie auch schriftlich festge-halten. Adrian Pfenniger, der 1989 in denBetrieb einstieg und ihn seit 2005 operativleitet, wollte sicherstellen, dass die Kulturmit dem Unternehmen wächst. Dabei verordnete er nicht ex cathedra einLeitbild, sondern definierte mit dem Ver-waltungsrat und den 100 Führungskräftenim Projekt «Trisa Spirit» die zentralenFührungsgrundsätze, die am Ende allepersönlich unterschrieben haben. Bei Trisasoll der Umgang von Menschlichkeit, Fair-ness, Anstand und Respekt geprägt sein,wobei dies Leistungsbereitschaft undBelastbarkeit in keiner Weise ausschliessensoll. «Spitzenleistungen erbringt man aufDauer nur, wenn man sich wohl fühlt», istPfenniger überzeugt. Überall im Betriebhängen Tafeln mit Parolen wie «Wir begeg-nen einander mit Wertschätzung»,

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«Wir wollen innovativ sein» oder «Wir erbrin-gen Spitzenleistungen». So können sichnicht nur langjährige Mitarbeitende dieWerte immer wieder vergegenwärtigen,auch Neueintretende werden schnell zu«Trisanern». Durch Seminare zu Themen wie «Lob und Anerkennung», «Auf dem Weg zu mehr Lebensqualität», «Arbeiten imTeam» wird der kooperative Stil im Alltaggefestigt. Was neoliberale Vordenker als Sozial-romantik belächeln mögen, hält Pfennigerfür einen «klaren strategischen Vorteil». Diestarke Kultur sei der Grund, warum es sichnoch immer lohne, am teuren StandortTriengen zu produzieren. Dabei konkurriertTrisa gerade in jungen Märkten wie China

oder Indien mit Anbietern, die mit markanttieferen Lohnkosten kalkulieren. Aber Pfen-niger hält am Standort Triengen fest undstärkte ihn sogar in den letzten Jahrendurch Investitionen von über 100 MillionenCHF in neue Produktionsanlagen. EineAuslagerung in Billiglohnländer steht nichtzur Diskussion.Für Pfenniger gibt es nur einen Weg, um imglobalen Wettbewerb bestehen zu können:Innovation. Ideenmanagement hat in Trien-gen einen hohen Stellenwert; der Umsatz-anteil der Produkte, die weniger als dreiJahre auf dem Markt sind, ist in den letzten

zehn Jahren von 5 auf 35 Prozent gestie-gen. In mehreren Innovationszirkeln treffensich Mitarbeitende verschiedener Bereicheund externe Experten regelmässig in einemsogenannten «Ideenhaus» zur Entwicklungneuer Produkte. Ideen und Wissen überPatente und Technologien werden in einerDatenbank systematisch bewirtschaftet.Alle Trisa-Mitarbeitenden haben zudemeinen Ideenpass, in den jede eingebrachteIdee eingetragen und später auch belohntwird. Ende Jahr werden «Trisa-Champions»gekürt. Auf diesem Weg kam etwa dieSchallzahnbürste Sonicpower auf denMarkt. Vier Jahre lang tüftelte ein Team aneiner Lösung, wie sich ein Motor im engenHals der Zahnbürste unterbringen lässt.

Kein SchönwetterprogrammDie Wirtschaftskrise wird auch für Trisa zumHärtetest. Pfenniger will zeigen, dass sozia-les Unternehmertum kein Schönwetterpro-

Alle Trisa-Mitarbeitenden haben einenIdeenpass, in den jede eingebrachteIdee eingetragen und später auchbelohnt wird. Ende Jahr werden die«Champions» gekürt.

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Zahlen und FaktenTrisa wurde im Jahr 1887 gegründet undgehört heute zu den fünf grössten Bürsten-herstellern der Welt. Im vergangenenGeschäftsjahr erzielte das Unternehmen mitrund 1000 Mitarbeitenden einen Umsatzvon 236 Millionen CHF und einen Reinge-winn von 16,5 Millionen CHF. Jeden Tagverlassen rund eine Million Zahnbürsten dasWerk, 97 Prozent davon sind für den Exportin über 80 Länder bestimmt. WeitereGeschäftsfelder sind Haarpflege und Raum-pflege. 30 Prozent der Aktien der Trisa AGsind im Besitz von Mitarbeitenden, 70 Prozent gehören der Familie Pfenniger.

gramm ist, sondern die Firma auch unbe-schadet durch rezessive Zeiten führt. Mit einem Exportanteil von 97 Prozent beiZahnbürsten wurde Trisa im vergangenenJahr vom Währungszerfall getroffen, zudemtrieben hohe Rohstoffpreise die Kosten in die Höhe. In den ersten Monaten deslaufenden Jahres war die Auslastung rück-läufig. Hauruck-Sparübungen würdenindessen nicht zur sozialen Grundhaltungpassen, stattdessen ist Kostensenkung beiTrisa ein laufender Prozess. «Das Ideenma-nagement betrifft nicht nur die Schaffungneuer Produkte, sondern auch den ganzenHerstellungsprozess, die Logistik und dieAdministration», sagt Adrian Pfenniger, «dieinternen Abläufe werden bei uns laufend

optimiert und rationalisiert, nicht nur inKrisenzeiten.» Gegenwärtig wird dieAuftragsabwicklung durchleuchtet.Der Trisa-CEO stellt sich auf eine zwei bisdrei Jahre währende Stagnation und eine langsame Erholung ein. Das Ziel, dieErfolgsbeteiligung der Mitarbeitenden auf10 Prozent zu heben, rückt damit etwas indie Ferne, aber dass wie in der Wirtschafts-krise der 70er Jahre kein Zustupf ausbe-zahlt werden kann, hält Pfenniger fürunwahrscheinlich. Er ist überzeugt, dass die Wertehaltung dem Unternehmen geradein Krisenzeiten die nötige innere Stabilitätverleiht: «Unsere Werte sind ein Anker ineinem sehr beweglichen Umfeld», sagtPfenniger, «dank ihnen, einem QuäntchenGlück und Gottes Segen werden wir auchdiese schwierige Zeit überstehen.» //

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Trisa hat finanzielle Anreize eingeführt, lange bevor sie in Mode und später auchin Verruf kamen. Seit 1964 lässt der Bürstenhersteller die Mitarbeitenden amJahresergebnis teilhaben.

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Die grösste Herausforderung:Disziplin.

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Herr Senn, als Chief Investment Officer eines global tätigenVersicherungskonzerns bekleiden Sie eine Schlüsselfunktion.Was ist Ihre Aufgabe?Das Investment Management der Zurich hat den Auftrag, eineüberdurchschnittlich hohe risikobereinigte Rendite auf den Kapital-anlagen im Verhältnis zu den Verbindlichkeiten zu erzielen. Mein Team und ich streben danach, mit den Einnahmen aus demVersicherungsgeschäft sowohl für unsere Versicherten als auch fürunsere Aktionäre nachhaltig Mehrwert zu schaffen.

Sie streben nach überdurchschnittlicher Rendite. Woranmessen Sie sich?Wir vergleichen uns laufend mit den weltweit 30 grössten Mitbe-werbern. In den letzten drei Jahren schafften wir es immer unter die fünf Besten, sowohl bezüglich der Gesamtrendite als auch des«relative return», also bezüglich Gewinn in Relation zu unserenVerbindlichkeiten. Eine schöne Bestätigung. Unsere Ambition ist es,im Investment Management die Benchmark der Branche zu setzen.

Über was für Summen wachen Sie? In unserem Kerngeschäft, der Verwaltung von Versicherungsgel-dern, geht es um rund 174 Milliarden USD. Zum Managementdieser Mittel kommt eine vielfältige konzerninterne Beratertätigkeit

– etwa für rund 100 Milliarden USD – dazu. Zudem fungieren wirals Berater unserer Pensionskassen; Zurich-weit existieren rund 40Pensionspläne mit einem Volumen von 11 Milliarden USD. Undausserdem sind wir auch noch Experten in Sachen selbst benützterImmobilien. Hier verfügen wir über eine grosse Expertise, da Immobilien ein wichtiger Teil unseres Portfolios sind und wir dieentsprechenden Spezialisten im Team haben.

Wie viele Mitarbeitende beschäftigen Sie in Ihrer Division?Wir sind sehr schlank organisiert, weltweit sind rund 300 Zurich-Mitarbeitende mit dem Investment Management betraut. Dazukommt ein Netz aus externen institutionellen Vermögensverwaltern,mit denen wir auf Mandatsbasis zusammenarbeiten. Diese Auf-teilung hat diverse Vorteile, etwa, dass wir überall auf der Welt diejeweils besten Asset Managers engagieren und uns aber auchjederzeit von ihnen trennen können, sollten sie unsere Perfor-manceerwartungen nicht erfüllen.

Wie gross sind Ihre Handlungsspielräume?Einerseits gross, weil wir sehr grosse Mittel einsetzen und entspre-chend Einfluss nehmen können. Andererseits wird unser Aktions-radius eingeschränkt durch unsere Verbindlichkeiten, durch unserKapital sowie durch regulatorische Auflagen in den verschiedenenLändern, wo wir aktiv sind. Die grössten Einschränkungen sindunser Kapital und unsere Verbindlichkeiten. Sie bilden die Leitplan-ken für unsere Investmentstrategie. Als Versicherer müssen wirjederzeit sicherstellen, dass die Verbindlichkeiten des Unterneh-mens gedeckt sind, und zwar so, dass wir auch in einem schlech-ten Marktumfeld an den Finanzmärkten nicht auf das Kapital des

dossier + + + + + + + + + werte erhalten

Für Martin Senn, Group Chief Investment Officer (und designierter Chief ExecutiveOfficer) von Zurich Financial Services, sind klar strukturierte Investmentprozesseund eine klar definierte Investmentstrategie unabdingbar für Erfolg. Seine Devise:sich immer strikt an die Buchstaben halten. Foto: Tom Haller

Martin Senn, der auf 1. Januar 2010 CEO von ZurichFinancial Services wird, ist seit 2006 Mitglied derKonzernleitung und Chief Investment Officer des Unter-nehmens. Der Karriereweg des 52-jährigen führte durchverschiedene Management Funktionen beim damaligenSchweizerischen Bankverein und bei der Credit Suisse.Zwischen 2003 und 2006 amtete er als Chief Invest-ment Officer der Swiss Life Gruppe.

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Konzerns zurückgreifen müssen, um diese Bedingung zu erfüllen.Die jüngste Krise hat viele Beispiele dafür geliefert, was passiert,wenn ein Versicherer dies nicht berücksichtigt: Einige Mitbewerberwaren in solchen Schwierigkeiten, dass sie eine Kapitalerhöhungvornehmen mussten oder gar auf Unterstützung vom Staat ange-wiesen waren.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der aktuellen Krise? Es ist nicht die erste Krise, die ich erlebe. Die weltweite Finanz-krise hat die Bedeutung einer klaren Investmentphilosophie undeines entsprechend systematischen und strukturierten Investment-prozesses wieder einmal sehr deutlich gemacht. Wir haben fest-gestellt, dass unsere Investmentstrategie solid und robust ist. Allerdings: Auch wir sind überrascht worden von den Ausmassen,wir mussten Wertveränderungen in Kauf nehmen, die teils grösserwaren, als wir es erwartet hatten. Nun fragen wir uns natürlich,welche Lehren wir für die Zukunft daraus ziehen.

Können Sie das konkretisieren?Allzu konkret kann ich nicht werden, vieles ist noch im Fluss.Grundsätzliches wird sich bei uns aber nicht ändern, im Kern habenwir keinen Handlungsbedarf. Unsere Philosophie wird weiterhinlauten: Wir wollen in guten Zeiten einen möglichst hohen risiko-adjustierten Ertrag und in schlechten Zeiten einen möglichst kleinen Verlust erzielen – und wir werden die Existenz des Unter-nehmens nicht aufs Spiel setzen. Unser übergeordnetes Ziel istganz klar, die Bilanz der Zurich stark zu halten.

Welches ist dabei die grösste Herausforderung? Disziplin. Wir haben eine klar definierte Investmentstrategie, klarstrukturierte Investmentprozesse und es gilt sicherzustellen, dasssich jeder an diese Vorgaben hält, egal, was der Markt für Verlo-ckungen bereithält. Die Versuchungen des Marktes sind gewaltig –und die Gefahr, ihnen zu erliegen, lauert auch hier, denn es sindMenschen am Werk und keine Maschinen. Die jüngste Vergangen-heit zeigt, dass es sich für uns abermals bezahlt macht, dass wiruns derart strikt an die Buchstaben halten: Ohne unser rigidesRegime wären wir dem Markt viel stärker ausgesetzt. Wir wärenwomöglich, wie andere, getrieben von der Gier auf dem Weg nachoben und von Panik auf dem Weg nach unten. Dank unserer

Disziplin hatten wir Ende 2008 eine positive Anlagerendite von etwas mehr als 1 Prozent – ein grosser Erfolg und klar eine Bestätigung dafür, dass wir vieles richtig machen.

Was ist in Ihrem Fach Know-how und Leistung, was ist Glückund Intuition? Bei uns steht und fällt alles mit der Expertise und eben der Disziplinder Mitarbeitenden. Sicherzustellen, dass wir in jeder Funktion diebesten Leute haben, ist daher absolut zentral. Dazu gehört auchDiversität. Hier am Konzernhauptsitz beschäftigen wir 53 Mitarbei-tende aus 25 Ländern im Investment Management. Das ist nichtnur Programm, sondern auch ausschlaggebend für den Erfolg:Wenn wir in China ein Geschäft abschliessen wollen, brauchen wireinen versierten chinesischen Mitarbeitenden, der die Kultur unddie Gepflogenheiten seines Landes ebenso verinnerlicht hat wie die Werte unseres Unternehmens. Ich bin sehr stolz auf die Profes-sionalität und das Engagement meiner Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter. Und zum Thema Glück: Das darf bei uns natürlich keinFaktor sein! Wir spielen nicht Lotto. Unser Erfolg ist abgestützt auffundierte Marktanalysen, empirische Modelle und klar definierteProzesse. Bauchentscheide und Intuition können bis zu einemgewissen Grad auch eine Rolle spielen – sind aber bestimmt keineTreiber. Weit wichtiger als Intuition sind Erkenntnisse basierend aufbreit abgestütztem internem und externem Research.

Der Markt der Anlagemöglichkeiten ist sehr agil und erfin-dungsreich. Wie investieren Sie? Da haben wir einen klaren Grundsatz: Wir investieren nur in Risiken,die wir verstehen. Das ist nicht technisch gemeint, denn die Struktur von Produkten verstehen wir problemlos. Es geht vielmehrdarum, zu verstehen, welche Bedeutung und welchen Einflussverschiedene Produkte für unsere Bilanz haben; insbesondere imFall einer Krise. Gewisse Produkte sind zu komplex, als dass sie inder Summe noch den Aufwand rechtfertigten, der notwendig wäre,sie richtig zu analysieren, modellieren und in den Risikosystemenabzubilden. Unsere Erfahrung ist, dass hochkomplexe Produktesich im Versicherungsumfeld nur marginal bewähren. Die jüngsteVergangenheit gibt uns recht.

Wann rechnen Sie mit einer Erholung der wirtschaftlichenSituation? Wir sehen bereits erste Anzeichen einer Erholung. Allerdings aufsehr tiefem Niveau. Ich denke, die Arbeitslosigkeit wird in vielenLändern noch weiter steigen und das Vertrauen der Konsumentennoch lange angeschlagen sein. Daher ist der Silberstreifen am Horizont noch keine Trendwende. Auf eine nachhaltige Trendwendewerden wir noch eine Weile warten müssen.

Was für ein Verhältnis haben Sie persönlich zum Risiko? Risiko ist der Treiber von Ertrag. Diesen Zusammenhang berück-sichtige ich immer, ob in meinem Beruf oder privat. Die Relationvon Risiko und Ertrag wäge ich vor jeder Entscheidung ab. //

dossier + + + + + + + + + werte erhalten

«Unsere Philosophie wird weiterhinlauten: Wir wollen in guten Zeiten einenmöglichst hohen risikoadjustiertenErtrag und in schlechten Zeiten einenmöglichst kleinen Verlust erzielen.»

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dossier + + + + + + + + + ausbildung

«Hügel aufschütten, von denenman einen Überblick gewinnt.»

Rektor Ernst Mohr über die Auswirkungen der Wirtschaftskriseauf die Universität St. Gallen, menschliche Schwächen und

gesellschaftliche Verantwortung.Foto: Tom Haller

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Herr Mohr, die HSG wird als Kader-schmiede der Schweizer Wirtschaftbezeichnet. Gefällt Ihnen das?Schmiede gefällt mir weniger als Kader.Schmiede erinnert an Eisen, das beliebiggeformt und bearbeitet wird. Das Bild passtnicht zu einer Universität. Richtig ist, dassdie HSG Kader hervorbringt.

Kader, das den Interessen der Wirtschaftdienen soll.Nicht nur. Die HSG ist keine reine BusinessSchool, sondern verfügt über ein breitesAngebot. Ich sehe die HSG als sozialwis-senschaftliche Universität mit einem starkenSchwerpunkt im Bereich Wirtschaftswissen-schaften und hier wiederum im BereichManagement. Wir bieten auch einen juristi-schen und zwei volkswirtschaftliche Lehr-gänge an sowie «Law and Economics» und«International Affairs». Das macht das Profilder HSG aus. Nur etwa die Hälfte unsererAbsolventen studiert Betriebswirtschafts-lehre im engeren Sinn.

Einer der Leitsätze der HSG lautet: «Wirwollen Studierende gewinnen, die ihreBegabung und ihre Leistungsfähigkeit

nicht nur für ihren persönlichen Erfolg,sondern auch gesellschaftlich verant-wortungsvoll einsetzen.» Die Finanz- undWirtschaftskrise hat gezeigt, dassmanche Manager in Kaderpositionen vorallem den persönlichen Erfolg gesuchthaben. Wurden sie falsch ausgebildet?Zwischen dem Abschluss eines Studiumsund dem Erlangen von Spitzenpositionenliegen 15 bis 20 Jahre. Die Leute, die jetzt inFührungspositionen sind und hier ihrStudium absolvierten, haben an der HSGstudiert, als diese noch eine andere war als die heutige. Damit ist keine Wertungverbunden; ich stelle nur fest, dass dieUniversität Denkweisen in die Köpfe vonStudierenden bringt, die immer mit Zeit-verzögerung wirken. Deshalb ist die HSGselbst permanent im Wandel. Auch dieFinanzwelt hat sich in den letzten 20 Jahrenradikal gewandelt. Es hat eine techno-logische Revolution stattgefunden, dieKonzepte und Bewertungsansätze ermög-licht hat, die jetzt offensichtlich ausserKontrolle geraten sind. Die Finanzkrise istentstanden aus einer Kombination vonfachlichen Fehlern und menschlichenSchwächen.

Wie erklären Sie sich die menschlichenSchwächen?Sie haben verschiedene Ursachen. Eineliegt im Spezialistentum, das per se nichtschlecht ist, aber gewisse Gefahren birgt.Es kann den Horizont und den Blick auf dasGanze verengen. Der Spezialist tendiertdazu zu sagen: «Ich halte meinen Bereich inOrdnung, und wenn das die anderenSpezialisten auch tun, wird es insgesamtdann schon stimmen.» Diese Sichtweise ist,wie die Krise zeigt, nicht aufgegangen.

Menschliche Schwächen können auchcharakterbedingt sein. Kann eine Univer-sität Charakterschulung betreiben?Pädagogische Studien belegen, dass diefrühe Kindheit, das Elternhaus, die Umge-

bung und die Jugend einen weit grösserenEinfluss haben als das, was die Schule unddie Hochschule bewirken können. Trotzdemwäre es ein Armutszeugnis für eine Univer-sität, wenn gesagt würde: «Wir bieten einewissenschaftliche Ausbildung – der Restinteressiert uns nicht.» Unsere Möglichkei-ten, bei Studierenden auf die Charakterent-wicklung Einfluss zu nehmen, sind wie zumBeispiel in einem Unternehmen beschränkt.Aber wir müssen sie wahrnehmen.

Ist Charakterschulung vor dem Hinter-grund der Finanz- und Wirtschaftskrisean Ihrer Universität zum Thema gewor-den?Die Diskussion, welche Konsequenzen ausder Krise zu ziehen sind, ist innerhalb derHSG im Gange. Ich werde oft gefragt, waswir jetzt machen, was wir ändern? Es ist zufrüh, Antworten zu präsentieren. Eines derThemen, das wir diskutieren, ist das Verhält-nis zwischen Kontext- und Kernfachstu-dium. Hier geht es insbesondere um dieRisiken des Spezialistentums.

Im Kontextstudium belegen die Studie-renden Fächer und Kurse, die nichtunmittelbar etwas mit ihrer Studienrich-tung zu tun haben und ihren Horizonterweitern sollen, etwa in kulturellerHinsicht.Ja, und hier stellt sich die Frage der Integra-tion von verschiedenen Disziplinen. DieWissenschaft ist auf dem Weg, immerspezialisierter zu werden; das gehört zurNatur der Wissenschaft. Einerseits ist es

dossier + + + + + + + + + ausbildung/charakterschulung

Ich sehe die HSG alssozialwissenschaftlicheUniversität mit einemstarken Schwerpunkt imBereich Wirtschafts-wissenschaften und hierwiederum im BereichManagement.

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unsere Aufgabe, eine wissenschaftlicheAusbildung anzubieten, andererseits gehtes darum, verbindende Elemente, etwa ausdem Kontextstudium, zu fördern. Das ist einwichtiger Punkt, der uns nicht erst seit derFinanz- und Wirtschaftskrise beschäftigt.Die Krise hat ja bestätigt, dass eine einzelneDisziplin die Probleme nicht lösen kann. Siemüssen umfassend in Angriff genommenwerden.

Wird die Diskussion über die Zukunft vonUniversitäten international geführt?Im Zuge der Krise ist die HSG gegenwärtigunter besonderer Beobachtung – wie alle Wirtschaftshochschulen. Wir sind derCommunity of European ManagementSchools angeschlossen und stellen fest,dass alle Partneruniversitäten vor der gleichen Herausforderung stehen: Wiereagieren sie auf die Fragen und Forderun-gen der Gesellschaft? Im Vergleich zureinen Business Schools sind wir besseraufgestellt. Da wir ein breites Portfolioanbieten, erhalten die Studierenden einUmfeld, in dem sie sich mit Studierendenund Dozenten aus anderen Fachrichtungenaustauschen können. Das verschafft unsgegenüber anderen Universitäten einengewissen Vorsprung. Das heisst aber nicht,dass alles in Ordnung sei. Auch wir müssenüber die Bücher gehen, insbesondere im bereits erwähnten Zusammenspielzwischen Kontextstudium und Fachstu-dium.

Sie verlangen von den Studierendengesellschaftliche Verantwortung. Wasverstehen Sie darunter?Gesellschaftliche Verantwortung hat mitInteresse am Gemeinwesen zu tun. Dieses

besteht aus unterschiedlichen Menschenmit unterschiedlichen Hintergründen undunterschiedlichen Interessen, Wahrneh-mungen und Bedürfnissen. Wenn hier die Antenne auf Empfang steht, ist schon viel erreicht. Studierende können in studentischen Organisationen in dem Sinntätig sein, dass ihr Engagement nichtausschliesslich den anderen Vereinsmitglie-dern, sondern der Gesamtheit der Studie-renden zugutekommt.

Sie selber sind Volkswirtschaftslehrer mit «besonderer Berücksichtigung desZusammenhangs von Wirtschaft undÖkologie». Unternehmerisches Handeln,das Sorge zur Umwelt trägt, hat auch mitgesellschaftlicher Verantwortung zu tun.Es geht vor allem um die Frage, was dieGrundlagen des menschlichen Wohlstandssind. Da spielt die Umwelt eine grosse Rolle– und man muss sich als Nächstes fragen:«Lohnt es sich, eine langfristige Perspektivezu wählen statt eine kurzfristige?» Natürlichsollte man zukünftige Generationen im Auge behalten; ein Unternehmen muss aberauch wirtschaftliche Überlegungen anstel-len, und beides miteinander zu verbinden,ist die Herausforderung.

Politik und Wirtschaft werden nochimmer von Männern dominiert. Unter-nimmt die HSG genug, um die Frauen zufördern?Die Zahl der Studentinnen wächst stetig,liegt aber wegen unseres spezifischenFächerangebots noch unter dem Durch-schnitt. Sie machen jetzt rund 38 Prozentder Studierenden aus; vor zehn Jahrenwaren es noch 28 Prozent. Aber wir habenda sicher noch ein Steigerungspotenzial

im Vergleich zu anderen Universitäten, dieeinen Frauenanteil von über 50 Prozenthaben, aber auch ein anderes Fächerspek-trum. Frauenförderung nehmen wir ernst.Seit 2008 bieten wir den Weiterbildungskurs«Women Back to Business» für Frauen an,die den beruflichen Wiedereinstieg planen.

Ist eine Rektorin für die HSG vorstellbar?Ja, natürlich.

Welche Lehren ziehen Sie als Rektor derUniversität St. Gallen aus den letztenzwölf Monaten?Universitäre Lehre ist forschungsbasiert,das macht sie aus. Forschung wird immerspezialisierter, das geht nicht anders. DieHerausforderung ist, wie immer spezialisier-tere Forscher in ihrer Lehre nicht nur wie inder Forschung tiefe Löcher bohren, sondernauch Hügel aufschütten, von denen maneinen Überblick gewinnt.

Die HSG steht, wie Sie gesagt haben,unter besonderer Beobachtung. Hat dieWirtschaftskrise ihr geschadet?Nein, für uns ist sie eine Herausforderung,was wir in Zukunft besser machen können.Ich halte nichts von Schulddiskussionen.Interessanter ist, dass die Dimensionen, derFacettenreichtum und die Auswirkungen derFinanz- und Wirtschaftskrise ein gewaltigesPotenzial bieten, um daraus zu lernen undalte Konzepte zu überdenken, zu bestätigenoder durch bessere zu ersetzen. DieseChance müssen wir packen, denn dieKarten werden auch an den Hochschulenneu gemischt. //

«Ich halte nichts vonSchulddiskussionen. Interessanter ist, dass die Dimensionen undAuswirkungen der Finanz- und Wirtschafts-krise ein gewaltigesPotenzial bieten, umdaraus zu lernen.»

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«Ulysses»: Eine Landwirtschaftsschule in 50 Ländern.

Genau ein Jahr ist es her, dass PhilipposSoseilos, Leiter Wirtschaftsprüfung undLeiter des People & Change Team bei PwCin Zypern, im Rahmen des «Ulysses»-Programms in Südamerika war. Er hattesich für die Teilnahme an einem komplexenProjekt entschieden, bei dem es – kurzgesagt – darum ging, eine Strategie auszu-arbeiten, wie eine Landwirtschaftsschule in50 Ländern der Welt implementiert werdenkann. Die Schule soll Menschen in unterpri-vilegierten, ländlichen Regionen befähigen,sich selbst zu helfen – unterstützt durchMikrokredite. «Unsere Aufgabe war es, dieSchule in Paraguay genau zu studieren unddann mit anderen internationalen Teams einModell auszuarbeiten, das sich auf andereLänder übertragen lässt», erklärt PhilipposSoseilos. «Es war eine unglaublich intensiveLektion in Sachen Diversität!»Aber auch ein persönlicher Lernprozess.Philippos Soseilos berichtet, er habe nochnie zuvor so viel über sich selbst nachge-dacht wie während der «Ulysses»-Monate:«Meine Stärken und Schwächen, meine

Werte, die Quelle meiner Energie, alles kamauf den Prüfstand», erinnert er sich. «Ichhabe während der sehr intensiven Team-arbeit mit Menschen der verschiedenstenKulturen begriffen, dass wir alle eineAufgabe in der Gesellschaft, in der Welthaben; und dass wir dafür verantwortlichsind, dass global eine nachhaltige Entwick-lung stattfindet.»Philippos Soseilos begann, sich selbst unddie Welt mit anderen Augen zu sehen. «DieReisen, die ich im Rahmen des Projektsunternehmen durfte, brachten mich inKontakt mit grosser Armut. Das hat michdemütig gemacht. Vor allem weil ich erlebthabe, wie grosszügig, freigiebig und auchglücklich die Menschen sind, die nachunserer Auffassung nichts besitzen. Einer

von ihnen sagte zu mir ‹Ihr habt Uhren, wir haben Zeit.› Natürlich ist dies einBonmot; es birgt aber einen wahren Kern,über den es sich nachzudenken lohnt.»Philippos Soseilos hat durch «Ulysses»gelernt, sehr genau zuzuhören. «Ich binheute in meinem Beruf, aber auch privatsehr viel aufmerksamer. Ich versuche, eineBasis des Vertrauens zu schaffen, auf derechte Kommunikation stattfinden kann. Esist mir heute extrem wichtig, herauszufin-den, was jemand wirklich meint – und nichtnur auf das zu reagieren, was gesagt wird.»Lernen und verändern, davon ist der 43-Jährige überzeugt, ist ein lebenslangerProzess. Ein Prozess, der einen dazu befä-higt, im Alltag Werte zu leben und anderenMenschen mit Geduld und Offenheit zubegegnen. «Um die Probleme unserer Zeitangehen zu können, sollten wir alle in diegleiche Richtung marschieren. Das geht nur,wenn wir uns aufrichtig darum bemühen,einander besser zu verstehen.» //

Prägende Erfahrungen: PwC-Mann Philippos Soseilos (Mitte) in Paraguay.

«Ulysses» ist ein Leadership-Development-Programm von PricewaterhouseCoopers. Die teil-nehmenden PwC-Partnerinnen und -Partner habenPotenzial für eine Führungslaufbahn und werdenvon ihren Länderorganisationen nominiert. In multi-kulturell zusammengesetzten Teams (3 bis 4 Perso-nen) arbeiten sie zwei Monate in Staaten der DrittenWelt zusammen mit Social Entrepreneurs, NGO oderinternationalen Organisationen. Die ausgewähltenProjekte sind eine Herausforderung und bieten dieMöglichkeit, professionelle Kompetenzen in einemvöllig anderen Umfeld einzusetzen.

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Der Erfolg von Unternehmen ist eine Frage der nachhaltigen Rentabilität. Der Weg dahin führt über Offenheit und Glaubwürdigkeit. Eine transparente Führung ist Ausdruck einer zeitgemässen Corporate Governance und wichtig für die Vertrauensbildung. PricewaterhouseCoopers trägt mit Ihnen dazu bei, die Position Ihres Unternehmens auf dem Kapitalmarkt und in der Öffentlichkeit zu stärken. Und Ihren Erfolg zu sichern. Welche Frage bewegt Sie?

Wie viel Geheimnis braucht der Erfolg?Sandra Böhm, PricewaterhouseCoopers Zürich

www.pwc.ch

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ceo* realismus/optimismus

Andy Schmid:«Ich habe Vertrauen in die eigenen Stärken.»

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Dr. Maja Storch: «Vorgesetzte sollten dazustehen, dass sie sich inschwierigen Situationenunwohl fühlen.»

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Prof. Dr. Susanne Suter:«Machbar und durchsetz-bar ist der Kompromiss.»

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Jean-Marc Bolinger:«Es braucht Substanzstatt Marketing-Blabla.»

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*connectedthinking CO

RP

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